Die Reflexion der Seligkeit. Der Psalmenkommentar des Paracelsus Inauguraldissertation zur Erlangung der Würde eines Doktors der Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Young Jae Choi aus Daegu Angenommen aufgrund der Gutachten von Prof. Dr. Ute Gause und Prof. Dr. Katharina Greschat Tag der mündlichen Prüfung: 3. 2. 2012 Dekan: Prof. Dr. Peter Wick Erklärung Ich versichere, dass ich die eingereichte Dissertation selbstständig und ohne unzulässige fremde Hilfe verfasst und andere als die in ihr angegebene Literatur nicht benutzt habe und dass alle ganz oder annähernd übernommenen Stellen als solche kenntlich gemacht sind; anßerdem versichere ich, dass die vorgelegte Abhandlung in dieser oder ähnlicher Form noch nicht anderweitig als nicht ausreichende Promotionsleistung abgelehnt wurde. Bochum, den 27. 10. 2011 Choi. Young Jae 2 I. Einleitung 6 II. Die Reflexion der Seligkeit. Der Psalmenkommentar des Paracelsus 21 1. Die Anthropologie des Paracelsus 21 1.1 Theologische Anthropologie im 16. Jahrhundert 21 1.2 Die Konstruktion des Menschen bei Paracelsus 27 1.2.1 Leib und Seele als Grund für die christliche Existenz anhand von Ps 118 (119) und Ps 143 (144) 29 1.2.1.1 Der Leib 29 1.2.1.2 Die Seele 32 1.2.1.3 Der Zwischenzustand 34 1.2.2 Zwei Limbi anhand von Ps 80 (81), Ps 90 (91), Ps 118 (119) und Ps 140 (141) 35 1.2.2.1 Definition des Begriffes »limbus« 35 1.2.2.2 Zwei Limbus-Arten 37 1.2.2.3 Der alte Leib und neue Leib 39 1.2.2.4 Die Beziehung von Taufe, Wiedergeburt und Abendmahl zum Limbus 43 1.2.2.5 Einschätzung des paracelsischen Begriffs »Limbus« 45 1.2.3. Das Verhältnis von Leib und Seele: Die geistleibliche Ganzheit anhand von Ps 102 (103), Ps 118 (119) und Ps 143 (144) 46 Der Geist anhand von Ps 118 (119) und 143 (144) 49 1.2.4.1 »Geist« als Oberprinzip der leibseelischen Ganzheit 50 1.2.4.2 »Geist« als Erscheinung der Verstorbenen 51 1.2.4.3 »Geist« als Wirkkraft 52 1.2.4.4 Der Geist des Lebens 53 1.2.4.5 Der Geist als der Atem der Seele 53 1.2.4.6 Der Geist als Vernunft 54 1.2.4.7 Die zentrale Aufgabe des Menschen 54 1.2.4 1.2.5 Der Verstand, die Vernunft oder die Weisheit anhandvon Ps 93 (94) und Ps 146 (147a) 55 1.2.5.1 Der viehische Verstand 55 1.2.5.2 Das Licht der Natur 57 1.2.5.3 Der wahre Verstand 60 3 1.2.6 Das Herz anhand von Ps 118 (119) 61 1.2.7 Der unfreie Wille anhand von Ps 148 63 1.2.8 Die Gottebenbildlichkeit anhand von Ps 144 (145) 67 1.2.9 Zusammenfassung 70 2. Die Existenz und die Erlösung des Menschen 74 2.1 Die Sünde, der Tod und die Existenz des Menschen 74 2.1.1 Die Sünde des Menschen anhand von Ps 78 (79), Ps 87 (88), Ps 103 (104), Ps 108 (109), Ps 113a (114), Ps 113b (115), Ps 115 (116), Ps 118 (119) und Ps 144 (145) 74 2.1.1.1 Die Sündenerkenntnis 74 2.1.1.2 Das Sündenverständnis aus der »Erfahrenheit« 77 2.1.1.3 Die Sündhaftigkeit des Menschen 81 2.1.1.4 Das Wesen der Sünde 82 2.1.2 Der Tod als die Trennung von Gott und von anderen anhand von Ps 87 (88) 86 Die menschliche Existenz: Elend und Trübsal anhand von Ps 101 (102) und Ps 108 (109) 90 2.2 Die Erlösung des Menschen 92 2.2.1 Die Erlösung des Menschen anhand von Ps 85 (86), Ps 87 (88), Ps 137 (138) und Ps 146 (147a) 92 Die Erlösung durch den Glauben anhand von Ps 86 (87) und Ps 115 (116b) 96 Die Gnade Gottes und die Bereitschaft des Menschen anhand von Ps 80 (81), Ps 84 (85) und Ps 108 (109) 99 2.1.3 2.2.2 2.2.3 2.2.4 Die Erlösung durch Christus allein anhand von Ps 88 (89), Ps 108 (109), Ps 128 (129), Ps 138 (139) und Ps 144 (145) 102 »Die ersten Christen« anhand von Ps 116 (117), Ps 125 (126), Ps 127 (128) und Ps 129 (130) 105 2.2.6 Die Heilsgewissheit anhand von Ps 145 (146) 108 2.3 Zusammenfassung 110 3. Das Leben des Gläubigen 116 3.1. Die Buße anhand von Ps 77 (78), Ps 84 (85), Ps 114 (116a), Ps 108 (109), Ps 118 (119), Ps 129 (130) und Ps 138 (139) 116 3.2 Die Taufe 123 3.2.1 Die Bedeutung der Taufe anhand von Ps 86 (87), Ps 102 (103), Ps 115 (116b) und Ps 144 (145) 123 2.2.5 4 3.2.2 Die Kindertaufe anhand von Ps 118 (119) 126 3.2.3 Die Taufe des Heiligen Geistes anhand von Ps 115 (116b) und 118 (119) 130 3.2.4 Die Taufe als eine Wurzel des christlichen Lebens anhand von Ps 148 132 3.3 Das Abendmahl 134 3.3.1 Die reale Gegenwart Christi beim Abendmahl anhand von Ps 110 (111) 134 Das „gedechtnus gotes“ und das Abendmahl anhand von Ps 109 (110) und Ps 110 (111) 136 „Eußerlich“ und „Innerlich“ anhand von Ps 77 (78), Ps 78 (79), Ps 109 (110) und Ps 140 (141) 139 Der Limbus Christi als Material eines neuen Geschöpfes anhand von Ps 79 (80), Ps 80 (81) und Ps 140 (141) 142 Die Speisung des Leibes und Blutes Christi beim Abendmahl anhand von Ps 79 (80), Ps 80 (81) und Ps 144 (145) 144 Das Abendmahl und der neue Bund anhand von Ps 104 (105), Ps 105 (106) und Ps 106 (107) 146 Die Beständigkeit, die Verführung und der Kampf gegen die Verführung 147 Die Beständigkeit anhand von Ps 77 (78), Ps 118 (119), Ps 137 (138), Ps 138 (139) 147 Der Mensch unter der Verführung anhand von Ps 90(91), Ps 117 (118), Ps 118 (119), Ps 143 (144), Ps 144 (145) und Ps 146 (147) 149 Die Überwindung der Verführung anhand von Ps 88 (89), Ps 90 (91), Ps 117 (118), Ps 118 (119), Ps 139 (140), Ps 143 (144) und Ps 144 (145) 154 3.4.5 Zusammenfassung 159 4. Das Gott-Mensch-Verhältnis 167 4.1 Die Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch 167 4.1.1 Die Unmittelbarkeit des Gott-Mensch-Verhältnisses anhand von Ps 79 (80), Ps 87 (88), Ps 98 (99), Ps 115 (116b) und Ps 118 (119) 167 Die Erleuchtung durch Gott anhand von Ps 75 (76), Ps 78 (79), Ps 80 (81), Ps 103 (104), Ps 106 (107), Ps 114 (116a), Ps 126 (127), Ps 130 (131) und Ps 146 (147a) 169 Das Herz des Menschen als die Kirche Gottes anhand von zu Ps 78 (79), Ps 90 (91), Ps 108 (109) und Ps 123 (124) 172 Die Gelübde 174 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 4.1.2 4.1.3 4.2 5 4.2.1 Gründe für eine Auseinandersetzung mit den Gelübden anhand von Ps 75 (76) 174 Die Bedeutung der Gelübde anhand von Ps 75 (76), Ps 117 (118), Ps 138 (132) und Ps 143 (144) 176 Die gerechten und die ungerechten Gelübde anhand von Ps 75 (76) und Ps 138 (139) 179 4.2.4 Die Tugend der Gelübde anhand von Ps 75 (76) und Ps 115 (116b) 180 4.2.5 Das Amt und die Gelübde anhand von Ps 75 (76), Ps 117 (118), Ps 138 (139) und Ps 143 (144) 183 4.2.6 Die Bedeutung der Gelübde bei Luther und Paracelsus 185 4.3 Mission und unmittelbare Gottesbeziehung 187 4.3.1 Die Grundhaltung des Paracelsus gegenüber den Heiden anhand von Ps 85 (86), Ps 103 (104), Ps 105 (106) und Ps 113b (115) 187 Zwei Anstöße zur Mission anhand von Ps 103 (104) und Ps 104 (105) 189 Das Abendmahl als Ausgangspunkt der Mission anhand von Ps 78 (79), Ps 99 (100), Ps 100 (101) und Ps 104 (105) 190 Apostolat und Mission anhand von Ps 95 (96), Ps 98 (99), Ps 99 (100), Ps 100 (101), Ps 108 (109) und Ps 116 (117) 191 4.3.5 Die Missionsmethode anhand von Ps 104 (105) 193 4.3.6 Mission und Gegenwart Gottes anhand von Ps 82 (83), Ps 95 (96), Ps 114 (116a) und Ps 129 (130) 194 4.4. Zusammenfassung 196 III. Schluss 201 4.2.2 4.2.3 4.3.2 4.3.3 4.3.4 Literaturverzeichnis 207 Abkürzungsverzeichnis 216 6 I. Einleitung Das 16. Jahrhundert war geprägt von großen Umwälzungen, eine Zeit, die im Nachhinein als Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit charakterisiert wird. Umwandlungen ereigneten sich auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens: im sozialen, politischen, wirtschaftlichen Bereich, aber auch was Weltwahrnehmung und Religion betrifft. Zentrale Stichworte sind hier Renaissance und Reformation. Beide brachten große Veränderungen des Menschenbildes mit sich, insbesondere in Bezug auf die Individualisierung. Man reflektierte intensiv über die menschliche Subjektivität, und es entstanden ein säkulares Selbstverhältnis und eine philosophische Anthropologie, die sich von theologischen Vorgaben emanzipierte. In dieser Zeit lebte Paracelsus. Paracelsus war Arzt, Naturphilosoph und Laientheologe. Obwohl seine Forschungsgebiete verschieden waren, wurden sie durch einen gemeinsamen Blickwinkel zusammengehalten: Der Mensch war für ihn das zentrale Thema seiner Forschung. In seinen naturphilosophischen Schriften untersuchte Paracelsus den Menschen in seinem Verhältnis als Mikrokosmos und der Welt als dem Makrokomos. Paracelsus betrachtete als Naturphilosoph den Menschen als die kleine Welt, weil er aus dem Grundstoff der Welt geschaffen worden sei und sich so das Wesen der Welt in ihm verdichtete. Die Abstammung vom Makrokosmos mache den Menschen zu einer kleinen Welt für sich. Die eigenartige Verbundenheit des Menschen mit dem Makrokosmos bestand für Paracelsus nicht nur in dieser einmaligen Abstammung von der Erde, sondern auch fortdauernd in den ganzen Lebensvorgängen der Geburt, des Wachstums und des Todes. Darum sah Paracelsus in naturphilosophischer Hinsicht den Menschen in der Mitte der Welt stehen1 und als Zentrum aller Dinge und aller Kreaturen.2 Als Arzt dachte und forschte Paracelsus für seinen Beruf. Darum bewegten ihn die Fragen, was der Mensch ist und was die Fundamente der ärztlichen Kunst seien. Paracelsus verstand Gott als den Arzt des Makrokosmos und hier stach seine Identität als 1 2 Vgl. Paracelsus, Astronomia Magna (1537/38), in: PW 1/XII. München und Berlin 1929, S. 1–444, hier S. 258. Vgl. ders., S. 164; Paracelsus, Erklärung der ganzen Astronomie, in: PW 1/XII. München und Berlin 1929, S. 447–477, hier S. 454. 7 Diener der Medizin heraus. Paracelsus sah diesen Dienst nur als mikrokosmisches Abbild des makrokosmischen Handelns Gottes.3 Obwohl seine medizinisch-naturphilosophischen Schriften relativ häufig veröffentlicht und bereits von vielen Forschern untersucht wurden, wurden seine theologischen Schriften bisher nicht ausreichend veröffentlicht und nur ungenügend erforscht. Daher ist es zu begrüßen, dass seit zwei Jahren eine Neue Paracelsus-Edition in der Enstehung ist, deren erster herausgegebener Band die theologischen Abhandlungen enthält. Paracelsus hinterließ ein umfangreiches Werk. Ein Drittel davon ist theologisch. Schon seit 1520 begann er sich mit theologischen Themen zu beschäftigen. Seit Mitte der 1520er Jahre verfasste er seine theologischen Traktate über die Mariologie, die Trinität und einen Matthäuskommentar. In seiner zweiten theologischen Schaffensperiode (ca. 1530–1537) schrieb er den Psalmenkommentar und seine Abendmahlschriften sowie die Abhandlungen des praktischen christlichen Lebens. In den frühen 1530er Jahren, in der der Psalmenkommentar geschrieben wurde, zeigte er Sympathien für die Schweizer Reformation, insbesondere für die Theologie Zwinglis und Bucers. Jedoch wendete er sich bald von den Zwinglianern ab und distanzierte sich auch von der Taufbewegung, mit der er früher Kontakt aufgenommen hatte und einige Gemeinsamkeiten bei theologischen und sozialethischen Themen hatte. Die vorliegende Untersuchung hat sich als Aufgabe gestellt, die theologische Anthropologie und das Gott-Mensch-Verhältnis im Psalmenkommentar des Paracelsus darzustellen. Der erste Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der anthropologischen Grundlagen im Psalmenkommentar. Damit werden die wichtigen theologischen Themen des Paracelsus in Hinblick auf das ganze menschliche Leben behandelt und mit anderen Auffassungen in der Reformationszeit verglichen. Durch den Vergleich mit anderen Reformatoren werden Übereinstimmungen und Differenzen aufgezeigt. Dies erleichtert es, die Einflüsse oder die Unterschiede von anderen Reformatoren deutlich zu machen. Danach 3 wird das Gott-Mensch-Verhältnis beschrieben, weil Paracelsus im Vgl. Paracelsus, Von Ursprung und Herkommen der Franzosen Sampt der Rezepten Heilung 8 Bücher, in: PW 1/VII. München 1923, S. 183–366, hier S. 272–273. 8 Psalmenkommentar den Menschen immer unter seiner Beziehung zu Gott verstehen will und für ihn wahres Menschsein nur in dieser Beziehung möglich ist. Im Bereich des Gott-Mensch-Verhältnisses werden drei Themen, die Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch, Gelübde und Mission, die im Psalmenkommentar stark betont werden, berücksichtigt. Dabei wird besonders das spiritualistische Element der paracelsischen Theologie diskutiert, da fast alle Forscher Paracelsus als Spiritualist bezeichnen. 4 Mclaughlin definiert den Spiritualismus als „eine theologische Haltung, die eine unmittelbare Beziehung zu Gott durch den Geist in den Vordergrund stellt und eine äußere, dingliche Vermittlung etwa durch Sakramente, die Bibel oder das geistliche Amt abwertet oder ausschließt.“5 Diese Definition besteht aus zwei wichtigen Punkten: die unmittelbare Gottesbeziehung durch den Heiligen Geist und die Ablehnung oder Abwertung äußerlicher Vermittlungsinstanzen. In der Arbeit wird die Frage behandelt, ob diese beiden Punkte für Paracelsus im Psalmenkommentar zutreffen. 4 5 Fast ordnet ihn mit Agrippa von Nettesheim den Spiritualisten zu, die Elemente der römischen Kirche und der Reformation verarbeiteten und die naturphilosophischen Elemente des Mittelalters, der Renaissance, der römischen Kirche und der Reformation zu eigenen Systemen weiterverarbeiteten: Heinold Fast, Einleitung, in: Heinold Fast (Hg.), Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier (Klassiker des Protestantismus Bd. 4). Bremen 1962, S. 9–35, hier S. 12–17. Obwohl Benrath zugibt, dass Paracelsus insgesamt nicht vom Spiritualismus motiviert wurde, betont er, dass es bei ihm wichtige spiritualistische Elemente gibt: Die unmittelbare Gottesbeziehung des Gläubigen unter der Verweigerung der unbiblischen kultischen Heilsvermittlung, die Notwendigkeit der freien Ausbreitung der Glaubensüberzeugung unter Ablehung der äußerlichen kirchlichen Autorität und die rigorose Forderung der Nachfolge Christi als eine vollkommene christliche Lebensführung mit dem Verzicht auf menschliche Erleichterungen: Gustav Adolf Benrath, Sechster Teil. Die Lehre außerhalb der Konfessionskirchen, in: Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen– und Theologiegeschichte, Bd. 2. Göttingen 1988, S. 560–664, hier S. 581– 585. Hauschild unterscheidet innerhalb des spiritualistischen Lagers zwischen den eine nonkonformistische Gemeindeerneuerung erstrebenden Spiritualisten (Andreas Karlstadt und Melchior Hoffmann) und den nach einem individualistischen Geistchristentum strebenden Spiritualisten (Kaspar von Schwenckfeld, Sebastian Frank und Paracelsus): Wolf–Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen– und Dogmengeschichte, Bd. 2. Gütersloh 20053, S. 80–83. Auch Lienhard ordnet Paracelsus mitsamt Hans Denck, Sebastian Franck, Kaspar von Schwenckfeld und Hans Hut den spiritualistischen Strömungen zu: Marc Lienhard, Vierter Teil. Die Reformation, Drittes Kapitel Die Vielfalt der Reformation, III. Die radikalisierte Reformation, in: Marc Venard, u.a. (Hg.), Die Geschichte des Christentums, Bd. 7: Von der Reform zur Reformation (1450–1530). Freiburg, Basel, Wien 1994, S. 809–831, hier S. 828–829. Gantenbein, der der Herausgeber der Neuen Paracelsus–Edition ist, bezeichnet Paracelsus nicht als einen eigentlichen Spiritualisten, aber er betont den spiritualistischen Charakter paracelsischer Auffassungen: Urs Leo Gantenbein, II. Einleitung, a. Grundzüge der paracelsischen Theologie, in: Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim), Theologische Werke 1: Vita Beata – Vom seligen Leben, (Neue Paracelsus–Edition, Bd. 1, hg. v. Urs Leo Gantenbein). Berlin, New York 2008, S. 5–36, hier S. 9–10. Robert Emmet Mclaughlin, Art. Spiritualismus, in: TRE, Bd. 31 (2000), S. 701–708, hier S. 701. 9 Bereits 1926 untersuchte Heinrich Bornkamm in seinem Buch „Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum“ die paracelsische Theologie in Bezug auf den Spiritualismus. Dort argumentiert er, dass Paracelsus „ohne die Hintergründe von Luthers Theologie“ ein frommer Idealist gewesen sei, der von einer reinen sittlichen Frömmigkeit ohne eigentliche Züge der Mystik erfüllt gewesen sei. 6 In seinem Aufsatz „Äußerer und innerer Mensch bei Paracelsus und den Spritualisten“ von 1932 verglich er die Anthropologie Luthers mit der des Paracelsus.7 Dabei sprach Bornkamm von der Form eines „höheren Naturalismus“ in der paracelsischen Anthropologie, indem er darauf hinwies, dass für Paracelsus die Innerlichkeit die hinter dem Menschen verborgene höhere Natur bedeute – der ewige geistleibliche Mensch. Diese Einschätzung Bornkamms beruht auf den naturphilosophischen Schriften des Paracelsus. Bodo Sartorius Freiherr von Waltershausen verfasste 1936 das Buch „Paracelsus am Eingang der deutschen Bildungsgeschichte“, in dem er die religiösen Reflexionen des Paracelsus als mystisch-spiritualistisch kennzeichnete.8 Für ihn schien die paracelsische Anthoropologie zwischen Dualismus und Trichotomie zu schwanken. Er behauptete, dass Paracelsus den Menschen als compositio humana verstehe, die im himmlischen Leib vollkommen werde. 9 Demnach gehöre die Leiblichkeit in der paracelsischen Anthropologie zum Wesen des Menschen. Außerdem erklärte er sich die unlogischen und widersprüchlichen Entwürfe in den paracelsischen Schriften als einen Versuch des Paracelsus, zwei verschiedene Wahrheiten, die der herkömmlichen christlichen Lehre und die der naturwissenschaftlichen Entdeckungen, zu kombinieren.10 Michael Bunners behandelte 1961 in seiner Dissertation „Die Abendmahlschriften und das medizinisch-naturphilosophische Werk des Paracelsus“ anthoropologische Themen mitsamt anderen Themen (Zeit, Natur, Arznei und Erkenntnis, Christologie und 6 Heinrich Bornkamm, Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum, (Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen, Folge 44). Gießen 1926, S. 8. 7 Ders., Äußerer und innerer Mensch bei Paracelsus und den Spritualisten, in: Imago Dei. Beträge zur theologischen Anthropologie, Festschrift für Gerhard Krüger. Gießen 1932, S. 85–109, hier S. 101–104. 8 Vgl. Bode Sartorius Freiherr von Waltershausen, Paracelsus am Eingang der deutschen Bildungsgeschichte. Leipzig 1936, S. 14–28. 9 Ders., S. 49. 10 Ders., S. 3. 10 Eschatologie).11 Diese Arbeit überzeugt vor allem durch ihre ausführliche Darstellung des Verhältnisses zwischen neuem Leib und Sakramenten. Bunners zeigte dabei die Vielfalt der Gesichtspunkte im Werk des Paracelsus auf. Auch ging er kurz auf das Verhältnis von Paracelsus und Luther in Bezug auf das Abendmahlverständnis ein. Dieser Teil ist jedoch m.E. wenig überzeugend wie noch zu sehen sein wird. Kurt Goldammer, der Herausgeber der erste Edition der theologischen Schriften des Paracelsus, hat sich seit den 1940er Jahren mit der Theologie und Naturphilosophie des Paracelsus intensiv beschäftigt. 1967 versuchte er bereits in seinem Aufsatz »Das Menschenbild des Paracelsus zwischen theologischer Tradition, Mythologie und Naturwissenschaft«, 12 das komplexe Menschenbild des Paracelsus zu analysieren. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass Paracelsus den Menschen als ein Kompositum sowohl in dessen Abkunft als auch in dessen Aufbau und in dessen Persönlichkeit verstehe.13 Er wies darauf hin, dass Paracelsus in theologischer Tradition die Übernatur als das Ziel des Menschen betrachte und darum den Menschen als ein Schlachtfeld eines Kampfes zwischen Gott und dem Teufel ansehe.14 Ernst Wilhelm Kämmerer behauptete in „Das Leib-Seele-Problem bei Paracelsus und einigen Autoren des 17. Jahrhunderts“ von 1971, dass der Schwerpunkt der paracelsischen Anthropologie in der Überzeugung von einer Ganzheit von Leib und Seele läge, obwohl sowohl Trichotomie als auch Dualismus in den paracelsischen Schriften zu finden sind.15 Er behauptete, dass die geistleibliche Einheit für Paracelsus die Einheit des Menschen bedeute. Diese Einheit betrachtete Kämmerer als einen Ausdruck der totalen Verantwortung des Menschen.16 Dabei zeigte er zum Teil die kirchengeschichtliche Bedeutung der paracelsischen Anthropologie auf. 11 12 13 14 15 16 Michael Bunners, Die Abendmahlschriften und das medizinisch–naturphilosophische Werk des Paracelsus [Diss. theol. masch.]. Berlin 1961. Kurt Goldammer, Das Menschenbild des Paracelsus zwischen theologischer Tradition, Mythologie und Naturwissenschaft, in: Robert Mülher und Johann Fischl (Hg.), Gestalt und Wirklichkeit. Festgabe für Ferdinand Weinhandl. Berlin 1967, S. 375–395, [wieder abgedruckt in: ders., Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze, Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24 (1986), S. 209– 228]. Vgl. ders., S. 209. Vgl. ders., S. 212–213. Ernst Wilhelm Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem bei Paracelsus und einigen Autoren des 17. Jahrhunderts, (Kosmosophie, Bd. 3, hg. v. Kurt Goldammer). Wiesbaden 1971, S. 10–47. Vgl. ders., S. 28. 11 Gustav Adolf Benrath behandelte 1980 im „Handbuch zur Dogmen- und Theologiegeschichte“ die paracelsische Theologie, wobei er sich hauptsächlich auf den Psalmenkommentar stützte. der einige wichtige 17 Dabei betrachtete er Paracelsus zwar als einen Theologen, Gemeinsamkeiten mit den Spritualisten außerhalb der Konfessionskirchen teilte, dennoch sah Benrath in dessen Sakramentenlehre einen prinzipiellen Unterschied zu den Spiritualisten und den Täufern. An einigen Punkten könne die paracelsische Sakramentenlehre mit der Schwenckfelds verglichen werden und sei sogar mit der katholischen und der lutherischen Sakramentenlehre zu vereinbaren.18 Darum sah er Paracelsus als selbständigen Theologen, der eine eigene „aus der Heiligen Schrift geschöpften [sic!], die kirchliche Tradition betont ablehnende, zugleich biblizistisch-gesetzliche, spiritualisierende und materialisierende Lehre in vielen Punkten“19 besaß, als einen Reformator eigener Prägung. Hartmut Rudolph verglich 1981 Paracelsus mit Luther in seinem Aufsatz »Einige Gesichtspunkte zum Thema „Paracelsus und Luther“«. Dabei wies er darauf hin, dass beide den neuen Menschen im Sinne eschatologischer Neuschöpfung gesehen hätten und der neue Mensch für beide eine neue Wirklichkeit gewesen sei.20 Aber nach Rudolph gab es auch Unterschiede: Paracelsus habe aufgrund der Betonung der Materialität des neuen Menschen in seiner Ganzheit die Welt als eine Ganzheit gesehen. Dagegen habe Luther aufgrund seines auf das Personal-Relationale beschränkten Aspekts der Rechtfertigungslehre deutlich eine Trennung des diesseitigen, irdischen vom jenseitigen, himmlischen Leben vorgenommen und eine Zuordnung des Menschen zu den zwei Reichen. 1994 wies Rudolph dann in seinem Aufsatz „Viehischer und himmlischer Leib: Zur Bedeutung von 1. Korinther 15 für die Zwei-Leiber-Spekultaion des Paracelsus“21 darauf hin, dass die paulinische Argumentation für die Auferstehung der Christen in 1. Kor 15 die Quelle der paracelsischen Zwei-Leiber-Spekulation und seines spezifischen Menschenbildes sein könnte. In „Hohenheim´s Anthropology in the Light of his 17 18 19 20 21 Benrath, Die Lehre, S. 581–585. Vgl. ders., S. 582. Ders., S. 583. Hartmut Rudolph, Einige Gesichtspunkte zum Thema „Paracelsus und Luther“, in: ARG 72 (1981), S. 34–53, [wieder abgedruckt in: Von Paracelsus zu Goethe und Wilhelm von Humboldt. Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 22 (1981), S. 9–26], hier S. 51. Ders., Viehischer und himmlischer Leib: Zur Bedeutung von 1. Korinther 15 für die Zwei-LeiberSpekulation des Paracelsus, in: Carleton Germanic Papers 22 (1994), S. 106–120, hier S. 106–107. 12 Writings on the Eucharist“ von 1998 beleuchtete Rudolph den historischen Hintergrund der paracelsischen Schriften über das Abendmahl in den 1530er Jahren sowie seine Neigung zum zwinglianischen Abendmahlverständnis. Er stellte dort die grundlegende Eigenart des paracelsischen Abendmahlsverständnisses unter Berücksichtigung seines Verhältnisses zur Naturphilosophie dar. Dabei versuchte er, die Abendmahlschriften des Paracelsus in dessen Gesamtwerk einzuordnen und dessen Beziehung zur Renaissancephilosophie zu erklären. Ute Gause widmete sich 1993 in ihrer Dissertation „Paracelsus (1493–1541). Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie“ sowohl dessen Anthropologie in den naturphilosophischen Schriften als auch dessen Soteriologie, insbesondere unter den Aspekten Gottesverhältnis, reformatorische Kritik und Bibelauslegung. Dabei wies sie auf die Entwicklung der paracelsischen Anthroplogie von einer Trichotomie zu einem Dualismus hin.22 In ihrer Dissertation arbeitete sie die Unterscheidung des Paracelsus zwischen der leiblichen Existenz, die als veräußerlichte unchristliche Lebensweise auf die Befriedigung der Begierden des Leibs aus ist, und der seelischen Existenz, die als die innerliche Existenz im Glauben und der Liebe von der Sünde befreit ist und sich um die Heiligung bemüht, heraus. 23 Gause wies darauf hin, dass Paracelsus von der Verantwortlichkeit des Christen für sein Heil spräche, die für ihn auf einer Individualisierung des Glaubens und einer Existenzialisierung mittels Spiritualisierung gründe.24 Marc Lienhard stellte 1994 Paracelsus als Arzt, Bibelleser und Theologe vor, den er den spiritualistischen Strömungen in der Reformation zuordnete. 25 Trotz wichtiger Gemeinsamkeiten des Paracelsus mit den Spiritualisten tat sich auch Lienhard wie Benrath schwer, Paracelsus einfach den Spiritualisten zuzuordnen, eben weil Paracelsus die biblische Offenbarung mit seiner Naturkenntnis verbindet und eine deutlicher unterscheidbare Sakramentslehre als die Spiritualisten hat, indem er bei der Taufe und dem Abendmahl „eine seinshafte reale Verbindung mit dem Leib des verherrlichten 22 23 24 25 Darauf wird in Kap. 1 näher einzugehen sein. Ute Gause, Paracelsus (1493–1541). Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie. (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe, Bd. 4, hg. v. Heiko A. Oberman). Tübingen 1993, S. 96–109. Ebd. Lienhard, Die radikalisierte Reformation, S. 828. 13 Christus“26 behauptet. Desweiteren ging Lienhard in seinem Aufsatz auf das Verhältnis zwischen dem neuen Leib und den Sakramenten, auf Taufe und Abendmahl ein. Die Psalmen hatten eine wichtige Bedeutung sowohl im Mittelalter und als auch in der Reformationszeit. Im Mittelalter benutzte man sehr oft die Psalmen als Erbauungsliteratur, die die Gläubigen bei ihrem frommen Leben unterstützten. Daher waren die Psalmen eines der beliebtesten Bücher in der Bibel. Etliche Reformatoren hielten Vorlesungen über die Psalmen oder schrieben Psalmenkommentare. 27 Auch Paracelsus schrieb einen solchen Kommentar. Dieser ist nicht nur sein umfangreichstes exegetisches Werk, sondern auch der umfangreichste Psalmenkommentar der Reformationszeit überhaupt. Darum ist sein Kommentar ein wichtiger Text, um die Auseinandersetzung eines theologischen Laien mit der reformatorischen Theologie kennenzulernen. Paracelsus selbst hat seinen Psalmenkommentar in der Vorrede zum zweiten Teil28 „zu Zimern, am zinstage vor Jacobi im 1530“29 datiert. Das Datum ist der 19. Juli 1530. Nach Goldammer soll der Ort „zu Zimern“ das Dorf Zimmern bei Weißburg sein. 30 Dieses Datum wird gestützt durch inhaltliche Erwähnungen.31 Das Jahr 1530 ist das Jahr, 26 27 28 29 30 31 Ders., S. 829. Luther las die erste Vorlesung über die Psalmen in Jahre 1513–1515 und die zweite in den Jahren 1518– 1521. Dazwischen veröffentlichte er seinen Kommentar der sieben Bußpsalmen als die erste deutsche Publikation. Auch übersetzte er die Psalmen 1524 ins Deutsche. Johannes Bugenhagen schrieb diesen Kommentar im gleichen Jahr. Diesen Psalmenkommentar übersetzte Martin Bucer mit Erlaubnis Bugenhagens 1526 in Straßburg ins Deutsche. Er wurde in mehreren Auflagen publiziert. 1529 schrieb Bucer dann auf Latein seinen eigenen Psalmenkommentar. Weder der Kommentar Bugenhagens noch der Kommentar Bucers beeinflussten Paracelsus bei seinem Psalmenkommentar: Vgl. Martin Brecht, Der Psalmenkommentar des Paracelsus und die Reformation, in: Dilg Peter und Hartmut Rudolph (Hg.), Neue Beiträge zur Paracelsus–Forschung. Stuttgart 1995, S. 71–88, hier S. 73. Wenn man voraussetzt, dass Paracelsus die ganzen Psalmen auslegt, dann ist dieser Teil der vierte Teil. Paracelsus, Eingang zum leser sein gruß, in: PW 2/V. Wiesbaden 1957, S. 125. Vgl. Kurt Goldammer, II. Einleitendes zum Psalmenkommentar, in: Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus: Sämtliche Werke, 2. Abteilung: Theologische und religionsphilosophische Schriften, Bd. 4: Auslegung des Psalters Davids Teil 1, Kommentar zu den Psalmen 75 (76) bis 102 (103), hg. v. Kurt Goldammer, Wiesbaden 1955, S. 28–53, hier S. 46. In seinem Psalmenkommentar gibt es keine direkte Erwähnung des Augsburger Reichstages und der »Confessio Augustana« vom 25.6.1530. Daraus kann man als Abfassungszeit die Zeit vor oder direkt nach dem Ausburger Reichstag ableiten, da das Ergebnis des Reichstages noch nicht verbreitet worden war. Aus der Rede vom „gemeinen ungelerten christen in alpen oder groben dorfern“ zu Psalm 85 (86), 9 lässt sich schließen, dass er zur Wanderzeit des Paracelsus abgefasst worden ist. Paracelsus selbst erklärt „aufrur, pundschuch“ in Psalm 105 (106), 31 als bereits gescheiterte Bewegungen. Daraus kann auf den bereits zurückliegenden Bauernkrieg geschlossen werden. Außerdem erwähnt er eine Kaiserkrönung in Psalm 137 (138), 4, was eine Anspielung auf die Kaiserkrönung Karl V. am 14 in dem die religiöse Spaltung zwischen den Altgläubigen und den Protestanten und zwischen einerseits Luther und seinen Anhängern und andererseits Zwingli und seinen Anhängern verfestigt wurde. Bei der Überlieferung des paracelsischen Psalmenkommentars entstand jedoch ein sehr schweres Problem. Obwohl dieser sein quantitativ umfangreichstes Werk ist, wurde er nur durch Handschriften des 16. und 17. Jahrhunderts überliefert. D.h., es gibt keine Autographen. Es entstanden viele verschiedene Abschriften, in denen die Abschreiber selbst ergänzten. Deswegen weiß man nicht, wieviel sie zum paracelsischen Text beitrugen, man kennt somit nicht den genauen Umfang seines Psalmenkommentars und weiß streng genommen auch nicht, ob der Text authentisch ist. Der bis jetzt einheitlich gebliebene Teil umfasst Ps 75 (76)–150. Paracelsus selbst teilt seinen Kommentar in einige Teile: „Auslegung des dritten teils des psalters Davids die erst distinctio durch Theophrastum von Hohenheim Doctorem.“ und „Auslegung Der psalmen des letzten vierteils nach brauch Davids des propheten und kunig in Israhel die erst distinctio.“ Während die heutigen Abschnitte der Psalmen aus fünf Teilen bestehen, 32 zerlegt er den Kommentar in vier Teile. Jedoch bleiben nur die dritten und vierten Teile seines Psalmenkommentars übrig. 33 Davon fallen einige Teile aus: Ps 104(105), 10 – 105(106), 13, Ps 119, 64, Ps 132(133), 2– 137(138), 1a. Paracelsus benutzt für seinen ganzen Kommentar nicht nur einen bestimmten Stil, sondern sein Stil schwankt zwischen Monologen und Dialogen: Er verwendet die katechismusartige Form des Frage-und-Antwort-Spiels, er hält Monologe mit 32 33 24.2.1530 sein könnte. Darum kann man m.E. dieser Selbstdatierung vertrauen: Vgl. Goldammer, Einleitendes zum Psalmenkommentar, S. 46–47. 1–41, 42–71 (72), 72 (73)–88 (89), 89 (90)–105 (106) und 106 (107)–150. Die heutigen Abschnitte der Psalmen sind die Psalmen 72 (73) bis 88 (89) als der dritte Teil, 89 (90) bis 105 (106) als der vierte Teil und 106 (107) bis 150 als der fünfte Teil. Im Vergleich dazu enthält der dritte Teil des Paracelsus die Psalmen 75 (76) bis 108 (109), und der vierte Teil die Psalmen 109 (110) bis 150. Für den dritten Teil hatte er noch eine weitere Unterteilung mit dem Wort „erst distinktio“ angekündigt, jedoch nicht durchgeführt. Im Vergleich dazu hat er den vierten Teil in vier Distinktionen zerlegt: „erst distinctio“, „annder distinctio“ und „die vierd distinctio“. Dabei fehlt die dritte Distinktion. Der Fachausdruck einer solchen Teilung („Teile“ und „distinctiones“) ist bei scholastisch–theologischen Werken eine gewöhnliche Bezeichnung. Aus welchem Grund Paracelsus diese Einteilung vorgenommen hat, ist aber noch unklar, obwohl Goldammer vermutet, dass diese Einteilung auf Grund der liturgischen Traditionen erfolgte, weil mit Psalm 109 (110) der Teil beginnt, der in der Abendliturgie verwendet wird: Goldammer, Einleitendes zum Psalmenkommentar, S. 48. 15 predigtartigem Charakter, manchmal führt er auch Selbstgespräche von eher meditativer Art. Alle diese Redeformen kommen in seinem Kommentar abwechselnd vor. Außerdem benutzt er oft Personalpronomen in der ersten und zweiten Pluralform. Auch der Imperativ in zweiter Pluralform wird öfter benutzt. Seine Themen entnimmt er den Bibelstellen, die gerade behandelt werden. Darum besteht sein Kommentar aus Traktaten mit vielen verschiedenen Themen. Die Themen, mit denen er sich befasst, umgreifen Gotteslehre, Christologie, Anthropologie, Ekklesiologie und Eschatologie. Besonders beschäftigt er sich mit sozial-ethischen Fragen und mit Kirchenkritik. Außerdem diskutiert er aktuelle reformatorische Ideen. Im Kommentar zu Ps 77 (78) kritisiert er sogar die Reformation. Paracelsus behandelt in seinem Kommentar fast alle dogmatischen Themen. Eine Reihe von Anlässen zur Verfassung des Psalmenkommentars können an dieser Stelle genannt werden. Ein Anlass für sein Schreiben sind die unmittelbaren Eindrücke der geschichtlichen Ereignisse, unter denen er stand. Seine Zeit war geprägt von einer apokalyptischen Stimmung, der Vorstellung eines endzeitlichen Kampfes zwischen Gott und seinem Widersacher. Das erweckte bei Paracelsus ein „apostolisches“ Sendungsbewusstsein.34 Paracelsus verstand seine Schriftauslegung als „unabdingbare Teilnahme in der kleinen Schar der „Auserwählten“ (Mt. 24,22), am „endzeitlichen Kampf um die Überwindung des Antichristen.“ 35 Die Beliebtheit des Psalters sowohl im Mittelalter als auch in der Reformationszeit gab dann den Ausschlag für die Verfassung seines Psalmenkommentars, nicht zuletzt, weil sich dort auch sein verändertes Schriftverständnis niederschlug. Paracelsus kannte durch seine theologischen Lehrer, z.B. Bischof Matthias Scheit von Seckau und Bischof Nikolaus Kaps von Hippo, die scholastische Bibelauslegung, den die spätmittelalterliche Frömmigkeitstheologie und den Humanismus. Er legte zunächst das Wort Gottes in enger Beziehung zu dieser Tradition aus, indem er bei der Auslegung literarisch und historisch vorging. Doch diese Vorgehensweise veränderte er allmählich zu einer allegorischen, mit dem Wirken des Heiligen Geistes begründeten Auslegung. Diese bezog er auch auf die 34 35 Vgl. Hartmut Rudolph, Schriftauslegung und Schriftverständnis bei Paracelsus, in: Dilg–Frank, Rosemarie (Hg.), Kreatur und Kosmos. New York 1981, S. 101–124, hier S. 111–113. Ders., S. 114. 16 Auslegung des Alten Testaments, da für ihn die heilsgeschichtliche Epoche, zu der er auch seine Zeit zählte, durch Christus angebrochen war. Auf Grund dieser Zeitdeutung schien es ihm viel wichtiger zu sein, dass man das Alte Testament auf die eigene Zeit anwenden könne, als nach mittelalterlichem vierfachen Schriftsinn auszulegen. Das Merkmal seiner Schriftsaulegung ist somit der bewusste Verzicht auf eine Rezeption oder eine Auseinandersetzung mit der Tradition der alten und mittelalterlichen Schriftsauslegung.36 Außerdem unterscheidet sich seine Schriftauslegung von der humanistischen Bibelexegese, weil er im Gegensatz zu den Humanisten keine Kenntnis der biblischen Sprachen und kein Interesse an der sprachlichen Kenntnis des Urtextes hatte. Er versucht nicht, bestimmte Verse durch Sprachkenntnis zu erklären, denn eine solche Fertigkeit ist für sein Vorgehen nicht von großer Bedeutung. Dagegen spielt der Glaube an eine Auslegung durch den Heiligen Geist eine wichtige Rolle. Seiner Meinung nach öffne sich der rechte Sinn der Schriften erst dem „christlichen Glauben“. Darum benötige man den Heiligen Geist, wenn man die Schriften richtig verstehen will. 37 Schultheologie ohne den Heiligen Geist sei nur ein Buchstabe.38 Die Gelehrten der römischen Kirche hätten ohnehin das Wort Gottes nach ihrem eigenen Willen falsch ausgelegt und führten dadurch die einfachen Leute in die Irre. Deshalb brauche man zum rechten Schriftverständnis keine theologische Wissenschaft an den Universitäten.39 Dies sei der Grund dafür, dass trotz dieser fehlenden Bildung ein Laie die Schriften richtig auslegen könne, sobald er die Erleuchtung Gottes erhält. Hier zeigt sich ein auf Biblizismus und auf Verbalinspiration beruhendes Schriftverständnis. In diesem Zusammenhang bevorzugt Paracelsus die Typologie als Mittel der Auslegung. Er könnte die Typologie und Präfiguration durch Bucer und Zwingli, die diese Technik oft benutzten, übernommen haben, weil er sich in Straßburg von 1526 bis März 1527 aufhielt. Durch diese Methode kommt er zu Neubewertungen des Alten Testaments. David und die Psalmisten versteht er als Propheten. Durch die Typologie 36 37 38 39 Vgl. ders., S. 106. Vgl. Paracelsus, Legend Davids durch doctorem Theophrasti, in: PW 2/V, S. 123; ders., Eingang zum leser sein gruß, in: PW 2/V, S. 124–125. Vgl. zu Ps 114 (116a), 3b–4a, PW 2/V, S. 201. Vgl. zu Ps 130 (131), 1b–3, S. 206–209. 17 gelingt ihm eine ständige Aktualisierung der Psalmen, denn sie ermöglicht ihm, Analysen über den Zustand seiner Zeit abzugeben. Oft werden einige Stellen in Hinblick auf die Zukunft, besonders das Reich Gottes oder das Jüngste Gericht, ausgelegt. Im Kommentar sind Vergangenheit, Heute und Zukunft zusammengeschmolzen. Häufig legt Paracelsus Verse durch das Neue Testament aus und definiert deren Bedeutung in Hinblick auf das Neue Testament. Dabei benutzt er die Rede Jesu, weil jeder Ausleger nach Paracelsus das Wort Gottes nicht durch seine eigene Vernunft, sondern durch die Heiligen Schriften auslegen soll. 40 Die Psalmisten sind für ihn deshalb Propheten im Sinne von Auslegern des Wortes Christi.41 Daraus folgt, dass die charismatischen und eschatologischen Züge des Urchristentums und dadurch die Betonung des auf der Bergpredigt beruhenden sittlichen Lebens in seinem Kommentar durchschillern. Außerdem besitzen bei seiner Auslegung Verse bestimmte Schlüsselwörter, die es ermöglichen, den Vers auszulegen. Das führt zu einer eigenwilligen Schriftauslegung in dem Sinne, dass ein Vers einen ganz anderen Sinn bekommt als den, der sich aus dem Kontext der Nachbarverse ergeben würde. Hierbei vermischen sich seine eigenen theologischen Vorkenntnisse und seine spezifischen theologischen Interessen. Paracelsus scheint bei seiner Auslegung manchmal von seinem Interesse her auszugehen und dann im Nachhinein zu versuchen, die betreffenden Passagen in seinem Sinne auszulegen. Seine Gedanken sind dabei nicht nur vom Neuen Testament inspiriert, sondern auch von der Armutsbewegung, der »Nachfolge Christi« Thomas a Kempis, von eschatologischen Vorstellungen und vom Antijudaismus seiner Zeit. Dadurch erklärt sich seine allegorisch-assoziative Überinterpretation scheinbar ohne einen Zusammenhang und Kontext.42 Interessant ist, dass er nicht auf zeitgenössische Auslegungen zurückgreift, obwohl die übrigen Ausleger in der Reformationszeit dies gerne taten.43 Stattdessen benutzt er, wie Brecht schon darauf hinwies, die Psalmenübersetzung Luthers von 1524 nur als ein 40 41 42 43 Vgl. zu Ps 80 (81), 2, PW 2/IV, S. 109; zu Ps 80 (81), 9/10, PW 2/IV, S. 113. Zu Ps 79 (80), 8, PW 2/IV, S. 100. Damit meint Paracelsus, dass Gott den Propheten das Wort Christi als eine Prophetie gegeben hat, bevor Christus mit den Menschen auf der Erde gesprochen hat. Vgl. zu Ps 75 (76), PW, 2/IV, S. 8; zu Ps 105 (106), 20–22, PW 2/V, S. 36; zu Ps 107(108), 6–7a, PW 2/V, S. 80–81; zu Ps 131 (132), 12b, PW 2/VI, S. 220. Vgl. Brecht, Der Psalmenkommentar, S.72–74. 18 Hilfsmittel,44 obwohl Paracelsus selbst behauptet, dass die Vulgata die eigentliche Bibel sei, an der er fest halten wolle.45 Es gibt drei Methoden, wie Paracelsus besagte Psalmenübersetzung Luthers anwendet: Erstens benutzt er gelegentlich Wörter, die er nicht problemlos aus der Vulgata übernehmen kann, aus der Übersetzung Luthers.46 Zweitens stellt er oft einen von Luther übersetzen Begriff seine eigene Übersetzung daneben, um seinen Gedankengang zu verdeutlichen.47 Paracelsus übersetzt z.B. Ps 107 (108), 10: „er wird Judam setzen zu einem kunig und lerer des volks.“48 Das Wort „lerer“ kann nicht aus der Vulgata übersetzt werden. In der Vulgata steht „Iuda rex meus“. Luther übersetzt in der Psalmenübersetzung 1524 den gleichen Vers mit „Juda ist meyn lerer“. Weil Luther aber diesen Übersetzungsfehler bemerkt hatte, korrigierte er ihn 1528 in „macht“ und schließlich in seiner Psalmenübersetzung von 1531 in „Juda ist mein Fürst“. Obwohl Paracelsus „rex“ richtig mit „kunig“ übersetzt, stellt er dennoch „lerer des volks“ neben seinen korrekten Begriff. Dadurch verdeutlicht er seine Interpretation des Verses. Diese 44 45 46 47 48 Diese Tatsache hat Goldammer vorsichtig angedeutet und Brecht hat sie deutlich ausgesprochen: Vgl. Brecht, Der Psalmenkommentar, S. 74–76, Kurt Goldammer, Einführung. Paracelsus als Sozialethiker und Sozialrevolutionär, in: Ders. (Hg.), Paracelsus. Sozialethische und sozialpolitische Schriften. Tübingen 1952, S. 1–102., hier S. 33. Paracelsus, Ad lectorem finis, in: PW 2/VII, S. 114–115, hier S. 114. Z.B. „onmechtig“ zu Ps zu 76 (77), 3b/4, PW 2/IV, S. 16; „kein wolgefallen haben“ zu Ps 76 (77), 8, PW 2/IV, S. 18; „Schwachheit“ zu Ps 76 (77), 11, PW 2/IV, S. 20; „in der heiligkeit“ zu Ps 76 (77), 14/15a, PW 2/IV, S. 22; „wurm“ zu Ps 77 (78), 45, PW 2/IV, S. 64; „angesicht deines gesalbten“ zu Ps 83 (84), 10, PW 2/IV, S. 143; „zugericht“ zu Ps 86 (87), 5, PW 2/IV, S. 168; „geschwetz“ zu Ps 89 (90), 9a, PW 2/IV, S 218; „mue und arbeit“ zu 89 (90), 10b, PW 2/IV, S. 219; „diemutigen“ zu Ps 93 (94), 5, PW 2/IV, S. 257; „der herr bewahr die einfeltigen,“ „und ich ward geringert,“ „half er mir“ zu Ps 114 (116a), 6, PW 2/V, S. 206–207; „mein seel, ker dich wieder“ zu Ps 114 (116a), 7, PW 2/V, S. 208; „aber im namen des herren will ich sie zerhauen“ zu Ps 117 (118), 10, PW 2/V, S. 237; „lügen“ zu Ps 118 (119), 163, PW 2/VI, S. 131, usw. Z.B. Luther: „am runden“, Paracelsus: „in ‚rota dei’, das ist in seim gericht sitzen, das nach der runde umbget“ zu Ps 76 (77), 18b/19a, PW 2/IV, S. 25; Luther: „waren nicht rechtschaffen ynn seinem bunde“, Paracelsus: „so seindt wir rechtschaffen in der zeugnus und bund gottes.“ zu Ps 77 (78), 37, PW 2/IV, S. 57; Luther: „Eyn wind“, Paracelsus: „ein fligend geist und wind“ zu Ps 77 (78), 39, PW 2/IV, S. 59; Luther: „Wie leiblich sind deyne wonunge, herr Zebaoth.“ Paracelsus: „wie auserwelt und wie lieblich seindt, herr der tugen, du sabaoth, dein tabernacul“ zu Ps 83 (84), 2, PW 2/IV, S. 138; Luther: „durch das iamertal gehen“, Paracelsus: „durch das jammertal [...] durch alle trehen und weinen [...] das tal der trehen“ zu Ps 83 (84), 6/7, PW 2/IV, S. 148; Luthers: „Vnd gib vns deyn heyl“, Paracelsus: „gib uns dein heil und dein hilf“ zu Ps 84 (85), 8, PW 2/IV, S. 148; Luther: „Juda ist meyn lerer“, Paracleus: „er wird Judam setzen zu einem kunig und lerer des volks“ zu Ps 107 (108), 10, PW 2/V, S. 83; Luther: “Stricke des todes hatten mich umbfangen“, Paracelsus: „die strick des tods, [...] und ‚schmerzen des tods’“ zu Ps 114(116a), 3a, PW 2/V, S. 199; Luther: „Unterweyse mich so lebe ich“, Paracelsus: „’darumb so gib mir den verstand’ und underweis mich, ‚so leb ich’“ zu Ps 118 (119), 144, PW 2/VI, S. 117; Luther: „SIhe meyn elend und errette mich“, Paracelsus: „sich, herr, mein ellend, mein diemut, darum hilf mir“ zu Ps 118 (119), 153, PW 2/VI, S. 124, usw. Zu Ps 107 (108), 10, PW 2/V, S. 83. 19 Methode war im Mittelalter üblich. Immer wenn Paracelsus seine Auslegung mit dem Wort, das er aus der Vulgata übersetzt, nicht verdeutlichen kann, nimmt er das Wort aus der Übersetzung Luthers und stellt es neben seinem aus der Vulgata übersetzten Wort. Auf diese Weise spielt die Übersetzung Luthers in Paracelsus´ Psalmenkommentar eine ergänzende Rolle. Drittens führt Paracelsus sehr selten seine Auslegung mittels der Übersetzung Luthers weiter. 49 Bei der Auslegung zu Ps 114 (116a), 6 z.B. schreibt Paracelsus: „do gibt David zu verstohn, wie der reich mann, der in der hellen saß, der lecket auch wie die durstigen schaf und hett geren trunken.“50 Im Gegensatz dazu steht in der Vulgata „Montes, exultastis sicut arietes? et colles, sicut agni ovium?“ und in der Übersetzung Luthers „Ihr berge das ihr ‚lecketet’ wie die widder? Ihr hugel wie sie iungen schaff?“ Im Mittelhochdeutsch hat das Wort »lecken« zwei Bedeutungen: »hüpfen« und »benetzen«. Obwohl Paracelsus sicher weiß, dass das lateinische Wort „exultastis“ »springen« bedeutet, benutzt er in seinem Kommentar das Wort „lecken“ im Sinne von »benetzen«. Paracelsus denkt hier assoziativ in dem Sinne weiter, dass er sich vorstellt, dass, wenn ein Widder springt oder hüpft, er Durst bekommt. Davon ausgehend führt er seinen eigentlichen Gedanken weiter: Die Reichen als die Ungerechten werden durch Gottes Gericht verurteilt werden, weil sie Wucher treiben, Zinsen erheben und ungerechten Reichtum aufhäufen. Darum sollen sie von ihrem ungerechten Thron gestürzt werden und müssen dann eilig vor Gott fliehen. Diese Vorstellung von der Flucht bringt er im Kommentar zu Ps 114 mit dem Bild von den hüpfenden Bergen zusammen: Wie die Berge durch das Hüpfen Durst bekommen und dann ihre Lippen benetzen wollen, werden die verurteilten Reichen starken Durst bekommen. Paracelsus bezieht diese Vorstellung, die nichts mit dem Kontext des Psalmes gemein hat und sich auch nicht aus dem lateinischen Text ergibt, darüber hinaus auf die Geschichte vom reichen Mann in Lk 16, 24, der in der Hölle sitzt und Abraham 49 50 Z.B. steht in der Vulgata „Montes, exultastis sicut arietes? et colles, sicut agni ovium?” In der Übersetzung Luthers 1524 steht: „Ihr berge das ihr lecketet wie die widder? Ihr hugel wie sie iungen schaff?“ Daraus interpretiert Paracelsus „do gibt David zu verstohn, wie der reich mann, der in der hellen saß, der lecket auch wie die durstigen schaf und hett geren trunken“: zu Ps 113a (114), 6, PW 2/V, S. 180. Aus der Übersetzung Luthers „teglich rede ich davon [= über das Gesetz Gottes]“ interpretiert Paracelsus „beten“ im Sinne von „ein red gegen got“: zu Ps 118 (119), 97, PW 2/VI, S. 79. Dagegen steht in der Vulgata „tota die meditatio mea est“. Zu Ps 113a (114), 6, PW 2/V, S. 180. 20 wegen seines großen Durstes bittet, dass der arme Lazarus seine Lippen mit Wasser benetze. Insgesamt kann man sagen, dass die Psalmenübersetzung Luthers von 1524 keinen großen Einfluss auf den Psalmenkommentar des Paracelsus hat, weil Paracelsus meistens nur einzelne Worte aus der Übersetzung Luthers übernommen und wenn, sehr oft seinen eigenen Begriff daneben gestellt hatte, um seine Meinung noch zu bestärken. All diese Methoden des Paracelsus machen es manchmal sehr schwer, seinen Kommentar zu verstehen. Darüber hinaus kommt die Uneinheitlichkeit seiner Aussagen, was ja bereits Goldammer angemerkt hatte, hinzu. Seine Gedankengänge einheitlich und konsequent sowohl aus seinem Gesamtwerk als auch in einer einzelnen Schrift wiederzugeben ist daher eine sehr mühsame Arbeit. 51 Das gilt auch für den Psalmenkommentar. Auch hier wechselt Paracelsus in seinen Aussagen und sie erscheinen deshalb hin und wieder unlogisch, sogar widersprüchlich. Darum habe ich in dieser Arbeit bestimmte Passagen im Psalmenkommentar als zentrale Texte ausgewählt und mich auf diese Quellen besonders konzentriert. Aufgrund dieser Problematiken habe ich die Untersuchung des Psalmenkommentars folgendermaßen aufgeteilt: Ein erster Teil befasst sich mit der Anthropologie des Paracelsus: Aus welchen Grundlagen besteht der Mensch im Psalmenkommentar? Im zweiten Teil geht es um die theologische Diskussion des Paracelsus über Sünde, Tod und Erlösung und wie er sich dabei in Bezug auf reformatorisches Gedankengut positioniert. Der dritte Teil behandelt die Bedeutung und die Auswirkung des christlichen Lebens (Buße, Taufe und Abendmahl) im Leben des Menschen. Der letzte Teil beschäftigt sich mit dem Verhältnis des Menschen zu Gott und welche Funktion diese Beziehung für den Menschen hat. Jeder Abschnitt wird mit einer Zusammenfassung abgeschlossen. Bei der Untersuchung der verschiedenen Themen konzentriere ich mich auf die Frage des Paracelsus nach der »Seligkeit«. Im Psalmenkommentar verwendet er oft das Wort »die ewige Seligkeit«. Er beschreibt den Menschen als ein Wesen, das vom irdischen Leben zur Ewigkeit gelangen soll. Diese Thematik zieht zwei für die Arbeit zentrale Fragen nach sich: Was versteht Paracelsus unter der »ewigen Seligkeit«? Wie verhält 51 Goldammer, Der Beitrag des Paracelsus, S. 230. 21 sich Paracelsus dabei in Bezug zur Reformation? Auf diese Fragestellung hin wird der Psalmenkommentar des Paracelsus untersucht. II. Die Reflexion der Seligkeit. Der Psalmenkommen tar des Paracelsus 1. Die Anthropologie des Paracelsus 1.1 Theologische Anthropologie im 16. Jahrhundert Vor dem Hintergrund großer sozialer, ökonomischer und politischer Veränderungen im 16. Jahrhundert und in der Auseinandersetzung mit den bestehenden Autoritäten suchen Renaissance, Humanismus und Reformation nach neuen anthoropologischen Modellen. Auf dem Boden der traditionellen aristotelischen Lehre vom Menschen52 werden die anthropologischen Motive der platonischen und stoischen Philosophie erneuert. Dieses neue Selbstverständnis des Menschen entlang der sich verändernden äußeren Lebensverhältnisse entwickelt sich sehr heterogen und in unterschiedlichem Maße. Trotzdem können einige übereinstimmende Merkmale bei dieser Entwicklung festgestellt werden: Der Beginn der Individualisierung, die Verstärkung der Reflexion über die menschliche Subjektivität und die Entstehung eines säkularen Selbstverhältnisses und einer philosophischen Anthropologie, die von theologischen Vorgaben unabhängig ist. Indem man die christliche »imago Dei« neu interpretiert, entdeckt sich in der Renaissance der Mensch als Schöpfer der gedanklichen Dinge und der künstlerischen Formen. Diese Auffassung beruht zwar auf der traditionellen Bestimmung des Menschen als unsterbliche Seele und Geist (anima, mens), neu ist aber, dass dabei nicht mehr die Frage nach dem Wesen der Seele im Mittelpunkt steht, sondern deren wirksame Eigenschaften. Man entdeckt, dass die Seele ihren Körper nach Belieben gebrauchen 52 Obwohl die Definition des Menschen als »animal rationale«, vernünftiges Lebewesen, die aus der Antike stammt und deren Inhalt auf Aristoteles zurückgeht, von mehreren christlichen Autoren im Mittelalter kritisiert wurde, ist sie sehr weit verbreitet und anerkannt. Sie wurde später zu einem Hauptproblem der mittelalterlichen Anthropologie: das Verhältnis von Seele und Leib wurde immer wieder thematisiert. Der Mensch als »animal politicum« wurde durch die Neuentdeckung der aristotelischen Moralphilosophie im 13. Jahrhundert zum zentralen Gegenstand der anthropologischen Forschung: Vgl. Christoph Flüeler und Ruedi Imbach, Art. Mensch VI, in: TRE, Bd. 22 (1992), S. 501–509, hier S. 504–506. 22 und die als niedriger bestimmte Natur durch Technik und Kunst verbessert und dienstbar gemacht werden kann.53 Erasmus von Rotterdam schwankt dabei zwischen einem dichotomischen und einem trichotomischen Menschenbild. Ähnlich wie Pico della Mirandola54 ist er der Meinung, dass der Mensch dem Leib nach zwar dem Tier unterlegen ist, aber nach der Seele mit Gott eins werden kann. Nach Erasmus hat aber die Sünde die Eintracht der beiden menschlichen Naturen gebrochen. Ziel ist deshalb, diese wiederherzustellen, indem die Vernunft die Herrschaft über die Leidenschaften erwirbt. Erasmus setzt die biblische Unterscheidung des äußeren und des inneren Menschen mit der philosophischen Unterscheidung von Vernunft und Leidenschaften gleich. Er unterscheidet die Seele als neutrales Element vom Geist, der nach dem Himmlischen strebt, und dem Fleisch, das dem Angenehmen folgt und sündigt. Aus der biblischen Trichotomie von Leib, Seele und Geist folgert er die Freiheit des Willens im Sinne der möglichen Herrschaft der Vernunft über die Affekte.55 In der Reformation entwickelt sich auf dem Boden einer traditionellen Anthropologie eine neue Auffassung vom Menschen durch die Frage, wie das persönliche Gottesverhältnis des Menschen bestimmt werden könne. Auf Grund der Frage nach dem Selbstverhältnis des Menschen wird das Gewissen betont. In der Propagierung der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade wird der Heilsungewissheit des Menschen trotz frommer Werke begegnet und dadurch die bisherige Leistungsfrömmigkeit abgelehnt. Stattdessen wird die Freiheit des Gewissens betont, das Luther als den inwendigen geistlichen Menschen bezeichnet,56 und das »Priestertum aller Gläubigen« aufgrund der Taufe. Diese beiden Aspekte beruhen auf einer reformatorischen radikalen Selbst- und Gotteserfahrung. Das Interesse an neuen anthropologischen Konzepten war bei den Reformatoren zuerst nicht theoretischer Natur, sondern aus der seelsorgerlichen 53 54 55 56 Walter Sparn, Art. Mensch VII, in: TRE, Bd. 22 (1992), S. 510–529, hier S. 512. Pico della Mirandola versteht den Menschen als Wunder und meint, dass die Natur den Menschen nicht festlegt, sondern der Mensch seine Natur durch seine Tat selbst bestimmen muss. Darum kann er als weder himmlisches noch irdisches Wesen ins Tierische fallen oder sich zum Göttlichen erheben: Reinhold Rieger, Art. Mensch, VI. Kirchengeschichtlich, 1. Alte Kirche bis Reformation, in: RGG4, Bd. 5 (2002), 1063. Sparn, Mensch VII, S. 512. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520, in: WA, Bd. 7. Weimar 1897, S. 12–38, hier S. 21. 23 Praxis erwachsen. Ihre Auffassungen orientierten sich an dem Begriff der »imago Dei« und betonen die „exzentrische“, „responsorische“ und „eschatologische“ Existenz des Menschen.57 Im Unterschied zur Scholastik versteht Luther den Menschen im personalen oder relationalen Verhältnis. Er unterscheidet zwischen philosophischen und theologischen Aspekten je nach der entsprechenden menschlichen Situation: Der Mensch steht in Verhältnis zur Welt »coram mundo«, und zu Gott »coram Deo«. Unter dem philosophischen Aspekt ist für Luther der Mensch ein Wesen, das mit seiner Vernunft zwischen Tier und Engel steht und die anderen Geschöpfe und seine eigene Gesellschaft beherrscht.58 Damit soll der Mensch als Verwalter seine Verantwortung in der Welt übernehmen. Obwohl Luther die Vernunft als eine göttliche Gabe ansieht, die nach dem Sündenfall im Unterschied zum freien Willen erhalten geblieben ist, beschränkt er die philosophische Definition des Menschen als vernünftiges Wesen auf sein irdisches Leben. Im Unterschied zur aristotelischen Tradition über die Gliederung des Menschen lehnt Luther die Auffassung über die höhere Vernunft ab, die über das Sicht- und Greifbare hinaus geht und sich dem Ewigen zuwenden kann.59 Der gefallene Mensch vermag nicht die Ewigkeit zu erfassen. Er kann sie erst dadurch erkennen, dass er Gott als dem Schöpfer und zugleich Weltvollender begegnet. Vor Gott wird die Grenze der menschlichen Vernunft und die Ohnmacht des gefallenen Menschen in der Dimension der Ewigkeit deutlich. Darum erklärt Luther die philosophische Seite seiner Anthropologie durch seine Theologie, denn die Begrenztheit der Vernunft wird im Licht der Gnade Gottes gewonnen, durch die Gott den gefallenen Menschen errettet. Luther versteht den Menschen aus der Dimension des gefallenen Geschöpfes heraus, welches als durch den Glauben an Christus gerettetes Wesen auf dem Weg der Heiligung dem endzeitlichen Ziel Gottes entgegen gehen soll. Luther definiert folglich den Menschen viel mehr über die Rechtfertigung aus Glauben als über dessen Rationalität. Seine Beziehung zu Gott wird einerseits als Geist und andererseits als Fleisch betrachtet. Mit »Geist« meint Luther das Potential des Menschen, wie der Mensch sein soll, und mit »Fleisch« das Wesen, das er faktisch ist. In dieser Hinsicht zieht Luther das 57 58 59 Albrecht Peters, Der Mensch, in: Handbuch systematischer Theologie, Bd. 8. Gütersloh 1979, S. 54–56. Ders., S. 28. Ders., S. 33. 24 dichotomische dem trichotomischen Menschenbild vor, weil er sieht, dass die Dichotomie gut zu seinem theologischen Aspekt passt. Er übernimmt ebenfalls die traditionelle Auffassung des Menschen als »imago Dei«. Der Mensch ist Gottes Geschöpf: Er ist ursprünglich nach dem Bild Gottes gemacht und ohne Sünde. Darunter versteht der Reformator traditionell die personale Gottesgemeinschaft. Durch Adams Fall ging aber diese ursprüngliche Gottebenbildlichkeit verloren und der Mensch ist dadurch der Macht des Teufels, der Sünde und dem Tod unterworfen. Bei Luther ist der menschliche Wille nicht eine neutrale Fähigkeit, sich für das Gute oder das Böse entscheiden zu können. Er ist schon durch die Sünde besetzt. Obwohl der Mensch in Fragen des alltäglichen äußerlichen Lebens frei entscheiden kann, gehört die Willensfreiheit in Bezug auf die Erlösung nur Gott. Für Luther ist Christus das himmlische Bild Gottes.60 Dabei betont er viel mehr die Erneuerung des Bildes Gottes in Christus als dessen Verlust in Adams Fall. Sie ist ein Prozess der Heiligung. Sie bezieht den ganzen Menschen ein und beeinflusst die ganzen Geschöpfe. Sie wird nach Luther vollendet, wenn der Mensch durch den Tod zum ewigen Leben gelangt. Der Reformator stellt durch seine exegetische Interpretation der Lebenswirklichkeit fest, dass der Mensch in diesem Prozess zwischen Gott und Teufel steht. Darum ist für ihn der Mensch wie ein Reittier, welches entweder von Gott oder von Satan gelenkt wird. In der Anthropologie Zwinglis zeigen sich zwei Denkströmungen: Die biblische und die humanistische. Zwingli versteht den Menschen von der Heilserfahrung in Christus her. Er argumentiert, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde und diese Ebenbildlichkeit sich im Geist oder in der Seele des Menschen befindet.61 Aber seit dem Sündenfall Adams ist das menschliche Wesen durch totale Sündigkeit bestimmt. Dadurch ist die ursprüngliche Verbindung mit Gott, die mit der Gottebenbildlichkeit gegeben war, zerstört. Der natürliche Mensch ist einerseits durch Gottferne und andererseits durch Geistlosigkeit bestimmt, die einen Zugang zu Gott unmöglich macht, 60 61 Luther, Vorlesungen über 1. Mose, in: WA, Bd. 42. Weimar 1911, S. 167; ders., In Genesin Declamationes 1527 – Über das erste Buch Mose. Predigten. 1527, in: WA, Bd. 24. Weimar 1900, S. 50. Ulrich Zwingli, Die Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes 1522, in: ZwS, Bd. 1. Zürich 1995, S. 101–145, hier S. 107–108, S. 114–118. 25 er ist »Fleisch« geworden. Der Mensch ist deshalb nicht nur zum Bösen geneigt, sondern von Grund auf böse.62 Nach humanistischer Auffassung stehen für Zwingli zudem Seele und Geist über dem Körper. Der menschliche Geist ist vorbestimmt, ein Gefäß für Gottes Geist zu sein. Zwingli rekurriert hier teilweise auf das platonische Menschenbild, das ein Bestandteil seines humanistischen Erbes ist. In seinem Menschenbild herrscht somit ein scharfer Gegensatz zwischen dem Inneren und dem Äußeren, so dass das Innere durch das, was äußerlich ist, nicht berührt werden kann.63 In der Anthropologie Melanchthons sind die zwei Einsichten, die verantwortliche Freiheit des Menschen beim Humanismus und die menschliche Ohnmacht mitten in seiner Freiheit, miteinander verbunden.64 Melanchthon sieht in seinem »Loci communes rerum theologicarum« (1521) die menschliche Willensfreiheit als Angriff auf das Heil durch Christus an. Dort wird der Wille als ein Vermögen im seelischen Bereich verstanden, das den tiefen seelischen Affekten wie Liebe und Hass unterworfen ist.65 Melanchthon argumentiert dabei scheinbar für eine Trichotomie. Hierbei zeigt er eine eigenwillige Auffassung vom Geist: Er versteht unter dem Geist nicht einen Bestandteil des Menschen, sondern das Wirken des Heiligen Geistes.66 Der Geist ist göttlich und gehört nicht zur Natur des Menschen. Darum können Leib und Seele ohne den Geist nur sündigen. Melanchthon übernimmt somit den Gedanken Luthers von der Gegenüberstellung von Geist und Fleisch.67 Im Unterschied zu Luther jedoch zeigt er einen Weg auf, die Willensfreiheit und wahrhaftige Erfüllung des göttlichen Gebots zu behaupten: Er beschreibt, dass der Geist Gottes das Herz des Menschen erfasst und dort wirkt, und setzt dabei das Herz dem Affekten unterworfenen Willen gleich. Seit 1535 entfaltet Melanchthon tatsächlich in dieser Hinsicht die umstrittene These von den drei Ursachen einer guten Handlung. Der menschliche Wille scheint in dieser These anscheinend als eigenständige Kraft neben dem Gotteswort und dem Heiligen Geist zu stehen.68 Hier hebt Melanchthon ein verantwortliches Sein des Menschen unter der 62 63 64 65 66 67 68 Hauschild, Lehrbuch, S. 332. Peter Stephens, Zwingli. Einführung in sein Denken. Zürich 1997, S. 82. Peters, Der Mensch, S. 73; Sparn, Mensch VII, S. 515. Peters, Der Mensch, S. 60. Vgl. ders., S. 60, 73–74. Vgl. ders., S. 62. Ders., S. 68. 26 Gnade Gottes und dem Wirken des Geistes Gottes hervor, um fatalistische Konsequenzen aus seiner früheren Verneinung der Entscheidungsfreiheit zu vermeiden: Der Mensch, der auf die Verheißung höre, versuche ihr zuzustimmen und die Sünden, die gegen das Gewissen stehen, abzulegen.69 Im Vergleich zu seiner eigentümlichen Auffassung über den Geist spricht sich Melanchthon für das »lumen naturale« aus, den trotz des Sündenfalls gebliebenen Rests an Gottebenbildlichkeit. Nach Melanchthon ermöglicht dieses Licht jedem Menschen, die rechte Übereinstimmung zwischen vernünftiger Einsicht, Willenskraft und sinnlichem Begehren zu finden.70 In seinen Ausführungen zur »imago Dei«, deren Verderbnis und Erneuerung, bleibt die Struktur des anthropologischen Ansatzes der Reformation bestehen. Er will in seiner Anthropologie den Erfahrungsaspekt des rechtfertigenden Glaubens und der davon bestimmten Lebensführung, sowohl aufgrund der Analyse der körperlichen Organe, der äußeren und inneren Sinne, des seelischen Vermögens, als auch aufgrund der stoischen These von logischen, geometrischen und moralischen Prinzipien beweisen.71 Calvin ordnet der Gotteserkenntnis die menschliche Selbsterkenntnis unter. Anders als Melanchthon verzichtet er auf physiologische Argumentationen. Es geht ihm vielmehr um die antiken anthropologischen Auffassungen. Er übernimmt die Meinung Platons, dass die Gottähnlichkeit der Seele am wertvollsten sei, und die Ciceros, dass ein Ahnen des Göttlichen als Same von Religion jedem menschlichen Herzen gegeben sei. Diese antiken Auffassungen will er mit der biblischen Auffassung verknüpfen, dass der Mensch erschaffen sei, um Gott zu erkennen, ihm zu vertrauen und ihn in der Kreatur zu ehren. 72 Für Calvin ist diese Gottähnlichkeit der Seele nur als schwacher und »unförmiger Rest« der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit vorhanden. Calvin ist der Meinung, dass Vernunft und Wille durch den Sündenfall nicht völlig zerstört wurden. Doch er betont, dass es unvermeidlich sei, dass der Mensch mit seiner Vernunft und seinem Willen Götzen erzeugt, da die Vernunft und der Wille des Menschen durch den Fall Adams völlig vor Gott verdorben seien. Darum könne der Mensch die Erlösung 69 70 71 72 Philipp Melanchthon, Unterricht der Visitatorn an die Pfarhern ym Kurfurstenthum zu Sachssen 1528, in: StA, Bd. 2/1. Gütersloh 1951, S. 215–271, hier S. 245. Sparn, Mensch VII, S. 515. Peters, Der Mensch, S. 73–74. Ders., S. 94. 27 nicht aus eigener Kraft bewirken, sondern seine Erlösung hängt von einer anderen Kraft ab. Andererseits erkennt Calvin die besonderen individuellen Begabungen des menschlichen Geistes in Wissenschaft, freien Künsten und Politik als Gaben des Heiligen Geistes an. Calvin als Kreatianist geht von der pythagoräischen Auffassung des Eingekerkertsein der Geist-Seele im Leib aus. Er versucht daher, die philosophische Verknüpfung der intellektuellen und voluntativen Seelenkräfte im menschlichen Leben mit der biblischen Auffassung zu verbinden, dass das Herz – unter dem er das Organ des vernünftigen Überlegens und willentlichen Entscheidens versteht – und das Gewissen der Gläubigen neu werden sollen.73 Die Abwertung des Irdisch-Materiellen beschränkt sich bei Calvin auf den heilsgeschichtlichen Bereich, weil der menschliche Leib als Tempel des Heiligen Geistes geheiligt werden soll. Aber in seinem Verständnis von der Seele wird nicht der ganze Mensch als göttliches Urbild gesehen, sondern nur die unsterbliche Seele. Mit der Zurückweisung der reformatorischen Auffassung von der Sünde als Unfreiheit des Willens und den Glauben als individuelle Heilsgewissheit verwirft das Tridentinum den reformatorischen Begriff der Person und die Unabhängigkeit des Gewissens als kirchlich pädagogische Lehre. Das Tridentinum hält an dem vorreformatorischen Bild vom Menschen fest, indem es die Gottebenbildlichkeit des Menschen auf seine vernünftige Natur bezieht und ihn als sowohl vernünftiges als auch politisches Lebewesen bezeichnet. Darüber hinaus hält das Tridentinum an den verbliebenen natürlichen Fähigkeiten des Menschen und seiner übernatürlichen Begabung zu verdienstlicher Selbstvervollkommung fest. 1.2 Die Konstruktion des Menschen bei Paracelsus Die Anthropologie in Paracelsus´ früheren Schriften bewegt sich von einer Trichotomie zu einem Dualismus. Die Entwicklung von der »Elf Traktat« (1520) bis zu »Ein Büchlein (Philosophia) de generatione Hominis« (um 1524/25) hat Ute Gause in ihrer Dissertation nachgezeichnet: „Herkommend vom neuplatonischen MikrokosmosMakrokosmos-Denken verstärken sich die biblisch-christlichen Bezüge, die zu einer Loslösung vom Determinationsdenken in Bezug auf die Seele führen.“74 73 74 Ebd. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 75–96, hier S. 93. 28 In dieser Entwicklung zeigt sich, dass Paracelsus am Anfang die Vernunft als eine Vermittlungsinstanz zwischen Körper und Seele angesehen hat, sie aber für fehlbar hielt. In diesem trichotomischen Menschenbild galt die Mangelhaftigkeit des Menschen nicht nur für den Leib, sondern auch für das Ganze des Menschen. Darum unterliegt der Mensch nach dieser Auffassung völliger Sündhaftigkeit und damit der Unfähigkeit zum Guten. 75 Die Ganzheit des Menschen hängt, so Paracelsus, völlig von Gott ab. Paracelsus verschiebt allmählich die Vernunft in den seelischen Bereich, so dass sie dadurch in keiner Beziehung zum fleischlichen Bereich steht. Dadurch gehen ihre Position als Vermittlungsorgan und die leib-seelische Einheit verloren. Jetzt werden die zwei Bereiche, der seelische und leibliche Bereich, in seiner Anthropologie deutlich unterschieden. Dadurch eröffnet sich einerseits für den Menschen die Möglichkeit, sich mit der Vernunft auf den Empfang der Gnade vorzubereiten und zu einer Gott gemäßen Lebensweise zu gelangen. Andererseits werden die leiblichen Vollzüge abgewertet. Die Geschlechtlichkeit des Menschen, seine Begierden, Fehler, Sünden und jede Form der Negativität des Menschen werden dem Bereich des Leiblichen zugeordnet. Die Erbsünde wird biologisch als die Endlichkeit des Menschen erklärt. In »Ein Büchlein (Philosophia) de generatione Hominis« erreicht das dualistische Menschenbild des Paracelsus seinen vorläufigen Höhepunkt. Dort wird der seelische Bereich des Menschen seinem fleischlichen übergeordnet. Mit Hilfe der Vernunft soll der Mensch seinen Körper beherrschen. 76 Im etwa zur gleichen Zeit veröffentlichten »Liber de iustitia« beschreibt er sogar seine dualistische Anthropologie spiritualistisch: Paracelsus unterscheidet hier die Existenzweise der Christen in einerseits die veräußerlichte, fleischliche und damit unchristliche Lebensweise und andererseits die innerliche Existenz in Glauben und Liebe. Die innerliche Existenz führt zu einer Existentialisierung und einer Individualisierung des Glaubens. In der Entfaltung seiner Anthropologie stellt Paracelsus der äußerlichen Existenzweise, die dem Leiblichen folgt, die innerliche Existenzweise, die dem Seelischen folgt, gegenüber. So ist seine frühe 75 76 Dies., S. 85–86. Dies., S. 93. 29 Anthropologie stark dualistisch konzipiert, indem sie durch sowohl das neuplatonische als auch das biblisch-christliche Menschenbild beeinflusst wurde.77 Zudem setzt Paracelsus den Akzent in seinen theologischen Schriften anders als in seinen naturphilosphischen: In den naturphilosophischen Schriften betont Paracelsus, dass der Mensch aus wertvollem Stoff besteht und von Gott anders als die anderen Kreaturen erschaffen wurde. Aus seiner theologischen Perspektive jedoch werden das Elementare und das Irdische vergänglich eingeschätzt und damit abgewertet. Wie Goldammer bereits gezeigt hat, schätzt Paracelsus in seinem Psalmenkommentar zwar die Diesseitigkeit des Erden- und Leibeslebens des Menschen als natürlich und wertvoll hoch.78 Er betont aber noch mehr die Vergänglichkeit des Leibes. Er konzentriert sich dort auf den Unterschied zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen. Im Psalmenkommentar treten somit sowohl der Dualismus als auch die Trichotomie auf, aber erster wird noch stärker betont als letztere. 1.2.1 Leib und Seele als Grund für die christliche Existenz anhand von Ps 118 (119) und Ps 143 (144) 1.2.1.1 Der Leib Bei Paracelsus lässt sich ein großer Unterschied zwischen seiner theologischen und seiner naturphilosopischen Perspektive konstatieren. Während er in seinen naturphilosophischen Schriften den Leib und das Irdische als den Gegenstand seiner wissenschaftlichen Arbeit für wichtig hält, beurteilt er sie in seinen theologischen Schriften als wertlos. Unter dem Leib ist für Paracelsus zuerst schlicht der Körper zu verstehen:79 Ein Leib ist eine äußerliche Form oder Basis. Durch die Seele wird er zu einem lebendigen Menschen. 80 Im Gegensatz zur Seele ist der Leib aus Erde gemacht. Paracelsus unterscheidet in naturphilosophischer Hinsicht zwischen dem Leib der Elemente und Gestirne und sieht in ihm etwas wertvolles, da Gott den Menschen aus der Erde – einem 77 78 79 80 Vgl. dies., S. 115–116. Kurt Goldammer, Paracelsische Eschatologie. Zum Verständnis der Anthropologie und Kosmologie Hohenheims I, in: Nova Acta Paracelsica 5 (1948), S. 45–85, [wieder abgedruckt in: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze. Wien 1986, S. 87–122], hier S. 90f. Zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 236. Vgl. zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2; zu Ps 118 (119), 25, PW 2/VI, S. 32. 30 wertvollen Material – geschaffen habe, während er alle andere Kreatur durch sein Wort aus Nichts geschaffen habe. „[D]arauf der ander articul ist: dieweil der leib irdisch ist und gemacht aus dem limbo, so ist er auch derselbigen natur, und sie ist ihm nit entzogen. dann das ist der leip, das das ist, daraus er gemacht ist worden. nun aber nit von des leips wegen ist der mentsch beschaffen, sunder von der seel wegen.“81 Nach Paracelsus ist der Leib irdisch und aus dem Limbus82 gemacht. Der Leib gehört zu der Natur, die ihm nicht zu entziehen ist. Paracelsus drückt mit dem Leib die Verbundenheit des menschlichen Lebens mit den natürlichen Zusammenhängen aus. Der Leib kann sich nie von der Erde, nämlich der Natur, entfernen. Darum ist die Leibhaftigkeit ein Ausdruck des Geschöpfseins des Menschen.83 Von der Natur lebt der Leib und er empfängt von ihr viele Einflüsse. Der physische Leib des Menschen steht nach Paracelsus sowohl unter dem Einfluss natürlicher Wesen – Menschen, Sterne und Kräuter – als auch unter dem Einfluss übernatürlicher Wesen – Geister, Engel und Teufel.84 Während diese Kräfte die Seele nicht beeinflussen, können sie auf den Leib guten oder bösen Einfluss ausüben. Diese Naturhaftigkeit gilt jedoch für Paracelsus nicht als entscheidendes Element des Menschen. Paracelsus spricht im Psalmenkommentar von der Nichtigkeit des Leibes in theologischer Hinsicht.85 Der Leib ist nichts wert, weil er aus der Erde stammt. Denn nichts stammt aus der Erde, was etwas wert ist. 86 Obwohl Paracelsus in seinen naturphilosophischen Schriften im Vergleich zu anderen Kreaturen die Erde als wertvollen Stoff ansieht, aus der der Leib des Menschen gemacht wird, ist sie nicht mehr wert als der Himmel, in dem Gott wohnt und aus dem die Seele kommt. Darüber hinaus sieht Paracelsus den Leib als eine Ursache der Verführung an, da er seiner Begierde und seiner Lust folgt. Durch diese Verführung kann der Leib die Seele in Gefahr bringen, sich zu verdammen, weil Leib und Seele in Ganzheit eng miteinander verbunden sind. 81 82 83 84 85 86 Zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2. Goldammer beurteilt den »limbus« als paracelsisches Eigengut und definiert ihn als die Urmaterie, die Erde als Grundstoff des Menschen und den Menschen in Bezug auf seine leibliche Existenz. Vgl. zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2, Anmerkung c. Vgl. Kämmerer, Das Leib-Seele-Problem, S. 15. Vgl. zu Ps 118 (119), 113–129, PW 2/VI, S. 89–105. Vgl. Kurt Goldammer, Einführung. Paracelsus als Sozialethiker und Sozialrevolutionär, in: Ders. (Hg.), Paracelsus. Sozialethische und sozialpolitische Schriften. Tübingen 1952, S. 1–102, hier S. 34–57. Vgl. zu Ps 140 (141), 7b/8, PW 2/VII, S. 48. 31 Darum braucht der Leib das Gesetz und die Ordnung, um die Seele nicht der Verdammnis anheim zu geben. „[D]arumb der leip sein gesatz hat und sein ordnung, was sein ampt sei uf erden. auf daß er nit die seel verdampt, fall in den unwillen gottes und verlier sein gnad und gerechtigkeit, hat ihm got, unsers leibs schopfer im himel, gesatz geben, dieselbigen zu halten und nicht von ihnen weichen.“87 Goldammer hingegen betont, dass Paracelsus eine neutrale Auffassung vom Körper habe: Da der physische, körperliche Mensch von der Erde komme und tierisch sei, sei er frei von Geboten und Gesetzen und weder gut noch böse.88 Dieser unterschiedliche Ansatz muss vor folgendem Hintergrund verstanden werden: Obwohl der Leib in naturphilosophischer Hinsicht weder gut noch böse ist, wird er in theologischer Hinsicht negativ beurteilt, weil der Leib nichts zur ewigen Seligkeit, die das Ziel der paracelsischen Anthropologie ist, beiträgt.89 Jedoch beschreibt Paracelsus im Psalmenkommentar den Leib nicht ausschließlich negativ. Denn unter der Führung der Seele kann der Leib den Glauben, die Liebe und die Wahrheit annehmen und dadurch nicht mehr seiner Begierde folgen. „[D]ann darumb ist der leip do, daß er ein knecht sei der seel, und die seel übertrifft ihn, und daß er der sei, der do leide endpfindlichs die warheit und den glauben und die liebe, so in Christo do sei; daß der leip bewer und daß der leip weiter nit hab, weder macht noch gewalt, seiner begirt nachzugohn.“90 Der Leib ist das Subjekt des menschlichen Handelns. Er soll die Aufgabe des Menschen erfüllen, die Gott jedem auf der Erde gegeben hat. Diese Aufgabe kann die Seele allein nicht meistern. Der Leib muss sie erledigen. Dabei entsteht ein Kampf gegen jene Feinde, die Paracelsus die »Antichristen« nennt.91 Für diesen Kampf schätzt Paracelsus den Leib als wichtigen Teil des Menschen. 87 88 89 90 91 Zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2. Kurt Goldammer, Das Menschenbild des Paracelsus zwischen theologischer Tradition, Mythologie und Naturwissenschaft, in: Robert Mülher und Johann Fischl (Hg.), Gestalt und Wirklichkeit. Festgabe für Ferdinand Weinhandl. Berlin 1967, S. 375–395, [wieder abgedruckt in: ders.: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze, in: Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24 (1986), S. 209– 228], hier S. 209. Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 34; Goldammer, Das Menschenbild, S. 212–213. Zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 1–2. S.u. 2.4.2. Der Mensch unter der Verführung und 2.4.3. Die Überwindung der Verführung. 32 „darumb so mus der leib do sein und mus dem andern leib, der ihn fressen will, ein widerstant tun. dann ie dieweil der leib ein reißender wolf ist, und der wolf steckt im leib, und er will uns nehmen vom ambt der berufung (sunst sucht er keinen zu fressen): dasselbig ampt mus er uns nit anderst nehmen dann durch den leib. so der nit ist, so ist das aus, das dieser soll ausrichten.“92 1.2.1.2 Die Seele An dem Wort »Seele« lässt sich verdeutlichen, wie Paracelsus mit einem bestimmten Wort verschiedene Bedeutungen verbindet. Paracelsus versteht unter der Seele zuerst mehr als die Vernunft. Während die Seele unmittelbar mit dem Leib verknüpft ist, kommt die wahre Vernunft erst später hinzu. Denn die wahre Vernunft kommt nach Paracelsus nach der Geburt unmittelbar von Gott, indem der Mensch Gott um diese Vernunft bittet, während er die tierische Vernunft von Geburt an besitzt. 93 Für Paracelsus ist die Seele die Kraft, die das Leben möglich macht. Durch sie kann der Mensch lebendig werden, indem die von Gott stammende Seele auf der Erde mit dem Leib verknüpft wird.94 Während Luther traduzianistisch denkt,95 denkt Paracelsus über die Seele und ihre Erschaffung streng kreatianistisch. Die Seele kommt von Gott. „[S]onder wir sollen tun, als uns got lernet; als im neuen testament sollen wir nit acht haben auf unser vetter, sunder auf Christum, auf sein apostl. dann die ding berueren das blut nit, sunder allein die seel. die get außerhalb dem erb, dann wir haben die seel nit vom vatter, sunder von got.“96 Die Tatsache, dass die Seele aus Gott stammt, ist für Paracelsus ein Grund für deren Hochschätzung. Aufgrund ihrer Herkunft ist sie ein göttliches Wesen und hat als ein wertvolles Ding im Menschen zu gelten. Durch sie kann der Mensch ewig sein, weil er die Seele hat, die ewig ist.97 Paracelsus betrachtet die Seele als das wichtigste Element im Menschen. Darum soll alles, was der Mensch hat, z.B. der Leib und seine Kraft, der 92 93 94 95 96 97 Zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 62. Zu Ps 146 (147a), 9–11, PW 2/VII, S. 94–96. Zu Ps 118 (119), 25, PW 2/VI, S. 32; zu Ps 94 (95), 5, PW 2/IV, S. 273–274. Vgl. Luther, Die Promotionsdisputation von Petrus Hegemon 1545, in: WA, Bd. 39/II. Weimar 1932, S. 337–401, hier S. 391. Zu Ps 77 (78), 8a, PW 2/IV, S. 35. Paracelsus schreibt zu Ps 120 (121), 1, dass die Seele vom Paradies komme. Hier meint Paracelsus mit dem Paradies den Himmel, in dem Gott ist: „wiewol er vom himel kompt, das ist: sein seel kompt auch aus dem paradeis“: Zu Ps 120 (121), 1, PW 2/VI, S. 146. Vgl. zu Ps 94(95), 5, PW 2/IV, S. 273–274. Zu Ps 103 (104), 21, PW 2/V, s. 11–12; zu Ps 118 (119), 109, PW 2/VI, S. 86–87. 33 Seele dienen.98 Alle Gesetze sind dazu da, die Seele vor der Gefahr der Verdammnis zu schützen.99 Im Kommentar zu Ps 77 (78), 8a verlegt Paracelsus auch die religiöse Haltung nicht in den Leib, sondern in die Seele. Aus seinem kreatianistischen Verständnis folgt, dass es Paracelsus schwer fällt, den Menschen als »totus peccatus« zu verstehen. Anders als Luther, der denkt, dass die Seele durch die Zeugung der Eltern mitgegeben wird, sieht Paracelsus die Möglichkeit, dass der Mensch einen durch die Erbsünde unbefleckten Teil besitzen kann. Während Luther durch seine traduzianistische Auffassung den Menschen durch die Erbsündelehre als »totus peccatus« anssieht, kann Paracelsus den Menschen als jenes Wesen ansehen, das die Seele als etwas Göttliches besitzt. Dadurch denkt Paracelsus, dass der Mensch fähig ist, sich um ein Gott gefallendes Leben zu bemühen. Die Seele braucht die Beziehung zu Gott nicht nur wegen ihrer Herkunft, sondern auch wegen ihrer Existenz. Sie kann sich selbst erfüllen. Aber nur Gott kann den seelischen Hunger eines Menschen stillen. Darum soll der Mensch von Gott die Speise für die Seele fordern.100 Die Seele kann nur in der Beziehung zu Gott aufrecht erhalten werden. Grundsätzlich denkt Paracelsus die Seele als diejenige, die die Ewigkeit und und das Himmlische sucht. Während Paracelsus mit „Leib“ die triebhafte und begierige Seite des Menschen beschreibt, welche der Mensch mit den Tieren gemeinsam habe, ist die Seele eine Instanz der menschlichen Entscheidung. 101 Hinter dieser Äußerung steht der Konflikt zwischen Leib und Seele um die Vorherrschaft über den ganzen Menschen. Paracelsus ist der Meinung, dass der Leib als eine leibliche Existenz den Menschen nach seiner Begierde steuern kann. Als theologischen Grund gibt er an, dass die Seele die Instanz der menschlichen Entscheidung sein soll: Die Seele soll ihren Leib unter Kontrolle bringen und ihn gehorsam gegenüber den Geboten Gottes machen.102 Denn die Seele ist ewig, kann von Gott die Erkenntnis Gottes erhalten und folgt dem Himmlischen, dagegen ist der Leib sterblich und folgt der Erde und seiner irdischen Begierde.103 Die 98 Zu Ps 118 (119), 109, PW 2/VI, S. 86–87; zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 61. Vgl. zu Ps 118 (119), 20, PW 2/VI, S. 27. 100 Vgl. zu Ps 103 (104), 21, PW 2/V, S. 11–12. 101 Vgl. zu Ps 118 (119), 109, PW 2/VI, S. 86–87; zu Ps 118 (119), 167, PW 2/VI, S. 133. 102 Zu Ps 118 (119), 109, PW 2/VI, S. 86–87. 103 Ebd. 99 34 Seele soll die Folge der Taten auf der Erde vor das Gericht Gottes tragen.104 Darum soll der Mensch in Gottesfurcht bleiben, indem der triebhafte Leib der Seele untergeordnet wird.105 In diesem Zusammenhang beschreibt Kämmerer die Seele als die Möglichkeit des Menschen, in der Beziehung zu Gott sich selbst zur ewigen Seligkeit oder zur Verdammnis zu entscheiden.106 Aber die Auffassung Kämmerers überzeugt m.E. nicht angesichts der paracelsischen Auffassung über den unfreien Willen des Menschen, das Licht der Natur und die wahre Erkenntnis Gottes: Nach Paracelsus kann der Mensch in der Beziehung zu Gott nicht richtig entscheiden, bevor Gott die Erkenntnis Gottes durch die Erleuchung des Heiligen Geistes gibt. Die wahre Vernunft kommt sogar erst dadurch, dass Gott das Licht der Natur im Menschen anzündet. 107 Obwohl die Seele eine Entscheidungsinstanz des Menschen ist, kann sie ohne Gottes Hilfe weder im Verhältnis zu Gott noch zu der Natur richtig entscheiden.108 1.2.1.3 Der Zwischenzustand Nach Paracelsus bleiben die Seelen nach dem Tod in drei verschiedenen Zuständen. Wenn die Seele durch den Tod vom Leib getrennt wird, geht sie nur, wenn sie eine Seele wahrer Christen war, die Paracelsus Heilige nennt, direkt zu Gott. Dagegen gehen die ganz Bösen, unter denen Paracelsus die Antichristen versteht, in die ewige Verdammnis.109 Die Seelen der verführten Christen bleiben im Seelenschlaf und warten auf das Gericht Gottes bis zum Jüngsten Tag. In diesem Zusammenhang kann der Seelenschlaf als Wartezeit verstanden werden. Paracelsus argumentiert für die Legitimität der Seelenschlaflehre in Bezug auf die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes. Gott lässt die durch die Antichristen verführten verstorbenen Christen im Seelenschlaf bis zum Gericht am Jüngsten Tag bleiben, weil er jedem Christen eine Gelegenheit geben will, seine Unschuld zu erklären und nicht will, dass die verführten 104 105 106 107 108 109 Ebd.; zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 61–62. Zu Ps 118 (119), 120, PW 2/VI, S. 97–98. Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 13. s.u. 1.2.5.2. Das Licht der Natur. Im Kommentar zu Ps 118 (119), 129 findet sich noch ein weiterer Aspekt von der Seele. Hier ist die Seele als ein verurteilter Geist beschrieben. Paracelsus benutzt das Wort „Seele“ in dieser Kombination nur in diesem Vers. Da es sich um eine singuläre Aussage handelt, kann dieser Aspekt jedoch vernachlässigt werden. Vgl. zu Ps 118 (119), 81–83, PW 2/VI, S. 69–73; zu Ps 138 (139), 8, PW 2/VII, S. 11; zu Ps 144 (145), 15–21, PW 2/VII, S. 78–83. 35 Christen mit den sündigen Verführern, die direkt zur Verdammnis gehen, ungerecht verurteilt werden. 110 In dieser Reflexion über den Seelenschlaf sind somit zwei verschiedene Gedanken enthalten: Der Zwischenzustand und das sofortige Auffahren zu Gott. Es macht es den Anschein, dass Paracelsus im Psalmenkommentar einen Versuch unternimmt, diese zwei Gedanken harmonisch zu kombinieren. Aufgrund des Seelenschlafs lehnt Paracelsus im Psalmenkommentar die Fegefeuerlehre ab.111 1.2.2 Zwei Limbi anhand von Ps 80 (81), Ps 90 (91), Ps 118 (119) und Ps 140 (141) 1.2.2.1 Definition des Begriffes »limbus« Der paracelsische Begriff »Limbus« ist ein eigenartiger Begriff. Obwohl dieses Wort in den antiken Schriften verwendet wird, stimmt ihre Bedeutung mit der paracelsischen Verwendung überhaupt nicht überein. Die wörtliche Bedeutung von »Limbus« ist »Saum« oder »Rand«. Dies wird zuerst in den Schriften über das Jenseits im Mittelalter belegt. Im damalig gewöhnlichen Sinne bezeichnet »limbus« den Ort oder Zustand der Verstorbenen, die nicht im Himmel, in der Hölle oder im Fegefeuer sind. »Limbus« 110 111 Vgl. ebd. In Ps 117 (118), 19–21 sagt Paracelsus auch, dass es keinen Grund für das Fegfeuer gebe. Vgl. zu Ps 117 (118), 19–21, PW 2/V, S. 247–250. Aber in seinem »Sermo de purgatorio« findet sich eine auffällige Auffassung vom Fegfeuer: Dort wird das Fegefeuer im reformatorischen Sinne umgedeutet: Christus habe für die Erlösung des Menschen bereits alles getan. Ein Purgatorium bedeutet daher für Paracelsus nicht die Reinigung der Seele durch die Genungtuung des Menschen selbst, sondern die Reinigung von den Sünden des Menschen (in der Hölle) durch die Liebe Gottes, indem die Gläubigen für ihn beten. Paracelsus unterscheidet zwischen der Sünde gegenüber Gott und gegenüber den Nächsten. Während die Sünde gegenüber Gott, nämlich nicht Gott zu lieben, als die Sünde gegenüber dem Heiligen Geist angesehen wird und sie nie vergeben wird, kann die Sünde gegenüber dem Nächsten, den Nächsten nicht zu lieben, vergeben werden, indem der Nächste diese Sünde vergibt. Paracelsus ist der Meinung, dass der Mensch (Gläubige) vor dem Gericht Gottes durch das Verklagen seines Nächsten zur Hölle verurteilt werden kann, wenn er nicht die Nächstenliebe erfüllt, die er seinem Nächsten schuldig ist. Dort bleibt er, bis wiederum ihm sein Nächster seine Schuld vergibt. Paracelsus argumentiert hierfür mit Mt 5, 25f. und mit dem Satz aus dem Vater Unser „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben“. Dabei setzt Paracelsus das Fegfeuer der Hölle gleich. Mit dieser Auffassung wird eine andere ungewöhnliche verbunden: dass der verstorbene Gläubige als Geistmensch aus »Kraft seines Glaubens« in die Hölle gelange, um die Menschen in der Hölle durch sein Gebet zu Christus zu erlösen. Paracelsus wollte auf diese Weise eine Möglichkeit für die Erlösung nach dem Tod offen halten. Darum kritisiert er einerseits die katholische Auffassung aufgrund der Genugtuung des Menschen selbst im Fegfeuer gereinigt zu werden, und andererseits die reformatorische Auffassung, dass es das Fegfeuer nicht gebe, sondern nur die Hölle, in der es keine Erlösung gibt. Hier scheinen der reformatorische Gedanke der Ablehnung des Fegefeuers, die biblische Auffassung von der Vergebung und die mittelalterliche Vorstellung von der Reinigung durch das Fegefeuer zu einer für Paracelsus einzigartigen Auffassung von der Hölle zu verschmelzen: Paracelsus, VII. Sermo de purgatorio. Fragmenta quaedam, in: PW 2/III. Stuttgart 1986, S. 287–293, hier S. 289– 293; ders., VIII. Fragmenta quaedam/Fragmente zur Frage des Aberglaubens. Sermo de purgaorio u, in: PW 2/III. Stuttgart 1986, S. 295–299. 36 unterscheidet zwischen »Limbus patrum« und »Limbus puerorum oder infantium«. »Limbus patrum (Limbus der Väter)« beschreibt den Ort, in dem sich die Gerechten des Alten Testaments und die gerechten Heiden vor der Erlösungstat Christi befanden. »Limbus puerorum (Limbus der Kinder)« ist jener der unmündigen Kinder, die ungetauft gestorben sind.112 Paracelsus verwendet das Wort niemals mit dieser Bedeutung. Es ist schwer, seinen Begriff »Limbus« aus dem sematischen Blickwickel zu erklären. Goldammer vermutet deshalb durch den Hinweis auf Gen 2, 7 »limus terrae«, dass der Begriff »Limbus« vom lateinischen Wort »limus« abgeleitet sei. Dadurch argumentiert er, dass dieser »limbus« mit dem deutschen »Lehm« oder »Leim« verwandt sei. 113 Auf Grund dieser Argumentation sei der »limbus« bei Paracelsus „eine Urmaterie oder Urprinzip, aus dem die große Welt und der Mensch entwickelt wurden,“ 114 oder ein Same, aus dem alle Geschöpfe wachsen. 115 Außerdem umfasse bei Paracelsus der »Limbus« die Erde als Grundstoff des Menschen und schließlich den Menschen selbst hinsichtlich seiner leiblichen Existenz als Brennpunkt aller Naturerscheinungen.116 Ich halte die Argumentation Goldammers für richtig angesichts dessen, dass Paracelsus im Psalmenkommentar, »limbus« mit „leimen (Lehm)“ gleichsetzt: „[W]ir seindt alle aus dem leimen, darumben sollen wir den leimen nit anbeten, das ist den limbum“117 Im Unterschied zu Goldammer sieht Pagel den »Limbus« als die Gesamtsumme der Samen der geschaffenen Objekte an. Nach ihm ist es der »Limbus«, in dem die oberen himmlischen und die unteren physisch-elementaren Prinzipien noch miteinander verbunden sind. 118 Im »Liber de podagricis«, in dem der Begriff »Limbus« zuerst verwendet wird, benutzt Paracelsus ihn im Kontext seiner Erkenntnistheorie.119 112 113 114 115 116 117 118 119 Vgl. Anton Ziegenaus, Art. Limbus, in: RGG4, Bd. 5 (2002), 377. Kurt Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 120. Ders., S. 109. Ebd. Vgl. zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2, Anmerkung c. Zu Ps 140 (141), 7b/8, PW 2/VII, S. 48. Vgl. Walter Pagel, Paracelsus. An Introduction to Philosophical Medicine in the Era of the Renaissance. Basel 19822, S. 356. Vgl. Hartmut Rudolph, Hohenheim´s Anthropology in the Light of his Writings on the Eucharist, in: Paracelsus: the man and his reputation, his ideas and their transformation, (Studies in the history of Christian thought, Bd. 85, hg. v. Heiko A. Oberman). Leiden 1998, S. 187–206, hier S. 195. 37 „Alle ding sind gewesen unsichtbar bei gott, die so jetzund sichtbar sind, die selbigen all, wie sei gewesen sind, sind gefaßt in ein limbum, das ist in ein sichtig corpus.“120 An dieser Stelle versteht Paracelsus unter dem »Limbus« die Mittel oder das Material, das durch göttliche Dinge sichtbar und konkret wird. Er sagt, dass die Welt und der Mensch aus dem Limbus geschaffen wurden. Der Begriff »Limbus« wird Anfang der 1530er Jahre, in der Zeit, in der Paracelsus seinen Psalmenkommentar verfasst, am umfangreichsten benutzt. 1.2.2.2 Zwei Limbus-Arten Paracelsus unterscheidet im Psalmenkommentar zwischen dem »Limbus Adams«121 und dem »Limbus Christi«: „[D]ieweil der leib irdisch ist und gemacht aus dem limbo, so ist er auch derselbigen natur, und sie ist ihm nit entzogen.“122 Der »Limbus Adams« 123 besitzt zwei Merkmale. Einerseits kann durch ihn die Naturhaftigkeit des menschlichen Lebens verdeutlicht werden. Er ist mit der Natur eng verbunden, so dass er sich nie von ihr entfernen kann, obwohl er durch den Tod zerstört wird. Das ist die eine Seite der christlichen Existenz: Obwohl er durch die Taufe wieder geboren wird, bleibt jeder Christ in der Verbundenheit mit der Natur. Durch den Ausdruck »Limbus Adams« wird die Herkunft des Menschen mit der Herkunft der Tiere gleichgesetzt. Daraus folgt, dass es leiblich keinen Unterschied zwischen Menschen und Tieren gibt. Wie die Natur sichtbar ist, so wird das äußere Leben aus dem »Limbus Adams« gestaltet. Darum deutet der Ausdruck »Limbus Adams« eine Verbindung zur Welt an. Zum andern wird durch den »Limbus Adams« die Begrenztheit des Menschen betont: Der Leib aus diesem Limbus wird durch den Tod zerstört. Wie die Sterblichkeit in der 120 121 122 123 Paracelsus, Liber de podagricis et suis speciebus et morbis annexis (drei Bücher), in: PW 1/I. München und Berlin 1922, S. 309–344, hier S. 316. Der Begriff wird im Folgenden nicht kursiv geschrieben, weil er in dieser Form nicht im Psalmenkommentar vorkommt, sondern der Sekundärlitertur entnommen ist: s. insbesondere Kurt Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1. Zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2. Obwohl nur der Begriff »Limbus Adams« im Psalmenkommentar auftritt, kommt »Limbus terrae« auch in anderen Schriften des Paracelsus vor: Z.B. Paracelsus, Von den Natürlichen Dingen, das erste Buch. Von Terpentin, schwarzer und weißer Nieswurz, Wasserpfeffer, Salz, St. Johannis Kraut, dem Magneten, Schwefel, Vitriol, Arsenik, (Weinstein), in: PW 1/II. München und Berlin 1930, S. 59–176, hier S. 113. Die beiden haben fast die gleiche Bedeutung. 38 Natur gewöhnlich ist, ist der »Limbus Adams« selbst sterblich und alles aus ihm auch. Der »Limbus Adams« ist durch die Verbundenheit mit der Natur durch die Sterblichkeit begrenzt, die Teil allen Natürlichen ist. „[D]ann Adams limbus ist dot in Christo; sein speis, so aus seim limbo get, ist auch dot. lebendig ist Christus, der limbus auch.“124 Paracelsus scheint zu versuchen, durch den Begriff »Limbus Adams« die physische Seite der menschlichen Existenz auszudrücken: Die Naturhaftigkeit des menschlichen Lebens und die Begrenztheit des Menschen. Diese Beobachtung entspringt seinen ärztlichen Erfahrungen. Durch diese beiden Merkmale scheint der »Limbus Adams« von der ewigen Seligkeit Gottes entfernt zu sein, die wegen des qualitativen Unterschiedes keinen Kontakt zu ihm haben kann. Darum scheint der Mensch zur ewigen Seligkeit noch etwas Übernatürliches zu brauchen. Der »Limbus Christi« ist der neue Limbus 125 und geht aus einem anderen Ursprungsort hervor. Während der »Limbus Adams« aus Gott, dem Vater, stammt, stammt der »Limbus Christi« aus Christus selbst. 126 Darum existiert der »Limbus Christi« zeitlich vor dem »Limbus Adams«. Denn Christus ist Gott, der Sohn, und der »Limbus Christi« existierte schon vor der Schöpfung in Christus, während der »Limbus Adams« erst durch die Schöpfung präsent wird. Daher unterscheidet sich der »Limbus Christi« qualitativ vom »Limbus Adams«: Er ist übernatürlich und dadurch unsichtbar. Das Motiv des ewigen Leibes leitet Paracelsus aus dem Auferstehungsleib Christi in 1. Kor 15 ab. Dort wird der Auferstehungsleib als ein himmlischer und unverweslicher Leib aus dem Himmel beschrieben. Der ewige Leib hat für Paracelsus die gleiche Eigenschaft. Wegen der übernatürlichen Eigenschaft des ewigen Leibes kann der Mensch von Geburt an keinen Kontakt mit ihm haben. Erst durch die Taufe und die Wiedergeburt kann nach Paracelsus eine Verbindung mit dem »Limbus Christi« hergestellt werden. 124 125 126 Zu Ps 80 (81), 17, PW 2/IV, S. 119. „das ist: ér ist das trinken, das wir trinken, und trinken nit rebensaft, sunder das blut Christi, das wir nit anderst sehen dann als ein saft von einem weinstock, der an ihm selbs blut ist. und aber do das blut Christi der neu limbus.“: Zu Ps 79 (80), 9, PW 2/IV, S. 101. In anderen paracelsischen Schriften kommt das Wort »Limbus aeternus« oft vor. Der »Limbus Christi«, der „neu[e] limbus“ und »Limbus aeternus« sind gleichzusetzen. Vgl. Paracelsus, Auslegung über die zehen gebott Gottes, in: PW 2/VII. Wiesbaden 1961, S. 117–228, hier S. 124, Anmerkung d. 39 Durch diese Verbindung schenkt Christus dem Menschen trotz seiner Vergänglichkeit die ewige Seligkeit. Darum kann der »Limbus Christi« als einen Grund für die Zuwendung Gottes gegenüber den Menschen angesehen werden.127 1.2.2.3 Der alte Leib und neue Leib In den naturphilosophischen Schriften spricht Paracelsus von drei Leibern: Dem elementischen Leib, dem siderischen Leib und dem ewigen Leib. 128 Im Psalmenkommentar kommt der siderische Leib nicht vor. Paracelsus unterscheidet den alten elementischen Leib vom neuen Leib im Ps 90 (91), 10. In der „Auslegung über die zehen gebott gottes“ beschreibt Paracelsus drei andere Arten von Leibern: „Darauf ist uns zu wissen: von gott dem vatter haben wir die erste creatur, daß wir menschen seindt und haben den tod in ihn. von gott dem son haben wir die ander creatur, in der wir christen erlöset seindt vom tod; von gott dem heiligen geist haben wir den dritten leib nach diesem leben, clarificiert in das ewig leben.“129 Im Psalmenkommentar sind der zweite und dritte Leib dem neuen ewigen Leib untergeordnet.130 Der alte Leib stammt aus der Erde, Kot oder Lehm, nämlich aus dem »Limbus Adams«. Paracelsus nennt diesen Leib „doten leip“131 oder „corper der erden und von der erden“. 132 Dagegen stammt der neue Leib aus dem »Limbus Christi«. Darum sind der alte und neue Leib mit dem paracelsischen Terminus Technicus »Limbus« eng verbunden. Daraus folgt, dass der alte Leib von Gott, dem Vater, geschaffen wird und der neue Leib durch Gott, den Sohn. An dieser Stelle zeigt sich der Einfluss gnostischen Gedankenguts. Jedoch unsterscheidet sich Paracelsus von ihm in dem Sinne, dass er in der Auffassung über dem »Limbus Christi« und den neuen Leib auf die Leiblichkeit nicht völlig verzichtet. Wie Kämmerer darauf hingewiesen hat, steht die paracelsische Auffassung über den »Limbus Christi« und den neuen Leib mit seinem Marienverständnis im engen Zusammenhang:133 127 128 129 130 131 132 133 Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 15. Vgl. ders., S. 19; Kurt Goldammer, Paracelsus. Natur und Offenbarung, (Heilkunde und Geisteswelt. Eine medizinische Schriftenreihe, Bd. 5, hg. v. Johannes Steudel). Hannover 1953, S. 40–48. Paracelsus, Auslegung, S. 124. Vgl. ders., S. 124, Anmerkung d. Zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 236. Ebd. Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 18. 40 „[W]ir seindt alle aus dem leimen, darumben sollen wir den leimen nit anbeten, das ist den limbum. [27b (497b)] Christus hat sein fleisch und blut aus dem limbo, das Marien,134 und hats nit mit ihm genommen, er hats uns im testament gelassen auf erden. do warten am jungsten tag, was urtl über den leip gang, ob er den heiligen zugehor oder nit.“135 Die Schrift »Libellus de Virgine Sancta Theotoca« von 1524 verdeutlicht Paracelsus´ eigentümliche Mariologie. 136 Maria war nach Paracelsus Jungfrau vor ihrer Geburt. Unter der Jungfräulichkeit Marias versteht Paracelsus nicht den biologischen Zustand, den eine Frau aus eigenem Bemühen erhalten kann, sondern die geistige Qualität, die nur der Mutter Gottes zukommt. Darum versteht er Maria als überweltliche und übermenschliche Person. Maria existiere schon vor der Schöpfung und sei unsterblich. Sie wird somit fast als eine Göttin angesehen, die mit Gott in der Trinität verbunden ist. Nach Paracelsus sind Geist und Seele Marias in ihrem ewigen Leib vereint. Darum ist die Leiblichkeit Marias himmlische Leiblichkeit. Dieser göttliche Leib hat das Ziel, diesen Leib an ihren Sohn, Christus, weiterzugeben. Erst in ihrem irdischen Leben wird der göttliche Leib Marias sichtbar. Darum sieht Paracelsus Maria als die an, die das ewige Blut und Fleisch der Gottheit in der Welt sichtbar gemacht und damit Christus den Weg bereitet hat. Maria gibt an Christus nicht den sterblichen Leib, sondern ihren göttlichen Leib weiter. Sowohl der Leib Marias als auch der Leib Christi stammen nicht aus menschlichem Samen. Daraus folgt, dass nicht nur der Leib Marias vollkommen ist, sondern auch der Leib Christi. Hier zeigt sich der Einfluss der franziskanischen Mariologie, besonders von Duns Scotus, der aufgrund der Universalität der Erlösung die »immaculata conceptio« betonte, so dass die Scotisten bekundeten, dass Maria von Anfang an sündenlos vor allen Menschen gewesen sei.137 Von der Gottleiblichkeit Marias sind einige Charakteristika des »Limbus Christi« abzuleiten: Wie die Gottleiblichkeit Marias, die ihrem Sohn gegeben wurde, vor der 134 135 136 137 In K1 (SII, Hs. Nr. 93) steht „der Marien“ statt „das Marien“. Zu Ps 140 (141), 7b/8, PW 2/VII, S. 48. Ebd. Im Psalmenkommentar betont Paracelsus jedoch sehr stark die menschliche Seite Marias im Gegensatz zum mehr die überirdische Seite von Maria hervorkehrenden »Libellus de virgine sancta theotoca« aus der Salzburger Zeit (1525). Maria ist für Paracelsus die Magd und die höchste aller Frauen. Sie ist weder eine Göttin noch eine Königin noch eine Kaiserin, sondern nur eine Magd des Herrn, d.h. Gottes Magd. Der Psalmenkommentar steht allerdings nicht im Widerspruch zum »Libellus de virgine sancta theotoca«, weil er die Magd als die Darstellung des Gehorsams einer Frau gegenüber ihrem Mann interpretiert. Maria ist die Frau Gottes des Vaters. Sie ist Gott so gehorsam wie andere Frauen. Darum ist sie die Magd Gottes. Zu Ps 85 (86), 16, PW 2/IV, S. 162–163. Vgl. Heiner Grote, Art. Maria/Marienfrömmigkeit II, in: TRE, Bd. 22 (1992), S. 119–137, hier S. 126– 127. 41 Erschaffung der Welt und Adams existiert und mit Geist und Seele eins ist und sie dadurch nicht durch den Tod zerstört werden kann, ist auch der »Limbus Christi« nicht dem Tod verfallen. Die Gottleiblichkeit Christi und Marias wird erst sichtbar durch die menschliche Natur und das irdische Leben. Davor bleibt sie für Menschen unsichtbar. Aus den paracelsischen Schriften kann man den Grund für die Betonung Marias im Verhältnis zu Christus feststellen. In »Das Buch von der Gebärung der empfindlichen Dinge in der Vernunft« sagt Paracelsus, dass die Geburt des Menschen der Samen zweier Personen anders als die Geburt des unvernünftigen Wesens bedarf, weil der einzelne Same in sich selbst nicht vollständig ist.138 Damit argumentiert er in »Liber de trinitate«, dass die Geburt Christi innerhalb der Trinität die Teilnahme Gottes in zwei Personen, in Gott, den Mann und Gott, die Frau als seine Gemahlin erfordert. Von diesen beiden wurde der Sohn Gottes geboren.139 Insofern Paracelsus einerseits Christus als eine volle Offenbarung Gottes anerkennt, den »Limbus Christi« vom »Limbus Adams« wesensmäßig abhebt und das Fleisch Christi als himmlisch ansehen will und er sich andererseits Maria als »Theotokos« nicht versagt, muss er Maria als »virgo immaculata« himmlische Substanz zuschreiben und sie vor Adam existieren lassen. In der Reformationszeit beschreiben Kaspar von Schwenckfeld und Melchior Hoffmann ebenfalls den himmlischen Leib Christi, den Paracelsus auf den ewigen Leib bezieht. Während Paracelsus den himmlischen Leib Christi sowohl Maria als auch den Christen zuschreibt, legen die beiden noch mehr den Akzent auf den himmlischen Leib Christi als seine göttliche Natur in Bezug auf die Soteriologie, wie Valentinianer, Apollinaris, Julian von Halikarnass und Hilarius in der alten Kirche durch die Betonung des himmlischen Leibes die Menschheit Christi bestritten. 140 Schwenckfeld und Hoffmann heben die Sündenlosigkeit Christi durch die Betonung dessen himmlischen Leibes hervor. Für sie gehört der himmlische Leib nur Christus. Weil nur die völlige Sündenlosigkeit Christi das Heil garantieren kann, lehnt Hoffman die Abstammung aus dem sündigen Adamssamen ab und nimmt einen von der Erbsünde freien himmlischen 138 139 140 Vgl. Paracelsus, Das Buch von der Gebärung der empfindlichen Dinge in der Vernunft. (Von Gebärung des Menschen. Von des Menschen Eigenschaften), in: PW 1/I. München und Berlin 1922, hier S. 262– 263. Vgl. Paracelsus, Liber de Sancta Trinitate, in: PW 2/III. Stuttgart 1986, S. 233–266, hier S. 244–246. Vgl. Hans Joachim Schoeps, Vom himmlischen Fleisch Christi. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung. Tübingen 1951, S. 5–18. 42 Leib Christi an. Im Gegensatz zu Paracelsus, der Christus und Maria die himmlische Leiblichkeit zuschreibt, um die himmlische Leiblichkeit Christi festzuhalten, versagen die beiden Maria die göttliche Leiblichkeit. Für sie gilt Maria nur als ein Mensch. Schwenckfeld teilt die Auffassung der katholischen Kirche, dass Maria durch die Wiedergeburt aus dem Glauben von der Sünde frei geworden sei, so dass das aus ihr stammende Fleisch Christi ein Fleisch ohne Sünde gewesen sei. 141 Dagegen verneint Hoffmann, dass Christus aus Maria sein Fleisch angenommen hat, weil er meint, dass Christus nur eine Natur mit himmlischem Fleisch hat.142 Er hält jedoch an der wahren Menschwerdung Christi fest, wenn er betont, dass das Wort Gottes selbst im Leib der Maria durch den Heiligen Geist ohne Mitwirkung Marias Fleisch geworden ist. In diesem Sinne sieht Schoeps Hoffmann als den reinsten „Valentinianer“ des Reformationszeitalters an. 143 Für Schwenckfeld hat der Wiedergeborene eine reale Mitteilung des göttlichen Wesens in sich, indem der auferstandene Christus ihn von den Sünden frei macht und ihm den Heiligen Geist gibt.144 Dagegen betont Paracelsus die beiden Leiblichkeiten des himmlischen Leibes Christi und des Christen. Der ewige Leib des Christen ernährt sich vom Abendmahl Christi und wächst unter der Hülle des alten Leibes. In dem Sinne, dass die Leiblichkeit des himmlischen Leibs betont wird und zugleich sowohl Maria und Christus als auch den Christen zugeschrieben wird, ist die paracelsische Auffassung über den ewigen himmlischen Leib einzigartig im Reformationszeitalter. „[D]arumb so ist der leib nix: so er schon geschlagen wird, noch ist gottes tabernacul nit troffen. so der mensch ermort wird, getot, noch ist der tabernacul ungedott. dem mag niemant nix tun. das ist auch ein weissagung, daß wir den corper nit sollen fur ein tabernacul halten, sunder den neuen leip, den niemants sicht, den Christus speist. derselbig ist der tabernacul. darumb seindt die doten leip nit tabernacul gots, sunder corper der erden und von der erden, in dem der ewig gelebt hat.“145 Der neue Leib gilt Paracelsus als „gottes tabernacul“. Dadurch ist der neue Leib auch mit dem Kirchenverständnis des Paracelsus verbunden. Denn Gott wohnt weder in dem 141 142 143 144 145 Vgl. ders., S. 29. Vgl. ders., S. 38–39. Vgl. ders., S. 45. Vgl. ders., S. 30–31. Zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 236. 43 alten Leib noch in der Mauerkirche, sondern im neuen Leib. 146 Darunter versteht Paracelsus die Kirche nicht als Institution für die Heilsvermittlung, sondern als spiritualistische Kirche, als eine Person, in der Gott wohnt. Aufgrund dieses Charakters, dass der neue Leib unsterblich und eine Stätte Gottes ist, sieht Paracelsus den neuen Leib als das Wesen an, das der von Gott stammenden Seele ebenbürtig ist. Außerdem setzt Kämmerer die Seele dem ewigen Leib gleich. Er ist der Meinung, dass Paracelsus seine Gedanken über den ewigen Leib unscharf formulierte. Darum scheint außer im Kommentar zu Ps 90 (91), 10 nach Kämmerer der „ewige Leib“ an die Stelle der Seele zu treten. Daraus folgert Kämmerer eine Gleichsetzung dieses Begriffes mit der Seele. 147 Dagegen ist einzuwenden, dass Paracelsus im Psalmenkommentar verdeutlicht, dass der ewige Leib der Träger der Seele sei.148 Der ewige Leib wird nach Paracelsus in der Taufe gegeben und durch das Fleisch und Blut Christi gespeist. Dadurch wächst er unter der Hülle des irdischen Leibs. Deshalb kann man m.E. den Begriff „ewiger Leib“ nicht durch den Begriff »Seele« ersetzen. In dem Argument Kämmerers selbst ist ein Widerspruch vorhanden: Denn er behauptet, dass eine geistleibliche Einheit in der Auffassung des Paracelsus über den Limbus betont werde, und er erkennt sogar diese Einheit als das Entscheidende an. 149 Außerdem sieht Kämmerer die Bedeutung des Abendmahls gerade darin, dass eine neue Einheit von Leib und Seele geschaffen werde. Wenn aber der ewige Leib der Seele gleichgesetzt würde, dann könnte eine geistleibliche Einheit für den Menschen, der mit dem ewigen Leib in den Himmel aufsteigt, nicht behauptet werden, weil er dann nur noch einen ewigen Leib, der im Grunde dann die Seele wäre, hätte. 1.2.2.4 Die Beziehung von Taufe, Wiedergeburt und Abendmahl zum Limbus Taufe, Wiedergeburt, Abendmahl und der »Limbus Christi« gehören bei Paracelsus eng zusammen: Der Mensch soll in Christus wieder geboren werden. Durch den Heiligen Geist kann die Wiedergeburt des Menschen in der Taufe geschehen.150 Dadurch erhält er 146 147 148 149 150 Vgl. zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 235–236; zu Ps 138 (139), 5–8, PW 2/ VII, S. 7–11. Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 19. Vgl. zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 236. Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 16. Vgl. zu Ps 115 (116b), 13, PW 2/ V, S. 216–217; zu Ps 102 (103), 5, PW 2/IV, S. 338. 44 eine neue Kreatur aus dem »Limbus Christi« und ist nicht mehr die alte Kreatur.151 Die neue Kreatur kann durch das Fleisch und Blut Christi beim Abendmahl gestärkt werden.152 „[D]ás ist der best weiz, Christus; dás ist das best honig, sein plut, das von disem felsen lauft und vergossen ist. in dem mussen wir gespeist werden und in keim andern. wie der weiz unser leip ist, also ist der weiz der leip Christi, und wir mussen ihn suchen, und er speiset in uns als ein neu geschepf. die speis er selbst ist. dann Adams limbus ist dot in Christo; sein speis, so aus seim limbo get, ist auch dot. lebendig ist Christus, der limbus auch.“153 Beiden Leibern ist gemein, dass sie ernährt werden müssen. Während der alte Leib sich durch natürliche Nahrung ernähren muss, muss der neue Leib mit dem Leib und dem Blut Christi versorgt werden. Die Speise des neuen Leibes ist Christus selbst. Nur von Christus kann der neue Leib leben. Darum ist der neue Leib eng mit dem Abendmahl verbunden. Beide Leiber koexistieren in ihrem irdischen Leben. Im alten Leib auf der Erde lebt der neue Leib schon durch die Speise Christi. Der neue Leib wächst unter der Hülle des Sterblichen der Ewigkeit entgegen. Die beiden werden erst durch den Tod voneinander geschieden. Der neue Leib bleibt weiter im Reich Gottes. Der neue Leib kann aus dem »Limbus Christi« ewig existieren, weil Christus und sein Limbus lebendig und ewig bleiben. Paracelsus zeigt deutlich die Herkunft und Begrenztheit des alten Leibes und dessen Überwindungsmöglichkeiten durch Christus und dessen Abendmahl, indem er den doppelten »Limbus Adams« und »Limbus Christi« betont. Wie Kämmerer mit Recht argumentiert, besteht die Bedeutung des Abendmahls darin, dass eine neue Einheit von Leib und Seele geschaffen wird.154 In der Sichtweise des Paracelsus ist diese Einheit schon in Maria verwirklicht worden, bevor sie sich in Christus ereignete. Durch die Taufe und das Abendmahl vollendet sich diese Einheit auch im wahren Christen. 151 152 153 154 Vgl. zu Ps 86 (87), 5, PW 2/IV, S. 168. „das ist: du hast ihn allein den christen geben. denselbigen hastu ihn pflanzt. diß pflanzen ist das nachtmal. dann sein leiden und sterben ist die pflanzung des dranks, und am kreuz ist sein herbst(= Zeit der Reife, Vollendung) gewesen. von dem herbst trinken wir all“: Zu Ps 79 (80), 9, PW 2/IV, S. 101. Vgl. zu Ps 80 (81), 17, PW 2/IV, S. 119. Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 20. Die Aussage Kämmerers könnte hier dahingehend missverstanden werden, dass eine Einheit von altem Leib und Seele wieder geschaffen werde. 45 Die paracelsische Auffassung vom »Limbus Christi« weist auf die Teilnahme der Christen an der partiellen Gegenwart des Reiches Gottes auf der Erde hin, die schon im Abendmahl beginnt.155 Obwohl nach Paracelsus das Reich Gottes auf der Erde erst nach dem Gericht am Jüngsten Tag verwirklicht und den Christen letztlich das Abendmahl mit Christus offenbar wird, können die wahren Christen, die den neuen Leib aus dem »Limbus Christi« haben, durch die Speisung von Brot und Wein das Fleisch und das Blut Christi schon auf der Erde partiell neben dem sakramentalen Abendmahl genießen. 156 Darum können die neuen Geschöpfe auf der Erde durch Christus und seinen Limbus vorläufig Gottes Reich besitzen. 1.2.2.5 Einschätzung des paracelsischen Begriffs »Limbus« Paracelsus versucht, durch die Limbustheorie seine Anthropologie grundlegend zu untermauern und weiter zu führen: Nur, was vom Himmel kommt, kann auch in den Himmel gelangen. Was von der Erde kommt, bleibt auch irdisch und damit vergänglich. 157 Auf diese Weise beginnt in eschatologischer Hinsicht das Gottesreich schon hier im neuen Leib, indem der Mensch den »Limbus Christi« antizipiert.158 Dabei hat Paracelsus bei der Limbustheorie ein großes Interesse an der materiellen Dimension der neuen Kreatur, während Luther eher an der existenziellen und personal-relationalen Dimension der neuen Kreatur interessiert ist, die durch den Glauben entsteht. Darum wird aus dem Gedanken Luthers von der neuen Kreatur die Konsequenz einer Zuordnung des Menschen zu den zwei Reichen und eine Trennung des diesseitigen vom jenseitigen Leben vollzogen. Die paracelsische Auffassung vom neuen Leib aus dem 155 156 157 158 Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 18. Dieser Gedanke passt zum Weltverständnis des Paracelsus: Paracelsus unterscheidet zwischen dem unteren und dem oberen Himmel. Mit dem unteren Himmel meint er den Bereich der wahren Christen auf der Erde. In diesem Bereich kann man schon vorläufig am Gottesreich teilhaben. Paracelsus sagt jedoch deutlich, dass die wahren Christen in ihrem Leben auf der Erde nicht von der oberen Hölle, mit der der Bereich des Bösen auf der Erde gemeint ist, erlöst werden: Zu Ps 87 (88), 7, PW 2/IV, S. 174; zu Ps 106 (107), 12, PW 2/V, S. 60. Vgl. zu Ps 144 (145), 15–21, PW 2/VII, S. 78–83; zu Ps 138 (139), 8, PW 2/VII, S. 11; zu Ps 118 (119), 81–83, PW 2/VI, S. 69–73. Paracelsus versteht unter dem Gottesreich einerseits das Himmelreich, in dem Gott ist, und andererseits das Reich auf der Erde nach dem Jüngsten Tag, auf dem Christus Herr ist und wahre Christen durch ihn offenbar gespeist werden. Rudolph, Viehischer und himmlischer Leib, S. 107. Diese Sichtweise erklärt sich durch das paracelsische Verständnis des Abendmahls, das mit der paracelsischen Limbustheorie verbunden ist: Nach Paracelsus wird das Abendmahl auch in Gottes Reich gefeiert. Während er dabei das Abendmahl auf der Erde als etwas Verborgenes und Individuelles ansieht, ist für ihn das Abendmahl im Himmel etwas Öffentliches: Vgl. zu Ps 144 (145), 15–21, PW 2/VII, S. 78–83. 46 »Limbus Christi« hingegen zieht die Konsequenz einer geistleiblichen Ganzheit des Menschen nach sich und positioniert sich somit gegen eine Zweiteilung des Menschen in ein weltliches und ein geistiges Reich.159 Kämmerer erklärt deshalb mit Recht, dass Paracelsus versuche, durch seine Limbustheorie eine Verknüpfung naturphilosophischer Spekulationen mit dem biblisch-christlichen Schöpfungsgedanken herzustellen.160 1.2.3. Das Verhältnis von Leib und Seele: Die geistleibliche Ganzheit anhand von Ps 102 (103), Ps 118 (119) und Ps 143 (144) Paracelsus sieht den Menschen im Grunde als ein Kompositum an. Das Kompositum gilt sowohl für den menschlichen Aufbau von Leib und Seele als auch für die Persönlichkeit und für die menschliche Abkunft vom Irdischen und vom Himmlischen, der Erde und dem Himmel. 161 Dies kann besonders gut anhand der Psalmenkommentare zu dem Psalmen 102 (103), 118 (119) und 143 (144) verdeutlicht werden. Leib und Seele bilden zusammen auf der Erde die geistleibliche Einheit. Dabei spielt die Vorstellung von einer Vermählung eine große Rolle: Die Seele vermählt sich mit dem Leib auf der Erde und dadurch werden sie zu einem „ding“. „[D]aß aber David den leip veracht, ist billich, dann er ist nichs. dieweil er aber vermehlet ist der seel, so ist er gleichmeßig der seel und ist éin geist, beid, der leip und die seel. solch vermehlung sicht got an in allen den dingen, so die seel berurt.“162 Durch die Vermählung werden Leib und Seele so eng verbunden, dass sie alle Ereignisse miteinander zusammen erleben müssen. Was dem Leib geschieht, geschieht auch der Seele und umgekehrt. Obwohl Paracelsus an anderen Stellen sagt, dass der Leib nichts wert sei und der Mensch durch seinen Leib und durch die leiblichen Dinge das Heil nicht bekommen könne und sich bemühen solle, über das Opfer des Leibes das Heil der Seele zu bewahren, betont er hier die Einheit, durch die der Leib und die Seele gemeinsam ihre Ereignisse erleben, die einer von beiden wirkt. So kann die Seele auch mit den leiblichen Dingen Gott loben.163 Alles, wovon der Mensch lebt, soll der Seele Anlass zum Lobe des Schöpfers sein (natürliche Arbeit, Handwerk, Kunst usw.). Dadurch erkennt Paracelsus alle körperliche Arbeit und deren Produkte als positiv an. 159 160 161 162 163 Vgl. Rudolph, Einige Gesichtspunkte, S. 51. Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 16. Vgl. Goldammer, Das Menschenbild, S. 209; ders., Paracelsus als Sozialethiker, S. 34–58. Zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 61. Zu Ps 102 (103), 2–3, PW 2/IV, S. 336. 47 Gleichzeitig ist diese Einsicht Ursache für seine Ablehnung von Wucherern und Zinsnehmern.164 Obwohl er den Leib auf Grund seiner Herkunft gering schätzt, wertet er ihn durch die Vermählung mit der Seele auf. Daraus ergeben sich aber auch Gefahren für die Seele: Durch die Vermählung mit dem Leib kann sie durch diesen beeinflusst werden und zur Sünde neigen. Denn die geistleibliche Ganzheit ist nicht eine Einheit, in der der je eigene Charakter von Leib und Seele aufgelöst wird und beide gar keinen eigentümlichen Charakter mehr haben. Vielmehr beeinflussen sie sich durch ihre eigenen Charaktere gegenseitig. Der Leib ist triebhaft und gierig und eine Ursache der Verführung. Inwiefern er die Seele beeinflussen kann, wird bei Paracelsus nicht ganz deutlich: Einerseits sagt Paracelsus, dass äußerliche Dinge oder ein Mensch der Seele nicht schaden können. Andererseits warnt er, dass durch die Sünde die Seele fallen könnte. Diese geistleibliche Einheit gilt nur auf der Erde und wird durch den Tod getrennt.165 Aber der paracelsische Gedanke von der Ganzheit von Leib und Seele führt ihn zu einem Ansatz seiner Vorstellungen über den ewigen Leib. Denn Paracelsus setzt die geistleibliche Ganzheit auf der Erde mit der im Himmel parallel: Wie der Mensch auf der Erde als die Ganzheit von vergänglichem Leib und unvergänglicher Seele angesehen wird, so kann er im Himmel als die Ganzheit von ewigem Leib und ewiger Seele angesehen werden. Dies fügt sich gut in die biblische Vorstellung ein, dass der auferstandene Mensch im Himmel auch einen Leib habe.166 Aus seiner Vorstellung von der geistleiblichen Einheit folgert Paracelsus, dass der Mensch eigenständig und individuell verantwortlich sei für sein Heil oder seine Strafe. 167 Der Mensch stehe allein Gott gegenüber. Niemand könne für sich einen Stellvertreter vor Gott bestimmen. Die Strafe Gottes träfe den Sünder, nicht einen anderen. Indem Paracelsus betont, dass Leib und Seele in gleicher Weise für ihre Taten die Folgen erleiden müssen, betont er die Eigenständigkeit und die individuelle Verantwortlichkeit des Menschen. Er beschreibt diesen Gedanken aber nicht ausführlich. 164 165 166 167 Vgl. zu Ps 103 (104), 33–34, PW 2/V, S. 18–19. Vgl. zu Ps 143 (144), 1, PW 2/VII, S. 55. Vg. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 19; zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 236, Anmerkung d. Vgl. zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 61. 48 Aus seiner Konstruktion der geistleiblichen Einheit erklärt sich nun, warum Paracelsus neben seiner dualistischen Anthropologie vom Menschen als geistleiblicher Ganzheit spricht: Durch diese Auffassung der Ganzheit von Leib und Seele scheint Paracelsus die individuelle Verantwortlichkeit des Menschen für die Sünde und seine eigenen Taten zu betonen. Er argumentiert, dass der Mensch aus dem Leib, der das Subjekt des eigenen Handelns ist, und der Seele, die die Instanz der menschlichen Bestimmung und die Empfängerin der Gotteserkenntnis ist, besteht. Darum versteht Paracelsus den Menschen als jenes Individuum, das vor Gott die Verantwortung für die Folgen seiner Taten tragen kann und soll. Zudem bezieht Paracelsus die geistleibliche Ganzheit auf den neuen Auferstandenen: Ein Mensch in der Auferstehungswelt ist auch als eine Ganzheit von einem ewigen Leib und einer Seele zu verstehen. Wie Kämmerer drei Gründe für die Verwendung des Begriffes „ewiger Leib“ anführt, 168 könnte die Betonung des ewigen Leibes die paracelsische Intention sein, die Kontinuität sowohl der Einheit von ewigem Leib und Seele in der Auferstehungswelt wie auch die Einheit von Leib und Seele auf der Erde zu betonen. Rudolph beschreibt zwei wesentliche Grundsätze bei Paracelsus: 1) Nichts, das nicht vom Himmel kommt, kommt in den Himmel. 2) Der Mensch kommt leiblich in den Himmel. 169 Der erste Grundsatz beruht auf Joh 3, 13. Durch ihn wird die Auffassung über den alten und neuen Leib entwickelt. Im Vergleich dazu bewirkt der zweite die Kontinuität der geistleiblichen Einheit des Menschen, weil der ewige Leib nach Paracelsus unsterblich ist und mit der Seele in den Himmel gelangen kann. Hier scheint das eigentliche theologisch-anthropologische Ziel des Paracelsus zu liegen, das für ihn Gott bei der Erschaffung des Menschen gehabt hat: Gott hat den Menschen mit Leib und Seele geschaffen. Diese Einheit soll der Mensch beibehalten und in dieser Einheit vor Gott stehen. Sie wird jedoch durch den Sündenfall nicht immer bewahrt. Der Mensch kann sich mit dem irdischen Leib nicht in den Himmel begeben, weil dieser 168 169 Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 20. 1) Christus hat der Seele einen neuen Leib, den ewigen, gegeben, weil der Mensch leiblich im Himmel sein soll und hat beide wieder vermählt. Denn die Auferstehung bedeutet, dass nicht Geist oder Seele allein, vor allem ohne das Fleisch von Adam, den Himmel erreichen, sondern mit dem neuen Leib. 2) Denn durch Fleisch und Blut soll der Mensch sich von den Engeln unterscheiden. 3) Die Intention der Verwendung des Begriffes „ewiger Leib“ ist, Raum für den Gedanken des Wachsens zu lassen. Rudolph, Hohenheim´s Anthropology, S. 192. 49 Leib durch den Tod zerstört wird. Darum braucht der Mensch den neuen unsterblichen Leib, um die geistleibliche Einheit zu erhalten. Mit dem ewigen Leib kann er nach dem Tod vor Gott treten. Paracelsus bezieht den ewigen Leib mehr auf den verklärten Leib Christi. Schießlich bewährt sich die geistleibliche Einheit kontinuierlich auf der Erde und im Himmel, wenn der Mensch mit dem ewigen Leib in Christus auferstanden sein wird. Trotz der Abwertung des Leibes will Paracelsus im Psalmenkommentar nicht völlig auf die leibliche Seite des Menschen verzichten. Ein Grund für eine solche Haltung scheinen seine persönlichen Erfahrungen, die er als Arzt und Naturforscher gemacht hatte, zu sein. Wegen seines großen Interesses an der Natur fasziniert ihn bei seiner Limbustheorie besonders die materielle Dimension der neuen Kreatur. Aus diesen Gründen plädiert Paracelsus für die geistleibliche Ganzheit in der Auferstehungswelt. In diesem Zusammenhang erklärt sich, dass Paracelsus im Psalmenkommentar oft Menschen von Geistern unterscheidet, die keinen Leib haben.170 Trotzdem lässt sich auch im Psalmenkommentar die Aussage finden, dass nur die Seele vor dem Gericht Gottes über ihre Sünde Rechenschaft ablegen soll. Diese widersprüchlichen Auffassungen lassen sich nur schwer in einem Schema harmonisieren. 1.2.4 Der Geist anhand von Ps 118 (119) und 143 (144) Wie bereits erwähnt, verwendet Paracelsus bestimmte Begriffe auf seine eigene Weise, um seine Gedanken zu verdeutlichen. Das gilt auch für den Begriff »Geist«. Die Vielschichtigkeit des Geistbegriffes macht es jedoch schwer, seine Bedeutung im paracelischen Text genau zu fassen. Kämmerer stellt fest, dass Paracelsus im wesentlichen Geist mehr im Sinne einer Funktion des Leibes als im Sinne eines selbständigen Bereiches gedacht hat und dazu neigt, dem Leib innewohnende Kräfte als »Geister« zu bezeichnen.171 Metzke hingegen 170 171 Vgl. zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 103; zu Ps 118 (119), 115, PW 2/VI, S. 92; zu Ps 118 (119), 124, PW 2/VI, S. 100; zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 103. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 28, 30. Kämmerer erwähnt die vielseitigen Bedeutungen der paracelsischen Geistbegriffe in seiner Dissertation. Zuerst unterscheidet er zwischen fünf großen Gruppen. In der ersten Gruppe wird »Geist« als gestaltende Lebenskraft angesehen. Dazu gehören »Geist« als der Verstand, welcher als das dem Menschen Spezifische und als der siderische Leib, der im Gegensatz zum irdischen Leib unsichtbar ist und aus den Gestirnen stammt, zu verstehen ist. Zur zweiten Gruppe gehört »Geist« als Geistwesen, als Erscheinung eines Verstorbenen oder als die dem Leib innewohnenden Kräfte. In der dritten Gruppe wird »Geist« als die Wirkkräfte einer Materie 50 sieht im »Geist« die natürliche Wirklichkeit: »Geist« sei für Paracelsus die Dimension der unergründlichen Wirkkräfte zwischen Mensch und Mensch, die aus dem Wurzelgrund des Willens als des subjektiv-geistigen Existenzzentrums stammen und in das Dasein eingreifen.172 Pagel wiederum sieht den »Geist« als den Astralleib an, der tote Dinge lebendig mache. Er rückt »Geist« mehr in die Nähe des Willens als der Vernunft. 173 Hier werden die Schwierigkeiten beim Versuch, die verschiedenen paracelsischen Geistbegriffe zu verstehen, deutlich. Darum sieht Goldammer in dem Leib-Seele-Geist-Problem des Paracelsus eine unvollständige Lehre.174 1.2.4.1 »Geist« als Oberprinzip der leibseelischen Ganzheit Folgende Geistbegriffe kommen im Psalmenkommentar in der Auslegung von Ps 118 (119) und 143 (144) vor: Zuerst »Geist« als Oberprinzip der leibseelischen Ganzheit: „[D]aß aber David den leip veracht, ist billich, dann er ist nichs. dieweil er aber vermehlet ist der seel, so ist er gleichmeßig der seel und ist éin geist, beid, der leip und die seel. solch vermehlung sicht got an in allen den dingen, so die seel berurt.“175 Durch die Vermählung von Leib und Seele werden beide „éin geist“. Hier bedeutet „éin geist“ das Oberprinzip der leibseelischen Ganzheit. Mit »Geist« meint Paracelsus einen lebendigen Menschen, der Leib und Seele besitzt. Wie oben erwähnt sieht Paracelsus 172 173 174 175 verstanden. In diese Gruppe wird die Arznei als »Geist« eingeordnet, die als ein „spiritualisch ding“ oder als „ein geist, der da subtil durchgang den ganzen leib“, bezeichnet wird: Paracelsus, Das neunte Buch in der Arznei, von Ursachen und Kuren der Kontrakturen und Läme, in: PW 1/II. München und Berlin 1930, S. 457–486, hier S. 473; ders., Zwei Bücher von der Pestilenz und ihren Zufällen, Nördlingen 1529 oder 1530, in: PW 1/VIII. München 1924, S. 369–395, hier S. 383; ders., Das zweite Buch der Großen Wundarznei, 1536, in: PW 1/X. München und Berlin 1928, S. 215–422, hier S. 307; ders., Drei chirurgische Bücher (3.–5.), in: PW 1/X. München und Berlin 1928, S. 499– 538, hier S. 516; ders., De Meteoris, ein Buch in 10 Kapiteln: „Liber meteororum“, in: PW I/XIII. München und Berlin 1931, S. 125–208, hier S. 191. In der vierten Gruppe wird »Geist« in Bezug auf die Melancholiker als das verstanden, was Gemütslage, Gestimmtheit, Temperament beeinflusst. Schließlich wird in der fünften Gruppe der Heilige Geist behandelt. Die Einordnung des Paracelsus ist allerdings nicht systematisch. Innerhalb einer Gruppe werden durchaus gegensätzliche Begriffe vorgestellt: Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 29–31. Erwin Metzke, Mensch, Gestirn und Geschichte bei Paracelsus, in: Blätter für Deutsche Philosophie 15, (1941/42), S. 240–306, [wieder abgedruckt in: ders.: Coincidentia Oppositorum. Gesammelte Studien zur Philosophiegeschichte (Forschungen und Berichte der evangelischen Studiengemeinschaft, Bd. 19, hg. v. Günter Howe). Witten 1961, S. 59–116], hier S. 277f, 284. Walter Pagel, Das medizinische Weltbild des Paracelsus. Seine Zusammenhänge mit Neuplatonismus und Gnosis, (Kosmosophie, Bd. 1, hg. v. Kurt Goldammer). Wiesbaden 1962, S. 38, 49, 54, 116, 118. Vgl. Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 73. Zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 61. Paracelsus benutzt das Wort »Geist« als Oberprinzip von Leib und Seele in Psalmenkommentar zu Ps 102 (103), 1–3 (PW 2/IV, S. 335), zu Ps 129 (130), 2b (PW 2/VI, S. 197), in »De animabus hominum post mortem apparentibus« (PW 1/XIV, S. 301). „Der Geist ist der Seelen Seel“ steht in »Philosophia sagax« II, 1 (PW 1/XII, S. 287ff). 51 den Menschen als leibseelische Ganzheit. Dafür benutzt er das Wort »Geist«. Diese Auffassung erinnert an Gen 2, 7. Der Wortgebrauch erscheint ungewöhnlich. Obwohl Paracelsus das Wort »Geist« vielfältig benutzt, passt es m.E. in diesem Fall nicht. 1.2.4.2 »Geist« als Erscheinung der Verstorbenen Im Kommentar zu Ps 118 (119), 129 nennt Paracelsus einen verstorbenen Menschen »Geist«. „nun was ist ein geist? ein gestorben mentsch. was ist ein deufel? ein abgestoßener engel vom himel.“ 176 Waltershausen erklärt die Entstehung dieser Verwendung des Geistbegriffes unter der Voraussetzung, dass ein solcher Geist sich auf den siderischen Leib beziehe:177 Während der elementarische sichtbare Leib nach dem Tod ins Grab gelegt und zu Staub werde, bewege sich der siderische Leib durch den Tod als Geist und erscheine an allen Orten. Paracelsus teilt hier auch den Volksglauben an die umherirrenden Geister der Verstorbenen. Die Betrachtungsweise des Paracelsus unterscheidet sich aber auch von der damaligen Vorstellung: Paracelsus sieht diese Geister nicht als die Menschen selbst oder als ihre unsterblichen Seelen, sondern als den siderischen Leib der Verstorbenen, der durch die Trennung vom Körper als das tote Spiegelbild des Lebenden sein Schattenspiel treibe. Dadurch hänge das Gemüt und das Herz des lebenden Menschen an einem solchem Geist. Im Psalmenkommentar sind jene Geister falsche Geister, die falsche Christen auf der Erde gewesen sind und nach dem Tode falsche Zeichen und Wunder vollbringen:178 „[D]ann daß diejenigen, so auf erden falsche propheten seindt und falsch christen, nach irem tod zeichen tunt aus kraft der geist, die sie seindt und ihm muglich ist.“179 Paracelsus sieht einen solchen Geist als übernatürliches Wesen an, da er von seinem Leib getrennt wird. Er kann als übernatürliches Wesen alles wissen und auch Wunder und Zeichen tun: 180 „[D]ann so die seel vom leip kompt, so ist dem geist das alles muglich und wissentlich.“181 Geister können aber nicht alle Arten von Wundern tun, da ihnen Grenzen gesetzt sind: Ihre Wunder können zwar dem Leib helfen: z.B. eine 176 177 178 179 180 181 Zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 103. Waltershausen, Paracelsus am Eingang, S. 47–48. Es findet sich eine ähnliche Auffassung mit Gedanken von Waltershausen im Psalmenkommentar zu Ps 107 (108), S. 5. Zu Ps 118 (119), 115, PW 2/VI, S. 92; zu Ps 118 (119), 124, PW 2/VI, S. 100. Zu Ps 118 (119), 116, PW 2/VI, S. 92. Zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 103. Zu Ps 118 (119), 115, PW 2/VI, S. 92. 52 Krankheit heilen. Aber sie können nicht der Seele helfen, d.h. den Menschen nicht selig machen. 182 Darum schätzt Paracelsus die Wunder der Geistwesen gleich der Wirksamkeit des Geistes als Wirkungskräfte der Materie ein. Für Paracelsus sind die Wunderzeichen der Geister nicht göttlich. »Göttlich« bedeutet, was ohne Vermittlung von geschaffenen Zwischenwesen durch Gott selbst geschieht. Das Zeichen von der Kreuzigung Christi allein ist in diesem Sinne göttlich. 183 Die Geister können zwar Wunder tun, aber nicht zum Glauben an Christus führen. 184 Die leiblichen Wunder geben nur Erkenntnis von Gottes Geschöpfen, nicht aber von Gott selbst.185 Paracelsus ist der Meinung, dass solche Wunderzeichen gut seien, wenn sie den Leib heilen und ihm helfen. Böse seien sie, wenn sie die Menschen das Wort Gottes vergessen lassen und zur Abgötterei führen.186 Nach Paracelsus geben sich die falschen Geister als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen aus und legen das Wort Gottes nach ihrem Gutdünken aus, so dass sie die Menschen von Gott abweichen lassen und zu abgöttischem kirchlichen Brauchtum und Wunderzeichen führen, die die Menschen nicht selig machen.187 Darum soll der Christ die Wunderzeichen überspringen und im Wort Gottes bleiben.188 In diesen falschen Geistern sieht Paracelsus eine der Ursachen von kirchlichen Missbräuchen, da diese durch ihre Wundertaten die Menschen in die Irre geführt haben.189 1.2.4.3 »Geist« als Wirkkraft Paracelsus bezeichnet auch die Wirkkraft in der Materie als »Geist«. Unter diesem »Geist« versteht er, was der Mensch zwar nicht sehen kann, aber dennoch eine bestimmte sichtbare Wirkung hat. Nach dieser Vorstellung kann überall »Geist« sein: In Kräutern, Steinen, im Firmament, in der Luft und im Menschen. 182 183 184 185 186 187 188 189 Zu Ps 118 (119), 116–117, PW 2/VI, S. 93. Zu Ps 118 (119), 117, PW 2/VI, S. 94. Zu Ps 118 (119), 116, PW 2/VI, S. 92. Zu Ps 118 (119), 114, PW 2/VI, S. 91. Ebd. Zu Ps 118 (119), 114–115, PW 2/VI, S. 91–92. Ebd. Paracelsus versteht hier, für ihn typischer Weise, unter dem Wort Gottes Christus: Zu Ps 106(107), 20, PW 2/V, S. 65; zu Ps 140(141), 2, PW 2/VII, S. 41–42. Zu Ps 118 (119), 123, PW 2/VI, S. 99–100; zu Ps 118 (119), 115, PW 2/ VI, S. 92; zu Ps 118 (119), 133, PW 2/VI, S. 108. 53 „[D]ann secht, wie ein gedanken im kopf gang, den niemants sicht noch spurt, und wirkt doch in den leuten. das ist uf die geist geredt, daß sie also all falsch seindt; dann sie und ir gedanken ist éin ding, darumb ist es éin geist. nun secht hierin ein solch exempel: ir secht, was auf erden wechst, die geist die uns helfen, hingegen die uns doten, die uns wol wollen, die uns übel wollen, - und wachsen im garten. so nun solchs im garten wechst, so wissen auch in den geisten: vil seindt, die uns woll wollen, vil, die uns übel wollen; uns aber es ist alles gift, sie wollen was sie wollen, so ist es alles gift und gall.“190 Solcher Geist kann für Menschen gut oder böse sein. Darum soll eine solche Wirkkraft vorsichtig benutzt werden. Es handelt sich bei ihr nicht um eine göttliche Kraft, die unmittelbar von Gott kommt, und ihr Einfluss ist begrenzt. Mit dieser Wirkkraft kann man die Erlösung nicht erhalten. Darum soll man den Schöpfer, Gott, der hinter dieser Wirkkraft steht, suchen. 1.2.4.4 Der Geist des Lebens „[S]o secht ir am tod: er nimbts wieder, und der geist, das ist der geist des lebens, get wieder zu dem, von dem er kommen ist.“191 Hier setzt Paracelsus den Geist mit der Seele gleich. Der Geist des Lebens wird hier als das dargestellt, was ein menschliches Leben ermöglicht. Zudem ist er im Verhältnis zu Gott zu sehen. Der Unterschied zwischen Natur und Naturwesen einerseits und dem Menschen andererseits ist, dass jene keine unsterbliche Seele haben, der Mensch aber die von Gott eingehauchte Seele oder den »Geist« besitzt. Er kann damit unmittelbar an Gott partizipieren, während die Natur nur mittelbar an Gott partizipieren kann. Hier beschreibt Paracelsus im Gegensatz zur Schilderung des Zwischenzustands nur allgemein, wie der Geist oder die Seele zu Gott eingehen.192 1.2.4.5 Der Geist als der Atem der Seele „[A]lso David tut sein mund auf und zeucht an sich den geist, das ist den atem der seel, dann dieweil er begert die gebot gottes.“193 Auf Grund dieser Sätze versteht Kämmerer den Geist bei Paracelsus als das dem Menschen Spezifische, das von Gott gegeben werde und nach dem Tode wieder zu Gott zurückkehre. Er setzt dies der Seele gleich.194 Aber unter dem „atem der seel“ kann im Kontext dieses Satzes auch der Heilige Geist verstanden werden. Denn Paracelsus legt 190 191 192 193 194 Zu Ps 118 (119), 118, PW 2/VI, S. 94–95. Zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 102. Vgl. 1.2.1.3. Der Zwischenzustand. Zu Ps 118 (119), 131, PW 2/VI, S. 106. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 29. 54 ‚atam heben’ in dem Vers dahingehend aus, dass Gott den Menschen unsichtbar erleuchte. Durch diese Erleuchtung Gottes habe David zwischen der Gerechtigkeit Gottes und dem Falschen unterscheiden können, was das wesentliche Merkmal der Erleuchtung durch den Heiligen Geist darstelle.195 Paracelsus befasst sich mehrmals mit diesem Thema. Insbesondere lehnt er eine Vermittlungsinstanz oder einen Vermittler ab, der dem Menschen das Wort Gottes erleuchten kann. Er betont, dass Gott mit dem Menschen in direkten Kontakt treten Vermittlungsinstanzen an Gott wenden solle. wolle 196 und der Mensch sich ohne Darum scheint hier der Heilige Geist wichtig zu sein. Mittels der Erleuchtung durch ihn kann der Mensch erkennen, was für die ewige Seligkeit wichtig oder richtig ist. 1.2.4.6 Der Geist als Vernunft „[I]ch weiß den tag, wie es zu wird gohn, und hab nix darinen vergessen. nun aber in mein geist ist er aus, aber er ist noch nit geschehen. [...] darumb such auch David, deinen Knecht, auf das daß es zum end gang, wie ichs im geist weiß und verstand;“197 Ähnlich dem dreiteiligen anthropologischen Schema des Paracelsus, das aus dem irdischen Leib, dem siderischen Leib und der Seele besteht, lässt sich im Psalmenkommentar eine Dreiteilung des Menschen verzeichnen, nämlich die in Leib, Seele und Geist. Der Geist kann dabei als Vernunft verstanden werden. Die Vernunft wird im folgenden Abschnitt ausführlich behandelt. Daneben enthält das Wort »Geist« bei Paracelsus noch weitere Bedeutungen.198 1.2.4.7 Die zentrale Aufgabe des Menschen Für Paracelsus ist die ewige Seligkeit des Menschen Dreh- und Angelpunkt seiner Theologie. Allerdings wird nach Paracelsus das menschliche Leben beständig vom Teufel versucht. Anfechtungen gibt es überall. Überall gibt es aber auch »Geist«, bzw. Geister – im Himmel, in der Luft und in den Kräutern. Durch diese Geister kann der Mensch zur ewigen Verdammnis verführt werden. Darum ist es für Paracelsus wichtig zu unterscheiden, welcher Geist zur ewigen Seligkeit führt und welcher zur Verdammnis. 195 196 197 198 Zu Ps 106 (107), 20–21, PW 2/V, S. 65; zu Ps 106(107), 34, PW 2/V, S. 72. Vgl. zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 211–213; zu Ps 118 (119), 113, PW 2/VI, S. 90; zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 102–105. Zu Ps 118 (119), 176, PW 2/VI, S. 138. Der Geist wird dem Geist Gottes gegenüber im Kommentar zu Ps 102 (103), 17a im Sinne eines „unzuverlässigen menschlichen Geist[es]“ und im Kommentar zu Ps 102 (103), 17a im Sinne einer „Tätigkeit des Menschen“ verwendet. 55 Diese Unterscheidung der Geister ist die Hauptaufgabe des Menschen.199 Der Mensch soll zwischen den falschen verführenden Geistern und dem wahren Geist Gottes unterscheiden.200 Den falschen Geistern zu folgen, bedeutet, der Sünde zu verfallen und damit der ewigen Verdammnis. Darum ist es für den Menschen notwendig, den Geist Gottes zu haben. Die Unterscheidung zwischen falschen Wundern und von Gott gewirkten wahren Wundern kann mit Hilfe der göttlichen Weisheit getroffen werden.201 Mit der menschlichen Vernunft können diese nicht erkannt werden, weil die Wunder und Zeichen der Geister über die menschliche Vernunft hinaus gehen.202 „[D]ann sich fleist der geist und der deufel, daß sie sich zun menschen halten, gelerten und ungelerten, auf daß sie ander mit ihn verdammen. darumb soll ein mensch stet und fest stohn im glauben Christi und in gottes gebott, sunst mag nit muglich sein, daß eins sich im ganzen herzen behalt.“203 1.2.5 Der Verstand, die Vernunft oder die Weisheit anhand von Ps 93 (94) und Ps 146 (147a) 1.2.5.1 Der viehische Verstand Paracelsus verwendet im Psalmenkommentar »Verstand« und »Vernunft« synonym. Im Grunde kommen, so der Psalmenkommentar, alle Weisheiten, „kunst [=Verständnis, Erkenntnis]“ und Vernunft von Gott.204 Damit meint Paracelsus, dass Gott als Schöpfer und Lenker jedem Geschöpf Verstand und Vernunft gibt. Im Psalmenkommentar konzipiert Paracelsus nun seine Auffassung über die Vernunft in engem Zusammenhang mit seinen Reflexionen über die ewige Seligkeit. Dabei wählt er ein anderes Vorgehen als in seinen naturphilosophischen Schriften. Entscheidend, ob es sich um den wahren oder falschen Verstand handelt, ist, welcher letztlich zur ewigen Seligkeit führt. Im Kommentar zu Ps 93 (94) unterscheidet Paracelsus zwischen dem christlichen und dem heidnischen Verstand. Dort nennt er den heidnischen Verstand auch angeborene Vernunft oder natürliche Vernunft. Wie der Name andeutet, besitzt der Mensch diesen Verstand von Geburt an. Darum findet er sich sowohl bei Christen als auch bei Heiden. Er führt jedoch nicht zur ewigen Seligkeit. Nach diesem Verstand zu handeln bedeutet 199 200 201 202 203 204 Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 31. Zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 102–105. Vgl.Goldammer, Das Menschenbild, S. 217. Zu Ps 118 (119), 125, PW 2/VI, S. 100–101. Zu Ps 118 (119), 145, PW 2/VI, S. 118. Zu Ps 75 (76), 5/6a, PW 2/IV, S. 4. 56 für Paracelsus, in die ewige Verdammnis zu gehen.205 Der christliche Verstand hingegen führt den Menschen zum biblischen, ethischen Leben. Dieser Verstand kann durch die Wiedergeburt empfangen werden.206 Hier wird die Beziehung dieses Verstandes zum Heil deutlich: „[E]r [Gott] hat uns vom deufel erlost, das ist widerumb eingesetzt, hat uns auch von dem heidnischen verstand genommen und uns christenlichen verstand geben und nit bei unser geborner vernunft lassen bleiben“.207 Paracelsus versteht unter dem Heil in Bezug auf den Verstand, dass Gott den Menschen nicht nur vom Teufel, sondern auch vom heidnischen Verstand befreit und einen neuen, christlichen Verstand einpflanzt, d.h., der Mensch kann mit dem christlichen Verstand erkennen, was Gott gefällt und wie ein Christ handeln soll, indem er durch den Glauben Christ wird. Der christliche Verstand ist bei Paracelsus ein Mittel zur Bewahrung des Heils. In diesem Sinne ist das Handeln des Christen wichtig für das paracelsische Heilsverständnis: Hier ist der christliche Verstand als eine Richtschnur für das Handeln des Christen zu verstehen. Durch das christliche Handeln, das durch den christlichen Verstand bewirkt wird, kann der Christ Gott loben und preisen und dadurch vor seinem Nächsten von Gott Zeugnis ablegen. „[D]arumb hat er uns erwelt und erlost und auch begabt mit der neuen geburt, als daß wir aus seiner weisheit, nit aus der unsern regieren sollen, auf daß unser nechsten umbwoner sehent die wunderbarlich gericht, so wir fueren und haben, und got darbei erkennen, preisen und loben.“208 Im Kommentar zu Ps 146 (147a) stellt Paracelsus die „viechische natur“ der Weisheit Gottes gegenüber. Gleichzeitig benutzt er die Begriffe »den tierischen und den wahren Verstand«.209 Die „viechische natur“ oder der tierische Verstand sind angeboren und werden durch die Gestirne bestimmt. 210 Diese Natur, bzw. diesen Verstand haben Menschen und Tiere gemeinsam. Hier stellt Paracelsus Tiere und die vom Antichristen 205 206 207 208 209 210 Zu Ps 93(94), 23, PW 2/IV, S. 270. Zu Ps 93(94), 19, PW 2/IV, S. 167. Ebd. Zu Ps 93 (94), 19, PW 2/IV, S. 267. Zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 96. Vgl. zu Ps 146 (147a), 9, PW 2/VII, S. 94; zu Ps 146 (147a), 10, PW 2/VII, S. 95, Anmerkung c. In der Anmerkung zu Ps 107 (108), 5 erläutert Goldammer, dass Paracelsus der Meinung ist, dass das Gestirn nur das äußere Leben des „viechischen“, animalischen Menschen beeinflusst: Zu Ps 107(108), 5, PW 2/V, S. 79–80. 57 verführten Menschen gleich,211 weil Gott seine Gnade, die Paracelsus mit der Weisheit Gottes gleichsetzt, nicht Tieren verleiht, und die verführten Menschen mangels göttlicher Vernunft verführt werden.212 Daraus kann die Konsequenz gezogen werden, dass das Brechen der Gebote Gottes ein Resultat des viehischen Verstandes darstellt, da hier der Mensch nicht der Weisheit Gottes, sondern der Natur oder der menschlichen Vernunft gefolgt ist.213 Auffälliger Weise behauptet Paracelsus aber im vorliegenden Kommentar auch, dass der Mensch mit diesem viehischen Verstand zumindest zu einfachen Erkenntnissen aus Erfahrungen kommen kann. Diese Erkenntnisse gehören demnach zur viehischen Natur. Paracelsus sieht, dass sowohl der Mensch als auch die Tiere Weisheit aus der Erfahrung ziehen.214 „[A]lso auch der, der sein weisheit aus der erfarenheit nemen will: ist auch nix, sunder gleich also, so ein hund erfart, wo man isset und wo man trinkt, dem lauft er nach, es fel oder nit, es gerat oder nit.“215 Mit dieser „weisheit aus der erfarenheit“ kann der Mensch aber weder Gott erkennen noch die Natur erforschen. Sie scheint den Instinkten näher als der Vernunft zu sein. Denn seinem Verstand sind Grenzen gesetzt. Gott allein, der alles gemacht hat, kennt die Natur der Dinge. Mit der menschlichen Weisheit hingegen ist der Mensch dem Siderischen unterworfen.216 1.2.5.2 Das Licht der Natur Im Zusammenhang mit der paracelsischen Vernunftauffassung im Kommentar zu Ps 146 (147a) wird ein besonderer Begriff verwendet: »Das Licht der Natur«, mit dem Paracelsus das Problem der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis behandelt. Der Ausdruck »Licht« ist ein uraltes Symbol für die Erfahrung des Kosmos und der transzendenten Kräfte. Es wurde im Zusammenhang mit Alchemie und Hermetik im 211 212 213 214 215 216 Vgl. zu Ps 144 (145), 16, PW 2/VII, S. 79. Vgl. zu Ps 146 (147a), 9–11, PW 2/VII, S. 94–96. Im Kommentar zu Ps 140 (141), 9 stellt Paracelsus dagegen den (tierischen) Verstand als Merkmal der menschlichen Überlegenheit gegenüber den Tieren dar. Tiere haben keinen Verstand und besitzen nur einen Leib (zu Ps 140 (141), 9, PW 2/VII, S. 49), während im Kommentar zu Ps 146 (147a) die göttliche Weisheit als das Merkmal der menschlichen Überlegenheit bezeichnet wird. Zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 96. Ebd. Ebd. Zu Ps 146 (147a), 5–9, PW 2/VII, S. 92–94. 58 Spätmittelalter verwendet. Zugleich stammt dieser Begriff aus der Bibel, dem Neuplatonismus und der Kabbala. Mit dem Begriff »das Licht der Natur« hat Paracelsus demnach eine Figur aufgegriffen, die Mystik, religiöse Metaphysik und naturphilosophische Spekulationen ihrer Zeit in sich vereint.217 Obwohl es in der Scholastik den Begriff »lumen naturae« gibt, der als Bezeichnung des natürlich-endlichen Erkenntnisvermögens der menschlichen Vernunft gilt, ist »das Licht der Natur« bei Paracelsus anders gelagert: Das »Licht der Natur« im Psalmenkommentar ist weder die angeborene Begabung des Menschen noch das, was der Mensch selbst durch Lernen erwerben kann. Es ist eine von Gott zu erwerbende Begabung und das Vermögen, sich mit der Natur auf richtige Weise zu beschäftigen.218 „[D]ann ligt David am aller meristen in disem psalmen, daß wir das liecht der natur durch got unsern herrn sollen anzunden; und daß wirs von uns selbs nit haben noch haben mugen, sunder wir mussens haben von dem, der es macht, der weist, was er gemacht hat.“219 Das »Licht der Natur« unterscheidet sich einerseits vom viehischen Verstand und andererseits von der Weisheit Gottes. Im Vergleich zum viehischen Verstand ist es keine angeborene Begabung. Der Mensch muss es von Gott erbitten. Damit bekommt es einen theologischen Akzent. Doch obwohl der Mensch es von Gott bekommt, kann er mit ihm weder Gott erkennen noch sich mit metaphysischen oder theologischen Dingen beschäftigen. Beim »Licht der Natur« steht vielmehr die richtige Naturerkenntnis im Vordergrund.220 Damit sind gleichzeitig Möglichkeiten und Grenzen des »Lichtes der Natur« benannt. Denn um Gott zu erkennen, ist die Weisheit Gottes als Ergänzung nötig. Es ist auffällig, dass Paracelsus das »Licht der Natur« von der Weisheit aus Erfahrung unterscheidet. Während das »Licht der Natur« aus Gott stammt, können sowohl Menschen als auch Tiere die Weisheit aus der Erfahrung als Angeborenes besitzen.221 217 218 219 220 221 Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 65. Kämmerer hat in seinem Buch die Veränderung des paracelsischen Gebrauchs des Begriffes »Licht der Natur« aufgezeigt. Um 1520 gebraucht Paracelsus den Begriff »das Licht der Natur« im Sinne der Vernunft, die dem Menschen angeboren ist und bezeichnet sie als »Licht der Vernunft«. Um 1530 benutzt Paracelsus den Begriff im Sinne des schöpferischen Prinzips. Dies kann der »erfarenheit« gleichgesetzt werden, die vom Heiligen Geist erleuchtet wird. 1537/38 schreibt er vom »Licht der Natur« als eine Synthese von Natur und Gott. Dabei besitzt der Begriff einen theologischen Akzent, da »das Licht der Natur« von Gott kommt. In der „Philosophia Sagax“ schließlich wird es als ein die Natur durchdringendes Prinzip angesehen: Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 65–66. Zu Ps 146 (147a), 8b, PW 2/VII, S. 93. Ders., S. 94. Zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 96. 59 Daraus kann gefolgert werden, dass Paracelsus die Naturerkenntnis rein aus Erfahrungen, die viel näher an den Instinkten zu liegen scheinen, von der richtigen Naturerkenntnis unterscheidet, durch die man höhere Einsichten in die Natur gewinnen kann. In diesem Sinne teilt Goldammer den paracelsischen Vernunftbegriff in zwei Teile: In die höhere Vernunft, die eine eigentliche Erforschung der Natur ermöglicht, wie man die in der Natur gesetzten Ordnungen Gottes ergründen kann, und in die niedere Vernunft, die lediglich die Naturforschung rein aus den Erfahrungen ermöglicht.222 Außerdem berühren sich im Begriff »Licht der Natur« der physikalische Bereich und der metaphysisch-theologische Bereich: Der Mensch behandelt einerseits mit dem »Licht der Natur« äußerliche Gegenstände in der Natur und andererseits ist das »Licht der Natur« selbst weder angeboren noch durch Lernen zu erwerben. Es muss von außerhalb der Erde kommen. Es geht über das menschliche Erkenntnisvermögen hinaus. Deshalb soll der Mensch Gott bitten, »das Licht der Natur« zu bekommen. Trotz seiner göttlichen Herkunft gilt Paracelsus »das Licht der Natur« aber als etwas, was letztlich zum Mangel an wahrem Verstand gehört. 223 Merkwürdigerweise sieht Paracelsus im »Licht der Natur« nicht ein Merkmal der menschlichen Überlegenheit gegenüber den Tieren, sondern erst in der Weisheit Gottes. Die paracelsische Vernunftauffassung kann man mit der scholastischen vergleichen, in der der Seelenbereich in einen unteren, triebhaften und einen oberen intellektuellen und voluntativen Bereich unterteilt wird.224 Die Sinneswahrnehmung und die triebhaften Affekte, die sich gemäß des scholastischen Schemas in einem unteren, durch die Sinne bestimmten Seelenbereich befinden, sind zum Teil dem viehischen Verstand bei Paracelsus gleichzusetzen. Zu ihnen passt die Erkenntnis, die sowohl der Mensch als auch das Tier nach Paracelsus durch die Erfahrung erwerben können. Die Vernunft, die sich in dem oberen intellektuellen Bereich befindet, kann mit dem »Licht der Natur« 222 223 224 Kurt Goldammer, Der Beitrag des Paracelsus zur neuen wissenschaftlichen Methodologie und zur Erkenntnislehre, in: Medizinhistorisches Journal 1 (1966), S. 75–95, [wieder abgedruckt in: ders.: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze, Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24 (1986), S. 229–249], hier S. 231–232. Zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 96. Vgl. Johannes Zachhuber, Art. Seele, III. Christentum, 2. Dogmen– und theologiegeschichtlich, in: RGG4, Bd. 7 (2004), 1101–1103; Wilfried Joest, Dogmatik, Bd. 2: Der Weg Gottes mit dem Menschen (UTB 1413). Göttingen 19964, S. 384. 60 verglichen werden. Jedoch stammt »das Licht der Natur« aus Gott und es ist nicht Substanz des Menschen. 1.2.5.3 Der wahre Verstand Paracelsus setzt die Weisheit Gottes dem natürlichen Verstand und dem »Licht der Natur« entgegen. Im Psalmenkommentar betont er stark die Weisheit Gottes. Dies kann nur im Zusammenhang mit seinem Anliegen, die ewige Seligkeit zu reflektieren, verstanden werden. Bei seiner Auslegung von Ps 146 (147a) beschreibt Paracelsus die Weisheit Gottes als eine über die Erfahrung hinausgehende und durch Gott unmittelbar gegebene Begabung.225 Darum gehört sie zur Gnade Gottes. Tiere besitzen keine Gnade im Sinne der göttlichen Weisheit. 226 Gott möchte nicht, dass der Mensch mit dem viehischen Verstand oder mit dem »Licht der Natur« handelt, da er mit diesen beiden nichts vollbringen kann, was Gott gefällt. Das ist allein durch die Weisheit Gottes möglich. Der Mensch kann nur das Leben führen, das Gott gefällt, wenn er der Weisheit Gottes unterworfen ist und durch sie regiert wird.227 Hier wird deutlich, in welchem Verhältnis sie zur ewigen Seligkeit steht. Für Paracelsus sind die beiden, die Weisheit Gottes und der wahre Verstand, dem Heiligen Geist gleichzusetzen, obwohl Paracelsus mit dem »Verstand« und der »Weisheit«, zwei verschiedene Begriffe benutzt. Denn, was einem Menschen durch die Taufe gegeben wird, ist nach Paracelsus der Heilige Geist und nur der Heilige Geist kann die wahre Gotteserkenntnis schenken. Auch durch das Gebet kann ein Mensch den Heiligen Geist empfangen. Es ist der Heilige Geist, der einen Erlösten zum sittlichen christlichen Leben führen kann. Darum ist es auffällig, dass Paracelsus den Heiligen Geist statt das »Licht der Natur«, das er als die höhere Vernunft bezeichnet, als das eigentliche Merkmal der Überlegenheit des Menschen gegenüber den Tieren ansieht. Daraus kann die Konsequenz gezogen werden, dass ein Mensch im unmittelbaren Verhältnis zum Heiligen Geist Gott erkennen und tun kann, was Gott gefällt. Durch das Brechen dieses Verhältnisses verliert der Mensch alle Gotteserkenntnis und fällt auf das 225 226 227 Zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 96. Vgl. zu Ps 146 (147a), 10, PW 2/VII, S. 95. Zu Ps 146 (147a), 10–11, PW 2/VII, S. 95–96. 61 niedrigere Verständnisniveau hinab. 228 An dieser Stelle wird deutlich, dass die paracelsische Lehre von der Erkenntnis Gottes spiritualistisch konzipiert ist. Die wahre Erkenntnis, so Paracelsus – sowohl die Naturerkenntnis durch »das Licht der Natur« als auch die Gotteserkenntnis durch den Heiligen Geist – ist von der engen Beziehung zu Gott abhängig. 1.2.6 Das Herz anhand von Ps 118 (119) Im Kommentar zu Ps 118 (119) versteht Paracelsus, wie Kämmerer gesagt hat,229 unter dem Herz gemäß der biblischen Tradition ein Symbol für die Mitte und Tiefe des menschlichen Lebens.230 „[D]aß wir gottes gedechtnus, gottes gesatz nit mugen erstatten durch ander, durch tagloner, durch prunder, sunder wir mussent das alles selbs durch unser herz tun und aus seim grund. So wir nun unser herz so dief mussen ersuchen, so finden wir, daß wirs keim priester, keim pfaffen u mehr befelchen [336b] noch geben mugen noch konnen; sonder wir behaltens in unser geheimnus und heimlicheiten unsers herzens.“231 Dieses Herz kann durch falsche Lehre und falsche Gesetze dem Bösen verfallen. 232 Dagegen bewirken die Gotteserkenntnis und das Wort Gottes „ein ganzes herz“, 233 mit dem Paracelsus das völlige Vertrauen auf Gott meint. Darum setzt er dem »ganzen Herzen« und dem »éinen Herzen« ein „abtgottische[s]“ und zerbrochenes oder geteiltes Herz entgegen, unter dem er einen Menschen, in dem das Wort Gottes durch die falsche Lehre pervertiert wurde, versteht.234 Nach Paracelsus versuchen der Teufel und seine Anhänger den Menschen durch diese Pervertierung zur Verdammnis zu führen. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Paracelsus das Herz als ein Schlachtfeld zwischen Gott und Teufel auffasst. Das Herz kann sich Gott anvertrauen oder durch den Teufel verführt werden. 228 229 230 231 232 233 234 Vgl. zu Ps 146 (147a), 6, PW 2/VII, S. 92; zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 95–96. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 12. Goldammer versteht aber das »Herz« als das Symbol der übernatürlichen Kräfte des Geistes: Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 65. In diesem Sinne schreibt Paracelsus von der Freude im Herzen: Zu Ps 150, 5/6, PW 2/VII, S. 113, vom Singen im Herzen: Zu Ps 149, 1, PW 2/VII, S. 106, vom reuigen Herzen: Zu Ps 122 (123), 2b, PW 2/VI, S. 160 und von der wahren Beichte: Zu Ps 138 (139), 24, PW 2/VII, S. 24. Zu Ps 118 (119), 58, PW 2/VI, S. 55. Zu Ps 118 (119), 80, PW 2/VI, S. 68; zu Ps 118 (119), 145, PW 2/VI, S. 118; zu Ps 118 (119), 146, PW 2/VI, S. 120. Zu Ps 118 (119), 144, PW 2/VI, S. 117; zu Ps 118 (119), 156, PW 2/VI, S. 126. Zu Ps 118 (119), 145, PW 2/VI, S. 118–119; zu Ps 118 (119), 146, PW 2/VI, S. 120. 62 Auf diese Weise ist für Paracelsus das »Herz« das Zentrum der Beziehung zwischen Gott und Menschen: „[U]nd ie hoher sein [382a] wissen ist, ie hoher ist sein danken; darumb ist das der recht in allen dingen. darumb wir danken sollen und wollen desselbigen dings hoher verstand tragen; nit als ein gedechtnus oder wissens einer historien, als die menschen schreiben und lernen, sonder aus dem liecht des heiligen geists, das ist im herzen ligt, aus demselbigen sollen wir die ding wissen.“235 Von der Perspektive Gottes aus gesehen ist das Herz ein Ort, wo der Heilige Geist den Willen Gottes oder den Sinn der Schrift erleuchtet und Gott darin seinen Platz findet. Nach Paracelsus will Gott nicht durch Gnadenmittel oder Vermittler seinen Willen kund tun, sondern direkt seinen Willen im Herzen offenbaren.236 Auch möchte er nicht in der „Mauerkirche“ wohnen, sondern im Herzen des Menschen.237 Das Herz ist der wahre „tabernacul gottes“. Darum ist es der Ort, wo Gott gelobt und angebetet werden soll.238 Daraus zieht Paracelsus die Konsequenz, dass religiöse Zeremonien im Herzen stattfinden sollen. Das Verhältnis des Paracelsus zu religiösen Zeremonien kann daher als ein spiritualistisches bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang kritisiert Paracelsus äußere religiöse Haltungen als untauglich oder als Abgötterei. Im vorliegenden Psalmenkommentar versteht er das Herz auch als ein Mittel, das Gott und Menschen aussöhnen kann.239 Weder Propheten, noch Apostel, noch Heilige, noch alle anderen Menschen, noch Engel können dies erreichen. Der Mensch soll mit seinem eigenen reuigen Herz vor Gott stehen. Durch dieses Herz können Gott und Seele nach Paracelsus aufgrund des Leidens Christi ausgesöhnt werden. 240 Außerdem setzt Paracelsus der Seele oft das Herz gleich.241 235 236 237 238 239 240 241 Zu Ps 118 (119), 101, PW 2/VI, S. 81. Zu Ps 118 (119), 132, PW 2/VI, S. 108. Daraus folgt das Kirchenverständnis des Paracelsus: Für ihn ist die wahre Kirche im Herzen und deren Grundstein Glaube und Liebe, die ebenfalls im Herzen ihren Sitz haben: Zu Ps 138(139), 5–6, PW 2/VII, S. 7–9. Zu Ps 118 (119), 133, PW 2/VI, S. 109. Vgl. zu Ps 118(119), 132, PW 2/VI, S. 108. Zu Ps 118 (119), 132, PW 2/VI, S. 108. Außerdem versteht Paracelsus das Herz als ein Sinnbild der übernatürlichen seelischen und geistigen Funktionen des Menschen: Zu Ps 83 (84), 3b, PW 2/IV, S. 139, und als ein Organ, mit dem man die Natur erforschen soll: Zu Ps 91(92), 7–8a, PW 2/VI, S. 245– 246. Vgl. zu Ps 83 (84), 3b, PW 2/IV, S. 139; zu Ps 110 (111), 1, PW 2/V, S. 137–140. 63 1.2.7 Der unfreie Wille anhand von Ps 148 Grundlegend für die paracelsische Anthropologie im Psalmenkommentar ist das Verständnis Gottes als Herr und des Menschen als sein Knecht.242 Gott allein ist der Herr über alle Kreaturen. Alle Welt ist von ihm geschaffen. In Bezug auf die Souveränität Gottes spricht Paracelsus nun vom unfreien Willen des Menschen: „Also ist auch got her der erden wie der himeln. darumb wir in ihn sollen und mussen sehent und sunst in kein nit, dieweil er herr in der erden ist, so haben wir kein freien willen.“243 Paracelsus versteht den »unfreien Willen« unter einem ganz anderen Aspekt als Luther und Erasmus. Der unfreie Wille des Menschen im Psalmenkommentar soll in Bezug auf die Herrschaftsverhältnisses verstanden werden: Gott allein ist der Herr aller Geschöpfe und herrscht über sie. Darum besitzt nur er allein den freien Willen, die Ordnungen, die für seine Geschöpfe gelten, zu erlassen. »Der unfreie Wille« des Menschen bedeutet bei Paracelsus, keine Befugnis und Fähigkeit zu besitzen, Herr zu sein und Ordnung zu schaffen. Paracelsus versteht unter »dem unfreien Willen« im Psalmenkommentar nicht ein Entscheidungsvermögen des Menschen zum Guten oder Bösen. Den unfreien Willen zu besitzen heißt nur, Gott Gehorsam zu leisten. Wer selbst Ordnung stiftet oder ein Gebot aufstellt, ist ein Ketzer. Er ist ein Götzendiener, der einen anderen Gott errichtet, indem er andere Gebote erfindet oder die Ordnung verbietet, die Gott gegeben hat.244 In diesem Sinn kritisiert Paracelsus die Gebote der römischen Kirche. Darum betont Paracelsus, dass die Geschöpfe Gottes nur Gott gehorsam sein und die Gebote Gottes halten sollen. Wenn der Mensch in diesem Sinne einen freien Willen hätte, dann bedürfte er nach Paracelsus nicht Gottes, er selbst könne sich wie Gott verhalten, sich selbst in den Himmel setzen und nach seinen eigenen Ordnungen und Regeln handeln.245 Einen freien Willen zu besitzen bedeutet für Paracelsus demnach, Herr zu sein, Gott zu sein.246 242 243 244 245 246 Zu Ps 137 (138), 6, PW 2/VI, S. 232. „wir seindt sein fußschemel, sein knecht, wir sollen nit diener haben, nit regiment haben, nit reichtumb, nit eigentumb, nit fursten sein, nit pfrund haben; sunder wir sollen knecht sein, got lassen den herrn sein“: Zu Ps 104(105), 7, PW 2/V, S. 28. Zu Ps 148, 7, PW 2/VII, S. 101. Zu Ps 148, 8, PW 2/VII. S. 102. Ebd. In diesem Sinne betont Paracelsus, dass Gott allein der Herr ist und allein einen freien Willen hat. Gott gibt nach seinem Willen jedem das, was ihm zusteht. Dagegen kann der Mensch nichts einwenden, weil das nur dem freien Willen Gottes zusteht. Jedes Urteil fällt Gott von anderen Menschen unabhängig: Zu Ps 88 (89), 15b/16a, PW 2/IV, S. 189–190. Gott allein kann mit seinem freien Willen 64 Paracelsus verneint auch die Argumentation, dass der Mensch aufgrund seiner Seele oder seines Geistes den Tieren überlegen sei und dadurch einen freien Willen haben könne. Trotz seiner Überlegenheit kann der Mensch vor Gott nichts anderes sein als andere Tiere. 247 Denn sowohl der Mensch als auch Tiere sind unter der Herrschaft Gottes. Die menschliche Überlegenheit ist der Herrschaft Gottes gegenüber nicht von Bedeutung. Der Mensch als Knecht Gottes hat somit den unfreien Willen im Verhältnis zu Gott. Hier wird eine Fortsetzung seiner frühen Auffassung über den unfreien Willen gesehen. Paracelsus argumentiert ihn ähnlich in seinem frühen Matthäuskommentar 1525: Der Mensch hat einen unfreien Willen im Bezug auf das Halten des Gebots Gottes.248 Die Frage nach der Freiheit des Willens stand in der Reformationszeit von Anfang an im Vordergrund. In Bezug auf diese Frage griff die katholische Seite, vor allem Eck, die lutherische Auffassung aufgrund ihrer deterministischen Tendenz an. Melanchthon verteidigte sie in der »Confessio Augustana«, die zur gleichen Zeit wie der Psalmenkommentar des Paracelsus erschien. In der »Confessio Augustana« werden zwei Bereiche voneinander unterschieden: Im weltlichen Bereich hat der Mensch eine gewisse Freiheit. Im anderen Bereich, dem Bereich der Gerechtigkeit Gottes, hat der Mensch keinen freien Willen. Der menschliche Wille hat eine gewisse Freiheit in dem Bereich, der der Vernunft dient, und in »civilibus rebus«. Aber ohne den Heiligen Geist kann er keine Gerechtigkeit Gottes erwirken. Darum besitzt der Mensch im Verhältnis zu Gott keine Freiheit.249 Obwohl Luther auch anerkennt, dass der Mensch gegenüber den weltlichen Dingen gewisse Freiheiten besitzt, spielt das, so Luther, im Verhältnis zu Gott keine Rolle, da der Mensch keinen Augenblick außerhalb des Kampfes zwischen Gott und Satan steht. Dies bedeutet, dass sowohl der Mensch selbst als auch sein Wille entweder Gott oder dem Satan unterworfen sind. Luther kann sich keinen »reinen 247 248 249 alles machen, was er will. Darum steht der (freie) Wille nicht dem Menschen, sondern Gott zu: Zu Ps 110 (111), 2, PW 2/V. S. 140–141. Zu Ps 148, 10, PW 2/VII, S. 103. Gause hat bereits in ihrem Buch »Paracelsus (1493–1541)« die Diskussion über den freien Willen behandelt. Dort habe Paracelsus in Bezug auf das Schwören angemahnt, dass der Mensch nicht seine Gebote über die Gebote Gottes setzen dürfe. Denn sonst würde der Mensch seinen Willen über den Willen Gottes setzen. Der Mensch habe in Bezug auf das Halten der Gebote Gottes nur einen unfreien Willen. Dieses Verständnis des Paracelsus beruhe auf dem »de libero arbitrio« von Lorenzo Valla: Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 196–197. Vgl. Leif Grane, Die Confessio Augustana (UTB 1400). Göttingen 20066, S. 143–144. 65 Willen« vorstellen, der von der menschlichen Existenz unabhängig ist. Der Reformator sieht in der Behauptung eines freien Willens einen Angriff auf Gott, nämlich einen Versuch, sich selbst zu Gott zu machen.250 In der menschlichen Existenz ist ein freier Wille gar nicht möglich. Darum geht es bei Luther im Zusammenhang mit der Frage nach dem freien Willen um das Vermögen des Menschen im Verhältnis zu Gott. Wie Luther und Melanchthon spricht Paracelsus dem Willen des Menschen im Verhältnis zur Welt eine gewisse Freiheit zu. Die Voraussetzung dieses freien Willens251 ist jedoch die Anerkennung des Schöpferseins Gottes: „[D]arumb aber daß er herr der erden ist, darumb so haben wir ihn, daß er uns sein gesatz gibt und gebeut uns, und sunst hat uns niemandts zu gebieten. darumb, ir tracken und alle tier der erden, loben got, daß er euch den freien willen geben hat, zu wonen wo ir wollen, und daß ir euch verendern konnen und groß dugent in euch haben, daß euch die menschen darumb suchen und euch erlich halten und behalten. also loben got, die gebunden seindt in seim weg, und loben got, die minder gebunden seindt, das ist ir wurm, die in der erden ligen und in banden des mers und aller diefen “.252 Hier spricht Paracelsus merkwürdigerweise vom freien Willen der Tiere: Gott gewährt anderen Lebewesen jeweils ihren freien Willen. Damit meint er, dass sie unter der Herrschaft Gottes nach ihrem eigenen Willen handeln können: wohnen, essen usw.253 Das eigentliche Ziel des freien Willens aber ist das Gotteslob. Jeder Mensch soll Gott dadurch loben, dass er durch seinen freien Willen unter der Herrschaft Gottes lebt und so den Willen Gottes verwirklicht. Im Gegensatz zu dem freien Willen im weltlichen Bereich behaupten Luther und Paracelsus zwar beide, dass die Behauptung eines freien Willens im Verhältnis zu Gott als ein Versuch, Gott zu sein, sei. Aber die Begründungen der beiden sind anders: Während Luther den unfreien Willen als die Unfähigkeit des Menschen zum Guten im Verhältnis zu Gott ansieht, versteht Paracelsus unter ihm kein Recht, Ordnungen zu erlassen und Herrschaft innezuhaben und auszuüben. Im Psalmenkommentar gibt es eine radikale Äußerung über den Willen: Der Mensch besäße nicht die Fähigkeit, die Ordnung Gottes abzuändern, ähnlich wie die Sonne die Schöpfungsordnung nicht verändern könne. 250 251 252 253 Vgl. ders., S. 148–150. Goldammer meint mit diesem freien Willen die Willensfreiheit in den Dingen des alltäglichen Lebens, in »civilibus rebus«, nicht in göttlichen Dingen: Kurt Goldammer, Paracelsus. Natur und Offenbarung, (Heilkunde und Geisteswelt. Eine medizinische Schriftenreihe, Bd. 5, hg. v. Johannes Steudel). Hannover 1953, S. 81. Zu Ps 148, 7, PW 2/VII, S. 101. Vgl. zu Ps 148, 7, PW 2/VII, S. 101. 66 „darumb so nimbt uns der frei will nichs, allein daß wir gangen in dem, darinnen wir geschaffen seindt. nun das gebot hat er gemacht. ihm gehorsam zu sein alle ding, vernunftigs und unvernuftigs, nichts ausgenommen. wie die sun get, der mon u, also auch sollen wir mentschen in gottes gehorsam leben, und als wenig die sun vermag, ein andern weg fur sich selbs zu gohn, und der mon und die stern, also wenig vermugen wir auch, ein anderst zu tun oder zu gohn.“254 An dieser Stelle behauptet Paracelsus zugleich, dass der Mensch sich um die Verwirklichung des Willens Gottes bemühen und gehorsam gegenüber den Ordnungen Gottes sein soll. Wenn der Mensch nur die Möglichkeit hätte, die Gebote Gottes zu halten, dann bräuchte er sich nicht darum bemühen und müsste nicht die Verantwortung dafür vor Gott übernehmen. Unter dem Aspekt, dass der Begriff »der unfreie Wille« in Bezug zur Herrschaft Gottes verstanden wird, kann die menschliche Unfähigkeit zur Abweichung von der Ordnung Gottes als Unmöglichkeit der Abweichung von der Herrschaft Gottes verstanden werden. In Bezug auf den unfreien Willen sieht Kämmerer bei Paracelsus einen Widerspruch, der sich aus der Leugnung des freien Willens vor Gott einerseits und der Behauptung der Verantwortung vor Gott andererseits ergebe. Dieser Widerspruch ist für Kämmerer ein nicht zu lösendes Problem, obwohl er auch wahrnimmt, dass Paracelsus den Menschen als das Wesen bezeichnet, das innerhalb der Bedingungen oder Grenzen des menschlichen Lebens Freiheit verwirklichen kann. 255 Dagegen versucht Matthiessen diesen anscheinenden Widerspruch zu klären. Er unterscheidet dabei zwischen dem leiblichen und dem metaphysischen Bereich im Menschen. Der Mensch als Fleisch sei dem Irdischen unterworfen. Dadurch habe er einen unfreien Willen.256 Dagegen habe er als ein metaphysisches und religiöses Wesen die Freiheit, sich für das sittliche Leben entscheiden zu können. Matthiessen stellt jedoch fest, dass bei Paracelsus die Wahl zum Guten oder Bösen zwar frei ist, deren Prozess und Folge aber von Gott oder dem Teufel 254 255 256 Zu Ps 148, 6, PW 2/VII, S. 101. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 63–64. Kämmerer erwähnt, dass Paracelsus die menschlichen Bestimmtheiten in vier Dimensionen sieht: Die Verbindung zum Materiellen als nach „unten“, zu den Vorfahren als nach „rückwärts“, die Wirkung der Gestirne als nach „oben“ und die Forderung der göttlichen Gebote als in die Zukunft. Diese Bestimmtheiten stecken die Grenzen des menschlichen Lebens ab. Nur innerhalb dieser Grenzen kann Freiheit verwirklicht werden. Wilhelm Matthiessen, Die Form des religiösen Verhaltens bei Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus, (Diss., Phil.). Düsseldorf 1917, [wieder abgedruckt in; Udo Bezenhöfer (Hg.), Paracelsus, Darmstadt 1993, S. 157–219], hier S. 198–200. 67 abhängig ist.257 Obwohl der Mensch sich am Anfang selbst zum Guten oder zum Bösen entscheidet, könne er nach seiner Entscheidung den Verlauf weder korrigieren noch anhalten und müsse dem Prozess folgen. In diesem Kontext könne von einem reinen freien Willen nicht gesprochen werden. Darum gibt Matthiessen letztendlich zu, die Paracelsische Auffassung vom freien und unfreien Willen nicht logisch und klar aufklären zu können. Das Dilemma Kämmerers lässt sich m.E. aber folgendermaßen lösen: Paracelsus versteht unter dem unfreien Willen des Menschen, unter der Herrschaft Gottes zu sein. Darum hat der Mensch keine Befugnis und keine Fähigkeit unter der Herrschaft Gottes, Ordnungen zu erlassen oder Herr zu sein. Der Mensch soll vielmehr Gott gegenüber verantwortlich sein und unter dessen Herrschaft die Gebote Gottes halten. 1.2.8 Die Gottebenbildlichkeit anhand von Ps 144 (145) In seiner Auslegung von Ps 144 (145) spricht Paracelsus von der dem Menschen von Gott ursprünglich gegebenen Heiligkeit. Goldammer sieht bei Paracelsus in dieser Heiligkeit die volle, gottebenbildliche Menschlichkeit des Urzustandes nach Gottes Schöpferwillen.258 „[D]aruf merken: wir seindt alle heiligen in mutter leip und seindt heilige werk, und weiter macht uns nichts heilig. fallen wir darvon, so hebt er uns wieder auf, das ist: so wirs begeren und mit reuigem herzen zu ihm kommen.“259 Für Paracelsus erschließt sich die Gottebenbildlichkeit aus dem Verhältnis des Menschen zu Gott, das er als »Heiligkeit« bezeichnet. Er bezieht mit Bezug auf 3 Mo 11, 44 die Heiligkeit auf Gott als die Eigenschaft Gottes. Paracelsus behauptet aber hier, dass ein Mensch von Mutterleib an mit dieser Heiligkeit ausgestattet sei und so geboren werde. Dies könnte bedeuten, dass diese Heiligkeit nicht vom Sündenfall beeinflusst wurde. Trotzdem kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass Paracelsus keine Erbsündenlehre vertritt. Denn Paracelsus spricht im Kommentar zu Ps 115 (116b), 13 von dem „lugenblut“ aus Adam, das die Erbsünde andeutet. Dort argumentiert er, dass der Mensch wegen des „lugenblut“ aus Adam der Taufe bedarf, um rein zu werden. Mit dem Verweis auf den paracelsischen Kreatianismus kann diese Vorstellung der Heiligkeit 257 258 259 Vgl. ders., S. 201–205. Zu Ps 144(145), 14, PW 2/VII, S. 77, Anmerkung a. Zu Ps 144(145), 14, PW 2/VII, S. 77. 68 im Mutterleib so erklärt werden: Paracelsus will die Heiligkeit, unter der man die Gottebenbildlichkeit verstehen kann, mehr zu der seelischen Seite rücken, während er die Erbsünde mehr der leiblichen Seite zuordnet. Somit würde die Seele, die mit der Gottebenbildlichkeit verbunden ist, von Gott kommen. Dagegen stammt der Leib, der mit der Erbsünde verbunden ist, von den Eltern. Aus diesem Grund können die Gottebenbildlichkeit und die Erbsünde in einem Menschen parallel bestehen. Diese Vorstellung ordnet sich in die grundlegende Tendenz der paracelsichen Anthroplogie ein, wonach der Leib abgewertet und die Seele hochgeschätzt wird. Luther hingegen versteht die Gottebenbildlichkeit sowohl als rechtes Gottesverhältnis als auch als rechtes Verhältnis zu sich selbst sowie als das rechte Verhältnis eines Menschen zu anderen Geschöpfen: Der Mensch lebt in ungespaltener Zuversicht zu Gott, in Gottes Gnadenzuwendung, in voller Gewissheit der Güte Gottes, in unzerstörbarer Gottesgemeinschaft und verfügt über eine geisthafte Gotteserkenntnis. Er herrscht furchtlos über andere Geschöpfe, besitzt eine Hoheit, die von innen heraus kommt, und hat als ein gefallener Mensch dennoch große Kraft.260 Nach Luther haben die Menschen durch den Fall Adams die ursprunghafte »imago Dei« verloren. Dabei identifiziert Luther sie nicht mit dem menschlichen Seelenvermögen, unter dem er Gedächtnis, Einsicht und Willen versteht.261 Für Paracelsus ist die Heiligkeit nicht eine Substanz wie Leib und Seele, sondern nur ein Akzidens. Sie ist immer von dem Verhältnis zu Gott abhängig. Wenn der Mensch im richtigen Verhältnis zu Gott steht, bleibt ihm die Heiligkeit. Ansonsten verliert er sie. Sie kann aber auch im gefallenen Menschen durch Gott wiederhergestellt werden. Darum ist die potentielle Gefahr des Verlustes der Heiligkeit ein Grund dafür, dass Paracelsus betont, dass es wichtig sei, ein christliches Leben zu führen, den Wegen Gottes zu folgen und beim Abfall von Gott mit ganzem Herzen zu bereuen. Im Vergleich dazu spricht Luther von einer fundamentalen Erneuerung des Ebenbildes Gottes in Jesus Christus, weil für ihn das Ebenbild Gottes durch den Fall 260 261 Vgl. Peters, Der Mensch, S. 43–44. Luther, Vorlesungen, S. 46. Dagegen sieht Melanchthon hier die Fähigkeit, ontologische, logische und mathematische Axiome zu erfassen, die Denkkraft, das sinnlich Wahrgenommene methodisch schlussfolgernd zuzuordnen, und ein Wissen um die gottgesetzten Maßstäbe des Ethos als die verbliebenen Reste der »imago Dei«: Vgl. Peters, Der Mensch, S. 66–68. 69 Adams verdorben wurde: Christus ist das himmlische Bild Gottes, auf das hin alle Menschen in Adam wesenhaft erschaffen wurden, gegen das sie sich in Adam letztlich versündigt haben und in das sie Gott durch Wort und Geist hineingestalten will.262 „In Jesus aus Nazareth, dem zweiten und letzten Adam, hat die wahrhaftige und ewige »imago Dei« unser fluchbeladenes Menschsein angenommen.“263 Wie Luther versteht auch Melanchthon Christus als das wahre Ebenbild Gottes, in dem der Mensch erschaffen ist und errettet werden soll.264 Unter der Erneuerung des Ebenbildes Gottes versteht Luther einen Prozess der Heiligung aus der stets erneuerten Rechtfertigung heraus.265 Seine Wirkkräfte sind das Evangelium und die Sakramente.266 Ein Mensch kann nach dem Sündenfall jedoch nur so die radikale Verderbnis des Ebenbildes Gottes überwinden, indem er durch den Tod und das Gericht Gottes hindurch zum ewigen Leben gelangt. Während Luther die Erneuerung des Ebenbildes Gottes christozentrisch und als einen Prozess der Heiligung versteht, ist die paracelsische Konzeption des Ebenbildes Gottes von dem Verhältnis zu Gott dem Vater abhängig und betont stärker die sittliche Dimension der Erlösung. Kämmerer sieht in der paracelsischen Auffassung der Gottebenbildlichkeit ein Synonym für die Seele. 267 Nach Kämmerer meint Paracelsus mit der Gottebenbildlichkeit das Unvergängliche, ein Symbol für die Abgrenzung zur übrigen Kreatur. Im Vergleich dazu verstehe ich unter dem paracelsischen Begriff der »Heiligkeit« das Ebenbild Gottes. Es bezieht sich bei Paracelsus auf den guten Schöpferwillen Gottes: Gott hat alle Menschen gut geschaffen. Darum sind alle Menschen heilig. 262 263 264 265 266 267 Luther, Vorlesungen, S. 167. Peters, Der Mensch, S. 47. Vgl. ders., S. 65. Luther, Das 15. Capitel der 1. Epistel S. Pauli an die Corinther 1532/33, in: WA, Bd. 36. Weimar 1909, S. 478–696, hier S. 665; ders., Vorlesungen, S. 48. Peters, Der Mensch, S. 48. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 45. 70 „[D]arumb alle arbeit heilig ist, darumb wir auch nichts zu verdammen haben noch zu verfluchen; dann alle wir seindt alle gottes arbeit. darumb all heilig, und got macht uns heilig in mutter leib, auf das, so wir verdambt werden, so fallen wir freventlich von ihm und verachten sein heiligkeit und stellen nach des satanischen reich. darumb so kunen wir nit klagen ab ihm; dann treu ist er uns in allem zorn, und heilig hat er uns gemacht in mutter leib.“268 Obwohl der Mensch von Gott abfällt und damit zum Feind Gottes wird, hat Gott alle Menschen zur Seligkeit erschaffen. Weil Paracelsus sieht, dass die Gottebenbildlichkeit sich mehr auf die seelische Seite bezieht, die von Gott kommt, und dass diese Seele den Leib, der mehr mit der Erbsünde verbunden ist, unter Kontrolle bringen soll, besteht eine Möglichkeit, dass der Mensch selbst vor Gott etwas tun kann. Darum ist der Fall eines Menschen nicht von Gott, sondern vom Menschen selbst abhängig. Hier kann auch argumentiert werden, dass Paracelsus fern der reformatorischen Theologie steht, die den Menschen als »totus peccator« versteht. 1.2.9 Zusammenfassung Die Entwicklung in der paracelsischen Anthropologie von einer Trichotomie zu einem Dualismus, die sich in früheren Schriften bereits abgezeichnet hatte, wird im Psalmenkommtar mehr als deutlich. Wie aufgezeigt wurde, ist das Ziel der paracelsischen Anthropologie die ewige Seligkeit. Als Richtschnur dient ihm dabei das Losungswort: Nur, was vom Himmel kommt, kann auch zum Himmel gehen. Was von der Erde kommt, bleibt auch irdisch und damit vergänglich. Darum besteht in seiner Anthropologie innerhalb seiner theologischen Schriften eine starke Gegenüberstellung zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen. Hier zeigt sich ganz deutlich der paracelsische Dualismus. Im Psalmenkommentar findet sich keine Verknüpfungsinstanz zwischen dem Leib und der Seele. Der Mensch benötigt zur ewigen Seligkeit eine unmittelbare Beziehung zu Gott. Die paracelsischen Auffassungen vom neuen ewigen Leib, vom Herz, von der Gotteserkenntnis und Gottebenbildlichkeit werden durch diese Unmittelbarkeit zu Gott verständlich. Der paracelsische Dualismus ist hierarchisch in dem Sinne, dass er aufgrund seiner Herkunft die Seele hochschätzt und den Leib abwertet. Wie in seinen frühen Schriften verortet er im Psalmenkommentar das Böse im leiblichen Bereich des Menschen. Dagegen ist die von Gott kommende Seele das Wesen, das den Leib lebendig macht und 268 Zu Ps 144 (145), 13b, PW 2/VII, S. 76. 71 nach ihrer Existenz Gott sucht. Während Luther den ganzen Menschen in der Beziehung zu Gott versteht und ihn als Geist oder Fleisch ansieht, versteht Paracelsus unter der Seele und dem Leib zwei konträre Seiten des Menschen. Aus seinem kreatianistischen Verständnis heraus ist für ihn der Mensch das Wesen, das in sich selbst immer etwas Göttliches hat. Darum kann er den Menschen nicht als »totus peccator« wie Luther ansehen. Wenn der Leib der Seele folgt, kann er sogar den Glauben, die Liebe und die Wahrheit haben. Die Seele kann sich durch den Leib als das Subjekt des Handelns bemühen, das, was Gott gefällt, zu erfüllen. Obwohl der Leib mit der Natur eng verbunden ist und dadurch die Leibhaftigkeit ein Ausdruck des Geschöpfseins ist, soll die Seele im unmittelbaren Verhältnis zu Gott stehen. Darum enthält die paracelsische Vorstellung von der Seele bereits implizit einen spiritualistischen Charakter. Paracelsus´ Limbustheorie verkompliziert allerdings seine dualistische Anthropologie: Neben dem verderblichen Leib aus dem »Limbus Adams« steht jetzt der neue ewige Leib aus dem »Limbus Christi«. Den Begriff »Limbus« setzt Paracelsus mit „leimen (Lehm oder aus Lehm)“ gleich und versteht darunter die Urmaterie oder das Urprinzip, aus dem die Welt und der Mensch geschaffen sind. Das Leitmotiv der paracelsischen Limbus-Konzeption stammt aber aus 1. Kor 15, nämlich der unsterbliche Auferstehungsleib. Aus seiner Limbustheorie zieht Paracelsus die Konsequenz, dass ein Mensch aus dem »Limbus Adams«, dem Kennzeichen der Naturhaftigkeit des menschlichen Lebens und der Begrenztheit des Menschen, zur ewigen Seligkeit noch ein Übernatürliches, den neuen Leib aus dem »Limbus Christi«, braucht. Paracelsus interpretiert den Satz, dass der neue Leib als eine neue Kreatur zur ewigen Seligkeit gelangen kann, dahingehend, dass er nur durch Christus erhalten werden kann. Diese Interpretation kann mit dem reformatorischen Losungswort »solus Christus« verknüpft werden. Wegen der Eigenschaft des neuen Leibes, unsterblich und die wahre Stätte Gottes zu sein, betrachtet Paracelsus ihn als das der Seele ebenbürtige Wesen. Mit der Auffassung des Paracelsus über den »Limbus Christi« und den ewigen Leib ist seine eigentümliche Mariologie verbunden, in der er zum einen behauptet, dass sowohl Maria als auch Christus zusammen den neuen Leib vor der Schöpfung besaßen. Hier unterscheidet sich Paracelsus von Schwenckfeld und Hoffmann. Während Paracelsus nicht nur Christus und Maria den neuen himmlischen Leib zuschreibt, sondern auch den 72 Christen, gehört der himmlische Leib für Schwenckfeld und Hoffmann zwecks der Betonung der Sündlosigkeit Christi nur Christus. Anders als bei Luther wird die materielle Dimension der neuen Kreatur bei der paracelsischen Limbustheorie deutlich beschrieben. Dadurch betont Paracelsus eine geistleibliche Ganzheit des Menschen und argumentiert somit gegen eine Zweiteilung des Menschen in ein weltliches und ein geistiges Bereich. Neben seiner dualistischen Anthropologie beschreibt Paracelsus den Menschen als geistleibliche Einheit. Die paracelsische Beschreibung des alten und neuen Leibes zielt auf das theologisch-anthropologische Ziel, dass Gott wie bei der Erschaffung des Menschen die Einheit von Leib und Seele auch im Himmel beibehalten will. Hier zeigt sich die Intention der paracelsischen Auffassung von den zwei Leibern: Paracelsus will auf der Kontinuität der menschlichen Einheit von Leib und Seele im Himmel sowie auf der Erde beharren. Aus der Einsicht der geistleiblichen Einheit heraus zieht er die Schlussfolgerung von der Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen. Die geistleibliche Einheit des Menschen ist für Paracelsus eine individuelle: Jeder Mensch besitzt die Fähigkeit, sich für etwas zu entscheiden und es zu tun. Daher muss er auch vor Gott die Verantwortung für die Folgen seiner Taten tragen. Außerdem scheinen für seinen Entwurf der geistleiblichen Einheit der Auferstehungswelt persönliche Erkenntnisse und Einsichten als Arzt und Naturphilosoph verantwortlich zu sein. Für Paracelsus hat der Geist vielseitige Bedeutungen. Darum ist es schwer, aus seinem Psalmenkommentar eine allgemeingültige Auffassung von ihm zu extrahieren. In diesem Kontext ist die wichtigste Aufgabe des Menschen die Unterscheidung, welcher Geist zur ewigen Seligkeit führt und welcher zur Verdammnis. Diese Entscheidung beruht nicht auf der Autorität einer kirchlichen Institution, sondern auf dem Menschen selbst, der entscheiden muss, indem er die Weisheit Gottes erhält. Das paracelsische Vernunftverständnis wird in Bezug auf seine Auffassung über die ewige Seligkeit konzipiert. Zunächst unterscheidet er die niedere viehische Vernunft vom »Licht der Natur«. Die niedere Vernunft wird als die angeborene Vernunft verstanden, die weder Gott kennt noch die Natur erforscht. Dagegen kommen das »Licht der Natur« und die Weisheit Gottes nach der Geburt von Gott. Ersteres ermöglicht zwar die eigentliche Erforschung der Natur, aber der Mensch kann damit nicht Gott erkennen. 73 Das »Licht der Natur« ist für Paracelsus nicht Substanz des Menschen. Letzteres bezeichnet er als die Überlegenheit eines Menschen gegenüber anderen Geschöpfen und als die durch Gott unmittelbar gegebene Begabung. Die Weisheit Gottes kann dem Heiligen Geist gleichgesetzt werden. Darum gehört sie zur Gnade Gottes. Insofern Paracelsus sagt, dass die wahre Erkenntnis von der unmittelbaren Beziehung zu Gott abhängig ist, ist seine Auffassung von der Erkenntnis spiritualistisch konzipiert. In der paracelsischen Auffassung vom Herzen sind biblische Tradition und Spiritualismus miteinander verbunden: Das Herz als ein Symbol für die Mitte und Tiefe des menschlichen Lebens gilt als Zentrum der Beziehung des Menschen zu Gott. Dieses Herz kann durch den Heiligen Geist oder durch die falschen Gesetze des irdischen Teufels vollkommen oder unvollkommen sein. Deshalb ist für Paracelsus das Herz ein Schlachtfeld zwischen Gott und Teufel. Hier fühlt man sich an die Anthropologie Luthers erinnert, der den Menschen als ein Reittier, das von Gott oder vom Teufel gelenkt wird, bezeichnete. Außerdem ist das Herz für Paracelsus auch der Ort, den der Heilige Geist erleuchtet und wo sich Gott mit dem Menschen aussöht und wohnt. Im Vergleich zu Luther sieht Paracelsus im Psalmenkommentar den unfreien Willen unter einem ganz anderen Blickwinkel. Paracelsus versteht im Psalmenkommentar den unfreien Willen des Menschen in Bezug auf das Herrschaftsverhältnis: Der unfreie Wille bedeutet keine Befugnis noch Fähigkeit, Herr zu sein und Ordnungen zu erlassen. Wie Luther und Melanchthon gibt Paracelsus den freien Willen des Menschen in »civilibus rebus« zu, jedoch unter der Voraussetzung der Anerkennung des Schöpferseins Gottes. Darum ist das Ziel dieses freien Willens das Gotteslob und die Verwirklichung des Willens Gottes. Der Mensch soll sich vor Gott verantwortlich zeigen und sich unter dessen Herrschaft an die Gebote Gottes halten. Darum trifft die Kritik der römischen Kirche, die Auffassung Luthers über den unfreien Willen sei ein Determinismus, nicht auf Paracelsus zu. Paracelsus versteht unter der Gottebenbildlichkeit die Heiligkeit, mit der jeder Mensch von Mutterleib an ausgestattet ist. Jedoch will er sie mehr auf die seelische Seite schieben, während er die Erbsünde auf den Leib bezieht. Darum steht er dem reformatorischen Gedanken des »totus peccator« fern. Paracelsus versteht die Heiligkeit als ein Akzidens des Menschen, weil die Bewahrung dieser Heiligkeit auf das Verhältnis 74 zu Gott angewiesen ist. Die potentielle Gefahr eines Verlustes der Heiligkeit ist der Grund für die Ermahnung des Paracelsus, ein christliches Leben zu führen, bzw. den Wegen Gottes zu folgen und, wenn nicht, umzukehren und von ganzem Herzen zu bereuen. Im Vergleich zu Luther ist somit bei Paracelsus die Heiligkeit als guter Schöpferwille eine Frage des Verhältnisses zu Gott dem Vater. Im Psalmenkommentar kombiniert Paracelsus somit verschiedene Auffassungen miteinander, die oft gegeneinander stehen: Biblische Anthropologie (der unsterbliche Leib, das Herz), reformatorische Grundprinzipien (»solus Christus«), spiritualistische Ideen (die Weisheit Gottes) und eigene anthropologischen Akzente (die geistleibliche Ganzheit des Menschen, die Limbustheorie, das »Licht der Natur«, und die Heiligkeit als Gottebenbildlichkeit). 2. Die Existenz und die Erlösung des Menschen 2.1 Die Sünde, der Tod und die Existenz des Menschen 2.1.1 Die Sünde des Menschen anhand von Ps 78 (79), Ps 87 (88), Ps 103 (104), Ps 108 (109), Ps 113a (114), Ps 113b (115), P s 115 (116), Ps 118 (119) und Ps 144 (145) 2.1.1.1 Die Sündenerkenntnis Für Paracelsus leidet die menschliche Existenz einerseits unter der Bosheit und andererseits unter dem Tod. 269 Vor diesem Hintergrund entfaltet er sein Sündenverständnis im Psalmenkommentar. Sünde hat bei Paracelsus viele Facetten, wobei er seine Überlegungen sowohl aus der Bibel wie auch aus seinen eigenen Lebenserfahrungen gewinnt. Seine Kernaussagen werden biblisch untermauert und stehen in enger Verbindung mit neutestamentlicher Ethik. 270 Wie bei den Forderungen der Bauernbewegung, sowie bei spiritualistischen und täuferischen Kreisen – mit denen Paracelsus in Kontakt stand – beruft er sich auf das Evangelium als den Erkenntnisgrund jener sozialen Fragen, die einen Schwerpunkt in seinem Psalmenkommentar bilden. 271 Für Paracelsus´ Ethik, die zentral für seine 269 270 271 Zu Ps 87 (88), 4, PW 2/IV, S. 171–172. Goldammer, Paracelsus als Sozialethiker, S. 102. Vgl. Goldammer, Paracelsus als Sozialethiker, S. 3. Eines der Hauptanliegen des Paracelsus ist die soziale Frage. Die Gesamtkonzeption des Paracelsus ist die radikale Erneuerung des Christentums und der christlichen Gesellschaft des Abendlandes, die auf einem neuen Verständnis des Evangeliums beruht, das durch ernsthafte Betrachtung der Bibel gewonnen wird. 75 Psalmenauslegung ist, ist eine weitgehende Anwendung von Grundsätzen der Bergpredigt im Sinne einer urchristlichen Liebesgemeinschaft typisch. Aufgrund von aus der Bergpredigt abgeleiteten Handlungsanweisungen kritisiert Paracelsus Obrigkeiten und Papsttum. Seine so gewonnen Kritikpunkte bezeichnet er dann als deren Sünden.272 Die Sünde im Kommentar zu Ps 78 (79) ist das, was der Mensch selbst ohne die Beziehung zum Wort Gottes für gerecht hält. Wenn der Mensch nicht dem Willen Gottes folgt oder das Wort Gottes verdreht und dadurch seinem eigenen Willen folgt, sündigt er vor Gott. „[A]ls dann ist zehent, opfer, menschengesatzt, zins, steur, schetzung, umbgelt eigen nutz, wucher, kaufhendel in eigen seckel, orden stand und dergleichen, was dann in der zal gotlichs worts nit stet und doch fur gerecht gehalten wird.“273 Daraus folgt, dass durch das Wort Gottes die Sünde erkannt werden kann. In diesem Punkt zeigen sich Ähnlichkeiten zum lutherischen Denken: Luther meint, dass der Mensch von sich aus nur eine ganz ungenaue Ahnung von dem Wesen und der Macht der Sünde habe. Erst durch das Wort Gottes könne er zur Erkenntnis der Sünde gelangen. 274 In der Reformationszeit argumentieren fast alle Reformatoren und Theologen mit der Berufung auf die Bibel. Auch die katholische Kirche argumentiert in ihren Disputen mit den Reformatoren mit der Bibel als einer autoritativen Quelle für ihre Theologie und kirchliches Brauchtum. Erst im Zuge der gegenseitigen konfessionellen Abgrenzungen betont sie dann im Tridentinum stärker den autoritativen Charakter der Tradition neben der Bibel. Sowohl bei den täuferischen Bewegungen als auch bei den Spiritualisten ist das Wort Gottes die wichtigste Richtschnur für die Sündenerkenntnis und das heilsgemäße christliche Leben. Bei den Spiritualisten wurde aber neben dem Wort Gottes auch das innere Licht, der Heilige Geist betont. Ähnlich wie diese betont auch Paracelsus die Erleuchtung durch Gott. Jedoch verhält sich Paracelsus anders als die Spiritualisten: Während die Spiritualisten nur die unmittelbare Erleuchtung durch den Heiligen Geist betonen, wobei ihr Hauptaugenmerk nicht auf der Bibel liegt, sind 272 273 274 Vgl. zu Ps 108 (109), 22–23, PW 2/V, S. 102–107. Zu Ps 78 (79), 8, PW 2/IV, S. 89. Vgl. Martin Luther, Die Promotionsdisputation von Johann Marbach. 16. Februar 1543, in: WA, Bd. 39/II. Weimar 1932, S. 204–232, hier S. 210; ders., 20. De Servo arbitrio, hg. v. A. Freitag, in: WA, Bd. 18. Weimar 1908, S. 551–787, hier S. 742. 76 bei Paracelsus sowohl das Wort Gottes als auch die Erleuchtung durch den Heiligen Geist, wie bei den Täufern, gleich wichtig.275 „[D]arauf sagt er, daß got soll, vor dem und sein rut der heiden kumen, herab schicken sein barmherzigkeit, das ist sein erleuchtung, daß wir die sund und das laster und das arg erkennen, so wir von den alten haben, und darauf dasselbige von uns legen.“276 Die Erleuchtung durch Gott spielt eine wichtige Rolle bei Paracelsus´ Auslegung von Ps 78 (79): Es geht hier um die Frage, wie der Zorn Gottes vermieden werden kann. An dieser Stelle erwähnt Paracelsus den Zorn Gottes über die zwei „schalkheit [Bosheit]“. Er sieht zwei Ursachen für den Zorn Gottes: Den Verzicht auf Christus als den persönlichen Herrn im Tempel des gläubigen Herzens und die alte Bosheit, die die Jugend zu den falschen kirchlichen Traditionen verführt. 277 Nach Paracelsus bleibt Christus innerlich in allen Herzen der Menschen weltweit. Das Herz des Menschen ist der Tempel Gottes, in dem Christus wohnt. Paracelsus macht nun als Ketzer seiner Zeit jene aus, die den neuen innerlichen Tempel der Christenherzen zerstören und veräußerlichen, so wie einst die Heiden – die Paracelsus die alten Ketzer nennt – den alten äußerlichen Tempel in Jerusalem zerstört hatten.278 Daraus folge, dass man auf Christus als seinen eigenen Herrn im Tempel des Herzens verzichte und stattdessen den Glauben veräußerliche. Darüber entbrenne dann der Zorn Gottes. Die Veräußerlichung des Glaubens aber sei durch die Priester und ihre Anhänger entstanden. Auf Grund des unmittelbaren Verhältnisses zu Gott und seiner Betonung der Verinnerlichung des Glaubens kritisiert Paracelsus äußerliches religiöses Handeln und die Bräuche der mittelalterlichen Kirche. Mit dem Begriff »alte Bosheit« bezeichnet Paracelsus die für ihn falschen kirchlichen Traditionen. Obwohl »die jungen« Menschen ernsthaft bemüht seien, würden sie sich um das Einhalten dieser falschen Bräuche sorgen, so dass sie diese nicht als falsch wahrnehmen. Zu ihrer Rechtfertigung greife man auf die Autorität einer langen Tradition zurück, weswegen man sie für gerechtfertigt halte. Schuld sei, so Paracelsus, das Papsttum, weil es das Evangelium verberge, seine eigenen Gebote aufgestellt und diese 275 276 277 278 Goldammer behauptet, dass Paracelsus nie von dem inneren Licht gesprochen habe wie die Spiritualisten. Zu Ps 78 (79), 8, PW 2/IV, S. 89. Zu Ps 78 (79), 5–9, PW 2/IV, S. 87–98. Zu Ps 78 (79), 1–2, PW 2/IV, S. 82–83. 77 dann als Recht verkauft habe. Durch das falsche Handeln des Papsttums entstünden viele ungerechte Lehren und falsche kirchliche Bräuche, durch die der Mensch belastet würde. Darüber hinaus begehe er Bosheiten, weil er dieses falsche Tun nicht als Sünde vor Gott bemerke. Darum könnten »einfache« Menschen nicht erkennen, was Sünde und was der Wille Gottes ist. „[O] herr, sich uns arm leut an, wir wissen nit, was wir tunt; unser herrn plenden uns, pinden uns, verfueren uns, unser gelerten betriegen uns, wir wissens nit, wie wir dran seindt, wir seindt arm leut.“279 Deshalb benötige man dringend die Erleuchtung durch Gott, um falsche Bräuche, falsche Lehren und die Lügen der Geistlichen festzustellen. Ein Mensch ohne diese Erleuchtung ist für Paracelsus ein »armer« Mensch ohne Verstand, der nicht weiß, was er tut und was sündig ist.280 Darum gilt für Paracelsus gerade die Erleuchtung durch Gott als Gottes Barmherzigkeit. Das Wort Gottes und die Erleuchtung durch ihn spielen nun bei der Erkenntnis der Sünde zusammen. Man solle daher erst warten, bis Gott den Menschen erleuchtet,281 da ohne das Wort Gottes und dessen Erleuchtung man nicht erkennen könne, was wirklich vor Gott Sünde ist und was sein Wille. Durch Gottes Erleuchtung sei es möglich, die Lüge der Geistlichen zu erkennen und sich von den Lasten befreien, die das Papsttum auferlegt. In Paracelsus´ Sündenverständnis spielt das Gott-Mensch-Verhältnis eine große Rolle: Durch die Erleuchtung durch Gott ersteht eine Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch. Gott will ohne Hilfsmittel und ohne Vermittlungsinstanzen dem Menschen die Reden der Propheten erleuchten, als die Paracelsus die Psalmisten bezeichnet. 2.1.1.2 Das Sündenverständnis aus der »Erfahrenheit« Obwohl Paracelsus im Psalmenkommentar behauptet, die Sünde durch das Wort Gottes und die Erleuchtung durch den Heiligen Geist richtig zu erkennen, ist sein Sündenverständnis auch eng mit seiner Biographie verknüpft. Die Zeit von 1527 bis zu seinem Tod 1541 war für Paracelsus eine Zeit größter Not.282 Im Jahr 1527 stand er zwar durch den Erhalt der Stelle des Stadtarztes und 279 280 281 282 Zu Ps 78 (79), 8, PW 2/IV, S. 89. Ebd. Vgl. zu Ps 126 (127), 2a, PW 2/VI, S. 181. Vgl. Goldammer, Natur und Offenbarung, S. 70–74. 78 Professors in Basel an der Spitze seiner Karriere. In demselben Jahr verlor er diese aber nach einem erbitterten Kampf mit Fachkollegen und Apothekern und musste aus Basel fliehen. Er wanderte durch das Elsaß, Schwaben, Franken und Bayern. Seitdem war er immer auf Wanderschaft ohne einen festen Wohnsitz. Es war für ihn eine Zeit großer Not – materiell wie seelisch. Obwohl er zahlreiche medizinische und theologische Schriften in dieser Zeit verfasste, wurden seine Publikationen oft verboten. Durch die Unterdrückung seiner Gegner scheiterte 1530 in Nürnberg die Veröffentlichung seines »Psalmenkommentars« und »Opus Paragranum«. Goldammer beschreibt den Zustand des Paracelsus in dieser Zeit folgendermaßen: „Die Hoffnung auf Erfolg und die stolze Selbstsicherheit waren verrauscht. Der jugendliche Optimismus hatte sich verloren. Der Geschändete und überall Verstoßene spürte die Not des Lebens, das sich gar nicht meistern lässt, sondern das uns meistert. Und er erfuhr, daß „Ernst, Armut, Hunger, Elend“ zum theologischen Geist gehören.“283 Diese Zeit war aber auch eine Zeit, in der sich Paracelsus hauptsächlich und intensiv mit dem Verfassen seiner theologischen Schriften beschäftigte. In dieser so genannten »Para-Zeit« (seit 1529) entstanden sowohl seine medizinischen Hauptschriften »Paragranum« und »Paramirum«, die physiologisch-pathologisch-philosophischen Inhalts sind und voller ethischem, sozialem und religiösem Gedankengut, als auch sein umfangreicher Psalmenkommentar. Diese Schriften spiegeln eindrucksvoll seinen Zorn wider. Daher liegt es nahe, dass sein Sündenverständnis im Psalmenkommentar vielleicht Ausdruck seiner Lebenserfahrungen ist. „[W]ie streng wird euer erdbidem sein, die ir gesundt habt, falsch glaubt und die leut in falsch glauben bracht, aus dem weg gottes in eueren [289a] gefurt? die ir den namen gottes gelestert habt, euch zugelegt, das nit euer, sunder got ist? daß ir den sabat brochen habt und euer abgotterei dohin gesetzt; daß ir euern vatter Adam verleugnet habt und seiner zucht entrunen; daß ir gemort habt von euers geiz und lusts wegen die selen, auch die leip der mentschen; daß ir all euer reichtumb, gut, gelt, land, ehr u mit stelen erlangt habt; daß ir die ehe gebrochen habt, verbotten und hueren an die statt gesetzt und die frumen nicht frum behalten; daß ir falsch zeugnus geben habt, euer weg sei gerecht und das bezeugt mit euerm zeugnus, domit ir gottes weg under die fueß und seu geworfen habt; daß ir keim sein gemahel ohn beschissen gelassen habt; daß alle euer guter frembde guter seindt, euch nit zugehorent und mit allen sunden beladen, laster, schand und üppigkeit?“284 283 284 Ders., S. 71. Zu Ps 113a (114), 7, PW 2/V, S. 180–181. 79 Im Psalmenkommentar gibt es einige Auflistungen von Sünden. Dabei haben diese Sündenregister 285 ihre Ursache nicht in den inneren Qualen und den daraus geschlussfolgerten Erkenntnissen wie bei Luther. Bei Paracelsus gründen sie vielmehr in den Kämpfen mit seinen Gegnern und Kritikern,286 denn seine Sündenregister sind in der Regel nicht auf ihn selbst bezogen, sondern meistens auf seine Widersacher: Obrigkeiten, der Papst, Geistliche und Gelehrte der Theologie, des Rechts und der Medizin.287 Seine Sündenbegriffe sind somit genau wie bei Luther, wenn auch mit anderen Inhalten, seiner Lebenssituation und seinen persönlichen Erlebnissen geschuldet: Zum Beispiel übte er in seiner Zeit des beginnenden Frühkapitalismus scharfe Kritik an Wucher und Zinswesen. „[D]aß diese arbeit der menschen die weisheit gottes sei; dann in der weisheit seindt sie gemacht, das ist in gottes. [...] daß wir uns nit mit zins, gult, wucher, spilen, kupplen, schinden u sollen neren; dann diese nahrung kumen vom deufen, nit aus gotlicher weisheit.“288 Paracelsus misstraute der kommerziellen Geld- und Zins-Wirtschaft, wohingegen er eine positive Meinung gegenüber körperlicher Arbeit und Naturalwirtschaft hatte. So setzte er die körperliche Arbeit in der Natur mit der göttlichen Arbeit in Beziehung. Er stellte darum Wucherer, Zins- und Steuereinnehmer, sowie den Adel, Reiche, Priester und Mönche den Feinden Gottes gleich.289 Gemäß seinem Auslegungsprinzip weist er im Psalmenkommentar oft darauf hin, dass sich die Sünde auf die Sünde der Geistlichen und Obrigkeiten in seiner Zeit beziehe.290 Paracelsus sieht die Psalmen nicht einfach als eine Sammlung frommer Gedichte an. Vielmehr bezeichnet er sie als eine prophetische Dichtung und nennt die Psalmisten Propheten, die durch die Psalmen jene Ereignisse vorausgesagt hätten, denen 285 286 287 288 289 290 Zu Ps 78 (79), 8, PW 2/IV, S. 89; zu Ps 108 (109), S. 22–23, PW 2/V, S. 102–107; zu Ps 113a (114), 7, PW 2/V, S. 180–181; zu Ps 115 (116b), 11, PW 2/V, S. 213; zu Ps 144 (145), 6, 15, PW 2/VII, S. 72, 77. Goldammer, Natur und Offenbarung, S. 23. Vgl. zu Ps 143 (144), 2a, PW 2/VII, S. 58. Zu Ps 103 (104), 24, PW 2/V, S. 13. Vgl. zu Ps 103 (104), 34, PW 2/V, S. 19. Paracelsus legt z.B. Ps 113b (115), 1 („Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deine Gnade und Wahrheit!“) folgendermaßen aus: Schon David habe den Antichristen gesehen wie er dann auch im neuen Testament geschildert worden sei und Gott habe David diesen in seiner apokalyptischen Dimension deutlich vor Augen geführt. Daraufhin, der zukünftigen Abgötterei gewahr werdend, sei David erzittert. Paracelsus schlägt dann von dort ausgehend die Brücke zu seiner Situation: Er kritisiert den Klerus, dass der Stand der Geistlichen die Ehre, die eigentlich Gott zustehe, an sich gezogen habe: Zu Ps 113b (115), 1, PW 2/V, S. 183. 80 die Christen dann in der Zeit der Kirche begegneten. Darum befasste sich Paracelsus in seinem Kommentar mit den aktuellsten sozialen Fragen seiner Zeit. Nicht zuletzt verbindet sein Auslegungsprinzip sein Sündenverständnis stark mit dem eigenen Erleben und der damaligen gesellschaftlichen Situation. Paracelsus´ Sündenbegriffe sind schlussfolgend oft sozialethisch bestimmt. In den sozialrevolutionären und täuferischen Bewegungen seit 1527291 und in der persönlichen Begegnung mit Sebastian Franck 1529 fand er Übereinstimmungen mit seinen eigenen Gedanken über die wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten. Jedoch unterscheidet sich Paracelsus von diesen Gruppen dadurch, dass er den Individualismus, den er aus seinem Persönlichkeits- und Sendungsbewusstsein und aus seiner Wissenschaft heraus entwickelt, mit einem modifizierten Kollektivismus verbindet, der sowohl durch das urchristliche als auch durch das mittelalterliche Gemeinschaftsgefühl genährt worden sein dürfte. Dieses Konglomerat überführt er dann in eine christozentrische Sozialtheorie, die auf die Bergpredigt und das Evangelium konzentriert ist.292 Obwohl Paracelsus zunächst auf der Seite der Aufständischen und abgesonderten Gruppen gestanden hatte, blieb er vorsichtig, kritisch und hielt eine gewisse Distanz. Viele seiner sozialethisch geprägten Sündenkonzeptionen im Psalmenkommentar entstanden jedoch in diesem Austausch. Nicht zuletzt deshalb spielt das Armutsprinzip bei seinem Sündenverständnis eine große Rolle: Reiche sind für Paracelsus eine der vier Gruppen von Gottesfeinden. Ein Reicher kommt nach Paracelsus nicht in den Himmel und der Wucherer wird zum Urbild des Gottesfeindes. Fromme Gläubige hingegen bleiben arm und demütig. Nach Rudolph stellt ein solch rigoroses Armutsprinzip einen wesentlichen materiellen Kerngedanken Paracelsus´ dar, dessen Zentralität wiederum ein Erbe der Franziskaner-Spiritualen ist.293 291 292 293 Vgl. Frank Geerk, Paracelsus – Arzt unserer Zeit. Leben, Werk und Wirkungsgeschichte des Teophrastus von Hohenheim. Zürich 1992, S. 57–61; Goldammer, Paracelsus als Sozialethiker, S. 10– 11, 83–84. Paracelsus war 1525 in Salzburg und 1532–1534 in Tirol mit dieser Bewegung in Berührung gekommen. In Salzburg hatte er an Versammlungen der Aufrührer teilgenommen und dort eine Rede gehalten. Darum wurde er als Aufrührer behandelt und vorübergehend verhaftet. Dem folgte die Ausweisung aus der Stadt unter Einbehaltung seines Besitzes. Vgl. Goldammer, Paracelsus als Sozialethiker, S. 24–27, 32–35. Hartmut Rudolph, Evangelische Reform, Naturmystik und medizinische Theologie zum Erbe des Paracelsus, in: Meyer, Dietrich und Sträter, Udo (Hg.), Zur Rezeption mystischer Traditionen im Protestantismus des 16. bis 19. Jahrhunderts. Beiträge eines Symposiums zum Tersteegen–Jubiläum 81 Während Paracelsus die Sünde aus dem Wort Gottes durch die Erleuchtung Gottes definiert, stellt er durch seine »Erfahrenheit« fest, was wirklich die Sünde in seiner Zeit ist. Die beiden Seiten, einerseits das Wort Gottes und die Erleuchtung, andererseits die »Erfahrenheit«, sind somit bei dem paracelsischen Sündenverständnis eng verbunden. 2.1.1.3 Die Sündhaftigkeit des Menschen Paracelsus betont wiederholt, dass jeder Mensch für seine eigenen Sünden verantwortlich und von den Sünden seiner Eltern oder Vorfahren frei sei. „[D]ie zerbricht er in ir reinigkeit, das ist: sie seindt unschuldig der ungeschickigkeit der eltern und seindt rein von ihnen, als der keiser ist rein in den daten des Neronis, er ist rein in den werken und sigen der Romern u.“294 Er betont hier die Selbstverantwortlichkeit für die eigenen Sünden. Aus diesem Grund lehnt er Fürbitten und Seelenmessen ab. Für Paracelsus ist jeder Mensch im Grunde ein Lügner und damit sündig. „[D]arumb so die ehr dein ist, so stets al auf deiner barmherzigkeit und auf deiner warheit. dieweil die ehr gottes auf der barmherzigkeit und warheit stat, so ermessen in euch selbs, ob der mensch mug von der ehr gottes etwas haben und sein dasselbig [göttlich], dieweil ein ieglicher mensch ein lugner ist.“295 Er untermauert dies mit Vers 11 aus Ps 115 (116), indem er ihn dahingehend auslegt, dass der Mensch mit der bloßen menschlichen Weisheit zu einem Lügner werde. Denn er könne mit ihr nicht erkennen, was wahr ist und was nicht. Nur die Weisheit Gottes würde dies ermöglichen. Paracelsus ist der Ansicht, dass jeder Mensch verpflichtet sei, Gott nicht zu verlassen und sein Gesetz anzunehmen. Durch das Brechen dieser Pflicht verliere er die Weisheit Gottes und unterliege nur noch der menschlichen Weisheit. Darum sündige der Mensch mit dieser Weisheit vor Gott, indem er nicht erkenne, was Sünde ist, und nicht tue, was Gott gefällt. Dies könne auch über Adam gesagt werden: Durch seinen Sündenfall, der Entscheidung, die Gebote Gottes nicht einzuhalten, unterlag er der menschlichen Weisheit, d.h., er wurde zum Sünder.296 Jeder Mensch, der 294 295 296 1997 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Bd. 152). Köln 2002, S. 25–39, hier S. 37–38. Zu Ps 88 (89), 45, PW 2/IV, S. 207. Zu Ps 113b (115), 2, PW 2/V, S. 184. Für Paracelsus steht hier das Bild vom Verschließen des Himmels nach dem Sündenfall und die Verheißung des Messias, der den Himmel wieder öffnen wird, für das Sündersein des Menschen: Vgl. zu Ps 109 (110), 1a, PW 2/IV, S. 127. 82 nur die menschliche Weisheit besitzt, stehe als ein Lügner unter der Sündhaftigkeit. Was er spricht, gelte vor Gott nur als eine Lüge. Sofern der Mensch die Weisheit Gottes durch den Glauben nicht erhält, bleibe er ein Lügner. Darum ist die paracelsische Betitelung des Menschen als Lügner eine Bezeichnung der menschlichen Sündhaftigkeit und des Sünderseins. Die Frage jedoch, wann der Mensch zum Lügner wird und ob die Lüge der Erbsünde gleichzusetzen sei, beantwortet Paracelsus nicht wirklich. Goldammer ist der Meinung, dass Paracelsus die Erbsünde als den Ursprung jeder Sünde ansieht und der Mensch dann durch die persönliche Sündhaftigkeit die vollständige sittliche Erkenntnis und die menschliche Fähigkeit, aus dem Licht der Natur Einsichten zu gewinnen, verliert.297 Im Kommentar zu Ps 113b (115) wird die Sündhaftigkeit des Menschen durch die Lüge betont, welche von der menschlichen Weisheit ausgeht. Bei Paracelsus ist die Sünde alles, was nicht von der göttlichen Weisheit kommt. Darum soll der Mensch von Gott durch den Glauben die göttliche Weisheit erhalten. Der Laientheologe verwendet nicht den Begriff der Erbsünde und bildet auch keine theologisch systematische Struktur aus der biblischen Aussage, dass jeder Mensch ein Lügner sei. Dagegen versteht er als Sündhaftigkeit des Menschen eine Beziehunglosigkeit zu Gott. Jeder Mensch ist ausschließlich für seine eigene Sündhaftigkeit verantwortlich, nicht für die seiner Vorfahren. 2.1.1.4 Das Wesen der Sünde So wie Luther viele Begriffe zur Bezeichnung der Sünde benutzt – Unglaube, mangelndes Gottvertrauen, fehlende Liebe zu Gott, Undankbarkeit, Hochmut, »superbia«, »amor sui« 298 – bezeichnet Paracelsus neben Lüge und Betrug auch Hochmut, Völlerei und Reichtum als Sünde. Ähnlich wie bei Zwingli, der Lüge und Selbstliebe als wesentliche Erscheinungsformen der Sünde ansieht, 299 sind bei Paracelsus Lüge und Hochmut grundlegende Sünden. Bei Paracelsus steht die Lüge im Zusammenhang zum Gottesverhältnis. Gott ist Wahrheit und wahrhaftig. Außer Gott gibt es keine Wahrheit. Paracelsus versteht die 297 298 299 Vgl.Goldammer, Das Menschenbild, S. 212. Vgl. Lohse, Luthers Theologie, S. 266–267. Holze, Sünde, in: RGG4, Bd. 7 (2004), 1885. 83 Lüge als den Gegensatz zur Wahrheit. 300 In diesem Zusammenhang ist die Weisheit Gottes die Wahrheit. Der Mensch kann von Gott den Glauben erhalten, der ihn zur Seligkeit führt.301 Darum ist die aus Gott stammende Weisheit „ein gleichmeßigs stuck der seligkeit und ein artikel der saligkeit.“302 Wo die Beziehung zu Gott gebrochen wird, verschwindet jedoch die Wahrheit. Es herrscht dann nur die Lüge. Hinter dem Begriff »Lüge« steckt der Gedanke von der Gottverlassenheit des Menschen, weil die Wahrheit als der Gegensatz der Lüge zu Gott gehört. Die Lüge ist somit ein Symbol für den menschlichen Zustand, Gott zu verlassen. Außerdem bezeichnet Paracelsus die Lüge als die menschliche Weisheit, die Gott verlässt.303 „[D]as seindt aber nit weisheit, sunder finanz. dann weisheit und finanz304 scheidet sich in dem, daß die weisheit aus got gehet, der finanz vom mentschen. dann ein iedliche menschliche weisheit, wie ich sie hie melt, finanz ist niener zu gut dann zu aufsatz, disem oder dem, dem oder disem zu schaden oder zu nutz, oder ein zeitliche betrachtung zeitlichs lebens. diser ding all mussen durch finanz geschehen, seindt aber dotlich weisheit, dotlich ding reden sie auch und gont allein uf hoffart.“305 Paracelsus erkennt zwar an, dass die menschliche Weisheit fähig ist, Gutes zu tun. Solche Taten könnten zwar von Natur aus gut sein, aber nicht vor Gott bestehen. 306 Ohne die Weisheit Gottes könne der Mensch nichts Gottgefälliges bewirken. 307 In diesem Punkt steht Paracelsus Luther näher. 308 Im Grunde ist für Paracelsus jeder Mensch, der die aus Gott stammte Weisheit nicht besitzt, ein Lügner. „[W]o ein lugner ist, do ligt mords mutter, diebs mutter, verreters mutter; dann aus der lugen werden díe ding all geboren.“309 Paracelsus meint an dieser Stelle, dass alle verbrecherischen Taten in der Lüge gründen. Die Lüge verführe zum Hochmut und die rein menschliche Weisheit mache den Menschen stolz. 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 Zu Ps 113b (115), 2, PW 2/V, S. 184. Vgl. zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 211. Ebd. Ebd. Das Wort „finanz“ bedeutet unredliches Geschäft, Wucherei, Betrug und List: zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 212, Anmerkung f. Zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 212. Zu Ps 115 (116b), 11, PW 2/V, S. 213. Vgl. zu Ps 75 (76), 7, PW 2/IV, S. 6. Luther hat auch eine ähnliche Auffassung: „sie (die Sünde) kann sehr wohl auch äußerlich ehrbare Werke des Menschen sich dienstbar machen“: Vgl. Lohse, Luthers Theologie, S. 267. Zu Ps 115 (116b), 11, PW 2/V, S. 213. 84 Der Begriff »Lüge« hat dabei eine konkrete und eine abstrakte Bedeutung: Einerseits abstrahiert Paracelsus die Lüge zum rein menschlichen Vermögen oder zur rein menschlichen Weisheit, die in keiner Verbindung zu Gott steht. Andererseits benutzt er in konkreten Zusammenhängen die wörtliche Bedeutung der Lüge. Hier kritisiert er besonders die Lüge der Geistlichen. „[D]as [die Lüge] ist der grund der weisen des finanz.“310 Sie würden die Menschen betrügen und den vergeblichen Gebräuchen der römischen Kirche folgen lassen, die nicht dem Wort Gottes entsprächen. Wirklich teuflisch sei insbesondere die Verfälschung der Propheten und des Evangeliums durch das Papsttum. 311 Dadurch könnte der Klerus sein üppiges Leben führen. Seine Angehörigen seien deshalb innerhalb der Christenheit Verführer und Lügner und damit Feinde Gottes.312 „[E]s seindt die, so die gerechtigkeit gottes verwandlen von der seel in leip, das seindt die hoffertigen. dann so balt es dahin kompt, daß die seel uf den leip muß acht haben, so ist es gewiß, daß die hoffart do ist. nun wechst also aus der hoffart dem leip sein mut, sein wil, sein lust. nun ist die hoffart ein mutter alles übels und alles args und vergist gottes gar also.“313 Paracelsus benutzt im Psalmenkommentar »Hochmut« auf zweifache Weise. Er unterscheidet den vom Himmel abgefallenen Teufel vom irdischen Teufel, dem Papsttum. 314 Desgleichen unterscheidet Paracelsus den Hochmut des himmlischen Luzifers vom Hochmut des irdischen Luzifers. Der erstere entspräche – ganz im Sinne der üblichen kirchlichen Tradition – der Hybris, Gott gleich sein zu wollen. Damit versuche Luzifer, Gott zu verstoßen und sich an die Stelle Gottes zu setzen. Deshalb sei 310 311 312 313 314 Ebd. Sie sind für Paracelsus deshalb Lügner und Feinde Gottes der Christenheit, weil sie sich in ihrem Betrug als einen treuen Bruder in Christo ausgeben und daher von den Geboten Gottes ablenken: zu Ps 143 (144), 1–2a, PW 2/VII, S. 55–58. Einen merkwürdigen Hinweis zum Sündeverständnis des Paracelsus findet sich im Kommentar zu Ps 118 (119), 119: „daß wir fallen und sunden, ist nit deufels meisterfschaft, die natur fallt, sie stet aber wieder auf. diese list aber, so der deufel lernt, seindt überaus über alle gedanken wunderbarlich. darumb so muß es nur der babst und die seinen sein.“: zu Ps 118 (119), 119, PW 2/VI, S. 95–96. Paracelsus meint damit, dass das Fallen und Sündigen natürlich sei. Wirklich teuflisch und darin mit nichts zu vergleichen sei das Papsttum. Denn es verfälsche die Propheten und das Evangelium. Die größte Gefahr im Betrug des Papsttums liege darin, dass der Mensch dadurch der ewigen Verdammnis verfallen könne. In diesem Sinne sei die Lüge eine der schlimmsten Sünden. Zu Ps 143 (144), 1–2a, PW 2/VII, S. 55–58. Zu Ps 118 (119), 21, PW 2/VI, S. 28. Zu Ps 77 (78), 12, PW 2/IV, S. 40; zu Ps 106 (107), 7, PW 2/V, S. 57–58; zu Ps 107 (108), 7b/8a, PW 2/V, S. 81; zu Ps 108 (109), 7, PW 2/V, S. 93. 85 der Engel Luzifer von Gott aus dem Himmel verstoßen worden. 315 Zum irdischen Hochmut des Papsttums äußert sich Paracelsus in seinem Kommentar zu Ps 118 (119). Da versteht er unter »Hochmut«, die Gerechtigkeit Gottes für die leiblichen Vorteile auszunutzen.316 Diesen Hochmut besitzen nach Paracelsus die irdischen Luzifer, unter denen an dieser Stelle sowohl das Papsttum als auch die weltliche Obrigkeit verstanden werden (anders als an anderen Stellen, wo nur das Papsttum als irdischer Luzifer bezeichnet wird). 317 Den Hochmut der irdischen Luzifer bezieht Paracelsus auf zwei Bereiche: Den Bereich des Verhältnisses zu Gott und den Bereich des Verhältnisses zu den Nächsten. Indem sie die göttlichen Gebote verfälschen, offenbaren sie ihren Hochmut auf Erden. Durch die Verfälschung hätten sie einen falschen Glauben an Gott, obwohl sie sich als Christen ausgeben. Denn sie folgten nicht dem Willen Gottes, sondern verlangten nach der leiblichen Völlerei und den leiblichen Vorteilen. Indem sie an Stelle der Gebote Gottes ihre Gebote stellen, legitimierten sie aufgrund der falschen Auslegung des Wortes Gottes ihre Völlerei und forderten ungerechter Weise von ihren Mitmenschen Gaben ein. 318 Damit könne der Hochmut mit der »amor sui«, der Selbstliebe, verbunden werden. Der Mensch wolle letztlich sich selbst genießen und sich selbst anbeten lassen. Außerdem sei kein Glaube im Hochmut.319 Mit der Lüge und dem Hochmut ersetze der Mensch die Gebote Gottes durch seine eigenen Gebote, nutze alles für leibliche Vorteile aus und verhindere, dass die anderen zur Seligkeit gelangen. Darum bezeichnet Paracelsus die Lüge und den Hochmut als „ein mutter alles übels und alles args“.320 Hier kann man deutlich sehen, dass Paracelsus seine wichtigsten Sündenbegriffe, die Lüge und den Hochmut, direkt den Psalmenversen – die Lüge in Ps 115 (116), 11 und 315 316 317 318 319 320 Zu Ps 144 (145), 6, 15, PW 2/VII, S. 72–77. Zu Ps 118 (119), 21, PW 2/VI, S. 28. Vgl. zu Ps 118 (119), 21, PW 2/VI, S. 29. Zu Ps 118 (119), 21, PW 2/VI, S. 28–29. Vgl. zu Ps 130 (131), 1a, PW 2/VI, S. 205–206. Dort werden zwei Arten von Stolz erwähnt: der Hochmut des Geistes, bzw. der geistliche Stolz und die Völlerei. Im Kommentar zu Ps 88 (89), 13b/14a werden die Fürsten der Welt, die Geistlichen und die Reichen, als die drei „hoffertigen“ Gruppen angeführt. Zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V. S. 211. Vgl. zu Ps 118 (119), 21, PW 2/VI, S. 28; zu Ps 115 (116b), 11, PW 2/V, S. 213. Daneben gibt es bei Paracelsus ein weiteres Sündeverständnis: Er unterscheidet auch zwischen der Sünde, die hervorgebracht wird, und der Sünde in Gedanken. Beide seien vor Gott Sünde. Obwohl Goldammer hier eine Berührung zu Luthers Sündenverständnis sieht, ist diese Unterscheidung aber nicht nur lutherisch, sondern auch durchaus katholisch: Zu Ps 138 (139), 3, PW 2/VII, S. 5. 86 den Hochmut in Ps 118 (119), 21 – entommen und durch seine »Erfahrenheit« mit den persönlichen Sünden in seiner Zeit verbunden hat. Interessanterweise gehört der Hochmut zu einer der sieben Todsünden, die damals traditionell von der Kirche gelehrt wurden, und die Lüge zu einer derjenigen, die Reformatoren, besonders Zwingli, als wesentliche Erscheinungsformen der Sünde ansahen. Darum scheint es, dass Paracelsus seine Sündenbegriffe immer kontextuell konzipiert. 2.1.2 Der Tod als die Trennung von Gott und von anderen anhand von Ps 87 (88) Paracelsus versteht neben der Sünde den Tod als das Schicksal, unter dem der Mensch leidet: „[N]un das seindt zwen artikel, die uns anligen, dann wir werden alle mit den zweien artikeln beladen und gebunden, sovil unser auf erden seindt, und in denen zweien stet all unser geschrei zu got. [...] dieweil der erst punkt antrifft, daß unser seel voller bosheit ist, so seindt wir ietz gezwungen zu weinen vor got. ietz folgt aus dem, daß das geschrei nit frolich ist, sunder weinend. [...] nun der ander punct ist, daß unser leben sich zu der hellen nehen. solchs bewegt uns zu weinen, nit zu singen, sunder in uns zu seufzen.“321 Paracelsus betont, dass der Mensch dem Tod nicht entrinnen kann. 322 Sein Todesverständnis speist sich nicht nur aus den Psalmen, sondern auch aus dem ganzen Alten Testament. Paracelsus charakterisiert den Tod mit Begriffen wie »Trennung«.323 Während der Tod in seinen naturphilosophischen Schriften als die Auflösung der drei Substanzen Sulphur, mercurius und sal beschrieben wird, bedeutet der Tod hier die Trennung sowohl von Gott als auch von den Anderen durch die Trennung von Leib und Seele.324 Zuallererst versteht Paracelsus den Tod als die Trennung von Gott. Obwohl der Tod im Psalmenkommentar in physischer Hinsicht als die Trennung von Leib und Seele erwähnt wird,325 hebt Paracelsus noch mehr den Tod als die Trennung von Gott hervor. Der Tod 321 322 323 324 325 Zu Ps 87 (88), 4, PW 2/IV, S. 171–172. Zu Ps 138 (139), 9/10, PW 2/VII, S. 12. Paracelsus nennt den Menschen sowohl einen Gott auf Erden als auch ein sterbliches Wesen. Er bringt damit zum Ausdruck, dass der Mensch zwar den Tieren überlegen ist, aber trotzdem sterben muss: zu Ps 81 (82), 7, PW 2/IV, S. 125. Der Tod ist die Existenz, der der Mensch nicht entrinnen kann. Zu Ps 87 (88), 5/6a, PW 2/IV, S. 172. Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 50–51. Für Paracelsus ist der Tod etwas Unerwünschtes und Widernatürliches, etwas Lebensfeindliches. Der Tod steht für ihn in keinem Zusammenhang mit der Krankheit, weil diese seiner Meinung nach eine Äußerung des Lebens ist. Zu Ps 87 (88), 6b, PW 2/IV, S. 173. vgl. zu Ps 138 (139), 8, PW 2/VII, S. 11: Hier begegnet die Vorstellung vom Tod als dem Ende des physischen Prozesses: Der Leib ist das Holz. In ihm glüht das 87 als Gottesferne ist eine typisch alttestamentliche Definition des Todes, die von der Gottesbeziehung her bestimmt wird. Nach Paracelsus stehe Gott in keinerlei Beziehung zu den Toten in der Hölle,326 obwohl er gütig, gnädig und barmherzig sei.327 Er lasse den Toten weder Gnade, noch Hilfe, noch Trost zuteil werden.328 Gott vergäße sogar die Verstorbenen in der Hölle.329 Wie der Tod als Trennung angesehen werden kann, versteht Paracelsus die Liebe als den Gegensatz des Todes, weil sie die Beziehung zu Anderen, bzw. die Hilfe für Andere herstellt.330 Christus, der „erquicker“ und „frolich macher“, habe seinen Jüngern die Liebe befohlen. Darum solle der Gläubige die Liebe in Christo üben. Wenn er nicht liebt, dann gerate er in den Zustand eines Toten. Hier versteht Paracelsus unter einen Toten nicht einen Menschen, der physisch gestorben ist, sondern jemanden, der keine Beziehung zu Gott hat.331 Paracelsus vertritt die Vorstellung, dass der Mensch nach dem Tod in die Hölle gelangen kann. Dabei stellt er sich die Hölle zweigeteilt in eine obere Hölle als dem Bereich des Bösen auf der Erde und eine untere Hölle als dem Schattenreich der heillosen Toten vor.332 Er betont aber auch die Verbundenheit zwischen beiden Höllen: Wer nach seinem eigenen Willen auf der Erde, d.h. in der oberen Hölle, lebt und Gott nicht lobt, kommt nach dem Tod in die untere Hölle. Die Entscheidung, ob man in den Himmel oder in die Hölle kommt, fällt auf der Erde, im Leben. Das Handeln auf der 326 327 328 329 330 331 332 ganze Leben über ein Feuer. Durch das Feuer verbrennt der Leib allmählich und die Organe im Leib werden immer trockener. Dabei wird der Leib schwach, auch die geistige Kraft, z.B. die Vernunft und die Weisheit, werden schwach. Wenn das Feuer im Leib kein Holz mehr bekommt, dann erlischt es. Das ist der Tod des Leibes. Das Erlöschen entsteht durch viele Krankheiten, Elend und Trübsal: Zu Ps 101(102), 4–5, PW 2/IV, S. 320–321. In diesem Zusammenhang spricht Paracelsus von Gott als Gott der Lebenden: Zu Ps 80 (81), 2, PW 2/IV, S. 110. Das Lebendigsein ist für Paracelsus der Erkenntnisgrund und die Folge der Erlösung. Er unterscheidet in diesem Sinne merkwürdigerweise die Bezeichnungen Gott und König oder Richter. Er meint, dass Christus als Gott den Erlösten begegnet, während er als König oder Richter den Verdammten begegnet: Zu Ps 94 (95), 3, PW 2/IV, S. 272. Zu Ps 75 (76), 3, PW 2/IV, S. 2. Zu Ps 87 (88), 15–16, PW 2/IV, S. 178–179. Zu Ps 87 (88), 6b, PW 2/IV, S. 173. Zu Ps 87 (88), 5/6a, PW 2/IV, S. 172. In diesem Sinne nennt Paracelsus die Geistlichen und die Menschen, die unter dem kirchlichen Brauchtum leben, Tote auf Erden, weil sie Gott mit ihrem Brauchtum vergeblich loben. So stellt Paracelsus zwei Arten von Toten fest, die nicht Gott loben: die Toten auf der Erde und die Toten in der Hölle: zu Ps 113b (115), 17, PW 2/V, S. 194–195. Wenn der Mensch auf Erden lebt und nicht den Wegen Gottes folgt, ist er ein Toter. Dieser Tote erscheint vom Leib her gesehen lebendig, weil er im Körper lebt. Zu Ps 87 (88), 7, PW 2/IV, S. 174. 88 Erde, während des irdischen Lebens, ist also entscheidend.333 Darum kann auch die Erlösung nur während der Lebenszeit erlangt werden. Denn nach dem Tod gibt es keine Möglichkeit mehr, der Gnade Gottes oder der Vermittlung des Heils teilhaftig zu werden oder das Urteil über das eigene Leben noch abwarten zu können.334 Diese Auffassung von der völligen Trennung zwischen den Toten und Lebenden findet sich auch im Alten Testament. Dadurch bedeutet »Erlösung« bei Paracelsus die Befreiung von zwei Höllen: Von der oberen und von der unteren Hölle. Die untere Hölle nennt Paracelsus das Totenreich oder das Schattenreich. Dort gibt es keine Wunder Gottes und kein Leben, d.h., dort gibt es keine Beziehung zu Gott. Für Paracelsus besteht dieses Reich aus dem Schatten des Himmels und der Erde. Ihre Ordnungen und ihre Bewohner sind nur ein Schatten der Oberwelt und des Himmels. Darum gibt es dort weder Kraft, Licht, Liebe, Treue, Freude noch Mut. Diese Stätte ist der Ort, der sowohl von Gott als auch von den Lebenden getrennt ist. Die untere Hölle unterliegt dem ewigen Zorn Gottes.335 Die Toten können ihre Schattenexistenz nicht verlassen. Hier erkennt Goldammer den Einfluss der primitivreligiösen und der homerischen Vorstellung von der Unterwelt. Es gibt auch im Alten Testament ähnliche Vorstellungen vom Totenreich als Schattenreich: In Jes 14 und 26 führen die Toten in der Unterwelt eine schattenhafte Existenz. Dort wird auch das Dasein der Toten durch Kraftlosigkeit charakterisiert wie bei Paracelsus in dieser Psalmenauslegung zu Ps 87 (88), 7. 336 Die alttestamentliche Vorstellung über das Totenreich stimmt weitgehend mit den Vorstellungen der altorientalischen Völker überein. Diese beeinflussten umfangreich die altgriechischen Vorstellungen vom Totenreich.337 Darum kann man sagen, dass das Totenverständnis des Paracelsus vom alttestamentlichen und damit vom altgriechischen Totenverständnis beeinflusst wird. Paracelsus unterscheidet die Toten in der (unteren) Hölle von den in Christus Entschlafenen. Während die Toten, die im Schattenreich bleiben, dem Zorn Gottes 333 334 335 336 337 Vgl. Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 49. Vgl. zu Ps 138 (139), 8, PW 2/VII, S. 11. Zu Ps 87 (88), 8, PW 2/IV, S. 175. Vgl. Kathrin Liess, Art. Tod, II. Tod und Totenreich im Alten Testament, in: RGG4, Bd. 8 (2005), 429– 431, hier 430. Walter Dietrich und Samuel Vollenweider, Art. Tod II, in: TRE, Bd. 33 (2002). S. 582–600, hier S. 585–588. 89 unterliegen, sind die in Christus Entschlafenen des Schattenreichs enthoben. Für letztere bedeutet die Gemeinschaft über den physischen Tod hinaus eine personale Aufnahme bei Gott. Die Toten beider Gruppen leben zwar ewig, aber sind streng voneinander getrennt. Die Toten in der Hölle bleiben ewig unter dem Zorn Gottes. „[D]ann einer der ein feint gottes bleibt sein leben lang und stirbt wider ihn, so bleibt auch got sein feind sein lebenlang auch. also ist got ohn end, ohn tod, darumb so muß es ohn end sein und bleiben.“338 Sie können Gott weder loben noch danken, da nur die Lebenden dies können. 339 Dadurch betont Paracelsus die Trennung der Verstorbenen in das Schattenreich einerseits und in die lebendige Gegenwart Gottes andererseits. Neben der Trennung von Gott bedeutet der Tod die Trennung von den Anderen, aber auch von den Verpflichtungen: „[S]ie seindt frei, das ist: niemandts ist ihn nichts schuldig noch sie auch niemandts. sie seindt von uns geschiden und wir von ihnene; sie leben undereinander und wir undereinander.“340 Die Verstorbenen und die Lebenden sind somit derart streng voneinander getrennt, dass keiner dem anderen helfen und ihn beeinflussen kann. Durch den Tod ist der Verstorbene von den Ordnungen und den Pflichten auf Erden und sogar gegenüber den Geboten Gottes frei. In diesem Zusammenhang lehnt Paracelsus streng die mittelalterlichen Totenkulte ab, bei denen die Lebenden für die Toten oder die Toten für die Lebenden bitten – und dies trotz der spätmittelalterlichen Heilsangst.341 Im Mittelalter wurde die Verbindung der Lebenden mit den Toten dadurch ausgedrückt, dass die Friedhöfe sich in der Nähe der Lebenden befanden. Man kann deshalb von einer Einverleibung der Toten in die Gemeinschaft der Lebenden sprechen.342 Bei der Frage nach der Wirkung der Fürbitte wurde daneben die über den Tod hinausgehende geistliche Kommunikation mit den Toten betont. Dadurch konnte man sich vorstellen, dass die Toten auch für Lebende 338 339 340 341 342 Zu Ps 87 (88), 8, PW 2/IV, S. 175. Vgl. zu Ps 116 (117), 1–2, PW 2/V, S. 225–229: Dort erwähnt Paracelsus diejenigen, die nicht Gott loben. Diese sind die Toten und die Verdammten, die Rotte der Antichristen. Denn das Lob gründet nach Paracelsus in der Liebe und die Liebe ist das höchste Lob. Zu Ps 87 (88), 5/6a, PW 2/IV, S. 173. Vgl. zu Ps 111 (112), 7a, PW 2/V, S. 161; zu Ps 103 (104), 33, PW 2/V, S. 18–19; zu Ps 105 (106), 28, PW 2/V, S. 41; zu Ps 117 (118), 5, PW 2/V, S. 232–233. Klaus Fitschen, Art. Tod IV, in: TRE, Bd. 33 (2002), S. 605–614, hier S. 608. 90 bitten könnten. 343 Die Toten konnten sich sogar in sozialer und besitzrechtlicher Gemeinschaft befinden. Darum wurde seit dem 11. Jahrhundert von Erscheinungen armer Seelen berichtet, die um nachträgliche Hilfe durch die Lebenden baten.344 Die toten Heiligen wiederum wirkten durch ihre Reliquien für die Lebenden das Heil. Das Totenritual sollte zudem die Mächte des Bösen abwehren. Für Paracelsus gibt es einen großen Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen den Seligen und den Verdammten.345 Der Tod führt für ihn zum Vergessen. Die Toten vergisst nicht nur der Mensch, sondern auch Gott. 346 Darum lehnt Paracelsus auf Grund seines Todesverständnisses die mittelalterlichen Totenkulte (die Fürbitte für die Toten, die Seelenmessen und die Lehre vom Fegefeuer) ab. 2.1.3 Die menschliche Existenz: Elend und Trübsal anhand von Ps 101 (102) und Ps 108 (109) Paracelsus ist der Meinung, dass der Mensch das Wesen auf der Erde ist, das durch Sünde und Tod bedrängt wird, so dass es unter Elend und Trübsal sein Leben auf der Erde fristet. Die Angst vor der Vergänglichkeit des Menschen betrachtet er dabei unter der Perspektive des Arztes. Der Mensch leidet unter dem Alterungsprozess und dem allmählichen Verfall seines Körpers: „[I]etz verleurt er die geschickligkeit in dém glid, darnach in dém, und also fur und fur nimpt sein gesundheit ab, bis gar hinkompt, das ist: bis ein herbst do ist, daß alles abfellt. dergleichen so das nit beschicht, so kompt der gech [=jähe] tod wie ein segessen und mets hinweg, also daß wir kein stund sicher seindt, wenn der mader kompt und isset uns darumb so wir in solchen engsten und trubsal taglich stent, so mus unser herz woll abdorren und mus verschwinnen.“347 Aufgrund seiner Leiblichkeit und seiner dadurch ausgelösten Vergänglichkeit liegt der Feind des Menschen in ihm selbst. Hier ist festzustellen, dass Paracelsus das spätmittelalterliche negative Lebensgefühl seiner Zeitgenossen teilt, das geprägt war von Unsicherheit und der Angst vor einem unvorbereiteten Tod. Dieses Gefühl beschreibt 343 344 345 346 347 Ebd. Ebd. Zu Ps 87 (88), 9a, PW 2/IV, S. 175. Vgl. zu Ps 138 (139), 8–9/10, PW 2/VII, S. 11–12. Nach dem Tod gibt es für ihn keine Möglichkeit, der Gnade Gottes teilhaftig zu werden, keine wie auch immer geartete Vermittlung oder einen Aufschub des Urteils bis zu einem Endgericht. Aus diesem Grund lehnt Paracelsus die Fegefeuerlehre ab. Zu Ps 87 (88), 6b, PW 2/IV, S. 173. Zu Ps 101 (102), 5, PW 2/IV, S. 321. 91 Kämmerer als Bedrohtheit des menschlichen Lebens, das mit der wesensmäßigen Unsicherheit und der „Zerbrechlichkeit“ des Menschen verbunden wird.348 Die Angewiesenheit des Menschen auf die Welt stellt somit für Paracelsus einen Grund für das Elend und die Trübsal der Menschen dar. Der Mensch ist ein Wesen, das in eine Welt voller Gefahren hinausgestoßen worden ist. „[A]lso, herr, sich mich auch an, ich bin aus mutterleip gestoßen auf die welt, wie ein proß aus seim boum gestoßen wird, vatter und mutter lassen mich liegen, es gang mir wie es woll. darumb du, herr, beschirm mich. bis [=sei] du mein vatter und errét mich.“349 Obwohl der Mensch nicht ohne Beziehungen leben kann und darum auch in einem engen Verhältnis zur Natur leben muss, verursacht die Natur gleichzeitig seine Not. Wie dem Spross durch Wetter, Klima und Parasiten Schaden zugefügt werden kann, ist auch der Mensch jenen Bedrängnissen ausgeliefert, die in der Welt vorkommen. So kann er nicht jene Früchte bringen, unter denen Paracelsus das Einhalten des Gesetzes Gottes versteht.350 Trotzdem kann der Mensch selbst dieser Bedrängnis nicht ausweichen. Die menschliche Angewiesenheit auf die Welt bleibt bis zu seinem Tod bestehen. Im Kontext dieses Leidens denkt Paracelsus, dass Gott dem Gläubigen Elend und Trübsal zufügt, um nach Gott zu schreien. „[S]under so wir aber ursach haben zu schreien zu got, alsdann so mugen wir unser not anzeigen. darauf wissen: wer nit ursach hat, ist nit gottes; der ursach hat, ist gottes. dem got feind ist, dem gibt er, was er haben will und lests ihm nach seinem willen gohn, auf daß er nit zu got schrei.“351 In der paracelsischen Auffassung von der menschlichen Existenz kann somit ein dunkler Klang ausgemacht werden.352 Dieser Klang stammt aus der typisch spätmittelalterichen Erschütterung über die Unsicherheit und die Vergänglichkeit des Lebens, die eine Säule der paracelsischen Eschatologie konstituiert. Die Überwindung der menschlichen Existenz ist für Paracelsus dann möglich, wenn der Mensch Gott ruft und dessen Gnade 348 349 350 351 352 Kämmerer, Das Leib–Seele–Geist–Problem, S. 46. Zu Ps 108 (109), 23, PW 2/V, S. 111. In naturphilosophischer Hinsicht sieht Paracelsus das irdische Verhaftetsein des Menschen mit all seinen Abhängigkeiten als die Ursache seines Todgeweihtseins an: Vgl. Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 51. Zu Ps 101 (102), 3a, PW 2/IV, S. 318–319. Hierzu sagt Goldammer: „die medizinischen und naturwissenschaftlichen Werke sind vorwiegend Ausdruck der Diesseitsbejahung und der Reserve gegenüber der Fortlebens– und Jenseitsfrage; die theologischen Werke sind vorwiegend Ausdruck des Lebenspessimismus und der Kritik am Diesseits, andererseits aber der Jenseitshoffnung und der eschatologischen Spekulation“: Goldammer, Paracelsische Eschatologie 1, S. 64. 92 erhält, um seine Seele zu bewahren.353 Inmitten der Bedrohlichkeit der Natur und in der Angst vor der Vergänglichkeit soll der Mensch nach Gott rufen und ihn um seine Gnade bitten. Dabei spielt das Gebet im Herzen eine große Rolle. 354 Hier zeigt sich der spiritualistische Zug des Paracelsus. Die Überwindung der menschlichen Erschütterung und Bedrohlichkeit ist für Paracelsus nicht auf die kirchlichen Rituale und Kulte angewiesen.355 Durch den individuellen und innerlichen Kontakt mit Gott kann der Mensch sie überwinden. Darum kann man sagen, dass Paracesus die menschliche Existenz individualistisch charakterisiert und deren Überwindung spiritualistisch konzipiert. 2.2 Die Erlösung des Menschen 2.2.1 Die Erlösung des Menschen anhand von Ps 85 (86), Ps 87 (88), Ps 137 (138) und Ps 146 (147a) Paracelsus versteht unter dem Begriff »Erlösung« im Grunde »Befreiung«: Die Befreiung von der oberen und unteren Hölle. „[D]ann got ist voller barmherzigkeit; und wissen, daß er sie aus der understen hellen erlost hat. dann die ein hell ist under den lebendigen auf erden, zu gleicherweis wie auch die heiligen uf erden im haus gottes seindt. also hat der deufel auch ein haus auf erden, das ist sein vorhof, sein vorhell. die ander ist nach unserm tod in ewiger verdamnus; also auch der heiligen haus nach unserm tod im ewigen leben.“356 Zuerst behandelt er die Frage nach der Erlösung von der unteren Hölle. Die Erlösung von der unteren Hölle kann nur durch Gott, ohne menschliches Zutun, geschenkt werden.357 Darum wird der Mensch aufgefordert, um sein Heil zu beten. Die untere Hölle bezieht sich jedoch unmittelbar auf die obere Hölle. Nach Paracelsus muss der Mensch, der sich in der oberen Hölle befindet, nach dem Tod zur unteren Hölle gehen. Darum ist es wichtig, dass er auf der Erde von der oberen Hölle erlöst wird.358 353 354 355 356 357 358 Zu Ps 87 (88), 4–6b, PW 2/IV, S. 171–172. vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 46. In diesem Zusammenhang behauptet Paracelsus wie Luther, dass das Leben selbst eine Vorbereitung auf den Tod sein soll: zu Ps 118 (119), 60, PW 2/VI, S. 56. Darum lehnt er besondere Vorbereitungen auf den Tod durch religiöse Kulthandlungen ab. Vgl. zu Ps 117 (118), 5, PW 2/V, S. 232–233. Zu Ps 85 (86), 13, PW 2/IV, S. 160. Zu Ps 80 (81), 11, PW 2/IV, S. 114; vgl. zu Ps 87 (88), 2, PW 2/IV, S. 170. Diese Auffassung steht im engen Zusammenhang mit der paracelsischen Auffassung von Leben und Tod: nur die Lebendigen auf der Erde haben eine Chance, dem Wort Gottes zu folgen. Für die Toten 93 „Dieweil zwo hell seindt, auf erden und under der erden, das ist im leben und nach dem leben, so wissen: werden wir aus der obern nit erlost, so werden wir noch vil weniger aus der undern erlost. dann die erst mus am ersten hinweg. sterben wir in der ersten, das ist in der obern hellen, so konnen wir nach unserm tod in ir nit sein; dann der tod scheidt uns von ir. so werden wir mussen in die under; dann darinnen wir sterben, darein mussen wir. got hat uns durch sein tod erlost, also im tod werden wir auch erlost. wo nit, - was uns nach der scheidung lib und seel begegnet, darinnen mussen wir bleiben.“359 Die obere Hölle als der Bereich des Bösen auf der Erde ist zwei großen Mächten unterworfen: Der religiösen Macht, dem Papsttum, und der politischen Macht, dem Kaisertum. Darum bedeutet die Erlösung von der oberen Hölle die Erlösung vom Papsttum und seinen Irrlehren.360 Paracelsus nennt den Papst »den irdischen Teufel«.361 Die Erlösung bezieht sich somit sowohl auf den Teufel als auch auf den irdischen Teufel. „[A]lso laut der vers auf das, das David bitt, und ist sein begeren von got auf erlosung der gefangen; nit allein vom deufel, den wir nit sehent, sunder auch vom deufel auf erden, den wir sehent.“362 Andererseits bedeutet die Erlösung von der oberen Hölle die Erlösung vom Kaisertum. Paracelsus bezeichnet das Kaisertum und die Könige, die behaupten, dass ihnen vom Himmel das Schwert zu strafen gegeben worden ist, als falsche Abgötter, während er »die Prophetenkönige«, unter denen vor allem David und Salomo verstanden werden, als die wahren Könige ansieht. Damit sind Kaisertum und Könige eines der zwei falschen Schwerter auf der Erde.363 Sie stammen nicht von Gott, sondern werden von Menschen gewählt. Darum ist eine Erlösung von falscher politischer Macht notwendig. 359 360 361 362 363 gibt es keine Möglichkeit, zu Gott zu kommen: s. o. 1.3.2. Der Tod als die Trennung von Gott und von anderen: Ps 87 (88). Zu Ps 87 (88), 7, PW 2/IV, S. 174. Vgl. zu Ps 86 (87), 1/2–4b, PW 2/VI, S. 165–167. Vgl. zu Ps 77 (78), 54a (54), PW 2/IV, S. 69; zu Ps 98 (99), 3/4a, PW 2/IV, S. 303; zu Ps 106 (107), 7, PW 2/V, S. 57; zu Ps 107 (108), 7b–8a, PW 2/V, S. 81; zu Ps 108 (109), 7, PW 2/V, S. 93; zu Ps 113b (115), 1, PW 2/V, S. 184; zu Ps 117 (118), 17, PW 2/V, S. 245; zu Ps 117 (118), 22, PW 2/V, S. 250. Zu Ps 107 (108), 7b–8a, PW 2/V, S. 81. Darum sieht Paracelsus Christus als den „erlöser in der hellen und vom irdischen lucifer“ an: Zu Ps 98 (99), 3/4a, PW 2/IV, S. 303. Paracelsus kritisiert an der zwei Schwerter Lehre, dass diese von Gott gegeben seien. Nach Paracelsus verhält sich das geistliche Schwert vielmehr wie die Apostel und das andere wie David. Die anderen beiden stammen seiner Meinung nach nicht von Gott. Darum sind sie wie falsche Abgötter: Zu Ps 137 (138), 4, PW 2/VI, S. 229–231. 94 „Darumb so wir schon mitten in den angsten unsers leibs und unser seel wandlen, das ist mit beiden schwerten gepeinigt und mit allen trubsal übergeben und umbgeben, so ist der herr der oberst. [...] dann er ist der hochst, so macht er uns lebendig und erlediget uns von beiden schwerten und von irem übermuet und hoffart und von der steur, die wir mussen geben zu erhalten ir hoffart.“364 Unter der Erlösung von den beiden Schwertern versteht Paracelsus dann auch die Befreiung von Hochmut und Völlerei, durch die die beiden Schwerter die Gläubigen verführen, denn durch sie können die Menschen der Verdammnis verfallen. Durch Christus müssen sie nun auf den rechten Weg geführt werden. Das bedeutet, dass die Gläubigen vom irdischen Luzifer und von den falschen weltlichen Herrschern ablassen, wieder zum Wort Gottes kommen und Gottes Weg in Armut und Elend folgen sollen.365 So stellt sich Paracelsus die Erlösung von der oberen Hölle vor. Hier zeigt sich eine Berührung mit der Auffassung Müntzers über den Weg zum Glauben und zum Leben, der als ein Weg des Leidens betrachtet wird.366 Jedoch entsteht das Leiden bei Müntzer dadurch, dass der den Weg zum Glauben gehende Mensch Christus gleichförmig wird, so dass er wie er tatsächlich leiden soll. Gott selber treibt nach Müntzer den wahren Christen in Qual und Dunkelheit, um die menschliche Begierde und Lust zu beseitigen. Müntzer betont mehr durch innerliche Elemente des Christen das Leiden. Dagegen hebt Paracelsus mehr die äußerlichen Elemente hervor. Bei ihm entsteht Leid, wenn man sich der Verführung der weltlichen und geistlichen Mächte verweigert. Paracelsus betont, anders als Müntzer, der eine apokalytische Naherwartung pflegte, nicht den radikalen menschlichen Eingriff. Paracelsus plädiert nicht für die menschliche Aktion zur Befreiung von sozialer und wirtschaftlicher Not sowie von politischer Unterdrückung auf der Erde. Vielmehr steht der eschatologische Blick im Vordergrund. Die Erlösung von Not und Elend kann nach der paracelsischen Auffassung an das Gottesreich auf Erden und danach an das Gericht Gottes am Jüngsten Tag anschließen. Die Verwirklichung dieses Reiches ist bei Paracelsus mehr von Gott selber abhängig als bei Müntzer. Darum müssen die Gläubigen auf der Erde unter der Unterdrückung der Reichen und der Herrschenden leiden. Der Gläubige kann nach Paracelsus erst von 364 365 366 Zu Ps 137 (138), 7, PW 2/VI, S. 233. Zu Ps 106 (107), 6–8, PW 2/V, S. 57–58. Vgl. Hans–Jürgen Goertz, Zu Thomas Müntzers Geistverständnis, in: Bräuer, Siegfried und Junghans, Helmar (Hg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre. Berlin 1989, S. 84–99, hier S. 88–99; Benrath, Die Lehre, S. 571–573. 95 sozialer und wirtschaftlicher Not und von politischer Unterdrückung erlöst werden, wenn er in das Reich Gottes eingeht.367 Bis dahin soll er sich im Leiden gedulden und in Elend und Armut den Wegen Gottes folgen.368 Die paracelsische Auffassung von der Erlösung aus beiden Höllen hat zwei verschiedene Dimensionen: eine religiöse und eine sozial-politische Dimension. Die religiöse Dimension kann sich auf der Erde verwirklichen, indem das Wort Gottes durch den Heiligen Geist ohne menschliche Vermittlung gelehrt wird, während die sozialpolitische Dimension sich in Gottes Reich auf der Erde verwirklicht, das mit dem letzten Gericht kommen wird. Beide Dimensionen sind in eschatologischer Hinsicht miteinander verbunden. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt von Erlösung: Nach Paracelsus hat Gott den Menschen nicht nur von dem Bösen, sondern auch von der menschlichen Vernunft erlöst. Darum gibt Gott den Gläubigen seine Weisheit, die für Paracelsus oft die Gnade Gottes und der Heilige Geist bedeuten. Diese Weisheit Gottes ermöglicht nun den Menschen das zu tun, was Gott gefällt. Sie macht nach Paracelsus die Überlegenheit des Menschen gegenüber den Tieren aus. „[D]ann brechen das gebot gottes geet us einem viechischen verstand, so wir got nimer seiner weisheit wollen folgen, sunder unser art und natur. also will got uns haben und also hat er ein wolgefallen in uns, daß wir aus seiner weisheit lernen, nicht dem nach folgen, das uns die natur geben hat; dann es ist nichts als vichisch ding und kein grund.“369 Hinter dieser Auffassung steht die Vorannahme von der Überlegenheit der göttlichen Dinge über die natürlichen Dinge, obwohl beide ursprünglich von Gott stammen. Die menschliche Vernunft gilt als das, was der Mensch überwinden soll. Diese Überwindung kann aber nur durch Gott geschehen. Darum ist sie ein Werk Gottes. Die Erlösung von der menschlichen Vernunft bedeutet nun, von der naturhaften niedrigen Vernunft zur 367 368 369 Paracelsus fordert eine Bruderschaft im Glauben, einen gemeinsamen Besitz der Produktionsmittel und ein gerechtes Kaisertum, das weder von Menschenmacht noch durch Vorrecht der Geburt, sondern unmittelbar von Gott eingesetzt ist. Er lehnt Krieg und Todesstrafe ab. Paracelsus sieht, dass die wahre Verwirklichung jener von ihm visionierten Ordnungen sich erst eschatologisch im Reich Gottes erfüllen wird. In diesem Punkt unterscheidet er sich von gewaltsamen schwärmerisch– sozialrevolutionären Bewegungen seiner Zeit wie der Bauernbewegung und von einigen täuferischen. Sein Anliegen ist vielmehr der gewaltsame Kampf gegen korrupte Obrigkeiten. Hier spricht er sich für das Widerstandsrecht und sogar den Tyrannenmord aus. In der Gewaltfrage ist er somit ambivalent: Vgl. Goldammer, Natur und Offenbarung, S. 87–89; ders., Paracelsus als Sozialethiker, S. 42–60. Zu Ps 106 (107), 6–8, PW 2/V, S. 57–58. Zu Ps 146 (147a), 11, PW 2/VII, S. 96. 96 höheren göttlichen Weisheit hinaufzusteigen. Dadurch kann der Mensch zu dem Wesen werden, das Gott eigentlich erschaffen will. Diese Erlösung führt zu einer Veränderung des menschlichen Status. 2.2.2 Die Erlösung durch den Glauben anhand von Ps 86 (87) und Ps 115 (116b) Paracelsus versteht den Glauben als persönliches Vertrauen auf einen persönlich erlebten Gott. Da niemand in Glaubenssachen vor Gott vertreten werden kann, ist der persönliche Glaube jedes Einzelnen für die Seligkeit ausschlaggebend. 370 Als Grundhaltung des Christenstands ist der Glaube für Paracelsus von entscheidender Bedeutung. Inhalte des Glaubens sind die Erlösung durch Gott, die Sündenvergebung durch Christus, das ewige Leben und das Leiden Christi am Kreuz. „[D]ann zu gleicherweis als wir glauben, daß uns die erlosung us got get, und glauben, daß uns die vergebung durch Christum geben wird, und glauben in das ewig leben, - und die ding erlangen wir durch den glauben, dann sie seindt ewig ding und gegrundt und gotlich: also auch unser weisheit durch got gehn soll, das ist aus ihm an uns durch den glauben; dann die weisheit ist ein gleichmeßigs stuck der seligkeit und ein artikel der saligkeit.“371 Wie der Glaube bei Luther Gottes eigenes Werk ist und die menschliche Passivität des Glaubens betont wird,372 bedeutet der Glaube bei Paracelsus ein Geschenk Gottes. „[D]er sun gibt euch den glauben, nit ich! darumb seindt ir des suns, nit mein; der sun hat euch erlost, nit ich.“373 Darum ist Strunz der Meinung, dass der Glaube bei Paracelsus, so wie die Heiligkeit, Gnadengeschenk und darum neues Leben und eine Antwort sei, die dem Menschen von Gott ins Herz gelegt worden ist.374 370 371 372 373 374 Christen und Kirche können wohl durch die Taufe den Glauben anbieten, aber nicht selig machen. Das ist eine Sache des Glaubens des Einzelnen. Die Seligkeit hängt von dem Glauben des Einzelnen ab. Dies ist ein Beweis dafür, dass der Glaube ein menschliches Werk ist: zu Ps 118(119), 53, PW 2/VI, S. 52. Zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 211. Eberhard Jüngel, Art. Glaube, IV. Systematisch–theologisch, in: RGG4, Bd. 3 (2000), 953–974, hier 962; Martin Luther, Vorrede auf die Epistel S. Pauli an die Römer, in: WADB, Bd. 7. Weimar 1931, S. 2–27, hier S. 9. Zu Ps 138 (139), 7, PW 2/VII, S. 10. Franz Strunz, Theophrastus Paracelsus. Idee und Problem seiner Weltanschauung. Salzburg, Leipzig 1937, S. 149–150. 97 „[D]arbei verstanden, daß die gotlosen in irem herzen nit wieder [371a] aufstohn, sonder sie bleiben fest und klotzet. darumben so ist ihnen nichts zu glauben, sunder der glaub stet allein in dem, der die gebot gottes betracht und die nit von herzen läßt.“375 Der Glaube ist bei Paracelsus immer durch Vertrauen und eine personale Beziehung zu Gott gekennzeichnet, keine theoretische Sache. 376 Paracelsus lehnt das Verhältnis zwischen Glauben und Vernunft ab. Wie er der menschlichen Vernunft die Weisheit Gottes gegenüberstellt, stellt er der Vernunft des Menschen den Glauben gegenüber. „[S]o muß der glaub ohn all mittel schnell in got gent und sich nimer anstoßen, weder auf erden noch auch im himel, das ist ohn wissen der mentschen, beid der heiligen und gotlosen.“377 Paracelsus bringt somit den Glauben nicht mit dem menschlichen Wissen in Zusammenhang. Es soll ohne Hilfsmittel geglaubt werden, d.h., der wahre Glaube ist weder ein Vertrauen auf Wunderzeichen eines übernatürlichen Wesens, noch auf Heilige, noch auf Gott durch das menschliche Wissen, sondern nur das Vertrauen auf Christus allein. 378 Darum argumentiert Strunz, dass Paracelsus nichts von der intellektualistischen Durchdringung und Verbiegung des Begriffes Glauben wissen wollte.379 Der persönliche Glaube an Christus am Kreuz allein gilt als der wahre Glaube. Im Vergleich zu Luther spricht Paracelsus von der Weisheit Gottes statt von der Vernunft.380 Über den Begriff des Glaubens steht der Begriff der Weisheit Gottes, die dem Glaubensbegriff zwar oft beigeordnet ist, aber selbständige Funktionen erfüllen kann. Während Paracelsus die menschliche Vernunft in Bezug auf den Glauben verweigert, sieht er die Weisheit aus Gott als eine notwendige Sache in Bezug auf den Glauben an. Der Glaube und die Weisheit Gottes sind daher eng miteinander verbunden. Der Glaube zielt durch die Weisheit Gottes auf die Verwirklichung des christlichen 375 376 377 378 379 380 Zu Ps 118 (119), 70, PW 2/VI, S. 63. Vgl. zu Ps 118 (119), 53, PW 2/VI, S. 52. Zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 211. Vgl. zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 103. Strunz, Theoprastus Paracelsus, S. 151. Luther spricht der Vernunft ohne weiteres eine gewisse Gotteserkenntnis zu. Er kritisiert den Christen, der nicht versteht, was er glaubt. Die Vernunft kann jedoch, nach Luther, Gott nicht als Gott, der in der Bibel offenbart ist, und nicht als »deus pro me« erkennen. Wenn man die Vernunft als maßgebliche Quelle theologischer Erkenntnisse missversteht, dann kommt es zum Gegensatz von Glaube und Vernunft. Sie weiß vom Wesen des Menschen und seiner eschatologischen Bestimmung gar nichts. In Bezug auf die Erlösung nützt die Vernunft nichts, während das Heil durch den Glauben allein geschieht: Jüngel, Glaube, S. 964. 98 Lebens des Gläubigen, d.h. darauf, dass der Gläubige Gott dient und im Alltag ein sittliches christliches Leben führt. „[N]un was nemen [308b] wir von got? die weisheit, und die durch den glauben. so wir nun dieselbigen haben, so wissen wir, got unserm herrn zu dienen und wissen zu wandlen in seim weg, in seim gesatz und geheiß. ohn die weisheit ist es uns nit muglich; dann wir fallen fur und fur in unsern tod. die weisheit gottes lernt uns glauben in got, lernt uns, was schmerz, nit schmerz sei und dergleichen die andern allen.“381 Durch die Weisheit Gottes kann der Mensch den Glauben an Gott lernen, Gott als seinen Herrn dienen und die Gebote Gottes halten. Paracelsus meint sogar, dass durch diese göttliche Weisheit alle Dinge menschlichen Wissens erlernt werden könnten. So würde ein jeder durch die Weisheit Gottes imstande sein, die guten Taten Gottes zu vergelten.382 Darum ist der Glaube, durch den der Mensch die Weisheit Gottes erwerben kann, die Quelle des Wissens und die Kraft, die ein christliches Leben ermöglicht. Die Weisheit Gottes wird von dem Gläubigen gefordert und es gehört zu seiner Aufgabe, durch sie zu lernen und zu leben. In diesem Sinne ist Glaube und der Empfang der Weisheit Gottes der Anfang des gläubigen Lebens. Für Paracelsus ist der Glaube die Grundfeste des christlichen Lebens. Zwei Punkte sind ihm dabei wichtig: Der Glaube soll einerseits unverändert und fest bleiben, andererseits aber auch wachsen: „[A]lso dergleichen ein ieglicher, der do in got dermaßen sich als ein berg helt und von ihm nit abweicht, sunder unverruckt do ston: dieselbigen alle werden genent heilige berg. dann dér mensch ist heilig, sein grundfest ist wie ein berg gros und schwer, daß ihn kein wind gottes erwegen mag. nun weiter: dieweil also ein [25b] grundfest do sein soll, nemblich wie ein berg, das ist: ein senfkorn das ist klein, aber so groß wechst es, daß vogel auf ihn nisten; also soll unser glaub wachsen, daß der berg in uns sei allen denen, die ihn ansehen, daß niemandts über uns steigen mag, das ist kein glaub über den unsern sei. alsdan so unser glaub in uns dermaßen ein grundfest ist und ein gebeu eins bergs, so lobt ihn. dann ursach do ist das tor Syon, das ist: got get allein auf Sion, das ist auf den heiligen berg. nun wer will uf den berg Syon ohn Christum? dér ist das tor! also soll unser glaub sein, daß Syon ein tor sei, das ist daß wir durch den herrn Syon eingangen. durch denselbigen bauen wir auf den grundfest derselbigen bergen. das ist uns nutzer dann alle kirchengebeu, tempel, tabernacul Jacobs, Abraham, Isaac oder aller heiligen des neuen testaments als wie im alten. und ist dás diß vers sum, daß wir durch Sion, das ist durch Christum, sollen eingon auf die heiligen berg, das ist in dem aufsteigen des glaubens. so gefallen wir got baß dann in allen tabernaculen, die wir auf erden bauen durch die erz heiligen, als 381 382 Zu Ps 115 (116b), 12, PW 2/V, S. 215. Vgl. ebd. 99 Jacobs gebeu, durch wölchen Jacobs gebau verstanden werden aller heiligen gebeu. das ist: wir sollen auf kein heiligen gebeu acht haben, sie seindt von sant Peter, von sant Jacob, von Abraham, Salomon, David u. allein uf die gebeu, deren tür Christus ist und der tabernacul der glaub in Christo.“383 Der Glaube soll somit nicht von Gott abweichen und immer in der persönlichen Beziehung zu Gott stehen. Der Glaube ist aber nicht nur der Anfang des christlichen Lebens, er soll auch wachsen. Paracelsus erläutert dies mit verschiedenen Begriffen: Der Gläubige soll seinen Glauben wachsen lassen. Mit »wachsen«, »bauen« und »aufsteigen« beschreibt er nicht nur die äußerliche christliche Lebensführung, sondern auch das innerliche persönliche Verhältnis zu Gott. Freilich führt Paracelsus den Vorgang dieser Verinnerlichung nicht ausführlich aus. Stattdessen fasst er sie durch die Metapher des geistlichen Aufstiegs zusammen, die zu dieser Zeit in zahlreichen erbaulichen Werken mit mystischer Färbung nach älteren Vorbildern entfaltet wurde.384 Der Glaube ist für Paracelsus der Anfang des Heils und die Wurzel des gläubigen Lebens. Er bezieht ihn einerseits auf die christliche Lebensführung und andererseits auf die unmittelbare Beziehung zu Gott, unter der ein geistlicher Aufstieg verstanden wird. In diesem Punkt bleibt das paracelsische Verständnis vom Glauben mehr im Rahmen der reformierten Rechtfertigungslehre, die die Heiligung betont, welche wiederum der Erlösung durch den Glauben folgt. Gleichzeitig steht Paracelsus mit seiner Auffassung von der Verinnerlichung des Glaubens wiederum den Spiritualisten nahe. Es scheint zu seinen Eigenarten zu gehören, dass der Gläubige durch die Weisheit Gottes, die durch den Glauben erworben wird, ein neues Verhältnis zu Gott, zu seinen Nächsten und zur Natur erlangen kann. 2.2.3 Die Gnade Gottes und die Bereitschaft des Menschen anhand von Ps 80 (81), Ps 84 (85) und Ps 108 (109) In seinem Psalmenkommentar spricht Paracelsus zwei Aspekte in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Gnade Gottes und der Erlösung des Menschen an: Er betont einerseits die Erlösung durch die Gnade Gottes allein, andererseits die Bereitschaft des Menschen gegenüber der Gnade Gottes. 383 384 Zu Ps 86 (87), 1/2, PW 2/IV, S. 165. Vgl. ebd. 100 Aus den unterschiedlichen Argumentationen des Psalmenkommentars wird deutlich, dass Paracelsus denkt, dass das Heilshandeln Gottes unabhängig von Werk und Zutun des Menschen geschieht.385 Der Mensch besitzt zwar die Willensfreiheit im Bereich des alltäglichen Lebens, in »civilibus rebus«, wie die Reformatoren sagen, aber er kann damit nicht sein Verhältnis zu Gott verändern, d.h. die Willensfreiheit des Menschen spielt im Verhältnis zu Gott keine Rolle.386 Der Mensch selbst kann mit seinem eigenen Willen sich nicht mit Gott versöhnen: „[W]omit haben wirs verdient, daß uns got erlosen soll, oder was haben wir ihm darumb geton? nichts! nun hat er uns erlost. darumb so er uns erlost hat, und ist zugangen ohn unser mue und arbeit, kosten und fasten u.“387 In dieser Hinsicht hat Bunners mit Recht festgestellt, dass die paracelsische Auffassung über das Heil die reformatorische Rechtfertigungslehre berührt, die »sola gratia et fide« erlangt wird.388 Dabei betont Paracelsus die Nichtigkeit des Menschen gegenüber Gott und die Unmöglichkeit der aktiven Heilserlangung. „David hat macht zu reden, war der hochst prophet und ein knecht Christi und gestorben im herrn. nun aber, was nutzt ihm das? do er sundet, do beichtet er got, hat reu und leid, vertrost sich nit in sein ampt noch gewalt noch liebe, sunder under die gnade gottes. darauf er dann hie in dem vers fürhalt sein diemut und sagt: ‚herr, handel mit mir nach deinem namen’, [245a] das ist: mach aus mir, was dir gefällt, ursach in mir ist nix; ich ruef aber dich an, dann darumb dein barmherzigkeit ist sonst [=sueß vnd] milt und loblich.“389 Darum ist der Mensch in seiner Sünde allein auf die Gnade Gottes angewiesen. Die Initiative der Erlösung liegt somit bei Gott. An dieser Stelle erwähnt Paracelsus auch die auffällige Unterscheidung zwischen »einem Sünder« und »einem Gottlosen«. Mit »einem Sünder« meint er denjenigen, der nicht auf seine Gerechtigkeit und seine Frömmigkeit angewiesen ist, sondern auf die Barmherzigkeit Gottes. Dagegen meint er 385 386 387 388 389 Aus der Gottesvorstellung des Paracelsus kann man ähnliche Konsequenzen ziehen. Paracelsus versteht, dass Gott gütig, gnädig und barmherzig ist, aber zugleich die absolute Willensfreiheit besitzt, mit der er dem Menschen Gutes oder auch Übles tun kann. Gott kann nach seiner Freiheit den Menschen erlösen oder verdammen: Zu Ps 77 (78), 42, PW 2/IV, S. 61–62. Wegen seiner absoluten Freiheit kann der Mensch Gott nicht zwingen, etwas zu tun. Sein Verhältnis zu Gott hängt nicht vom menschlichen Vermögen ab: Zu Ps 89 (90), 2, PW 2/IV, S. 213. Aus diesem ockhamschen Gottesverständnis des Paracelsus folgt, dass die Erlösung des Menschen ganz von Gott abhängt. Wenn aber die Erlösung des Menschen trotz allen guten Handelns von Gott abhängig ist, dann kann man leicht zu der evangelischen Auffassung geraten, allein durch die Gnade Gottes erlöst zu werden. S. 1.2.7 Der unfreie Wille anhand von Ps 148; vgl. Goldammer, Natur und Offenbarung, S. 81. Zu Ps 80 (81), 11, PW 2/IV, S. 114. Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 144–116. Zu Ps 108 (109), 21, PW 2/V, S. 106. 101 mit »einem Gottlosen« denjenigen, der sich nicht auf die Gnade Gottes verlässt, sondern auf seine eigene Gerechtigkeit. Darum geht »der Sünder« in Gottes Reich ein und »der Gottlose« in die Verdammnis. Diesen »Gottlosen« setzt Paracelsus die Antichristen gleich. 390 Denn der Mensch soll sich nicht auf seine eigene Frömmigkeit und Gerechtigkeit verlassen, sondern nur auf die Gnade Gottes, weil die Gerechtigkeit oder die Macht des Menschen vor Gott keinen Bestand hat. Nach Paracelsus können auch alle Dinge, die der Mensch besitzt, dazu führen, dass er aus Stolz nicht um die Gnade Gottes bittet. Paracelsus schließt jedoch nicht ganz die menschliche Verantwortung bei der Erlösung aus. Vom Menschen wird die Bereitschaft zur Bekehrung gefordert. Jeder Mensch soll sich daher zu Gott mit reuigem Herzen bekennen. Obwohl Gott die Nichtigkeit des Menschen erkennt, gewährt er ihm seine Barmherzigkeit, wenn der Mensch sein Elend, seine Armut und seine Nichtigkeit bekennt.391 „[D]er mensch mus sich selbs bekeren und in sein eigen reu und leid gohn. do ist die prophecei, daß alle die, so im gotlosen stand sterben, gottes erlosung beraupt seindt. darumb bestet dise prophecei hie, kein furbit zu sein fur die verdampten. sunder allein der eigen herz muß ufgeton werden von iren kopfen, die sie selbs haben, und nit durch ander. also wird ein ieglig herz durch sein kopf aufgeton, das ist: der kopf desselbigen herzen der mus weichen, sunst hilft nichts. darumb mus ein ieglicher sich selbs erledigen von demselbigen, und alsdann so ist [87a] er durch Christum erlost und in gnaden seiner Barmherzigkeit.“392 Vor der Erlösung soll jeder umkehren. Daraus folgt, dass das paracelsische Heilsverständnis eine menschliche Vorbereitung auf das Heil enthält. In diesem Sinne spricht Goldammer von einem katholischen Synergismus in der paracelsischen Soteriologie.393 In diesem Zusammenhang betont Paracelsus auch die Individualität der Erlösung:394 Es gibt in der heilsnotwendigen Furcht vor Gott und in der Bekehrung zu ihm keine Stellvertretung. Dies hängt mit der Vergeblichkeit der Fürbitte für die Verdammten zusammen. Für Paracelsus soll jeder Mensch sich Gott gegenüber ohne 390 391 392 393 394 Zu Ps 108 (109), 21, PW 2/V, S. 105–107. Zu Ps 102 (103), 14b/15, PW 2/IV, S. 342. Zu Ps 84 (85), 9b, PW 2/IV, S. 149. Außerdem sagt Goldammer, dass Paracelsus als ein ethischer Aktivist und Idealist sich nicht an den Gedanken eines einseitigen Handelns Gottes für den Menschen verlor, sondern dass er die Mitwirkung und Mitverantwortlichkeit des Menschen auch in den religiösen Dingen forderte. Paracelsus stehe hier dem Werkglauben und der Aktivität des Täufertums nahe: Vgl. Goldammer, Natur und Offenbarung, S. 81. Vgl. zu Ps 118 (119), 53, PW 2/VI, S. 52. 102 Vermittler und »ohne Mittel« individuell verhalten und zum Bekenntnis und zur Bekehrung bereit sein. Paracelsus´ Erlösungsbegriff scheint in einer Spannung von reformatorischen und katholischen Elementen zu stehen. Mit der Überzeugung, dass der Mensch durch die Gnade Gottes ohne menschliches Zutun die Erlösung erhalten kann, steht Paracelsus der Reformation sehr nahe. Seine Aussage, dass »der Sünder« der Mensch sei, der auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen ist, ist gleich der reformatorischen Rechtfertigungslehre »sola gratia«: Paracelsus betont, dass die Barmherzigkeit Gottes unendlich groß ist und jede Erlösung von ihr abhängt. Hinsichtlich der menschlichen Bereitschaft gegenüber der Gnade Gottes und in Bezug auf die Bekehrung steht Paracelsus aber der römischen Kirche näher, denn sie behauptet, dass der Beginn der Rechtfertigung immer die zuvorkommende Gnade Gottes ist und darauf eine Vorbereitung in Form eines Zusammenwirkens von Gott und Mensch folgt. 2.2.4 Die Erlösung durch Christus allein anhand von Ps 88 (89), Ps 108 (109), Ps 128 (129), Ps 138 (139) und Ps 144 (145) Das paracelsische Verständnis von der Erlösung konzentriert sich auf Christus. 395 In seiner Soteriologie entwickelt er dabei durchaus eigenständige Positionen:396 Paracelsus spricht vom Sühnetod Christi. Demnach hat Christus durch seinen Tod den Menschen erlöst.397 395 396 397 Zu Ps 125 (126), 2b–3, PW 2/VI, S. 175–176. Paracelsus versteht Christus als das Tor zum gläubigen Leben, wie an seiner Auslegung von Joh 10, 7 ersichtlich wird: „dér [Christus] ist das tor! also soll unser glaub sein, daß Syon ein tor sei, das ist daß wir durch den herrn Syon eingangen. [...] und ist dás diß vers sum, daß wir durch Sion, das ist durch Christum, sollen eingon auf die heiligen berg, das ist in dem aufsteigen des glaubens“: Zu Ps 86 (87), 1/2, PW 2/IV, S. 165. Im Kommentar zu Ps 106 (107), 30–31 beschreibt Paracelsus, dass Christus der rechte Port ist. Aber das ist nicht korrekte Auslegung, weil das Wort »das Tor« statt »dem Port« zu dem inhaltlichen Zusammenhang passt, obwohl es in dem Vers das Wort »porum« gibt. Es könnte sein, dass Paracelsus in dem Vers »portus« und »porta« im Blick auf Joh 10 verwechselt: Zu Ps 106 (107), 30– 31, PW 2/V, S. 69. Christus ist auch das Tor in den Schafstall und der Hirte zugleich. Die Gläubigen sind in dem Stall Gottes auf der Erde. „das tor in den schafstall ist Christus, hat keim mehr geben dann dem andern. das ist: er [168b] hat gleich herd der schafen behalten. also seindt sein vorhof vor dem reich gottes, daß wir wonen in éim stall. darbei wissen: auf erden seindt wir in seim stall; do muß éin stal sein, éin herd und éin art der schafen, und alles was darinnen ist, einerlei, nit geteilt. darein mussen wir gohn, nit durch uns, sunder durch confessione, das ist durch hinweg tun unsers wissens, das ist durch Christum, der unser hirt ist. also mussen wir uf erden leben, wollen wir gangen in das reich der himeln“: Zu Ps 99 (100), 4a, PW 2/IV, S. 311–312. Zu Ps 144 (145), 2, PW 2/VII, S. 70. 103 „[D]ann under ihm ist das reich himel und der erden, der gewalt im himel und erden hat, uns erlost durch sein tod, wölcher uns alle gesalbt hat zu christen.“398 „[D]ann die salbung ist im neuen testament von got gebotten, nit durch die menschen, sunder durch got im neuen testament, durch das blut Christi: also daß wir im selbigen blut wandlen und bleiben, dás ist unser Christi lehr wort und euangelion.“399 Die Erlösung durch Christus allein bedeutet für Paracelsus nicht, dass der Mensch von Christus seine Gerechtigkeit erhält und die Erlösung erwerben kann, sondern dass Christus für die Sünde des Menschen getötet wurde und auferstanden ist, so dass der Mensch die Sündenvergebung und den aus dem »Limbus Christi« stammenden ewigen Leib erhält, um zur ewigen Seligkeit zu gelangen. Die Erlösung des Menschen beruht daher nach Paracelsus nur auf der Barmherzigkeit Christi und dessen Sühnetod. An dieser Stelle zeigt sich der Unterschied zwischen den Argumenten Luthers und denen von Paracelsus über »solus Christus«. Nur durch den Glauben an Christus, der für die Sünder am Kreuz gestroben ist, bekommt der sündige Mensch seine Gerechtigkeit, die für das Heil nötig ist. Dadurch wird der Mensch errettet. In diesem Sinne versteht Luther das »solus Christus«. Dagegen verneint Paracelsus, dass die Gerechtigkeit Christi dem Menschen gehören kann. Nur der auferstandene Christus kann dem Menschen einen ewigen Leib geben, durch den er zur ewigen Seligkeit gelangen kann. Dies geschieht nur aus seiner Barmherzigkeit. Auf diese Weise hebt Paracelsus »solus Christus« hervor. Darum kritisiert Paracelsus die Auffassung Luthers von einer »aliena iustitia«. „[D]arumb übersicht er nit dem deufel, aber euch mentschen. in dem er ist gegen euch, darumb daß ir menschen seindt. aber in solcher barmherzigkeit sechts an, daß ir nit vermeinen, daß solche barmherzigkeit sei ein gerechtigkeit auf euch, sonder nemens an, wie sie got erzeigt an euch. [eben als Barmherzigkeit]“400 Paracelsus spricht an einigen Stellen von der Gerechtigkeit Gottes, die Gott dem Menschen gibt. Doch bedeutet die Gerechtigkeit Gottes dort in der Regel, gemäß der Gebote Gottes auf der Erde zu regieren. Er bezieht sie also nicht auf die Erlösung des Menschen. 401 Darum übernimmt Paracelsus nicht die Auffassung Luthers von der »aliena iustitia«. Er betont vielmehr die Barmherzigkeit Christi, indem er sie der menschlichen Unfähigkeit zur Erlösung gegenüberstellt. 398 399 400 401 Zu Ps 88 (89), 53, PW 2/IV, S. 211. Zu Ps 88 (89), 52, PW 2/IV, S. 211. Zu Ps 144 (145), 8, PW 2/VII, S. 73. Vgl. zu Ps 102 (103), 17b/18a, PW 2/IV, S. 343–344; zu Ps 118 (119), 19, PW 2/VI, S. 25–26. 104 In der trinitarischen Gotteslehre des Paracelsus wird die Erlösung durch Christus allein noch deutlicher. Dort spricht Paracelsus einerseits von der Erlösung durch den Sohn Gottes allein, andererseits aber auch von der Rolle der Trinität bei der Erlösung. Paracelsus verquickt Trinitätslehre und Soteriologie: Erlösung ist nur durch die eine Wesenheit des trinitarischen Gottes möglich. Wie Gott in der Trinität nur ein Wesen ist, so führt zum Himmel auch nur ein einziger Weg, obwohl von drei Wegen, dem Weg Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, gesprochen wird.402 Erlösung gibt es nur durch das Blut Christi, des Sohnes Gottes. „David redt auf beid, dann do ist éin herr. der do wandlet im weg des vatters, der wandelt im weg des suns; der do wandelt im weg des suns, wandelt auch im weg des vatters, und seindt beid éin weg. nun aber der sun sagt vom douf und vom glauben, der vatter stet des still. darumb so wissen in diser seligkeit, wie sie David hie begreift, daß der vatter durch den sun alle menschen selig macht, und durch ihn hat er den himel aufton. auf das folgt, daß der vatter dem sun sein auserwelten gibt, und die er ihm gibt, die behalt er. nun ist des suns weg im douf, im glauben... nun ist bei ihnen beiden éin weg, nit zwen, éin got, nit zwen. darumb der im vatter wandelt und get, der get in das reich der himeln; der zum sun get, ist also auch. in denen sich die dreifaltigkeit iren weg an, nicht éinen, sunder ein drifachs, erlost in éinem blut, im sun. und wiewol drei weg, aber nur éin weg; drei in der gotheit, nur aber éin got. also do auch der geist aus got get: wo er hin will, sein ist die wal, nit des menschen.“403 Auffällig ist, dass Paracelsus die Erlösung durch Christus betont, indem er deutlich macht, dass Gott der Vater den Menschen nicht selbst erlöst. „[I]r solt tun, was euch mein sun heist und nit ich. ich [5b(475b)] hab also gesprochen: ich schick euch mein sun, demselbigen glauben und folgen ihm. warumb habt irs nit geton? der sun gibt euch den glauben, nit ich! darumb seindt ir des suns, nit mein; der sun hat euch erlost, nit ich. ein neues gesatz gibt er euch, dann er hat den gewalt von mir, daß sein leip euer tempel sei; euer glaub und liebe in ihm euer fels sei, sein weisheit und blutvergießen euer kilch.“404 Paracelsus unterscheidet damit scharf zwischen den verschiedenen Eigenschaften Gottes, als Vater und Sohn. Während die Gerechtigkeit Gott dem Vater gehört, gehört die Barmherzigkeit dem Sohn Gottes, da Gott der Vater seinem Sohn die Barmherzigkeit und die Sündenvergebung gegeben hat.405 Dadurch trennt Paracelsus bei der Erlösung des Menschen die Rollen innerhalb der Trinität: Gott der Vater zieht die Erwählten zu 402 403 404 405 Paracelsus unterscheidet den Weg des Sohnes, der Taufe und des Glaubens vom Weg des Vaters, der Gottesfurcht. Unter dem Weg des Vaters kann ein sittliches Leben oder ein Leben gemäß der Schöpfungsordnung verstanden werden: z.B. die Ehe und die körperliche Arbeit: Zu Ps 127 (128), 3b– 5, PW 2/VI, S. 188–189; zu Ps 103 (104), 32–34, PW 2/V, S. 18–19; zu Ps 127 (128), 2, PW 2/VI, S. 186. Den Weg des Heiligen Geistes führt Paracelsus allerdings nicht weiter aus. Zu Ps 127 (128), 1, PW 2/VI, S. 185–186. Zu Ps 138 (139), 7, PW 2/VII, S. 10. Vgl. zu Ps 80 (81), 15, PW 2/IV, S. 117. Vgl. zu Ps 127 (128), 1–5, PW 2/VI, S. 185–189. 105 seinem Sohn. Der Sohn erlöst nur die Erwählten, die Gott der Vater zu ihm zieht, und bewahrt sie. Der Heilige Geist erleuchtet dem Gläubigen das Wort und den Weg Gottes, den er gehen soll und speist ihn geistig im Abendmahl. Hier ist Folgendes auffällig: Christus besitzt zwar unbegrenzte Barmherzigkeit, durch die er allen vergeben könnte, aber Gott der Vater behält sich die Entscheidung darüber vor. „[S]o groß ist die barmherzigkeit gottes, daß, so David nit furkem, zu achten wer, daß die barmherzigkeit gottes sich zu begnaden erweichen ließ. uf wölchs erweichen auch muglich der barmherzigkeit gottes ist, die deufel zu erledigen, welches aber nit beschicht. dann ursach die barmherzigkeit ist im sun, der will im vatter; den willen hat der vatter behalten, auf daß der sun nit zuvil seinen feinden barmherzig were. darumb zeucht der vater die zum sun, die er will erhalten haben, und der sun macht niemants selig, sein vatter hab ihn dann zu ihm gezogen.“406 Gott der Vater zieht somit Erwählte zu seinem Sohn. Er führt ihm nicht nur die Erwählten in der neutestamentlichen Zeit, sondern auch die in der alttestamentlichen Zeit zu. Denn es gibt nur die Erlösung durch Christus. Darum erweitert Paracelsus seine christozentrische Soteriologie sozusagen um »die ersten Christen« oder »die alten Christen«. 2.2.5 »Die ersten Christen« anhand von Ps 116 (117), Ps 125 (126), Ps 127 (128) und Ps 129 (130) Mit dem ungewöhnlichen Begriff »die ersten Christen« bezeichnet Paracelsus David und die Erzväter im Alten Testament. Dieser Begriff entsteht dadurch, dass Paracelsus die Erlösung durch Christus allein betont und deshalb radikale Konsequenzen ziehen muss. Nach Paracelsus sind »die ersten Christen« diejenigen, die zwar von Christus nichts wissen, aber den Weg des Vaters folgen. Er behauptet einerseits, dass die Christen den Grund der Erlösung »der ersten Christen« nicht nachvollziehen können und letztlich nur Gottes Barmherzigkeit anheimstellen sollen, indem sie dankbar der eigenen Erlösung gedenken. 407 Anderseits versucht er die Erlösung durch die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses und durch die Präexistenz Christi zu erklären: »Die ersten Christen« empfangen „ein seliger verborgner dauf und glaub“408 vor der Zeit Christi durch den präexistierenden Christus als Gott. 406 407 408 Zu Ps 108 (109), 7, PW 2/V, S. 93–94. Zu Ps 125 (126), 3, PW 2/VI, S. 176. Ebd.; Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 229. 106 „[A]ls wolt er sprechen: wer er geborn, so bet ich ihn ietz; so er aber noch nit geborn ist, so bit ich ietz und komp fur, daß, so er geborn wird, diß mein bit (das er ietzt auch hort, als wol als auf der erden, so er geborn wird sein), daß er mein hofnung, so ich in ihn hab, annemen woll und mich erlosen. das ist furgearbeit und dein douf empfangen vor seiner zeit; dás seindt die alten christen, die ersten christen: David und die heiligen altvetter. so wir wollen in den alten grund gohn, so faren wir disen nach, die sich in Christum erhalten haben mit ir hofnung und nit dem nach, die wír altvetter heißen.“409 Nicht nur den ersten Christen, sondern auch den Heiden, die von Gott erwählt worden sind, gilt diese Erlösung: „[D]o merken dise segen über all arbeiter woll. als vil seindt under den christen, die nix vom sohn wissen, sunder im weg des vatters [=in der Furcht Gottes] wandlen, und der vatter segnet ihn iren weg aus Sion. darumb so nimbt sie der sun an, und ist éin weg in der erlosung. also seindt sie [solche, die nix vom Sohn wissen] auch under den heiden.“410 Nach Paracelsus ist die Ursache für die Erlösung der Heiden die Faulheit der Christen zur Mission.411 Obwohl die Christen von Christus den Missionsauftrag erhalten hätten, erfüllten sie ihn nicht.412 Aufgrund der Faulheit der Christen schenke Gott den Heiden seine Barmherzigkeit und überlasse sie nicht der Verdammnis, weil die Barmherzigkeit Gottes so groß und das endgültige Urteil Gottes über die Heiden noch nicht gefallen sei. Diese Erlösung der Heiden ohne Mission geschieht nach Paracelsus auf zweierlei Weise: Einerseits würden die Heiden ohne Taufe im kirchlich-sakramentalen Sinne und ohne die Erkenntnis Christi durch Gnade und Barmherzigkeit angenommen. Christus selbst taufe diese Heiden ohne kirchlichen Priester: „Also wissen in der kurze von den volkern und heiden, [317a] die kein wissen von Christo haben: so sie nit durch den douf selig werden, so werden sie durch Christum selig, des barmherzigkeit dauf ist. [...] also hat got die freiheit, selbs zue geben, wievil und was ihn lust. und was ér tauft, das bestet er mit dem heiligen geist. das wír daufen, kunnen wir nit besteten sunder durch got. dann Christus tauft sein christen durch das feur und durch den heiligen geist; das mag er ohn den mentschen auch tun.“413 Andererseits geschieht die Erlösung der Heiden durch ihre Liebe zu Gott. Nach Paracelsus komme es bei den Heiden nicht auf das Evangelium, den Glauben oder die Taufe, sondern auf die Liebe zu Gott dem Vater an. Denn durch die Faulheit der Christen würde das Evangelium ihnen nicht verkündigt. 409 410 411 412 413 Zu Ps 129 (130), 4b/5, PW 2/VI, S. 200–201. Zu Ps 127 (128), 5, PW 2/VI, S. 189. Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 227. Paracelsus bezeichnet die Mission als den Christen gegebenen Befehl Christi. Darum kritisiert Paracelsus Priester, die nicht missionieren, sondern zuhause bleiben: Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 226–229. Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 229. 107 „[D]arumben allein von den unwissenden volkern geredt wird, deren erkanntnus kein grund hat bei Christo. solcher unwissender leut ist David der seel sorger, der ir heil betrachtt und sie anricht zu der liebe gottes mit: ‚loben dem herren’. dann kein lob get nit vom mentschen, es muß in dergleichen liebe gegrundt sein. nun aber ist das das hochst lob, dieweil es aus der liebe gehet, daß die heiden und die volker durch solche liebe in Christo lebendig werden und erleucht durch den heiligen geist; dann durch den mentschen beschicht es schwerlich.“414 Damit macht Paracelsus einen Unterschied zwischen der Erlösung der Heiden und der der Christen: Während die Christen durch die Taufe und den Glauben an Christus erlöst würden, würden die Heiden durch die Liebe und das daraus stammende Gotteslob erlöst. Die Erlösung der Heiden komme durch die Barmherzigkeit Christi zustande. Diese Soteriologie gründet im paracelsischen Spiritualismus mit seiner Betonung des unmittelbaren Gottesverhältnisses. Deshalb benötigen nach Paracelsus diejenigen, die den Wegen Gottes folgen und ihr Herz auf Gott richten, keine Priester und keine kirchlichen Sakramente415 Diese beiden Gruppen, die »ersten Christen« und »die Heiden« auf der einen Seite und »die Christen« auf der anderen Seite, zieht Gott der Vater zu seinen Sohn, um sie zu erlösen. Dadurch verstärkt Paracelsus die reformatorische Lehre von der Erlösung durch Christus allein. Paracelsus geht über die reformatorische Auffassung hinaus, indem er die Erlösung »der ersten Christen« und der Heiden in das »solus Christus« mit einschließt und Erlösung und Taufe spiritualistisch interpretiert. Denn dadurch wird das »solus Christus« auf die ganze menschliche Geschichte bis zu Adam und auf den ganzen Erdkreis ausgeweitet. Er radikalisiert damit das reformatorische »durch Christus allein«. „[D]ann wir seindt heiden, ietz, christen, und unser altvetter werden durch uns erlost, die uns geborn haben, so wir im herren sterben. dann das neu testament hat das alt erlost. Christus hat das neu geben allen creaturen, heiden, Dattern, Durken u. nun hierauf wissen: so er uns das euangelion allen verkundt hat und uns allen im tod erlost, so seindt die, so in ihn glauben und in ihm sterben, erlost; und die so sie geboren haben hinder sich bis in Adam. dann die kinder seindt erlost mit ihnen, auch die vätter [439a] zu beiden seiten eines reinen herzens, wie sich im weg des herren gebuert und zustet.“416 414 415 416 Zu Ps 116 (117), 1, PW 2/V, S. 226. Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 228. Zu Ps 125 (126), 3, PW 2/VI, S. 176. 108 2.2.6 Die Heilsgewissheit anhand von Ps 145 (146) Der Mensch im Spätmittelalter litt aufgrund der altgläubigen Rechtfertigungslehre unter der Ungewissheit des Heils 417 und wurde durch die Vorstellung von Christus als Weltenrichter geängstigt. Obwohl die Zuversicht des Heils in der altgläubigen Kirche gegeben war, blieb die Heilsgewissheit lediglich eine Hoffnung, so dass die eigene Erlösung bis zum Ende der Welt unsicher blieb. Luther hatte diese Angst dadurch überwinden können, dass er den Glauben als Ursache der Heilsgewissheit angenommen hatte. Er war der Meinung, dass das Heil aus dem Glauben allein, den er als das Werk Gottes bezeichnete, käme und daher im Glauben die Heilsgewissheit läge. 418 Da der Glaube nach Luther individuell ist, macht dieser die Heilsgewissheit durch den Glauben individuell am Hören des Wortes, »fides ex auditu«, fest. Die Sakramente bleiben aber als visibile verbum unverzichtbar. Von daher hält Luther an der sichtbaren Kirche fest. Wie die Reformatoren bezeichnet Paracelsus Christus als den barmherzigen Erlöser neben dem Weltenrichter. Dabei verankert Paracelsus auch die Heilsgewissheit im Leben und individualisiert sie wie Luther. Für Paracelsus ist das Lob Gottes ein Ausdruck der Heilsgewissheit:419 417 418 419 Die altgläubige Rechtfertigung wird im großen Rahmen der Heilsgeschichte erklärt, die von der Schöpfung bis zum Weltenende reicht. Zuerst hat Gott durch Christus gegen die Macht der Sünde die Kirche begründet. In der Kirche lebt und wirkt Christus weiter. Die Kirche ist die Wegweisung in das Leben, das die Sünde überwindet und erfüllt, was Gott gefällt. Dies kann durch die Kirchenmitgliedschaft durch die Taufe verwirklicht werden und durch die Sakramente. Vor allem kann der Gläubige durch die Buße und das Abendmahl gestärkt werden. Denn die Gnade Gottes wird ihm durch die Priester als Beauftragte der Kirche vermittelt. Darum kann jeder Gläubige seinen eigenen Heilsweg zwar in der Form einer individuell gehaltenen Lebensführung gehen, aber nur durch die Vermittlung der institutionellen Kirche. Hier gibt der Glaube zwar auf diesem Weg die richtige Orientierung, die durch die Gnade verliehen wird, ist aber nicht ausreichend. Der Glaube muss sich durch die Liebe als die ausgeübte religiöse Sittlichkeit ein Leben lang bewähren. Wenn man auf diesem Weg zurückfällt, muss man erneut an Gottes Gnade durch die Sakramente teilnehmen. Dieser gesamte Gang hin zum ewigen Leben stellt das Rechtfertigungsverständnis der altgläubigen Theologie dar. Hier wird klar, dass die endgültige Rechtfertigung erst dann erfolgen kann, wenn man nicht mehr zurückfallen wird, am Ende des Lebens oder am Jüngsten Tag. Darum ist in der altgläubigen Theologie die Heilsgewissheit nicht Gegenstand des Glaubens, sondern der Hoffnung. Stattdessen betont die altgläubige Theologie die Heilsnotwendigkeit. Sie ist die Notwendigkeit der Verwirklichung bestimmter Dinge oder Handlungen als Voraussetzung zum Erreichen des Heils. Heilsnotwendig sind vor allem der Glaube und die Kirchenmitgliedschaft, die den Empfang der Sakramente mit einschließt: Vgl. Dietrich Korsch, C. Werk, II. Themen – 3. Glaube und Rechtfertigung, in: Albrecht Beutel (Hg.), Luther Handbuch, S. 372–381, hier S. 372–373. Vgl. Korsch, Glaube, S. 374. Zu Ps 145 (146), 2a, PW 2/VII, S. 84. 109 „[D]arumb nun, so er dich, mein seel, behut, so will ich ihn im leib loben, so lang ich leb, daß er mir mein seel bewart und behuet. und will darauf frolich sein und singen, und psallier meim got, der mir mein seel behutet über mein verstand, so lang ich wer und bleib und mag. darauf wissen, daß wir psallieren sollen wie David mit solchen freuden und in solcher gestalt als einer, der der erlosung gewiß ist, und nit als einer, der die erlangung domit verdienen will.“420 Ursache des Gotteslobes ist die Bewahrung der Seele durch Gott. Unter Gottes Schutz kann der Mensch ins Reich Gottes gelangen. Paracelsus versteht hier unter dem Schutz Gottes sowohl die Erlösung von der Verdammnis als auch die Bewahrung vor der Versuchung und dem Sündenfall. Trotzdem macht er deutlich, dass der Mensch durch das Lob Gottes nicht das Heil verdienen kann. Es ist nur ein Ausdruck der Heilsgewissheit. Die Toten und die Verdammten, nämlich die Antichristen, können Gott nicht loben: „[D]erselbig [=Gott] sicht an eur lob und die lieb, so das lob muß haben, und begnadet euch, daß ir gescheiden werden von denen, die dot seindt, und von denen, die do absteigen zu der hellen. dann dieselbigen loben den herrn nit; darumb werden sie nit under den heiden noch volkern begriffen, sunder under dem haufen des [314b] endtechrists und der lesterer gottes, welche lesterung bei den heiden nit sein soll noch verspottung, sonder loben den herren.“421 Nach Paracelsus kann die Rotte der Antichristen Gott nicht loben, weil sie von Gott schon verurteilt wurde. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass das Lob Gottes ein Hinweis auf das Heil ist. Dagegen leiden die Altgläubigen weiter unter der Ungewissheit des Heils durch die Möglichkeit des Rückfalls und durch die Ungewissheit des Gottesurteils das eigene Leben betreffend, denn die Heilsgewissheit bleibt bei den Altgläubigen nur eine Hoffnung, da der Gläubige auf das Urteil Gottes beim letzten Gericht warten soll. Bis dahin leidet jeder unter der Ungewissheit des Heils und weiß nicht, ob sein Glaube, der in der Liebe tätig ist, reicht. Andererseits teilt Paracelsus diese Auffassung der lebenslangen Heilsunsicherheit: Er spricht sich dafür aus, dass es erst nach dem Tod offenbar werden wird, ob der Mensch in den Himmel oder in die Hölle gelangt. 420 421 Ebd. Zu Ps 116 (117), 1, PW 2/V, S. 225. 110 „Also wie wir haben zwo kirchen, also haben wir auch zwen weg nach unserm tod: einen aus der kirch gottes, so steigen wir gen himel; den andern aus der kirchen der menschen, so steigen wir gen hell... dann nur zwo kirchen seindt: die ein ist volkommer weg, ohn alle menschen hilf, ein ieglicher fur sich selbs, der furt von mund auf gen himel; die andern [6a(476a)] fur sich selbs, ein ieglicher von mund auf gen hellen. dann dieweil unser leip und leben, seele, blut und fleisch bei einander ist, so fallt das urtl gottes über uns im streiten des tods, so unser seel scheidt.“422 Die Kirche Gottes ist nach Paracelsus jene Kirche, die Gott auf den Glauben und die Liebe zu Christus im Herzen des Gläubigen erbaut. Dagegen ist die Kirche der Menschen jene Kirche, die der Mensch aus seiner Weisheit heraus auf der Erde errichtet und die Paracelsus der „maurkirche“ gleichsetzt.423 Paracelsus sieht diese Kirche als Abgötterei an. Darum geht der Mensch, der zur selbstgemachten Kirche gehört, zur Hölle, während der Mensch, der in seinem Herzen die von Gott gebaute Kirche hat, in den Himmel kommt. Erst am Ende des irdischen Lebens des Menschen wird es sich zeigen, zu welcher Kirche der Mensch gehört hat.424 Darum kann er Zeit seines Lebens seines Heils nicht sicher sein. In Bezug auf die Heilsgewissheit kann Paracelsus´ Meinung somit als äußert ambivalent bezeichnet werden: Einerseits spricht er sich in Hinblick auf das Lob Gottes für eine Heilsgewissheit im Leben aus, andererseits betont er aber auch eine potentielle Unsicherheit bis nach dem Tod. 2.3 Zusammenfassung Die paracelsische Auffassung von der Sünde basiert einerseits auf dem reformatorischen Prinzip »sola scriptura« und andererseits auf Paracelsus´ »Erfahrenheit«. Im Grunde ist das Wort Gottes für Paracelsus die Quelle der Sündenerkenntnis. Jedoch argumentiert er, dass man für die wahre Sündenerkenntnis nicht nur des Wortes Gottes bedarf, sondern auch der Erleuchtung durch Gott. Darum unterscheidet sich sein Schriftverständnis von dem der Spiritualisten, die nur die unmittelbare Erleuchtung durch den Heiligen Geist betonen, während sie für das Wort Gottes wenig Aufmerksamkeit zeigen. Ohne die 422 423 424 Zu Ps 138 (139), 8, PW 2/VII, S. 11. Die „maurkirche“ (zu Ps. 80 (81), 13, PW 2/IV, S. 115; zu Ps 117 (118), 15, PW 2/V, S. 243; zu Ps 118 (119), 13, PW 2/VI, S. 20) nennt Paracelsus auch die „steinige Kirche“ (VII, 9, zu Ps 138 (139), 6, PW 2/VII, S. 9) oder die „steinkirche“ (VII, 19, zu Ps 138 (139), 19, PW 2/VII, S.19). Im gleichen Sinne verwendet er den „steinhaufe“: Zu Ps 111 (112), 4, PW 2/V, S. 158. Zu Ps 138 (139), 5–8, PW 2/VII, S. 8–11. 111 unmittelbare Erleuchtung durch Gott kann niemand erkennen, was die Sünde ist. Darum spielt das Gott-Mensch-Verhältnis in Paracelsus´ Sündenverständnis eine große Rolle. Jedoch ist seine Auffassung über die konkreten Sünden mit seinen persönlichen Erfahrungen verknüpft. Indem Paracelsus die Psalmen als eine prophetische Dichtung liest, bezieht er seine Auslegung auf die aktuellsten sozialen und politischen Fragen seiner Zeit. Wegen dieses Auslegungsprinzips ist sein Sündenverständnis stark mit dem eigenen Erleben und der damaligen gesellschaftlichen Situation verbunden. Zudem sucht er die Sünden, die er aus dem Wort Gottes durch die Erleuchtung Gottes erkennt, unter seinen Gegnern. Daraus konstruiert er dann sein Sündenregister, welches entsprechend sozialethisch bestimmt ist und einen christozentrischen Charakter hat. Dabei stützt er sich auf die Evangelien, insbesondere die Bergpredigt. Besonders das Armutsprinzip spielt eine große Rolle. Während Paracelsus die Sünde aus dem Wort Gottes durch die Erleuchtung durch den Heiligen Geist definiert, bestimmt er durch seine persönlichen Erfahrungen, was für ihn wirklich in seiner Zeit Sünde ist. Wort Gottes und Erfahrung sind somit beim paracelsischen Sündenverständnis eng verbunden. Paracelsus spricht einerseits von der Verantwortlichkeit für die eigene Sünde und von der Unabhängigkeit von der Sünde, die die Vorfahren begangen haben. Andererseits begründet er das Sündersein des Menschen mit Ps 113b (115), 2. Der Zustand des Sünderseins ist für ihn die Verlassenheit und die Unvollkommenheit des Menschen ohne die Beziehung zu Gott. Aus menschlicher Weisheit heraus kann der Mensch nicht verstehen, was Sünde ist. Er bleibt nur ein Lügner, der nicht die Wahrheit, die nur durch die Weisheit Gottes gegeben wird, spricht. Als Laientheologe benutzt Paracelsus weder den Begriff der Erbsünde noch entwickelt er ihn aus dem Sündersein des Menschen zu einer systematischen Erbsündelehre. Vielmehr betont er die Verantwortlichkeit des Menschen für die eigene Sünde auf der Erde, weil das Handeln auf der Erde für das Heil entscheidend ist. Obwohl Paracelsus der Sünde viele Erscheinungsformen zuweist, betrachtet er besonders die Lüge und den Hochmut als die beiden wesentlichen. Er versteht die »Lüge« als einen Gegensatz zur »Wahrheit«, die nur Gott gehört. Darum ist die »Lüge« bei ihm ein Symbol für die menschliche Abkehr von Gott. Er bezieht die »Lüge« auf die Weisheit des Menschen, weil sie die gleiche Gottverlassenheit bedeutet. Obwohl 112 Paracelsus die Fähigkeit der menschlichen Weisheit anerkennt, gibt er ähnlich wie Luther nicht die Möglichkeit zu, mit der Weisheit des Menschen Gott wohlgefällig sein zu können. Neben dieser abstrakten Bedeutung der »Lüge« verwendet Paracelsus das Wort »Lüge« auch wörtlich. Er unterscheidet den Hochmut, der sich auf den vom Himmel abgefallenen Teufel bezieht, vom Hochmut, der sich auf den irdischen Teufel, den Paracelsus die weltliche und geistliche Obrigkeit nennt, bezieht. Der erstere wird als Hybris im Sinne der kirchlichen Tradition verstanden, während Paracelsus unter dem letzteren »Hochmut« versteht, die Gerechtigkeit Gottes für die leiblichen Vorteile auszunutzen. Der irdische Teufel treibt mit diesem Hochmut eine leibliche Völlerei, indem er die Gebote Gottes eigennützig verfälscht. Damit kann dieser Hochmut mit der »amor sui (Selbstliebe)« und mit »Lüge« verbunden werden. Paracelsus bezieht diesen Hochmut nun einerseits auf den Bereich des Verhältnisses zu Gott und andererseits auf den Bereich des Verhältnisses zu den Nächsten. In diesem Zusammenhang bezeichnet Paracelsus die Lüge und den Hochmut als „ein mutter alles übels und alles args“. Paracelsus versteht den Tod im alttestamentlichen Sinne als Gottesferne. Gott steht in keinerlei Beziehung zu den Toten. Die Toten sind für Paracelsus sogar die von Gott Vergessenen. In diesem Sinne versteht Paracelsus die Liebe als den Gegensatz des Todes, weil sie die Beziehung zu den Anderen und die Hilfe für den Anderen herstellt. Paracelsus unterscheidet zwischen der oberen und unteren Hölle, nämlich dem Bereich des Bösen auf der Erde und dem Schattenreich der heillosen Toten. Bei ihm ist das Handeln im Leben entscheidend, weil die beiden Höllen eng verbunden sind und es nach dem Tod keine Möglichkeit gibt, wegen der Trennung von Gott die Gnade Gottes zu erhalten. In der unteren Hölle befindet sich das Schattenreich der, wo es weder Kraft, Licht, Liebe, Treue, Freude noch Mut gibt. Die untere Hölle unterliegt nur dem ewigen Zorn Gottes. Hier kann geschlussfolgert werden, dass das Todesverständnis des Paracelsus vom alttestamentlichen und damit vom altgriechischen Totenreich beeinflusst worden ist. Neben der Trennung von Gott versteht Paracelsus den Tod als die Trennung von allem Anderen, so dass der Verstorbene von allen Pflichten und sogar gegenüber den 113 Geboten Gottes frei ist. Aufgrund sein Todesverständnis als eine völlige Trennung lehnt Paracelsus die mittelalterlichen Totenkulte ab.425 Wie viele seiner Zeitgenossen besitzt Paracelsus ein spätmittelalterliches negatives Lebensgefühl. Darum versteht er die menschliche Existenz als eine, die voll von Elend und Trübsal ist. Aufgrund der menschlichen Angewiesenheit auf die Welt beschreibt er den Menschen als ein Wesen, das in eine Welt voller Gefahren hinausgestoßen worden ist. Obwohl die Ursache der menschlichen Bedrohlichkeit als die Angewiesenheit des Menschen auf die Welt verstanden wird, argumentiert Paracelsus, dass deren ursprüglicher Urheber Gott sei und daher nur er erlösen könne. Die Überwindung der menschlichen Bedrohtheit ist darum bei Paracelsus nicht auf die kirchlichen Rituale oder Kulte angewiesen, sondern auf die spiritualistische Beziehung zu Gott. Durch die merkwürdige Unterscheidung zwischen der oberen und unteren Hölle entwickelt Paracelsus seine Auffassung über die Erlösung. Die Erlösung bedeutet bei ihm die Befreiung von beiden Höllen, weil die beiden eng miteinander verbunden sind. Die Erlösung von der oberen Hölle als dem Bereich des Bösen auf der Erde betrachtet Paracelsus einerseits als die von der geistlichen Macht und andererseits als die von der weltlichen Macht. Er verbindet diese beiden Mächte mit seinen Hauptsünden Hochmut und Völlerei, die die Gläubigen verführen. Darum kann die Erlösung von der oberen Hölle als die von Hochmut und Völlerei verstanden werden. Daraus erklärt sich der Weg Gottes als ein Weg in Armut und Elend. Hier zeigen sich Berührungspunkte zu Müntzer. Allerdings versteht Paracelsus die Erlösung von allen politischen Unterdrückungen und der sozialen Not nicht im Sinne Müntzers, sondern eher eschatologisch als völlige Verwirklichung der Erlösung von der oberen Hölle im kommenden Gottesreich. Damit begründet Paracelsus Geduld, Leiden, Elend und Armut des Gläubigen. Neben der Erlösung von den beiden Höllen behauptet Paracelsus die Erlösung von der menschlichen Vernunft als die naturhafte niedrige Vernunft, die durch Gottes Weisheit überwunden werden soll. Darum steigt der Mensch durch Gott und seine Weisheit zum Wesen auf, das Gott eigentlich erschaffen will. 425 Vgl. zu Ps 111 (112), 7a, PW 2/V, S. 161; zu Ps 103 (104), 33, PW 2/V, S. 18–19; zu Ps 105 (106), 28, PW 2/V, S. 41; zu Ps 117 (118), 5, PW 2/V, S. 232–233. 114 Wie andere Reformatoren betont Paracelsus die Erlösung durch den Glauben, der durch das Wort Gottes in das Herz des Gläubigen gelegt wird. Der Glaube ist bei Paracelsus immer durch ein Vertrauen auf einen persönlich erlebten Gott und eine personale Beziehung zu Gott gekennzeichnet. Er ist keine theoretische Sache. Daher lehnt Paracelsus das Verhältnis zwischen Glauben und Vernunft ab. Viel mehr bezieht er den Glauben auf die Weisheit Gottes: Der Glaube zielt durch die Weisheit Gottes auf die Verwirklichung des christlichen Lebens. Für Paracelsus soll der Glaube einerseits immer in der persönlichen Beziehung zu Gott unverändert und fest bleiben, andererseits aber auch wachsen. Der Glaube ist für Paracelsus der Anfang des Heils und die Wurzel des gläubigen Lebens. Darum argumentiert Paracelsus, dass der Glaube sich einerseits auf die christliche Lebensführung und andererseits auf die unmittelbare Beziehung zu Gott, unter der ein geistlicher Aufstieg verstanden wird, bezieht. In diesem Sinne bleibt das paracelsische Verständnis vom Glauben mehr im Rahmen der reformierten Rechtfertigungslehre, die besonders die Heiligung betont. Aber Paracelsus steht auch den mystischen Spiritualisten nahe. Außerdem ist es eine Eigentümlichkeit seiner Theologie, dass der Gläubige durch die Weisheit Gottes, die durch den Glauben erworben wird, ein neues Verhältnis zu Gott, zu seinen Nächsten und zur Natur erlangen kann. In Bezug auf die Erlösung steht Paracelsus in einer Spannung zwischen reformatorischen und katholischen Meinungen. Im Psalmenkommentar tut Paracelsus die Überzeugung kund, dass der Mensch durch die Gnade Gottes ohne menschliches Zutun erlöst wird – ein zentraler Glaubenssatz der Reformation. Dabei betont er durch die merkwürdige Unterscheidung zwischen »Sünder« und »Gottloser« die Abhängigkeit der Erlösung von der Barmherzigkeit Gottes allein. Dagegen steht Paracelsus hinsichtlich der menschlichen Bereitschaft gegenüber der Gnade Gottes und der Bekehrung der römischen Kirche näher. Bei Paracelsus ist die Erlösung individuell. Damit meint er, dass die Fürbitte für die Verdammten vergeblich ist. Die paracelsische Soteriologie konzentriert sich auf Christus. Anders als Luther betont Paracelsus »solus Christus« aus ganz anderem Blickwinkel heraus: Die Erlösung durch Christus allein bedeutet für Paracelsus, dass Christus für die Sünde des Menschen getötet wurde und auferstanden ist, so dass der Mensch die Sündenvergebung und den 115 aus dem »Limbus Christi« stammenden ewigen Leib erhält, um zur ewigen Seligkeit zu gelangen. Die Erlösung beruht somit nur auf der Barmherzigkeit Christi und dessen Sühnetod. Deshalb kritisiert Paracelsus die Auffassung Luthers von einer »aliena iustitia«. Die christozentrische Soteriologie des Paracelsus zeigt sich auch in seiner Trinitätslehre deutlich. Wie Gott in der Trinität nur ein Wesen ist, gibt es eine einzige Erlösung durch Christus. Dabei spielen die einzelnen Personen der trinitarischen Gottheit je ihre eigene Rolle: Gott der Vater zieht die Erwählten zu seinem Sohn. Der Sohn erlöst nur die Erwählten, die Gott der Vater zu ihm zieht, und bewahrt sie. Der Heilige Geist erleuchtet dem Gläubigen das Wort und den Weg Gottes, den er gehen soll und speist ihn geistig im Abendmahl. Paracelsus betont besonders die reformatorische Auffassung der Erlösung durch Christus allein und zieht deshalb radikale Konsequenzen, so dass er argumentiert, dass Christus sowohl David und die Erzväter im Alten Testament als auch die Heiden erlöst, denen das Evangelium nicht verkündigt wurde. Diese christozentrische Soteriologie gründet im paracelsischen Spiritualismus und unmittelbaren Gottesverhältnis. Darum geht Paracelsus über die reformatorische Auffassung hinaus, indem er die Erlösung »der ersten Christen« und der Heiden in das »solus Christus« mit einschließt und Erlösung und Taufe spiritualistisch interpretiert. Dadurch wird das »solus Christus« auf die ganze menschliche Geschichte bis zu Adam und auf den ganzen Erdkreis ausgeweitet und schlussfolgernd radikalisiert. Schließlich ist eine weitere Ambivalenz feszuhalten: Einerseits spricht sich Paracelsus, indem er das Lob Gottes als Ausdruck der Heilsgewissheit ansieht, für eine Heilsgewissheit im Leben aus. Andererseits betont er aber auch, dass eine endgültige Heilsgewissheit erst nach dem Tod möglich ist. Es ist aber festzustellen, dass Luther ebenfalls am Jüngsten Gericht festhält und damit an einer Instanz, die erst nach dem Tod des Menschen beurteilt, ob er endgültig von Gott aufgenommen ist oder nicht. 116 3. Das Leben des Gläubigen 3.1. Die Buße anhand von Ps 77 (78), Ps 84 (85), Ps 114 (116a), Ps 108 (109), Ps 118 (119), Ps 129 (130) und Ps 138 (139) Im Mittelalter wurde die Buße als »zweite Rettungsplanke nach dem Schiffbruch« angesehen. Darum nahm dieses Sakrament einen sehr wichtigen Platz sowohl in der katholischen Theologie als auch im kirchlichen Leben des Mittelalters ein. Paracelsus übernimmt zwar von der Aufteilung der Buße im mittelalterlichen Bußwesen »cordis contritio«, »oris confessio«, »absolutio« und »satisfactio«, modifiziert aber Reihenfolge und Bedeutung: Er stellt die »satisfactio« durch das Werk Christi am Kreuz an den Anfang, gefolgt von der »absolutio«, der die »cordis contritio« und »oris confessio« des Gläubigen folgen.426 Auch versteht er die Buße nicht als ein Sakrament und folgt damit wiederum reformatorischer Auffassung. Vielmehr versteht er sie als eine Voraussetzung der Rechtfertigung.427 Paracelsus konzentriert sich bei der Buße intensiv auf das Leiden Christi. Es steht mit der Genugtuung, der Beichte und der Absolution im engen Zusammenhang. Das Leiden Christi ist die einzige Genugtuung für die Sündenvergebung und der Grund für die Beichte. Unter der Genugtuung versteht er nicht ein menschliches Werk im Sinne von Satisfaktion in der traditionellen Bußpraxis, sondern ein göttliches Werk, das Christus am Kreuz vollbracht hat. Denn die eigentliche Absolution geschah schon am Kreuz Christi. „[U]nd sein leiden, das uns die hingenommen hat und uns absolviert am kreuz und erledigt von allen sunden, das unser vergebung ist, wird hiedurch verachtet und gemindert. ist das nit ein großer deuflischer artikel, zu verachten das leiden Christi? sollen wir alle tag des leidens Christi gedenken, bedrachten und zu herzen fassen, - was soll uns darzu bewegen dann die kraft des leidens? was ist sein kraft? daß sie uns die sund vergibt, so wir in seim leiden reu und leid tragen.“428 426 427 428 Im Vergleich dazu spricht Paracelsus in seiner früheren Schrift »De septem punctis idolatriae christianae« von 1524/25 von einer anderen Reihenfolge des Bußvorgangs als im Psalmenkommentar: An erster Stelle steht die Gewißheit des Glaubens, die von der Reue als eine Form der satisfactio, die aus der Gnade Gottes erwächst, gefolgt wird. Die Reue ist das Ergebnis der Sündenvergebung durch Gott und ein Produkt der Gnade Gottes. Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 127–128. Gause argumentiert, dass bei Paracelsus Rechtfertigung und Heiligung nach einer ernsthaften, persönlichen und konzentrierten Beichte zu Gott unmittelbar und sichtbar aufeinanderfolgen: Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 126. Zu Ps 114 (116a), 2, PW 2/V, S. 198. 117 Hinter dem Gedanken, dass das Leiden Christi die ausreichende Genugtuung für die Sünde des Menschen ist, steht die Betonung des Gegensatzes von der Gnade Gottes einerseits und der Sündhaftigkeit und Nichtigkeit des Menschen andererseits. Paracelsus denkt, dass der Mensch zu seiner Sündenvergebung nichts beitragen kann. Er ist allein auf das Werk Christi angewiesen. Darum wirft Paracelsus der satisfaktorischen Auffassung der Buße vor, sie sei der Versuch, durch eigene Kraft die Sündenvergebung zu erlangen.429 Auch Luther sieht das ähnlich, wenn er die Befürchtung äußert, dass die Satisfaktion den Weg zur Werkgerechtigkeit öffne. Paracelsus versteht unter der Absolution nicht die Freisprechung von der Sünde durch einen Priester im katholischen Bußsakrament. Unter ihr versteht Paracelsus das Leiden Christi am Kreuz, das die endgültige einzige Absolution für jedes Sündenbekenntnis darstellt. Darum stellt Paracelsus Christus dem Antichristen gegenüber, der jeden Menschen seine eigene Sünde tragen und sie durch seine eigene Kraft sich vergeben lässt.430 Hier denkt Paracelsus an die mittelalterliche Bußpraxis: Demnach soll, wenn die Kraft der Taufe durch die Sünde verloren geht, diese Kraft durch die Buße wiederhergestellt werden. Jeder, der nach der Taufe gesündigt hat, soll deshalb seine Sünde bekennen und Genugtuung leisten. Paracelsus kritisiert daran, dass der Antichrist die Sündenvergebung durch das Leiden Christi am Kreuz verachtet, eben weil die Sündenvergebung nur auf das Werk Christi am Kreuz angewiesen ist. Hier wird deutlich, dass Paracelsus die Buße nicht als eine Art zweite Taufe ansieht, sondern alle Sündenvergebung im Werk Christi konzentriert: „[D]odurch entspringen, daß got sein ehr, sein macht, sein kraft entzogen wird; und sein leiden, das uns die hingenommen hat und uns absolviert am kreuz und erledigt von allen sunden, das unser vergebung ist, wird hiedurch verachtet und gemindert. ist das nit ein großer deuflischer artikel, zu verachten das leiden Christi? sollen wir alle tag des leidens Christi gedenken, bedrachten und zu herzen fassen, - was soll uns darzu bewegen dann die kraft des leidens? was ist sein kraft? daß sie uns die sund vergibt, so wir in seim leiden reu und leid tragen.“431 An dieser Stelle zeigt sich eine weitere Verbindung des paracelsischen Denkens zu reformatorischen Ideen: Melanchthon schreibt in der »Confessio Augustana«, dass die Buße aus Reue und Glauben besteht. Er ersetzt die Absolution durch den Glauben. Dabei 429 430 431 Zu Ps 114 (116a), 2, PW 2/V, S. 199. Zu Ps 117 (118), 22, PW 2/V, S. 250. Zu Ps 114 (116a), 2, PW 2/V, S. 198. 118 versteht er unter dem Glauben jenen Glauben, der aus dem Evangelium, d.h. aus der Lossprechung empfangen wird und gewiß macht, dass die Sünden um Christi willen vergeben werden. Es wird deutlich, dass der Glaube sowohl bei Melanchthon als auch bei Paracelsus als der Glaube an die Vergebung der Sünden um Christi willen verstanden wird. Im Psalmenkommentar nimmt die Reue zwar den dritten Platz im Bußvorgang ein, bezieht sich aber auf die Genugtuung Christi, nämlich das Leiden Christi. Der Mensch muss an das Leiden Christi denken und dann selber bereuen.432 Diese Aussage kann gut mit Luthers Verständnis von der rechten Buße als ein Leben unter dem Kreuz verbunden werden.433 Die paracelsische Auffassung setzt jedoch die Erkenntnis Gottes der Reue voraus. Die Reue ist dabei als ein innerlicher Akt des Menschen zu verstehen: „[D]er mensch mus sich selbs bekeren und in sein eigen reu und leid gohn. [...] sunder allein der eigen herz muß ufgeton werden von iren kopfen, die sie selbs haben, und nit durch ander.“434 Paracelsus versteht wie Melanchthon unter der Reue sowohl »contritio« als auch »attritio«. Er versteht unter dem »contritio« die Reue, die aus dem Kummer über die Sünde entspringt und von dem Vorsatz getragen wird, nicht mehr zu sündigen. Sie ist in der mittelalterlichen Terminologie die Bezeichnung für die vollkommene Reue. Für ihn bedeutet »attritio« die Reue aus Furcht.435 Während Luther sieht, dass nicht die Reue, sondern der feste Glaube an die Barmherzigkeit Gottes in Christus den Menschen allein an der Vergebung teilhaftig werden läßt und ihn vor Gott rechtfertigt, 436 denkt Paracelsus, dass das Erkennen über das Leiden Christi und die Reue den Menschen an der Vergebung teilhaftig werden lassen. Bei Paracelsus ist der Glaube allein an die Barmherzigkeit Gottes durch das Leiden Christi nicht ausreichend. Deshalb fügt er die ernsthafte Reue hinzu, welche bei ihm eine Bedingung für das Erlangen der Barmherzigkeit Gottes darstellt. Luther hingegen versteht die Reue nicht als eine 432 433 434 435 436 Zu Ps 84 (85), 9b, PW 2/IV, S. 149. Vgl. Grane, Die Confessio Augustana, S. 110. Zu Ps 84 (85), 9b, PW 2/IV, S. 149. In der »Confessio Augustana« wird die Reue als »contritio« oder »attritio«, nämlich die Reue aus dem Schrecken, welche die Erkenntnis der Sünde dem Gewissen einjagt, verstanden: Vgl. Grane, Die Confessio Augustana, S. 106–107. Martin Luther, Ein Sermon von dem Sakrament der Buße. 1519, in: WA, Bd. 2. Weimar 1884, S. 709– 723, hier S. 713–723. 119 Bedingung für das Erlangen der Gnade, sondern als eine Frucht des Glaubens, Gottes Drohungen und Verheißungen.437 An dieser Stelle kann von der Individualisierung und einer zeiträumlichen Begrenztheit der Reue gesprochen werden: Jeder Mensch muss seine eigene Sünde bereuen. Es kann keinen Stellvertreter für die Reue geben. 438 Für einige kommt allerdings jede Reue zu spät: Den Verdammten im letzten Gericht wird nach Paracelsus die Möglichkeit zur Reue entzogen. Die Reue muss daher bereits auf Erden geschehen, weil die Gnade Gottes für die Verdammten nicht mehr gilt, die schließlich von Gott verurteilt werden.439 Zudem hat die Reue für Paracelsus Vorrang vor anderen äußeren religiösen Handlungen. „[W]as verheißen sie? gen sant Jacob, gen Jerusalem, munch zu werden, geistlich zu werden. dise ding alle seindt lugenhaftig ding, dann got will [254] ir nit. er will ein warhaftig zungen haben! was ist dieselbig? er will reu und leid aus dem mund horen, nit genugtuung, nit bezalung, nit vergleichen; sunder leid, reu, erkanntnus. darumb liegen ir zungen.“440 Paracelsus deutet an, dass er die Beichte weder in der äußeren Kirche noch innerhalb der Gemeinschaft als mündliches Bekenntnis der Sünden versteht, sondern als spirituellen Vorgang, der den Menschen zur Begegnung mit dem gnädigen Gott führt. Darum kann diese Beichte im Herzen des Gläubigen geschehen. Hier wird deutlich, dass die paracelsische Auffassung von der Beichte eng mit seiner Ekklesiologie zusammenhängt. Die äußerliche Kirche ist nicht die wahre Kirche. Die innerliche Kirche, die sich im Herzen des Gläubigen befindet, ist die wahre Kirche. Sie ist die Stätte, in der Gott bleibt. Darum geschieht dort auch die Gemeinschaft mit Gott441 und die Beichte. Paracelsus unterscheidet zwischen dem Bekenntnis vor der Gemeinde und der eigentlichen Beichte vor Gott. Im Psalmenkommentar findet sich keine Erwähnung einer Privatbeichte, obwohl Paracelsus in seiner früheren Schrift »De septem punctis idolatriae christianae« von 1524/25 anscheinend an eine Art Laienbeichte unter 437 438 439 440 441 Vgl. Luther, De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium. 1520, in: WA, Bd. 6. Weimar 1888, S. 484–573, hier S. 545. Zu Ps 84 (85), 9b, PW 2/IV, S. 149. Zu Ps 108 (109), 12, PW 2/V, S. 99. Zu Ps 77(78), 36, PW 2/IV, S. 57. Daneben gibt es bei Paracelsus die Auffassung, dass die Gemeischaft der Heiligen als Kirche verstanden wird. Aber Paracelsus benutzt für diese Gemeinschaft nicht das Wort »Kirche«, sondern das Wort »ein Stall« oder »ein Herde«: Vgl. zu Ps 99 (100), 4a– Ps 100 (101), 2b, PW 2/IV, S. 311–313. 120 Gleichgesinnten im Sinne einer Privatbeichte denkt. 442 Paracelsus spricht zwar im Psalmenkommentar von dem öffentlichen Bekennen vor der Gemeinde, betont aber, dass der Mensch eigentlich nur Gott beichten soll. Paracelsus nennt hierfür zwei Gründe: Erstens, dass die Sündenvergebung nur Gott gehört. Gott allein kann die Sünder verurteilen oder ihre Sünde vergeben, weil er allein alle Sünde erkennen kann. Hier rekurriert Paracelsus auf die ockham´sche Allmacht Gottes mit der Betonung des »deus absconditus« durch Luther. Nur Gott hat die Macht, alle Dinge zu beurteilen. Er kann die Menschen erlösen oder verdammen.443 Die Sündenvergebung hängt für Paracelsus mit der Eigenschaft der Barmherzigkeit Gottes zusammen: Unter der Sündenvergebung versteht Paracelsus nämlich die Barmherzigkeit Gottes. Darum kann sie nicht von Gott getrennt werden. Die Barmherzigkeit Gottes, d.h. die Sündenvergebung, wurde der Menschheit durch seinen Sohn gegeben, indem Christus auf der Erde geboren wurde. Doch sie wurde keinem Menschen, sondern allein dem Sohn Gottes gegeben und bleibt somit bei ihm. Gott behält die Sündenvergebung bei sich selbst, bei seinem Sohn Christus, damit die Menschen ihn fürchten. „[U]nd wo der ist, den man forcht, do ist der herr; wo der herr, do ist gnad und vergebung. darauf so wissen, daß bein menschen kein gnedigkeit, das ist vergebung, ist, sunder allein bei got; und got ist sie selbs.“444 „Nun gibt er uns in dem zu verstohn, daß wir uns nit freuen sollen oder ein liebe haben in andern erhoren, das ist im verhoren der menschen, als der abtgotter, die uns verhoren und sagen, es sei als vil, als het uns got selbs verhort. auf solchs redt David allein vom verhoren gottes, der erhor unser bitt.“445 Da die Sündenvergebung von dem Leiden Christi am Kreuz abhängt, hat die Satisfaktionstheorie im Sinne der spätmittelalterlichen Auffassung bei Paracelsus keinen Platz. Auch ist Paracelsus skeptisch gegenüber dem Versuch eines vernunftmäßigen Verstehens der Sündenvergebung. Nach Paracelsus ist die alte Satisfaktionstheorie eine vernunftmäßige Ausdrucksweise, die uns den übernatürlichen und übervernünftigen Vorgang der Sündenvergebung einsichtig machen will, da er sonst völlig unbegreiflich 442 443 444 445 Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 127. Die Ablehnung der Privatbeichte findet sich auch im »Liber de re templi ecclesiastica«. Dort ist die Beichte ebenfalls wie im Psalmenkommentar mit der Forderung des öffentlichen Bekennens vor der Gemeinde verbunden. Zu Ps 77 (78), 42, PW 2/IV, S. 61–62. Zu Ps 129 (130), 4a, PW 2/VI, S. 200. Zu Ps 114 (116a), 1, PW 2/V, S. 197. 121 wäre. Doch die Sündenvergebung bleibt letztlich das Werk Gottes, das über die menschliche Vernunft hinausgeht. Die Sündenvergebung als eine Eigenschaft Gottes bedeutet, dass vor einem Menschen zu beichten heißt, die Ehre, Macht und Kraft Gott zu entziehen und sein Leiden und seine Vergebung zu verachten.446 Der zweite Grund für die Beichte vor Gott allein ist, dass Gott allein dem Gläubigen sowohl die Vergebung als auch die Gabe des Heiligen Geistes schenken kann. Paracelsus unterscheidet die Wirkung der Vergebung Gottes von der der Vergebung des Menschen: „[A]us dem verstanden: dieweil uns David zu got weist, so geschichts darumb, daß got die gerechtigkeit hat. darumb zu dem mussen wir mit der beicht, dann er kann uns erstatten, das uns abget; das vermag kein mentsch. darbei wissen, daß vergeben nit beschehen mag der sunden, allein es sei dann die gab [353b] des heiligen geists do mit der erleuchtung zu einem gotlichen wandel. dann vergeben und dem geist nit geben, mag nit sein; sie mugen nit geschieden werden. darumb zu gleicherweis wie David hie got sein weg erzelt hat, daß er ihn die gerechten gottes lern, also beichten wir got unser sund, nit allein daß ers uns vergebe, sunder das recht lerne und gebe. dann was ist vergeben und fur und fur fallen? nix! es ist ein vergeben gegen bruder, aber der geist wird nit dodurch geben.“447 Die Beichte, die die wahre Erneuerung und Gemeinschaft mit Gott herbeiführt, kann nur vor Gott geschehen, weil nur er sowohl die Vergebung als auch die Gabe des neuen Lebens, des Heiligen Geistes und der göttlichen Rechte geben kann. Die wahre Beichte vor Gott soll auch die Neigung zu weiteren Sünden tilgen. 448 Dagegen kann die kirchliche Beichte nur brüderliche Zusprechung der Vergebung sein, die keine Sicherheit gegen zukünftiges Fallen gewährt. In dieser verwandelnden Wirkung der Vergebung besteht der fundamentale Unterschied zu der Vergebung des Menschen in der äußeren Kirche. Darum ist Paracelsus gegen die Praxis der häufigen Beichte, die im Spätmittelalter weit verbreitet und von den Menschen gewünscht war. Diese Art der Beichte setzt allerdings nach Paracelsus häufiges Sündigen voraus und verursacht es wohl auch mit. Das widerspricht seiner Auffassung von der Beständigkeit des Christenstandes, die Paracelsus den Psalmen entnommen hat:449 Wem durch Gott seine Sünde vergeben wird, 446 447 448 449 Zu Ps 114 (116a), 2, PW 2/V, S. 198. Zu Ps 118 (119), 26, PW 2/VI, S. 33. Zu Ps 118 (119), 28, PW 2/VI, S. 35. Die Beständigkeit des Gläubigen wird im folgenden Abschnitt behandelt werden. 122 kann beständig seinen christlichen Zustand vor Gott halten. Hier spricht Paracelsus von einer einmaligen Beichte: „[A]lso sollen wir beichten nur éin mal von unser jegent bis in unser alter ohn aufhoren, und sollen got danken, daß er uns die gnad geben hat zu erkennen sein urteil seiner gerechtigkeit, daß wir wissen, wo wir wandlen sollen.“450 Dennoch ist diese Vorstellung einer einmaligen Beichte ambivalent: Neben ihr spricht Paracelsus auch von einer Beichte zu jeder Zeit im Leben. Hier steht die Heiligung im Vordergrund. Mit dieser Form der Beichte meint Paracelsus nicht ein Mittel der Wiederherstellung des Gefallenen, so wie die Buße als eine Art zweite Taufe in der katholischen Kirche verstanden wird. Sie soll vielmehr im Sinne von Heiligung verstanden werden. Die menschlichen Werke, die mit dem menschlichen Verstand der Erlösung dienen sollen, sind vor Gott eine Torheit. Stattdessen soll der Gläubige sein Gewissen erforschen, ob noch etwas Schlechtes in ihm vorhanden ist, obwohl er vor Gott schon rein und gerecht ist und beständig dem Weg Gottes folgt.451 Über die einmalige Beichte spricht Paracelsus mit der Intention, dass der Mensch vor Gott am Anfang des Glaubens beichten und danach beständig auf dem Weg Gottes durch den eigenen Lebenswandel bleiben soll. Das ist natürlich nur eine idealisierte Vorstellung, obwohl Paracelsus von der Unfehlbarkeit des Gläubigen spricht, der unter der Leitung des Heiligen Geistes steht. Hier zeigt sich, dass er mit den Täufern die Idee von der Einwohnung des Heiligen Geistes im Sinne einer unverlierbaren Qualität im Menschen teilt. Im Hinblick auf die tagtägliche Lebenspraxis empfiehlt Paracelsus aber, dass der Mensch jeder Zeit vor Gott beichten soll, wenn er vor Gott sündigt:452 „[D]ann unser beichten soll in uns sein, so wir schlafen und der leip ligt und kennt sich selbs nit, so soll unser seel wachen und aufstohn zu got.“453 Deshalb polemisiert Paracelsus auch gegen die allgemeine Vorschrift der jährlichen Beichte durch das 4. Laterankonzil (1215). Hier berühren sich die Auffassungen von Paracelsus und Luther in Bezug auf die Buße: „Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße!, so hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen eine 450 451 452 453 Zu Ps 118 (119), 62, PW 2/VI, S. 58. Zu Ps 138 (139), 24, PW 2/VII, S. 24. Zu Ps 118 (119), 62, PW 2/VI, S. 58. Ebd. 123 Buße sei.“454 Paracelsus und Luther argumentieren, dass die Schuld der Sünde allein Gott vergeben kann und die Sünde durch wirkliche Reue schon von Gott vergeben ist.455 Genau wie Luther hält Paracelsus an der Notwendigkeit der Buße fest, verzichtet aber auf das Bußsakrament. Die paracelsische Auffassung der Buße beinhaltet darum die individuelle und spiritualistische Beichte vor Gott aufgrund des Leidens Christi und den durch den Heiligen Geist geleiteten Lebenswandel.456 3.2 Die Taufe 3.2.1 Die Bedeutung der Taufe anhand von Ps 86 (87), Ps 102 (103), Ps 115 (116b) und Ps 144 (145) Paracelsus zeigt in seinen theologischen Auffassungen einige Gemeinsamkeiten mit den Spiritualisten: Er spricht von der unmittelbarer Beziehung der Gläubigen zu Gott, von der Ablehnung jeder kultischen Heilsvermittlung und von der Forderung nach freier Verkündigung der Glaubensüberzeugungen ohne Unterwerfung unter die äußere Autorität der Kirche. Seine Sakramentslehre unterscheidet sich aber nun von spiritualistischen Auffassungen. Er lehnt die äußerliche Sakramente nicht völlig ab: Wie Luther lehnt Paracelsus die Lehre von den sieben Sakramenten in der römischen Kirche ab. Während die Exegese der Einsetzungsworte (Mt 26, 26) seit 1524 beim innerprotestantischen Abendmahlsstreit die entscheidende Thematik darstellte und sich ein Reformator dementsprechend konfessionell zuordnete, zeigt Paracelsus daran kein Interesse. Sein Interesse an der Tauf- und Abendmahlsfrage liegt eher im Bereich der Soteriologie. Paracelsus versteht unter der Taufe die Wiedergeburt durch das Blut Christi und die Reinigung von dem „lugenblut“ Adams. 454 455 456 Vgl. Luther, Disputatio pro declaratione virtutis indulgentianrum, in: WA, Bd. 1. Weimar 1883, S. 229– 238, hier S. 233. Vgl. ders., S. 235. Im Vergleich dazu hat Gause bei der paracelsischen Konzeption der Buße in seinem Matthäuskommentar zwei Elemente erfasst: Das persönliche, individuelle Sündenbekenntnis vor Gott und das daraus resultierende Freiwerden für einen neuen Weg des Glaubens, der eine zu Gott befreite Lebenshaltung bedeutet: Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 174. 124 „[S]o wirs nach der weisheit nemen aus got eingeflossen, so werden wir in dem kelch zum andern mal geborn, das ist der tauf, darin wir rein werden und durch den wir mussen rein werden, und ohn den dauf ist kein reinigung bei uns; dann wie wir aus Adam das lugenblut empfahen und aus dem wir liegen, also mussen wir zum andern mal geborn werden in dem blut Christi, auf daß wir das blut der warheit auch in uns haben, das ist die kraft des bluts. nit das ich hierin meld das testament, sunder allein die kraft des bluts, wie sie von einem douf ausget. also red ich, daß das blut Christi unser douf sei zu dem ewigen leben, das ist unser ander geburt.“457 An dieser Stelle spricht Paracelsus im traditionellen Sinne von der Reinigung von der Erbsünde durch die Taufe.458 Der Ungetaufte bleibt unter dem „lugenblut“ Adams, d.h. in der Schuld und Macht der Erbsünde und ist damit von der Erlösung ausgeschlossen. Darum gleicht sein Taufverständnis in diesem Punkt dem der römischen Kirche. Dennoch zeigen sich wesentliche Unterschiede: Während für die römische Kirche durch die Todsünde die Sünden vergebende Kraft der Taufe verloren gehen kann und der Gefallene nach der Taufe darum durch das Bußsakrament eine Erneuerung der Gnade Gottes benötigt, spricht Paracelsus wie Luther von der Wirksamkeit der Taufe für das ganze Leben. Die Kraft der Taufe kann bei ihm weder durch Todsünden verloren gehen noch später erneuert werden. Somit bleibt sie im ganzen Leben des Getauften wirksam, da sie immer mit dem Heiligen Geist verbunden ist, der den Getauften im Wort Gottes unterweist und dessen Leben leitet.459 Neben der Sündenvergebung spricht Paracelsus auch von der Wiedergeburt. Dieser Begriff kann im Zusammenhang mit seinem anthropologischen Grundsatz gut nachvollzogen werden: Nur, was vom Himmel kommt, kann auch in den Himmel gehen. Was von der Erde kommt, bleibt irdisch und damit vergänglich.460 Im Kommentar zu Ps 86 (87), 5 versteht Paracelsus unter der Wiedergeburt die Schaffung einer neuen Kreatur. 457 458 459 460 Zu Ps 115 (116b), 13, PW 2/V, S. 216. Paracelsus versteht in seinem Matthäuskommentar die Taufe im Grunde als Vergebung der Sünden: Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 174–175. Zu Ps 118 (119), 11, PW 2/VI, S. 17. Rudolph, Viehischer und himmlischer Leib, S. 107; Vgl. Paracelsus, Liber de sacramento corporis Christi, einzunehem zur seligkeit, in: ders.: Theologische Werke 1: Vita Beata – Vom seligen Leben, (Neue Paracelsus–Edition, Bd. 1, hg. v. Urs Leo Gantenbein). Berlin, New York 2008, S. 495–508, hier S. 498. 125 „[N]un die geburt zum andern mal ist Syon, das ist Christus. also bestet sich hie dise weissagung, daß wir allein in Sion mussen geborn werden, das ist aus Sion burtig sein. daraus dann folgt, dieweil wir in Sion mussen geborn werden und die geburt heist die widergeburt: so wissen, daß wir nimer die alt creatur seindt, sunder wir seindt neu creaturn aus Christo. also hats got zugericht.“461 An dieser Stelle bedeutet die Wiedergeburt in der Taufe, dass ein Mensch durch Christus zu einer neuen Kreatur wird.462 Paracelsus meint damit die neue Kreatur aus Christus, der aus dem Himmel stammt, da die Wiedergeburt durch die Kraft des Blutes Christi geschieht. Die Kraft des Blutes bezieht sich auf den Limbus Christi. Dadurch steht die paracelsische Auffassung von der Wiedergeburt im Zusammenhang mit seiner Limbustheorie. Die Wiedergeburt bedeutet für Paracelsus nicht eine Verwandlung der alten Kreatur in eine neue Kreatur, sondern die Erschaffung einer neuen Kreatur in der alten. Die Wiedergeburt kann bei Paracelsus als die Schaffung des ewigen Leibes, der aus dem Limbus Christi stammt, verstanden werden. Die Wiedergeburt vermittelt somit den himmlischen Leib Christi. In diesem Sinne kann von einer neuen Schöpfung gesprochen werden. Die neue Schöpfung ist für Paracelsus ein Wunder, das das Wunder der ersten Schöpfung weit übertrifft. Christus teilt dem Menschen seinen Leib mit und hebt ihn dadurch über die Welt des Todes hinaus. Das Wunder des mit Christus gegebenen Neuen wird wirklich für den Menschen durch die Wiedergeburt, durch die er zu einem himmlischen Wesen wird, das in das Himmelreich eingehen kann.463 Darum hält Paracelsus die Taufe ebenso für heilsnotwendig wie die römische Kirche und Luther. Da Paracelsus aber zwischen der Kindertaufe und Taufe aus dem Heiligen Geist unterscheidet, muss die Frage behandelt werden, welche Taufe heilsnotwendig ist. Im Gegensatz zu Zwingli, der behauptet, dass die Taufe zwar den Glauben stärken, ihn aber nicht erwecken könne,464 argumentiert Paracelsus, dass die Taufe selbst die Kraft, die Macht und die Eigenschaft hat, zum ewigen Leben zu führen. Unter der Kraft der Taufe versteht Paracelsus aber den Heiligen Geist. Er wirkt in der Taufe, indem er die neue Kreatur schafft: 461 462 463 464 Zu Ps 86 (87), 5, PW 2/IV, S. 168. Vgl. ebd.; zu Ps 102 (103), 5, PW 2/IV, S. 338. Ebd. Stephens, Zwingli, S. 109. 126 „[U]nd wie der douf an ihm selbs kraft und macht und eigenschaft hat, dieselbig mus in uns sein, das ist der heilig geist, der sein blut in ihm hat, so es ein douf ist, daß er uns anzundt, daß der kelch das heilig, unser heil ist. und das nit anderst bei uns, dann daß wir dodurch zum ewigen leben kommen.“465 Nach Paracelsus vereinigt der Heilige Geist das Taufwasser sowie das Blut Christi und vermittelt einem Täufling die Kraft dieses Blutes durch sein Wirken in der Taufe. Für Paracelsus bedeutet die Kraft des Blutes Christi die Macht der Taufe, die im persönlichen Leben des Einzelnen für die Ewigkeit wirksam ist. „[S]o wir ihn auf erden anruefen, so ist er bei uns; das anruefen macht ein weizen aus den verfuerten und verloren schafen. darumb so wissen: ob schon der endtchrist [= der Priester des Papstes] uns tauft, so tauft uns auch der herr, den wir ohn den endtchrist anruefen; so uns der endtchrist lernet, so lernt uns auch got der heilig geist neben ihm; und ob schon der endtchrist uns segnet, so rufen wir got an in den dingen allen.“466 Während Paracelsus das Abendmahl der römischen Kirche für unwirksam hält und es ablehnt, lehnt er die Taufe des »Antichristen«, nämlich der römischen Kirche, nicht ab. Obwohl er die Taufe der römischen Kirche für unwirksam zur Erlösung hält, verwirft er sie nicht, sondern stellt neben die Taufe des »Antichristen« die wahre Taufe durch Gott. 467 Dieses Verhältnis zur Taufe wird noch deutlicher bei seiner Haltung zur Kindertaufe. 3.2.2 Die Kindertaufe anhand von Ps 118 (119) Neben der Bedeutung der Taufe als der Wiedergeburt macht Paracelsus noch einen anderen Charakter der Taufe aus: Die religiöse Unterweisung durch den Heiligen Geist, die eine neue christliche Lebensführung ermöglicht. Während die Täufer den Glauben als die Voraussetzung der Taufe ansehen, ist Paracelsus nicht daran interessiert. Vielmehr betont er den Wert erzieherischen Wirkens und christlicher Tradition des Elternhauses. Aus diesem Grund erkennt Paracelsus die Kindertaufe an, unter der er in etwa die Taufe der römischen Kirche versteht. 465 466 467 Zu Ps 115 (116b), 13, PW 2/V, S. 216. Zu Ps 144 (145), 18, PW 2/VII, S. 81. Ebd. 127 „[M]an sagt bei den gleisnern, bei den falschen propheten und falschen christen, daß wandlen in dem weg des herrn us gewonheit und altem herkommen und gebrauch nit christenlich sei, das ist got nit angenem ze sein. nun ist nix an uns, das aus uns gang. ein kind, das in gottes forcht erzogen wird auf sein tag und bleibt in demselbigen bis in sein tod, - wer behalts? nit sein gewonheit, sunder got! dann so got die kinder nit behielt, also wie angezeigt ist, so nem er auch von uns den dauf, und also musten wir zum andern mal wieder gedouft werden, das weit von uns sei.“468 Nach Paracelsus liegt die Kindertaufe unter Gottes Führung. Gott bewahrt die Kinder, die getauft sind und nach seinem Wort erzogen werden. Trotzdem sind die Subjekte der religiösen Erziehung die Eltern. Sie lassen ihre Kinder taufen und unterweisen ihre Kinder in christlicher Lebensführung. „[D]urch dieselbigen [=die Eltern] mussen wir zum glauben und zum dauf. lernen sie uns gerecht, so behalten wir das wort gottes; wo nit, so irren wir.“469 Hier treten allerdings zwei Probleme auf: Die religiöse Erziehung durch die Eltern kann falsch durchgeführt werden und steht im Konflikt mit Paracelsus´ spiritualistischer Auffassung von der unmittelbaren Belehrung Gottes. Diese Spannung löst Paracelsus nun folgendermaßen auf: Jeder Erwachsene, der durch den Heiligen Geist unterwiesen wird, hat die Pflicht, seine religiöse Erziehung durch seine Eltern zu prüfen. Wenn die Erziehung recht ist, soll er dabei bleiben. Wenn sie unrecht ist, soll er im Wort Gottes bleiben. 470 Hinter diesem Gedanken steht, dass das Heil der Kinder von den Eltern abhängig ist und der Erwachsene selbst für seine Erlösung verantwortlich ist. 471 Die Taufe selbst stammt schließlich von Gott. „[D]arumb ist auch ir tauf und entpfahen den dauf vom menschen nit, daß sie des gewonen sollen, sunder den heiligen geist im selbigen zu lernen und die gerechtigkeit gottes von jugent auf üben, daß sie im alter bestand hab, mit vorbehaltner gewißne der erforschung, daß sein gewohnheit kein irrung mit fur.“472 Auch hier ist Paracelsus ambivalent: Einerseits sagt er, dass die Taufe von Gott kommt, und dass sie dem Menschen im Alter versichert, dass die Gerechtigkeit Gottes und das 468 469 470 471 472 Zu Ps 118 (119), 9, PW 2/VI, S. 14. Ders., S. 15. Zusammen mit seiner Auslegung des Zehnten Gebots sagt Paracelsus zum Vierten Gebot, dass es die Pflicht der Eltern sei, ihre religiösen Anschauungen zu prüfen, während er vom Kind unbedingten Gehorsam den Eltern gegenüber auch in Fragen kirchlicher Sitte fordert: Vgl. Paracelsus, Auslegung, S. 144–152. Zu Ps 118 (119), 9, PW 2/VI, S. 15. In seiner Auslegung des 4. Gebots fordert Paracelsus vom Kind Gehorsam gegenüber den Eltern auch in Fragen kirchlicher Sitte, während er im Psalmenkommentar vorsichtiger argumentiert: Vgl. Paracelsus, Auslegung, S. 144–152. Zu Ps 118 (119), 9, PW 2/VI, S. 15. 128 von Jugend auf geführte christliche Leben kein Irrtum, sondern Gottes Wille sind. Andererseits argumentiert er, dass jeder Erwachsene den Inhalt seiner religiösen Erziehung prüfen soll. Außerdem steht seine Auffassung über die Kindertaufe in einem Widerspruch zu seiner Tauflehre, wonach er die Taufe als die Wiedergeburt und die Schaffung einer neuen Kreatur versteht. Das paracelsische Taufverständnis erweist sich also als sehr komplex, ja teilweise sogar widersprüchlich. Bei dessen Rekonstruktion mag daher ein Blick auf das theologische Umfeld hilfreich sein: Mir scheint, dass Paracelsus die Auffassung Zwinglis über die Kindertaufe kannte und dessen Konzeption nach eigenem Gutdünken übernahm. Drei große Werke Zwinglis gegen die Täufer wurden schon vor seinem Psalmenkommentar veröffentlicht.473 Zwingli stellte in einem Brief nach Straßburg in Jahre 1524 fest, dass in der Bibel die Taufe die feierliche Aufnahme derer ist, die schon glauben, sowie jener, die glauben werden.474 Er sprach sich für die Kindertaufe aus, weil durch sie die Beschneidung ersetzt werde. Mit Bezug auf Mat 19, 13-14 betonte er, dass der, der den Kindern die Taufe verwehrt, ihnen auch den Zugang zu Christus verwehre. Außerdem trat Zwingli für die Kindertaufe aufgrund des »Missionsbefehls« (Mat 28, 19–20) ein. Dort ist zuerst von der Taufe die Rede und erst danach von der Unterweisung der Getauften.475 In der Auseinandersetzung mit den Täufern betonte er, dass im Neuen Testament die religiöse Unterweisung der Taufe folge.476 Auch im Alten Testament folge die Unterweisung von Kindern auf die Beschneidung, sie gehe nicht der Beschneidung voraus.477 Darum solle die Kindertaufe und die Unterweisung gewährt werden. Bei den Argumenten Zwinglis für die Kindertaufe sind die wichtigen Punkte somit die Ersetzung der Beschneidung durch die Kindertaufe im Neuen Testament und die religiöse Unterweisung der Eltern. Paracelsus erwähnt die Beschneidung auch als ein Beispiel, um sich für die Kindertaufe auszusprechen. Dabei betont er, dass die Kraft der Beschneidung in ihrer 473 474 475 476 477 Im Jahr 1525 wurden zwei Werke, »Von der Taufe, von der Wiedertaufe und von der Kindertaufe« und »Antwort über Balthasar Hubmaiers Taufbüchlein«, veröffentlicht, im Jahr 1527 der »Elenchus«. Vgl. Stephens, Zwingli. S. 109. Ders., 56. Von der Taufe, von der Wiedertaufe und von der Kindertaufe. 27. Mai 1525, in: Z, Bd. 4, (CR, Bd. 91, hg. v. Emil Egli u.a.). Zürich 1927, S. 188–337, hier S. 231–233. Stephens, Zwingli, S. 112–114. Zwingli, Von der Taufe, S. 292. 129 religiösen Unterweisung durch die Eltern läge, während die Beschneidung eine bloße „gewonheit“ darstelle. Durch die Unterweisung könne ein Kind zum Glauben geführt werden. Wie bei der Beschneidung die Unterweisung eine große Rolle spiele, sei die Unterweisung der Eltern bei der Kindertaufe entscheidend. Die Betonung der Bedeutsamkeit der Unterweisung durch die Eltern bei der Kindertaufe ist zwar eine Gemeinsamkeit von Zwingli und Paracelsus, sie gilt für Paracelsus aber nicht als die einzig geltende Form der Taufe. Denn die wahre Weisheit Gottes kann nur unmittelbar durch den Heiligen Geist erlangt werden. Die Belehrung aber soll durch Gott selbst geschehen. Nur der Heilige Geist kann die wahre Gotteserkenntnis geben. Darum soll der Erwachsene durch den Heiligen Geist prüfen, ob die Unterweisung der Eltern recht ist. Hier unterscheidet sich Paracelsus von Zwingli. Dahinter steht die Überlegung, ob ein Kind den Heiligen Geist empfangen kann. Während für Zwingli Kinder auch den Heiligen Geist empfangen können, 478 argumentiert Paracelsus, dass das bei Kindern nicht der Fall sei. „[D]er heilig geist ist weiter not; der kompt nit in kindlichen tagen, sunder in gewachsnen tagen. also behalten ir gerechtigkeit die kinder und ir gerechtigkeit die alten.“479 In diesem Zusammenhang konstatiert Paracelsus im Psalmenkommentar, dass die Kindertaufe im Gegensatz zu der Taufe des Heiligen Geistes nicht notwendig sei: 480 „das wasserdauf ist beschehen, und ist sein gnug, ist nimer not. der heilig geist ist weiter not.“481 Auch bei Zwingli findet sich eine ähnliche Position in der Überlegung, dass nur die Geisttaufe erlöse.482 Paracelsus unterscheidet generell zwischen der Taufe oder der Kindertaufe und der Geisttaufe. Dabei bezieht er jede Taufe auf unterschiedliche Gerechtigkeit und Belehrung. Obwohl er die Kindertaufe nicht für heilsnotwendig hält, 478 479 480 481 482 Stephens, Zwingli, S. 109. Zu Ps 118 (119), 11, PW 2/VI, S. 17. Ein weiterer Aspekt der Kindertaufe findet sich in »Vom tauf der Christen« und »Libellus de baptismate Christiano«: Hier versteht Paracelsus die Kindertaufe als heilsnotwendiges, verpflichtendes, vor Dämonen schützendes Unterpfand der Seligkeit, dessen Wirksamkeit vom getreuen Wandel des Heranwachsenden in Buße und Glauben abhängig ist: Paracelsus, Vom tauf der Christen, in: PW 2/II. Wiesbaden 1965, S. 329–366; ders., Libellus de baptismate christiano, in: PW 2/II. Wiesbaden 1965, S. 369–377. Zu Ps 118 (119), 11, PW 2/VI, S. 17. Vgl. Ulrich Zwingli, 50. De vera et falsa religione commentarius. März 1525, in: Z, Bd. 3, (CR, Bd. 90, hg. v. Emil Egli u.a.). Zürich 1914, S. 590–912, hier S. 764–765; ders., Von der Taufe, S. 219–226. 130 stimmt er ihrer Eigenschaft als religiöse Unterweisung zu, durch die das getaufte Kind ein gottgefälliges Leben führen kann. „[W]ir bringen von der geburt zwei. eins ist der dauf, den uns vatter und mutter geben und zuschicken, und ir lernung. der dauf bleibt gerecht mit uns in tod, dann ursach es geschicht im namen des vatters, suns und heiligen geists; der mag nit erneuert werden noch verendert, sonder er bleibt in seiner kraft, sovil demselbigen wasser kraft geben ist. und dieselbige kraft soll nimer erneuert werden, dann ursach do folgt hernach der dauf des heiligen geists, so wir aus dem kindlichen verstand kumen in die jerlichen zeit.“483 Der Beginn des Christenlebens ist für Paracelsus mit dem Vollzug der Taufe im Kindesalter gegeben. Der Erwachsene braucht dazu aber noch die Geisttaufe. Durch diese nimmt der Heilige Geist eine Wohnung im Menschen. An diesem Punkt zeigt sich erneut der paracelsische Spiritualismus. 3.2.3 Die Taufe des Heiligen Geistes anhand von Ps 115 (116b) und 118 (119) In seinem Matthäuskommentar von 1525 hat Paracelsus zwei Taufen erwähnt: Die Taufe durch Johannes den Täufer und die durch Christus.484 Dort argumentierte Paracelsus, dass die Taufe durch Christus dem Getauften, der eine Wassertaufe bekommt, in Ewigkeit gegeben wird.485 Diese Taufe durch Christus hängt jedoch vom Lebenswandel des Menschen auf der Erde ab. Im Vergleich dazu unterstreicht Paracelsus im Psalmenkommentar die Taufe durch den Heiligen Geist. Durch den Heiligen Geist geschehen nach Paracelsus bei der Taufe zwei Dinge: Die Schaffung einer neuen Kreatur, d.h. die Schaffung des ewigen Leibs, und der Beginn der Unterweisung in die wahre Gotteserkenntnis. Im Kommentar zu Ps 115 (116b), 13 sagt Paracelsus, dass durch die Taufe der Heilige Geist zu dem Menschen kommt, der in sich das Blut Christi trägt, unter dem Paracelsus den »Limbus Christi« versteht. Durch den Heiligen Geist, der die Kraft des Blutes Christi besitzt, wird dem Menschen der Weg zum ewigen Leben aufgetan.486 Wie Christus durch Maria den himmlischen Leib bekam, bekommt der Mensch in der Taufe durch den Heiligen Geist den neuen Leib, der aus dem Limbus Christi stammt.487 483 484 485 486 487 Zu Ps 118 (119), 11, PW 2/VI, S. 17. Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 179, 184. Vgl. ebd. Zu Ps 115 (116b), 13, PW 2/V, S. 216. Vgl. ebd.; Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 131–132. 131 Dahinter steckt das paracelsische Grundprinzip der Trennung des Himmlischen und Irdischen. Die in geistlich und irdisch getrennte Anthropologie des Paracelsus zieht es nach sich, dass der mit irdischem Leib ausgestattete Mensch nicht in den Himmel gelangen kann.488 Wenn allerdings der Mensch den Leib, der aus dem Himmel stammt, verliehen bekommt, steht ihm der Weg zum Himmel offen. Dies ermöglicht nun das Blut Christi, d.h. der »Limbus Christi«, der wiederum vom Himmel kommt. Die Inkarnation Gottes zielt nach Paracelsus auf die Erlösung des Menschen ab. Die Menschwerdung Christi ist die Ursache für die Erlösung des Menschen, weil Christus dem Menschen durch seinen Tod und seine Auferstehung einen neuen Leib aus seinem Limbus gibt. Obwohl Paracelsus also die Inkarnation Gottes im traditionellen Sinne versteht, erklärt er aber den Vorgang der Erlösung spiritualistisch: Sie wird nach Paracelsus durch die Taufe im Heiligen Geist verwirklicht. Aus diesem Grund ist die Geisttaufe heilsnotwendig. Neben der Schaffung eines neuen Leibes verleiht die Geisttaufe zudem die wahre Weisheit Gottes: „[D]ann ‚von herzen got suchen’ ist, daß wir wollen wissen in unsern zeitigen tagen selbs von got seine gebot und weisheit, und nimer in der eltern lehr bleiben, sunder in gottes, ohn alle mittel menschlicher lehr oder hilf, es sei der predigen oder sonst lesen. das alls nun mittel seindt und mit der grund der heimlicheit gottes. dann wir sollen in der heimlichkeit gottes von got lernen, und in derselbigen mussen wir bleiben, als dann David hie anzeigt.“489 Nach Paracelsus ist die Unterweisung durch die Eltern nur eine menschliche Lehre oder Hilfe, mit der der Mensch die richtigen Gebote und die Weisheit Gottes nicht erkennen kann. Nur durch den Heiligen Geist kann er die Geheimnisse Gottes erkennen. Darum soll der Mensch von Gott selbst seine Gebote und seine Weisheit lernen, darin leben und ein christliches Leben führen, das ihm die menschlichen Gebote nicht ermöglichen würden. „[D]as aber bleibt und frucht bringt, das macht selig.“490 Aus diesem Grund ist die Geisttaufe heilsnotwendig. Sie bedeutet bei Paracelsus das unmittelbare Verhältnis des Menschen zu Gott, was auch Zwingli so sieht. Zwingli aber argumentiert auf einer ganz 488 489 490 Paracelsus ist Kreatianist, d.h., für ihn kommt die Seele von Gott. Zu Ps 118 (119), 10, PW 2/VI, S. 16. Ebd. 132 anderen Basis, nämlich aufgrund der Souveränität Gottes: Nur Gott kann die Geisttaufe vollziehen. Niemand kann ohne sie erlöst werden. Es ist möglich wie der Verbrecher am Kreuz ohne die äußerliche Taufe erlöst zu werden, d.h. ohne Unterweisung und Eintauchen in Wasser.491 Auch bei der Geisttaufe betont Paracelsus das unmittelbare Gottesverhältnis und den guten Lebenswandel als die Frucht aus diesem Verhältnis. Die Erlösung hängt demnach vom Einhalten der Gebote und vom Lebenswandel als der Frucht aus der Geisttaufe ab. Gott der Vater wird durch die Geisttaufe zu dem Vater des Menschen.492 Er gibt dem Menschen sein Gesetz und leitet ihn zu einem guten Leben an.493 Nach Paracelsus folgt die Gotteserkenntnis dem unmittelbaren Gottesverhältnis. Hier zeigt sich deutlich der spiritualistische Charakter der paracelsischen Theologie. Im Zusammenhang mit der Geisttaufe erklärt sich dann auch „ein seliger verborgener dauf und glaub“, der den Heiden, die Christus nicht erkannt haben, gegeben wird. Denn Christus tauft die Heiden durch den Heiligen Geist ohne menschliche Mittel oder menschliche Vermittler.494 3.2.4 Die Taufe als eine Wurzel des christlichen Lebens anhand von Ps 148 Obwohl durch die Taufe eine neue Kreatur geschaffen und ein unmittelbares Verhältnis zu Gott hergestellt wird, ist die Taufe bei Paracelsus weder Zweck noch Ziel des Christen. Sie ist vielmehr ein Ausgangspunkt des christlichen Lebens, der für jeden Christen notwendig ist. Paracelsus sieht den Menschen immer auch im Angesicht einer neuen Welt, die in der Taufe anfängt, im Abendmahl vorausgenommen wird und sich im Gottesreich völlig verwirklicht. Darum beginnt erst der Getaufte, dem Weg Gottes zu folgen. 491 492 493 494 Zwingli, De vera et falsa religione, S. 764–765. Vgl. zu Ps 118 (119), 11, PW 2/VI, S. 17 Vgl. zu Ps 118 (119), 10, PW 2/VI, S. 16. Zu Ps 125 (126), 2b–3, PW 2/VI, S. 176. 133 „[S]olch lob gehort seinen heiligen zu und den christen, so seiner dauf haben und sich ihm nehen mit demselbigen, nit stil ston im selbigen douf, sunder furfarn vom selbigen, ie lenger, ie mehr und neher zu got. dann der im tauf still stet, der ist nichs vor got, sunder er mus wachsen und hinzu gon wie ein boum gegen himel: so er in seiner wurzen blieb, was er was [= war]. also ist der dauf ein wurz der christen, aber nit darin zu ersticken, sunder auf wachsen gen himel und got sich nehen; […] das ist: wir sollen den douf nimmer fur uns nehmen, sonder lassen stohn und von ihm wachsen zu andern dingen, die in dolden [=Wipfel] gehorent an den ast, das ist den fruchten zugohn. darzu uns der tauf nur hindern wird, so wir in die wurzen wollen gohn und im selbigen bleiben. des daufs vergessen und den esten zu eilen, dolten und proßlen, damit wir blust geben und frucht zu seiner zeit!“495 An dieser Stelle wird das Wachsen des Glaubens beim Getauften betont. Die Wirksamkeit der Taufe scheint sogar von einem wahren christlichen Lebenswandel abzuhängen. 496 Sowohl Luther als auch Paracelsus haben den Lebenswandel des Getauften betont. Die Taufe jedoch ist für Paracelsus nur ein Ausgangspunkt, an dem der Getaufte zwar einmal notwendig stehen muss, den er aber unbedingt verlassen soll. Er soll nicht in der Taufe verharren, vielmehr soll er zum Reich Gottes aufbrechen. Damit betont Paracelsus die Taufe als einen Ausgangspunkt des christlichen Lebens. Wenn man sich nur mit ihr begnügt, kann sie letztlich zu einem Hindernis für das Wachsum des Glaubens werden. Darum verwirft Paracelsus die Erinnerung an die Taufe, den kirchlichen Brauch des Taufgedächtnisses und der Tauferneuerung.497 Luther hingegen betont die Erinnerung an die Taufe. Er versteht das christliche Leben in einer engen Beziehung zu ihr. Weil die Taufe in ihrer Verlässlichkeit ein für allemal steht, bestimmt sie das ganze Leben des Christen. Für Luther besteht die Bedeutung der Taufe im täglichen Sterben des alten und im Auferstehen des neuen Menschen.498 Das christliche Leben soll in diesem Sinne nichts anderes sein als eine „tägliche Taufe, einmal angefangen und immer darin gegangen“. 499 In diesem Zusammenhang lehnt Luther den Gedanken ab, dass die Taufe durch schwere Sünde zerbricht und durch die Buße zu ersetzen ist. Paracelsus spricht sich zwar ebenfalls gegen eine solche 495 496 497 498 499 Zu Ps 148, 14b, PW 2/VII, S. 104. Vgl. den Matthäuskommentar des Paracelsus. Auch hier argumentiert er ähnlich: Es hänge von seinem Lebenswandel ab, ob der Getaufte, der die Wassertaufe durch einen Menschen bekommt, in der Ewigkeit die Taufe durch Christus erhalten kann: Vgl. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 179; auch Lienhard, Die radikalisierte Reformation, S. 829; Benrath, Die Lehre, S. 584–585. Vgl. zu Ps 148, 14a–14b, PW 2/VII, S. 104–105. Luther, Der Kleine Katechismus 1529, Text und Lesarten herausgegeben von D. Albrecht unter Mitwirkung von D. Brenner und I. Luther, in: WA, Bd. 30/I. Weimar 1910, S. 239–425, hier S. 312. Luther, Deudsch Catechismus (Der Große Katechismus) 1529, Text und Lesarten herausgegeben von D. Brenner unter Mitwirkung von D. Albrecht und I. Luther, in: WA, Bd. 30/I. Weimar 1910, S. 123– 238, hier S. 220. 134 Vorstellung aus. Die Taufe bleibt aber bei seinem Verständnis ein Ausgangspunkt. Dagegen spricht Luther sogar von der Unverbrüchlichkeit und Unzerstörbarkeit der Taufe, die lebenslang währt. 500 Damit meint Luther eine bleibende Zugehörigkeit zu Christus, von der er sagt, dass wir ihn in der Taufe „angezogen“ hätten.501 Außerdem spielt ein Priester, der die Taufe spendet, bei der Tauflehre des Paracelsus keine Rolle. Mit Bezug auf die Schlüsselgewalt 502 ist er der Auffassung, dass jeder Christ einen anderen taufen kann. 3.3 Das Abendmahl 3.3.1 Die reale Gegenwart Christi beim Abendmahl anhand von Ps 110 (111) Die Feier des Abendmahls deckt für Paracelsus eine wichtige Dimension des Christenlebens ab. Dabei ist er primär an der Bedeutung des Abendmahls interessiert. Bunners ist der Ansicht, Paracelsus befasse sich nicht mit der Abendmahlsdebatte seiner Zeitgenossen.503 Das stimmt nur zum Teil: Paracelsus interessiert sich tatsächlich nicht dafür, wie die leibliche Gegenwart Christi in Brot und Wein des Abendmahls zu fassen ist. In Bezug darauf lehnt Paracelsus selbst ausdrücklich einen konfessionellen Standpunkt in Bezug auf das Abendmahlverständnis ab. 504 Allerdings fällt seine schriftstellerische Beschäftigung mit dem Abendmahl gerade in die frühen 1530er Jahren. Zu dieser Zeit weitet sich der Abendmahlsstreit zwischen der lutherischen Seite und der zwinglischen Seite weiter in den politischen Bereich aus und prägt die Auseinandersetzung über ein politisches Bündnis. Rudolph weist darauf hin, dass Paracelsus sich in dieser Zeit dem schweizerischen Abendmahlsverständnis nähert.505 In »Die Bücher von den unsichtbaren Krankheiten« von 1532 beschreibt Paracelsus mit der 500 501 502 503 504 505 Vgl. Luther, Nr. 8. Ein trostlich unterricht, wie man sich gegen den Tyrannen, so Christum und sein Wort verfolgen, halten soll, in: WA, Bd. 34/I. Weimar 1908, S. 83–584, hier S. 97. Ders., S. 96. Im Psalmenkommentar interpretierte Paracelsus mehrere Male die Schlüsselgewalt in unterschiedlicher Weise: Ps 118 (119), 53 interpretiert er dahingehend, dass Christus der Schlüssel sei. Darum ist für ihn die Schlüsselgewalt die Berechtigung dafür, dass ein jeglicher Christ einem anderen das Evangelium Christi verkündigen und andere taufen kann. Vgl. Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 129, 133. Vgl. Rudolph, Hohenheim´s Anthropology, S. 191. Rudolph bezeichnet diese Tendenz des Paracelsus zu dieser Zeit als „nur eine Episode“, weil diese anscheinende Nähe zu Zwingli nicht charakterisch für Paracelsus sei. Er ist der Meinung, dass Paracelsus eigentlich mehr in die Nähe der Philosphen der Renaissance als zu den Reformatoren gehöre: Vgl. Rudolph, Hohenheim´s Anthropology, S. 189–191. 135 zwinglischen Formulierung sein Abendmahlsverständnis. 506 Im Gegensatz zu dieser Annäherung an Zwingli gibt es im Psalmenkommentar eine Passage, die an Luther erinnert: Paracelsus beschreibt dort deutlich, dass Christus beim Abendmahl leiblich gegenwärtig wird und sich selbst als Speise gibt. Die Gegenwart Christi geschieht nicht durch eine Vision oder einen Traum, sondern leiblich in Verbindung mit dem Fleisch und Blut Christi: „[A]lso hat er sich selbs do, wie er auf erden bei uns gewesen ist, selbs uns zu einer speis geben und trank, allein zu einer gedechtnus seins leidens, und daß er bei uns ist und nit von uns weicht.“507 Das Abendmahl führt zur Gemeinschaft mit dem Auferstehungsleib Christi und stärkt den ewigen Leib bis zu seiner eigenen Auferstehung. Auf dieser Grundlage kann von einer Realität der Gegenwart Christi im Abendmahl gesprochen werden, ohne dass es ein reines Erinnerungsmahl wird oder der katholischen Transsubstantiationslehre entspricht. Paracelsus scheint daher eine Art sakramentalen Realismus zu vertreten. Jedoch beschreibt er nicht genauer, wie das Blut und Fleisch Christi im Abendmahl gegenwärtig sind. Der Unterschied zwischen der Auffassung des Psalmenkommentars von 1530 und von »Die Bücher von den unsichtbaren Krankheiten« von 1532 kann durch eine Veränderung im Abendmahlsverständnis des Paracelsus erklärt werden: Anfang der 1530er Jahre scheint Paracelsus Sympathie für Zwingli und seine Theologie zu empfinden. Er versuchte Zwingli zu treffen, und, obwohl dies nicht gelingt, widmet er ihm sein Buch »Uslegung des Kometen Anno 1531« von 1531.508 Auch pflegt er eine enge Beziehung zu Leo Jud, der ein Kollege Zwinglis in Zürich ist. Hier treffen bei Paracelsus persönliche Sympathie und Sympathie für deren Theologie zusammen. Darum ist die Behauptung Rudolphs richtig, dass Paracelsus sich in einer bestimmten Phase seiner Entwicklung der Position der reformierten Theologie in der Schweiz 506 507 508 Paracelsus argumentiert, dass Gott seinen Leib und sein Blut seinen Jüngern gab. Was gegessen wird, wird vom Mund aufgenommen und auf natürliche Weise verdaut. Der Leib und das Blut Christi werden im Glauben genossen. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi vom Glauben abhängig ist: Vgl. Paracelsus, Vorläufige Ausarbeitung zum vorstehenden Entwurfe der fünf Bücher von den unsichtbaren Krankheiten, in: PW 1/IX. München 1925, S. 351–368, hier S. 365. Zu Ps 110 (111), 6/7, PW 2/V, S. 147. Hartmut Rudolph, Art. Paracelsus, in: TRE, Bd. 25 (1995), S. 699–705, hier S. 701. 136 angenähert habe. Im Jahre 1530, in der der Psalmenkommentar verfasst wird, scheint Paracelsus in Bezug auf das Abendmahlverständnis noch Luthers näher als Zwingli zu sein, weil er von einer Realpräsenz beim Abendmahl spricht. Das deckt sich mit einer weiteren Schrift aus demselben Jahr, seinem »Liber de sacramento corporis Christi, einzunehmen zur seligkeit«: Dort beschreibt Paracelsus deutlich die Realpräsenz. 509 Doch trotz dieser Tatsache kann meiner Meinung nach das paracelsische Abendmahlverständnis im Psalmenkommentar nicht als lutherisch gelten. Denn Paracelsus entfaltet seine Auffassung in Beziehung zu seiner Limbus-Theorie und deshalb muss sie letztlich als einzigartig angesehen werden. 3.3.2 Das „gedechtnus gotes“ und das Abendmahl anhand von Ps 109 (110) und Ps 110 (111) Paracelsus spricht von der Feier des Abendmahls als einem „gedechtnus gotes.“510 Es scheint, dass der Gedächtnis-Begriff des Paracelsus keinen Bezug zu dem Begriff Zwinglis oder zu dem Begriff »Wiedergedächtnis« von Erasmus511 hat. Denn Paracelsus hat seinen Begriff direkt aus dem Vers 4 von Ps 110 (111) entnommen und ihn bei der Auslegung der nächsten Verse auf das Abendmahl bezogen. Paracelsus benutzt sogar in diesem Zusammenhang die Begriffe „Buchstabe“ und „Geist“, die an Müntzer erinnern, wobei er unter „Buchstabe“ die Gotteserkenntnis in der Natur versteht. Paracelsus geht bei seiner Konzeption der Gotteserkenntnis vom Wort »Gedächtnis« in Ps 110 (111), 4 aus und verbindet sie durch das Wort »Speise« in Ps 110 (111), 5 mit dem Abendmahl, obwohl es im Zusammenhang der Psalmentexte eigentlich keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer solchen Interpretation gibt. 509 510 511 Paracelsus, Liber de sacramento, S. 498. „Das ist die ander geburt und das darum: Wie Adam von gott – zugleich sein nachkommen und derselben ihr nachkommen – gesetzt ist in den samen, den menschen zu machen auf die welt mit aller notdurft, so auf die welt gebührt zu sein und zu haben, dass alles aus dem samen kommt und sonst aus nichten, also in der gestalt will Christus uns zum andern mal geborn haben, indem dass er uns sein blut und fleisch zu trinken und essen gibt, greiflich, sichtlich, materialisch, substantialisch und nit mit geist. Sonder gleich als wir leiblich auf die welt geborn werden durch den samen, also werden wir leiblich durch das blut und fleisch Christi geborn in den himmel. [...] Und so wir die geburt haben, so sollen wir noch einmal geborn werden in den himmel durch das fleisch und blut Christi, welchs wir in uns leiblich haben sollen und nit im geist, dann der leib muss zum andern mal geborn werden und nicht der geist.“ Zu Ps 110 (111), 1b, PW 2/V, S. 129. Nach Stephens und Köhler stammt Zwinglis Begriff »Wiedergedächtnis« von Erasmus: Stephens, Zwingli, S. 121f, 139. 137 Unter diesem „gedechtnus gotes“ versteht Paracelsus nicht nur die Erinnerung an das Leiden und den Tod Christi, sondern noch in einem erweiterten Horizont: Nach Paracelsus ist Gott der Schöpfer und der die Welt erhaltende und lenkende Gott. In seinen Geschöpfen hat er sein „gedechtnus“ hinterlassen: „[A]lso mit allen dingen hat got wunderbarlich in seinen wunderwerken die gedechtnus gelassen; [...] und offenlich [ist Gott] ir werkmeister, der nit uf die stund do ist, daß er neu gemacht hat, sunder das alt wunder verneuert sich.“512 Durch das „gedechtnus gotes“ erkennt der Mensch Gott. Darum bezeichnet der Begriff „gedechtnus gotes“ bei Paracelsus eine Erkenntnis vom Dasein und Wirken Gottes oder eine Erinnerung an das Wirken Gottes in der Welt. Die Gotteserkenntnis kann aber nicht durch Bilder, Visionen und Zeremonien erlangt werden, sondern nur durch die Werke Gottes, die sinnlich erfassbar sind: „[A]lso daß got sein gedechtnus mit dem werk und mit dem leip und mit der substanz beweist und erzeigt, nit mit einem schatten, nit mit einem gesicht, nit mit einem drom [= Traum]; sunder greiflich, sichtlich, entpfindlich und nieslich stellt er sein gedechtnus fur unser augen und ohren, daß wirs sehen im leib, greifen im leip, schmecken und horen. dann der groß, gutig got fertiget sein gedechtnus nit mit schatten, sunder mit dem leip selbs.“513 Durch das „gedechtnus“ im Werk Gottes erkennt der Mensch das Dasein Gottes. Aber aus solch bloßer Erkenntnis vom Dasein und Wirken Gottes, die uns durch die Sinne aus seinen Werken übermittelt wird, kann nicht die wahre Gotteserkenntnis erwachsen und bewusst werden, dass der Mensch durch Christus die Sündenvergebung erhalten wird. Darum kann eine solche Erkenntnis selbst den Menschen nicht zu Christen machen und dient schlussfolgend nicht zur Seligkeit. Sie ist daher als „heidnisch“ zu bezeichnen.514 Für Paracelsus findet sich das „gedechtnus gotes“ sowohl in der Natur als auch im Abendmahl. „[W]ie sein bleiben uf erden ist, das merken: er hat uns ein gedechtnus gelassen im nachtmal als ein sterbender, der das sein testamentiert, sein blut und fleisch, das er fur uns vergossen hat, uns auf erden geben, dasselbig zu behalten und bei uns zu haben, solang bis wir widerumb zusammen kommen im reich seins vatters.“515 Das „gedechtnus gotes“ im Abendmahl bedeutet die Erinnerung an das Leiden Christi durch Brot und Wein und dadurch eine Teilnahme an seinem Leiden. Durch dieses 512 513 514 515 Zu Ps 110 (111), 4, PW 2/V, S. 144. Zu Ps 110 (111), 5, PW 2/V, S. 144. Zu Ps 110 (111), 6/7, PW 2/V, S. 147. Zu Ps 109 (110), 1b, PW 2/V, S. 128. 138 Gedenken kann der Gläubige den gnädigen und barmherzigen Gott erkennen, der den Menschen erlöst. Dieses „gedechtnus“ ist mit bestimmten Substanzen verbunden. Diese Substanzen im Abendmahl sind das Brot und der Wein als das Fleisch und Blut Christi. „[S]under er furt sein gedechtnus mit dem leip, mit der substanz und mit allem dem, das darzu gehort, als ir in allen seinen werken augenscheinlich secht. also auch hat sich got selbs geben in ein gedechtnus, dieselbigen nit mit schatten halten, nit mit der larven, nit mit ceremonis, sunder mit dem grund seins leibs, seins bluts; dann er will seiner gedechtnus nit ein spigelfechtung haben, sunder mit schmerzen, mit trauren, mit weinen seins leids, seins sterben, mit reu der sunden, mit buß derselbigen und sein leiden in uns tragen. nicht ohn sein leip, nicht ohn sein blut, sunder in seim leip, in seim blut, das er uns geben hat, im nachtmal desselbigen zu nießen und trinken ihm in seiner gedechtnus.“ 516 Durch das Brot und den Wein hat Gott dem Christen reales Zeugnis für seine Gegenwart im Abendmahl gegeben. Nur durch das Blut und Fleisch Christi im Abendmahl kann somit das „gedechtnus gotes“ gefeiert werden. „[A]lso sein fleisch, sein blut, das will er in uns haben, dasselbig uns ein gedechtnus zu machen, und nit gedechtnus halten ohn den leip, mit dem schatten und mit gesicht und [267b] traum abfertigen. [...] domit beschleust David, daß die wunderwerk gottes mit leip do standen und irem got sein gedechtnus beweisen, und als wenig das korn im felt ein schatten ist, also wenig mugen wir im nachtmal Christi die gedechtnus volbringen ohn den leip, blut und fleisch Christi. dann allein der leip eins ieglichen dings ist die gedechtnus gottes. das behalt ein ieglicher Christ in seim herzen und weicht aus solcher gedechtnus nit.“517 In dem paracelsischen Begriff „gedechtnus gotes“ zeigt sich, dass für Paracelsus ein Gegenstand sowohl im Abendmahl als auch in der Schöpfung immer mit der durch ihn gegebenen Erkenntnis über das Dasein und Wirken Gotttes verbunden ist. Darum lehnt Paracelsus – trotz aller Nähe zum Spiritualismus – die spiritualistische Auffasung vom Abendmahl ab, die auf die leibliche Gegenwart und die äußerlichen Mittel verzichtet. Hier scheint er eine Realpräsenz zu vertreten. An dieser Stelle könnte man vermuten, dass Paracelsus und Luther ein ähnliches Abendmahlverständnis haben, doch stimmen sie im Zweck der Gegenwart Christi im Abendmahl nicht überein. Im Vergleich zu Luther meint Paracelsus, dass das Blut und Fleisch Christi, die im Abendmahl gegeben werden, der verklärte Leib Christi ist, der anders als der irdische Leib Christi ist. Auch ist Paracelsus der Auffassung, dass der verklärte Leib Christi als Speise für den neuen Leib gegeben wird, der im Christen neu geschaffen wird. 516 517 Zu Ps 110 (111), 5, PW 2/V, S. 146. Ebd. 139 3.3.3 „Eußerlich“ und „Innerlich“ anhand von Ps 77 (78), Ps 78 (79), Ps 109 (110) und Ps 140 (141) Im Psalmenkomenntar gibt es einige Hinweise auf die Berührung mit dem schwenckfeldischen Abendmahlsverständnis. Paracelsus und Schwenckfeld verwenden beide Joh 6 als ihren grundlegenden Text für das Abendmahlsverständnis, den die Wittenberger Reformatoren jedoch für unwichtig halten.518 Im Kommentar zu Ps 77 (78), 22 formuliert Paracelsus seine Abendmahlsauffassung ähnlich wie Schwenckfeld: „[U]nd er wird unsichtbar gespeist im glauben und wunderbarlich über seiner augen verstanden [= Verstehen, Begreifen] und all sein vernunft. das ist ihme ein speis der seligkeit.“519 An dieser Stelle zielt Paracelsus darauf ab, das natürliche Verständnis vom Glauben zu unterscheiden, der notwendig ist, um das Geheimnis des Abendmahls richtig zu verstehen. Rudolph weist auch darauf hin, dass Paracelsus »manducatio spiritualis« benutzt und gegen die »manducatio oralis« des Leibes Christi die Wirkung des Glaubens bzw. der Seele setzt. 520 Hier steht Paracelsus Schwenckfeld noch näher als Zwingli, indem er schreibt, den Leib Christi „unsichtbar“ zu verspeisen. Für Schwenckfeld ist er „ain ware Speise / Narung vnd Settigung vnser Seelen“ 521 Das Abendmahl wird als eine „geistliche gemeinschafft vnd essen imm glauben“ 522 verstanden. Paracelsus und Schwenckfeld verwenden die gleichen Begriffe: Das Herz des Christen als den Tempel Gottes. 518 519 520 521 522 Vgl. Walter Knoke, Schwenckfelds Sakramentsverständnis, in: Zeitschrift für Religions– und Geistesgeschichte 11 (1959), S. 314–327, hier S. 324–325; Rudoph, Hohenheim´s Anthropology, S. 190–191. Zu Ps 77 (78), 22, PW 2/IV, S. 47. Zugleich weist er auch darauf hin, dass man wegen dieser Aussage nicht sagen kann, dass Paracelsus ein zwinglianisches Abendmahlsverständnis hat: Hartmut Rudolph, Paracelsus’ Laientheologie in traditionsgeschichtlicher Sicht und in ihrer Zuordnung zu Reformation und katholischer Reform, in: Peter Dilg und Hartmut Rudolph (Hg.), Resultate und Desiderate der Paracelsus–Forschung, (Sudhoffs Archiv Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte Beiheft 31 (1993)), S. 79–97, hier S. 94. Kaspar von Schwenckfeld, Dokument DCLXXX, Letter to Osanna Stammler, P 86–95, November 28, 1548, in: CSch. Bd. 11. Leipzig 1931, S. 700–713, hier S. 701. Ders., Dokument XL: A General Epistle: Ground and Cause of the Error and Controversy concerning the Lord´s Supper. Vom grund und ursache des Irrthumbs und Spans imm Artickel vom Sacrament des Herrn Nachtmals. February? 1527, in: CSch, Bd. 2. Leipzig 1911, S. 439–580, hier S. 477. 140 „[D]o Christus ein mensch war vor seim tod, do besaß er éin statt und nit mehr; also auch Jerusalem nit weiter dann in seiner mauren umbfangen [50b] war. ietzunt aber, so er an das kreuz ist kommen, so ist sein leip nimer, wie er eußerlich gangen ist, sunder er ist innerlich und reicht so weit, so weit sein tempel reicht. der ist auch innerlich, der ist mit dem himel umbfangen, das ist die ganz welt. [...] ietz mag Christus in disem tempel nit eußerlich menschliche art besitzen, sunder gotliche art in seim tempel, das ist in allen herzen zu sein, als er in Jerusalem gewesen ist. nun auf solchs teilen sich beid testament, das alt und das neu, das alte ist eußerlich und ist die zerstorung Jerusalem, darbei die zerstorung des leibs Christi auch angezeigt ist, das ist zwo zerstorung, Christi und Jerusalem. ist, daß weiter got kein eußerliche statt mehr besitzt.“523 Das Herz des Christen ist für die beiden der Tempel Gottes, in dem der Heilige Geist oder Christus wohnt. Sie bezeichnen es beide als eine Empfangsstelle. 524 Im Zusammenhang mit der Verinnerlichung des Tempels warnt Paracelsus vor den neuen Ketzern, die den neuen innerlichen Tempel der Christenherzen zerstören und veräußerlichen wollen: Sie machten den Tempel äußerlich und hielten auch Christus für äußerlich und beteten ihn nur äußerlich an. Die Kritik des Paracelsus richtet sich somit gegen den veräußerlichten katholischen Kult (Bild-, Heiligen- und Reliquienverehrung) und die katholische Sakramentenlehre.525 Im Vergleich dazu kritisiert Schwenckfeld den Missbrauch des äußerlichen Sakraments durch die unheilige Gemeinde.526 Paracelsus und Schwenckfeld sprechen von der äußerlichen und innerlichen Seite in Bezug auf das Abendmahl. Schwenckfeld versteht unter dessen innerlicher Seite durch den Glauben eine geistliche Speisung des Fleisches und Blutes Christi.527 Im Grunde ist für ihn diese geistliche Speisung der wesentliche Teil des Abendmahls als ein völlig persönliches Geschehen zwischen Christus und dem einzelnen Christen. 528 Obwohl Paracelsus auch von der äußerlichen und innerlichen Seite in Bezug auf das Abendmahl spricht, unterscheidet er ganz anders. Während »Äußerlich« und »Innerlich« bei Schwenckfeld material und geistlich bedeuten, unterscheidet Paracelsus zwischen den 523 524 525 526 527 528 Zu Ps 78 (79), 1, PW 2/IV, S. 83. Vgl. Gottfried Maron, Individualismus und Gemeinschaft bei Caspar von Schwenckfeld. Seine Theologie dargestellt mit besonderer Ausrichtung auf seinen Kirchenbegriff, (Beiheft zum Jahrbuch „Kirche im Osten“, Bd. 2). Stuttgart 1961, S. 86–88. Bunners verdeutlicht anhand einer anderen Quelle, dass Paracelsus die katholische Transsubstantiationslehre ablehnt: „daß das brot zu fleisch und blut wird, alsdann der, der es gibt, spricht: ‚nembet, essent’: und der issets dem aus der hant, iezt ists der leib und blut Christi, was nit gessen und trunken wird, ist nichts.“ (Codex Vossianus Chymiöus, Folio Nr. 24, Bl. 144b): Vgl. Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 131. Vgl. Maron, Individualismus, S. 90–91. Vgl. ders., S. 86. Vgl. Ebd. 141 beiden nach der Zeit, d.h. vor dem Tod und nach der Auferstehung Christi: Der Leib Christi vor dem Tod ist zwar „eußlich“. Er ist nach seiner Auferstehung „innerlich“. Seine Unterscheidung muss in Bezug zu seiner Auffassung von den zwei Leibern verstanden werden: Der Leib Christi, der im Abendmahl ausgeteilt wird, ist nicht der irdische Leib Christi, sondern der verklärte Leib Christi, d.h. der Leib, der dem ewigen Leib entspricht. Wenn Paracelsus von dem himmlischen Leib spricht, scheint er mehr an den verklärten Leib Christi nach seiner Auferstehung zu denken. Paracelsus argumentiert, dass Christus nicht als ein Geist, sondern mit seinem Leib nach seiner Transfiguration durch die Wand ging.529 Durch dieses Argument kann die Komplexität des neuen Leibes, der einerseits leiblich und andererseits geistlich verstanden werden kann, erklärt werden. Der verklärte Leib Christi kann trotz seiner Leiblichkeit in das Herz des Christen gegeben werden. Darum scheint Paracelsus dem verklärten Leib Christi einen göttlichen Charakter zuzusprechen. Damit sagt Paracelsus aus, dass der verklärte Leib Christi allgegenwärtig in jedem Christen ist, weil er die Eigenschaften Gottes besitzt. Dadurch wird die räumliche Begrenztheit des verklärten Leibes Christi überschritten. Auf diese Weise zeigt sich bei Paracelsus die Auffassung Luthers über die »Ubiquität«. Hier unterscheidet sich Paracelsus deutlich von Zwingli. Zwingli leugnete beim Abendmahlstreit die leibliche Gegenwart Christi im Mahl, weil er befürchtete, dass solche Gedanken zur Folge hätten, das Menschsein Christi überhaupt zu leugnen. Denn nur der geistliche Leib Christi könnte anders als der unsrige gleichzeitig an mehreren Orten sein.530 Dagegen war Christus mit seinem menschlichen Leib nur an einem Ort auf der Erde gegenwärtig, denn Christus unterlag dort der menschlichen raumzeitlichen Begrenzheit. Dort ist er auch gekreuzigt worden. Darum macht Paracelsus die besondere Eigenschaft des himmlischen Leibes Christi dadurch fest, dass der himmlische Leib Christi aus Maria, die Paracelsus schon fast wie eine Göttin erhöht, stammt. Paracelsus verbindet die Austeilung des verklärten Leibes Christi mit der Austeilung des Brotes beim Abendmahl. Dadurch gelangt der verklärte Leib Christi in jedes Christenherz. Somit hängt die Erlösung wesentlich vom Empfang des verklärten Leibes 529 530 Vgl. Rudolph, Hohenheim´s Anthropology, S. 200. Vgl. Stephens, Zwingli, S. 142. Zwingli leugnete nur seine leibliche Gegenwart oder seine Gegenwart als Mensch aus Fleisch und Blut. Er glaubte jedoch an die Gegenwart Christi. 142 Christi ab, denn nur dadurch kann der ewige Leib des Menschen gespeist werden und genug Stärkung bekommen, um in Gottes Reich zu gelangen. Dagegen stellt Schwenckfeld dem äußeren Empfang das innere Genießen gegenüber. Für Schwenckfeld wird das äußere Sakrament in den 1530er Jahren als äußeres Symbol für die individuelle Christusverbundenheit des einzelnen durch die Zugehörigkeit zur mystischen Abendmahlsgemeischaft Christi verstanden. 531 Er argumentiert, dass das Fleisch und Blut Christi in der Gestalt sowohl des äußeren Sakraments als auch der geistlichen Speise nur den Jüngern, in deren Herzen Christus durch den Glauben wohnt, gegeben werden. 532 Darum setzt er den wahren Glauben und dadurch den christlichen Lebenswandel vor dem Empfang des Abendmahls voraus. Während die innerliche Speise von Gott selbst gegeben wird, kann das äußere Sakrament wegen der Unheiligkeit der Gemeinde missbraucht werden. Darum soll der Wiedergeborene, den Schwenckfeld oft den »Jünger« nennt, auch vor dem Abendmahl eine Selbstprüfung machen, ob er für den Empfang des Fleisches und Blutes Christi würdig ist. Schwenckfeld hat das unheilige Genießen des äußeren Sakraments gesehen und erkennt auch die vorläufige Unmöglichkeit, ein Abendmahl nach dem Wort Christi aufrecht zu halten. Darum empfiehlt er schon seit Mitte der 1520er Jahre seinen Anhängern, einen »Stillstand«, unter dem ein völliges Enthalten vom Abendmahl verstanden wird,533 weil der Wiedergeborene von Gott jeder Zeit geistig genährt werde. An dieser Stelle zeigt sich der spiritualistische Charakter des schwenckfeldischen Abendmahlsverständnisses durch die Abwertung des äußeren Abendmahls und die Würdigung der innerlichen Speisung Christi. Dies gilt auch als ein großer Unterschied zur Auffassung des Paracelsus. Wegen seines Verständnisses von der Leiblichkeit des verklärten Leibes Christi lehnt Paracelsus nicht das äußerliche Abendmahl ab. 3.3.4 Der Limbus Christi als Material eines neuen Geschöpfes anhand von Ps 79 (80), Ps 80 (81) und Ps 140 (141) Der paracelsischen Abendmahlslehre liegt die Erschaffung einer neuen Kreatur zugrunde, da sein anthropologisches Hauptthema im Psalmenkommentar die ewige Seligkeit ist. In Bezug auf seinen ständig wiederholten Grundgedanken, dass nur das, was vom Himmel 531 532 533 Vgl. Maron, Individualimus, S. 88–89. Vgl. ders., S. 90. Vgl. ders., S. 89. 143 kommt, zum Himmel gehen kann, soll der Mensch zu einer neuen Kreatur werden. Auch die Erkenntnis der himmlischen Leiblichkeit in Bezug auf die Erlösung ist auf diese Weise zu verstehen. In der paracelsischen Abendmahlslehre lässt sich ein unüberwindlicher Dualismus zwischen der alten und der neuen Kreatur aufzeigen. Paracelsus unterscheidet zwischen dem Schöpfer der alten und der neuen Kreatur. Der alte Mensch stammt aus dem »Limbus Adams«. Dagegen stammt die neue Kreatur aus dem »Limbus Christi«, der göttlich und ewig ist. Denn Christus hat den göttlichen Leib besessen, der aus dem »Limbus Mariae« stammt.534 Christus wird zum anderen Adam, zum Schöpfer und Ursprung der neuen Kreatur, indem er die Menschen durch die Wiedergeburt an seinem himmlischen Leib teilnehmen und sie aus seinem Limbus zu einem neuen Geschöpf werden lässt, das das ewige Leben besitzt. Dadurch kann der Mensch, der diese neue Kreatur besitzt, in den Himmel eingehen.535 Hier unterscheidet sich durch Christus das ewige Leben grundlegend vom ewigen Tod. Durch Christus werden der Limbus Adams und seine Speise, die von seinem Limbus kommt, als der Tod verurteilt. Nur Christus, sein Limbus und die neue Kreatur, die aus seinem Limbus stammt, können lebendig durch Christus selbst sein.536 Daneben lassen sich aber einige paracelsische Auffassungen über die neue Kreatur nicht miteinander vereinbaren: Einerseits spricht Paracelsus von der neuen Kreatur durch die Wiedergeburt bei der Taufe.537 Andererseits erwähnt er sie auch im Kontext des Abendmahls.538 Auch in anderen Schriften bezieht Paracelsus die Wiedergeburt auf das Abendmahl. 539 Trotz aller Widersprüche wird im Psalmenkommentar aber der grundlegende Gedanke des Anfangs der neuen Kreatur auf der Erde mehr als deutlich. 534 535 536 537 538 539 Vgl. zu Ps 79 (80), 9, PW 2/IV, S. 101. Vgl. Zu Ps 114 (145), 18, 20, PW 2/VII, S. 81–83. Zu Ps 80 (81), 17, PW 2/IV, S. 119. Vgl. zu Ps 86 (87), 5, PW 2/IV, S. 168. Vgl. zu Ps 79 (80), 9, PW 2/IV, S. 101. Ähnliche Ansichten hat Bunners auch in den Abendmahlsschriften des Paracelsus gefunden. Für Bunners sagt Paracelsus an einigen Stellen, dass durch die Feier des Abendmahls eine direkte Mitteilung des neuen Leibes, der von Christus stammt, gegeben sei, und an anderen Stellen, dass das neue Sein der Speisung im Sakrament vorausgehe: Vgl. Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 129. Kämmerer belegt das anhand der paracelsischen Schrift »Coena domini nostri Jesu Christi declaratio«: Vgl. Kämmerer, Das Leib–Seele–Problem, S. 20. 144 Diese neue Kreatur ist immer mit dem verklärten Leib Christi beim Abendmahl verbunden. Beim Abendmahl bleiben die Vergänglichkeit der alten Kreatur und die Ewigkeit der neuen Kreatur nebeneinander erhalten. Dabei wird stets das Abendmahl als die Gnadengabe Christi als leiblich geschehend gedacht. Es geht um ein leibliches neues Sein, um den neuen Leib, der dem Menschen geschenkt wird. 540 Paracelsus unterscheidet sich sowohl von der Lehre Luthers als auch von der katholischen Lehre in dem Punkt, dass er vom neuen Leib, der den Tod überwinden und zur ewigen Seligkeit gelangen kann, spricht. Ihn interessiert weniger das eigentliche Abendmahlsgeschehen. Vielmehr fokussiert er die Darstellung des neuen Wesens und dessen Verhältnis zu Christus beim Abendmahl. Die Bedeutung der neuen Kreatur besteht dort vor allem darin, dass eine neue Einheit von einem neuen Leib, der aus dem Limbus Christi stammt, und der Seele geschaffen wird. Diese neue Einheit ist zunächst in der Fleischwerdung Gottes in der Jungfrau verwirklicht worden. Dann vollzieht sie sich durch das Abendmahl in dem Christen, der für Paracelsus die Gemeinschaft mit Christus im Reich Gottes schon auf der Erde vorausnimmt. 3.3.5 Die Speisung des Leibes und Blutes Christi beim Abendmahl anhand von Ps 79 (80), Ps 80 (81) und Ps 144 (145) Paracelsus unterscheidet zwischen der Speise von Gott dem Vater und von Christus. Während Gott der Vater jedem seine Speise gibt, sind der Leib und das Blut Christi die Speise für die Seligen. Nur diese Speise kann deshalb der Seligkeit dienen, d.h., nur Gottes Werke, die Gott selber im Abendmahl vollbringt, können der Erlösung dienen.541 „[W]ie der weiz unser leip ist, also ist der weiz der leip Christi, und wir mussen ihn suchen, und er speiset in uns als ein neu geschepf. die speis er selbst ist. dann Adams limbus ist dot in Christo; sein speis, so aus seim limbo get, ist auch dot. lebendig ist Christus, der limbus auch. die speis desselbigen darzu [70b] erweckt hat, daß er will, daß wir aus ihm gar seindt und sein speis essen, das ist ihn selbs und nichts dotlichs.“542 Bunners versteht Paracelsus dahingehend, dass der Mensch gleichsam immer »simul iustus et peccator« sei und er stets neu des Gnadenbeweises durch das Abendmahl 540 541 542 Vgl Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 130. Vgl. Zu Ps 110 (111), 6/7, PW 2/V, S. 147. Zu Ps 80 (81), 17, PW 2/IV, S. 119. 145 bedürfe.543 Meiner Meinung nach ist es aber schwer, bei Paracelsus den Gläubigen als »simul iustus et peccator« zu verstehen, da er, durch die Wiedergeburt als neue Kreatur, ontologisch ein neues Wesen ist (obwohl die neue Kreatur in der Hülle der alten Kreatur verborgen bleibt). Darum benötigt der Gläubige nicht das Abendmahl als einen Gnadenbeweis für den Menschen, der immer »simul iustus et peccator« bleibt, sondern er bedarf des Abendmahls als der Speise für die neue Kreatur, der in der ontologischen Verbundenheit mit Christus durch sein Fleisch und Blut steht und den neuen Weg zur Seligkeit geht. Der Leib Christi ist die Speise, die der neuen Kreatur die Ewigkeit schenkt. Darum sind der Leib und das Blut Christi Speis und Trank für alle Gläubigen sowohl auf der Erde als auch im Himmel.544 Paracelsus versteht unter der Ewigkeit nicht das, was der neuen Kreatur einmal gegeben wird und dadurch immer bei ihr bleibt. Das ewige Leben hängt vielmehr von der Gemeinschaft mit Christus ab. So kann man bei der paracelsischen Abendmahlsauffassung von einer eschatologischen Dimension sprechen. Der endgültige Vollzug des Abendmahls kann erst im Himmel geschehen. Letztes Ziel ist die Feier des Abendmahls als die Gemeinschaft aller Gläubigen mit Christus im Himmel. „[D]arumb so David dem endtchrist will entzogen werden, und aber offentlich werden sie gespeist zu seiner zeit, daß der endtchrist sehe, daß sein speis nix sei; als oben merk. dann durch die speis Christi mussen wir gen himel, do werden sie offenlich gespeist; und niemandts gat [47b (517b)] in himel, er muß gespeist werden. do werden das nachtmal essen alle seligen, die es auf erden nit genossen haben, der darumb, der darumb, aus tirischer art, aus verfuerung und dergleichen. und do wird die stund sein, do Christus mit uns das letzt mal essen wird, und doch nit mit uns seligen sollen in das reich seines vatters; dann er hat alle die lieb, die ihn lieben. darumb behalt er sie; werden sie nit recht gespeist, so ist dér priester in ewigkeit nach der ordnung und speist sie selbs. und alle die gotlosen und endtchristen last er gohn in die abgrund der hellen.“545 Unter der Gemeinschaft aller Gläubigen mit Christus versteht Paracelsus die Gemeinschaft zweier Gruppen: Der Gruppe derjeniger, die an dem wahren Abendmahl schon auf der Erde teilgenommen haben und der Gruppe derjeniger, die von Paracelsus als die Einfältigen bezeichnet werden. Nach Paracelsus wurden sie vom Antichristen verführt und können dadurch das wahre Abendmahl auf der Erde nicht genießen. So 543 544 545 Vgl. Bunners, Die Abendmahlschriften, S. 132. Zu Ps 79 (80), 12, PW 2/IV, S. 102–103. Zu Ps 144 (145), 20, PW 2/VII, S. 82–83. 146 können sie erst im Himmel das wahre Abendmahl feiern, indem sie Gott durch sein Gericht wiederherstellen wird. Darum wird sich die Vollendung des Reiches Gottes, das schon beim Abendmahl auf der Erde beginnt, in eschatologischer Hinsicht im Himmel verwirklichen.546 Alle Gläubigen werden im Himmel durch das Fleisch und das Blut Christi gespeist werden, das ihnen in der Ewigkeit geschenkt wird. 3.3.6 Das Abendmahl und der neue Bund anhand von Ps 104 (105), Ps 105 (106) und Ps 106 (107) Fleisch und Blut Christi im Abendmahl weisen aber nach Paracelsus noch einen anderen Charakter auf: Das Fleisch und das Blut Christi bewirken eine feste Verbindung des Menschen mit Christus: „[D]ann ein pund ist nix anderst dann als vil als éin plut vom vatter und vom sun; dise zwen mugen sich nit scheiden. also ist der pund von got gegen dem menschen auch. darumb so hat Christus sich gegen uns verpunden mit seinem blut und fleisch wie ein vatter und ein sun.“547 Diese Bundesgemeinschaft des Menschen mit Christus ist so eng, dass sie sogar eine Art Sympathie zwischen beiden Seiten auslösen kann: Wenn der Mensch seine Sünden bereut, dann reut Gott seine Strafe.548 „[A]llein do bundnus, so gemacht zwischen dem menschen und Christo, solche pundnus mus durch das nachtmal geschehen. dann sunst haben wir kein pundnus mit Christo zu machen. nun auf das folgt, daß wir durstig und hungerig seindt nach der pundnus, das ist zu dem nachtmal Christi, auf daß wir wieder kumen in die pundnus. [...] der nit mit Christo im pundnus stet, der ist kein christ. der kein christ ist, der erstet in Christo nit, wird auch nit kommen in die auferstehung. darumb so wird unsern selen gepresten ir speis und ir drank, das ist das blut und fleisch Christi. darumb werden die seelen manglen der pundnus.“549 Unter dem Begriff »Bund« kann die Teilhabe des Gläubigen am verklärten Leib Christi verstanden werden. Dieser Bund ist kein Bund, der von der menschlichen Seite vollzogen wird, sondern der Bund Gottes. Christus bestätigt ihn beim Abendmahl durch sein Fleisch und Blut. Durch diesen Bund zeigt Christus seine Gnade und Barmherzigkeit. 550 In diesem Sinne steht das paracelsische Bundesverständnis der späteren Bundestheologie Zwinglis näher. Im Vergleich zu Paracelsus bezieht Zwingli 546 547 548 549 550 Paracelsus versteht unter dem Reich Gottes die Speise beim Abendmahl: „am ersten suchen das reich gottes, das ist die speis in Christo, das ist das nachtmal, – so werden euch alle ding geben, das ist was leipliche notturft ist“: Zu Ps 106 (107), 9, PW 2/V, S. 59. Zu Ps 105 (106), 45, PW 2/V, S. 50. Vgl. zu Ps 105 (106), 46, PW 2/V, S. 51. Zu Ps 106 (107), 5, PW 2/V, S. 56–57. Vgl. zu Ps 105 (106), 45, PW 2/V, S. 51. 147 aber den Bund auf die Taufe. Der frühe Zwingli wiederum verstand den Bund als einen Bund des Menschen, d.h. als ein Versprechen des Menschen, eine menschliche Verpflichtung zu einem gottesfürchtigen Leben. Ab 1525 – durch die Auseinandersetzung mit den Taufgesinnten in Zürich – verstand Zwingli den Bund dann als Gottes Gnadenbund mit Abraham. In diesem Zusammenhang verstand Zwingli die Taufe als ein Bundeszeichen, als das Zeichen von Gottes Bund mit den Menschen, ähnlich der Beschneidung im Alten Testament.551 Bei Paracelsus findet sich nun eine ähnliche Bundestheologie wie beim späteren Zwingli: Das Subjekt des Bundes ist immer Christus. Er schließt aus eigener Initiative heraus einen Bund mit den Menschen. Wenn der Mensch, der gesündigt hat, bereut, dann ändert Christus sein Verhältnis zum Menschen, indem Christus sich an seinen Bund erinnert. Darum ist der Bund bei Paracelsus der Grund für die Wiederherstellung des Verhältnisses Gottes zum Menschen. Dabei behält beim Bundesschluss Christus selbst immer die Initiative.552 3.4 Die Beständigkeit, die Verführung und der Kampf gegen die Verführung 3.4.1 Die Beständigkeit anhand von Ps 77 (78), Ps 118 (119), Ps 137 (138), Ps 138 (139) Wie in der reformatorischen Theologie betont Paracelsus die Erlösung des Menschen durch den Glauben allein auf Grund der Gnade Gottes. Dieser Glaube ist bei Paracelsus der Ausgangspunkt des christlichen Lebens. 553 Auch Taufe und Buße sind solche Ausgangspunkte. Dabei betont Paracelsus, dass daraus aber ein entsprechender Lebenswandel folgen muss. Er spricht hier von der „bestendigkeit“, unter der er die Kontinuierlichkeit des Christenstandes versteht: Der Christ soll ständig dem Weg Gottes folgen: „[E]rbarm dich über uns und lern uns dein gesatz und gerechtigkeit, domit daß wir ein bestand haben in deinen worten und daß wir nit fallen. dann was ist die recht absolvierung? dem sunder den bestand geben, daß er nit wieder fall.“554 Die häufige Beichte lehnt Paracelsus ab, weil sie für ihn einen häufigen Abfall von Gottes Geboten und damit immer wieder Sündigen implizit beinhaltet. Paracelsus weicht 551 552 553 554 Vgl. Stephens, Zwingli, S. 116–117. Vgl. zu Ps 104(105), 8, PW 2/V, S. 29. Paracelsus nennt den Glauben ein Tor oder einen Grundstein: Zu Ps 86 (87), 1/2, PW 2/IV, S. 165. Zu Ps 118 (119), 29, PW 2/VI, S. 35. 148 hier sehr entschieden von Luther ab. Es könnte sogar schon von einer Polemik gegen Luthers »simul justus et peccator« gesprochen werden. Luther versteht durch das »simul justus et peccator« den Christen in einem doppelten Sinne: Einerseits sei der Christ durch Gottes Urteil gerechtfertigt, weil ihm um Christi willen die Gerechtigkeit zugesprochen worden sei, er selbst aber Sünder ist. Nach Luther ist der Mensch gerecht nur in Blick auf die Barmherzigkeit Gottes durch Christus. Er ist Sünder in Blick auf sich selber, ohne Christus.555 Andererseits versteht Luther auch unter Berufung auf Röm 7, 14-25 »simul justus et peccator« als „die spannungsvolle kämpferische Koexistenz von gerecht und Sünder innerhalb des Christen selbst.“556 Darum empfängt der Christ täglich im Glauben das Urteil Gottes und die Gnade der Rechtfertigung. Indem sich der Mensch dem Handeln Gottes hingibt, ergibt sich ein Prozess des Absterbens des alten und der Auferstehung des neuen Menschen. Daher ist der Christ immer im Werden.557 Der Prozess zur Vollkommenheit gestaltet sich nach Luther nicht als eine sittliche Größe, sondern als ein starkes Verlangen, so dass alles Vertrauen des Menschen auf sich selbst stirbt und er am Ende des Lebens immer freier von der Sünde wird.558 Während Luther den Werdegang des Christen betont, spricht Paracelsus von der Kontinuierlichkeit des Christen, aber auch vom Wachstum des Glaubens. Dabei spielt auch im Psalmenkommentar die Beichte in jedem Augenblick des Lebens eine große Rolle. Diese ist bei ihm allerdings Teil der Heiligung und des Lernens durch die Unterweisungen Gottes. Dabei betont Paracelsus jedoch die „bestendigkeit“ des Christen auf dem Weg Gottes. Den Begriff »Weg Gottes« bezieht Paracelsus hier sowohl auf das sittliche Leben, das für ihn insbesondere durch die Nächstenliebe bestimmt wird, als auch auf das asketische Leben, dass er dahingehend präzisiert, dass der Christ in Armut und Demut leben soll. Im Vergleich zu Luther trägt der paracelsische Begriff „bestendigkeit“ somit einen sittlichen Charakter. Durch die Nächstenliebe kann der 555 556 557 558 Vgl. Luther, Die dritte Disputation gegen die Antinomer (Promotionsdisputation von Cyriakus Gerich?) 6. September 1538, in: WA, Bd. 39/I. Weimar 1926, S. 486–584, hier S. 492. Althaus, Die Theologie Martin Luthers. Gütersloh 19624, S. 212. Vgl. Luther, Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind. 1521, in: WA, Bd. 7. Weimar 1897, S. 299–457, hier S. 337; Althaus, Die Theologie Martin Luthers, S. 213. Vgl. Luther, Luthers Fastenpostille, hg. begonnen v. E. Thiele, vollendet v. G. Buchwald, in: WA, Bd. 17/II. Weimar 1927, S. 1–246, hier S. 13; Luther, Scholien zum 118. Psalm. Das schöne Confitemini 1529 (1530), herausgegeben von G. Roffmane, in: WA, Bd. 31/1. Weimar 1908, S. 34–182, hier S. 169. 149 Christ Gott seine „bestendigkeit“ zeigen. 559 Der paracelsischen Soteriologie wohnt somit, im Unterschied zu Luther, eine starke Betonung der menschlichen Bemühung inne. Während sich für Luther der Christ im Werden hin zur Vollkommenheit dem Handeln Gottes hingeben soll, soll der Christ nach Paracelsus Gott seine „bestendigkeit“ beweisen: „[D]ie bestendigkeit mussen wir uns geben, dann er [= Gott] gibt sie nit als das leben, nit als die seel. dieselbigen gibt er uns unverlangt, ongebeten, ee wir geborn werden und gemacht in mutter leip, bei dem ersten vatter Adam gibt ers uns; dise bestendigkeit aber nit also. sunder wir mussen ein grund darzu setzen, das ist ein liebe und glauben und hofnung pflanzen, auf welche er sie alsdann auch gibt.“560 3.4.2 Der Mensch unter der Verführung anhand von Ps 90(91), Ps 117 (118), Ps 118 (119), Ps 143 (144), Ps 144 (145) und Ps 146 (147) Luther und Paracelsus gehen bei ihrer Konzeption der Versuchung von unterschiedlichen Voraussetzungen aus: Luther gründet seine Konzept auf die Autorität der Heiligen Schrift sowie im Anschluss an die kirchliche Tradition und entwickelt es dann durch eigene Erfahrung weiter. Paracelsus hingegen zeigt eine heilsgeschichtliche Auffassung von Gelübde und Amt:561 Er versteht die ganze Geschichte als Heilsgeschichte, indem die Verführungen durch den Teufel durch die Werke Gottes überwunden werden. Sein Verständnis von der Heilsgeschichte folgt zwar der kirchlichen Tradition – der Sturz Satans und seine Vertreibung aus dem Himmel und der Sündenfall Adams und Evas auf der Erde – weist aber auch Eigenständigkeiten auf: Christus sei geboren worden, um diejenigen, die von Luzifer verführt wurden, zu erlösen. Dadurch merke der Teufel, dass Menschen ihm durch Christus entronnen sind. Darum habe er die neuen Luzifer auf der Erde, unter denen Paracelsus den Papst und seine römische Kirche versteht, 562 erschaffen, um sich neben Gott zu setzen. Nach Paracelsus hätte der Teufel den irdischen Luzifer nicht eingesetzt, wenn Christus nicht gewesen wäre. Der Teufel habe den 559 560 561 562 Vgl. zu Ps 137(138), 8, PW 2/VI, S. 234. Zu Ps 138 (139), 5, PW 2/VII, S. 7. Der paracelsische Begriff »Amt« bezieht sich auf sein Gelübdeverständnis. Hier zeigt Paracelsus eine eigenwillige Interpretation: Amt und Gelübde seien jedem Christen als eine Aufgabe von Gott bei der Taufe gegeben worden. Obwohl deren Inhalte den Inhalten des Möchsgelübdes, d.h. Armut, Keuschheit und Gehorsam, gleich sind, modifiziert Paracesus aber die Bedeutung der Inhalte. Das Amt und das Gelübde werden später ausführlich im Abschnitt 3.2. „Die Gelübde“ behandelt werden. Obwohl Paracelsus in fast dem ganzen Kommentar den irdischen Luzifer auf den Papst bezieht, bezeichnet er im Kommentar zu Ps 118 (119), 161 die beiden Obrigkeiten, die geistliche und weltliche, als den irdischen Luzifer. 150 irdischen Luzifer an der Stelle Christi als Vermittler und Erlöser eingesetzt, um das durch Christus aufgerichtete Recht zu zerstören und Christus dadurch aus dem Himmel zu stoßen. 563 Darum müsse Luzifer von der Erde und aus dem Himmel verstoßen werden. Durch diese Vertreibung verwirkliche sich endlich das Reich Gottes auf der Erde. Nach der Anthropologie des Paracelsus sind der irdische Leib und die Seele auf der Erde so eng miteinander verbunden, dass die beiden eins geworden sind. Als ein Ding tragen sie nun gemeinsam die Folgen des irdischen Lebens und können aufeinander Einfluss üben. Wenn sie durch den Tod getrennt werden, muss die Seele allein die Folgen des irdischen Lebens vor Gott tragen, weil nur sie von Gott kommt und darum ewig ist. Hier besteht aber ein Problem: Der Leib soll zwar die Aufgaben, die Gott jedem Christen gegeben hat, erfüllen, gleichzeitig kann er aber auch die Seele verführen, weil er die Gebote Gottes brechen kann. Für Paracelsus ist die Ursache der Verführung des Christen somit sein irdischer Leib, mit dem er eigentlich auf der Erde Gottes Willen erfüllen soll: „[D]ann ie dieweil der leib ein reißender wolf ist, und der wolf steckt im leib, und er will uns nemen vom ambt der berufung (sunst sucht er keinen zu fressen): dasselbig ampt mus er uns nit anderst nemen dann durch den leib. so der nit ist, so ist das aus, das diser soll ausrichten.“564 Nach Paracelsus beruft Gott jeden Christen in der Taufe zu seinem Amt, unter dem er eine Aufgabe versteht, die jeder Christ mit seinem Leib auf der Erde vollbringen soll. Darum richtet der Teufel seine Versuchung auf den Leib aus, welche dann Folgen für die Seele hat. Im Leib lauert also Gefahr, da er die Seele durch das Brechen der Gebote Gottes verführen und ihr damit schaden kann. Während Luther zwischen den Versuchungen des Fleisches durch die Welt und durch den Teufel unterscheidet, differenziert Paracelsus nur zwischen den Erprobungen des Menschen durch Gott und den Versuchungen des Teufels, unter welchen auch die Versuchungen des Fleisches und der Welt verstanden werden können. Paracelsus unterscheidet damit nicht klar zwischen den Versuchungen des Fleisches, der Welt und 563 564 Zu Ps 144(145), 4–6, PW 2/VII, S. 71–72. Zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 62. 151 des Teufels. Vielmehr ist der Teufel der Urheber aller Versuchungen565und das Subjekt deren Verwirklichung. Die Mittel oder der Inhalt der Versuchungen sind das Fleischliche. Gott stellt die Christen zwar auf die Probe, führt sie aber nicht in Versuchung. Vielmehr lässt Gott zu, dass der Christ Prüfungen und Nachstellungen seitens der Gottlosen ausgesetzt ist. Wie Gott den Christen von seiner Barmherzigkeit stets Zeugnis gibt, so muss der Christ in der Erprobung auch für Gott Zeugnis ablegen. 566 Das Zeugnis des Christen bedeutet für Paracelsus, bis zum Tod die Wahrheit Gottes zu bewahren.567 Während das Ziel der Erprobung Gottes ist, die Beständigkeit des Christen festzustellen, liegt das Ziel der Verführungen durch den Teufel darin, den Christen zur ewigen Verdammnis zu verführen. Dabei führt der Teufel nicht selbst den Christen in Versuchung, sondern bewirkt dies durch andere Menschen: „[D]arum daß der deufel selbs nit personlich kompt, das ist daß er do stund als ein mensch und handelt also wie ein mensch, das ist nun nit, sunder der mensch dut uns widerwertigs, dann ursach im selbigen menschen ist der deufel und handelt durch ihn.“568 Paracelsus erklärt sowohl Krankheit als auch unsittliches Handeln, ja sogar falsche Gelehrsamkeit als teuflische Besessenheit. 569 Hier kann von einer Verleiblichung des Teufels gesprochen werden, der durch Menschen handelt. Wie Luther glaubt Paracelsus, 570 dass hinter allen unsittlichen Taten und der Pervertierung des Wortes Gottes der Teufel steht. Dadurch erklärt sich, dass Paracelsus vier Gruppen von Feinden Gottes ausmacht: 1) den Papst und seine Geistlichen, 2) den Kaiser und seine Partei, 3) die Kaufleute und 4) die Gelehrten der Heiligen Schrift, des Rechtes und der Medizin. Nach Paracelsus geschieht diese Verführung auf zweierlei Weise: Durch Unterdrückung und Betrug.571 Unter Unterdrückung versteht er, dass die Obrigkeit ihre Untertanen gewaltsam zur Abgötterei zwingt, die für ihn die äußerlichen kirchlichen Gebräuche, aber auch Völlerei und Hochmut bedeuten. Am schlimmsten ist für Paracelsus aber der Betrug: 565 566 567 568 569 570 571 Vgl. zu Ps 117 (118), 6, PW 2/V, S. 234. Zu Ps 90(91), 4, PW 2/IV, S. 230. Zu Ps 90 (91), 5, PW 2/IV, S. 231. Zu Ps 117 (118), 6, PW 2/V, S. 233. Ebd. Vgl. Luther, Die Disputation de homine. 1536, in: WA, Bd. 39/I. Weimar 1926, S. 174–180, hier S. 180. Vgl. Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, S. 145–146. Zu Ps 143(144), 1–2a, PW 2/VII, S. 55–57. 152 „[D]ann furwar got nit statet [= gestattet] zu liegen, das ist: er setzt nit ampt und befilcht ihn lugen, sunder warheit. so sie aber vom deufel seindt, darumb ist erlogen und falsch, womit sie umbgont; darumb haßt David ir gesatz und liebet gottes gesatz.“572 Der Betrug bezieht sich für ihn auch auf die falsche Interpretation der Heiligen Schrift. Nach Paracelsus pervertieren sowohl der Papst und seine Geistlichen als auch einige Prediger und Propheten die Heilige Schrift. Dadurch maßen sie sich Sonderrechte an und unterdrücken ihre Untertanen. Paracelsus sieht in der Verfallenheit zur ewigen Verdammnis die Folge dieses Betrugs und führt ihn auf ein falsches Gottesverhältnis zurück. Ohne die unmittelbare Belehrung durch Gott pervertieren die Menschen die Heilige Schrift nach ihrem eigenen Willen und ersetzen die Gebote Gottes durch ihre eigenen Gesetze. Beide, die Unterdrückung und der Betrug, zielen letztlich auf die Verführung zur Abgötterei und dadurch auf die ewige Verdammnis. In den Verführungen sieht Paracelsus die größte Gefahr für den Christen und die Möglichkeit, dass das Werk Christi für ihn verfällt: „[D]ann wie mugen wir got hoher loben, dann so wir von ihm erlost seindt vom deufel und darnach auch erlost vom mammon, das ist vom abtgot? dann derselbig furt uns wieder in verdamnus; das uns Christus geton hat, das zerbricht der wieder.“573 Der Mammon symbolisiert hier die Feinde Gottes. Die Macht des Mammons ist so groß, dass sie die durch Christus erworbene Erlösung zerstören kann. Dieses Phänomen sieht Paracelsus bei den Geistlichen, Adel, und Geschäftsleuten, welche nach ihrem eigenen Wunsch zur Völlerei neigen.574 Darum fordert er alle Christen zur Armut als ein wahres christliches Leben auf. 575 Hier zeigt sich die enge Verbindung des sittlichen Verhältnisses mit der Erlösung. Paracelsus und Luther weisen bei ihrer Auffassung der Versuchungen einige Gemeinsamkeiten auf: Wie Luther versteht Paracelsus die Versuchung als einen Beweis des lebendigen Christseins. Bei Luther gewährleistet die Versuchung, dass der Glaube im Heilsprozess lebendig bleibt, die Wirkmächtigkeit des Wortes Gottes in die Erprobung des Glaubens »experientia fidei« überführt und dadurch die falsche 572 573 574 575 Zu Ps 118 (119), 163, PW 2/VI, S. 131. Zu Ps 146 (147), 1, PW 2/VII, S. 90. Vgl. zu Ps 103 (104), 34–35, PW 2/V, S. 19–20. S.u. 3.2.4. Die Tugend der Gelübde. 153 Sicherheit »securitas« vermieden wird.576 Darum trifft die wahre Versuchung nur die Gläubigen. Dabei versteht Luther unter der wahren Versuchung die Versuchung, den Gläubigen zum Unglauben zu verführen, während er die äußere, leibliche Versuchung nur als Versuchung zu Tatsünden betrachtet.577 Bei Paracelsus betrifft die Verführung selbst den wahren Christen.578 Paracelsus trifft keine strenge Unterscheidung zwischen der wahren Versuchung und äußerer, leiblicher Versuchung, denn die wahre Versuchung und äußere, leibliche Versuchung im Sinne Luthers sind bei Paracelsus miteinander verbunden. Die Versuchung oder Verführung ist bei Paracelsus und bei Luther ein deutlicher Beweis des wahren Christseins. Eine weitere Gemeinsamkeit stellt die Betonung der Versuchung durch die Pervertierung der Heiligen Schrift dar. Luther betrachtet den Streit mit dem Versucher als einen Streit mit den falschen Schriftauslegern, die nach ihrem eigenen Willen die Heilige Schrift verdrehen. Paracelsus versteht unter der Methode der Versuchung »Lügerei« ebenfalls die falsche Interpretation der Heiligen Schrift. Aber während Luther diese Versuchung besonders in Bezug auf die Spaltung innerhalb des protestantischen Lagers erwähnt, findet Paracelsus diese Betrügerei sowohl in der katholischen Lehre als auch in Predigern und Propheten auf evangelischer Seite. Er macht diese Lüge sogar in der Behauptung aus, dass die Gewalt der Obrigkeit von Gott komme. Für Paracelsus und Luther ist das Leben des Christen ein Kampf gegen den Versucher. Dieser Kampf endet endgültig durch den Tod oder das Endgericht am Jüngsten Tag. Aufgrund seiner Rechtfertigungslehre ist die Versuchung bei Luther eine Wesensbestimmung des Gläubigen bis zum Tod oder zum Jüngsten Tag. Darum ist der Gläubige immer neu dem Versucher ausgesetzt und muss stets zwischen Gott und Abgott unterscheiden (so wie er sich täglich unter die Verheißung der Taufe stellen muss). Paracelsus hingegen bezieht die Verführung auf das Gelübde- und das Amtverständnis. Der Christ soll sich darum bemühen, seine Aufgabe, die er bei seiner Taufe von Gott erhalten hatte, auf der Erde zu erfüllen. Dabei bildet die Taufe nur den Ausgangspunkt, von dem aus der Christ bis zu seinem Ziel fortschreiten soll. Unterwegs trifft ihn dann die Versuchung, mit der der Teufel versucht, ihn von seinem Weg abzubringen. Die 576 577 578 Johann Anselm Steiger, Art. Versuchung III, in: TRE, Bd. 35 (2003), S. 52–64, hier S. 55. Vgl. ders., S. 54. Vgl. zu Ps 90(91), 4–5, PW 2/IV, S. 230–231. 154 Auffassung des Paracelsus wird vor dem Hintergrund des Antiklerikalismus in der Reformationszeit verständlich. Eine wesentliche Rolle spielt somit auch seine Ablehnung der geistlichen Obrigkeit. Obwohl bei Paracelsus nur die weltliche Obrigkeit gemäß dem Wort Gottes gilt, lehnt er auch diese ab. 579 Die strenge Ablehnung frühkapitalistischer Wirtschaftsformen, z.B. Zinsen und Wucher, die bei Luther zu finden ist, liegt auch der paracelsischen Auffassung zugrunde. 580 Demnach bezieht Paracelsus »Versuchung« eher auf den sittlichen Bereich, als Orthopraxie, während Luther die Versuchungen eher als Frage der Orthodoxie, die ganze existenzielle Dimension des Menschen betreffend, versteht. 3.4.3 Die Überwindung der Verführung anhand von Ps 88 (89), Ps 90 (91), Ps 117 (118), Ps 118 (119), Ps 139 (140), Ps 143 (144) und Ps 144 (145) Von der Überwindung der Verführung spricht Paracelsus radikaler als die anderen Reformatoren, wobei das Wort Gottes wie bei ihnen bei ihm auch die Waffe des Christen darstellt. Der Christ soll aus Gottes Kraft heraus, unter der Paracelsus das Wort Gottes und sein Evangelium versteht, gegen den Teufel kämpfen: „Wie hie auf erden mussen wider den deufel fechten und wider ihn striten. nun ist uns diser kampf durch uns selbs nit muglich; dann es ist nit leiplich sterke do zu gebrauchen noch leiblich waffen, sunder aus gottes kraft. darumb mussen wir durch gottes hilfe ein widerstand tun und nit durch uns. sein hilf ist sein wort, sein euangelion; das seindt unser waffen, so wir haben, daß wir im weg gottes handlen und nit im weg unsers furnemens, dann bei uns ist kein widerstand.“581 Paracelsus versteht hier unter dem Wort Gottes die Gebote Gottes, die der Christ halten soll. Darum bedeutet für ihn die Überwindung der Verführung, die Gebote Gottes ernst zu nehmen. Während Luther sie durch Lektüre der Heiligen Schrift im Sinne von »meditatio« betont, indem er die Methodik, die Versuchung zu überwinden, um das Wort Gottes zentriert, betont Paracelsus mehr den sittlichen Aspekt, das Halten der Gebote. Darum ist für ihn der Prüfstein der Versuchung und ihr Widerstehen die sittliche Haltung, welche sich in der Nächstenliebe verwirklicht.582 579 580 581 582 Vgl. zu Ps 93 (94), 18, PW 2/IV, 266; zu Ps 129 (130), 4a, PW 2/VI, S. 200; zu Ps 130(131), 1b, PW 2/VI, S. 207. Vgl. zu Ps 103 (104), 24, PW 2/V, S. 13; zu Ps 103 (104), 34, PW 2/V, S. 19. Zu Ps 117(118), 6, PW 2/V, S. 233–234. Zu Ps 143 (144), 1, PW 2/VII, S. 56. 155 In diesem Punkt der ethischen Haltung scheint sich der Einfluss von Martin Bucer, dem Reformator von Strassburg, zu zeigen, wo Paracelsus gelebt und sich das Bürgerrecht erkauft hatte.583 Luther hingegen hält solche ethischen Qualitäten und die Heiligung zur Überwindung der Versuchung nicht für hinreichend.584 Bei ihm gleicht die Überwindung der Versuchung eher einem Exorzismus: Durch die Lektüre der Heiligen Schrift, das Gebet, besonders in Gestalt des Vaterunsers, und durch geistlichen Gesang, soll der Teufel vertrieben werden: „Aus, Teufel, ich muß itzt meinem Herrn Christo singen und spielen“. 585 Die Grundhaltung des Paracelsus gegenüber den Verführern ist einerseits Geduld und andererseits Kampf. Der Christ muss sich vorläufig gedulden, bis Gott den rechten Zeitpunkt schickt. Darum betont Paracelsus das Leiden des Christen unter dem Elend, der Trübsal und der Unterdrückung durch die Obrigkeit, das Gott zulässt. Aber genauso betont Paracelsus den Kampf gegen den Antichristen und die beiden falschen Obrigkeiten. In der Auffassung des Teufels und der Überwindung der Versuchung liegt somit der Unterschied zwischen Paracelsus und Luther. Im Grunde will Luther den Teufel lieber als ein übernatürliches Wesen ansehen. Paracelsus dagegen will ihn als ein Wesen, das durch Menschen konkretisiert wird, bestimmen. Dies prägt auch das praktische Verhalten der beiden Theologen unterschiedlich: Luther agiert als Seelsorger, der dem Christen empfiehlt, dem Teufel direkt zu widersprechen, und er schlägt an manchen Stellen sogar konkrete Formulierungen vor, wie z.B.: Ego baptisatus credo, quod filius dei pro me mortuus. Plauder mihi in cor, quod vis (Ich Getaufter glaube, dass der Sohn Gottes für mich gestorben ist. Plauder mir ins Herz, was du willst).586 Paracelsus dagegen betont den Kampf gegen den Verführer. Da der Teufel in fleischlicher Gestalt, d.h. in geistlicher und weltlicher Obrigkeit, erscheint, soll der Christ auch fleischlichen, äußeren Widerstand leisten. Paracelsus beschreibt diesen Kampf als einen grausamen: 583 584 585 586 Paracelsus kaufte am 5. 12. 1526 das Bürgerrecht der Stadt Strassburg als niederer Wundarzt und ordentliches Zunftmitglied: Dietrich von Engelhardt, 2 Paracelsus – der Arzt, Naturphilosoph und Alchemist, in: Robert Jütte (Hg.), Paracelsus heute – im Licht der Natur. Heidelberg, 1994, S. 15–30, hier S. 18. Steiger, Versuchung III, S. 57. Luther, Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum, in: WA, Bd. 7. Weimar 1897, S. 91–151, hier S. 105. Luther, Predigten des Jahres 1538, in: WA, Bd. 46. Weimar 1912, S. 113–537, hier S. 206. 156 „[D]ie mit strenge kommen, das seindt die, so das schwert haben und uns wollen mit demselbigen treiben in ir abgotterei: dieweil sie mit dem schwert an uns fallen, mit gleicher maß soll es ihnen begegnen. und so heftig sie ligen auf dem falschen weg und den mit dem schwert wollen beschirmen, so heftig sollen wir auf unserm weg auch bleiben und noch vil heftiger; dann die herzen aus got sollen sterker sein als die aus dem deufel. also sollen wir uns vom wort gottes und weg gottes nit lassen treiben allein, sunder den leip brauchen zu beschirmen die seel; und solch beschirmen gibt heilige, marter vor got.“587 Hier meint Paracelsus den Kampf gegen die falsche Obrigkeit, die mit ihrer Gewalt den Christen zur Abgötterei treiben will. Dieser Kampf geht für Paracelsus bis zum Tod beider Seiten. An dieser Stelle spielen zwei Vorannahmen eine große Rolle: Während der Leib wertlos ist, weil er aus der Erde stammt, schätzt Paracelsus die von Gott kommende Seele hoch. Darum ist es notwendig, gegen den Verführer zu kämpfen, um in den Himmel zu gelangen. Die Gefahr der Verführung durch den Leib und die Pflicht der Bewahrung der Gerechtigkeit Gottes sind ein Grund für den Kampf gegen den Verführer. Bei diesem Kampf spielt der Vorrang der Seele vor dem Leib eine große Rolle.588 Der Leib soll für Paracelsus lediglich der Beschützer der Seele sein und für die Seele Gefahren ausgesetzt werden. Zum Schutz der Seele vor der ewigen Verdammnis gilt es notfalls auch, das Martyrium auf sich zu nehmen. Hier kann man eine Berührung mit der täuferischen Auffassung über das Leiden und das Martyrium im Glauben sehen. Paracelsus und die Taufgesinnten sprechen sich aus verschiedenen Blickwinkeln für das Martyrium aus: Die Taufgesinnten betonen es im geschichtlichen Kontext, in dem sie verfolgt werden. Durch ihn wird ihre Theologie des Martyriums gebildet, als Bewährungsprobe vor Gott als einen freiwilligen Entschluß des Gläubigen, sich selbst Gott darzubringen.589 Die Taufgesinnten verstehen ihr Martyrium in der Kontinuität der Märtyrer und als eine Nachahmung der Selbstaufopferung Christi.590 Obwohl Paracelsus im Sinne der Nachfolge Christi eine Gemeinsamkeit mit den Täufern hat, hebt er das Leiden und Martyrium noch mehr in Hinblick auf seine dualistische Anthropologie 587 588 589 590 Zu Ps 143 (144), 1, PW 2/VII, S. 56. Vgl. zu Ps 118 (119), 1, PW 2/VI, S. 2. Vgl. Benrath, Die Lehre, S. 649–650. Vgl. ebd. 157 hervor: Er schätzt die Seele höher als den Leib und konzentriert sich damit auf die Erlösung der Seele.591 „[N]un aber laut der psalm dohin, daß wir von der seel wegen sollen krieg und streit brauchen und unsern leip, der der seel beschutzherr ist, daran wagen; als dann Christus geton hat, der sein leip gewagt hat vonwegen unser aller. dann der sein leip wagt, der wagt sein leben. der sein leben wagt von wegen der seel, wie kann er hohers verlieren? wagt er aber alles leip nit dran, so ist ihm sein leben lieber dann sein seel.“592 Paracelsus legitimiert mit dem Begriff der Nachfolge Christi 593 die Bewahrung der Seele durch das Opfer des Leibes. 594 Nach Paracelsus will Gott auch durch das Martyrium den wahren Christen von der Versuchung befreien.595 Zudem muss nach Paracelsus auch der Verführung zur Abgötterei körperlich widerstanden werden, denn der Teufel erscheint in fleischlicher Gestalt, nämlich in geistlicher und weltlicher Obrigkeit.596 Dieser Widerstand wird für ihn als ein Kampf zwischen dem Fleisch im Sinne des Leibes des Christen und dem Fleisch im Sinne weltlicher und geistlicher Obrigkeiten als einer Verleiblichung des Teufels verstanden. Somit legitimiert Paracelsus das Widerstandsrecht gegen falsche geistliche und weltliche Obrigkeit. Der wahre Christ soll denen Feind sein, die ihm am Dienst Gottes hindern.597 591 592 593 594 595 596 597 Es ist auffallend, dass Paracelsus in Bezug auf die Verführung und deren Überwindung fast nicht den ewigen Leib erwähnt. Zu Ps 143 (144), 1, PW 2/VII, S. 55. Paracelsus versteht hier unter der Nachfolge Christi nicht die spätmittelalterliche Auffassung, dass man einerseits einzelne Momente aus der Passion Jesu herausgreift, regelmäßig am eigenen Leib praktiziert oder andererseits das Leben und Leiden Christi meditativ nachvollzieht. Er versteht unter ihr mehr die Vorstellung der alten Kirche als Leidensbereitschaft und Martyrium: Ignatius von Antiochien wollte mit seinem Wunsch nach dem Martyrium »ein Nachahmer des Leidens meines Gottes« sein und hielt die Christen in ihrer grundsätzlichen Leidensbereitschaft für »Nachahmer des Herrn«: Ulrich Köpf, Art. Nachfolge Christi, II. Kirchengeschichtlich, in: RGG4, Bd. 6 (2003), 6–9; ders., Das Ideal der Nachfolge Christi im abendländischen Mittelalter, in: Wilfried Härle, u.a.(Hg.), Befreiende Wahrheit. Festschrift für Eilert Herms zum 60. Geburtstag. Marburg 2000, S. 121–139, hier S. 130–134. Das heisst aber nicht, dass Paracelsus nicht auch die mittelalterliche Auffassung teilt: Im Psalmenkommentar spricht er auch von einer buchstäblichen Nachfolge Christi wie bei Franziskus von Assisi: Paracelsus schätzt die Armut, weil Christus auch auf der Erde ein solches Leben geführt habe und seine Jünger auf Erden nicht reich gemacht habe: Vgl. zu Ps 85 (86), 6–8, PW 2/IV, S. 155–157. Dabei sieht er den Reichtum als eine Sünde an. Er legitimiert die unfreiwillige Armut und setzt machmal die Armen den wahren Christen gleich. Zugleich tritt er für die freiwillige Armut ein, weil der Weg Gottes für Paracelsus das Leben unter Armut und Demut bedeutet. Darum steht Paracelsus in Bezug auf die Auffassung über die Armut den rigorosen Spiritualen der Minderbrüder nahe, die einen »usus pauper« fordern. Vgl. zu Ps 143(144), 1, PW 2/VII, S. 55. Zu Ps 90 (91), 5, PW 2/IV, S. 231. Vgl. zu Ps 143 (144), 6, PW 2/VII, S. 62. Zu Ps 139 (140), 14, PW 2/VII, S. 37–38. 158 „[D]ann dem deufel sollen wir widerston mit dem wort gottes, anderst konnen wir ihn nit schlahen. ist er aber leiplich worden (das ist: er ist in den mentschen geschloffen und gangen), so mus man ihn mentschlich wurgen, domit er nit [414b] im mentschen sei, oder daß dieselbigen mentschen nit seindt, wo sie anderst einander also eingeleipt seindt und werden.“598 „[U]nd alle die, so disen kunig verfolgen, durchechten [= unterdrücken], dieselbigen segnet got und seliget sie, daß sie erwurgen den, der ein feind gottes ist.“599 Es liegt nahe, dass Paracelsus auf Grund dieses Widerstandsrechtes auch den Tyrannenmord anerkennen könnte. Denn eigentlich ist der Kampf gegen die Verführer der Kampf Gottes. Da die Größe und Kraft der Verführer noch größer als die der Christen ist, kann niemand sie besiegen außer Gott. 600 Darum kämpft Gott mit dem Christen gegen den Teufel. Obwohl Paracelsus dieses Verhältnis zum Tyrannenmord im Psalmenkommentar andeutet und theologisch begründet, wird es aber dennoch nicht klar, ob er dem Individiuum tatsächlich das Recht zur Selbsthilfe zuspricht oder ob er lediglich auf das rächende Wirken Gottes in der Geschichte verweist.601 Trotzdem wird deutlich, dass Paracelsus unter dem Sieg über die Verführung einen grausamen Kampf bis zum Tod versteht. Obwohl Paracelsus die anscheind gegensätzlichen Verhaltensweisen gegenüber den Verführern, das Martyrium oder den Widerstand, deutlich beschreibt, ist es für ihn nicht klar, wann der Christ sein Leiden bis zum Martyrium ertragen oder solchen Widerstand leisten soll. Paracelsus schreibt den Eltern bei diesem Kampf die Verantwortung für ihre Kinder zu. „Als dann teglich leben die kinder, so vatter und mutter mit irem blut vergießen erlost haben vom abgot durch geiz hilf und hand. das dann beschehen muß, zu gleicherweis als Christus uns erlost hat mit seim blut als seine kinder.“602 Unter diesem Blutvergießen versteht Paracelsus den Kampf, gottlose Menschen und alle Ketzerei zu vertreiben. Es geht hier jedoch nicht um die Erlösung von der Hölle, sondern um die Befreiung der Kinder vom irdischen Luzifer und von gottlosen Mächten. Es ist auffallend, dass Paracelsus und Luther die »imitatio Christi« als eine Methode der Überwindung der Versuchung erwähnen. Sie betonen jedoch auch ganz andere Aspekte: Während bei Luther »imitatio Christi« unter Berufung auf Mat 4, 1–11 598 599 600 601 602 Zu Ps 118 (119), 164, PW 2/VI, S. 132. Zu Ps 88 (89), 43, PW 2/IV, S. 206. Zu Ps 143 (144), 2a–2b, PW 2/VII, S. 57–59. Vgl. zu Ps 88 (89), 43, PW 2/IV, S. 206, Anmerkung d. Ebd. 159 bedeutet, dass Christus den Teufel durch das Wort Gottes vertrieb, bedeutet »imitatio Christi« bei Paracelsus Blutvergießen, d.h. Christus hat für den Menschen am Kreuz sein Blut vergossen und ihn dadurch erlöst.603 Daraus leitet Paracelsus eine theologische Begründung für den Kampf gegen die Verführer ab. Obwohl Luther und Paracelsus den Tod Christi am Kreuz als eine Heilstat verstehen, die ein für allemal geschehen ist, betont Paracelsus noch die Bemühungen des Menschen für die Bewahrung der Gnade Gottes und die Überwindung der Verführung durch den grausamen Kampf. 3.4.5 Zusammenfassung Paracelsus versteht die Buße nicht als die zweite Taufe wie das spätmittelalterliche Mönchtum, sondern als Voraussetzung zur Rechtfertigung. Seine Bußvorstellung erinnert im Grunde zwar an die kirchliche Tradition, wird aber sowohl in ihrer Reihenfolge als auch in der Bedeutung jedes Bußvorgangs modifiziert. Er stellt die Buße in die Reihenfolge »satisfactio«, »absolutio«, »cordis contritio« und »oris confessio«. Dabei konzentriert Paracelsus seine Bußvorstellung auf das Leiden Christi. Das Leiden Christi ist als die einzige Genugtuung für die Sündenvergebung der Grund für die Beichte. Schon am Kreuz Christi geschah die Absolution Sünders. In diesem Gedanken werden die wesentliche Angewiesenheit der Sündenvergebung auf die Gnade Gottes und die Sündhaftigkeit und Nichtigkeit des Menschen, da er zu seiner Sündenvergebung nichts beitragen kann, betont. Hier steht Paracelsus Luther nahe, für den die Satisfaktion den Weg zur Werkgerechtigkeit öffnen kann. Unter der Absolution versteht Paracelsus nicht die durch die institutionelle Kirche vermittelte Absolution, sondern das Leiden Christi am Kreuz als die endgültige einzige Absolution für jedes Sündenbekenntnis. Paracelsus versteht unter der »contritio« die Reue, die dem Kummer über die Sünde entspringt und die zu dem Entschluss führt, nicht mehr zu sündigen. Unter »attritio« versteht er die Reue aus Furcht. In Bezug auf die Reue zeigen sich die Unterschiede zwischen Luther und Paracelsus: Während Luther die Reue als eine Frucht des Glaubens betrachtet, sieht Paracelsus sie als eine Bedingung für das Erlangen der Barmherzigkeit Gottes. Anders als Luther, für den nicht die Reue, sondern der feste Glaube an die Barmherzigkeit Gottes in Christus den Menschen der 603 Zu Ps 144 (145), 2, PW 2/VII, S. 70. 160 Vergebung teilhaftig werden läßt und ihn vor Gott rechtfertigt, denkt Paracelsus, dass das Verständnis der Leiden Christi und die Reue den Menschen an der Vergebung teilhaftig werden lassen. Darum setzt er der Reue die Erkenntnis Gottes voraus. Bei Paracelsus ist die Reue individualistisch im dem Sinne, dass jeder selbst bereuen soll, und zeiträumlich begrenzt dahingehend, dass nur die Lebenden auf der Erde bereuen können. Paracelsus versteht die Reue im Grunde als einen spirituellen Vorgang, der den Menschen zur Begegnung mit dem gnädigen Gott führt. Paracelsus spricht zwar im Psalmenkommentar vom öffentlichen Bekennen vor der Gemeinde. Aber er betont noch mehr, dass der Mensch im Herzen, in dem Gott wohnt und das nach Paracelsus die wahre Kirche ist, nur Gott beichten soll. Darum ist seine Auffassung der Beichte mit seiner spiritualistischen Ekklesiologie verbunden. Aus zwei Gründen betont Paracelsus, dass der Mensch eigentlich nur Gott beichten soll: Erstens gehört die Sündenvergebung als eine Eigenschaft Gottes nur Gott. Darum kann sie nicht von Gott getrennt werden. Nur Gott kann nach seinem Willen die Sünde vergeben oder strafen. An dieser Stelle berührt die paracelsische Auffassung die ockham´sche Auffassung von der Allmacht Gottes und die Auffassung Luthers vom »deus absconditus«. Zudem kann nur Gott allein neben der Sündenvergebung auch die Kraft schenken, weitere Sünden zu vermeiden. Bei Paracelsus gibt es anscheinend eine Ambivalenz zwischen der einmaligen und der ständigen Beichte. Er idealisiert zwar die einmalige Beichte dahingehend, dass der Mensch vor Gott am Anfang des Glaubens beichten und danach beständig auf dem Wege Gottes bleiben soll. In Hinblick auf die tagtägliche Lebenspraxis betont Paracelsus aber wie Luther, dass der Mensch jeder Zeit vor Gott beichten soll, wenn er vor Gott sündigt. Die Buße ist demzufolge an die Heiligung, die einen getreuen Lebenswandel gebietet, geknüpft. Paracelsus betont in seiner Auffassung der Buße einerseits die individuelle und die spiritualistische Beichte vor Gott aufgrund des Leidens Christi und andererseits den durch den Heiligen Geist geleiteten Lebenswandel. Obwohl Paracelsus mit den Spiritualisten einige Gemeinsamkeiten teilt, unterscheidet sich sein Sakramentenverständnis von ihnen: Er verweigert nicht ganz die äußerlichen Sakramente. Wie Luther erkennt er Taufe und Abendmahl als Sakramente an. Dabei hat er kein Interesse an der Exegese der Einsetzungsworte, die die entscheidende Thematik 161 im innerprotestantischen Abendmahlsstreit ist. Sein Interesse an der Tauf- und Abendmahlsfrage liegt eher im Bereich der Soteriologie. Paracelsus sieht den Menschen immer auch im Angesicht einer neuen Welt, die in der Taufe beginnt, im Abendmahl vorausgenommen wird und sich in Gottes Reich völlig verwirklicht. Darum ist die Taufe eine Grundlegung christlicher Existenz und wahren Christseins. Unter der Taufe versteht Paracelsus die Wiedergeburt, die Sündenvergebung und die wahre Unterweisung durch den Heiligen Geist. Obwohl Paracelsus die traditionelle Auffassung von der Taufe als Reinigung von der Erbsünde teilt, betont er im Gegensatz zur römischen Kirche wie Luther die Wirksamkeit der Taufe für das ganze Leben. Neben der Sündenvergebung geschieht in der Taufe auch die Wiedergeburt, die er auf seinen anthropologischen Grundsatz gründet. Unter der Wiedergeburt versteht Paracelsus die Erschaffung einer neuen Kreatur durch Christus: Wie Christus aus Maria einen göttlichen Leib erhielt, bekommt der Christ von Christus durch die Taufe einen neuen Leib, der ihn zu einer neuen Existenz führt. In dem alten Leib wird der ewige Leib aus dem »Limbus Christi« wiedergeboren. Darum ist die Wiedergeburt bei Paracelsus mit seiner Limbustheorie verbunden. Auf diesem Hintergrund hält Paracelsus die Taufe für heilsnotwendig. Die Taufe selbst hat für Paracelsus die Kraft und die Macht, durch den Heiligen Geist zum ewigen Leben zu führen. Paracelsus unterscheidet zwischen der Kindertaufe und der Taufe durch den Heiligen Geist, indem er in Bezug auf die Taufe die religiöse Unterweisung für wichtig hält. Wegen der christlichen Tradition des Elternhauses und der damit verbundenen erzieherischen Wirkung der Taufe erkennt Paracelsus die Kindertaufe an. Diese Auffassung scheint sich unter dem Einfluss Zwinlgis entwickelt zu haben. Dennoch ist dies für Paracelsus nicht die entscheidende Form der Taufe. Denn die wahre Belehrung kann in Hinblick auf sein spiritualistisches Gottesverhältnis nur unmittelbar durch den Heiligen Geist erfolgen. Bei der Geisttaufe wird die neue Kreatur erschaffen, mit der der Mensch zur Seligkeit erlangen kann. Zugleich beginnt auch das unmittelbare Gottesverhältnis. In diesem Gottesverhältnis geschieht die Unterweisung in die wahre Gotteserkenntnis. Dann folgt ihr der gute Lebenswandel als die Frucht aus diesem Verhältnis. Darum ist nur diese Taufe bei Paracelsus heilsnotwendig. Im Zusammenhang mit der Geisttaufe wird der spiritualistische Charakter in seiner Tauflehre deutlich. Denn die Erlösung kann der Mensch nur im unmittelbaren 162 Gottesverhältnis durch die Geisttaufe erhalten und Christus tauft sogar die Heiden, die Christus nicht kennen, durch den Heiligen Geist ohne menschliche Mittel oder menschliche Vermittler. Es ist auffallend, dass der Erwachsene die Geisttaufe bekommen und durch die Unterweisung des Heiligen Geistes prüfen soll, ob seine religiöse Erziehung durch die Eltern richtig war. Dahinter steht, dass das Heil der Kinder zwar von den Eltern abhängig ist, aber der Erwachsene selbst für seine Erlösung verantwortlich ist. So ist für Paracelsus die Kindertaufe zwar nicht heilsnotwendig, aber das getaufte Kind wird im Glauben unterwiesen und kann zumindest ein gottgefälliges Leben führen. Darum beginnt ein Christenleben für Paracelsus mit dem Vollzug der Taufe im Kindesalter. An dieser Stelle wird deutlich, dass Paracelsus die Taufe als einen Ausgangpunkt oder eine Wurzel des christlichen Lebens versteht. Mit der Anerkennung der äußerlichen Kindertaufe entfernt sich Paracelsus weit von den Spiritualisten. In Bezug auf das Abendmahl hält er die Eucharistie für unwirksam, lehnt aber nicht die Taufe der römischen Kirche ab. Er verneint zwar deren Wirksamkeit, schätzt aber ihre erzieherischen Elemente. Obwohl Paracelsus in Bezug auf den innerprotestantischen Abendmahlstreit keine Interesse am »Wie« der Gegenwart Christi im Mahl hat, werden viele seiner Schriften über das Abendmahl gerade zu dieser Zeit verfasst. Hier lässt sich eine Veränderung in seinem Abendmahlverständnis konstatieren: Während Paracelsus im Psalmenkommentar von 1530 eine Realpräsenz beschreibt, verwendet er in »Die Bücher von den unsichtbaren Krankheiten« von 1532 eine zwinglische Abendmahlsformulierung. In den frühen 1530er Jahren scheint sein Abendmahlverständnis allmählich zur Auffassung Zwinglis zu tendieren. Selbst seine 1530 konstatierte Realpräsenz kann nicht als lutherisch angesehen werden, weil seine Auffassung auf seiner Limbus-Theorie beruht. Im Psalmenkommentar verwendet Paracelsus „gedechtnus gotes“, das an Zwinglis Abendmahlsverständnis erinnern kann. Das Wort bezieht sich nicht nur auf sein Abendmahl, sondern auch auf sein Schöpfungsverständnis. Dabei versteht er unter diesem „gedechtnus“ nicht nur die Erinnerung an das Leiden und den Tod Christi beim Abendmahl, sondern auch die Erkenntnis vom Dasein und Wirken Gottes oder eine Erinnerung an das Wirken Gottes in der Welt. Paracelsus verbindet einen Gegenstand mit dessen Bedeutung oder der durch ihn gegebenen Erkenntnis über das Dasein und 163 Wirken Gotttes. Der Mensch kann zwar durch das „gedechtnus“ im Werk Gottes das Dasein Gottes erkennen. Aber aus solch bloßer Gotteserkenntnis, die uns durch die Sinne aus seinen Werken übermittelt wird, kann nicht die wahre Gotteserkenntnis erwachsen. Sie führt auch nicht zur Seligkeit, welche darin besteht, dass die Sünde durch Christus vergeben wird und der Mensch einen neuen Leib erhält. Das „gedechtnus gotes“ im Abendmahl bedeutet die Erinnerung an das Leiden Christi und dadurch eine Teilnahme an seinem Leiden. Diese Erinnerung und Teilnahme ist für Paracelsus mit bestimmten Substanzen, dem Brot und dem Wein als Fleisch und Blut Christi, verbunden. Dadurch gibt Gott dem Christen Zeugnis für seine Gegenwart im Abendmahl. Es scheint, dass der paracelsische Gedächtnis-Begriff sich nicht auf den Begriff »Wiedergedächtnis« – weder von Zwingli noch von Erasmus – bezieht, weil Paracelsus diesen Begriff unmittelbar Psalm 110 (111), 4 entnimmt und ihn ohne Zusammenhang mit dem Psalmenkontext eigenwillig interpretiert. In diesem Kontext kann man feststellen, dass das Abendmahlsverständnis des Paracelsus sich von der spiritualistischen Auffassung distanziert. Es scheint Luthers näher zu sein, doch stimmen Luther und Paracelsus nicht im Zweck der Gegenwart Christi im Abendmahl überein: Anders als Luther behauptet Paracelsus, dass durch das Blut und Fleisch Christi, der im Abendmahl gegeben wird, der neue Leib genährt wird. Auch gibt es einige Berührungspunkte mit Schwenckfeld: Beide betrachten Joh 6 als den grundlegenden Text des Abendmahls und den Leib Christi als eine unsichtbare geistige Speise. Außerdem gilt beiden das Herz des Christen als der wahre Tempel Gottes und als ein Empfangsorgan des wahren Leibes Christi im Abendmahl. Beide sprechen von den äußerlichen und innerlichen Seiten. Aber Paracelsus unterscheidet die äußerliche Seite von der innerlichen Seite in Bezug auf den Tod und die Auferstehung Christi, während Schwenckfeld sie material und geistig unterscheidet. Die paracelsische Unterscheidung bezieht sich hingegen auf seine Auffassung vom verklärten Leib Christi. Unter ihm versteht Paracelsus den Leib Christi als den des Auferstandenen, der einen leiblichen und zugleich einen geistlichen Charakter hat und dem damit göttliche Eigenschaften innewohnen. Es ist dieser verklärte Leib Christi, der sich im Abendmahl in jedes Christenherz senken kann – die paracelsische Variante der »Ubiquität«. Auf den ersten Blick scheint Paracelsus von der Auffassung Zwinglis weit entfernt zu sein, weil 164 Zwingli die leibliche Gegenwart Christi im Mahl leugnet. Indem Paracelsus die Austeilung des verklärten Leibes Christi mit der Austeilung des Brotes beim Abendmahl verbindet und behauptet, dass dadurch der ewige Leib des Menschen gespeist wird und der Mensch mit diesem Leib in Gottes Reich gelangen kann, hängt die Erlösung wesentlich vom Empfang des verklärten Leibes Christi ab. Im Gegensatz zu Paracelsus stellt Schwenckfeld dem äußeren Empfang das innere Genießen gegenüber. Schwenckfeld betrachtet einerseits in den 1530er Jahren das äußere Sakrament als ein Symbol für die individuelle Verbundenheit des Christen mit Christus. Andererseits beklagt er allmählich das unrechtmäßige Genießen des äußeren Sakraments und auch die Unmöglichkeit, ein Abendmahl nach dem Wort Christi auf der Erde aufrecht zu erhalten. Darum empfiehlt er seit Mitte der 1520er Jahren seinen Anhängern, einen »Stillstand«, eine völlige Abstinenz vom Abendmahl. Durch diese Abwertung des äußeren Abendmahls und Würdigung der innerlichen Speisung Christi unterscheidet sich Schwenckfeld von Paracelsus. Die Erschaffung und die Ernährung des neuen Leibes spielt die wichtigste Rolle im paracelsischen Sakramentenverständnis. Für Paracelsus muss der Mensch einen neuen Leib erhalten, um zur Seligkeit zu gelangen. Dies geschieht, indem er die Menschen durch die Wiedergeburt an seinem himmlischen Leib teilnehmen und sie aus seinem Limbus zu einem neuen Geschöpf werden lässt. Dabei argumentiert Paracelsus unklar bei der Neuerschaffung durch die Wiedergeburt bei der Taufe und beim Abendmahl. Trotz dieser Unvereinbarkeit wird deutlich, dass die neue Kreatur im Psalmenkommentar schon auf der Erde beginnt. Die Bedeutung der neuen Kreatur besteht vor allem in der Schaffung einer neuen Einheit von einem neuen Leib und der Seele. Diese neue Einheit ist zuerst in der Fleischwerdung Gottes verwirklicht worden. Durch die Unterscheidung zwischen der Speise für die alte und die neue Kreatur betont Paracelsus, dass der neue Leib auch seiner Speise bedarf. Das Fleisch und Blut Christi als die Speise der neuen Kreatur bewirken eine feste ontologische Verbundenheit mit Christus. Deshalb hängt das ewige Leben stark von der Gemeinschaft mit Christus ab. Nun sind der Leib und das Blut Christi Speis und Trank für alle Gläubigen sowohl auf der Erde als auch im Himmel. Letztes Ziel des Abendmahls ist die Gemeinschaft aller Gläubigen mit Christus im Himmel. Darum kann der endgültige Vollzug des 165 Abendmahls im Eschaton nur durch die Vollendung des Reiches Gottes im Himmel geschehen. Die Verbundenheit des Gläubigen mit Christus durch sein Fleisch und Blut bedeutet für Paracelsus die Teilhabe dessen am verklärten Leib Christi. Mit dem Begriff »dem neuen Bund« in seinem Abendmahlsverständnis berührt Paracelsus die spätere Bundestheologie Zwinglis, der darunter einen Gnadenbund Gottes versteht. Paracelsus jedoch verbindet den neuen Bund mit dem Abendmahl, während Zwingli ihn auf die Taufe bezieht. Bei Paracelsus ist dieser neue Bund der Grund für die Wiederherstellung des Verhältnisses Gottes zum Menschen auf Grund der Reue des Gläubigen. In Bezug auf das Leben des Wiedergeborenen, der einen neuen Leib erhält und in einer engen Verbindung mit Christus durch das Abendmahl steht, betont Paracelsus die Kontinuität des Christenstandes. Darunter versteht er, sowohl das sittliche Leben, das für ihn insbesondere durch die Nächstenliebe bestimmt wird, als auch das asketische Leben, das der Christ in Armut und Demut leben soll. Er betont die kontinuierliche Besinnung auf die Gebote Gottes. Häufiges Sündigen und immer wieder erneuerte Buße lehnt er dagegen ab. Er weicht damit auch von Luthers »simul justus et peccator« ab. Während Luther argumentiert, dass sich der Christ im Werden zur Vollkommenheit dem Handeln Gottes hingeben soll, betont Paracelsus, dass durch den sittlichen Lebenswandel „bestendigkeit“ vor Gott bewiesen werden muss. Dabei sieht Paracelsus den Christen immer der Verführung ausgesetzt. Wie Luther versteht er diese als einen Beweis für ein lebendiges Christensein. Zwar unterscheidet er zwischen der Erprobung durch Gott und der Verführung durch den Teufel, schenkt der Verführung durch den Teufel aber mehr Aufmerksamkeit, indem er anders als Luther nicht streng zwischen der Versuchung des Fleisches durch die Welt und durch den Teufel unterscheidet. Die Verführung durch den Teufel sieht er in der Gestalt der geistlichen und weltlichen Obrigkeit verwirklicht. Hier zeigen sich sein Antiklerikalismus und seine Ablehnung von äußerlicher Obrigkeit sehr deutlich. Verführung geschieht für ihn durch gewaltsame Unterdrückung und durch die Pervertierung der Heiligen Schrift, die er anhand anderer Aspekte als Luther aufzeigt. Der Laientheologe betrachtet den irdischen Leib, der die Aufgaben Gottes erfüllen und die Seele beschützen soll als die Ursache der Verführung, weil er die Seele durch das Brechen der Gebote Gottes verführen kann. Die 166 Gefahr, die von der Verführung ausgeht, sieht Paracelsus darin, dass das Heilswerk Christi verloren gehen kann. Die Bewahrung der Erlösung hängt somit vom sittlichen Leben ab. Daher verlagert Paracelsus die Verführung stark auf die leibliche Seite. Der Kampf gegen die Verführer wird somit als ein Kampf zwischen dem Fleisch im Sinne des Leibes des Christen und dem Fleisch im Sinne der Verleiblichung des Teufels, die in der Gestalt der geistlichen und weltlichen Obrigkeit erscheint, dargestellt. Bei seinem Verständnis von Versuchung und Verführung spielt daher auch seine dualistische Anthropologie eine große Rolle. Es ist auffallend, dass er in diesem Kontext sein Konzept vom ewigen Leib nicht erwähnt. Die Überwindung der Versuchung ist für Paracelsus wichtiger als es bei anderen Reformatoren den Anschein hat. Das Wort Gottes ist dabei eine Waffe gegen die Verführung. Jedoch versteht er unter der Überwindung der Verführung, anders als Luther, das Einhalten der Gebote Gottes. In dem Sinne, dass für Paracelsus sittliche Aspekte in der Überwindung der Verführung im Vordergrund stehen, steht er Martin Bucer näher und argumentiert konträr zu Luther. Die paracelsische Methodik der Überwindung der Versuchung beinhaltet anscheinend einen Widerspruch, weil Paracelsus einerseits Geduld andererseits Kampf fordert. Paracelsus erklärt nicht klar, wie lange man Geduld für die Unterdrückung haben soll und wann ein Kampf geführt werden soll. Da für ihn die Verführung durch den Teufel in der Gestalt der geistlichen und weltlichen Obrigkeit erscheint, wird dieser Kampf auch als ein leiblicher gedacht. Aufgrund seiner dualistischen Anthropologie fordert Paracelsus, den Leib für den Schutz der Seele vor der ewigen Verdammnis zu opfern. An dieser Stelle unterscheidet sich das paracelsische Verständnis vom Martyrium von dem der Taufgesinnten, die das Martyrium in der Bewährungsprobe als einen freiwilligen Entschluß des Gläubigen, sich selbst Gott darzubringen, verstehen. Zwar sehen sowohl Paracelsus als auch Luther in der »imitatio Christi« die Methodik zur Überwindung der Versuchung. Während aber Luther darunter unter Berufung auf Mat 4,1–11 versteht, dass mit dem Wort Gottes der Teufel vertrieben wird, versteht Paracelsus unter der »imitatio Christi« den Tod Christi am Kreuz und schließt daraus auf einen Kampf gegen die (menschlichen) Verführer auf Kosten des Leibes als eines Opfers. Auch dieser Auffassung liegt erneut seine dualistische Anthropologie zugrunde. 167 4. Das Gott-Mensch-Verhältnis 4.1 Die Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch 4.1.1 Die Unmittelbarkeit des Gott-Mensch-Verhältnisses anhand von Ps 79 (80), Ps 87 (88), Ps 98 (99), Ps 115 (116b) und Ps 118 (119) Wie bereits mehrmals erwähnt, betont Paracelsus im Psalmenkommentar die Unmittelbarkeit des Gott-Mensch-Verhältnisses, was Anklänge mystischer Traditionen erkennen lässt. Wiederholt beschreibt er sie mit dem Ausdruck „ohn mittel“. Diese Unmittelbarkeit zeichnet für Paracelsus die Zeit des Neuen Testaments aus, unter der er den Zeitabschnitt von Christus bis zu seiner Gegenwart versteht. Während in der Zeit des Alten Testaments auf vermittelnde Verkünder zurückgegriffen werden musste, bedürfe man dieser in der Zeit des Neuen Testaments nicht mehr, da jeder Christ ein persönliches Verhältnis zu Christus habe: „Im neuen testament haben wirs nit, wir haben Christum personlich; ist mehr als daß got im gewulk ist kummen zu ihnen u. ‚sie ruften got an’, er kam zu ihnen; also wir auch, so kompt zu uns Christus. [...] dann wir haben nimer priester, wir durfen ir auch nit. so dorfen wir auch keiner vision; dann wir haben Christum mit scheinigen augen und mit unsern oren gehort und gesehen.“604 Die Ursache für diese starke Betonung der Unmittelbarkeit liegt in ihrer großen Bedeutsamkeit für das Ziel der paracelsischen Theologie: dem ewigen Leben. Die paracelsische Auffassung von der Unmittelbarkeit des Gott-Mensch-Verhältnisses beruht wiederum auf seiner Soteriologie und seinem Antiklerikalismus. „[W]as aus dem mittlen geschicht, ist nit dem glauben gemeß, der in Christum dient, sunder er ist dem glauben gemeß, das in das mittel glaubt. nun glauben in das mittel ist ein abtgotterei, glauben in got ohn das mittel, das ist der glaub Christi. darinnen ligt nun ein erkanntnus: was geschicht ohn alle mittel, das geschicht durch got selbs; was durch mittel geschicht, das seindt [396a] falsch zeichen in den dingen, so über die natur seindt, als geist und deufel, engel u. dann zu gleicherweis wie irs wissen, daß Christus am kreuz ohn mittel gehangen ist und gestorben, on mittel uns erlost, – also in allen dingen.“605 Für Paracelsus ist nur das göttlich, was ohne Vermittlung von geschaffenen Zwischenwesen durch Gott selbst geschieht. Darum musste die Erlösung durch Gott selbst am Kreuz erfüllt werden. Sowohl die Erlösung als auch die Sündenvergebung und das ewige Leben werden allein durch den Glauben an den Tod Christi am Kreuz, 604 605 Zu Ps 98 (99), 6b/7a, PW 2/IV, S. 306. Zu Ps 118 (119), 129, PW 2/VI, S. 103. 168 nämlich »sola fide«, erlangt.606 Darum muss der Glaube an Gott von anderen Mitteln frei sein. Für Paracelsus ist der Glaube an Zwischeninstanzen und Hilfsmitteln gleichbedeutend mit Glaubensabfall und Götzendienst. Bei der Erlösung geht es daher einzig und allein um den Glauben an das Wirken Gottes. Darin sieht Paracelsus den Grund für die Inkarnation Christi: Christus will den Menschen selbst ohne irgendwelche Vermittler erhöhen und kam daher auf die Erde.607 An dieser Stelle berührt Paracelsus die Auffassung des Anselm von Canterbury, der die Notwendigkeit der Inkarnation als einzige Möglichkeit zur Rettung der Welt durch Gott betont. Nach Paracelsus ist der Mensch ständig der Verführung durch den irdischen Teufel und durch falsche Propheten ausgesetzt. Sie versuchen ihn durch ihre falschen Lehren von Gott abzubringen und in die ewige Verdammnis zu locken. Dadurch können Christen das Heilswerk Christi, die Erlösung, wieder verlieren. Die Gegenwart Gottes im Menschen behütet nun vor solcher Verführung und befreit den Menschen von ihr.608 Nur Gottes Hilfe macht selig. Es bedarf daher keines Vermittlers. 609 Hier, in der Betonung des unmittelbaren Gottesverhältnisses, zeigt sich der paracelsische Antiklerikalismus am deutlichsten, denn der Papst und seine Geistlichen erscheinen nur als Hindernis zum ewigen Leben und als Verführer zur ewigen Verdammnis.610 Die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses ähnelt der theologischen Auffassung Caspar von Schwenckfelds. Auch er versteht seine ganzen Bemühungen als Hinweise auf Christus und als einen Kampf gegen die »Mittel«611 und auch er gelangt ebenfalls in den Jahren um 1530, in der Zeit des Verfassens des Psalmenkommentars, zu ähnlichen Auffassungen wie Paracelsus. Wer die Menschen nicht direkt auf Christus hinweist, ist für Schwenckfeld ein Antichrist und falscher Prophet. Mit dieser Aussage übt er Kritik am Papst und an Luther.612 Anders als bei Paracelsus steht bei Schwenckfeld allerdings die wahre Erkenntnis im Mittelpunkt. Diese Erkenntnis, unter der er die Erkenntnis Christi, d.h. das Leiden und die Herrlichkeit Christi, versteht, ist unmittelbar von Gott 606 607 608 609 610 611 612 Zu Ps 115 (116b), 10, PW 2/V, S. 211. Zu Ps 87 (88), 17, PW 2/IV, S. 179. Zu Ps 79 (80), 20, PW 2/IV, S. 108. Zu Ps 118 (119), 113, PW 2/VI, S. 90. Vgl. zu Ps 93 (94), 21, PW 2/IV, S. 268–269. Vgl. Maron, Individualismus, S. 83. Vgl. ders., S. 103–104. 169 gegeben. Darum lehnt Schwenckfeld die Auffassung ab, dass die Gnade Gottes durch die Sakramente oder durch das Wort der Predigt vermittelt wird. Aus diesem Grund verurteilt Schwenckfeld die römische Kirche, die Reformatoren und die Täufer. Nach Schwenckfeld aktualisiert sich die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses erst nach der Bekehrung des Menschen,613 während bei Paracelsus das unmittelbare Gottesverhältnis schon von Gott her in der Inkarnation begonnen hat. Obwohl beide die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses betonen, lassen sich daher dennoch wesentliche Unterschiede verzeichnen. Das paracelsische Gott-Mensch-Verhältnis besitzt somit spiritualistische Anteile. Die Betonung des »sola fide«, »sola gratia« und »solus Christus« ist dabei aber reformatorisch: Paracelsus betont die Erlösung des Menschen durch Gott, das Erlösungswerk Christi am Kreuz und das Heil durch den Glauben an Christus. Der Charakter seines Spiritualismus ergibt sich aber dadurch, dass Paracelsus in Bezug auf die Erlösung und Gotteserkenntnis die unmittelbare Beziehung zu Gott durch den Heiligen Geist betont und eine äußere Vermittlung durch die äußere institutionelle Kirche und Lehrer ausschließt. Das unmittelbare Gottesverhältnis bewirkt somit die Erleuchtung durch Gott im Herzen des Menschen als die wahre Stätte Gottes. 4.1.2 Die Erleuchtung durch Gott anhand von Ps 75 (76), Ps 78 (79), Ps 80 (81), Ps 103 (104), Ps 106 (107), Ps 114 (116a), Ps 126 (127), Ps 130 (131) und Ps 146 (147a) Die Erleuchtung durch Gott geschieht durch den Heiligen Geist, den Paracelsus mit dem Licht Gottes und der Weisheit Gottes gleichsetzt. Die paracelsische Auffassung von der Erleuchtung durch Gott ist nur vor dem Hintergrund seines Antiklerikalismus zu verstehen. Nach Paracelsus ist das Wort Gottes verborgen, da der Teufel die Kirche so beeinflussen konnte, dass der irdische Teufel und seine Geistlichen das Wort Gottes pervertierten und dessen richtigen Sinn verborgen haben. Deshalb konnte niemand nach dem Wort Gottes handeln. 613 Ders., S. 44. 170 „[W]as ist das [= die Sendung des Heiligen Geistes und das Lehren] anderst, dann das wort zu erkleren? der ist der, der uns erret vor dem verderbe, so wir aus deuflischer einfuerung mochten erlangen. darumb so bitten wir den heiligen geist, daß er uns lern und das wort erler, und nit dem pfaffen, predigern; den heiligen geist, der wird uns lernen, der ist uns von Christo zugeben, nit der pfaff, nit der munch, wölche nit mit feuren zungen reden, sunder mit kuchin zungen, phariserischen und schreiber -, rethorischen und klefferischen.“614 In diesem Zusammenhang kritisiert Paracelsus die Schultheologie und die Schultheologen, da der Teufel durch Buchstaben, d.h. durch die menschliche Lehre und Schrift, verführt. Daher argumentiert er, dass man die Bibel mit dem Geist Gottes kennenlernen soll,615 da der Heilige Geist das Wort Gottes unmittelbar in jedem Herzen des Christen erleuchtet und damit die rechte Lehre sicherstellt.616 Diese Erleuchtung hat nun zwei Auswirkungen: Der Heilige Geist sorgt einerseits dafür, dass der Gläubige das Wort Gottes, seinen Willen und seine Taten richtig verstehen kann. Er lässt dabei sowohl die Schöpfungsordnung, indem er das Licht der Natur im Menschen entzündet, als auch die Sünde erkennen.617 Der Mensch kann ohne den Heiligen Geist weder etwas Gutes tun noch etwas, was Gott gefällt, weil er ohne ihn nicht erkennen kann, was gut ist.618 Darum ist die Erleuchtung durch Gott ein Grund für die Unterscheidungskraft des Menschen zwischen Gut und Böse. Der Christ muss deshalb zuerst auf den Heiligen Geist und seine Erleuchtung warten.619 Anderseits versetzt der Heilige Geist den Christen in die Lage, das Wort Gottes zu halten, unter dem Paracelsus die Gebote Gottes versteht. Der Heilige Geist scheint für Paracelsus immer mit der Kraft eines sittlichen Lebenswandels verbunden zu sein. Darum bewirkt er, dass der Christ zu einer Doppelheit neu geschaffen wird, d.i. eine ontologische Neuschaffung des ewigen Leibes im alten Leib und eine sittliche Neuschaffung durch einen christlichen Lebenswandel. Menschliche Lehre oder Lehrer besitzen eine solche Kraft nicht. Darum ist der Heilige Geist als die Weisheit Gottes eine lebendige Kraft. Er ist nicht fixierbar und kann auch nicht geerbt werden. Die niedergeschriebene Weisheit Gottes ist für Paracelsus nur ein Buchstabe, der nicht die 614 615 616 617 618 619 Zu Ps 106 (107), 20, PW 2/V, S. 65. Zu Ps 114 (116a), 3b–4a, PW 2/V, S. 201. Paracelsus spricht meistens von der Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Im Kommentar zu Ps 103 (104), 16/17a–17b/18 jedoch spricht er von der Erleuchtung durch Engel. Vgl. zu Ps 78 (79), 8, PW 2/IV, S. 89; zu Ps 146 (147a), 8b–11, PW 2/VII, S. 93–96. Zu Ps 75 (76), 7, PW 2/IV, S. 6. Zu Ps 80 (81), 11–13, PW 2/IV, S. 114–116; zu Ps 126 (127), 2a, PW 2/VI, S. 181–182. 171 Kraft besitzt, den Willen Gottes auf der Erde zu verwirklichen.620 Der Heilige Geist ist dagegen immer eine lebendige und persönliche Beziehung zu Gott. Ohne dieses Verhältnis bleibt sogar das Wort Gottes, das in der Bibel geschrieben ist, nur Buchstabe, der für Paracelsus der historischen und sachlichen Erkenntnis gleich gestellt ist. In diesem Verständnis von Buchstabe und Geist und in der Auffassung über die unmittelbare Belehrung der Christen durch Gott steht Paracelsus Müntzer nahe. Bei Paracelsus und Müntzer ist der Antiklerikalimus die Begründung für die unmittelbare Belehrung durch den Heiligen Geist. Müntzer behauptet, dass die Kirche von den Mönchen und Priestern verführt worden sei und sie dem Volk den Weg zu dem wahren Glauben vorenthalten hätten.621 Anschließend argumentiert er, dass sowohl aller rechter Klerus als auch die Laien die Offenbarung Gottes und den Heiligen Geist haben sollten, um den wahren lebendigen Glauben, der bei Müntzer der subjektiv erfahrene Glaube und das mit dem leidenden Christus gleichförmige Leben bedeutet, zu erlangen.622 Im Vergleich dazu, dass Müntzer zu seiner Auffassung durch eine pneumatologischen Begründung der frühreformatorischen Losung von »Priesterum aller Gläubigen« gelangt, 623 zeigt sich eine solche reformatorische Begründung bei Paracelsus nicht deutlich. Zwischen den Auffasungen von Paracelsus und Müntzer gibt es einen großen Unterschied: Während Paracelsus sich auf den eigenen sittlichen Lebenswandel des Einzelnen konzentriert, ruft die Belehrung durch den Geist Gottes bei Müntzer sowohl den inneren Heilsvorgang des Einzelnen als auch die äußerliche Weltveränderung hervor. Dennoch könnte ein Hinweis auf die Beziehung zwischen beiden Theologen sein, dass Paracelsus in seinem Psalmenkommentar anscheinend einige Begriffe Müntzers, z.B. »der Buchstabe«, »mit feuren zungen«, »sußred«, benutzt. 620 621 622 623 Zu Ps 130 (131), 3, PW 2/VI, S. 208–209. Vgl. Goertz, Thomas Müntzer, S. 87–88; Benrath, Die Lehre, S. 570. Vgl. Goertz, Thomas Müntzer, S. 88–91. Müntzer propagierte in Zwickau, dass geistbegabte Laien Prälaten und Pfarrer werden sollten: Vgl. Goertz, Thomas Müntzer, S. 88. Paracelsus hingegen spricht vom alleinigen Priestertum Christi im Neuen Testament: Zu Ps 113b (115), S. 10–13, PW 2/V, S. 189–192. 172 4.1.3 Das Herz des Menschen als die Kirche Gottes anhand von Ps 78 (79), Ps 90 (91), Ps 108 (109) und Ps 123 (124) Der Grund für die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses und die Erleuchtung durch den Heiligen Geist ist die paracelsische Überzeugung, dass Gott nicht mehr an einem äußeren Ort wohnt, sondern im Menschen. Nach Paracelsus wohnte Gott im Alten Testament zwar im äußeren Tempel, verblieb aber im Neuen Testament nicht mehr an diesem Ort, sondern wohnt seither im Herzen des Christen:624 „[I]etz mag Christus in disem tempel nit eußerlich menschliche art besitzen, sunder gotliche art in seim tempel, das ist in allen herzen zu sein, als er in Jerusalem gewesen ist. nun auf solchs teilen sich beid testament, das alt und das neu, das alte ist eußerlich und ist die zerstorung Jerusalem, darbei die zerstorung des leibs Christi auch angezeigt ist, das ist zwo zerstorung, Christi und Jerusalem. ist, daß weiter got kein eußerliche statt mehr besitzt.“625 Der wahre Tempel Christi ist innerlich. Er kann somit nicht der äußerlichen institutionellen »Mauerkirche« gleichgesetzt werden.626 Darum spricht Paracelsus von zwei Arten des Menschen: Eine, die Christus in sich trägt, und die andere, die Christus nicht in sich trägt. 627 Diese Unterscheidung bewirkt eine Verinnerlichung und eine Individualisierung des Glaubens. Hier werden alle äußerlichen kirchlichen Zeremonien und äußerliche Kulte abgelehnt. Alles religiöse Handeln soll im Menschen geschehen. Paracelsus scheint an dieser Stelle aber widersprüchlich zu argumentieren, denn er lehnt nicht ab, dass die Taufe und das Abendmahl als die äußerliche Gestalt in der Kirche gefeiert werden. Während er alle kirchlichen Zeremonien und andere Sakramente kritisiert, behält er wie Luther die Taufe und das Abendmahl als Sakramente bei628 und 624 625 626 627 628 Paracelsus unterscheidet nicht streng zwischen den Begriffen »Kirche« und »Tempel«. Meistens benutzt er den Begriff »Kirche« als die institutionelle römische Kirche oder als die Gemeinschaft der Erwählten. Den Begriff »Tempel« verwendet er dagegen als äußeres Gebäude oder als das Herz des Menschen. Im Vergleich dazu benutzt er die Begriffe »Stall Gottes« oder »Herde Gottes« im Sinne der Gemeinschaft der Erwählten, die als einzige Gemeinschaft der Christen auf der Erde gilt; eine Ausnahme bildet der Kommentar zu Ps 115 (116b), 18–19, in dem Paracelsus den Begriff »Stall« sowohl für die Kirche als auch für diese Gemeinschaft benutzt. Hier kann man feststellen, dass es eine Berührung zwischen Paracelsus und der Taufbewegung gibt. Eigentlich werden zwei Auffassungen über die Kirche im Psalmenkommentar beschrieben: Die eine ist spiritualistisch konzipiert, dass die Kirche in jedem Christen ist. Die andere ist die von den Taufgesinnten beeinflusste, dass die Kirche eine Gemeinschaft des Gläubigen ist. Zu Ps 78 (79), 1, PW 2/IV, S. 83. Zu Ps 108 (109), 8, PW 2/V, S. 96. Zu Ps 123 (124), 2b–3a, PW 2/VI, S. 163. Paracelsus kritisiert oft den Totenkult (zu Ps 111 (112), 7a, PW 2/V, S. 161), die Privatbeichte der römischen Kirche (zu Ps 114 (116a), 1–2, PW 2/V, S. 196–199), das Klosterwesen (zu Ps 105 (106), 35/36, PW 2/V, S. 45–46), die im katholischen Kult übliche Bekleidung von Heiligenstatuten (zu Ps 173 betont gleichzeitig ihre innerliche Seite, die in der unmittelbaren Beziehung zu Gott steht. Jeder soll seine eigene Kirche in sich tragen, denn niemand kann die Kirche des anderen tragen. Paracelsus unterscheidet zwischen der Kirche Gottes und der des Menschen.629 Die Kirche Gottes wird von Gott auf dem Glauben und auf der Liebe zu Christus im Herzen gebaut. Dagegen baut der Mensch seine Kirche durch seine eigene Weisheit. Diese Kirche gilt für Paracelsus als Abgötterei. Schließlich warnt Paracelsus vor den neuen Ketzern, die den innerlichen Tempel der Christenherzen zerstören und veräußerlichen wollen. Größter Vorwurf gegen seine Gegner ist, dass sie nur äußerliche Tempel errichten und dadurch Christus veräußern und nicht wirklich glauben, sondern sich mit ihren Zeremonien und Gottesdiensten nur äußerlich gläubig geben. 630 Paracelsus beruft sich dabei vermutlich auf 1. Kor 6,16, wobei er den neuen Leib mit „gottes tabernacul“ interpretiert: „Was hat der Tempel Gottes gemein mit den Götzen? Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht: ‚Ich will unter ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein.“631 „[D]arumb so ist der leib nix: so er schon geschlagen wird, noch ist gottes tabernacul nit troffen. so der mensch ermort wird, getot, noch ist der tabernacul ungedott. dem mag niemant nix tun. das ist auch ein weissagung, daß wir den corper nit sollen fur ein tabernacul halten, sunder den neuen leip, den niemants sicht, den Christus speist. derselbig ist der tabernacul. darumb seindt die doten leip nit tabernacul gots, sunder corper der erden und von der erden, in dem der ewig gelebt hat.“632 Auf diese Weise nimmt für Paracelsus der Christ schon auf der Erde die Gemeinschaft mit Gott voraus. Paracelsus leitet aus dieser Vorwegnahme seine Abendmahlslehre und Anthropologie ab. 629 630 631 632 113b (115), 8, PW 2/V, S. 188), die Albe des priesterlichen Meßornates und verschiede kirchlichen Symbole (zu Ps 117 (118), 10–14, PW 2/V, S. 236–242). Er sieht diese äußerlichen kirchlichen Zeremonien und den römisch katholischen Kult als etwas von den Heiden in die Christenheit Gekommes an. Vgl. zu Ps 138 (139), 6–7, PW 2/VII, S. 8–11. Zu Ps 78 (79), 1, PW 2/IV, S. 82–85. Zu Ps 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 235–236. Ders., S. 236. 174 4.2 Die Gelübde 4.2.1 Gründe für eine Auseinandersetzung mit den Gelübden anhand von Ps 75 (76) In Psalm 75 (76), 12 findet sich der Vers: „Tut Gelübde dem Herrn, eurem Gott, und haltet sie! Alle, die ihr um ihm her seid, bringt Geschenke dem Furchtbaren“. Wie Luther, der diesem Vers bereits in »De votis monasticis iudicium« 1521 Aufmerksamkeit gewidmet hatte, als er die Gelübde beschrieb,633 beschäftigt sich Paracelsus ebenfalls anhand dieses Psalmes mit dem Thema Gelübde. Paracelsus versteht diesen Vers in Bezug auf das richtige Verhältnis zu Gott, welches sich durch das Halten der Gelübde auszeichnet. Zudem spielen Gelübde und das Religiosentum, das auf den Mönchsgelübden beruht, zu der damaligen Zeit eine wichtige Rolle. Die Religiosen und Semireligiosen nahmen in der spätmittelalterlichen Gesellschaft einen wichtigen Platz ein und ein solches Leben galt als der bessere und sichere Weg zum Heil. Die Orden waren ein mächtiger Teil der damaligen Kirche. Sie waren sehr zahlreich, besaßen Steuerprivilegien und zum Teil großen Reichtum. Insbesondere der Predigerorden der Dominikaner vertrieb den Ablass, bekämpfte Ketzer und führte die Inquisition durch. Die mittelalterliche Lehre von den Gelübden wurde im Umfeld dieser Orden entworfen.634 Die Kirche betrachtete die Mönchsgelübde als das Mittel, mit dem eine höhere religiöse Stufe als die der weltlichen Christen erreicht werden konnte, daher waren sie ein wichtiger Streitpunkt Luthers gegenüber dem Papsttum. Aus diesem Grund hat sich wohl auch Paracelsus mit den Gelübden in seinem Kommentar auseinandergesetzt. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Gelübde in der Kirchengeschichte, besonders im Mittelalter, möchte ich die Untersuchung durch einen kurzen Exkurs zu den Gelübden kurz unterbrechen. In der alten Kirche galt die Ehelosigkeit als der bessere Weg. 635 Im 2. und 3. Jahrhundert gewann das asketische Ideal allmählich hohe Wertschätzung und der Asket 633 634 635 Luther, De votis monasticis Martini Lutheri iudicium, in: WA, Bd. 8. Weimar 1889, S. 564–669, hier S. 577. Vgl. Bernhard Lohse, Art. Gelübde V, in: TRE, Bd. 12 (1984), S. 309–311. Ignatius von Antiochia betrachtete die Übung der Enthaltsamkeit als eine besondere Verherrlichung des Fleisches des Herrn. Zum ersten Mal verlangte Marcion ein regelrechtes Gelübde: Bernhard Lohse, Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters, 175 gehörte einem höheren Stand als der weltliche Christ an. Schon Hieronymus empfahl »die Jungfräulichkeit« und begründete den besonderen Wert des Mönchtums in der Mariologie. Er war der Meinung, dass die Wirkung der Taufe durch die später begangenen Sünden des Menschen verloren ging und durch ein Opfer des Menschen wiederhergestellt werden müsste. Augustin unterschied zwischen dem Taufgelübde, das er als eine Pflicht jedes Christen betrachtete, und dem Mönchsgelübde, das er faktisch als zentraler ansah. Durch ihn wurde eine bedeutsame Veränderung des Mönchtums vorgenommen, indem er den Gedanken der Gemeinschaft in das monastische Ideal einführte. Cassian stellte den Gehorsam in das Zentrum des monastischen Ideals, um den eigenen Willen abzutöten. Der Mönch sollte die Führung und Weisung seines Oberen befolgen. Daneben betonte er noch stärker als frühere Theologen die sündlose Vollkommenheit. Im Mittelalter entwickelte sich die Vorstellung von den Mönchsgelübden in drei Phasen. Obwohl Petrus Lombardus den theologischen Ansatz Augustins übernahm, verstand er unter den Gelübden ausschließlich die Mönchsgelübde.636 Zuerst verstand Anselm von Canterbury den Mönchsstand als einen Büßerstand. Hier hatte die Buße den Charakter eines Werkes, das von der Sünde reinigt. Deswegen stellten die Gelübde in sich selbst ein »bonum«, ein gutes Werk dar. Aufgrund der Ansicht, dass die Mönchsgelübde die durch die Sünden zunichte gewordene Kraft der Taufe wiederherstellen können, wurde der Gedanke der Buße und der Demut bei Bernhard von Clairvaux zentral. 637 In der zweiten Phase wurden die Gelübde durch das sich entfaltende Kirchenrecht des 12. Jahrhunderts stärker rechtlich betrachtet. Die Frage, unter welchen Bedingungen ein geleistetes Gelübde verpflichtenden Charakter besitzt, wurde noch ernsthafter behandelt als die Bemühung darum, das Mönchtum theologisch mit der Kirche und mit der Taufe zu verbinden. Die Vorstellung der Mönchsgelübde entwickelte sich in einer dritten Phase weiter, in der Thomas von Aquin sehr stark die Vollkommenheit in das Zentrum des monastischen Ideals stellte. Dadurch nahm er die Tradtion der älteren Mönchstheologen wieder auf. Er behauptete einerseits, dass die 636 637 (Forschungen zur Kirchen– und Dogmengeschichte, Bd. 12). Göttingen 1963, S. 20–23; vgl. Karl Suso Frank, Art. Gelübde IV, in: TRE, Bd. 12 (1984), S.305–309, hier S. 306. Vgl. ders., S. 373. Vgl. Lohse, Mönchtum, S. 124, 126–130. 176 Vollkommenheit das allen Christen gesetzte Ziel sei. Nur der Weg zur Vollkommenheit sei verschieden.638 Andererseits maß Thomas dem Mönchtum einen Eigenwert bei. Der Mönch werde durch sein Gelübde gewissermaßen auf eine neue Seinsstufe erhoben und seine guten Werke und Sünden seien nicht mehr denen der Weltchristen gleich zu setzen. 639 Thomas hielt weiterhin daran fest, dass das Mönchtum eine zweite Taufe sei.640 Allerdings gab er zu, dass durch das Mönchsgelübde nur die »poena (Strafe)«, die bei der Absolution auferlegt wird, erlassen werde. 641 Im Spätmittelalter wurden einerseits die Gedanken, die in der Scholastik neu formuliert worden waren, tradiert, andererseits wurden sie in unterschiedlicher Weise weiter entwickelt. Dabei betonte man öfter einseitig den Aspekt des Straferlasses.642 4.2.2 Die Bedeutung der Gelübde anhand von Ps 75 (76), Ps 117 (118), Ps 138 (132) und Ps 143 (144) Im Psalmenkommentar 643 versteht Paracelsus unter »Gelübde« nicht ein religiöses Gelöbnis in dem Sinne, dass es gegenüber Gott abgelegt wird, um Not zu vermeiden oder sich Wünsche zu erfüllen. Er versteht Gelübde mehr als eine Verpflichtung oder eine Aufgabe, die Gott dem Christen in der Taufe gibt.644 In diesem Sinne berührt seine Auffassung über Gelübde die Auffassung Augustins über die Taufgelübde. Für Augustin sind die Taufgelübde jene, die jeder Christ leisten muss und durch die er sich zum Glauben und zur Hoffnung sowie zur Beobachtung der Gebote verpflichtet.645 Jedoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Augustin und Paracelsus: Während Augustin jeden Christen als ein Subjekt der Gelübde anerkennt, spricht Paracelsus Gott den Subjektcharakter zu. In diesem Zusammenhang kann die Aussage des Paracelsus von dem Gelübde »im mutter leib« erklärt werden: „[D]er [Gott] verleicht uns empter 638 Vgl. ders., S. 153. Vgl. ders., S. 154. 640 Vgl. ders., S. 157. 641 Ebd. 642 Vgl. ders., S. 170–171. 643 Zu Ps 75 (76), 8, PW 2/IV, S. 8. 644 In diesem Zusammenhang lehnt Paracelsus grundsätzlich die Gelübde Gott gegenüber ab, wie in seiner Schrift »De votis alienis« deutlich wird: PW 1/XIV, S. 278. Jedoch hat er nun ein zwiespältiges Verhältnis zu den Gelübden, weil er in »Von denen, die aus dem Kloster laufen« positiv von ihnen spricht. 645 Augustin unterscheidet zwischen Taufgelübden und Mönchsgelübden: Während alle Christen die Taufgelübde gemeinsam ablegen sollen, ist das Mönchsgelübde bei ihm ein besonderes Gelübde von Einzelnen. Allerdings gewinnen die Mönchsgelübde bei ihm das Übergewicht über die Taufgelübde: Vgl. Lohse, Mönchtum, S. 69–72, 371. 639 177 und nimpt uns mit denen in gelupt. das globen wir in mutter leib, im douf, so wir uns selbs nit kennen.“646 An dieser Stelle betont Paracelsus die Gnade Gottes bei der Taufe, die von Gott gegeben wird. Das Täufertum hingegen betont die Seite des Gläubigen, der Gott gegenüber seinen Glauben bezeugen soll. Wer sich taufen lassen will, soll zuerst vor der Gemeinde sein eigenes Bekenntnis ablegen. Darum lehnt das Täufertum die Kindertaufe ab. Diese scheint bei Paracelsus kein Problem zu sein, da die Taufgelübde bei ihm auf der Barmherzigkeit Gottes beruhen: Die Initiative gegenüber den Täuflingen liegt bei Gott und er beruft diese einseitig. Da der Mensch das Gelübde von Gott erhält, soll er durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes den Sinn der Gelübde verstehen. Die Gelübde, die in der Kindertaufe gelobt werden, bleiben somit nicht ein Leben lang verborgen. In dieser Hinsicht scheinen für Paracelsus die Inhalte der Gelübde dem Wort Gottes gleich zu sein, dem ein Christ folgen soll: „[D]er heilig geist ist uns geschickt von oben herab, uns zu erleuchten. Warumb do? Daß wir erkanntnus des ewigen worts haben! Darumb seindt wir der glubdnus schuldig statt und folge zu tun.“647 Die Gelübde gelten bei Paracelsus für alle Christen, weil sie ein Zeichen für das Christsein sind und auf der Berufung durch Gott gründen. Sie werden als eine Pflicht verstanden, die jeder Christ zu erfüllen hat. Mönchsgelübde jedoch gelten nur für bestimmte Personen. Luther betont hier die Freiwilligkeit. Obwohl auch Paracelsus zwischen dem Taufgelübde und dem Mönchsgelübde unterscheidet und grundsätzlich die Taufgelübde als das Entscheidende ansieht, betrachtet er Gelübde potentiell als etwas, das Gott jedem Christen verleiht. In der Vorstellung des Paracelsus hat Gott jeden Christen gerufen, damit er sein Gelübde ablegt und einhält. Hier verbindet Paracelsus sein Verständnis von Gelübden mit seiner Prädestinationslehre: Gott habe allen Dingen sein Maß gesetzt, und auch den Menschen einen Auftrag gegeben, den sie auf der Erde erfüllen sollen. 648 Darum endet ein 646 647 648 Zu Ps 75 (76), 5/6a, PW 2/IV, S. 4. Ebd. Zu Ps 103 (104), 10, PW 2/V, S. 6; zu Ps 138 (139), 16a, PW 2/VII, S. 17–18. 178 Menschenleben erst, wenn der Mensch diesen Auftrag Gottes auf Erden erfüllt hat.649 Jedoch ist diese Prädestination von der Calvins zu unterscheiden. Sie ist ein von Gott für jeden Menschen individuell festgelegter Lebensweg. Sie bezieht sich nicht auf das Heil, sondern auf die Aufgabe des Menschen auf der Erde. Die von Paracelsus angeführten Gelübde besitzen keinen verdienstlichen Charakter wie beim Mönchtum. Im Gegensatz zu den monastischen Gelübden sind sie kein Weg zu einer höheren religiösen Stufe und gelten nicht als ein Verdienst oder als Werkgerechtigkeit.650 Sie sind zwar verschieden, aber bei ihnen ist keine Stufenleiter vorhanden. Eine höhere religiöse Stufe, die nur bestimmte Menschen erreichen können, gibt es laut Paracelsus nicht. Seiner Meinung nach ist das Verständnis des Gelübdes als Verdienst eine Folge der Missachtung des Willens Gottes. Wenn die Menschen den Willen Gottes missachten, legen sie Gelübde nach eigenen Gutdünken ab und werten deren Erfüllung als eigenen Verdienst.651 Deswegen kritisiert er, dass das Einhalten der Gelübde als eigene Frömmigkeit angesehen wird. Dadurch sieht er die Gefahr der Verneinung der Barmherzigkeit Gottes. Die Gelübde sind für ihn lediglich eine selbstverständliche Verpflichtung, das zu halten, was Gott befiehlt. Weil sie auf der Berufung Gottes beruhen, können sie nicht als eigener Verdienst angerechnet werden. Die Gelübde müssen vielmehr durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes verstanden werden.652 „[D]ann aus barmherzigkeit hat er uns die gelubt verwilligt und geben. und so wirs zu unserm bracht [= Pracht] fueren und brauchen, so wird es alles zerrissen werden.“653 Aber auch Paracelsus sieht die Möglichkeit, dass das Taufgelübde gebrochen werden kann. 654 Seiner Meinung nach soll dieses wiederherstellt werden, falls es gebrochen wurde. Es darf weder durch andere Gelübde ersetzt noch durch andere ergänzt werden, 649 650 651 652 653 654 Zu Ps 117 (118), 17, PW 2/VI, S. 244–246. Vgl. zu Ps 75 (76), 4, PW 2/IV, S. 3. Vgl. zu Ps 75 (76), 5/6a, PW 2/IV, S. 4. Ebd. Vgl. zu Ps 75 (76), 4, PW 2/IV, S. 3. In diesem Sinne mahnt Paracelsus an anderen Stellen seines Kommentars, dass die Christen bis zum Tod das bewahren sollen, was Gott ihnen gegeben hat, d.h. die Erlösung Christi: Zu Ps 117 (118), 1, PW 2/V, S. 230, und dass der Teufel zerstören kann, was Christus den Gläubigen getan hat, d.h. der Teufel kann die Gläubigen wieder zur Verdammnis führen: Zu Ps 146 (147a), 2, PW 2/VII, S. 90–91. 179 da es ein Zeichen dafür ist, dass ein Mensch ein Christ ist und es ein auf die Berufung Gottes basierendes Gelübde ist. „[W]ie do der douf verbindt uns mit einem gelubt zu Christo. das sollen wir halten. und ist ein solch gelubt, dass wir christen seindt und werden.“ 655 Das Taufgelübde als das Zeichen der Verbindung mit Christus kann nicht durch das andere ersetzt werden. Es muss bis zum Tod gehalten werden. Dieser Gedanke ähnelt stark Luthers Vorstellung, dass das Taufgelübde das Entscheidende sei und ein Leben lang bis zum Tod gehalten werden solle.656 Auch Luthers Vorstellung, dass man keine neuen Gelübde brauche, sondern besser das Taufgelübde selbst wiederherstellen solle, wenn man es gebrochen hat, lässt sich bei Paracelsus finden. Es ist diese Gleichwertigkeit der Gelübde und die Rückführung auf das Taufgelübde, die Luther und Paracelsus von der mittelalterlichen Auffassung trennen.657 4.2.3 Die gerechten und die ungerechten Gelübde anhand von Ps 75 (76) und Ps 138 (139) Für Paracelsus gibt es allerdings einen Unterschied zwischen gerechten und ungerechten Gelübden. Die Richtschnur seiner Unterscheidung bildet die Beziehung zu Gott. Wie oben angeführt wird ein Mensch Christ durch die auf der Barmherzigkeit Gottes beruhende Berufung. Sinn, Inhalt und Deutung der Gelübde kommen nicht vom Menschen, sondern von Gott.658 Die Menschen wissen nicht, wozu Gott diese Gelübde gebraucht und was er mit ihnen bewirken will. 659 Die Erleuchtung, durch die der Mensch den Grund für seine Gelübde verstehen kann, gibt Gott. Deswegen können sowohl die Gelübde selbst als auch ihr Inhalt und ihre Deutung Gott zugeschrieben werden. Aufgrund dessen sind die Menschen Gottes Knechte und sollen ihre Gelübde halten.660 In diesem Zusammenhang lehnt Paracelsus Gelübde gegenüber einem Menschen als ungerechte Gelübde ab. Als Knechte Gottes kennen sie dessen Willen nicht. Alle Gelübde und Eide gehören Gott, deshalb soll jeder Mensch nur Gott gegenüber Gelübde 655 656 657 658 659 660 Zu Ps 75 (76), 5/6a, PW 2/IV, S. 4. Lohse, Mönchtum, S. 249–254. Vgl. Lohse, Mönchtum, S. 370–371. Vgl. zu Ps 75 (76), 5/6a, PW 2/IV, S. 4. Vgl. ders., S. 5. Vgl. ders., S. 4. 180 ablegen und halten. Bei Augustin gewann der Gedanke der Gemeinschaft im monastischen Ideal eine fundamentale Bedeutung. Seitdem wurde auch der Gehorsam zu einem wichtigen Wert im monastischen Ideal. Nach der Benediktregel ist Gott selbst der Adressat der Gelübde. 661 Aber faktisch gilt das nicht immer. Bei Cassian sind der Gegenstand des Gehorsams in Wirklichkeit die Vorgesetzten.662 Daher verwarf Luther den Gehorsam des Mönchtums zu seiner Zeit. In »De votis monasticis iudicium« lautet sein grundsätzlicher Vorwurf, dass die Mönche faktisch die Ordensväter über Christus gestellt hätten, indem sie Gehorsam gegen ihre Ordensoberen fordern. Dadurch könnten sie Gott nicht den gebührenden Gehorsam leisten und würden zudem die Nächstenliebe missachten.663 Paracelsus selbst lehnt den Gehorsam gegenüber einem Menschen ab, da er annimmt, dass derjenige, der ein Gelübde eingehen will, sein eigener Herr sein möchte. In dieser Konsequenz verweigert er sogar das Gelöbnis gegenüber den Obrigkeiten. Denn in seinem Verständnis sind sowohl die weltliche Obrigkeit als auch die geistlichen Führer Knechte Gottes. Gelübde gegenüber der Gewalt der irdischen Obrigkeiten, nicht zuletzt gegenüber Kaiser oder Papst, sind ohnehin gegen Gott.664 Die Obrigkeiten sind auch deshalb gegen Gott, weil im Grunde nur Gott alle Urteile sprechen dürfe.665 Sie sollen daher nur ihre Gelübde, die Gott ihnen auferlegt hat, halten. 4.2.4 Die Tugend der Gelübde anhand von Ps 75 (76) und Ps 115 (116b) Im Zusammenhang mit den Mönchsgelübden im Allgemeinen befasst sich Paracelsus im Psalmenkommentar auch mit den Mönchsgelübden im Einzelnen, d.h. mit Keuschheit, Armut und Gehorsam und mit dem Martyrium. Paracelsus übernimmt zwar die Inhalte der mittelalterlichen Mönchsgelübde, modifiziert aber deren Bedeutungsgehalt und Gegenstand: Unter Gehorsam versteht er, wie Luther, Gehorsam nicht gegenüber einem Vorgesetzen oder Abt, sondern gegenüber Gott, d.h. in Demut und Gottesfurcht zu leben. 666 Zur Armut sind die Christen nicht erst durch besondere Mönchsgelübde verpflichtet, sondern durch die Taufgelübde. Darum gilt für Paracelsus die Armut nicht 661 662 663 664 665 666 Vgl. Günter Lanczkowski, Art. Gelübde I, in: TRE, Bd. 12 (1984), S. 300–302, hier S. 307. Vgl. ders., S. 308. Vgl. Luther, De votis monasticis, S. 617–629; Lohse, Mönchtum, S. 368. Vgl. zu Ps 75 (76), 7, PW 2/IV, S. 6. Vgl. zu Ps 75 (76), 9, PW 2/IV, S. 8. Vgl. Luther, De votis monasticis, S. 617–629; Lohse, Mönchtum, S. 368. 181 nur für Mönche. Dahinter steckt seine Vorstellung, dass die Gläubigen, die ein Leben in der »imitatio Christi« führen, keiner irdischen Güter bedürfen.667 Hier kann auf einen Einfluss des Armutsstreites im Mittelalter, vor allem in Bezug auf die Spiritualen, die einen »usus pauper« forderten, geschlussfolgert werden. Im Vergleich zu den Spiritualen erweitert Paracelsus aber den Gegenstand des Armutsideals auf alle Christen. Gott will von Christen nicht materielle Güter erlangen, sondern ihre Liebe zu sich und ihren Nächsten. Das bedeutet, dass alle Christen dem Armutsideal verpflichtet sind. „[D]ann der mentsch kann got nichts opfern von zeitlichen gutern, er darf [= bedarf] ir nichts; er will allein, daß wir ihm opfern unser ampt mit seinem werken, das do nix anderst ist dann ein ganze lieb in got und in nechsten.“668 Deshalb verurteilt nach Paracelsus Gott die Reichen, denn diese haben zwar von Gott ihren Reichtum bekommen, benutzen ihn aber nicht nach seinem Willen. Sie gelten daher vor Gott als Schlafende. Damit meint Paracelsus diejenigen, die Gott unter die Verdammten zählt. Der Schlaf der Reichen ist damit nicht der leibliche Tod, sondern ein gebrochenes Verhältnis zu Gott. Auch Fürsten und Könige werden verurteilt, weil sie nicht nach der Weisheit Gottes, sondern nach eigener Vernunft regieren. Keuschheit ist für Paracelsus keine sexuelle Enthaltsamkeit. Paracelsus fordert, dass sowohl Jungfrauen als auch Ehefrauen und Witwen keusch sein sollen, ja sogar Kinder. Er versteht unter Keuschheit vielmehr eine innerliche Reinheit, ein richtiges Verhältnis zu Gott, da nach seiner Anthropologie die innerliche Existenz, die aus dem Glauben gestaltete Existenz, wichtiger ist als die äußerliche.669 Die äußeren Gebote betreffen für ihn nur den Leib. Den Gegenbegriff der Keuschheit bildet für ihn die „huererei“. 670 Wenn die Keuschheit als sexuelle Reinheit verstanden würde, könnte die Keuschheit nicht auf Ehefrauen und der Gegenbegriff „Hurerei“ nicht auf Kinder angewendet werden. Daher muss m.E. die Reinheit als eine geistliche Reinheit und als das Verhältnis zu Gott verstanden werden, so dass mit „Hurerei“ die schlechte und gebrochene Beziehung zu Gott bezeichnet wird. 667 668 669 670 Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 102. Zu Ps 115 (116b), 16b/17, PW 2/V, S. 221. Gause, Paracelsus (1493–1541), S. 98–99. Vgl. zu Ps 75 (76), 12, PW 2/IV, S. 11. 182 „[D]ann die kinder globen got in mutterleip keuscheit zu halten. die sollen sie halten im ersten stand bis in den andern; vom andern bis in dritten. kein stand verbindt in tod. dann die geluptnus get allein auf keuscheit: ein jungfrau ist keusch, ein ehefrau ist keusch, ein witwen ist keusch, so sie nicht eintreten in huererei. und alle drei seindt éin stand, nicht drei stend; ein ansehen vor got, nit drei ansehen vor got, ein reinigkeit, nit drei reinigkeit, die do soll aus mutterleip keusch gon bis in den ehelichen stand und keusch gon bis in witwenstand und keusch gon vom selbigen in den tod.“671 Paracelsus nennt an dieser Stelle diese Keuschheit auch die Reinheit des Standes. Mit der Reinheit des Standes meint er das innerliche aufrichtige Verhältnis zu Gott in jeder Lebensphase des Christen, d.h. die Vollkommenheit des christlichen Lebens. Darum kann sich die Vollkommenheit als das Ziel des christlichen Lebens in jedem Stand nicht verändern. Nach Paracelsus soll ein Christ die Keuschheit in jeglichem Stand bis zum Tod erhalten. Dies bedeutet, dass das Ziel jedes Christen immer die Keuschheit als die christliche Vollkommenheit ist. Hier versteht Paracelsus »Stand« nicht im Sinne seiner Zeit als „sozial und rechtlich geschlossene Gruppen, die eine durch Herkunft, gesellschaftliche Funktion, Lebensstil und häufig eigene Kultformen bestimmten Rang in der Gesellschaft einnehmen.“672 Er versteht ihn vielmehr als eine Lebensphase des Menschen oder einen Zustand, der in einer Lebensphase erscheinen kann, weil »kinder«, »jungfreu«, »ehefrau« und »witwen« die Lebensphasen einer Frau oder deren Zustände sind. An dieser Stelle ist auffallend, dass Paracelsus eine Nivellierung der Ständeordnung dadurch einbaut, dass er den Stand nicht an eine hierarchische Gesellschaftsstruktur knüpft und die Idee des hierarchischen Standes in den Lebensphasen des Menschen individualisiert. Paracelsus fordert hier nicht sozialkritisch die Abschaffung der Ständegesellschaft, sondern spiritualisiert die Idee des Standes. Auf diese Weise schließt diese Auffassung gewissermaßen an seine Ablehung der religiösen höheren Stufe an.673 An der paracelsischen Umdeutung der traditionellen Tugenden zeigen sich zwei deutliche Tendenzen: Parcelsus spiritualisiert die Tugenden der Gelübde, indem er die Keuschheit auf die innerliche Reinheit bezieht und den Gehorsam nur gegenüber Gott 671 672 673 Zu Ps 75 (76), 12, PW 2/IV, S. 11–12. Rainer Neu, Art. Stand I, in: RGG4, Bd. 7 (2004), 1680. Aber auch hier finden sich bei Paracelsus Widersprüche. Im Gegensatz zu der oben geführten Argumentation behauptet er im Kommentar zu Ps 129 (130), 4a und Ps 130 (131), 1b, dass der Mensch nur einen weltlichen Stand hat: „darbei wissen, daß sich nur éin stand befindt under den christen, das ist der weltlich stand, und sunst keiner. der geistlich stand ist erdicht wider das wort gottes, und ist der irdisch lucifer“: Zu Ps 129 (130), 4a, PW 2/VI, S. 200; zu Ps 130 (131), 1b, PW 2/VI, S. 207. 183 betont. Daneben universalisiert er sie, wenn er alle Tugenden für jeden Christen gelten lässt. Neben den traditionellen Tugenden der Gelübde spricht Paracelsus von dem Martyrium als eine Tugend in Beziehung zu den Gelübden. Demnach sollen Christen bereit sein, auf Grund der Verkündigung des Wortes Gottes mit dem Tod zu rechnen: „[D]ieweil nun David den tod herein zeucht, was ist dann unser gelubt als allein der tod. das ist zu schwern und zu verheißen, im blut Christi zu sterben? das ist unser glubtnus [310a] und verheißen, so wir vor allen menschen got zu halten schuldig seindt, domit vergelten wir.“674 Dieser Gedanke folgt aus der »imitatio Christi«. Nach Paracelsus hatte schon Christus das Gelübde als seine irdische Aufgabe angenommen und war deshalb am Kreuz gestorben. Darum sollen Christen auch bereit sein, für die Wahrheit in den Tod zu gehen.675 Wenn der Christ diese Tugenden nicht hält, bricht er die Gelübde Gottes und wird zum Gelübdebrecher. Es gibt jedoch auch andere Gelübdebrecher. Für Paracelsus sind die Gelübdebrecher auch diejenigen, die ein Gelübde nach eigenem Willen, Verstand und eigener Vernunft halten.676 Auch hier identifiziert er als Gelübdebrecher alle Könige, Fürsten und Reiche.677 Sie unterstützen sogar Gelübdebrecher, weil sie mit dem falschen Papsttum im Bunde stehen und sich ihrer Gelübde rühmen.678 4.2.5 Das Amt und die Gelübde anhand von Ps 75 (76), Ps 117 (118), Ps 138 (139) und Ps 143 (144) Paracelsus unterscheidet zwar wie andere Theologen zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Amt, 679 weitet es aber dahingehend aus, dass für ihn alle Menschen ihr eigenes Amt besitzen: „[U]nd wiewol das ist, dass wir alle in mutterleib von got empter entpfahen (dann in mutterleip seindt wir alle arm und ist einer als nackt als der anderer).“680 674 675 676 677 678 679 680 Zu Ps 115 (116b), 14/15, PW 2/V, S. 217. Ders., S. 217–220. Zu Ps 75 (76), 8, PW 2/IV, S. 8. Vgl. ders., S. 7. Vgl. zu Ps 75 (76), 13, PW 2/IV, S. 13. Vgl. zu Ps 75 (76), 6b, PW 2/IV, S. 6. Ders., S. 5. 184 Im Grunde sind für Paracelsus alle Menschen gleich. In diesem Kontext wird seine Kritik an den Reichen, den Obrigkeiten, Königen und Kaisern verständlich, weil sie ihr Amt eigennützig benutzen, um sich von den Armen bedienen zu lassen. Hier zeigt sich wiederum der Einfluss mittelalterlicher Armutsideale. Obwohl Paracelsus Kaiser und Könige kritisiert, ist er nicht gegen das Amt selbst, aber er ist kritisch gegen Amtsinhaber und Amtsführung – ähnlich wie die Taufgesinnten. Denn für ihn kommen alle Ämter von Gott 681 und gehören direkt zu ihm. Deshalb erkennt er auch kein Erbkönigtum oder Erbkaisertum an. Vielmehr ist es Gott, der jedem sein Amt verleihen muss. Hier argumentiert Paracelsus zwar traditionell, spitzt seine Auffassung aber durch die Individualisierung zu. Für Paracelsus ist die Macht, die Gott gibt, nicht ein vererbbarer Gegenstand.682 „[A]us das wissen, daß alle kunig in mutterleip geboren werden ambtweis, nit blutsweis; nit nach der geburt, sunder nach austeilung gottes. dann seín seindt die glubt und austeilung der gelubt, nit unser. also gent alle empter der kunigen und propheten, der fursten, der apostl, heiligen und richtern aus got, nit aus dem blut. dann die austeilung der stend erben sich nit.“683 Gott verleiht nicht nur ein Amt, sondern damit verbunden auch das zugehörige Gelübde. Je nachdem, wie dieses Gelübde erfüllt wird, bewertet sich die Gültigkeit des Amts. Darum ist es für Paracelsus wichtiger, dass man das Gelübde eines Amts hält, als dass man ein Amt erhält. Gott fordert als oberste Pflicht von allen Amtsinhabern Reinheit. Die Reinheit aller Ämter bedeutet, nicht nach eigenem Willen, sondern gemäß der Erleuchtung durch Gott seine Verpflichtung zu erfüllen.684 Im paracelsischen Amtsverständnis steckt eine radikale Sozialethik, weil er von der Gleichheit aller Menschen ausgeht. Da er in einer Zeit mit sehr unterschiedlichen sozialen Ständen lebte, kann leicht vermutet werden, dass diese Meinung eine große soziale und politische Brisanz hatte. Auch seine Ablehnung eines Erbkönigtums und die Forderung einer pflichterfüllten Amtsführung barg genügend Konfliktpotential mit den Oberschichten. 681 682 683 684 Seine Argumentation lieferte schließlich Argumente für Vgl. Ebd. Hier sieht man die Polemik gegen die Habsburger: 1521/1522 teilten Karl V. und Ferdinand I. das Erbe ihres Vaters Philipp I. Kaiser Karl V. erhielt Spanien und die Kolonien, Burgund und die Niederlande, Ferdinand I. erhielt Österreich und die Nachfolge im Reich. Zu Ps 75 (76), 6b, PW 2/V, S. 5–6. Vgl. zu Ps 75 (76), 6b, PW 2/IV, S. 5; zu Ps 75 (76), 8, PW 2/IV, S. 8. 185 Widerstandsrecht, Aufstand, ja sogar für Tyrannenmord in den Augen von Paracelsus pflichtvergessenen Amtsträgern.685 4.2.6 Die Bedeutung der Gelübde bei Luther und Paracelsus Im Vergleich zur Bedeutung der Tugenden im Mönchtum weisen sowohl Paracelsus als auch Luther eine veränderte Bedeutung der Tugenden bei den Gelübden auf. Im Gegensatz zum Mönchtum versteht Luther unter der Armut die evangelische Armut, d.h., der Christ wünscht nichts für sich, sondern verwendet seine Güter in freier Weise zum Nutzen des Nächsten. 686 Der Gehorsam bedeutet für Luther die Demut, die im Evangelium steht und den Christen an den Nächsten bindet.687 Der Gehorsam ist auch nicht ein Gehorsam gegenüber einem Menschen, z. B. dem Papst oder einem Ordensoberen, sondern gegenüber dem göttlichen Wort. Luther sieht in diesem Kontext die Gefahr, dass man durch den Gehorsam gegenüber Vorgesetzten oder den Papst die Nächstenliebe, zu der sich jeder Christ mit dem Taufgelübde verpflichtet, verachten könnte.688 Dagegen versteht Luther die Keuschheit wörtlich als sexuelle Enthaltsamkeit wie auch das Mönchtum. Er akzeptiert die Keuschheit aber nicht als ewiges und für alle Menschen geltendes Gelübde.689 Paracelsus teilt ebenfalls die drei Tugenden des Mönchtums. Armut versteht er zwar wie das Mönchtum wörtlich, aber sie gilt bei ihm für alle Christen. Dadurch, dass er die Liebe zu Gott und die Nächstenliebe als Begründung für die Armut heranzieht, besitzt er eine Gemeinsamkeit mit Luther. Auch teilt er dessen Auffassung vom legitimen Gehorsam nur Gott gegenüber. Anders als Luther jedoch bedeutet für ihn Keuschheit, wie dargestellt, keine sexuelle Enthaltsamkeit, sondern innerliche Reinheit und ein aufrichtiges Verhältnis zu Gott. 690 Für Paracelsus sind die Gelübde Zeichen des Christseins, weil Gott aus seiner Gnade heraus den Menschen beruft und ihm Gelübde zuteilt. 685 686 687 688 689 690 Vgl. Goldammer, Paracelsus als Sozialethiker, S. 52–53. Luther, De votis monasticis, S. 587. Ders., S. 586. Vgl. ders., S. 617–629. Vgl. ders., S. 582–583, 611–614. Vgl. zu Ps 75 (76), 12, PW 2/IV, S. 11–12. 186 Luthers Verständnis setzt anders an: Für ihn ist das Taufgelübde entscheidend. Jeder Christ sollte sich seinem Taufgelübde bis zu seinem Lebensende verpflichtet fühlen.691 Dabei lehnt er im Grunde die Mönchsgelübde ab. Seiner Meinung nach finden sie sich nicht in der Schrift und dienen nur der Werkgerechtigkeit. Für Luther befindet sich das Mönchtum im Widerspruch zum Glauben, zur christlichen Freiheit, zu den Geboten Gottes und auch zur menschlichen Vernunft.692 Nur unter der Bedingung, dass man die Mönchsgelübde nicht als Werkgerechtigkeit und nicht als ewig bindende Gelübde, sondern nur als Hilfsmittel versteht, um das Taufgelübde besser verwirklichen zu können, erlaubt er sie. Dies gilt aber nur für diejenigen, die freiwillig Gelübde ablegen wollen, um ihre Pflichten als Getaufte zu erfüllen.693 Wenn ein Mensch das Taufgelübde gebrochen hat, dann ist nach der Taufvorstellung Luthers kein neues Gelübde möglich, sondern nur die Wiederherstellung des Taufgelübdes.694 Das Taufgelübde ist das ganze Leben über das bedeutendste Gelübde und lässt sich nicht durch ein anderes Gelübde ersetzen. In diesem Punkt besteht Gemeinsamkeit zwischen Luther und Paracelsus. Paracelsus betrachtet das Gelübde im Mutterleib als das Taufgelübde, das man sein Leben lang halten soll. Selbst wenn dieses Gelübde gebrochen wird, sind keine neuen Gelübde nötig, sondern nur dessen Wiederherstellung wie bei Luther. Während der ganzen Lebensphasen des Christen ist das Ziel der Gelübde bei Paracelsus immer die Reinheit des christlichen Lebens. „[D]ann in allen dingen und emptern soll reinigkeit des verstands erhalten werden, das ist: die warheit des gelupts bis in dein tod. [...] dann die geluptnus get allein auf keuschheit.“695 Außerdem schwächt Luther den Wert der Mönchsgelübde dadurch ab, dass er die Taufgelübde als das entscheidende betrachtet und es ablehnt, dass die Vollkommenheit der Christen durch Mönchsgelübde verwirklicht werden kann. Daraus ergibt sich eine völlige Neubewertung weltlicher Arbeit. Luther stellt das Mönchsleben den anderen Berufen gleich. 696 Paracelsus kommt auf eine andere Weise zum gleichen Ergebnis: Seiner Meinung nach beruft sich jedes Gelübde auf die Berufung Gottes. 691 692 693 694 695 696 Vgl. Luther, De votis monasticis, S. 603. Vgl. ders., S. 578–669. Vgl. Lohse, Mönchtum, S. 376–377. Vgl. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, S. 303–304. Zu Ps 75 (76), 12, PW 2/IV, S. 11. Vgl. Luther, De votis monasticis, S. 604. 187 „[W]as ist globen in mutterleib? den beruef, darzu euch got beruft, zu halten. und halten ihn und geben got ganz gelupt, nit brochen gelupt; ganz rechnung, nit brochen rechnung. du jungfrau umb dein jungfrauschaft ganz rechnung; du ehefrau umb dein ehestand ganz rechnung; du ambtman umb das dein auch. ein iglichs, darinnen es berueft ist, do fall es nit von dann in allen dingen und emptern soll reinigkeit des verstands erhalten werden, das ist: die warheit des gelupts bis in dein tod.“697 Jeder Mensch soll sein persönliches Gelübde halten, das sich letztlich auf den gleichen Inhalt zurückführen lässt: die innerliche Reinheit. Aus diesem Grund können alle Arbeiten und Leben gleichwertig sein. Außerdem ist bei Paracelsus weder eine höhere religiöse Stufe noch ein Weg dazu vorhanden. Paracelsus und Luther lehnen es daher beide ab, die Mönchsgelübde als eigenen Verdienst oder als eigene Gerechtigkeit zu verstehen. Die Mönchsgelübde als einen Verdienst anzusehen, bedeutet für Paracelsus, den Willen Gottes zu verachten, sich selbst mit den Gelübden zu schmücken und sich der Barmherzigkeit Gottes zu verweigern, weil sich die Gelübde der Barmherzigkeit Gottes verdanken. Luther hingegen lehnt wegen des »sola fide« die Auffassung ab, dass die Mönchsgelübde ein Verdienst seien.698 Nur durch den Glauben kann ein Mensch durch Gott gerechtfertigt werden. Er kann nicht aus eigener Kraft zu Gott gelangen. Wer meint, dass die Mönchsgelübde dem eigenen Heil nützen, schadet dem Heilswerk Christi. Zudem wird, wenn man die Mönchsgelübde als zweite Taufe ansieht, die die Sünde nach der Taufe beseitigt, die Gnade der Taufe für ungültig erklärt. 4.3 Mission und unmittelbare Gottesbeziehung 4.3.1 Die Grundhaltung des Paracelsus gegenüber den Heiden anhand von Ps 85 (86), Ps 103 (104), Ps 105 (106) und Ps 113b (115) Paracelsus hat sich deutlicher zur Heidenmission geäußert als es bei anderen Reformatoren der Fall war. Die Hauptquelle seines Missionsverständnisses ist dabei der Psalmenkommentar. Sein Missionsgedanke ist mit seinen theologischen Eckpfeilern, z.B. seiner Christologie, seiner Abendmahlslehre, seinem Amtsverständnis und seiner Auffassung von der Nachfolge Christi verbunden und fügt seiner Konzeption der GottMensch-Beziehung einen weiteren Aspekt hinzu. 697 698 Zu Ps 75 (76), 12, PW 2/IV, S. 11. Vgl. Luther, De votis monasticis, S. 604. 188 Paracelsus beurteilt das Heidentum zwiespältig.699 Einerseits bewertet er es negativ: Die heidnischen Götter spiegeln menschliche Bedürfnisse wieder und sind Fantasiegebilde.700 Zudem kam die »religio«, das abgöttische Ordenswesen, von den Heiden in die Kirche. Der dadurch entstandene Synkretismus stellt für Paracelsus eine große Gefahr für die wahren Christen dar. 701 Die Heiden selbst aber sind erlösungsbedürftig. „[D]ermaßen ist auch geredt uf die apostel und lerer des volks, daß sie sollen dermaßen mit irem prunen flißen, auf daß sie drenken domit die heiden und wilden, unbekannten leut, so gar nichts wissen in den dingen.“702 Andererseits hat Paracelsus eine positivere Vision von den Heiden als von den zeitgenössischen abgöttischen Christen: Gott wird die Heiden zum Glauben an Christus führen und sie werden dadurch zum Vorbild eines biblischen Christentums werden, indem sie die kirchlichen Brauchtümer der römischen Kirche hinter sich lassen, die Paracelsus als Abgötterei betrachtet.703 Gott wird den Führern auf dem Stuhl des Moses das Zepter und das Reich nehmen und es den Heiden geben, „welche frumer und rechter gegen got erscheinen dann ir vorsteender und vorgeer in der gemein.“704 Hier scheint Paracelsus das ideale wahre Christentum in den Heiden zu suchen, während er alle abgöttischen Brauchtümer und Lehren in der bestehenden Kirche verortet.705 Diese 699 700 701 702 703 704 705 Für Goldammer zeigt Paracelsus durch sein zwiespältiges Verhältnis den Heiden gegenüber nur extreme Haltungen: „von der bigotten Vulgärfrömmigkeit und korrekten Scholastik bis hin zum aufgeklärten katholischen Humanismus und zur Renaissancephilosophie“: Kurt Goldammer, Aus den Anfängen evangelischen Missionsdenkens. Kirche, Amt und Mission bei Paracelsus, in: Evangelische Missionszeitschrift 4 (1943), S. 42–71, [wieder abgedruckt in: ders.: Paracelsus in neuen Horizonten. Gesammelte Aufsätze, Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 24 (1986), S. 9–33], hier S. 14. Zu Ps 113b (115), 4–5–7, PW 2/V, S. 186–188. Zu Ps 105 (106), 35/36, PW 2/V, S. 45–46. Zu Ps 103 (104), 11, PW 2/V, S. 7. Zu Ps 85 (86), 9, PW 2/IV, S. 157–158. Zu Ps 105 (106), 23b/24a, PW 2/V, S. 39. Cortés, der Zentralmexiko in den Jahren 1520–1521 erobert hatte, besaß die Vision, ein ideales wahres Christentum in den Heiden zu suchen. Zur Verwirklichung seiner Vision bat er Karl V. um Ordensleute von exemplarischer Lebensführung und wahrem missionarischen Geist. Nach seiner Bitte kamen 1524 zwölf Franziskaner bei ihm an, die auch diese Vision gemein hatten. Sie wollten die Geschichte der Apostel wiederholen und den Glaubenseifer der Urkirche wieder aufleben lassen: Alain Milhou, Dritter Teil Neue Horizonte. Zweites Kapitel Entdeckungen und Christianisierung der Fernen, in: Marc Venard, u.a., Die Geschichte des Christentums. Religion. Politik. Kultur, Bd. 7: Von der Reform zur Reformation (1450–1530). Freiburg, Basel, Wien 1994, S. 521–611, hier S. 607. Bartolomé de las Casas hatte dann in seiner Verteidigungsschrift von 1552 »Brevissima relación de la destrucción de las Indias« diese Argumente neben der aristotelischen Philosophie zusammengefügt und systematisiert. 189 positive Vision hängt mit der Mission und mit seiner Betonung der unmittelbaren Gottesbeziehung zusammen. Diese Vision kann durch die Mission verwirklicht werden. 4.3.2 Zwei Anstöße zur Mission anhand von Ps 103 (104) und Ps 104 (105) Den Anstoß zur Mission gibt nach Paracelsus die Liebe in der Trinität. Die Apostel sollen die Heiden lieben und Christus verkündigen wie Gott der Vater seinen Sohn liebt und Christus seine Apostel. Die Liebe, die innerhalb der Trinität besteht, ist die Kraft, die es ermöglicht, Heidenmission zu betreiben: „[D]arumb so hat got Christum sein auserwelten beim hochsten versorgt auf erden und am treulichisten. solche treu sollen auch ingedenk sein die apostl, daß sie ihnen dermaßen auch bewisen wird. darumb so sollen sie Christo sein kinder, gleubig und ungleubig, lieben als got sein sun Christum und Christus sein apostl, - fur sein leip und leben geben. also diß auch. also laut diser vers allein auf das, daß wir mit solcher maß uf erden die kinder Christi lernen [= lehren] und lieben, als got Jacob und Abraham und als Abraham und Jacob ir kinder geliebt haben. also sollen wir auch den notturftigen, unwissenden die lehr und das wort gottes furhalten, verkunden sein wunderwerk. so wirs nit tunt, so get das urteil über uns. solche lieb muß nit stille stehend beschehen, nur mit wandern und in armut.“706 Neben der Liebe gibt die Forderung, Gott zu loben, Anlass zur Mission. Mission bewirkt Gotteslob:707 „in dem so die apostl bei ihnen seindt und sie lernen, so werden in allen enden feldes gottes lob aufstohn und erwachsen.“ 708 Das Lob Gottes umfasst alle Bereiche des christlichen Lebens, sowohl die Mission als auch die tägliche Arbeit: „[D]ann wir vergessen unsern namen und unser hoffart auf erden. dieweil nun das singen uns erlaupt ist und das psalliern, und doch daß beschech in gottes namen, so ist das beschehen nix anderst als allein durch die verkundung, also daß wir uns selbs, unsern kindern und jundgen vorsingen die wunder gottes; dergleichen daß zu den heiden, unwissenden und unglaubigen gewandlet werd und denselbigen verkundt als under uns. so das muß beschehen, so seindt zwen weg do: einer ist apostolisch, die verkundung bis in den tod, in den tod des kreuz. der [199b] ander ist bei denen, die do seindt im weg irs pflugs, daß dieselbigen in ir arbeit singen und von ir arbeit. das ist nu gesungen im namen des herrn in seinen werken, in seinem willen.“709 706 707 708 709 Zu Ps 104 (105), 6, PW 2/V, S. 27. Hier weist Goldammer auf einen calvinischen Zug in der paracelsischen Missionsvorstellung hin: Goldammer, Aus den Anfängen, S. 15. Zu Ps 103 (104), 11, PW 2/V, S. 7. Zu Ps 104 (105), 2/3a, PW 2/V, S. 23. 190 4.3.3 Das Abendmahl als Ausgangspunkt der Mission anhand von Ps 78 (79), Ps 99 (100), Ps 100 (101) und Ps 104 (105) An erster Stelle des paracelsischen Missionsgedankens steht das Abendmahl. Der Mensch muss zuerst die Erlösung durch das Leiden Christi und die Gemeinschaft mit Christus durch sein Fleisch und Blut erfahren: „[U]nd facht die weissagung also an: am ersten ‚danken got’. dasselbig ist uf das nachtmal geredt, do Christus sein leip und blut geben hat. demnach ‚rufen sein namen an’, das ist: get von ihm, und er wird vor euch gohn, und ‚rufen sein namen an’; dann sein person werden ir nimermer sehen. darbei begreift er den tod Christi. weiter zum letzten so gent zu den heiden volkern, denen Christus unbekannt ist und predigen und verkunden denselbigen das wort gottes.“710 Die individuelle Beziehung zu Christus soll im einzelnen Leben des Menschen gepflegt werden. Die sich daraus ergebende neue existentielle Erfahrung der Christuswirklichkeit ruft dann in die Nachfolge Christi und in den Einsatz des Christen für die Heidenmission. Die Gnade, die im Abendmahl gegeben wird, begründet somit den Missionsauftrag der Christen, alle Menschen zum Abendmahl einzuladen. Diese Vorstellung wird mit der paracelsischen Auffassung vom Leib Christi verbunden, die als eine weitere theologische Voraussetzung für den Missionsgedanken gesehen werden kann: Während der Leib Christi vor dem Tod nur an einem Ort verblieb, ist er nach seinem Tod in der ganzen Welt präsent. Nun ist Christus in allen Herzen der Menschen und bildet dort den Tempel Gottes, der innerlich ist und durch Christus bestätigt wird. An dieser Stelle erinnert die paracelsische Auffassung an eine spiritualistisch weiterentwickelte Ubiquitätslehre Luthers. „[D]as ist: das neu testament, das im [51a] nachtmal Christus ausgeteilt hat in zerteilen des brots, ist sein eingang in die tempel, so oft ein mensch durch kraft des innern tempels, das ist das neu testament -. darumb die ding sollen verlassen werden, daß Christus eußerlich vor den augen gestanden ist; und aber innerlich nit éin statt besitzt, sunder sovil der tempel seindt.“711 Durch das Abendmahl wird der Leib Christi in die ganze Welt verteilt. Dadurch können Heiden an der Abendmahlsgemeinschaft teilnehmen, die Paracelsus als die einzige Gemeinschaft der Christen auf der Erde versteht.712 Hier spielt die Heidenmission eine große Rolle: Durch die Mission wird das Evangelium verkündigt. Die Heiden können 710 711 712 Zu Ps 104 (105), 1, PW 2/V, S. 21. Zu Ps 78 (79), 1, PW 2/IV, S. 83–84. Zu Ps 99 (100), 3b–4b/5, PW 2/IV, S. 311–312; zu Ps 100 (101), 1/2a, PW 2/IV, S. 313. 191 Christus nur durch die Verkündigung der Apostel erkennen. An dieser Stelle wird deutlich, dass Paracelsus die Heilsnotwendigkeit der Heiden in seiner Missionsaufassung betont. Neben der Überzeugung von der Notwendigkeit der Heidenmission steht bei Paracelsus der Gedanke, dass die Heiden ohne die Mission durch Christus selbst erlöst werden können. Dieser Gedankengang ist spiritualistisch konzipiert: Die Heiden werden ohne Taufe und Erkenntnis Christi durch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angenommen. Paracelsus spricht von der Erlösungsfähigkeit der Heiden durch den geistig überall wirkenden Christus.713 „Also wissen in der kurze von den volkern und heiden, [317a] die kein wissen von Christo haben: so sie nit durch den douf selig werden, so werden sie durch Christum selig, des barmherzigkeit dauf ist. [...] also hat got die freiheit, selbs zue geben, wievil und was ihn lust. und was ér tauft, das bestet er mit dem heiligen geist. das wír daufen, kunnen wir nit besteten sunder durch got. dann Christus tauft sein christen durch das feur und durch den heiligen geist; das mag er ohn den mentschen auch tun:“714 4.3.4 Apostolat und Mission anhand von Ps 95 (96), Ps 98 (99), Ps 99 (100), Ps 100 (101), Ps 108 (109) und Ps 116 (117) In den Augen des Paracelsus wird der Missionsauftrag Gottes wegen der Lässigkeit und Völlerei der Christen nicht vollzogen. Er kritisiert sowohl das hierarchische römische Amt als auch das evangelische, da die Amtsträger der beiden Kirchen in ihrer Heimat verharren. Sie sind außerdem nicht von Gott in ihr Amt eingesetzt worden, weil sie von ihren Gemeinden mit seelsorgerlichen Aufgaben betraut wurden. Die eigentliche Kritik zielt bei Paracelsus aber auf die Verweltlichung des geistlichen Amts. Christen bedürfen solcher Amtsträger nicht, weil Christus persönlich in jedem Herzen der Christen wohnt und das Wort Gottes ihnen durch den Heiligen Geist erschlossen wird.715 Darum verwirft Paracelsus ein solches Amtsverständnis und bietet stattdessen ein neues an, dem das charismatische Apostolat des Urchristentums zugrunde liegt. Unter einem Apostel versteht Paracelsus einen Beauftragten, der unmittelbar von Gott zur 713 714 715 Paracelsus bezieht sich hier evtl. auf die Entdeckung der Neuen Welt, die kurz vor seiner Zeit geschah. Durch die Entdeckung Amerikas wurde festgestellt, dass es viele Heiden, die Christus nicht kennen, außerhalb des abendländischen Territoriums gibt. Mit dieser Heilsfrage musste man sich auseinandersetzen. Die paracelsische Schlussfolgerung könnte aus dieser Auseinandersetzung stammen und ihn dazu bewegt haben, den reformatorischen Gedanken »solus Christus« derart auszuweiten. Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 229. Zu Ps 116 (117), 2, PW 2/V, S. 228. 192 Weltmission berufen worden ist. 716 Damit hebt er vor allem die Lehre von der apostolischen Sukzession in der römischen Kirche auf. Das missionarische Apostolat ist bei Paracelsus der Kern seines christlichen Amtsverständnisses. Es ist das eigentliche Amt der Kirche. Hier zeigt sich durch die Betonung des unmittelbaren Gottesverhältnisses auch der spiritualistische Charakter der paracelsischen Theologie. Apostel werden nicht von Menschen erwählt, sondern unmittelbar von Gott berufen. Dadurch kritisiert Paracelsus die kirchliche Tradition, in der das christliche Amt von Menschen eingesetzt wurde. Für Paracelsus ist das Apostolat durch ein asketisches Leben, die Bereitschaft zum Martyrium und die leidenschaftliche Verkündigung des Wortes Gottes charakterisiert.717 „[D]arauf secht: wird sich allein der getreu knecht freuen, als David, so werden sich auf freuen die zwelf apostl, auch die heiligen, die in verkundung des tods Christi und der warheit des euangelion gestorben seindt. die aber nit so heiß in satan ligen, deren gedenkt David nit als knecht. dann es ist offenbar, wie David hie redt, mit was kraft ein gerechter verkunder aufstohn soll und was ihm zustet: nit schimpflich kurzweil, sunder der plutig schweiß.“718 Das Apostolat fordert besondere Bedingungen. Gott steht deshalb mit seinem Apostel auch in einem besonderen Verhältnis. Der Apostel soll ein eheloses apostolisches Wanderleben führen.719 Hier stellt Paracelsus die Lehre Christi der Lehre von Paulus gegenüber. Der Befehl Christi, nach dem Evangelium ein eheloses, apostolisches Wanderleben zu führen, hat bei Paracelsus den Vorrang vor den Vorschriften des Paulus für die Gemeindeleiter. Damit polemisiert Paracelsus gegen die Reformatoren und ihre Amtslehre, die mit Berufung auf Paulus fordern, dass ein Pfarrer eine Frau habe und in einer Gemeinde arbeite. Nach Paracelsus werden Apostel weder vom Papst noch vom Volk erwählt, sondern vom Heiligen Geist. 716 717 718 719 Zu Ps 95 (96), 3–4, PW 2/IV, S. 280–283. Zu Ps 108 (109), 28, PW 2/V, S. 116. Ebd. Zu Ps 95 (96), 3, PW 2/IV, S. 280–281. Paracelsus erkennt im Grunde die Ehe als Werk Gottes an, das niemand verändern soll. Er legitimiert sie dadurch, dass der Mensch durch die Ehe nicht gegen die Gebote Gottes verstoße. Man könne zwar die Gesetzlichkeit der Ehe von der Natur ableiten, die Ehe stamme aber nicht von der Natur, sondern von Gott: Zu Ps 110 (111), 3, PW 2/V, S. 142–143. Gegenüber dem Mönchtum betont Paracelsus, dass Gott die Ehe verordnet habe, nicht die Keuschheit: Zu Ps 91 (92), 8a, PW 2/IV, S. 246. Ehe und Kinder seien der Weg, den Gott seinen Geschöpfen gegeben habe, und sie sei ein Zeichen für Gottes Segen: Zu Ps 127 (128), 3a, PW 2/VI, S. 187. Dagegen spricht sich Paracelsus für die Ehelosigkeit der Apostel aus. 193 Der paracelsischen Lehre vom Apostolat wohnt somit ein gewisser asketischer Zug inne, der sich auf die »Nachfolge Christi« beruft: Nachfolge bedeutet Nachfolge in Armut sowie die Leidensnachfolge.720 Die paracelsische Auffassung vom Apostolat wurde von den Armutsbewegungen und Wanderpredigern im Mittelalter geprägt. Schon Goldammer hat darauf hingewiesen, dass das paracelsische Apostolatsverständnis vom mittelalterlichen Asketismus, besonders von Franziskus von Assisi, beeinflusst wurde und möglicherweise mit Auffassungen der Taufgesinnten und Spiritualisten verbunden ist. 721 Paracelsus nimmt den Gedanken über die »Nachfolge Christi« von den Strömungen der Armutsbewegungen und Wanderprediger im Mittelalter auf und gestaltet ihn zu einer Weltmission, mit der sich Dominikaner und Franziskaner schon zu seiner Zeit in der neuen Welt beschäftigen. Dem Apostel wird von Gott eine besondere Gnade sowie eine besondere Gotteserkenntnis verliehen: „[S]ie durfen mehr der gnaden, dann der nit verkunt; dorfen auch mehr wissen, dann der nit verkundt. darumb mus auch got mehr mit ihnen sein und mehr durch sie wirken als durch einen, der nit verkunt. und got der straft sie, wo sie nit recht auf der ban seindt. das ist: er lest sie nit irren, dann ursachen es ligt an ir irrung mehr als an einem gemeinen mann, auf den niemants kein acht hat.“722 Trotz dieses Charakters ist das Apostolat aber nicht hierarchisch gedacht, sondern funktional. Denn unter Gottes Herrschaft sind alle Christen gleichwertig.723 Sie sind nur Knechte Gottes. Christus ist in der Auffassung des Paracelsus der einzige Herr und Hohepriester. Dadurch hebt Paracelsus die hierarchischen und institutionell gedachten kirchlichen Ämter auf. 4.3.5 Die Missionsmethode anhand von Ps 104 (105) Auffällig ist, dass Paracelsus die Methodik der Mission bei Juden und Heiden unterscheidet: Den Juden verkündigen Propheten (Paracelsus beruft sich hier anscheinend auf Luk 16, 19–31). Den Heiden werden durch die Apostel die Werke Gottes, unter denen Paracelsus die Wunder Gottes versteht, und dann das Wort Gottes, d.h. die Lehre Christi, verkündigt: 720 721 722 723 Vgl. zu Ps 108 (109), 26, PW 2/V, S. 114; zu Ps 108 (109), 31, PW 2/V, S. 118–119. Goldammer, Aus den Anfängen, S. 26. Zu Ps 98 (99), 8, PW 2/IV, S. 307–308. Zu Ps 99 (100), 3b–4b/5, PW 2/IV, S. 311–312; zu Ps 100 (101), 1/2a, PW 2/IV, S. 313. 194 „[D]as ist: sagen den heiden: ‚die doten werden lebendig, die blinden gesehen, und auf wen er die hend legt, der wird gesund’. aus dem wird nun nachfolgen, daß die heiden, die allein aus den zeichen glaubig werden und worden seindt, auch mit dem werk das wort gottes annemen. dann die heiden seindt unwissent der liebe des suns gottes, der verheißung u gewesen, darumb so seindt sie mit den werken ermant worden zum glauben.“724 Paracelsus setzt voraus, dass der Apostel bei der Mission die charismatische Kraft hat, Wunder zu vollbringen, wobei er auf Mk 16, 17–18 verweist. Durch diese Wunderzeichen kommen die Heiden zuerst zu Christus. Darauf folgt die Verkündigung des Evangeliums. Hier unterscheiden sich Paracelsus und die Reformatoren. Die Reformatoren legen ihren Schwerpunkt auf die Verkündigung des Wortes Gottes, indem sie die »fides ex auditu« betonen. Obwohl Paracelsus auch fordert, dass das Wort Gottes in der Mission verkündigt werden soll und dadurch Heiden zum Glauben kommen können, erwähnt er nicht nur das Wort Gottes als Mittel der Mission, sondern auch die Wunder als ein weiteres Mittel, die Heiden zu Christus zu führen. Paracelsus gibt zu, dass die Heiden durch die Wunder nicht zum wirklichen Glauben an Christus kommen. Trotzdem gehören die Wunder zur Mission dazu. Das eigentliche Mittel der Mission ist für Paracelsus aber die Verkündigung des Wortes Gottes, unter dem das Leiden Christi und sein Tod, seine Lehre und seine Zeichen und Wunder verstanden werden. Trotzdem betont Paracelsus deutlich, dass die Methode der Mission zwei Mittel beinhaltet: die Wunder und die Verkündigung des Wortes Christi. 4.3.6 Mission und Gegenwart Gottes anhand von Ps 82 (83), Ps 95 (96), Ps 114 (116a) und Ps 129 (130) Im Psalmenkommentar betont Paracelsus im Grunde Gott einerseits als gütiges, gnädiges und barmherziges Wesen und andererseits als ein transzendentes Wesen. Gott hat keinen eigenen Körper und wohnt im Himmel.725 Gleichzeitig hat für Paracelsus Gott eine transzendentale Seite: Auf Grund seines spiritualistischen Kirchenverständnisses ist Gott auch immanent, denn er wohnt im Herzen jedes Christen.726 Auf diese Weise ist Gott in missionarischer Hinsicht sogar allgegenwärtig. 724 725 726 Zu Ps 104 (105), 1, PW 2/V, S. 21–22. Vgl. zu Ps 82 (83), 19. PW 2/IV, S. 136–137; zu Ps 114 (116a), 2, PW 2/V, S. 198–199; zu Ps 129 (130), 2, PW 2/VI, S. 198. Vgl. zu 90 (91), 10, PW 2/IV, S. 235–236; zu Ps 131 (132), 14, PW 2/VI, S. 221. 195 „In dem verstanden: got ist herr im vatterland under allen volkern, es ist alles sein. darumb wo ir predigen und verkunden mit euerm wandern, do seindt ir in euers vatters haus. daß ir nit mugen sprechen: wir seindt in der frembdi, wir wissen und konnen nix! die ganze erden ist das haus unsers vatters im himel! darumb gent hin in alle welt und predigen; ir werden nit verirren, ir bleiben fur und fur im haus.“727 An dieser Stelle kann Gottes Allgegenwärtigkeit Ausdruck der Herrschaft Gottes über die ganze Welt sein. Paracelsus unterscheidet Gott von den menschlichen Herrschern, die an einen Ort gebunden sind und nur einen eingeschränkten Machtbereich besitzen.728 Hier zeigt sich der historische Kontext der paracelsischen Auffassung von der Gegenwärtigkeit Gottes: die Entdeckung der neuen Welt. Dadurch erweiterte sich der Horizont des abendländischen Blickfelds. Für Paracelsus steht die ganze Welt unter der Herrschaft Gottes, d.h. dass dort auch Gott gegenwärtig ist. Daraus lässt sich erklären, dass er die dringende Notwendigkeit der Mission betont. Paracelsus beschreibt nur in Bezug auf die Mission die ganze Welt als das Haus Gottes. Nun ist Gott immer bei dem Apostel, der zur Weltmission unterwegs ist. „[D]ann es ist wahr, er ist überall, dann alles in seim angesicht. aber do du hin kerest, dasselbig ist ein besunder angesicht auf dich gericht. so du kumpst und richst dein beruf aus, so ist got auch do; dann du stest vor dem angesicht, do er dich hin gefurt hat. [...] darauf wissen: so ir werden dem ruf nachgohn, do euch got hinfurt, so wird er am selbigen ort do sein und euch ansehen, daß ir ihn do konnen anbeten.“729 Obwohl alle Christen in der Gemeinschaft Gottes gleich sind und niemand unter oder über dem anderen steht, kümmert sich Gott mit großer Aufmerksamkeit um die Christen, die zur Mission unterwegs sind. Darum gibt Paracelsus zu, dass der Apostel durch die Gegenwart Gottes ohne besonderen Anstoß und Anregung die richtigen Entschlüsse und Taten bei der Mission fassen kann. Hier interpretiert Paracelsus die Gegenwart Gottes bei den Aposteln spiritualistisch: Gottes Allgegenwart zeigt sich konkret in der Weltmission. Durch diese Vorstellung wird deutlich, wie stark Paracelsus die Notwendigkeit der Heidenmission betont und wie sehr er sich von der Haltung der römischen und 727 728 729 Zu Ps 95 (96), 7/8a, PW 2/IV, S. 285. Vgl. zu Ps 122 (123), 2a, PW 2/VI, S. 159. „dann wir haben éin herrn und ein ganzen, vollkomnen herren. der hat kein stathalter, er mag auch kein haben. dann ursach got ist über all und ist bei allen, wie kann er dann wandern, weichen, hinweg reiten? er ist doch in der hell, in der erden, im mer, in allen eken.“ Zu Ps 95 (96), 9b/10a, PW 2/IV, S. 287–288. 196 reformatorischen Kirche abhebt. Sein Missionsverständnis ist daher als weiteres Puzzlezeil in der Herausbildung protestantischer Missionsverständnisse zu sehen.730 4.4. Zusammenfassung Das Gott-Mensch-Verhältnis bildet ein Grundthema des gesamten Psalmenkommentars und ist in einem engen Zusammenhang mit der paracelsischen Soteriologie zu sehen. Das ewige Leben, das Paracelsus im Psalmenkommentar als Ziel des Lebens formuliert, hängt von der Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung ab. Nach Paracelsus ist nur göttlich, was Gott selbst ohne Vermittlungsinstanz vollbracht hat. Darin sieht Paracelsus den Grund für die Inkarnation Christi: Gott selbst wurde auf der Erde geboren und ans Kreuz geschlagen. Nur durch den Glauben an Christus kann der Mensch das ewige Leben bekommen. In diesem Sinne beruht die Soteriologie des Paracelsus auf dieser unmittelbaren Gottesbeziehung. Der Glaube an Zwischeninstanzen und Hilfsmittel ist für Paracelsus Glaubensabfall und Götzendienst. Diese exklusive und existentielle Gottes- und Christusbeziehung muss das Leben eines jeden Christen bestimmen. Durch die Gegenwart Gottes im Menschen werden Christen vor Verführungen und der Abkehr von Gott und damit vor der ewigen Verdammnis bewahrt. Dem Antiklerikalismus kommt in der paracelsischen Theologie eine zentrale Stellung zu, da im Gott-MenschVerhältnis kein Platz für geistliche Amtsträger ist und diese als Verführer und Hindernisse für das ewige Leben verstanden werden. Paracelsus und Schwenckfeld betonen die Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses. Aber sie aktualisiert sich bei Schwenckfeld erst nach der Bekehrung des Menschen, während sie bei Paracelsus schon in der Inkarnation von Gott her begonnen hat. Bei Schwenckfeld steht die wahre Erkenntnis im Mittelpunkt. Paracelsus betont nicht nur die Gotteserkenntnis, sondern auch die Erschaffung der neuen Kreatur und deren Wachsen im Abendmahl. Indem Paracelsus die reformatorischen Grundsätze »sola fide«, »sola gratia« und »solus Christus« über den Heiligen Geist konzipiert, betont Paracelsus in Bezug auf die Erlösung und Gotteserkenntnis die unmittelbare Beziehung zu Gott durch den Heiligen Geist und schließt eine äußere Vermittlung durch die äußere institutionelle Kirche und 730 Werner Raupp (Hg.), Mission in Quellentexten. Geschichte der deutschen Evangelischen Mission von der Reformation bis zur Weltmissionskonferenz Edinburgh 1910. Erlangen 1990, S. 38. 197 ihre Lehrer aus. An dieser Stelle zeigt sich klar der spiritualistische Zug der paracelsischen Theologie. Das unmittelbare Gottesverhältnis zeigt sich deutlich in der Erleuchtung durch Gott, die durch den Heiligen Geist bewirkt wird. Grundlage dieser Denkfigur ist der paracelsische Spiritualismus und Antiklerikalismus. Nach Paracelsus war das Wort Gottes durch den irdischen Luzifer in Verborgenheit geraten. Darum braucht es die Erleuchtung, die unmittelbar von Gott kommt. Er kritisiert die Schultheologie und die Schultheologen, da er denkt, dass sie das Wort Gottes zu rationalisiert auslegen. Für Paracelsus hingegen hat die Erleuchtung durch Gott zwei Auswirkungen: Sie bewirkt nicht nur, dass Christen das Wort Gottes richtig verstehen, sondern auch, dass sie es halten und dadurch einen guten Lebenswandel führen. Darum verwirklicht der Heilige Geist zwei Neuschaffungen im Menschen: Einerseits schafft er einen neuen Leib im alten Leib und andererseits ein sittliches Leben im Menschen. Die Kraft des Heiligen Geistes ist aber nur in der lebendigen Beziehung zu Gott wirksam. Sie ist immer persönlich. Sie ist nicht fixierbar und kann nicht vererbt werden. Damit ist der Glaube jedoch etwas radikal Subjektives, das auf keine äußere Vermittlung angewiesen ist. Wenn Paracelsus von dem Verhältnis zwischen Buchstabe und Geist und der unmittelbaren Erleuchtung durch Gott spricht, stimmt er mit Elementen Müntzerischer Theologie überein. Beide betonen wegen ihres Antiklerikalismus die unmittelbare Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Müntzer gelangt zu seiner Auffassung durch die pneumatologische Interpretation des »Priesterums aller Gläubigen«. Freilich zeigt sich eine solche reformatorische Begründung bei Paracelsus nicht deutlich. Während Paracelsus die Erleuchtung Gottes auf den individuellen sittlichen Lebenswandel bezieht, wird sie bei Müntzer sowohl auf den innerlichen Heilsvorgang des Einzelnen als auch auf die äußerliche Weltveränderung bezogen. Die Vorstellung vom Herzen des Menschen als die wahre Wohnung Gottes stellt einen weiteren Akzent des paracelsischen unmittelbaren Gott-Mensch-Verhältnisses und der Erleuchtung durch Gott dar. Im Gegensatz zum Alten Testament wohnt Gott innerlich im Menschen. Paracelsus versteht auf Grund 1. Kor 6,16 das Herz des Menschen, in dem Gott wohnt, als die Kirche. Durch die Verinnerlichung und Individualisierung des Glaubens trägt jeder Christ seine Kirche in sich. 198 Die Gelübde stellen ein wichtiges Thema im Spätmittelalter und in der Reformationszeit dar, weil das Religiosentum damals auf Gesellschaft, Wirtschaft und Theologie einen großen Einfluss ausübte. Paracelsus versteht unter »Gelübde« kein religiöses Gelöbnis im üblichen Sinne, sondern eine durch Gott gegebene Verpflichtung oder Aufgabe. Deshalb darf ein Mensch Gott nicht eigenmächtig geloben, sondern er bekommt sein Gelübde von Gott und soll es nach dessen Willen einhalten. Darum ist das Subjekt der Gelübde bei Paracelsus Gott. Mit diesem Verständnis weicht Paracelsus von der Meinung seiner Zeitgenossen ab. Mit den Gelübden ist auch die Prädestinationslehre des Paracelsus verbunden: Gott ruft aus seiner Barmherzigkeit heraus die Menschen zu sich und schenkt ihnen die Gelübde. Gott will die Menschen dadurch an sich binden. Darum gelten die Gelübde bei Paracelsus für alle Christen und sind ein Zeichen für das Christsein, weil Gott aus seiner Gnade heraus den Menschen beruft und ihm die Gelübde gibt. Gott verleiht dabei nicht nur die Gelübde, sondern auch seine Erleuchtung, da ein Mensch ohne diese Erleuchtung den Sinn der Gelübde nicht verstehen kann. Die Reichen und Obrigkeiten jedoch erleuchtet Gott nicht, weil sie hochmütig und prunksüchtig sind und mit Gelübden nach eigenem Mutwillen umgehen. Indem Paracelsus die Gelübde als ein Geschenk Gottes versteht, verneint er, dass den Gelübden irgendein Verdienst innewohne, weil er darin die Gefahr der Verneinung der Barmherzigkeit Gottes sieht. Dennoch müssen für ihn die Gelübde auch gehalten werden. Dabei betont Paracelsus nicht nur den Wert der traditionellen Gelübde, sondern auch das Martyrium als Nachfolge Christi. Gleichzeitig deutet er die Vorstellung der mittelalterlichen Gelübde um. Einerseits spiritualisiert er die Gelübde, wenn er Keuschheit in innerliche Reinheit umdeutet, andererseits universalisiert er sie, wenn sie als je spezifische Aufgabe für jeden Christen gesehen werden. Unter den Gelübdebrechern versteht Paracelsus einerseits diejenigen, die die Tugenden der Gelübde nicht halten und andererseits diejeinigen, die nach ihrem eigenen Willen ein Gelübde halten und die Paracelsus mit allen Königen, Fürsten und Reichen gleichsetzt. Mit den Gelübden verbindet Paracelsus das Amt, weil alle Ämter nur aus Gott stammen und er jedem Amt sein Gelübde als seine Pflicht mitgibt. Für Paracelsus hängt die Gültigkeit eines Amts vom Halten der Gelübde ab. 199 In Bezug auf die Gelübde finden sich bei Luther und Paracelsus Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Beide verstehen die drei monastischen Gelübde als Tugenden. Paracelsus fügt noch das Martyrium hinzu. Während Luther von der evangelischen Armut spricht, versteht Paracelsus die Armut wörtlich als Tugend für alle Christen. Beiden gemeinsam sehen in der Liebe zu Gott und in der Nächstenliebe eine Begründung für die Armut. Auch betonen sie den Gehorsam nur gegenüber Gott. Luther jedoch versteht die Keuschheit traditionell auf das Religiosentum bezogen, nicht als Tugend für alle. Dagegen bedeutet sie bei Paracelsus die innerliche Reinheit und gilt für alle Christen. Das Taufgelübde ist zwar für Luther wie für Paracelsus entscheidend und für das ganze Leben gültig, doch während Luther unter bestimmten Bedingungen die Möchsgelübde anerkennt, gilt bei Paracelsus nur das Taufgelübde. Beide verneinen den Verdienstcharakter von Gelübden. Durch die Neubewertung der Mönchsgelübde wird bei Luther der Wert des weltlichen Berufs betont. Paracelsus gelangt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, indem er behauptet, dass jedes Gelübde sich auf die Berufung Gottes bezieht und es weder höherranging ist noch zu einer höheren Stufe des Heils führt. Die Heidenmission beschreibt Paracelsus im Psalmenkommentar konkreter als andere Reformatoren. Dabei verhält sich Paracelsus zwiespältig: Einerseits sieht Paracelsus eindeutig das Negative im Heidentum, dessen Götter er als nur nach menschlichem Bedürfnis erdachte Wesen beschreibt. Auch stamme von Heidentum die »religio christiana«, das abgöttische Ordenswesen. Darum seien die Heiden erlösungsbedürftig. Andererseits sieht er in dem zu Gott zurückkehrenden Heidentum ein Vorbild biblischen Christentums für die in Verfall geratene Christenheit. Die Heidenmission diene dem Lob Gottes und der Verwirklichung der Liebe, die in der Trinität ihren Ursprung hat. Der Ausgangspunkt der Mission ist für Paracelsus das Abendmahl. Die neue existentielle Erfahrung der Christuswirklichkeit beim Abendmahl fordert die Nachfolge Christi und den Einsatz des Christen für die Heidenmission. Darum werden alle Heiden zur Gemeinschaft Christi beim Abendmahl eingeladen. Diese Auffassung von der Gemeinschaft Christi im Abendmahl ist mit der Vorstellung verbunden, dass der Leib Christi nach seiner Auferstehung in der ganzen Welt verteilt wird. Diese Missionsvorstellung des Paracelsus setzt ein bestimmtes Amtsverständnis voraus, das die Ämterlehre sowohl der römischen als auch der reformatorischen Kirchen destruiert. 200 Das Apostolat, das die Mitte der paracelsischen Amtslehre bildet, hat seinen Ursprung im charismatischen und missionarischen Apostolat des Urchristentums. Darum ist der Apostel für Paracelsus der Beauftragte, der unmittelbar von Gott zur Weltmission berufen wird. Das Apostolat wird bei Paracelsus vor allem durch eine Bereitschaft zum Martyrium, die leidenschaftliche Verkündigung des Wortes Gottes und eine asketische Lebensführung charakterisiert. In dem ehelosen apostolischen Wanderleben, das der Apostel führen soll, spiegelt sich der Einfluss mittelalterlicher Askese und der Armutsbewegung. Für Apostel, die ein solches Leben führen, gilt eine besondere Gnade und Erkenntnis Gottes. Trotzdem denkt Paracelsus das Apostolat nicht hierarchisch. Der Apostel soll durch die Wunder, die er mit der charismatischen Macht Gottes vollbringen kann, und mit der Verkündigung des Wortes Gottes Heidenmission betreiben, während die Propheten den Juden predigen sollen. Das Missionsverständnis des Paracelsus bezieht sich einerseits auf geschichtliche Ereignisse, andererseits auf biblische Aussagen. Paracelsus betont besonders die Allgegenwart Gottes als einen Ausdruck seiner Herrschaft über die ganze Welt. In Bezug auf die Entdeckung der neuen Welt scheint Paracelsus zu versuchen, die ganze Welt unter die Herrschaft Gottes zu legen. Die ganze Welt wird schlussfolgernd als das Haus Gottes verstanden. Damit begründet er die dringende Aufforderung zur Mission. Die Mission ist eigentlich der Befehl Christi. Das ehelose missionarische Wanderleben des Apostels orientiert sich an der Nachfolge Christi. Durch diese Vorstellung schillert auch das Selbstbewußtsein und das wirkliche Leben des Paracelsus selbst durch: Er war fast immer unterwegs und ehelos. Als Arzt versuchte er Kranke zu heilen und stritt sich mit Geistlichen, die seiner Ansicht nach das Wort Gottes verdrehten. Sein Spiritualismus half ihm dabei, sein Missionsverständnis zu konkretisieren: Der Apostel wird unmittelbar von Gott erwählt und sein Werk steht im unmittelbaren Verhältnis zu Gott, der es direkt lenkt und leitet. Für Paracelsus ist die unmittelbare Gottesbeziehung das eigentlich entscheidende Element auf dem Weg zur Seligkeit. Das Gelübde kommt unmittelbar von Gott und verwirklicht sich durch die unmittelbare Gottesbeziehung. Der Apostel ist der zur Mission von Gott Berufene und verkündigt in der Gegenwart Gottes das Wort Gottes. Äußere Dinge spielen hier keine Rolle. Zwar finden sich das reformatorische »sola fide«, 201 »sola gratia« und »solus Christus« als zentrale Elemente in der Struktur der paracelsischen Theologie, aber Paracelsus interpretiert sie eigenwillig, individualistisch, egalitär und vom Geist Gottes inspiriert. Darum kann geschlussfolgert werden, dass das paracelsische Gott-Mensch-Verhältnis eine spiritualistische Verarbeitung und Umdeutung reformatorischer Elemente darstellt. III. Schluss In seinem Psalmenkommentar setzt sich die Tendenz der Entwicklung weg von einer Trichotomie hin zu einem Dualismus fort, die sich bereits in seinen früheren Schriften angedeutet hatte, so dass Paracelsus in seiner Anthroplogie stark dualistisch denkt: Paracelsus bewertet den Leib und die Seele aufgrund ihrer Abstammung gegensätzlich. Er rückt die Sünde mehr auf die leibliche Seite und die Heiligkeit als das Ebenbild Gottes auf die seelische Seite. Paracelsus scheint diese dualistische Grundstruktur vom Humanismus übernommen zu haben: die Hochschätzung der Seele gegenüber dem Leib, das Argument von der Herrschaft der Seele über den Leib, sowie die Legitimierung den Leib für die Seele zu gebrauchen. Hier scheint Paracelsus den Humanisten näher zu sein als den Reformatoren. Er unterscheidet sich allerdings deutlich von den Humanisten in seinem Verständnis der Vernunft: Die Vernunft oder die Seele ist für ihn keine Substanz im Menschen und begründet dadurch keine Überlegenheit des Menschen gegenüber anderen Geschöpfen. Bei Paracelsus gilt die Vernunft als ein Akzidens, das vom Gottesverhältnis abhängt. Bei Paracelsus ist der Mensch ohne Gott gleich den Tieren. Die Überlegenheit des Menschen ist für ihn von der Beziehung zu Gott abhängig. Sogar in seiner Erforschung der Natur ist der Mensch von Gott abhängig, denn er braucht dazu notwendiger Weise Licht der Natur, das Gott in seinem Herzen entzünden muss. Die Überlegenheit des Menschen ist keine Substanz. Sie kann auch nicht durch Lernen erworben werden. Ausschlaggebend ist allein das unmittelbare Gottesverhältnis. Was den Menschen wirklich sich selbst sein lässt, ist nicht im Menschen selbst. Ohne Gottesbeziehung kann der Mensch sich weder zur Natur richtig verhalten und noch die Natur erkennen. Die dualistische Tendenz des Paracelsus liegt nicht zuletzt an der theologischen Ausrichtung des Psalmenkommentars, denn das Hauptthema des Kommentars ist die 202 ewige Seligkeit des Menschen. Dabei ist für die paracelsische Anthropologie der Satz grundlegend: Nur was vom Himmel kommt, kann auch in den Himmel gelangen. Wegen der kreatianistischen Orientierung des Paracelsus entsteht hier ein starker Dualismus zwischen dem Leib als dem Irdischen und der Seele als dem Himmlischen. Trotz dieses Dualismus verzichtet Paracelsus nicht völlig auf die Leiblichkeit des Menschen, behauptet vielmehr dessen geistleibliche Einheit. Ziel des Menschen ist die ewige Seligkeit. Der Weg dorthin beginnt mit der Gnade Gottes durch Christus allein, wobei Paracelsus das reformatorische Losungwort »solus Christus« eigenwillig interpertiert. Der Weg selbst ist die Nachfolge Christi und zugleich der Kampf gegen den leiblich vorgestellten Verführer. Dabei spielt das unmittelbare Gottesverhältnis eine große Rolle. In dieser Beziehung geschieht die Erschaffung der neuen Kreatur durch den auferstandenen Christus. Der Mensch bekommt dort die wahre Erkenntnis sowohl von Gott als auch von der Natur, und er kann ein christliches Leben führen. Hieraus legitimiert Paracelsus, dass er berechtigt sei, als Laie die Heilige Schrift auszulegen und verteidigt sich gegen seine Gegner, die die Berechtigung seiner theologischen Schriften angreifen. Für Paracelsus macht Gott jemanden zum Doktor, nicht die Schule. Paracelsus nennt sich selbst „der heiligen geschrift doctorem vnd beider erznei.“731 Unter der ewigen Seligkeit versteht Paracelsus nicht das mystische Einswerden mit Gott. Bei ihm geht es um den unmittelbaren Umgang mit Gott nicht nur geistig sondern auch leiblich. Bei Paracelsus bedeutet die ewige Seligkeit, mit Gott in der Gemeinschaft zu leben. Diese Beziehung geschieht sowohl im Himmel als auch auf der Erde. Obwohl diese Gemeinschaft im Himmel vervollkommnet wird, beginnt sie schon auf der Erde. Hier zeigt sich das positivische Verhältnis des Paracelsus zum Diesseits. Trotz der negativen Darstellungen des diesseitigen Lebens, dass die menschliche Existenz die in die elende Welt hinausgeworfene Existenz sei, der Mensch in diesem Leben mit der Sterblichkeit verbunden sei, unter Elend und Armut leiden solle und sein ganzes Leben ein Kampf gegen den irdischen Verführer zur Seligkeit sei, verzichtet Paracelsus nicht völlig auf das diesseitige Leben. Die Welt Gottes wird bei ihm nicht nur geistig erfasst, sondern auch leiblich. Er unterscheidet zwar oft zwischen Gott dem Schöpfer und dem 731 Vgl.PW 2/VI, [334a]. 203 Erlöser. Er betont aber den trinitarischen Gott. Die Natur wird bei Paracelsus in die Herrschaft Gottes eingeschlossen. In seiner Auffassung über das „gedechtnus gottes“, das sich sowohl auf das Abendmahl als auch auf die Natur bezieht, wird die elementarische Seite der Welt nicht übersehen. Dies gilt auch für seine Vorstellung von der ewigen Seligkeit. Die ewige Seligkeit ist bei Paracelsus sowohl geistig als auch leiblich. Damit meint Paracelsus die Erlösung des ganzen Menschen, der Leib und Seele besitzt. Die Erlösung des Menschen bezieht sich somit auf sein ganzes Wesen. In Hinblick auf die ewige Seligkeit als eine Gemeinschaft mit Gott kann sein zentraler, oft im Psalmenkommentar wiederholter Gedanke verstanden werden: die Gleichheit. Gott allein ist der Herr und der Erlöser. Alle Menschen sind Knechte Gottes, die durch diesen erlöst werden sollen und in der unmittelbaren Beziehung zu Gott leben sollen. Es gibt weder einen besseren Weg zur Seligkeit noch eine Hierarchisierung der Seligkeit. Paracelsus spricht sich im Psalmenkommentar oft gegen die hierarchische Vorstellung der weltlichen und geistlichen Ordnungen aus, obwohl er das Amt selbst nicht ablehnt, denn er versteht Ämter nicht hierarchisch. Vielmehr ist für ihn ein Amt eine Aufgabe, die von Gott gegeben wird. Nur Gott verleiht das weltliche Amt und das Apostolat. Darum verweigert Paracelsus die Vererbung eines Amtes. Er lehnt es jedoch nicht ab, sondern interpretiert es funktional im Sinne der Verantwortlichkeit gegenüber den Untertanen. Diese Verantwortlichkeit sieht er im Lichte der Nachfolge Christi. In der Gemeinschaft mit Gott gibt es keine Hierarchie – weder auf der Erde noch im Himmel. Damit entfernt sich Paracelsus weit vom damaligen Standverständnis, obwohl er selbst nicht versucht, diese Überzeugung auch politisch durchzusetzen. Dennoch waren seine Gedanken höchst brisant sowohl für die soziale Ordnung als auch für den politischen Bereich. Seine Auffassung von der Gleichheit gründet in seiner Anthropologie, die den Menschen immer auf die direkte Gottesbeziehung zurückführt. Weil hier der Schwerpunkt seiner Anthropologie liegt und nicht im Menschen selbst, ist seine Anthropologie im Grunde konservativ. Darum kann man sagen, dass die Radikalität seiner Anthropologie auf ihrer Konservativität beruht. Im Vergleich zur früheren Theologie des Paracelsus sind im Psalmenkommentar Kontinuität und Entwicklung eng miteinander verflochten. Die Kontinuität liegt in der starken Betonung des Glaubens zur Erlösung und im christlichen Leben, um das der 204 Gläubige sich nach der Veränderung seiner Existenz durch den Glauben bemühen soll. Die Entwicklung seiner Theologie hängt mit dem neuen Begriff »Limbus« zusammen. Mittels dieses Begriffs konstruiert Paracelsus seine Theorie von der Neuerschaffung des ganzen Menschen. Der Limbus ist die Klammer, die es Paracelsus ermöglicht, trotz seiner deutlichen dualistischen Unterscheidungen nicht nur die geistige Dimension, sondern auch die leibliche Dimension in dieser Neuerschaffung zu berücksichtigen. Im Psalmenkommentar zeigen sich diverse theologische Einflüsse der Hauptreformatoren Luther und Zwingli, der radikalen Reformatoren Müntzer und Hoffmann, von Schwenckfeld und der Taufbewegung. Paracelsus verbindet diese verschiedenen Ideen miteinander, verarbeitet sie und gibt ihnen durch seine eigenwillige Interpretation eigene Bedeutungen. Im Psalmenkommentar kombiniert Paracelsus somit verschiedene Auffassungen miteinander, die oft gegeneinander stehen: biblische Anthropologie (der Auferstehungsleib, das Herz), reformatorische Grundprinzipien (solus Christus, sola fide und sola gratia), spiritualistische Ideen (die Weisheit Gottes, das unmittelbare Gottesverhältnis, die Erleuchtung durch den Heiligen Geist) und eigene anthropologischen Akzente (die geistleibliche Ganzheit des Menschen, die Limbustheorie, »das Licht der Natur«, und die Heiligkeit als Gottebenbildlichkeit). Als zentrale Elemente in der Struktur der paracelsischen Theologie finden sich das reformatorische »sola fide«, »sola gratia« und »solus Christus«. Obwohl Paracelsus »sola fide« und »sola gratia« im üblichen reformatorischen Sinne verwendet, interpretiert er »solus Christus« eigenwillig, individualistisch, egalitär und vom Geist Gottes inspiriert. Unter »solus Christus« versteht er, dass dem Menschen nur durch den Sühnetod Christi seine Sünde vergeben wird und er einen neuen ewigen Leib nur aus dem »Limbus Christi« erhält, um zur ewigen Seligkeit gelangen zu können. Indem er sein Verständnis des »solus Christus« mit seinen spiritualistischen Elementen verbindet, erhält seine Soteriologie eine enorme Radikalität. Man könnte sie als eine Überinterpretation des reformatorischen Losungswortes einschätzen. Die paracelsische Anthropologie im Psalmenkommentar trägt von ihrer Gesamttendenz her einen spiritualistischen Charakter. In der paracelsischen Theologie ist das unmittelbare Gottesverhältnis entscheidend. Die Seele kommt von Gott und sucht nach ihrer Existenz Gott. Die Heiligkeit, unter der das Ebenbild Gottes verstanden wird, 205 ist ein Akzidens des Menschen, weil deren Bewahrung auf das unmittelbare Verhältnis zu Gott angewiesen ist. Die Toten werden als Gottferne bezeichnet. Sowohl die Gotteserkenntnis als auch die eigentliche Erforschung der Natur, die das »Licht der Natur« ermöglicht, hängen von der unmittelbaren Gottesbeziehung ab. Diese ist das Entscheidende für die ewige Seligkeit des Menschen. Die Buße soll persönlich im Herzen zu Gott geschehen. Nur die Taufe durch den Heiligen Geist ist heilsnotwendig. Dabei kann der Mensch wiedergeboren werden und einen neuen Leib erhalten. In der Beziehung zum Heiligen Geist kann der Mensch ein christliches Leben führen. Gelübde werden unmittelbar von Gott verliehen und können nur in der unmittelbaren Gottesbeziehung verwirklicht werden. Das Amt, das mit den Gelübden verbunden ist, kommt auch unmittelbar von Gott. Darum verneint Paracelsus die Vererbung des Amtes. Der Apostel ist der von Gott zur Mission Berufene und verkündigt in Gegenwart Gottes das Wort Gottes. Er hat keine Beziehung zu der institutionellen Kirche und dem äußeren Sakrament. Paracelsus stellt seine Vorstellung vom Gottesverhältnis durch die spiritualistische Interpretation reformatorischer Elemente dar. Aus diesem Grund polemisiert er sowohl gegen die katholische Kirche als auch gegen Reformatoren. Durch die Verinnerlichung und die Individualisierung der Kirche, unter der Paracelsus die wahre Wohnung Gottes im Herzen versteht, trägt jeder Christ seine Kirche in sich. Dadurch lehnt er fast alle äußerlichen Institution, die Obrigkeit und das kirchliche Brauchtum ab. Im Psalmenkommentar ist der Antiklerikalismus ein deutliches Merkmal der paracelsischen Theologie. Auf diesem Antiklerikalismus beruht auch das spiritualistische Element seiner Theologie. Paracelsus bezeichnet den Papst als den irdischen Teufel. Er verführt nach Paracelsus den Menschen durch die Verfälschung des Wortes Gottes. Er verfälscht es durch die menschliche Weisheit, weil er keine Beziehung zu Gott hat. Diese Verfälschung bezieht Paracelsus auf einen seiner beiden wichtigsten Sündenbegriffe: »Lüge«. Deshalb ruft er zum Widerstand gegen den Papst und seine Geistlichen auf und mahnt, ein sittliches Leben in der direkten Beziehung zu Gott zu führen. Hier bedeutet der Kampf gegen den Papst ein Bemühen um das Bleiben in dieser Beziehung. Doch finden sich im Psalmenkommentar auch Elemente, die Paracelsus vom Spiritualismus abgrenzen. Trotz seines deutlichen Dualismus verzichtet Paracelsus nicht 206 völlig auf die Leiblichkeit des Menschen. Der irdische Leib ist für ihn als das Subjekt menschlichen Handelns und als Beschützer der Seele wichtig. Ansätze geistleiblicher Einheit können schon auf der Erde gefunden werden. Paracelsus akzeptiert die äußerliche kirchliche Kindertaufe. Beim Abendmahl wird das leibliche Element durch sein Verständnis einer Realpräsenz betont. Paracelsus versteht sogar den neuen ewigen Leib als eine Leiblichkeit. Durch den neuen Leib Christi wird er genährt. Für ihn ist das „gedechtnus gotes“ gebunden an die Substanzen, die Erkenntnis ermöglichen. Sein theologischanthropologisches Ziel ist die Erlösung des ganzen geistleiblichen Menschen, von ewigem Leib und von der Seele, nicht einem davon. Obwohl die Denkart des Paracelsus in seinen theologischen Schriften anders ist als in seinen medizinischen und naturphilosophischen und er deshalb den irdischen Leib abwertet, scheint er dennoch nicht völlig auf die Leiblichkeit zu verzichten. Dieser Punkt stellt den wesentlichen Unterschied zu den Spiritualisten dar. In der vorliegenden Untersuchung wurden lediglich die Anthropologie und das GottMensch-Verhältnis des Paracelsus im Psalmenkommentar erschlossen und ausgewertet. Untersuchungen über die paracelsische Eschatologie, Sozialethik und die Kirchen- und Papstkritik, welche im Psalmenkommentar des Paracelsus umfangreich behandelt werden, stehen noch aus, ebenso weitere Analysen seiner anderen Auslegungen, z.B. seine Auslegung der Zehn Gebote, sein Jesaja- und sein Danielkommentar, sowie seine Untersuchungen über das Verhältnis zwischen den alttestamentlichen Auslegungen. All diese wurden ebenfalls in den 1530er Jahren geschrieben und sind für eine gründliche Erfassung der paracelsischen Theologie in diesem Zeitraum unerlässlich. Dabei wären außerdem zwei weitere Aspekte zu analysieren: Erstens, inwieweit unterscheidet sich die späte Theologie des Paracelsus von seiner früheren? Zweitens, wie weit stimmt Paracelsus mit Reformatoren wie Luther und Zwingli überein und wo befinden sich wesentliche Konfliktlinien? Für diesen spezifischen Einblick in den Psalmenkommentar lässt sich allerdings zumindest konstatieren, dass Paracelsus durchaus als eigenständiger Theologe zu werten ist, der als Laie selbstbewusst vermocht hatte, verschiedene reformatorische Ideen selbstständig und originell zu verarbeiten und weiterzuentwickeln. Er mag sich, ganz im Sinne des Mittelalters, als nicht gelehrt bezeichnet haben. Ganz im Sinne der anbrechenden Neuzeit jedoch wagte er es, die eigene unmittelbare Gotteserfahrung als neue Gelehrsamkeit zu propagieren. 207 Literaturverzeichnis 1. Quellen a) Paracelsus-Schriften Paracelsus: Astronomia Magna (1537/38), in: PW 1/XII. München und Berlin 1929, S. 1–444. (Paracelsus, Astronomia Magna) Ders., Auslegung über die zehen gebott Gottes, in: PW 2/VII. Wiesbaden 1961, S. 117– 228. (Paracelsus, Auslegung) Ders., Das Buch von der Gebärung der empfindlichen Dinge in der Vernunft. (Von Gebärung des Menschen. Von des Menschen Eigenschaften), in: PW 1/I. München und Berlin 1922, S. 241–286. Ders., Das neunte Buch in der Arznei, von Ursachen und Kuren der Kontrakturen und Läme, in: PW 1/II. München und Berlin 1930, S. 457–486. Ders., Das zweite Buch der Großen Wundarznei, 1536, in: PW 1/X. München und Berlin 1928, S. 215–422. Ders., De Meteoris, ein Buch in 10 Kapiteln: „Liber meteororum“, in: PW I/XIII. München und Berlin 1931, S. 125–208. Ders., Drei chirurgische Bücher (3.–5.?), in: PW 1/X. München und Berlin 1928, S. 499–538. Ders., Erklärung der ganzen Astronomie, in: PW 1/XII. München und Berlin 1929, S. 447–477. (Paracelsus, Erklärung der ganzen Astronomie) Ders., Libellus de baptismate christiano, in: PW 2/II. Weisbaden 1965, S. 369–377. Ders., Liber de podagricis et suis speciebus et morbis annexis (drei Bücher), in: PW 1/I. München und Berlin 1922, S. 309–344. (Paracelsus, Liber de podagricis) Ders., Liber de sacramento corporis Christi, einzunehem zur seligkeit, in: ders.: Theologische Werke 1: Vita Beata – Vom seligen Leben, (Neue Paracelsus-Edition, Bd. 1, hg. v. Urs Leo Gantenbein). Berlin, New York 2008, S. 495–508. (Paracelsus, Liber de sacramento) Ders., Liber de Sancta Trinitate, in: PW 2/III. Stuttgart 1986, S. 233–266. (Paracelsus, Liber de Sancata Trinitate) Ders., Psalmenkommentar, in: PW 2/IV – 2/VII. Wiesbaden 1955–1961, S. 1–115. (PW 2/IV–VII) Ders., Sozialethische und sozialpolitische Schriften, hg. v. Kurt Goldammer. Tübingen 1952. (Paracelsus, Sozialethische Schriften) Ders., Vom Licht der Natur und des Geistes, hg. v. Kurt Goldammer, Stuttgart 1984. Ders., Vom tauf der Christen, in: PW 2/II. Wiesbaden 1965, S. 329–366. Ders., Von den Natürlichen Dingen, das erste Buch. Von Terpentin, schwarzer und weißer Nieswurz, Wasserpfeffer, Salz, St. Johannis Kraut, dem Magneten, Schwefel, Vitriol, Arsenik, (Weinstein), in: PW 1/II. München und Berlin 1930, S. 59–176. Ders., Von Ursprung und Herkommen der Franzosen Sampt der Rezepten Heilung 8 Bücher, in: PW 1/VII. München 1923, S. 183–366. 208 Ders., Vorläufige Ausarbeitung zum vorstehenden Entwurfe der fünf Bücher von den unsichtbaren Krankheiten, in: PW 1/IX. München 1925, S. 351–368, hier S. 365. Ders., Zwei Bücher von der Pestilenz und ihren Zufällen, Nördlingen 1529 oder 1530, in: PW 1/VIII. München 1924, S. 369–395. Ders., VII. Sermo de purgatorio. Fragmenta quaedam, in: PW 2/III. Stuttgart 1986, S. 287–293. (Paracelsus, Sermo de purgatorio) Ders., VIII. Fragmenta quaedam/Fragmente zur Frage des Aberglaubens. Sermo de purgatorio u, in: PW 2/III. Stuttgart 1986, S. 295–299. (Paracelsus, Fragmenta) b) Sonstige Quellen Luther, Martin, Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum, in: WA, Bd. 7. Weimar 1897, S. 91–151. Ders., Das 15. Capitel der 1. Epistel S. Pauli an die Corinther 1532/33, in: WA, Bd. 36. 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Siehe unten PW 1/Band Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus: Sämtliche Werke, 1. Abteilung: Medizinische naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, Bde. 1–14, hg. v. Karl Sudhoff. München und Berlin 1922–1933. PW 2/Band Ders., Sämtliche Werke, 2. Abteilung: Theologische und religionsphilosophische Schriften, Bd. 2–7, hg. v. Kurt Goldammer. Wiesbaden(Stuttgart) 1965–1986. 4 RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. v. H. D. Betz u.a., Bde. 8. Tübingen 41998–2007. sic! So lautet die Quelle. StA Melanchthon, Philipp, Studienausgabe, Bd. 2/I, II, hg. v. Robert Stuperich, Gütersloh 1952. TRE Theologische Realenzyklopädie, hg. v. G. Krause und G. Müller. Berlin, New York 1977–2004. WA Luther, Martin, D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bde. 1– 58. Weimar 1883ff. WADB D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Deutsche Bibel, Bde. 7, 10/2. Weimar 1956. Z Zwingli, Ulrich, Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, Bde. 1–14, (CR Bde. 88–101), hg. v. Emil Egli u.a. Zürich 1905–1968. ZwS Ders., Schriften, Bde. 1–4, hg. v. Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz. Zürich 1995. 1Kor Der erste Brief des Paulus an die Korinther. Lebenslauf - 13.01.1970 geboren in Daegu - 1985-1988: High School Seong-Kwang. - 1988-1989: Studium an der Universität Keimyung. - 1.1990-5.1992: Wehrdienst. - 1994-1996: Studium Bachelor an Universität Keimyung (Bachelor). - 1997-2000: Studium an Theological College and Seminary Youngnam (Master of Divinity) - 2000-2002: Studium an Presbyterian College and Theological Seminary (Master of Theology). - 2002-2003: Arbeit als Vikar und Pfarrer in der presbyterianischen Kirche Kumsung. - 2006: Latinum und Hebraicum an der Universität Münster. - 2007: Graecum an der Universität Münster - 2005-2010: Studium an der Universität Münster. - seit 2010: Promotion an der Ruhr-Universität Bochum. Bochum, den 27. 10. 2011 Choi, Young Jae