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pa/Bildagentur Huber
Das Bild zeigt die al-Azhar-Moschee und Universität in der Altstadt von
Kairo. Die im Jahre 972 n.Chr. gegründete al-Azhar-Universität ist eine
der ältesten Ausbildungseinrichtungen Nordafrikas. Sie entwickelte sich
zur einflussreichsten Lehrstätte des sunnitischen Islam. Muhammad
Abduh (1849-1905), Schüler von Jamal al-Din al-Afghani (1838-1897),
studierte und lehrte hier. Zusammen mit seinem Lehrer entwickelte er
Ideen für eine Erneuerungslehre, die eine Modernisierung des Islam zum
Ziel hatte, ohne dabei für die Wiederherstellung der Einheit von Religion
und Politik zu plädieren. Für die Zusammenführung der beiden Sphären
setzen sich hingegen fundamentalistische Islamisten ein. Stellvertretend
für diese steht die 1928 gegründete Muslimbruderschaft um ihren Gründer Hasan al-Banna (1906-1949), der ebenfalls im Umfeld der al-AzharUniversität anzusiedeln ist.
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Zur Bedeutung des Islam für Politik und
Gesellschaft in Nordafrika
Der Islam spielt in Nordafrika, ausgehend von der Eroberung
Ägyptens im Jahre 642 und der sich bis Ende des 7. Jahrhunderts
hinziehenden Eroberung der Gebiete entlang der Mittelmeerküste
bis an den Atlantik, eine zentrale Rolle. Der Islamisierung Nord­
afrikas, die einer Entchristianisierung gleichkam, folgte in Ansätzen auch eine ethnische und sprachliche Arabisierung, die erst im
11. Jahrhundert mit dem Einmarsch der großen arabischen Stämme Banu Sulaiman und Banu Hilal deutlichere Züge annahm. Im
westlichen Maghreb (Marokko) fiel allerdings die Arabisierung
am geringsten aus; dort ist bis heute die Amazighité (Berbertum)
am stärksten ausgeprägt. Nordafrika war bis auf kurze Zeit unter
den schiitischen Fatimiden stets Teil des sunnitischen Islam.
Politisch-gesellschaftlich bildete sich der Islam seinem Verständnis entsprechend, sowohl Religion zu sein als auch die politische Herrschaft zu gestalten (Islam = Religion und Staat/din
wa dawla), seit dem 7. Jahrhundert als dominierende Kraft heraus. Entwickelte staatliche Strukturen in den im Zeitablauf unterschiedlich großen islamischen Reichen waren der Garant der
islamischen Ordnung, an deren Spitze der Kalif stand. Die islamischen Religions- und Rechtsgelehrten, die Ulama, wiederum
entwickelten die Scharia, also die Pflichtenlehre, die das gesamte
religiöse, politische, soziale, häusliche und individuelle Leben
der Muslime sowie der im islamischen Staat geduldeten Andersgläubigen regelt. Die Scharia enthält sowohl die eigentlichen
Rechtsnormen (primär das Strafrecht, aber auch das Erb- und
Familienrecht) sowie die kultischen und religiösen Vorschriften.
Als primäre Quelle des islamischen Rechts gilt der Koran.
Der Islam bis zur Unabhängigkeit der Staaten
Der Islam Nordafrikas ist bei aller Orientierung an der islamischen Gemeinde (Umma), der Befolgung der Pilgerfahrt nach
Mekka und der obligatorischen Ausrichtung der Gebete nach
Mekka eine stark lokal geprägte Religion. Hierzu trugen die isla197
II. Strukturen und Lebenswelten
mischen Universitäten in Kairo, Tunis und Fes sowie berühmte
Moscheen, wie die im tunesischen Kairuan, bei. Die islamische
Universität al-Qarawiyine im marokkanischen Fes wurde im
Jahr 859 gegründet und ist die älteste islamische Universität
überhaupt, während die 972 gegründete al-Azhar-Universität in
Kairo die bekannteste, renommierteste und einflussreichste sunnitische Lehranstalt wurde. Aber auch die Zaituna-Universität in
Tunis hat bedeutende Gelehrte hervorgebracht, die bis heute rezipiert werden. Daneben finden sich im Unterschied zum Nahen
Osten in ganz Nordafrika Grabstätten verehrter Lokalheiliger
(sog. Marabouts), die Ausdruck der starken sufischen Verwurzelung der Bevölkerung sind, die durch Mitgliedschaft in Zaouias
(Versammlungszirkeln) eine individuelle und unmittelbare Bezie­
hung zu Gott sucht. In der Neuzeit sorgte schließlich der libysche
Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi mit seiner religiösen
Neuinterpretation des Islam, der Entmachtung von Religionsgelehrten und der Zurückweisung der Scharia zugunsten positiven
Rechts für Aufmerksamkeit und setzte sich dem Vorwurf der
Ketzerei durch Saudi-Arabien und islamistischer Gruppen aus.
Die islamische Ordnung, deren Hauptkennzeichen die Anwendung der Scharia in ihrer ganzen Bandbreite war, wurde spä­
testens mit der dreijährigen Expedition Napoleons nach Ägypten ab Mai 1798 in Frage gestellt. Napoleons Ägyptenexpedition
leitete das koloniale Zeitalter ein: Die europäischen Mächte verstärkten ihre Präsenz in den islamischen Staaten um das Mittelmeer, erpressten Sonderrechte für ihre Staatsbürger und intervenierten schließlich direkt. Vor allem die Gesetzgebung und
Rechtsprechung gerieten dadurch unter den Einfluss des Code
Napoleon. Dies traf in erster Linie auf das osmanisch beherrschte
Beylik Algier zu, das seit 1830 von Frankreich erobert und als
Siedlungskolonie in das französische Mutterland integriert
wurde. Aber auch in Tunesien und Marokko, die Ende des 19.
bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts französischen Protektoratsstatus erhielten, wirkte sich der Code Napoleon aus. Gleiches galt
für Ägypten, das seit der britischen Besetzung 1882 zum britischen Weltreich gehörte, und für Libyen, das ab 1911 von Italien militärisch erobert und dessen islamische Bevölkerung ihrer
Selbstbestimmung beraubt wurde. Auch wenn die Muslime in
den nordafrikanischen Staaten weiterhin ihren Kult ausüben
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pa/Photoshot
Zur Bedeutung des Islam für Politik und Gesellschaft
Der Islam versteht sich gleichermaßen als Religion wie als staatlichgesellschaftliche Ordnung. Die Scharia ist dabei als Pflichtenlehre
angelegt, die das gesamte Leben eines Individuums regelt. Dies
garantiert den religiösen Führern die moralische Kontrolle des
Einzelnen durch islamische Normen und stabilisiert auf diese Weise
ihre eigene religiös-politische Herrschaft.
konnten, so war der Einfluss der Scharia auf die Staatsordnung
abgeschafft.
Der Islam erlebte seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Renaissance, weil unter dem Eindruck der europäischen politischen,
militärischen und wirtschaftlichen Dominanz eine islamische Erneuerungsbewegung einsetzte. Diese ist untrennbar mit dem
Iraner Jamal al-Din al-Afghani, in Nordafrika aber vor allem mit
dem Wirken seines Schülers, dem im Nildelta geborenen Muhammad Abduh, verbunden. Beide Denker haben im Zusammenwirken mit einer Reihe weiterer Gelehrter den Islam an die
Bedürfnisse der sich rasch wandelnden islamischen Gesellschaf­
ten angepasst, ohne für die Wiederherstellung der Einheit von
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II. Strukturen und Lebenswelten
Religion und Politik zu plädieren. Dieses Streben blieb neofundamentalistischen islamistischen Bewegungen vorbehalten, darunter als eine der ersten die in den 1920er-Jahren in Ägypten
von Hasan al-Banna gegründete Muslimbruderschaft, die mit
ihrer Forderung nach (Wieder-)Begründung eines islamischen
Staates quasi Referenzpunkt aller später entstandenen islamistischen Gruppen wurde.
Die islamische Erneuerungsbewegung unterstützte Anfang
des 20. Jahrhunderts die in Ägypten und vor allem den drei Maghrebstaaten Algerien, Marokko und Tunesien neu entstehende
arabische nationalistische Bewegung. Der Islam wurde Teil ihres
antikolonialen Kampfes und stärkte die Identität der Kolonisierten. Das Leitmotiv der maghrebinischen Nationalisten: »Arabisch ist unsere Sprache, der Islam ist unsere Religion, Algerien
(Marokko, Tunesien) ist unser Vaterland« geht auf die Symbiose
von islamischer Erneuerungsbewegung und Nationalismus zurück. Der Nationalismus war allerdings dem westlichen Nationen­
begriff verhaftet und folgte nicht dem islamischen Verständnis
der Umma (religiösen Gemeinde). Nach Erreichen der Unabhängigkeit – Ägypten formal 1922, Libyen 1951, Marokko und Tunesien 1956 und Algerien nach siebenjährigem Befreiungskampf
1962 – verfolgten die Staaten deswegen auch jeweils eine nationale Islampolitik.
Der Islam in den postkolonialen Staaten
In den postkolonialen Staaten gibt es seit Ende der 1970er-Jahre,
verstärkt durch die Islamische Revolution im Iran vom Februar
1979, ein Ringen um das richtige Gesellschaftsmodell. Auf der
einen Seite stehen jene Staatsführungen, die in säkular ausgerich­
teten autoritären Staaten kapitalistische und sozialistische Ordnungsmodelle umsetzten, in denen der Islam keine prominente
Rolle spielte, sondern nur Referenzpunkt für Einzelmaßnahmen
war. So begründete der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser seine Politik sozialer Gerechtigkeit ebenso religiös wie der
libysche Revolutionsführer Gaddafi sein 1976 eingeführtes direktdemokratisches System, das ihm zufolge nur den Koranvers
»Eure Angelegenheit sei Beratung untereinander« umsetzt.
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Zur Bedeutung des Islam für Politik und Gesellschaft
Auf der anderen Seite stehen islamistische Gruppen wie die
Muslimbruderschaft, aber auch die seit den 1970er-Jahren neu
gegründeten Gruppen wie beispielsweise die ägyptische Jama’a
islamiya (Islamische Gruppe), die tunesische Ennahda (Erneuerungsbewegung), die marokkanische al-Adl wal-Ihsan (Gerechtigkeit und Wohlfahrt), die algerische Islamische Heilsfront
(Front islamique du salut) oder die ostlibysche Jama’a al-islamiya al-Muqatila (Islamische kämpfende Gruppe). Sie wollten die
Säkularität der Nationalstaaten abschaffen und – mittels der Einführung der Scharia – wieder islamische Ordnungsprinzipien in
Politik und Religion einführen. Ihr Hauptkredo ist die Parole
»Der Islam ist die Lösung«.
Beide Seiten erheben den Anspruch auf die Wahrheit ihres
Gesellschaftsmodells und ringen seit den 1970er-Jahren, teilweise militant unter Einsatz von Waffengewalt, um die Vorherrschaft und die richtige islamische Deutungshoheit.
Der Staat und seine Religionspolitik
Die nordafrikanischen Staaten verfolgen alle, unabhängig von
ihrer Staatsform, seit der Unabhängigkeit eine ausgeprägte Religions- bzw. Islampolitik. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich
voneinander sowohl hinsichtlich der konstitutionellen Verankerung der Religion als auch der religiösen Institutionen. In allen
Verfassungen wird der Islam zur Staatsreligion erklärt und das
Arabische als Amtssprache festgelegt; zugleich muss der Staatspräsident in Tunesien und Algerien Muslim sein, in Ägypten gilt
dies wegen der koptischen Minderheit zwar nicht de jure, aber
de facto. In der marokkanischen Verfassung ist festgeschrieben,
dass der »König, Kommandeur der Gläubigen, über die Achtung
des Islam und der Verfassung wacht«.
Die weiteren Regelungen sind länderspezifisch angepasst,
wobei in den Verfassungen von Tunesien und Algerien der Bezug
auf den Islam am geringsten ausfällt. In Algerien werden aber
die Institutionen aufgefordert, Praktiken zu unterlassen, die der
islamischen Moral widersprechen. In Marokko wird die Person
des Königs für unverletzlich erklärt und die monarchi­sche
Staatsform sowie die Bestimmungen zur islamischen Reli­gion
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II. Strukturen und Lebenswelten
können keiner Verfassungsänderung unterworfen werden. In
der ägyptischen Verfassung gibt es den stärksten Islambezug
aller Republiken in Nordafrika, weil nicht nur in Artikel 2 die
Prinzipien der Scharia als die Hauptquelle der Gesetzgebung genannt werden, sondern auch postuliert wird, dass die »Familie
die Grundlage der Gesellschaft ist und auf Religion, Moral und
Patriotismus beruht«; zudem wird die religiöse Erziehung als
grundlegender Bereich im Rahmen der Allgemeinbildung eingestuft. In Libyen, wo es statt einer Verfassung nur eine 1977 verabschiedete kurze Proklamation der Volksmacht gibt, wird zwar
der Koran zur Rechtsgrundlage des Staates erklärt, die Neuinterpretation koranischer Aussagen im Lichte der Gegenwart aber
den lokalen Volkskonferenzen überlassen, die sich an Gaddafis
Interpretation orientieren.
Hinsichtlich der institutionellen Ausprägung gilt: Während
in Marokko der König, seit 1999 König Mohammed VI., nicht
nur weltlicher Herrscher ist, sondern zugleich als »Kommandeur
der Gläubigen« fungiert, liegt in den Republiken die religiöse
Führerrolle nicht bei den Präsidenten, sondern ist an Organe delegiert und unterschiedlich geregelt. In Tunesien ernennt der
Staatspräsident den Mufti der Republik, also die Person, die zusammen mit seinem Diwan (Büro) oberste Kompetenz beim Erstellen von Fatwas (Rechtsgutachten) hat; gleiches gilt für Ägypten. In Algerien gibt es hingegen keinen Mufti, sondern nur vom
Religionsministerium ernannte Imame (religiöse Vorbeter), während Fragen zur religiösen Rechtmäßigkeit politischer Entscheidungen vom Höchsten Islamischen Rat, einem kollektiven Verfassungsorgan, beantwortet werden. Libyen wiederum kennt
weder einen Mufti noch einen Höchsten Islamischen Rat, allerdings konzipierte Revolutionsführer Gaddafi seit 1978 in verschiedenen Reden seine neue Islampolitik; er vermischte bei vielen Anlässen, nicht nur an religiösen Feiertagen, das Amt des
weltlichen Herrschers mit dem des Imam.
Wenngleich die aus Mufti, Höchstem Islamischen Rat, Religionsministerium, islamischen Hochschulen usw. gebildete institutionelle Ordnung des religiösen Sektors in allen fünf nordafrikanischen Staaten unterschiedlich ausfällt, so ist der staatliche
Monopolanspruch zur Ausgestaltung des religiösen islamischen
Raumes unverkennbar.
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Jemen
Anerkennen
Zaid († 740)
als 5. und
letzten Imam.
Tolerante
Richtung.
Ablehnung der
Auseinandersetzung zw.
Mu‘awiya
(Sunnit) und Ali
(Schiit) um das
Kalifenamt;
Begründung
einer eigenen
Lehre ab 657.
Oman,
Libyen und
Algerien
Zaiditen
ca. 6 Mio.
Indien,
Ostafrika
und Tadschikistan
Anerkennen
Ismail († 760)
als 7. und
letzten Imam.
Geheimlehren.
Oberhaupt
Aga Khan.
Ismailiten
ca. 15 Mio.
Alawiten
ca. 2 Mio.
Syrien,
Türkei
Abspaltung
872.
Verehren
Ali
als Gott.
Geheimlehre.
Schiiten ca. 130 Mio.
Libanon
und Syrien
Iran und
Nachbarländer,
Aserbaidschan
und Südkaukasus
05384-10
© MGFA
Geheimlehre
des ad-Darasi
(† 1019).
Erklärte den
Fatimidenkalifen
Hakim für
göttlich. Werden
von den
anderen nicht
als Muslime
anerkannt.
Drusen
ca. 0,6 Mio.
Anerkennen
Mohammed
ibn Hassan
(bis 873)
als 12. und
letzten Imam.
Er lebt im Verborgenen weiter und wird
als Erlöser
(Mahdi)
wiederkommen.
Imamiten
ca. 105 Mio.
Ab 656 Partei (Schia) Alis, des Schwiegersohns Mohammeds (4. Kalif). Schiiten
erkennen nur Nachkommen Mohammeds und Alis als Oberhaupt (Imam) an. Später
Entwicklung besonderer Rituale und Lehrinhalte. Die verschiedenen Richtungen
unterscheiden sich insbesondere durch die Zahl der anerkannten Imame.
Charidschiten
ca. 1 Mio.
Quelle: IzpB aktuell, 2002; Themenheft: Islam und Politik.
Asien
und Afrika
8 bis 20 Mio. Aleviten in der
Türkei: weltlich orientierte
Gemeinschaft mit schiitischen
Einflüssen
Die Sunna ist die orthodoxe
Hauptrichtung des Islam.
Richtschnur sind Koran,
Brauch (Sunna) und
Überlieferung (Hadith).
Fundamentalistische
Bewegungen, u.a.:
Wahhabiten in Saudi-Arabien,
Senussi in Libyen
Sunniten
ca. 750 Mio.
Glaubensrichtungen des Islam
Lehrtätigkeit des Propheten Mohammed 610 bis 632. Offenbarung des Koran
Zur Bedeutung des Islam für Politik und Gesellschaft
203
II. Strukturen und Lebenswelten
Der Staat sorgt erstens für die materielle Infrastruktur, also
den Bau der Moscheen und der religiösen Ausbildungsstätten,
insbesondere die Bereitstellung der islamischen universitären
Ausbildungszweige; hierzu zählen die al-Azhar-Universität in
Kairo, die Fakultät für islamische Mission in Tripolis, die tunesi­sche
Zaituna-Universität, die religiöse Hochschule in Constantine,
die Qarawiyine in Fes. Der Staat sorgt zweitens für die Ausbildung und die Rekrutierung des notwendigen Moscheepersonals,
also Freitagsprediger, Imame und Muezzine. Drittens sind die
allesamt autoritären Staaten stets bemüht gewesen, den religiö­
sen Diskurs, also die Predigtinhalte, zu überwachen. Zum einen
sollte Propaganda der Prediger zugunsten islamistischer Islamvorstellungen und dadurch die Bildung islamistischer Gruppen
vermieden werden, zum anderen durch Handbücher aus dem
Religionsministerium, die von den Imamen bei der Ausarbeitung ihrer Predigten obligatorisch zu konsultieren waren, dafür
gesorgt werden, dass in den Predigten die staatlichen Modernisierungsziele nicht unterlaufen wurden.
Die islamistischen Bewegungen
Die staatliche Islampolitik wird von den Protagonisten einer Reislamisierung der Gesellschaften gemäß den Vorstellungen der
islamischen Frühzeit und der ersten rechtgeleiteten Kalifen abgelehnt, weil sie zu säkular ausgerichtet ist und keine Wiedereinführung der Scharia betreibt. Die islamistische Bewegung ihrerseits kämpft in allen nordafrikanischen Staaten auf zweierlei
Weise für ihr Fernziel: zum einen politisch, sei es in Form politischer Parteien oder ziviler Vereinigungen, zum anderen militant unter Einsatz bewaffneter Gewalt; oftmals werden die Mitglieder der bewaffneten Gruppen als Jihadisten (Gotteskrieger)
bezeichnet. Dabei gab es Perioden, in denen islamistische Gruppen zweigleisig agierten; das heißt in der Öffentlichkeit wurde
das Bild einer moderaten, Gewalt ablehnenden Organisation gepflegt, während im Untergrund ihre bewaffneten Zellen aktiv
waren. So verhielten sich zum Beispiel in den 1980er- und 1990erJahren die tunesische Ennahda und die algerische Islamische
Heilsfront.
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Zur Bedeutung des Islam für Politik und Gesellschaft
In Marokko und Algerien wurden nach anfänglicher rigoroser Verfolgung der islamistischen Gruppen ab den 1990er-Jahren
einzelne islamistische Parteien wie die Partei für Gerechtigkeit
und Entwicklung (Parti de la justice et du développement, PJD;
Marokko) legalisiert. In Tunesien, Libyen und Ägypten blieben
islamistische Parteien hingegen verboten; die ägyptischen Muslimbrüder wurden zwar als Organisation toleriert, konnten hingegen keine Partei gründen und bei den Parlamentswahlen nur
als unabhängige Kandidaten antreten.
Bewaffnete Auseinandersetzungen mit islamistischen Gruppen gab es vor allem in den 1990er-Jahren, als viele nordafrikanische Jihadisten, die auf Seiten des afghanischen Widerstandes
gegen die sowjetische Besatzung kämpften, nach dem sowjeti­
schen Abzug 1989 bzw. dem Sieg der Taliban in ihre Heimatländer zurückkehrten, wo sie ab 1991/92 den bewaffneten Kampf
gegen die in ihren Augen gottlosen Regime aufnahmen, indem
sie bestehende Gruppen radikalisierten oder neue Formationen
gründeten. Die algerische Bewaffnete islamische Gruppe (Groupe
islamique armé, GIA), die libysche Islamische Kampfgruppe, die
Bewegung der libyschen Märtyrer oder auch der ägyptische Islamische Jihad sind hierfür Beispiele. Allerdings konnten die Sicherheitskräfte in den meisten Staaten die islamistischen Gruppen im Laufe der Jahre – unter massiver Verletzung der
Menschenrechte – zerschlagen. Ausnahme war Algerien, wo sich
die islamistische Terrorgruppe Salafitische Gruppe für Predigt
und Kampf (Groupe salafiste pour la prédication et le combat,
GSPC), die ihre Wurzeln in der GIA hat, halten konnte und sich
im Ja­nuar 2007 in »al-Qaida im islamischen Maghreb« umbenannte. Diese Umbenennung dokumentiert den Anspruch, über
Algerien hinaus im gesamten maghrebinisch-sahelischen Raum
die führende islamistische Organisation zu sein, die für die Umsetzung eines islamischen Ordnungsmodells kämpft. De facto
hat aber al-Qaida im islamischen Maghreb keine Chance, ihr politisches Ziel zu erreichen, weil eine Massenbasis fehlt. Die Anschläge auf Sicherheitskräfte oder zuletzt der am 28. April 2011
verübte Bombenanschlag auf das von westlichen Touristen besuchte Restaurant Argana in Marrakesch tun ein Weiteres, um
die Organisation ins politische Abseits zu manövrieren. Durch
die Verwicklung in den transsaharischen Drogenhandel und die
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II. Strukturen und Lebenswelten
Entführung westlicher Staatsbürger mit dem Ziel, Lösegeld zu
erpressen, trägt die Gruppe deshalb eher kriminelle Züge denn
solche einer politischen Organisation.
Die arabischen Revolutionen 2011:
Neue Handlungsspielräume
Die politischen Umbrüche in Nordafrika, die am 14. Januar 2011
zur Flucht des tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali
und am 11. Februar zum Rücktritt des ägyptischen Präsidenten
Hosni Mubarak führten, aber auch in Algerien und Marokko
eine Beschleunigung der politischen Reformen auslösten, hatten
in Tunesien und Ägypten eine Neuordnung der politischen
Landschaft zur Folge. Der Wegfall der staatlichen Kontrollobsession und die Liberalisierung des politischen Lebens erleichterte
in Tunesien und Ägypten die Legalisierung zahlreicher politischer Parteien, darunter auch islamistische Parteien, wie in
Ägypten die Wasat-Partei oder die Partei Freiheit und Gerechtigkeit der Muslim­brüder sowie in Tunesien die Partei Ennahda
von Rachid Ghannouchi.
In diesen beiden Staaten einschließlich dem seit Februar 2011
von der Herrschaft Gaddafis befreiten Ostlibyen befinden sich
derzeit die islamistischen Gruppen und Parteien in einem Prozess der Reorganisation und des Auf- sowie Ausbaus ihrer Strukturen, um bei den bevorstehenden Parlamentswahlen möglichst
gut abzuschneiden. Insofern die bisherigen Staatsparteien in Tunesien und Ägypten inzwischen verboten wurden, stehen die
Chancen hierfür nicht schlecht, so dass sich in der lokalen Presse
Berichte häufen, die vor der »Islamisierung« Tunesiens und
Ägyptens und ihren Folgen warnen, und es in Tunis bereits zu
Protesten von säkularen Frauenorganisationen kam. Berichte
vom März und April 2011 weisen darauf hin, dass es erste Übergriffe auf Imame, die zu tolerant predigten, auf Künstler (Vorwurf »unislamischer Kunst«) und Prostituierte (»unmoralischer
Lebenswandel«) gab. Aber auch Übergriffe auf Christen – Mord
an einem Priester in Tunesien, Übergriffe auf Kopten in Ägypten
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pa/dpa
Zur Bedeutung des Islam für Politik und Gesellschaft
Am 11. Februar 2011 musste Präsident Hosni Mubarak zurücktreten. Das
Vakuum, das seine Herrschaft hinterließ, droht sich mit radikalen Kräften zu füllen.
– scheinen sich zu häufen, so dass die ägyptische Presse die Kopten als »Verlierer der Revolution« bezeichnet.
Die seit einigen Jahren von Denkern wie Nasr Abu Zaid,
­Mohamad Talbi oder Mohamed Arkoun angestoßene Reformdebatte im Islam wird durch das sich abzeichnende Erstarken der
Islamisten eingeengt, obwohl sich insgesamt die Handlungsspielräume des nichtstaatlichen Sektors gegenüber der Staatsgewalt erweitert haben.
Hanspeter Mattes
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