Wege zu wahrem Frieden und zur Freiheit von Thich Nhat Hanh Viele von uns empfinden das Leben zeitweilig als sehr schwierig und leidvoll. Wir machen oft Dinge, die wir nicht wirklich wollen, und wir wissen nicht, wie wir unser Leben ändern, verbessern können. In solchen Situationen kann uns unser innerer Buddha, der Buddha, der uns innewohnt, helfen. Wie? Das könnt ihr euch so vorstellen: Euer Laptop ist „abgestürzt“ und ihr wisst nicht mehr weiter. Ihr seid ganz verzweifelt und wollt aufgeben. Doch dann kommt euer älterer Bruder, er ist ein Computerspezialist, und hilft euch. Ihr vertraut ihm, und in kurzer Zeit hat er alles wieder in Ordnung gebracht. Und so einen großen Bruder oder eine große Schwester gibt es auch in euch. Und immer, wenn es zu schwierig für euch wird, solltet ihr euren Bruder, eure Schwester bitten, zu helfen. Der Buddha ist die große Schwester, der große Bruder in uns. Der Buddha ist freundlich, liebevoll, vergibt, ist voller Liebe, hat viel Verständnis. Dann gibt es aber auch noch jemand anderen in uns. Jemanden, der faul ist, störrisch, neidisch, nicht glücklich. Diese „Person“ ist auch da. Im Buddhismus heißt sie „Mara“. In der christlichen Tradition wird sie „Teufel“ genannt. Mara wird schnell wütend, neidisch, neigt zur Gewalt – und wie der Buddha ist auch Mara in jedem von uns. Beide sind in uns gegenwärtig, doch sie kämpfen nicht miteinander niemals. Sie arbeiten zusammen. Es ist wie die rechte und die linke Hand eines Menschen. Der Buddha ist angenehmer als Mara, aber auch Mara ist sehr nützlich. Wir Menschen sind wie ein Garten. In diesem Garten gibt es Blumen, aber auch Abfall. Aus dem Abfall entsteht Dünger, und der Dünger lässt die Blumen wachsen. So sind die Blumen letztlich auch der Abfall. So ist es mit Buddha und Mara. Wir glauben vielleicht, dass wir nur Freude und Glück brauchen. Auf das Leiden wollen wir gern verzichten, das lehnen wir ab. Aber ohne Leid gibt es keine Freude. Es ist so, als ob wir versuchten, die Blumen ohne Dünger, ohne Nahrung großzuziehen. Damit ignorieren wir das Gute im Leiden. Wir glauben, dass Leiden nutzlos sei, wollen es loswerden. Aber wenn wir tief schauen, zum Beispiel in der Meditation, erkennen wir das Gute im Leid. Wir verstehen, dass wir nur wissen können, was Glück ist, weil wir Leid erfahren haben. Wir können viel vom Leiden lernen. Wir können die Blume und den Kompost als Einheit sehen. Wir wachsen und entwickeln uns Dank des Leidens. Die Blume ist der Kompost, der erblüht ist. Erkennen wir, wie beides – Glück und Leid – zusammenwirkt, dann löst sich schon viel Leid auf. Allein diese Erkenntnis löst Leiden auf. Manchmal sind wir dem Buddha sehr nah. Dann sind wir mitfühlend, rücksichtsvoll, liebevoll. Aber dann gibt es Zeiten, in denen wir Mara näher stehen, und wir sind ängstlich, wütend, traurig. So erkennen wir, dass beide Seiten in uns sind. Es ist wie beim Wetter: Mal regnet es, dann scheint die Sonne. Die meisten von uns wollen immer nur gutes Wetter und übersehen dabei, dass wir auch den Regen und den Sturm brauchen. Vor einigen Tagen fragte mich ein Junge: „Thay“ – so nennen mich meine Schüler, das ist vietnamesisch und heißt so viel wie Lehrer –, „ich arbeite so hart an mir. Ich atme ein, ich atme aus, will mich beruhigen. Aber ich habe keinen Erfolg, was soll ich tun?“ Ich haben ihm geraten: „Lass den Buddha in dir die Arbeit tun, denn er weiß, wie es geht.“ Ich selbst habe damit gute Erfahrungen gemacht. Der Buddha ist das tiefste und klarste Verständnis in uns, er ist unsere mitfühlende Seite. Buddha und Mara sind Geschwister. Das ist eine sehr tiefgründige Lehre des Buddha, die wir verstehen sollten. Der Buddha wird so oft missverstanden. Es ist durchaus anstrengend, ein Buddha zu sein. Wir sollten uns gegenseitig dabei unterstützen. Wir spielen im Leben bestimmte, oft wechselnde Rollen – so wie die Blume und der Abfall, der Regen und der Sonnenschein. Der Abfall sagt auch nicht, ich bin es müde, Abfall oder Kompost zu sein. In der Blume ist der Kompost. Er ist eine Blume, die erblüht ist. Diese Betrachtung hilft zu erkennen, wie die wirkliche Beziehung zwischen Leiden und Glück ist. Wir haben viel Krieg und Gewalt in unserer Zeit. Und dies nicht zuletzt, weil viele Menschen denken, dass sie auf der Seite des Buddha, des Guten, stehen. Sie bekämpfen Mara, das Böse. Sie glauben, Mara sei gegen den Buddha. Sie wollen Mara zerstören, damit der Buddha erblühen kann. Dabei ist die Verbindung zwischen Buddha und Mara unzerstörbar….