Thieme: Gefäßmedizin in Klinik und Praxis

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Gefäßmedizin in Klinik und Praxis
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10.8.2010
Umbruch
Arterienerkrankungen
1
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Aneurysmaformen
Morphologisch unterscheidet man im Aortenbereich
ein fusiformes (spindelförmiges) von einem sacciformen (sackförmiges) Aneurysma, welches ein höheres
Rupturrisiko hat (Abb. 1.68).
Abhängig von Ausmaß der geschädigten Wandschichten sind histologisch drei Formen von Aneurysmabildungen bekannt (Abb. 1.69):
● Aneurysma verum
● Aneurysma dissecans
● Aneurysma spurium
Ein echtes Aneurysma (Aneurysma verum) ist eine
lokalisierte Aufweitung der Arterien, die alle Gefäßwandschichten betrifft (Abb. 1.69a).
a Aneurysma
fusiformis
1.7
Arterielle Aneurysmen
Abb. 1.68
men.
b Aneurysma
sacciformis
c Aneurysma
fusisacciformis
Morphologische Einteilung arterieller Aneurys-
1.7.1 Allgemeine Vorbemerkungen
Definition
Arterielle Aneurysmen sind umschriebene Gefäßerweiterungen. Eine lokalisierte Arterienerweiterung im
Sinne eines Aneurysma verum kann bei einer Verdopplung der normalen Lumenweite angenommen werden.
Die Normalweite von Arterien hängt vom Geschlecht,
Alter, Körperoberfläche und Körpergröße des Menschen
ab. Im Bereich der Aorta nimmt z. B. die normale
Lumenweite mit der Körpergröße und dem Alter zu,
wobei Frauen eine schmalere Aorta als Männer haben.
Auf die genauen Lumengrenzwerte, ab denen ein
Aneurysma definiert ist, wird bei der Abhandlung der
Aneurysmen der einzelnen Körperregionen eingegangen.
a Aneurysma
verum
Abb. 1.69
b Aneurysma
dissecans
c Aneurysma
spurium
Histologische Einteilung arterieller Aneurysmen.
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1.7 Arterielle Aneurysmen
Unter einem Aneurysma dissecans wird ein Aneurysma auf dem Boden einer Längsspaltung der Arterienwand im Bereich der Mediaschicht verstanden, wobei
ein inneres („wahres“) und ein äußeres („falsches“)
Lumen entsteht. Die äußere Begrenzung des falschen
Lumens (Media-, Adventitiaschicht) ist dünner als die
innere (Intima-, Mediaschicht).
Aufgrund einer Ruptur der Vasa vasorum der Arterienwand oder eines Einrisses der Gefäßintima (ca. in
70 % der Fälle) kann Blut in die Mediaschicht der Arterie
eindringen und zu einer Dissektion der Gefäßwand im
Sinne eines Aneurysma dissecans (Abb. 1.69b) führen.
Der Ort des primären Einrisses wird als Eintrittspforte
(Entry), die Austrittsstelle (Reentry) bezeichnet. Eine
Aortendissektion kann mehrere Entrys und Reentrys
haben.
Dissektionen von Arterien müssen aber nicht immer
mit aneurysmatischen Erweiterungen einhergehen,
sondern können auch in histologisch normalen Gefäßen
auftreten. Dies ist z. B. bei iatrogener Arterienwandspaltung im Rahmen einer arteriellen Katheteruntersuchung der Fall.
Für die Bezeichnung Aneurysma dissecans muss eine
umschriebene Gefäßerweiterung nicht immer zutreffen.
Beim falschen Aneurysma (Aneurysma spurium) handelt es sich um eine perivaskulär mit Blut durchströmte Gewebehöhle, die mit dem Arterienlumen
über einen kompletten Wanddefekt in Verbindung
steht (Abb. 1.69c). Das Aneurysma spurium ist von
Endothel ausgekleidet und mit einer bindegewebigen
Kapsel umhüllt. Gefäßwanddefekte, die zu einem Aneurysma spurium führen, können entweder traumatischer
(nach Operation, nach Bypassanlage, nach Herzkatheteruntersuchung oder interventionellen Eingriffen)
oder entzündlicher Genese sein. Nach transfemoralem
Herzkatheterzugang kommt es in bis zu 4,5 % der Fälle
zum Auftreten eines Aneurysma spurium im Bereich
der Punktionsstelle. Nach PTA und PTCA ist in bis zu 2,3
und 5,2 % der Fälle mit der Bildung eines Aneurysma
spurium zu rechnen. Ursache ist dann meist eine unzureichende Kompression des punktierten Gefäßes im
Anschluss an die Untersuchung.
1
a
b
Abb. 1.70 Häufigste Formen und Lokalisationen der thorakalen Aortenaneurysmen.
Aortenaneurysmen sind häufiger im abdominellen
(92 %) als im thorakalen Abschnitt (8 %) (Abb. 1.70)
lokalisiert. Etwa 95 % der abdominellen Aortenaneurysmen liegen infrarenal, 5 % suprarenal mit Einschluss der Nierenarterien (Kunz 1980).
Aortale Aneurysmen im Rahmen einer Luesinfektion
betreffen typischerweise die Aorta thoracica.
In ca. 50 % der Fälle treten arterielle Aneurysmen an
multiplen Lokalisationen auf. So liegen mit einer Häufigkeit von bis zu 28 % bei Bauchaortenaneurysmen
gleichzeitig Popliteaaneurysmen vor (Lange 1990). Bei
10 % der abdominellen Aortenaneurysmen kommt es
zur Mitbeteiligung der A. iliaca communis.
Seltener sind isolierte extraaortal gelegene Aneurysmen. Sie können im Bereich der A. iliaca (ohne gleichzeitiges Aortenaneurysma) (1,3 %), der A. poplitea, A.
femoralis, A. subclavia oder in den Intrazerebralarterien
vorkommen. In etwa zwei Dritteln der Fälle betreffen
Aneurysmen der A. poplitea beide Extremitäten (Lange
1990). Aneurysmen der Viszeralarterien kommen mit
einer Häufigkeit von 0,1–0,8 % vor.
Aneurysmen, die auf eine poststenotische Dilatation
hinter funktionellen Engen zurückzuführen sind,
betreffen bevorzugt die A. subclavia (Mm. scaleni, Halsrippe, kostoklavikuläre Enge) oder die A. poplitea (Gastroknemiusenge).
Lokalisation
Ätiologie
Die bevorzugte Lokalisation von Arterienaneurysmen
ist von ihrer Genese abhängig. So finden sich arteriosklerotische Aneurysmabildungen am häufigsten im
Verlauf der Aorta (Aortenaneurysmen).
Ätiologisch können Aneurysmen in 6 Gruppen eingeteilt werden, wobei die arteriosklerotische Genese am
häufigsten ist (ca. 95 %):
● angeboren
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Arterienerkrankungen
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●
●
●
●
arteriosklerotisch
traumatisch
mykotisch
inflammatorisch
poststenotisch
Seltene Ursachen arterieller Aneurysmen sind:
● Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom
● zystische Medianekrose (Erdheim-Gesell)
● Aortenisthmusstenose
● Vaskulitiden (z. B. Takayasu-Aortitis)
Angeborene Ursachen. Etwa 15 % der Patienten mit
abdominellem Aneurysma haben einen Verwandten 1.
Grades, der ebenfalls diese Gefäßerkrankung aufweist
(Webster et al. 1991).
Das Marfan-Syndrom ist durch eine angeborene Bindegewebeerkrankung, die die Augen, das Skelett und
das kardiovaskuläre System betrifft, charakterisiert.
Sowohl dem Marfan- als auch dem Ehlers-Danlos-Syndrom Typ IV liegt eine angeborene Synthesestörung von
Bindegewebe zugrunde. In der Mediaschicht von Arterien kommt es zum Untergang von Muskelzellen.
Das Marfan-Syndrom führt typischerweise zu Aneurysmen in der Aorta thoracalis (Abb. 1.71).
Arteriosklotische Genese. In Zusammenhang mit Aortenaneurysmen sind strukturelle und biochemische
Umbauvorgänge in der Arterienwand beschrieben, die
zu einem Ungleichgewicht zwischen Kollagenabbau
und Regeneration führen. So kommt es zu einer
Abnahme des Elastingehaltes, bedingt durch ein Überangebot von Proteinasen wie der Matrixmetalloproteinase 9 und einer erniedrigten Konzentration von
Antagonisten wie dem α1-Antitrypsin (Sakalihasan et
al. 2005).
Hauptsächlicher Risikofaktor arteriosklerotisch bedingter Arterienaneurysmen ist das Rauchen. Die Koinzidenz mit einer pAVK ist häufig (Hirsch et al. 2006).
Bei ca. 60 % der Patienten mit Bauchaortenaneurysmen besteht eine therapiebedürftige arterielle Hypertonie.
Traumatische Genese. Arterienaneurysmen können
Folge einer iatrogenen Gefäßwandverletzung im Rahmen einer Arteriografie (s. o.) sein. Traumatische Aortenaneurysmen entstehen meist nach Autounfällen
oder anderen Dezelerationstraumen, wobei es zu einem
unvollständigen Einriss der Aortenwand im deszendierenden Aortenbogen am Ansatz des Lig. botalli (locus
minoris resistentiae) kommt.
Abb. 1.71 Typisches, riesiges thorakales Aneurysma bei einem Patienten mit Marfan-Syndrom. Kontrastmittelgestützte
MRA bei einem 8-jährigen Kind.
Mykotische Aneurysmen (Abb. 1.72a, siehe auch Kap.
1.7.8) sind in der Aorta beschrieben und entstehen als
Folge einer bakteriellen Entzündung, verursacht durch
z. B. Staphylococcus aureus, Brucellen, Salmonellen,
Chlamydien, Tuberkulosebakterien oder auch Treponema pallidum (Hirsch et al. 2006). Mykotische Aortenaneurysmen als Folge einer Syphillis sind heute aufgrund der rechtzeitigen und guten antiobiotischen
Therapie der Grunderkrankung selten.
Inflammatorische Arterienaneurysmen sind selten
und basieren vermutlich auf einem Autoimmunprozess,
der zu einer typischen perivaskulären Fibrose mit retroperitonealer Inflammation und Adhäsionen im Bereich
der V. cava und/oder der Ureteren führt. Charakteristisch im Ultraschall, CT oder MRT ist die konzentrische
zwiebelschalenartige Verdickung der Aortenwand, die
Kalkspangen enthält (Abb. 1.72b).
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1.7 Arterielle Aneurysmen
●
●
●
Vermehrte Belastung der Aortenwand. Diese ist durch
die Asymmetrie der Aortenbifurkation und die Lateralverlagerung der Kräftevektoren bedingt. Es ist
bekannt, dass sich infrarenale Aortenaneurysmen
aufgrund des geringeren Expansionswiderstandes
vorwiegend nach links ausbreiten.
Erhöhter peripherer Abflusswiderstand. Er kann im
Bereich der Aortenbifurkation aufgrund der Verstärkung der Pulswellenreflexion zu einer Verdoppelung
der Druckpulsamplitude führen.
Abnahme der Stromstärke und Flussgeschwindigkeit.
Ferner kommt es zur Ausbildung von Turbulenzen.
Eine retrospektive Untersuchung (Vollmar et al 1988)
an 545 Patienten, die wegen eines geschlossenen oder
rupturierten infrarenalen Aortenaneurysmas operiert
wurden, zeigte eine auffallend hohe Inzidenz von unilateraler Beinamputation (28 Personen = 5,1 %). Keiner der
untersuchten Patienten war doppelseitig amputiert. Das
Ergebnis dieser Arbeit wird durch das Resultat einer
prospektiven kontrollierten klinischen Verlaufsbeobachtung an 600 Kriegsversehrten mit und ohne Beinverlust unterstützt. Die Inzidenz infrarenaler Aortenaneurysmen betrug bei den Beinamputierten 7,6 %, bei den
Personen ohne Beinverlust 0,9 %. Somit scheint das
Risiko der Ausbildung eines Aortenaneurysmas nach
Beinamputation erhöht.
a
Pathophysiologische Grundlagen
Die Ausbildung von Arterienaneurysmen basiert auf folgenden pathophysiologischen Faktoren:
● Verlust der Wandstabilität durch strukturelle und
morphologische Gefäßwandveränderungen (s. o.)
● Veränderung der Hämodynamik im Gefäß mit Zunahme abnormer Scherkräfte
● Zunahme des seitlichen Wanddrucks und der Wandspannung
b
Abb. 1.72a Mykotisches Aneurysma.
b CT-Bild eines inflammatorischen Aneurysmas mit konzentrischer zwiebelschalenartiger Verdickung der Aortenwand
mit Kalkspangen (Aufhellungen in verdickter Aortenwand).
Beinamputation. Eine häufige Frage in Zusammenhang
mit Gutachten ist: Kann eine Beinamputation langfristig
die Ausbildung eines Aortenaneurysmas begünstigen?
Theoretisch könnten folgende Mechanismen die Ausbildung von Aortenaneurysmen bei einseitig amputierten
Personen begünstigen:
Strukturelle Wandveränderungen sind im Rahmen
oben genannter Mechanismen die Voraussetzung für
die Ausbildung von Arterienaneurysmen.
Hämodynamische Faktoren scheinen dann die Ausbildung von Aneurysmen zu begünstigen. So verursachen
turbulente Jetströmungen im poststenotischen Bereich
erhöhte Scherkräfte, die die Arterienwandstruktur
mechanisch schädigen. Zum Beispiel wird eine gegenüber der suprarenalen Aorta geringere arterielle Blutflussrate (bis zu 25 %) in der infrarenalen Aorta als
Ursache für die bevorzugte Aneurysmalokalisation in
diesem Aortenabschnitt angesehen. Die hierdurch bedingten geringeren Scherkräfte (low shear stress area),
die an der infrarenalen Aortenwand angreifen, können
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Arterienerkrankungen
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die Ausbildung dilatierender und obliterierender Umbauvorgänge fördern. Hinzu kommt, dass die Pulswelle
an der abdominellen Aortenbifurkation steiler und
höher ist als im Bereich des Aortenbogens.
Zu einer Erhöhung des seitlichen Wanddrucks und
der Wandspannung kommt es bei poststenotischen
Dilatationen im Zusammenhang mit Arterienverengungen durch die plötzliche poststenotische Abnahme der
Strömungsgeschwindigkeit. Die Spannung der Arterienwand ist dem Produkt aus Blutdruck und Gefäßdurchmesser proportional (Laplace-Gesetz).
Wandspannung bei arterieller Hypertonie. Unter Berücksichtigung des La-Place-Gesetzes (Wandspannung
= Gefäßradius × Gefäßinnendruck) steigt bei konstantem
Gefäßinnendruck die tangentiale Wandspannung proportional mit einem zunehmenden Gefäßradius an.
Gleichfalls nimmt mit einer Blutdruckerhöhung bei
gleichbleibendem Gefäßradius die Wandspannung zu,
wobei sich die Wanddicke umgekehrt zur Wandspannung verhält. Ist in einer thrombosierten oder verkalkten Arterie die Blutströmungsgeschwindigkeit herabgesetzt, so erhöht sich gemäß dem Energiegesetz von
Bernoulli der Seitendruck auf die Gefäßwand, sodass
dies die Aneurysmabildung begünstigt.
Die elastischen Fasern der normalen Arterienwand
können Änderungen der Gefäßwandspannung ausgleichen. Hierzu sind die Gewebestrukturen der krankhaft
veränderten Arterienwand nicht mehr in der Lage. In
der Arterienwand von Hochdruckpatienten ist der
Gehalt an Elastin und Kollagen vermindert und somit
die Dehnbarkeit herabgesetzt. Ein vermehrter Gefäßinnendruck bei Hypertonie fördert und beschleunigt die
Überdehnung der veränderten Gefäßwand. Frühzeitig
ist die Kompensationsfähigkeit der Arterienwand bezüglich zunehmender Wandspannung erschöpft. Das
Gefäß dilatiert irreversibel und kann rupturieren.
Die Kombination eines arteriellen Bluthochdrucks
mit der Abnahme von kollagenem Bindegewebe wird
auch als Ursache der Ruptur von Aortenaneurysmen
angenommen.
Bei Aneurysmen steigt mit der Zunahme des Blutdruckes und des Durchmessers das Rupturrisiko.
1.7.2 Aneurysma verum der infrarenalen
Aorta abdominalis
Definition
Das Aneurysma der infrarenalen Aorta abdominalis ist
definiert als Erweiterung des Querdurchmessers von
mehr als 3 cm (Hirsch et al. 2006). Die Rupturgefahr
nimmt ab einem Außendurchmesser von 5 cm drastisch
zu.
Epidemiologie
Die Inzidenz abdomineller infrarenaler Aortenaneurysmen wird in Sektionsstatistiken mit 0,3–2,8 % angegeben (Kortmann 1990). Bauchaortenaneurysmen werden
häufiger bei Männern als bei Frauen (2–7 : 1) gefunden
(Bengtsson et al. 1991). In Schweden beträgt die jährliche Inzidenz infrarenaler Bauchaortenaneurysmen bei
über 50-jährigen Männern und Frauen 4,7 und 3 %
(Bengtsson et al. 1992). In der 8. Lebensdekade steigt
die Inzidenz auf 12 % an. Altersunabhängig beträgt die
Inzidenz 40 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner.
Die Prävalenz abdomineller Aortenaneurysmen in der
Normalbevölkerung liegt bei über 60-Jährigen bei 2 %.
Sie wird durch das Alter, männliches Geschlecht, familiäre Disposition und Rauchen beeinflusst. So ist die
Prävalenz eines infrarenalen Aortenaneurysmas bei Personen mit Nikotinabusus gegenüber Nichtrauchern um
das Dreifache gesteigert und beträgt über 7 % (Bengtsson et al. 1991). Für Männer und Frauen im Alter zwischen 45 und 54 Jahren betragen die Prävalenzen infrarenaler Aortenaneurysmen 1,3 %, in der Altersgruppe
zwischen 75 und 84 Jahre bis zu 12,5 % und 5,2 % (Hirsch
et al. 2006, Sakalihasan et al. 2005).
Letalität. In den Vereinigten Staaten steht das abdominelle Aortenaneurysma mit nahezu 15 000 Todesfällen
pro Jahr an 13. Stelle der Todesursachenstatistik (Silverberg und Luvera 1983). Das Risiko einer Aortenruptur
nimmt mit dem Durchmesser des Aneurysmas zu und
ist ab einem Durchmesser von 5 cm überproportional
hoch. Die Letalität des rupturierten Bauchaortenaneurysmas ist mit über 50 % sehr hoch (Lederle et al. 2002).
Begleiterkrankungen. 8 % der Patienten mit Bauchaortenaneurysma haben gleichzeitig eine periphere
arterielle Verschlusskrankheit. Die Koinzidenz von abdominellem Aortenaneurysma und koronarer Herzerkrankung liegt bei 29 %. Die Häufigkeiten von Begleiterkrankungen bei Patienten mit abdominellen
Aortenaneurysmen sind in Tab. 1.45 wiedergegeben.
Klinische Symptomatik
Meist ist das infrarenale Aortenaneurysma symptomlos,
Allgemeinsymptome größerer Aortenaneurysmen können abdominelle Schmerzen mit Ausstrahlung in den
Rücken, chronische Obstpation, Übelkeit, Erbrechen,
Appetitlosigkeit und blutige Stühle sein.
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1.7 Arterielle Aneurysmen
Tabelle 1.45 Begleiterkrankungen bei Patienten mit abdominellen Aortenaneurysmen.
Erkrankung
Häufigkeit (%)
Hypertonie
49 %
KHK
29 %
Pulmonalerkrankung
25 %
Linksherzinsuffizienz
21 %
Niereninsuffizienz
14 %
Carotisstenosen
10 %
Diabetes mellitus
8%
periphere AVK
8%
Komplikationen eines infrarenalen Aortenaneurysmas, die indirekt auf diese Erkrankung hinweisen, können Embolien in die Beinarterien sein. Sind hiervon die
Digitalarterien betroffen, so wird dieses Krankheitsbild
als „trash foot“ bezeichnet. Somit muss bei einer arteriellen Embolie im Bereich der Beinarterien ursächlich an
ein abdominelles oder auch thorakales Aortenaneurysma gedacht werden.
Bei jeder Embolie muss die Emboliequelle identifiziert
und wenn möglich ausgeschaltet werden.
Diagnose
Körperliche Untersuchung
Etwa 30–60 % infrarenaler abdomineller Aortenaneurysmen sind asymptomatisch. Kommt es zur Ausbildung von Symptomen wie einem plötzlichen akuten
Abdomen, Flankenschmerz, Schock, oder einer pulsierenden abdominellen Raumforderung, so weist
dies meist auf drohende Komplikationen wie Dissektion oder Ruptur hin.
Durch das raumfordernde Wachstum der Aortenaneurysmen kommt es zur Ausbildung von Symptomen, die
denen folgender Erkrankungen ähnlich sind und daher
mit ihnen verwechselt werden können:
● Appendizitis
● Pyelonephritis
● Urolithiasis
● Leistenhernie
Tab. 1.46 fasst Symptome und indirekte klinische Zeichen abdomineller Aortenaneurysmen zusammen.
Tabelle 1.46 Spektrum der klinischen Symptomatik eines abdominellen Aortenaneurysmas.
Wichtige Symptome
und Zeichen
●
abdominelle Schmerzen
Indirekte klinische Zeichen
●
Ileussymptomatik
●
Claudicatio intermittens
●
periphere Embolien, „trash
foot“ (häufiger)
●
Rückenschmerzen
●
Ischialgie
●
Parästhesien
●
aortoenterale Fisteln (selten)
●
Flankenschmerzen
●
●
pulsierender
Abdominaltumor
aortocavale Fistel mit Rechtsherzinsuffizienz (selten)
●
Knöchelödeme (bedingt durch
die Cava-Kompression)
●
ischämische Kolitis, Verschlüsse
von Mesenterialgefäßen
Die Palpation von Bauchaortenaneurysmen ist ein
unzuverlässiges diagnostisches Werkzeug, da sie mit
einem hohen Anteil falsch negativer Befunde behaftet
ist. Sie ist somit als Screeningverfahren nicht geeignet.
Eine hohe diagnostische Treffsicherheit der Palpation
infrarenaler Aortenaneurysmen ist erst dann gegeben,
wenn es sich um große Gefäßerweiterungen handelt.
Über Aortenaneurysmen kann die Auskultation turbulenter Strömungsgeräusche möglich sein.
Das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie, die medikamentös schwer einstellbar ist, kann durch eine stenosierende Mitbeteiligung der Nierenarterien bei einem
abdominellen Aortenaneurysma verursacht werden.
Bildgebende Diagnostik
Prinzipiell sollten apparative diagnostische Verfahren
folgende Fragen klären:
● Lokalisation (Aortenabschnitt I–V)?
● Größe (größter Durchmesser, Länge)
● Form (fusi- oder sacciform, exzentrisch, perforiertes
arteriosklerotisches Ulkus [PAU])
● Bezug
zu anderen Gefäßen (Aortenbifurkation,
Viszeralarterien)
● Teilthrombosierung (Abb. 1.73) (mögliche Emboliequelle)
● Besteht eine Ruptur/gedeckte Ruptur/Perforation/Dissektion?
● Mögliche Genese (arteriosklerotisch, inflammatorisch)?
● Wachstum im Verlauf? Wie schnell ist das Wachstum
des Aneurysmas im Verlauf eines Jahres?
● Therapieoptionen (konservativ-medikamentös, operativ oder endovaskulär?)
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