Dr. Götz Fabry Vorlesung Medizinische Psychologie 22.05.2009: Gedächtnis I: Lernen und Behalten Warum sollte man sich im Medizinstudium mit der Psychologie des Gedächtnisses befassen? Zum einen natürlich deshalb, weil ein solides Grundlagenwissen über die psychischen Funktionen für Ärzte unverzichtbar ist, man denke nur an die zunehmende Bedeutung von dementiellen Erkrankungen aber auch an Gedächtnisstörungen in Folge von Unfällen oder anderen Erkrankungen. Viel naheliegender ist aber möglicherweise noch der Eigennutz, den solche Kenntnisse haben können: Schließlich gehört das Medizinstudium zu den lernintensivsten Studiengängen überhaupt und von daher ist es gut zu wissen, wie die ungeheuren Stoffmengen am nachhaltigsten erarbeitet werden. Dass es damit bislang nicht unbedingt zum besten steht, zeigt beispielhaft Folie 1: Hier wurde an einer Gruppe von kanadischen Medizinstudenten im 2. Studienjahr untersucht, wie viel von dem Stoff, der in naturwissenschaftlichen Praktika gelernt wurde, über längere Zeit erhalten bleibt. Dazu wurden die Ergebnisse der Abschlusstestate (t1) mit den Ergebnissen eines Tests 10 bzw. 11 Monate später (t2) verglichen. Andere Studien in anderen Ländern kamen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Lässt sich dieser Schwund verhindern? Natürlich kann die Menge des pro Zeiteinheit gelernten Stoffes nicht beliebig gesteigert werden und möglicherweise ist ein nachhaltiges „tiefes“ Lernen unter den real existierenden Bedingungen des Medizinstudiums gar nicht immer möglich (ob es für das Ziel der ärztlichen Ausbildung überhaupt nötig ist, soviel Stoff zu lernen, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden). Dennoch stellt sich die Frage, wie ein Lernen aussehen müsste, dass zu nachhaltigem Wissen führt und dazu kann die psychologische Gedächtnisforschung wichtige Hinweise geben. Folie 1 nachhaltiges Lernen? Testergebnisse kanadischer Medizin-Studenten im 2. Studienjahr % richtige Antworten Neuroanatomie (n=24) Immunologie (n=29) Physiologie (n=25) 90 80 70 60 50 40 30 t1 10-11 Monate t2 D‘Eon 2006 Als Pionier dieser Forschung (und einer der Gründerväter der wissenschaftlich-experimentellen Psychologie überhaupt) gilt Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), der in seinem 1885 erschienen Buch „Über das Gedächtnis“ die Ergebnisse einiger Selbstversuche der Öffentlichkeit präsentierte. Ebbinghaus hatte Listen mit sinnlosen Silben auswendig gelernt (z.B. DAX, BUC, LOC) und berechnet, wie viel schneller das Lernen nach unterschiedlich langen Pausen vonstatten ging, bis er sich an alle Silben erinnern konnte, wie viel Zeit er also sparte. Seine in Kurvenform dargestellten Ergebnisse sind als die „Ebbinghaussche Lernkurve“ (auch Vergessenskurve) in die Psychologiegeschichte eingegangen (Folie 2). Ebbinghaus stellte außerdem fest, dass zusätzliche Wiederholungen derselben Wortliste dazu führten, dass er das Material nach 24 Stunden wesentlich schneller lernen konnte (er also eine größere Zeitersparnis hatte), als ohne diese zusätzlichen Wiederholungen. Neben anderen Gründen war die Erkenntnis, dass das Wiederholen von Informationen zu ihrer dauerhaften Speicherung beiträgt, ein Grund für die Theorie des Kurzzeitgedächtnisses, die in ihrer einflussreichsten Form von Atkinson & Shiffrin 1968 formuliert wurde. Nach dieser Vorstellung müssen Informationen, die durch die Sinnesorganen aus der Umwelt aufgenommen werden durch das Kurzzeitgedächtnis „hindurch“, um im Langzeitgedächtnis gespeichert werden zu können. Es wird also genau das im Langzeitgedächtnis aufbewahrt, was zuvor im Kurzzeitgedächtnis memoriert, das heißt z.B. mehrmals wiederholt wurde (wenn man sich etwa eine © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 1/9 Telefonnummer mehrmals vorsagt, bis man sie sicher gespeichert hat). Würden die Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses dagegen nicht ins Langzeitgedächtnis überführt dann wären sie für immer verloren (Folie 3). Folie 2 Die Ebbinghaussche Vergessenskurve 100 Behalten (% Ersparnis) 80 60 20 Minuten 1 Stunde 9 Stunden 40 20 0 1 2 Folie 3 6 Behaltensintervall (Tage) 31 Gedächtnissysteme und -prozesse Sensorisches Gedächtnis (Ultrakurzzeitgedächtnis) Aufmerksamkeit Kurzzeitgedächtnis Memorieren Langzeitgedächtnis Atkinson & Shiffrin 1968 Die Alltagserfahrungen insbesondere beim Lernen von abstraktem Material scheinen diese Theorie zu bestätigen: was häufig und länger wiederholt wird bleibt besser hängen. Allerdings konnte durch empirische Studien auch gezeigt werden, dass es nicht allein das Wiederholen ist, dass die Langzeitspeicherung sicherstellt, sondern dass die Wahrscheinlichkeit der Behaltensleistung vor allem dann steigt, wenn das Material in einer bedeutungshaltigen Weise verarbeitet wird. So ließ man Probanden, sich eine vierstellige Zahl zwei Sekunden lang einprägen. Dann sollten Sie Wörter für zwei, sechs oder 18 Sekunden memorieren und anschließend die Zahl wiederholen. Während die Probanden der Meinung waren, es handele sich um einen Test zum Erinnern von Zahlen (und das Wörterlernen diene lediglich dazu, die Zeit zu überbrücken) wollte man tatsächlich ihre Behaltensleistung für die Wörter testen, nach denen die Probanden am Ende dann auch gefragt wurden. Die in Folie 4 dargestellten Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass es offenbar keinen Zusammenhang zwischen der Wiedergabeleistung und der Dauer des Memorierens gibt. Auch dieses Phänomen ist uns aus dem Alltag vertraut: Im Extremfall ist sogar keine Wiederholung notwendig, um einen besonders bedeutungsvollen Sachverhalt dauerhaft behalten zu können. © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 2/9 Folie 4 Memorieren = Wiederholen? 1) 2 sec lang 4stellige Zahl einprägen (z.B. 3627) 2) Wörter memorieren für (a) 2 sec (b) 6 sec (c) 18 sec Test: Ziffern wiedergeben unerwarteter Test: Wörter wiedergeben Wiedergabeleistung (a) 11% (b) 7% (c) 13% Glynberg, Smith & Green 1977 Aufgrund dieser widersprüchlichen Befunde hat man die traditionelle Vorstellung vom Kurzzeitgedächtnis, in dem Informationen vor der Ablage ins Langzeitgedächtnis lediglich zwischengespeichert werden, heute verlassen. Stattdessen stellt man sich ein Arbeitsgedächtnis vor, das einerseits die Funktion hat, neue Informationen aktiv zu verarbeiten und andererseits alte Informationen aus dem Langzeitgedächtnis bereitstellt. Im Arbeitsgedächtnis werden Informationen also nicht lediglich zwischengespeichert sondern auch aktiv manipuliert (Folie 5). Folie 5 Arbeitsgedächtnis zentrale Exekutive visuell-räumlicher Notizblock phonologische Schleife episodischer Zwischenspeicher visuelle Bedeutung episodisches Langzeitgedächtnis Sprache Baddely 2000 Nach dem derzeit gängigen Modell des Arbeitsgedächtnisses, besteht dieses aus einer „zentralen Exekutive“, die als „übergeordnete Behörde“ den Einsatz der ihr zuarbeitenden „Referate“ steuert. Dazu gehört die „phonologische Schleife“, einem Zwischenspeicher für verbales Material, das dort für eine gewisse Zeitspanne „frisch“ gehalten werden kann. Seit langem ist bekannt, dass die Menge der Information, die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt behalten können, begrenzt ist. Diese Menge wird häufig mit etwa sieben Einheiten angegeben, z.B. sieben Wörter oder sieben Zahlen (also eine Telefonnummer zum Beispiel). Nahm man zunächst an, dass es sich dabei gewissermaßen um die Anzahl der „Speicherplätze“ im Kurzzeitgedächtnis handelt, die belegt oder nicht belegt sein können, so geht man heute davon aus, dass die Information vielmehr durch die Bearbeitungsgeschwindigkeit des verbalen Materials begrenzt ist. Ein interessantes Experiment dazu zeigt Folie 6: Probanden wurden aufgefordert, Sequenzen von jeweils fünf Wörtern von unterschiedlicher Silbenlänge zu lesen und diese unmittelbar darauf wiederzugeben. Zusätzlich wurde bestimmt, wie viele Wörter die Probanden pro Sekunde lesen können. Das verblüffende Ergebnis war, dass die Häufigkeit korrekter Wiedergaben in genau demselben Maß abnahm wie die Leserate. Offenbar ist es also so, dass nicht in erster Linie die Anzahl der Einheiten © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 3/9 begrenzt ist, die wir in der phonologischen Schleife zwischenspeichern können, sondern vor allem die Zeit, bis eine Erinnerungsspur verblasst, wenn sie nicht erneut aufgefrischt wird (Folie 7). Folie 6 Arbeitsgedächtnis korrekte Wiedergabe in % 100 2,5 90 2,3 korrekte Wiedergabe 80 2,1 70 1,9 Leserate 60 1,5 40 1,3 30 1,1 20 0,9 10 0,7 1 2 3 4 5 0,5 Anzahl der Silben Folie 7 Wörter / Zeit 1,7 50 0 Leserate n. Anderson 2001 Arbeitsgedächtnis phonologische Schleife: Wortlängeneffekt Als zweites Hilfssystem des Arbeitsgedächtnis wird der visuell-räumliche Notizblock beschrieben, der eine ähnliche Funktion wie die phonologische Schleife für visuelle Informationen übernimmt (allerdings werden die Informationen dort dem Modus entsprechend nicht seriell verarbeitet). Seine Arbeitsweise kann man sich verdeutlichen, wenn man etwa eine Rechenaufgabe löst. Viele Menschen „notieren“ sich dabei geistig Zwischenergebnisse, so als würden sie die Aufgabe auf einem Blatt Papier ausführen. Überhaupt müssen wir bei vielen Aufgaben in unserem Alltag vorübergehend Informationen speichern, bis wir die Aufgabe ausgeführt haben, etwa wenn wir in einem Gespräch unterbrochen werden, kurz antworten und dann das erste Gespräch fortsetzen. Die Störanfälligkeit solcher „delayed-response“Aufgaben verweist auf die bereits angesprochene Flüchtigkeit der im Arbeitsgedächtnis aufbewahrten Inhalte. In jüngster Zeit wurde die Existenz eines dritten Hilfssystems postuliert, des sogenannten episodischen Zwischenspeichers, der für die multimodale Verarbeitung von Information zuständig ist (also viele verschiedene Informationen zu einem einheitlichen Gesamteindruck zusammenbringt, weshalb er in Folie 6 als Kochtopf symbolisiert ist), während die beiden anderen Systeme jeweils nur eine Modalität verarbeiten. Das Arbeitsgedächtnis ist also wesentlich mehr als lediglich ein Zwischenspeicher auf dem Weg ins Langzeitgedächtnis. Es stellt die zentrale Schnittstelle des Gedächtnissystems dar, wo einerseits neue Informationen vor dem Hintergrund von Erfahrung und Wissen in einer sinnhaften Weise so aufgearbeitet werden, dass sie langfristig behalten werden können und andererseits Informationen aus dem Langzeitgedächtnis für den Abruf bereitgestellt werden (Folie 8). © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 4/9 Folie 8 Gedächtnissysteme und -prozesse Sensorisches Gedächtnis (Ultrakurzzeitgedächtnis) Aufmerksamkeit Arbeitsgedächtnis Abruf Abruf Einarbeiten Langzeitgedächtnis Britzel, Brand & Markowitsch, 2003 Mittlerweile sind zahlreiche Faktoren bekannt, welche die Verarbeitung von Informationen im Arbeitsgedächtnis und damit auch die Speicherung im Langzeitgedächtnis beeinflussen. Als besonders bedeutsam hat sich die sogenannte Verarbeitungstiefe (Elaboration) herausgestellt. Das heißt: Je „tiefer“, d.h. bedeutungshaltiger die Information aufgearbeitet werden kann, umso besser wird sie behalten. Folie 9 zeigt ein Experiment dazu, bei dem gleichzeitig auch noch gezeigt werden konnte, dass es beim Lernen offenbar nicht darauf ankommt, ob man die Absicht hat, etwas zu lernen oder nicht. Folie 9 Verarbeitungstiefe Gruppe 1 + 2: Sequenz von 24 Wörtern, jedes Wort wird 3 sec dargeboten. Gruppe 1: Gruppe 2: „e oder g im Wort?“ „Wörter angenehm?“ Gruppe 1a: Gruppe 1b: Gruppe 2a: Gruppe 2b: Ziel: Wörter lernen Ziel bleibt offen Ziel: Wörter lernen Ziel bleibt offen Test: Wortwiedergabe Gruppe 2 Gruppe 1 zufälliges Lernen (b) 68% 39% absichtliches Lernen (a) 69% 43% Hyde & Jenkins 1973, n. Anderson 32001 Die Erkenntnisse dieses und ähnlicher Experimente lassen sich auch im Alltag nutzen, um die Effizienz des Lernens z.B. bei der Lektüre von Texten zu erhöhen. Besonders bewährt hat sich die in Folie 10 dargestellte „PQ4R-Technik“, deren Wirksamkeit auch empirisch überprüft wurde, wie das in Folie 11 gezeigte Experiment belegt: Ein wesentlicher Schritt der Elaboration scheint die Aktivierung des bereits vorhandenen Vorwissens zu sein, so dass die neue Information in bereits bestehende Wissensnetzwerke integriert werden kann, wo sie leichter zugänglich ist, als wenn sie ohne Verbindung „abgelegt“ wird. (Als Vergleich könnte man vielleicht die Suchmaschine Google heranziehen: ein wichtiges Kriterium dafür, wie schnell eine Internet-Seite gefunden wird, bzw. wie weit vorne sie unter den Suchergebnissen auftaucht, ist das Ausmaß ihrer „Verlinkung“: Verweisen viele Links auf eine Seite wird sie schneller gefunden und höher „gerankt“ als Seiten, auf die nur wenig verwiesen wird. Entsprechend werden Wissensinhalte im Gedächtnis schneller gefunden und länger behalten je stärker sie in verschiedene Wissensnetzwerke integriert sind). © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 5/9 Folie 10 Die PQ4R-Technik (vgl. auch die PQRST- und SQ3R-Technik) Preview (Übersicht) Question (Fragen an den Text) Read (sorgfältig Lesen) Reflect (Nachdenken, Beispiele) Recite (Wiedergeben) Review (Rückblick) Folie 11 Aktivieren von Vorwissen Gruppe 1: Gruppe 2: spez. Fragen vor Lesen des Textes (Nachdenken). Lesen des Textes ohne vorherige Instruktionen. Fragetest (a) Bezug zu Vorbereitung (b) ohne Bezug zur Vorb. Gruppe 1: Gruppe 2: gesamt: 64% richtig gesamt: 57% richtig (a) 76% richtig (b) 52% richtig Frase 1975, n. Anderson 32001 Überhaupt lässt sich die Gedächtnisleistung durch Training in erheblichem Umfang steigern, wie immer wieder sogenannte „Gedächtniskünstler“ beweisen, die sich etwa mehrere tausend Stellen der Zahl Pi merken können. Folie 12 zeigt anhand eines wissenschaftlichen Experiments diesen Vorgang: Hier trainierte ein Student ganz gezielt seine Gedächtnisspanne für Zahlen. Normalerweise liegt ihr Umfang bei 7±2 Ziffern, so dass wir uns im Alltag eine Telefonnummer meist problemlos merken können, längere Zahlenreihen dagegen behalten wir nicht ohne weiteres. Allerdings gibt es Techniken, um diese Begrenzung zu überwinden. Der wichtigste Schritt besteht im sogenannten „Chunking“. Das bedeutet, mehrere einzelne Ziffern (oder auch anderes Material) zu größeren sinnvollen Einheiten zusammenzufassen (z.B. einem Geburtsdatum, anderen Jahreszahlen). Genau diese Technik wandte der Student an: er wandelte die Ziffern für sich in Zeitangaben um, die er auf sportliche Leistungen (z.B. Weltrekorde etc.) beziehen konnte (mit denen er sich gut auskannte). Damit konnte er jeweils 3 oder 4 Ziffern zu Einheiten zusammenfassen, die sich wiederum zu größeren Gruppen und diese nochmals zu „Supergruppen“ kombinieren ließen. Damit erreichte er innerhalb von etwa 200 Übungsstunden eine Steigerung seiner Gedächtnisspanne auf etwa 80 Ziffern. © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 6/9 Folie 12 Gedächtnistraining Gedächtnisspanne 80 Strategien: - Chunking 60 - visuelle Vorstellung 40 - Methode der Orte - ... 20 Prinzip: Elaboration! 10 20 30 40 50 Übung (5-Tage-Blöcke) (Chase & Ericsson 1982) Weitere Methoden, um die Gedächtnisleistung zu steigern sind z.B. visuelle Vorstellungen zu abstraktem Material zu bilden (sich z.B. Bilder für Zahlen vorzustellen, z.B. einen Schwan für eine 2) und diese Bilder zu Geschichten zu verknüpfen. Bekannt aus der klassischen Rhetorik ist auch die Methode der Orte: Um eine Rede auswendig zu lernen, kann man sich den Weg durch eine Stadt vorstellen (z.B. von zuhause zur Arbeit) und an entsprechend markanten Stellen Teile der Rede „deponieren“. Während des Vortrags geht man dann in der Vorstellung den Weg ab und kann die einzelnen Teile wieder einsammeln. Im Grunde gehen alle diese Techniken auf das Grundprinzip der Elaboration zurück: das Material wird zusätzlich angereichert und mit bekannten Inhalten verknüpft und ist damit besser vernetzt. Dass Menschen Informationen nicht neutral verarbeiten zeigen auch Experimente, mit denen der Einfluss des Lernkontextes auf die Behaltensleistung untersucht wurde. Folie 13 zeigt eines der spektakulärsten Experimente dazu: Taucher mussten Wortlisten auswendig lernen und zwar einmal an Land und einmal unter Wasser, anschließend prüfte man ihre Behaltensleistung und zwar ebenfalls einmal an Land und einmal unter Wasser. Interessanterweise waren die Ergebnisse dann am besten, wenn Lern- und Testumgebung übereinstimmten. Folie 13 kontextbezogenes Wissen 14 13 mittlere Anzahl der reproduzierten 12 Wörter Reproduktion unter Wasser 11 10 9 8 Reproduktion an Land 7 6 5 4 an Land unter Wasser Lernumgebung Godden & Baddely, 1975 Ähnlich wie der Kontext können auch emotionale Faktoren die Behaltensleistung beeinflussen (Folie 14): Probanden lernten in neutraler Stimmung drei unterschiedliche Wortlisten: eine mit negativen, eine mit positiven und eine mit neutralen Wörtern. Anschließend induzierte man eine positive bzw. negative Stimmung und überprüfte die Behaltensleistung. Dabei ergab sich, dass jeweils diejenigen Wörter besser erinnert wurden, die kongruent zu der Stimmung waren, in der sich die Probanden gerade befanden. Dieses Ergebnis ist von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit affektiven Störungen: so ist es nicht verwunderlich, dass ein depressiver Patient sich besonders gut an die Ereignisse in seinem Leben © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 7/9 erinnern kann, die in irgendeiner Weise zu seiner depressiven Stimmung kongruent sind. Damit entsteht ein fataler Teufelskreis: die negativ getönten Erinnerungen halten die depressive Stimmung aufrecht, die wiederum verhindert, dass positive Erinnerung abgerufen werden. Es bedarf großer therapeutischer Anstrengungen, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Folie 14 Stimmungskongruenz Reproduktions1,2 leistung 1,1 1) Lernen: negative Wörter 1,0 • neutrale Stimmung 0,9 • Liste mit positiven, negativen, neutralen Wörtern 0,8 2) Wiedergabe: 0,7 • nach Induktion eines positiven bzw. negativen Stimmungszustands 0,6 neutrale Wörter 0,5 positive Wörter 0 gehoben gedrückt Stimmung zum Testzeitpunkt Teasdale & Russell 1983 Ähnliche Kongruenzphänomene werden auch für den Einfluss von Drogen auf das Lernverhalten beschrieben, wie die Ergebnisse des in Folie 15 dargestellten Experiments zeigen: Die Probanden musste eine Wortliste lernen, vier Stunden später wurde ihre Erinnerungsleistung überprüft. Auch hier zeigte sich, dass die Erinnerungsleistung besser war, wenn der Lernkontext und der Reproduktionskontext gleich waren. (Bevor aus diesem Experiment möglicherweise Schlussfolgerungen für die eigene Lernpraxis abgeleitet werden, sollte allerdings berücksichtigt werden, dass sich die Lernleistung unter Drogeneinfluss generell schlechter darstellt als in nüchternem Zustand.) Folie 15 Lernen unter Drogen Lernsituation Testsituation normale Zigarette Joint Durchschnitt normale Zigarette 25% 20% 23% Joint 12% 23% 18% Eich et al. 1975 © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 8/9 Folie 16 take-home-message • Arbeitsgedächtnis als dynamische Schnittstelle zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis • entscheidend für das Behalten von Informationen ist vor allem die bedeutungshaltige Bearbeitung (Elaboration) • die Behaltensleistung wird von emotionalen, situativen, lebengeschichtlichen Faktoren beeinflußt Weiterführende Literatur: - Anderson JR: Kognitive Psychologie. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 32001. - Baddeley A (2000): The episodic buffer: a new component of working memory? Trends in Cognitive Sciences 4 (11): 417-423. - Kolb B, Whishaw IQ: Fundamentals of Human Neuropsychology. New York (W.H. Freeman) 52003 - Pritzel M, Brand M, Markowitsch HJ: Gehirn und Verhalten. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 2003. © Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de 9/9