Presse-Information DGPPN-Kongress 2009 / 25. – 28. November 2009 Presse-Round-Table 1, 26.11.2009 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde Psychische Störungen und Erkrankungen in der Lebensspanne. Neue Wege in Forschung und Versorgung. Statement von Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, DGKJP, Aachen Persönlichkeitsstörungen: Wenn Ich und Welt zerfallen. Welche Hilfen gibt es? Was ist eine Persönlichkeitsstörung? Eine Persönlichkeitsstörung zeigt sich in festgefahrenen und wenig angepassten Verhaltensweisen, die über lange Zeiträume stabil sind, in den meisten Lebenssituationen auftreten und zu persönlichem Leid und Schwierigkeiten mit der Umwelt führen. In der Öffentlichkeit bekannte Persönlichkeitsstörungen sind z.B. die BorderlinePersönlichkeitsstörung und die antisoziale Persönlichkeitsstörung. Frühsymptome von Persönlichkeitsstörungen zeigen sich häufig schon in der Kindheit, kristallieren und differenzieren sich im Jugendalter und verfestigen sich im jungen Erwachsenenalter. Wie bei fast allen psychischen Störungen spielen Anlage- und Umweltfaktoren gleichermaßen eine wichtige Rolle. Ein Anlagefaktor ist z.B. das Temperament eines Kindes. Hier ist das sog. schwierige Kind („difficult child“ nach Thomas und Chess 1977) zu nennen, das sich schon als Säugling und Kleinkind schlecht an neue Situationen gewöhnt und meist eine negative Stimmung und einen unregelmäßigen biologischen Rhythmus hat. Bei diesen Kindern entwickeln sich schon sehr früh Interaktionstörungen mit den Eltern, die ihrerseits die Wahrscheinlichkeit einer späteren psychischen Störung erhöhen. Als Beispiel kann die Borderline-Persönlichkeitsstörung genannt werden; Patienten mit Borderline-Störung zeigen schon als Kinder und Jugendliche Probleme mit der Regulation der eigenen Gefühle und eine hohe Stresssensibilität. Auf der anderen Seite findet sich bei diesen Jugendlichen eine Reihe von gravierenden psychosozialen Belastungsfaktoren, wozu z.B. Vernachlässigung, Gewalterfahrung, eine chaotische und feindselige Familienatmosphäre sowie ein entwürdigender Erziehungsstil zählen. Auch Kinder mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, die als Erwachsene gefährdet sind, Gewalthandlungen zu begehen, zeigen schon meist sehr früh Auffälligkeiten. Diese Kinder fallen manchmal schon im Kindergarten auf, indem sie andere Kinder schlagen, sehr impulsiv reagieren, besonders grausam zu Tieren sind und sich nicht in eine Kindergruppe integrieren lassen. Es fällt ihnen schwer, Mitleid mit anderen Menschen zu empfinden.Allerdings sind die Verhaltensweisen im Kindesalter meist noch sehr unspezifisch. So können auffällige Verhaltensweisen nicht nur Vorläufer von Persönlichkeitsstörungen, sondern auch von anderen psychischen Störungen sein. Immerhin beginnen 50% aller psychischen Störungen schon in Kindheit und Jugend. Präsident Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider, Aachen President Elect Prof. Dr. med. Peter Falkai, Göttingen Past President Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Düsseldorf Schriftführer Priv.-Doz. Dr. med. Michael Grözinger, Aachen Kassenführer Priv.-Doz. Dr. med. Felix M. Böcker, Naumburg Aus-, Fort- und Weiterbildung Prof. Dr. med. Fritz Hohagen, Lübeck Wissenschaftsförderung Prof. Dr. med. Wolfgang Maier, Bonn Biologische Therapien Prof. Dr. med. Heinrich Sauer, Jena Psychotherapie und Psychosomatik Prof. Dr. med. Sabine Herpertz, Heidelberg Universitäre Psychiatrie Prof. Dr. med. Andreas Heinz, Berlin Stationäre Versorgung, Rehabilitation Dr. med. Iris Hauth, Berlin-Weißensee Ambulante Versorgung Dr. med. Frank Bergmann, Aachen Sozialpsychiatrie Prof. Dr. med. Karl H. Beine, Hamm Beauftragte für die Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung Dr. med. Christa Roth-Sackenheim, Andernach Gesundheitspolitischer Sprecher Prof. Dr. med. Jürgen Fritze, Pulheim Hauptgeschäftsführer Dr. phil. Thomas Nesseler, Berlin _______________________________________________ DGPPN-Hauptgeschäftsstelle Berlin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Reinhardtstraße 14 10117 Berlin Tel.: 030/24047720 Fax: 030/240477229 E-Mail: [email protected] Internet: www.dgppn.de _______________________________________________ Hypovereinsbank München (BLZ 700202 70) Konto: 509 511 VR 26854B, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg 1 Während man früher davon ausging, dass frühe Persönlichkeitsstörungen eine sehr schlechte Prognose haben, gibt es heute viele therapeutische Ansätze, die Kindern und Jugendlichen wirksam helfen können. So hat sich z.B. gezeigt, dass die „dialektisch-behaviorale Therapie“ nach Linehan, die in der Gruppe und unter Einbeziehung der engsten Bezugsperson durchgeführt wird, eine Reduktion selbstverletzenden und suizidalen Verhaltens bei Jugendlichen bewirken kann. Leider scheuen sich noch zu viele Eltern und Jugendliche, Hilfe bei einem Kinder- und Jugendpsychiater zu holen. Hier spielt die Stigmatisierung psychischer Störungen immer noch eine bedeutsame Rolle. Der wichtigste Ansatz aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ist der der Prävention. Mütter dürfen mit ihren schwierigen Kindern nicht allein gelassen werden. So sind regelmäßige Besuche und Angebote durch professionelle Teams, wie sie an einigen Orten in Deutschland für alle jungen Familien angeboten werden, eine wichtige Unterstützung. Das Kind sollte nicht „erst in den Brunnen gefallen sein“, bevor Hilfe angeboten wird. Eine frühe Unterstützung kann auch dazu beitragen, die sich entwickelnde Beziehung zwischen Eltern und Kind zu verbessern. Präventive Maßnahmen sind auch bei antisozialen Verhaltensweisen im Kindesalter hilfreich. So weiß man z.B., dass Fördermaßnahmen, die schon im Kleinkindesalter einsetzen, besonders wirksam sind, und sich hierdurch sogar biologische Parameter, wie die Reaktionsfähigkeit auf emotionale Reize, verändern lassen (Raine et al. 2003). Hier sollten u. a. Elternprogramme angeboten werden, wo Mütter und Väter lernen, negatives Verhalten ihres Kindes regelmäßig zu beachten, hierauf konsistent zu reagieren, klare Regeln aufzustellen und Konflikte nicht eskalieren zu lassen. Wichtig sind auch definierte „Positivzeiten“, indem die Eltern die Ressourcen und freundlichen Seiten ihres Kindes bewusst wahrnehmen sollen. Auch eine Förderung in Musik und Gestaltung scheint hilfreich zu sein. Besonders effektiv sind Programme, die an mehreren Stellen angreifen, sog. multimodale oder Multisystem-Programme. Diese beziehen die Eltern, die Schule und Gleichaltrige ein, mit denen der Jugendliche zusammen ist. Mehrere Programme in den USA haben gezeigt, dass diese Maßnahmen weniger Geld kosten als in einer nicht betreuten Vergleichsgruppe durch Gefängnisstrafen und Arbeitslosenunterstützung verbraucht wurde (s. z. B. Farrington und Welsh 2004). Aus meiner Sicht wäre auch in Deutschland das Geld sinnvoller in Präventivmaßnahmen investiert als in die Verlängerung der Höchststrafe nach Jugendstrafrecht. Ein Umdenken der Politik wäre dringend angezeigt: je früher Hilfsmaßnahmen einsetzen, umso mehr profitieren Individuum und Gesellschaft. Kontakt: Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Universitätsklinikum Aachen RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Tel.: 0241-8088737 Fax: 0241-8082544 E-Mail: [email protected] 2