Trauriges Leben Rapperswil: Die «brave Bühnen gastierte am Samstag in der Alten Fabrik Eine karge Bühne in Rot und Schwarz, vier Stühle als Requisiten und vier in schweren grauen, jedoch vielfältig beknöpften und wandelbaren Kostümen agierende und tanzende, Schauspielerinnen vermochten am vergangenen Samstag in der Alten Fabrik das Publikum in einen gespenstischen Bann zu ziehen. Das Theaterstück «Das Kammermädchen" machte betroffen. GAB I KUNZ Mit dem Theaterstück «Das Kammermädchen», das auf dem Roman von Octave I Mirabeaus «Das Tagebuch eines Kammermädchens» basiert, zog die «brave Bühne» am vergangenen Samstag in der Alten Fabrik alle Register und das Publikum mit einer atemberaubenden Performance in ihren Bann. Dabei zeigte sich das Ensemble entgegen ihres Namens alles andere als brav, sondern vielmehr mutig - analog zur Bedeutung in der englischen Sprache (brave) - und überaus experimentierfreudig. Bewegte Kammermädchen Die Bühne mit ihrem roten Boden und den schwarzen Wänden, ausgestattet mit vier Stühlen und bisweilen beleuchtet von vier geisterhaft flackernden Kerzen in hohen Ständern, wirkte nüchtern und beengend zugleich. Sie ermöglichte es jedoch den vier Protagonistinnen in strengen grauen Kleidern, die eigentümliche Nüchternheit mit ihren manchmal abrupt-eckigen, manchmal harmonisch-verschlungenen, aber immer atemberaubenden, anmutigen, zuweilen sogar akrobatischen Tanzbewegungen zu durchschneiden und mit ihrer eindrücklichen Präsenz zu beseelen. Dabei wirkten die tänzerischen Einschübe mit doch eher aussergewöhnlichen Requisiten wie rauhen Putzbürsten oder gestärkten Bettlaken, choreographisch betreut von Eve Bhend und Ruth Gründenfelder, keineswegs als Fremdkörper in der 10- sen Szenenfolge, sondern verstärkten vielmehr die starke Wirkung der kaleidoskopartigen Szenenwechsel. Mit ihren beeindruckenden künstlerischen Leistungen untennalten Sarah Albisser, Renata Cristellon, Sabina Deutsch und Corinne Täche zudem gekonnt den einsamen Kampf der zur Jahrhundertwende sozial sehr schlecht gestellten Kammermädchen gegen sexuelle Übergriffe, ökonomische Ausnutzung und Abhängigkeit. Sexuelle Ausbeutung und' Abhängigkeit Die Geschichte des Kammermädchens Celestine, die abwechselnd durch 'die vier Darstellerinnen in ihren wandelbaren Kostümen dargestellt wurde, war alles andere als fröhlich. Durch das einfühlsame Erzählen und Kommentieren ihres Lebens gelang es der vierfaltigen Celestine, das Publikum in einer Mischung aus Betroffenheit und Ungläubigkeit in das Frankreich der Jahrhundertwende zurückzuführen, ohne die Zuschauer jedoch zum simplen Voyeurismus zu verleiten. Dem Regisseur Taki Papaconstantinou ist es offensichtlich gelungen, mit verblüffenden Bildern, schnellen Rollenwechseln und Tanzeinlagen eine vielseitige und komplexe Situation einzufangen, ohne die historischen Realitäten des Autors, der offensicht lich durch den nüchternen Naturalismus am Ende des 19. Jahrhunderts geprägt worden ist, zu entfremden. Die gut einstündige Performance gipfelte denn auch nicht im Happy-End, sondern in einer nicht genauer umschriebenen, jedoch offensichtlich blutigen Tragödie, die sich schliesslich am 12.Januar 1901in Cherbourg abspielte. Ein Happy-End gab es jedoch für das Ensemble der «braven Bühne». Das Publikum war begeistert und zeigte sich von der Experimentierfreudigkeit des Theaters Katerland beeindruckt. 18 STADT «Das Kammennädchen» WINTERTHUR in deutscher Erstaufführung im Theater am Gleis Abgründe der bürgerlichen Moral Hinter dem Namen «Brave Bühne» versteckt sich das für seine Kinderund Jugendproduktionen bekannte «Theater Katerland». Jetzt will das Theater auch Stücke für Erwachsene auf die Bühne bringen. Unter der Regie von Taki Papaconstantinou spielten und tanzten vier Frauen das tragisch-komische Theaterstück «Das Kammermädchen» basierend auf einem Roman von Octave Mirabeau. Das Premierenpublikum war begeistert vom Stück und seiner Umsetzung. Die Bühne war perfekt arrangiert: Ein roter Fussboden, vier braune Stühle, vier Frauen in der gleichen grauen Unifonn. Sie sitzen auf dem Boden und scheuern. Aus dem Off wird ein Tagebuch-Text vorgelesen. Wir schreiben das Jahr 1898. Das KammennädchenCelestine Pauchard tritt eine neue Stelle an, irgendwo im hintersten Zipfel der Normandie. Plötzlich fangen die Frauen auf der Bühne an zu sprechen. Madame wird Celestine Marie nennen. Alle ihre Mädchen hiessen Marie, so ist es ihr lieber. Madame ist von kleinlichem Charakter und nicht sehr freundlich zu Celestine. Monsieur ist da ganz anders. Wie gut ihr Parfum duftet ... Wie all ihre bisherigen Dienstherren will Monsieur Celestine zum «Na, Sie wissen schon» überreden. Er passe schon auf, dass sie kein Kind bekommt. Und wie bisher ahnt die Gattin' von der sexuellen Begierde ihres Mannes. Doppelmoral ist in besseren Kreisen an der Tagesordnung. Fussfetischist Skurril die Erfahrungen, die so ein Kammermädchen macht. Da war ein uralter buckliger Dienstherr, der sich nur für Celestines Füsse interessierte. Mit einem ihrer StiefeIchen zwischen den Zähnen ist er schliesslich gestorben. In einem anderen Haushalt musste sie sich dem Sohn des Hauses zur Verfügung stellen. Die Mutter wollte es so. Celestine reflektiert diese unschönen Erinnerungen mit erstaunlicher Klarsicht und Heiterkeit. Aber sogar Kammermädchen haben ein Privatleben. Zwischen Celestine und Josef, dem angesehenen Diener des Hauses, spinnt sich eine zarte Beziehung an. Doch auch er will sie nicht um ihrer selbst willen heiraten. Sie soll mit ihm zusammen eine Hafenkneipe in Cherbourg eröffnen. Er braucht eine, die sich nicht davor fürchtet, «angetatscht» zu werden. Renata Cristellon, Sarah Albisser, Sabina Deutsch und Corinne Tilche sind abwechselnd Herr, Herrin oder Mädchen. Sie tanzen und spielen sich kaleidoskopartig durch Celestines Leben (Choreographie Eve Bhend und Ruth Grünenfelder). Zwischen den gespielten Szenen wird die Monotonie der Hausarbeit getanzt: Schuhe putzen, Laken falten, Wäsche waschen und immer wieder Fussböden schrubben. Geniale Kostüme Bisweilen erinnert das Zusammenspiel von maschinenartiger Musik und Arbeit als Tanz an Charlie Chaplins «Modern Times». Besonders eindrucksvoll ist Sarah Albisser. Was die anderen im Dialog ausdrücken, setzt sie in Bewegung um. Die Kostüme von Regula Marthaler sind genial: Durch zwei, drei Handgriffe lassen sich die grauen Flanellkleider mit weissen Schürzen verwandeln. Unter dem Rock kommen die Hosen von Monsieur zum Vorschein. Ist die Schürze weg, steht Madame auf der Bühne, . Eva Kirchheim Weitere Vorstellungen: Sa, 5. Dezember, 20.15 Uhr. Theater am Gleis. 10., 12. und 13. Dezember. 20.30 Uhr, Rote Fabrik, Zürich. , - '" ~tA.ft( Grotesk getanztes Tagebuch «Das Kammermädchen» nach Octave Mirbeau in Winterthur Im Theater am Gleis in Winterthur zeigt die BraveBühne als' deutschsprachige Erstaufführung eine ei-. genwillig gelungene Bühnenversion des französischen Romans, «Tagebuch einer Kammerzofe» von Octave Mirbeau. Hinter dem E~semble mit dem etwas aus~ gefallenen Namen BraveBühne steckt das seit 1989, bestehende . Theater Katerland, das bisher vor allem rur Kinder und Ju~ gendliche gespielt hat und' sich·nun auch 'ausserhalb des «Familientheaters •• einem erwachsenen Publikum zuwenden will. Mit dem Stück «Das Kammermädchen ••nach OctaveMirbeau (1850-1917), in der Bühnenfassung voh Jo Roets und GreetVissers, hat es auf ein satirisches Sittengemälde zurückgegriffen, das die Ab-, gründe der scheinheiligen Doppelmoral der französischen Spätbourgeoisie zur Zeit des Fin de siede kritisch aufzeigt. Von allen ausgenützt Es geht um die Erlebnisse der jungen Pariser Kammerzofe Celestine, die sie in ihrem Tagebuch festhält. Sie hat in vielen vornehmen Häusern in Paris wie auch in der Provinz gedient und dabei die typischen Erfahrungen gesammelt: Sie wurde von der jeweiligen Dame des Hauses herablassend behandelt, während ihr Monsieur heimlich nachstellte oder sie von Madame gar dazu angehalten wurde, dem Sohn des Hauses Liebes'dienste zu erweisen, um ihn vor schlimmeren Abwegen zu bewahren. Doch Celestine ist mit ihrem· starken Naturell keine Heilige und auch keine ,Kostverächterin: Sie tut ohne grosse Skrupel, was man von ihr verlangt, und hat 'nebenher ihre. Liaisons mit Kutschern und Hausdienern, von denen sie auch'einen heiratet, um mit ihm eine eigene Kneipe zu ruhren, in der sie, wie sie sehr wohl weiss, wiederum eine recht zweifelhafte Funktion wird übernehmen .müssen. Originell gelungen In der Inszenierung des Regisseurs Taki Papaconstantinou und der Choreographinnen Eve Bhend und Ruth Grünenfelder ist eine eigenwillige, originell ge- lungene Aufführung entstanden, ein mit M-.f- (L D~(LüNvEI7.. 4...tt...~ ~ viel Tanz bewegtes Theaterstück für vier Frauen (Renata Cristellon, Sarah Albisser,' , Sabina Deutsch, Corinne rache). Die vier jungen Akteurinnen" alle identisch in ',einfache, raffiniert variable Kostüme (Regula, Marthaler) gekleidet, verkörpern nicht nur abwechselnd oder auch gleichzeitig Celestine in mehrfaehr Ausführung, sondern schlüpfen auch in die Rollen von' Madame, Monsieur und weiterer Personen. Dabei werden die kurzen, pantomimisch untermalten Dialogszenen immer wieder von witzig expressiven, grotesk übersteigerten Schrubb- oder Schuhputztänzen abgelöst, in denen die Absurdität der den Kammermädchen aufgezwungenen Abhängigkeiten' drastisch zum Ausdruck kommt - während dadurch die psychologischen Motivationen der einzelnen Perso'nenweitgehend ausgeklammert bleiben und diese, wenn auch auf höchst vergnügliche Weise, auf, stereotype Rollenklischees reduziert werden. Sonja Augustin Weitere Aufführungen am 4. und 5. Dezember in Winterthur sowie am 10., 12. und 13. Dezember in der Roten Fabrik in Zürich. ILLNAU-EFFRETIKON: -DAS KAMMERMÄDCHEN» Beklemmendes Spiel rund um die Macht .Je • '-?'C7 7 Das Städtische Kulturforum IIInau-Effretikon ist mit einer bemerkenswerten Aufführung der IIBravenBühne)) in die Wintersaison gestartet. IIDas Kammermädchen)) zeigt bewegt und bewegend - die Machtspiele einer Zweiklassengesellschaft mit Herrschenden und Dienenden . • Unter von GERTRUD HUG dem Dach der auf Kinder und Jugend zugeschnittenen Wint~rth urer Theatergruppe _Katerland » hat sich ein neues Ensemble für Erwachsenentheater etabliert, Die «BraveBühne», die so brav gar nicht ist, hat in ihrer ersten Einstudierung ein Thema des Fin de Siede aufgegriffen, welches auch nach 100 Jahren noch aktuell ist. Das Stück basiert auf dem Tagebuch-Roman von Octave Mirbeau und einer Bühnenfassung der Belgier Jo Roets und Gret Vissers, Auf spartanisch ausgestatteter Bühne, nur mit vier Stühlen und Beleuchtungseffekten arbeitend, hinterlässst «Das Kammermädchen» einen nachhaltigen Eindruck. Die Frau als Opfer Unter der Regie von Taki Papaconstantinou zeichnen die vier Darstellerinnen ein betroffen machendes Bild über die Abhängigkeit der Dienstmädchen, wie sie die Kammerzofe Celestine Pauchard in ihren Erinnerungen niedergeschrieben hat. Dokumentiert von der Erzählerin Sandra Moser im Off, werden die Erfahrungen in Herrschaftshäusern der französischen Provinz mit ihrer Doppelmoral dargestellt, denen Dienstmädchen als unterstes Glied der Gesellschaft ausgesetzt sind: die Erniedrigung durch Madame, die Nachstellungen der Männer, aber auch ein aufkeimender Widerstand der Unterdrückten gegen die Versklavung. Perfide Doppelmoral Da ist Madame, die alle ihre Kammerzofen der Einfachheit halber Marie nennt und ihnen damit auch eine eigene Identität nimmt. Sie hat auch nichts gegen ein Verhältnis des Mädchens mit Monsieur, wenn es nur ohne Folgen bleibt. Und den Sohn des Hauses soll Celestine/Marie in die Liebe einführen. Da ist aber auch die Erinnerung an jenen vergreisten Dienstherrn: den widerlichen Schuhfetischisten, der ihr die Füsse küsst. Luft schaffen sich die Mädchen, wenn sie in Wort und Gestik die Herrschaften persiflieren, die vermeintlichen Besitzansprüche aufs Korn nehmen und ihre Ausschweifungen kommentieren ein erstes Aufkeimen der Rebellion gegen die Herrschenden, denen sie aber bis zum bitteren Ende ausgeliefert sind. Spannende Kombination Resultat der Einstudierung ist eine spannende Mischung aus modernem Bewegungstheater und dem klassischen Rollenspiel. Die vier Akteurinnen, identisch in die graue Uniform'der Dienen- Bild: Suzanne Papaconstanbnou Ausgeliefert bis zum bitteren Ende: Zofe. den gekleidet, verkörpern einzeln, abwechselnd oder alle zusammen Celestine. Die genial konzipierten Kostüme lassen sich zudem mit wenigen Handgriffen verändern und erlauben den Darstellerinnen, in andere Rollen zu schlüpfen. Die Schauspielerinnen Renata Cristellon, Sabina Deutsch, Corinne Täche und speziell die ausgebildete Tänzerin Sarah Albisser überzeugen in ihren Sprechrollen ebenso wie in den Tanzszenen, die Eve Bhend und Ruth Grünenfelder mitreissend choreografiert haben. Auf den Knien Böden schrubbend, beim Falten der Wäsche oder beim Stiefelputzen wird hier Sauberkeit wahrhaft zelebriert. Eine urkomische Darbietung, doch die Heiterkeit beim Publikum ist nur von kurzer Dauer. Zu beklemmend sind die Zustände, die es in abgewandelter Form leider noch heute gibt. Das beweisen auch die zahlreichen, in Zusammenarbeit mit betroffenen Institutionen organisierten Aufführungen für Schulklassen als Diskussionsgrundlage zur Auseinandersetzung mit dem Thema sexueller Missbrauch. Die nächste öffentliche Aufführung ist am Mitt· woch. 24. November in Zürich im Tanzhaus Wasserwerk. Beginn 20 Uhr. · : · ··..·..· · ··..··..· ·: ··..··fi,i·:·z:·C\l\· ..· ··~~.~&):W~ ..z Loyalität bis zum Beischlaf Dienstmädchen' mussten früher mehr als nar reinigen" Kaum eine Figur verdeutlicht die Unterdrückung der Frau so treffend wie das Kammer- oder Dienstmädchen. Das Theater Katerland aus Winterthur brachte diese Thematik mit dem Stück «Das Kammermädchen» auf die Bühne der Alten Fabrik in Rapperswil. • VON MARTIN MÜHLEGG Auch hundert Jahre nach der Revolution gab es in Frankreicheine Zweiklassengesellschaft. Die reichen bürgerlichen Familien bekämpften Langeweile gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch jmmer mit Treibjagden, Fressgelagen und sexuellen Exzessen. Dazu benötigten die ausschweifend lebenden Madames und Messieurs Bedienstete, von denen sie die totale Hingabe verlangten. Für die weiblichen Angestellten end,ete diese Hingabe nicht beim Schrubben von Holzböden und Glätten von Leinentüchern. Meist wurden von ihnen auch Liebesdienste erwartet - sei es, um dem gelangweilten Monsieur ein paar nette Stunden zu bescheren oder um die Herrensöhne in die Kunst der Liebe einzuführen. Welt voller Skrupellosigkeit und Doppelmoral vier Celestine, einmal mimt eine Schauspielerin Madame, Monsieur, Sohn Xavier oder Diener Joser. Literarische Grundlage des Stücks «Das Kammermädchen» ist der gleich- Nicht nur ein Spielball namige Roman von Octave Mirbeau. Er des Schicksals erzählt aus männlich-sarkastischer Sicht die Geschichte von Celestine PauHerausgekommen ist eine intereschard, die Ende 1898 eine Stelle in der sante und abwechslungsreiche MiNormandie antritt. Es ist' eine Welt schung aus modernem Bewevoller Skrupellosigkeit und Doppelmo- gungstheater 'und klassischem Rollenrai, die sie bei ihren neuen Arbeitgespiel. Im Gegensatz zur literarischen bern im hintersten Winkel der, Nor- Vorlage Mirbeaus und zum Theatermandie antrifTt. Die kalte und berechstück der Belgier Jo Roets und Greet nende Madame nennt ihr neues, Kam- Vissers verzichtet die Inszenierung mermädchen Marie, weil dieser Name weitgehend auf den sarkastischen einfacher und schneller auszuspr~- , Unterton. Die Frau ist nicht mehr ein chen ist als Celestine. Madame weiss Opfer aus eigener Schuld oder ein von den Streifzügen ihres Mannes (an- Spielball des Schicksals, sondern ein charakterstarkes Wesen, das geblich geht er auf die' Jagd) durch durchaus mit dem Leben und seinen fremde Schlafzimmer. Sie weiss auch, dass Monsieur Celestine mehr als nur Reizen umzugehen weiss und den begehrt und 'hat nichts gegen die Liä- Herrschaften auch einmal Paroli bieten kann. son, solange er ihr kein Kind macht. Ob sich Celestine von den noblen Und sie lässt ihren schlampigen Sohn Xavier sogar von Celestine in die Liebe Herrschaften befreien kann, lässt das Stück offen. Jedenfalls kommt es nach einführen. gut zwei Jahren zu einem RaubüberDie Inszenierung von Taki Papaconstantinou erzählt die Geschichte mit fall, der alles auf den Kopf stellt. Ob Sequenzen aus dem Tagebuch Celesti- Celestine nun Selbstmord begeht, ins 'nes, die aus dem Off gesprochen wer- 'Kloster übertritt, die Herrschaften umden. Die vier Darstellerinnen Renata bringt oder als Prostituierte 'in einer Cristellon, Sarah, Albisser, Sabina Seemannskneipe anheuert, kann sich Deutsch und Corinne Tache wechseln jeder Zuschauer selber zusammenreisich in den Rollen ab. Einmal sind alle men. Spannende Mischung aus modernem Bewegungstheater und klassischem Rollenspiel: Theater Katerland in Rapperswil. Bild Mattin Miihlegg . k\~c{Gt,~-, 2~tCt~~ KleintheatermitgrosserThematik arugg Die vier Frauen der «braven Bühne)) im Palais Odeon 2 '3 .,,10.~ ~ am Schluss: Hat sich eigentlich in Eindiesem bewegtes Stück und Frage Jahrhundert in eine der Bezie- . hung zwischen jenen, die Arbeit geben und jenen (Frauen), die Arbeit nehmen viel geändert? Natürlich ist viel anders geworden! Und doch! Wer vom Wohlwollen einer Herrschaft aus verschiedensten Gründen abhängig· ist, der ist unter Umständen auch heute noch ausgeliefert Immer nur lächeln trotz zunehmendem Arbeitsdruck, Klagen wegen «sexueller Belästigung am Arbeitsplatz» -' und da geht es meist um Mann gegen Frau - sowie, oljne Unterschied des Geschlechtes, das sogenannte «mobbing» sind, nicht Taten oder Begriffe allein von vorgestern. Vorgestern allerdings, oder genauer gesagt in der Zeit der letzten Jahrhundertwende, spielt «Das Kammermädchen» von Jo Roets und Greet Vissers. Die Geschichte der Bediensteten Celestine.Pauchard, die Ende der 90er Jahre des 19.Jahrhunderts in Frankreich wie viele andere Töchter vom Land in gutbürgerlichen oder gar adeligen Familien den Lebensunterhalt verdienen musste. Die szenischen Folgen, die Renata Cristellon, Sarah Albisser, Sabine Deutsch und Corinne Tache mit vollem Einsatz auch auf die etwas zu kleine Odeon-Bühne brachten, erzählen von dieser WeItDer gestrigen, als Marie (so nennt Madame alle ihre Kammermädchen) in eine Welt geboren wurde, in der das Dienen ihr vorbestimmt war, der späteren, als sie eben dienen musste. Taki Papaconstantinou,. Konzept/Regie/Licht, hat bei dieser deutschsprachigen Erstaufführung und Umsetzung des Schicksals der Celestine Pauchard alle Talente der jUl)gen Schauspielerinnen Kammermädchen - über die Herrschaften kann man sich auch mokieren. ausgenützt, um bewegt und bewegend deren Schicksal ins Rampenlicht zu bringen. Alle vier sind, abwechselnd oder gemeinsam, in ihren grauen Kleidern mit den weissen Schürzchen eben das Kammermädchen, alle vier verwandeln sich durch einige Handgriffe am Gewand in die hochnäsige, an ihrem Dasein leidende und entsprechend die Bediensteten schikanierende Madame, in den forschen Monsieur, der zwar in verschlüsselten Bemerkungen, aber doch einc;leutig seine. sexuellen Wünscl)e an das Mädchen kundtut, in den degenerierten Sohn oder in den Kutscher/Gärtner Joseph. «Eine Welt voller Skrupellosigkeit und Doppelmoral», erwähnt der Beschrieb des Stücks, aber «auch eine Welt, in der es Stärke und Raffinesse braucht, um zu überleben.» Mit knapper Zeitinformation, mit Lichteffekten und Musik, mit tänzerischen Bewegungsabläufen, mit pointierten, kurzen Texten, mit Gestik und Mimik der Interpretinnen ist "dem Ensemble der «brav.en Bühne» gelungen, diese Geschichte eindringlich zu gestalten. Dass das Publikum mitleiden kann, aber ebenso das Mitlachenteilen darf, zeigte sich einmal mehr. Und schliesslich wird ja eine Art guten Endes (?) signalisiert: Celestine folgt dem Werben von Joseph, zieht mit ihm fort, und die bei den führen ein kleines Bistro, weit weg von der Vergangenheit. Ob. diese sie nicht bei ihrem Zusammenleben eines ferneren Tages doch noch einholt - darüber wäre wohl ein nächstes Stück zu schreiben. (fr) FOTO: FR