HSAB-Prinzip (Hard and Soft Acids and Bases) nach Pearson Dr. Markus Pfitzenmaier Version vom 23.02.2009 Die zwei Möglichkeiten (A) Einsatz von Nucleophilen und Elektrophilen, die nur eine reaktive Position aufweisen Æ Regioselektivität ist festgelegt (B) Einsatz von Verbindungen, die an zwei oder mehr Positionen reagieren können, also ambidente Nucleophile bzw. Elektrophile (lat.: ambi = beide, dens = Zahn, d.h. ambident = zweizähnig) Æ Problem, die Regioselektivität der Reaktion ambidenter Moleküle zu kontrollieren und zu erklären Beispiele für ambidente Elektrophile Allylhalogenide, α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen, Imine und Pyridine können mit metallorganischen Verbindungen in einer 1,2- oder 1,4-Addition reagieren: X O N R' R R N Regioselektivität abhängig von: • sterischen Eigenschaften des Nucleophils bzw. Elektrophils • „elektronischen“ Eigenschaften des Nucleophils bzw. Elektrophils Beispiel für Kontrolle der Regioselektivität durch die sterischen Eigenschaften des Elektrophils O R Me OH 1.) MeLi Me + 2.) H+ R R 1,2-Addition R = H: R = t-Bu: O 1,4-Addition 100 : 0 0 : 100 Ein sterisch anspruchsvoller Rest wie beispielsweise tert-Butyl an der Carbonylgruppe führt vollständig zur 1,4-Addition. Beispiel für Regiokontrolle durch die elektronischen Eigenschaften des Metallorganyls (Nucleophils) O Me OH 1.) R-M O + 2.) H+ Me 1,2-Addition R-M = MeLi = MeMgBr = Me2CuLi 1,4-Addition 100 : 0 86 : 14 0 : 100 Selektivität beruht in diesem Fall offenbar nicht auf sterischen Wechselwirkungen Æ Erklärung mit dem von Pearson entwickelten HSAB-Prinzip Klassifizierung der Lewis-Säuren und -Basen Lewis-Säuren (Elektrophile) und Lewis-Basen (Nucleophile) können als „hart“ oder „weich“ klassifiziert werden. Experimentell zeigt sich: Harte Säuren reagieren schneller mit harten Basen und bilden stabilere Produkte als mit weichen Basen. Analog reagieren weiche Säuren mit weichen Basen schneller zu stabileren Produkten als mit harten Basen. Es gilt das einfache Prinzip: Hart reagiert bevorzugt mit hart und weich bevorzugt mit weich. Für die Einteilung der Lewis-Säuren und –Basen in „hart“ und „weich“ gelten die folgenden Kriterien: Kriterien bei der Klassifizierung Hart-Weich • Harte Säuren: meist positive Ladung, klein (d.h. hohe Ladungskonzentration), energiereiches LUMO (lowest unoccupied MO) • Weiche Säuren: meist ungeladen, groß (d.h. niedrige Ladungskonzentration), energiearmes LUMO • Harte Basen: meist negative Ladung, klein (d.h. hohe Ladungskonzentration), energiearmes HOMO (highest occupied MO) • Weiche Basen: meist ungeladen, groß (d.h. niedrige Ladungskonzentration), energiereiches HOMO Harte und weiche Nucleophile (Lewis-Basen) und Elektrophile (Lewis-Säuren) • Gemeinsame Merkmale harter Teilchen: hohe Ladungsdichte und für Grenzorbital-WW ungünstige HOMO/LUMO-Energien • Gemeinsame Merkmale weicher Teilchen: niedrige Ladungsdichte und für Grenzorbital-WW günstige HOMO/LUMO-Energien • Auftretende Energieänderungen ΔE bei der Annäherung von Nucleophil und Elektrophil sind zu betrachten: • Energieänderung ergibt sich aus der Störungstheorie in Form der Klopman-Salem-Gleichung, die in vereinfachter Form folgendermaßen lautet: Klopman-Salem-Gleichung (vereinfachte Darstellung) Wechselwirkungs-Energie aus einem Coulomb-(Ladungs)-Term und einem Grenzorbital-Term, folgende Grenzfälle unterscheidbar: Grenzfälle (I) 1.) Wechselwirkung hart-hart: Coulomb-Term >> Grenzorbital-Term Hartes Nucleophil und Elektrophil Æ hohe Ladungsdichte und klein Æ durch Coulomb-Term beschriebene elektrostatische Anziehung groß. Energiedifferenz von HOMO und LUMO groß (tiefliegendes HOMO des Nu, hochliegendes LUMO des Elektrophils) Æ Beitrag des GrenzorbitalTerms zur WW-Energie gering. Hart-Hart-Reaktionen sind daher schnelle ladungskontrollierte Reaktionen, die meist über einen „frühen“, dem Edukt ähnlichen Übergangszustand verlaufen. Grenzfälle (II) 2.) Wechselwirkung weich-weich: Grenzorbital-Term >> CoulombTerm Weiches Nucleophil und Elektrophil Æ geringe Ladungsdichte und groß Æ durch Coulomb-Term beschriebene elektrostatische Anziehung klein. Energieunterschied von HOMO und LUMO (hochliegendes HOMO des Nu, tiefliegendes LUMO des Elektrophils) Æ Beitrag des GrenzorbitalTerms zur WW-Energie groß. Weich-weich-Reaktionen verlaufen daher schnell grenzorbitalkontrolliert und meist über einen „späten“, produktähnlichen Übergangszustand. Regioselektivität bei α, β-ungesättigten Carbonylverbindungen (I) Bsp. Additionsreaktionen an α, β-ungesättigte Carbonylverb. (= Elektrophil) Ladungsdichten und LUMO-Koeffizienten am Carbonyl-C und am βC-Atom betrachten: Regioselektivität bei α, β-ungesättigten Carbonylverbindungen (II) Bei allen α, β-ungesättigte Carbonylverb. ist größte positive Ladungsdichte am Carbonyl-C, d.h. Carbonyl-C ist „härter“ als β-C-Atom Æ Harte Nucleophile greifen bevorzugt unter Ladungskontrolle in einer 1,2-Addition an der Carbonylgruppe an. LUMO-Koeffizient ist am β-C-Atom deutlich größer als am Carbonyl-C Æ Weiche Nucleophile greifen bevorzugt grenzorbitalkontrolliert am „weichen“ β-C-Atom in Form einer 1,4-Addition an. Eigenschaften unterschiedlicher Metallorganyle (I) Betrachtung des Nucleophils: O R-M OH O + RLi > RMgX > R2CuLi Härte des Metallorganyls nimmt ab Polarität der Kohlenstoff-Metall-Bindung nimmt ab kovalenter Charakter der C-M-Bindung nimmt zu Æ der zu übertragende Kohlenstoff-Rest ist elektropositiver das daran gebundene Metall ist. umso härter, je Eigenschaften unterschiedlicher Metallorganyle (II) Æ Für Organolithium-Verbindungen R-Li gilt: R = Alkinyl > Alkenyl ~ Aryl > Alkyl Härte nimmt ab Bsp.: Halogen-Metall-Austausch: R-X + 2 Li Æ R-Li + LiX = Umsetzung zwischen weichen Reaktionspartnern, d.h. Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit zunehmender Härte des Lithiumorganyls ab. t-BuLi > s-BuLi > n-BuLi >>MeLi > PhLi Härte nimmt zu Reaktionsgeschwindigkeit sinkt Regioselektivität bei Enolaten (I) Bsp. Umsetzung ambidenter Metallorganyle (Nucleophile) mit einfachen Elektrophilen, am Beispiel der Metallenolate: MeI O Me3SiCl O M OSiMe3 Enolat-Sauerstoff besitzt höchste negative Ladungsdichte = hartes Zentrum, bevorzugter Angriff durch harte Elektrophile z.B. Protonen und Silylhalogenide größter HOMO-Koeffizient am Enolat-C-Atom = weiches Zentrum, bevorzugter Angriff durch weiche Elektrophile, z. B. Alkylhalogenide und -sulfonate. Hier ist der Anteil des C-Alkylierungsprodukts um so höher, je weicher die Abgangsgruppe des Alkylierungsmittels R-X ist. (nächste Folie) Regioselektivität bei Enolaten (II) Verhältnis von C- zu O-Alkylierung steigt mit abnehmender Polarität der C-X-Bindung in der Reihenfolge: X = CF3SO3 > ROSO3 > ArSO3 > Br > I Härte der austretenden Gruppe nimmt ab Polarität der C-X-Bindung nimmt ab Anteil an C-Alkylierungsprodukt nimmt zu Je härter die Abgangsgruppe, desto stärker ist seine Bindung zum C-Atom polarisiert Æ das C-Atom trägt daher im Übergangszustand auch eine stärker ausgebildete Ladung Æ Bedeutung des CoulombTerms wird daher umso größer, je härter die Abgangsgruppe ist Æ O-Alkylierung wird begünstigt. Regioselektivität bei Pyridinen und Pyridiniumsalzen (I) Pyridine zeigen gleiches Verhalten gegenüber Nucleophilen wie α, β-ungesättigte Carbonylverbindungen: größter LUMO-Koeffizient an C-4 (d.h. das weiche Reaktionszentrum) N größte positive Ladungsdichte an C-2 (d.h. das harte Reaktionszentrum) Regioselektivität bei Pyridinen und Pyridiniumsalzen (II) Daher greift n-BuLi als hartes Nucleophil an C-2 an und durch Eliminierung von LiH entsteht 2-Butylpyridin. Pyridiniumsalze reagieren mit den weichen Organocupraten dagegen an C-4 unter Bildung der 1,4-Additionsprodukte: n-BuLi Δ N N - LiH H N Bu Li H Me Me2CuLi N N COR COR Bu Reaktion mit einem „Grenzfall“-Elektrophil (I) Wie bei einfachen Metallorganylen hängt auch bei Enolaten die Polarität der M-O-Bindung und damit die Härte des Nucleophils vom Metall ab, d.h. je ionischer das Enolat, desto härter ist das Enolat-O-Atom. Bei Reaktionen mit „Grenzfall“-Elektrophilen, die sowohl ladungs- als auch Grenzorbitalkontrolliert Phenylsulfonylfluorid zeigt reagieren sich können, eine wie z.B. außerordentlich bei starke Abhängigkeit der Regioselektivität vom Metall. Vollständig regioselektive Umsetzungen sowohl am Enolat-O-Atom als auch am Kohlenstoff sind möglich, wobei der Anteil an O-Sulfonierung mit zunehmender Polarisierung und Härte des Enolats in der Reihenfolge M+ = Li+ < Na+ < K+ < Cs+ = n-Bu4N+ zunimmt: Reaktion mit einem „Grenzfall“-Elektrophil (II) Eine erhöhte Ionisierung des Enolats läßt sich auch durch Zusatz geeigneter Komplexbildner erreichen, z.B. HMPT für Lithium- und 18-Krone-6 für Kaliumionen. Reaktionen ambidenter Moleküle mit reversibler Produktbildung (I) reversible Produktbildung Æ Produktverteilung abhängig von Reaktionszeit, gehorcht nicht notwendigerweise dem HSAB-Prinzip: Reaktionen ambidenter Moleküle mit reversibler Produktbildung (II) Beispiel: Addition (vorherige Folie) von 2-Lithio-1,3-dithian an 2-Cyclohexenon 1,2-Addukt wird schneller gebildet als 1,4-Addukt, d.h. k1 > k2; Bildung des 1,2-Addukts ist aber reversibel; das 1,4-Addukt ist allerdings thermodynamisch stabiler Kinetische Reaktionsführung, d.h. bei tiefer Temperatur und kurzer Reaktionszeit Æ überwiegend oder ausschließlich 1,2-Addukt wird gebildet (THF, -78°C, 10 min: 1,2-Addukt : 1,4-Addukt = 100 : 0) unter thermodynamischer Kontrolle (also bei höherer Temp., längerer Reaktionszeit oder in Gegenwart beschleunigender Zusätze) Æ überwiegend 1,4-Addukt wird gebildet (THF, -78°C, 10 min, Zusatz von 1 eq HMPT: 1,2-Addukt : 1,4-Addukt = 8 : 92) Reaktionen ambidenter Moleküle mit reversibler Produktbildung (III) Energieprofil der Addition von 2-Lithio-1,3-dithian an 2-Cyclohexenon (vgl. vorherige Folie) Literatur • Ian Fleming, Grenzorbitale und Reaktionen organischer Verbindungen, VCH Weinheim, 1990. • Norbert Krause, Metallorganische Chemie, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, 1996.