Material 2

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Dr. Götz Fabry
Vorlesung Medizinische Psychologie
06.05.2005: Lernen und Gedächtnis
Folie 1
Vorlesung Medizinische Psychologie SS 2005
Lernen & Behalten
Vorlesungsskripte unter:
http://www.medizinische-psychologie.de [lehre] [vorlesung]
In den letzten beiden Vorlesungen wurden mit der klassischen und der operanten Konditionierung zwei
grundlegende Lernmechanismen vorgestellt. Am Beispiel des Kiemenrückzugsreflexes der Meeresschnecke Aplysia wurde gezeigt, wie diese Lernmechanismen neuronal realisiert werden, und daß die
gelernten Informationen in Abhängigkeit von der gleichzeitigen Aktivität der beteiligten Neurone durch
Modulation von synaptischen Verbindungen gespeichert werden. Dieser einfache Sachverhalt ist für unsere Vorstellung von der Gedächtnisbildung von zentraler Bedeutung. Der amerikanische Psychologe
Donald Hebb (1904 – 1985) postulierte bereits Ende der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts und
damit lange bevor experimentelle Befunde seine Hypothese eindrucksvoll bestätigen sollten, daß Nervenzellen, die gemeinsam aktiv sind, ihre Verbindungen untereinander verstärken („neurons that fire
togehter, wire together“). Überträgt man diesen Mechanismus auf neuronale Netzwerke, dann kann
man sich vorstellen, wie sich Verbände von Nervenzellen durch gleichzeitige Aktivität aus dem hochkomplexen Gefüge der Milliarden von Neuronen in unserem Gehirn herausbilden. Weil diese zu einem Verband stabilisierten Zellen neuronale Aktivität untereinander effizienter weiterleiten als nicht daran beteiligte Zellen, kann ein solcher Verband zukünftig wie durch eine Kettenreaktion wieder aus dem „Hintergrundrauschen“ der Gehirnaktivität hervortreten, wenn einige seiner Zellen aktiviert werden.
Dieses stark vereinfachte Modell kann somit die beiden grundlegenden Gedächtnisprozesse erklären:
Einspeicherung (Encodierung) und Abruf von Informationen. Darüberhinaus erlaubt das Modell zahlreiche weitere Eigenarten des menschlichen Gedächtnis zu erklären: 1. Aufgrund der praktisch unendlichen
Kombinationsmöglichkeiten der Neurone unseres Gehirns ist auch die Speicherkapazität zumindest
theoretisch unbegrenzt. 2. Es entspricht unserer Erfahrung, daß Erinnerungen über Ähnlichkeitsbeziehungen abgerufen werden können, was man sich damit erklären könnte, daß ähnlichen Eindrücken auch
ähnliche Aktivitätsmuster entsprechen und daß damit wiederum die Wahrscheinlichkeit steigt, daß ähnliche Zellverbände mitaktiviert werden. 3. Je häufiger bestimmte Gedächtnisinhalte abgerufen werden,
umso leichter stehen sie zur Verfügung, was durch die beschriebene aktivitätsabhängige Übertragungseffektivität erklärt werden könnte. 4. Bestimmte Inhalte müssen erst konsolidiert werden, damit sie dauerhaft zur Verfügung stehen, was sich damit erklären ließe, daß die Aktivität im entsprechenden Zellverband erst eine Zeitlang kreisen muß, damit die notwendigen zellulären Stabilisierungsmaßnahmen greifen können. Folie 2 illustriert diese Modellvorstellung.
© Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de
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Folie 2
Gedächtnisbildung: Zellverbände
zirkulierende Aktivität
„Denken ist die sequentielle Aktivierung von Zellverbänden.“
(Donald Hebb 1904 - 1985)
Britzel, Brand & Markowitsch, 2003
Mit diesen Überlegungen zur „Mikroebene“ des Gedächtnisses wenden wir uns jetzt der „Makroebene“ zu
und beschäftigen uns mit psychologischen Gedächtnismodellen. Als Pionier der psychologischen Gedächtnisforschung (und einer der Gründerväter der wissenschaftlich-experimentellen Psychologie überhaupt) gilt Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), der in seinem 1885 erschienen Buch „Über das Gedächtnis“ die Ergebnisse einiger Selbstversuche der Öffentlichkeit präsentierte. Ebbinghaus hatte Listen
mit sinnlosen Silben auswendig gelernt (z.B. DAX, BUC, LOC) und berechnet, wieviel schneller das Lernen nach unterschiedlich langen Pausen vonstatten ging, bis er sich an alle Silben erinnern konnte, wieviel Zeit er also sparte. Seine in Kurvenform dargestellten Ergebnisse sind als die „Ebbinghaussche Lernkurve“ (auch Vergessenskurve) in die Psychologiegeschichte eingegangen (Folie 3).
Folie 3
Die Ebbinghaussche Vergessenskurve
100
Behalten (prozentuale Ersparniswerte)
90
80
70
20 Minuten
60
50
1 Stunde
9 Stunden
40
30
20
10
0
1
2
6
Behaltensintervall (Tage)
31
Ebbinghaus stellte außerdem fest, daß zusätzliche Wiederholungen derselben Wortliste dazu führten,
daß er das Material nach 24 Stunden wesentlich schneller lernen konnte (er also eine größere Zeitersparnis hatte), als ohne diese zusätzlichen Wiederholungen. Neben anderen Gründen war die Erkenntnis,
daß das Wiederholen von Informationen zu ihrer dauerhaften Speicherung beiträgt, ein Grund für die
Theorie des Kurzzeitgedächtnisses, die in ihrer einflußreichsten Form von Atkinson & Shiffrin 1968 formuliert wurde. Nach dieser Vorstellung müssen Informationen, die durch die Sinnesorganen aus der
Umwelt aufgenommen werden durch das Kurzzeitgedächtnis „hindurch“, um im Langzeitgedächtnis gespeichert werden zu können. Es wird also genau das im Langzeitgedächtnis aufbewahrt, was zuvor im
Kurzzeitgedächtnis memoriert, das heißt z.B. mehrmals wiederholt wurde (wenn man sich etwa eine
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Telefonnummer mehrmals vorsagt, bis man sie sicher gespeichert hat). Würden die Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses dagegen nicht ins Langzeitgedächtnis überführt dann wären sie für immer verloren
(Folie 4).
Folie 4
Gedächtnissysteme und -prozesse
Sensorisches
Gedächtnis
(Ultrakurzzeitgedächtnis)
Aufmerksamkeit
Kurzzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis
Memorieren
Die Alltagserfahrungen insbesondere beim Lernen von abstraktem Material scheinen diese Theorie zu
bestätigen: was häufig und länger wiederholt wird bleibt besser hängen. Allerdings konnte durch empirirsche Studien auch gezeigt werden, daß es nicht allein das Wiederholen ist, daß die Langzeitspeicherung sicherstellt, sondern daß die Wahrscheinlichkeit der Behaltensleistung vor allem dann steigt,
wenn das Material in einer bedeutungshaltigen Weise verarbeitet wird. So ließ man Probanden, sich
eine vierstellige Zahl zwei Sekunden lang einprägen. Dann sollten Sie Wörter für zwei, sechs oder 18
Sekunden memorieren und anschließend die Zahl wiederholen. Während die Probanden der Meinung
waren, es handele sich um einen Test zum Erinnern von Zahlen (und das Wörterlernen diene lediglich
dazu, die Zeit zu überbrücken) wollte man tatsächlich ihre Behaltensleistung für die Wörter testen, nach
denen die Probanden am Ende dann auch gefragt wurden. Die in Folie 5 dargestellten Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, daß es offenbar keinen Zusammenhang zwischen der Wiedergabeleistung und der
Dauer des Memorierens gibt. Auch dieses Phänomen ist uns aus dem Alltag vertraut: Im Extremfall ist
sogar keine Wiederholung notwendig, um einen besonders bedeutungsvollen Sachverhalt dauerhaft behalten zu können.
Folie 5
Memorieren = Wiederholen?
1) 2 sec lang 4stellige Zahl einprägen (z.B. 3627)
2) Wörter memorieren für (a) 2 sec (b) 6 sec (c) 18 sec
Test:
Ziffern wiedergeben
unerwarteter Test:
Wörter wiedergeben
Wiedergabeleistung
(a)
11%
(b)
7%
(c)
13%
Glynberg, Smith & Green 1977
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Aufgrund dieser widersprüchlichen Befunde hat man die traditionelle Vorstellung vom Kurzzeitgedächtnis, in dem Informationen vor der Ablage ins Langzeitgedächtnis lediglich zwischengespeichert werden,
heute verlassen. Stattdessen stellt man sich ein Arbeitsgedächtnis vor, das einerseits die Funktion hat,
neue Informationen aktiv zu verarbeiten und andererseits alte Informationen aus dem Langzeitgedächtnis bereitstellt. Im Arbeitsgedächtnis werden Informationen also nicht lediglich zwischengespeichert
sondern auch aktiv manipuliert (Folie 6).
Folie 6
Arbeitsgedächtnis
zentrale Exekutive
visuell-räumlicher
Notizblock
phonologische
Schleife
episodischer
Zwischenspeicher
visuelle
Bedeutung
episodisches
Langzeitgedächtnis
Sprache
Baddely 2000
Nach dem derzeit gängigen Modell des Arbeitsgedächtnisses, besteht dieses aus einer „zentralen Exekutive“, die als „übergeordnete Behörde“ den Einsatz der ihr zuarbeitenden „Referate“ steuert. Dazu gehört
die „phonologische Schleife“, einem Zwischenspeicher für verbales Material, das dort für eine gewisse
Zeitspanne „frisch“ gehalten werden kann. Seit langem ist bekannt, daß die Menge der Information, die
Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt behalten können, begrenzt ist. Diese Menge wird häufig mit
etwa sieben Einheiten angegeben, z.B. sieben Wörter oder sieben Zahlen (also eine Telfonnummer zum
Beispiel). Nahm man zunächst an, daß es sich dabei gewissermaßen um die Anzahl der „Speicherplätze“
im Kurzzeitgedächtnis handelt, die belegt oder nicht belegt sein können, so geht man heute davon aus,
daß die Information vielmehr durch die Bearbeitungsgeschwindigkeit des verbalen Materials begrenzt ist.
Ein interessantes Experiment dazu zeigt Folie 7: Probanden wurden aufgefordert, Sequenzen von jeweils fünf Wörtern von unterschiedlicher Silbenlänge zu lesen und diese unmittelbar darauf wiederzugeben. Zusätzlich wurde bestimmt, wieviele Wörter die Probanden pro Sekunde lesen können. Das verblüffende Ergebnis war, daß die Häufigkeit korrekter Wiedergaben in genau demselben Maß abnahm wie
die Leserate. Offenbar ist es also so, daß nicht in erster Linie die Anzahl der Einheiten begrenzt ist, die
wir in der phonologischen Schleife zwischenspeichern können, sondern vor allem die Zeit, bis eine Erinnerungsspur verblaßt, wenn sie nicht erneut aufgefrischt wird (Folie 8).
Als zweites Hilfssystem des Arbeitsgedächtnis wird der visuell-räumliche Notizblock beschrieben, der eine
ähnliche Funktion wie die phonologische Schleife für visuelle Informationen übernimmt (allerdings werden die Informationen dort dem Modus entsprechend nicht seriell verarbeitet). Seine Arbeitsweise kann
man sich verdeutlichen, wenn man etwa eine Rechenaufgabe löst. Viele Menschen „notieren“ sich dabei
geistig Zwischenergebnisse, so als würden sie die Aufgabe auf einem Blatt Papier ausführen. Überhaupt
müssen wir bei vielen Aufgaben in unserem Alltag vorübergehend Informationen speichern, bis wir die
Aufgabe ausgeführt haben, etwa wenn wir in einem Gespräch unterbrochen werden, kurz antworten und
dann das erste Gespräch fortsetzen. Die Störanfälligkeit solcher „delayed-response“-Aufgaben verweist
auf die bereits angesprochene Flüchtigkeit der im Arbeitsgedächtnis aufbewahrten Inhalte.
In jüngster Zeit wurde die Existenz eines dritten Hilfssystems postuliert, des sogenannten episodischen
Zwischenspeichers, der für die multimodale Verarbeitung von Information zuständig ist (also viele verschiedene Informationen zu einem einheitlichen Gesamteindruck zusammenbringt, weshalb er in Folie 6
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als Kochtopf symbolisiert ist), während die beiden anderen Systeme jeweils nur eine Modalität verarbeiten.
Folie 7
n. Anderson 2001
Arbeitsgedächtnis
2,5
korrekte 100
Wiedergabe
in %
90
Leserate
2,3
korrekte Wiedergabe
2,1
Bitte lesen Sie die unten
angegebenen Wörter und
versuchen Sie sie wiederzugeben ohne dabei auf die
Präsentation zu schauen!
80
I: Laub, Spuk, Beil, Duft,
Wahn
50
1,5
40
1,3
30
1,1
20
0,9
10
0,7
II: Lokomotive, Vegetation,
Marionette, Chemikalie,
Abiturient
1,9
70
Leserate
60
0
1
2
3
1,7
4
5
0,5
Anzahl der Silben
Folie 8
Arbeitsgedächtnis
phonologische Schleife: Wortlängeneffekt
Das Arbeitsgedächtnis ist also wesentlich mehr als lediglich ein Zwischenspeicher auf dem Weg ins
Langzeitgedächtnis. Es stellt die zentrale Schnittstelle des Gedächtnissystems dar, wo einerseits neue
Informationen vor dem Hintergrund von Erfahrung und Wissen in einer sinnhaften Weise so aufgearbeitet werden, daß sie langfristig behalten werden können und andererseits Informationen aus dem
Langzeitgedächtnis für den Abruf bereitgestellt werden (Folie 9).
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Folie 9
Gedächtnissysteme und -prozesse
Sensorisches
Gedächtnis
(Ultrakurzzeitgedächtnis)
Arbeitsgedächtnis
Aufmerksamkeit
Abruf
Langzeitgedächtnis
Einarbeiten
Abruf
Britzel, Brand & Markowitsch, 2003
Mittlerweile sind zahlreiche Faktoren bekannt, welche die Verarbeitung von Informationen im Arbeitsgedächtnis und damit auch die Speicherung im Langzeitgedächtnis beeinflussen. Als besonders bedeutsam
hat sich die sogenannte Verarbeitungstiefe herausgestellt. Das heißt: Je „tiefer“, d.h. bedeutungshaltiger
die Information aufgearbeitet werden kann, umso besser wird sie behalten. Folie 10 zeigt ein Experiment dazu, bei dem gleichzeitig auch noch gezeigt werden konnte, daß es beim Lernen offenbar nicht
darauf ankommt, ob man die Absicht hat etwas zu lernen oder nicht.
Folie 10
Verarbeitungstiefe
Gruppe 1 + 2:
Sequenz von 24 Wörtern, jedes Wort wird 3 sec dargeboten.
Gruppe 1:
Gruppe 2:
„e oder g im Wort?“
„Wörter angenehm?“
Gruppe 1a:
Gruppe 1b:
Gruppe 2a:
Gruppe 2b:
Ziel: Wörter
lernen
Ziel bleibt
offen
Ziel: Wörter
lernen
Ziel bleibt
offen
Test:
Wortwiedergabe
Gruppe 2
Gruppe 1
zufälliges Lernen (b)
68%
39%
absichtliches Lernen (a)
69%
43%
Hyde & Jenkins 1973, n. Anderson 32001
Die Erkenntnisse dieses und ähnlicher Experimente lassen sich auch im Alltag nutzen, um die Effizienz
des Lernens z.B. bei der Lektüre von Texten zu erhöhen. Besonders bewährt hat sich die in Folie 11
dargestellte „PQ4R-Technik“, deren Wirksamkeit auch empririsch überprüft wurde, wie das in Folie 12
gezeigte Experiment belegt.
Auch die Ergebnisse des Experiments, das in Folie 13 dargestellt ist, stützen die Annahme, daß es vor
allem darauf ankommt, die zu lernenden Inhalte aktiv zu elaborieren. Selbst eine relavtiv oberflächliche
Verarbeitungsweise (ein Wort mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben zu finden, das sich auf ein anderes reimt) führt noch zu deutlich besseren Wiedererkennungsleistungen als einfaches Lesen derselben
Wortpaare.
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Folie 11
Die PQ4R-Technik
Preview
(Übersicht)
Question
(Fragen an den Text)
Read
(sorgfältig Lesen)
Reflect
(Nachdenken, Beispiele)
Recite
(Wiedergeben)
Review
(Rückblick)
Folie 12
Die PQ4R-Technik
Gruppe 1:
Gruppe 2:
Nachdenken über Themen (in
Frageform) vor Lesen des Textes.
Lesen des Textes ohne vorherige
Instruktionen.
Fragetest
[für einige Fragen waren die der
Gruppe 1 vorher gegebenen Themen
relevant (a) bzw. nicht relevant (b)]
Gruppe 1:
Gruppe 2:
gesamt:
64% richtig
(a)
76% richtig
(b)
52% richtig
gesamt:
57% richtig
Frase 1975, n. Anderson 32001
Folie 13
Verschiedene Verarbeitungsformen
Wiedererkennenswahrscheinlichkeit
1,0
Gruppe 1
Gruppe 2
• Gruppe 1: Generieren
von Synonymen (z.B.
Meer - Ozean) bzw. von
Reimworten (Baum Raum) unter Vorgabe
des 1. Buchstabens
0,8
0,6
• Gruppe 2: Lesen der
Wortpaare von Gruppe 1
0,4
Wiedererkennungsaufgabe
zum zweiten Wort
0,2
0
Synonym
Reim
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Daß Menschen Informationen nicht neutral verarbeiten zeigen auch Experimente, mit denen der Einfluß
des Lernkontextes auf die Behaltensleistung untersucht wurde. Folie 15 zeigt eines der spektakulärsten
Experimente dazu: Taucher mußten Wortlisten auswendig lernen und zwar einmal an Land und einmal
unter Wasser, anschließend prüfte man ihre Behaltensleistung und zwar ebenfalls einmal an Land und
einmal unter Wasser. Interessanterweise waren die Ergebnisse dann am besten, wenn Lern- und
Testumgebung übereinstimmten.
Folie 15
kontextbezogenes Wissen
14
mittlere Anzahl
13
der reproduzierten
Wörter
12
Reproduktion
unter Wasser
11
10
9
8
Reproduktion
an Land
7
6
5
4
an Land
unter Wasser
Lernumgebung
Godden & Baddely, 1975
Ähnlich wie der Kontext können auch emotionale Faktoren die Behaltensleistung beeinflussen (Folie
16): Probanden lernten in neutraler Stimmung drei unterschiedliche Wortlisten: eine mit negativen, eine
mit positiven und eine mit neutralen Wörtern. Anschließend induzierte man eine positive bzw. negative
Stimmung und überprüfte die Behaltensleistung. Dabei ergab sich, daß jeweils diejenigen Wörter besser
erinnert wurden, die kongruent zu der Stimmung waren, in der sich die Probanden gerade befanden.
Dieses Ergebnis ist von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit affektiven Störungen: so ist es
nicht verwunderlich, daß ein depressiver Patient sich besonders gut an die Ereignisse in seinem Leben
erinnern kann, die in irgendeiner Weise zu seiner depressiven Stimmung kongruent sind. Damit entsteht
ein fataler Teufelskreis: die negativ getönten Erinnerungen halten die depressive Stimmung aufrecht, die
wiederum verhindert, daß positive Erinnerung abgerufen werden. Es bedarf großer therapeutischer Anstrengungen, diesen Kreislauf zu unterbrechen.
Folie 16
Stimmungskongruenz
Reproduktionsleistung
1,2
1,1
• Probanden lernen in
neutralem Stimmungszustand eine Liste mit
positiven, negativen und
neutralen Wörtern
• Wiedergabe der
gelernten Wörter nach
Induktion eines positiven
bzw. negativen
Stimmungszustands
negative Wörter
1,0
0,9
0,8
0,7
neutrale Wörter
0,6
0,5
positive Wörter
0
Hochstimmung
gedrückte Stimmung
Stimmungszustand zum Testzeitpunkt
Teasdale & Russell 1983
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Ähnliche Kongruenzphänomene werden auch für den Einfluß von Drogen auf das Lernverhalten beschrieben, wie die Ergebnisse des in Folie 17 dargestellten Experiments zeigen: Die Probanden mußte
eine Wortliste lernen, vier Stunden später wurde ihre Erinnerungsleistung überprüft. Auch hier zeigte
sich, daß die Erinnerungsleistung besser war, wenn der Lernkontext und der Reproduktionskontext
gleich waren. (Es sollte hier allerdings berücksichtigt werden, daß sich die Lernleistung unter Drogeneinfluß generell schlechter darstellt als in nüchternem Zustand.)
Folie 17
Lernen unter Drogen
Lernsituation
Testsituation
normale Zigarette
Joint
Durchschnitt
normale Zigarette
25%
20%
23%
Joint
12%
23%
18%
Eich et al. 1975
Folie 18
take-home-message
• Arbeitsgedächtnis als dynamische Schnittstelle
zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis
• entscheidend für das Behalten von Informationen ist
vor allem die bedeutungshaltige Bearbeitung
(Elaboration)
• die Behaltensleistung wird von emotionalen,
situativen, lebengeschichtlichen Faktoren beeinflußt
Weiterführende Literatur:
-
Anderson JR: Kognitive Psychologie. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 32001.
-
Baddeley A (2000): The episodic buffer: a new component of working memory? Trends in Cognitive
Sciences 4 (11): 417-423.
-
Kolb B, Whishaw IQ: Fundamentals of Human Neuropsychology. New York (W.H. Freeman) 52003
-
Pritzel M, Brand M, Markowitsch HJ: Gehirn und Verhalten. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 2003.
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