FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Rheuma im Kindesalter – Häufigkeit, Klinik, Therapie Kirsten Minden | Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin und Universitätskinderklinik Charité, Campus Virchow, SPZ Einleitung Einer der häufigsten Gründe für die Vorstellung eines Kindes in der kinderärztlichen Praxis sind (chronische) Schmerzen. Diese Schmerzen betreffen häufig den Bewegungsapparat [1], aber nur selten liegen ihnen entzündlich-rheumatische Erkrankungen zugrunde. Dennoch sollte der Pädiater wegen der erheblichen Konsequenzen für Therapie und Prognose entzündlich-rheumatische Krankheitsbilder bei entsprechender Symptomatik differentialdiagnostisch in Erwägung ziehen [2, 3]. Wie häufig ist Rheuma im Kindesalter? Die häufigste Arthritis bei Kindern ist die Coxitis fugax, eine peri- oder postinfektiöse Arthritis, die innerhalb weniger Wochen folgenlos abheilt; von dieser Form der transienten Arthritis können auch andere Gelenke betroffen sein. Die Diagnose Gelenkrheuma (= juvenile idiopathische Arthritis [JIA]) setzt eine Arthritis unklarer Ursache von mindestens 6 Wochen Dauer voraus [5]. In der Regel klingt diese ohne Behandlung nicht ab, sondern schreitet voran und kann zu schweren Funktionseinschränkungen, Gelenkzerstörungen, anderen Organschäden (z. B. einer Visusminderung, im Extremfall einer Erblindung) und einem dauerhaften Verlust an Lebensqualität führen. Die rechtzeitige Erkennung einer JIA ist deshalb geboten. Die JIA stellt mit einer Erkrankungshäufigkeit von 0,1 % und bundesweit etwa 13.000 Betroffenen die häufigste chronische entzündlich-rheumatische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter dar. Ihre Neuerkrankungsrate liegt bei 10 pro 162 Tab. 1: Häufigkeit entzündlich-rheumatischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter (chronische entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind braun unterlegt) [4] Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Neuerkrankungen/ 100.000 Kinder Geschätzte Zahl an Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland Transient (u.a. Coxitis fugax) 200 – 300 25.000 – 40.000 Chronisch (Juvenile idiopathische Arthritis) 10 1.200 Systemischer Lupus erythematodes 0,4 50-60 Dermatomyositis 0,3 40 Systemische Sklerodermie 0,027 3–5 17,8 2.300 Arthritiden Kollagenosen Vaskulitiden Purpura Schönlein-Henoch Kawasaki-Syndrom 1,9 250 Andere primäre Vaskulitiden (z. B. Takayasu Arteriitis, Panarteriitis nodosa) 0,1 10 – 15 100.000 Kinder unter 16 Jahren (Tab. 1). Kollagenosen treten etwa zehnmal, primäre chronische Vaskulitiden ca. hundertmal seltener auf. Gelenkrheuma im Kindesalter ist keinesfalls mit den im Erwachsenenalter auftretenden Erkrankungen, wie der rheumatoiden Arthritis oder ankylosierenden Spondylitis (M. Bechterew), gleichzusetzen. Die sich im Kindesalter manifestierenden Gelenkentzündungen werden heutzutage unter dem Begriff JIA subsumiert. Sie zeigen andere klinische Merkmale, Assoziationen mit anderen genetischen Markern und oft einen günstigeren Verlauf als jene mit Beginn im Erwachsenenalter [6]. Wie präsentiert sich Gelenkrheuma bei Kindern? Leitsymptom der JIA ist die Arthritis. Die typischen Zeichen der Entzündung mit Schwellung oder Überwärmung und schmerzhafter Bewegungseinschränkung eines Gelenkes sind allerdings – insbesondere bei Kleinkindern – nicht immer offensichtlich. Klein- und Vorschulkinder geben meist keine Schmerzen an. Vielmehr nehmen Kinder mit Arthritis eine schmerzlindernde Beugeschonhaltung des Gelenkes ein (Abb. 1). Typisch für die JIA sind morgendliche Gelenkschmerzen und „Morgensteifigkeit“. Kinderärztliche Praxis 85, 162 – 169 (2014) Nr. 3 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Gelenkbefall und extraartikuläre Manifestationen variieren unter den verschiedenen JIA-Subgruppen (Tab. 2). Oligoarthritis (OA) Bei der OA sind innerhalb der ersten 6 Erkrankungsmonate maximal 4 Gelenke entzündet, in 30 – 50 % der Fälle ist nur ein Gelenk betroffen. Der Erkrankungsgipfel liegt im 2. und 3. Lebensjahr. Die OA betrifft vorzugsweise Mädchen und präsentiert sich typischerweise mit einer asymmetrischen Arthritis an den großen Gelenken der unteren Extremitäten, bevorzugt mit Befall der Knie- und Sprunggelenke. Bleibt die Arthritis auch im weiteren Krankheitsverlauf auf maximal 4 Gelenke beschränkt, spricht man von einer persistierenden Form der OA. Werden hingegen nach mehr als 6 Monaten mehr als 4 Gelenke in den Entzündungsprozess einbezogen, wird die Erkrankung als erweiterte (extended) Form der OA bezeichnet. Patienten mit persistierender OA haben von allen kindlichen Rheumaformen die beste Prognose. Etwa 80 % erreichen beschwerde- und therapiefrei das Erwach- ten 8 Krankheitsjahre zu einem Stillstand der Erkrankung, einer therapiefreien Remission [7]. Entsprechend häufiger entwickeln diese Patienten Gelenkschädigungen und Funktionseinschränkungen im Alltag. Bei etwa jedem fünften Patienten tritt als Komplikation der OA eine Uveitis auf. Abb. 1: 3-jähriger Junge mit ausgeprägter Gonarthritis links: Schwellung und Beugeschonhaltung des linken Kniegelenkes. senenalter. Demgegenüber zeigen Patienten mit erweiterter Form der OA einen ungünstigeren Verlauf. Hier kommt es nur bei etwa jedem Fünften innerhalb der ers- Die Uveitis, eine Entzündung der mittleren Augenhaut (Uvea), ist eine sehr häufige Komplikation der OA. Sie wird bei etwa jedem fünften Patienten beobachtet. In der Regel verläuft sie ohne offensichtliche Symptome wie z.B. Rötung oder Schmerzen. Deshalb birgt sie ein hohes Komplikationsrisiko. Etwa jeder vierte Betroffene entwickelt Folgekomplikationen wie Katarakt, Glaukom und bandförmige Hornhauttrübungen durch Kalkeinlagerungen, die einen relevanten Sehkraftverlust (≤ 20/50) nach sich ziehen. Regelmäßige augenärztliche Untersuchungen, d. h. unmittelbar bei Diagnosestellung und da- Tab. 2: Merkmale der verschiedenen JIA-Subtypen (Quelle: Daten internationaler JIA-Inzeptionskohorten und Kerndokumentation rheumakranker Kinder) JIA-Kategorie Relative Häufigkeit (%) Beginnalter (Median, Jahre) Verhältnis HLA-B27Nachweis (%) Klinische Kennzeichen ♀ :♂ ANANachweis (%) OA 50 – 55 4 2 – 3:1 60 – 70 10 Asymmetrischer Befall weniger (meist großer) Gelenke RF- PA 15 – 20 7 3:1 50 10 Symmetrischer Befall großer und kleiner Gelenke EAA 10 – 15 11 1:2 – 3 20 60 – 70 Asymmetrischer Befall weniger Gelenke, meist der unteren Extremität, Enthesiopathien, ggf. axiale Beteiligung PsA 6–8 9 2:1 40 20 Asymmetrischer Befall weniger Gelenke (auch kleiner Gelenke), Befall im Strahl, Daktylitis sJIA 5 5 1:1 20 5 – 10 Arthritis, Fieber, Exanthem, Serositis, Lymphknotenschwellung, Hepatosplenomegalie RF+ PA 2–3 12 4:1 40 10 – 15 Symmetrischer Befall großer und kleiner Gelenke (insbesondere der Hände und Füße) Andere Arthritis 3–5 9 2:1 30 25 – JIA insgesamt 100 6 2:1 40 – 50 20 – Kinderärztliche Praxis 85, 162 – 169 (2014) Nr. 3 www.kipra-online.de 163 FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ nach mindestens in 3-monatigen Intervallen sind geboten [8]. Rheumafaktor-negative Polyarthritis (RF- PA) Die RF- PA ist die zweithäufigste Form der JIA. Bereits zu Beginn der Erkrankung sind hier mehr als 4 Gelenke (= polyartikulär) entzündet. Bei der Rheumafaktornegativen Polyarthritis sind klassischerweise die großen und kleinen Gelenke symmetrisch betroffen. Im Unterschied zum Gelenkrheuma bei Erwachsenen sind aber laborchemisch keine Rheumafaktoren nachweisbar. Die Polyarthritis beginnt oft schleichend und manifestiert sich mit zunehmenden Bewegungseinschränkungen, Schmerzen sind nicht selten von untergeordneter Bedeutung. Auch bei der RF- PA kann eine Uveitis (in ca. 10 % der Fälle) auftreten. Die Polyarthritis verläuft häufiger als die OA progredient. Die überwiegende Mehrheit der Patienten mit RF- PA hat auch im Erwachsenenalter noch eine aktive bzw. behandlungsbedürftige Erkrankung und bedarf der weiteren rheumatologischen Versorgung. Enthesitis-assoziierte Arthritis (EAA) An einer EAA erkranken typischerweise HLA-B27-positive Jungen ab einem Alter von 6 Jahren. Sie zeigen klinisch einen asymmetrischen Befall der großen Gelenke der unteren Extremitäten und Sehnenansatzentzündungen (Enthesitiden), die am häufigsten am Ansatz der Achillessehne und an der Fußsohlenfaszie auftreten. Daneben finden sich charakteristisch Fußwurzelentzündungen, Sehnenscheidenentzündungen im Fußbereich und in 5 – 10 % symptomatische Augenentzündungen (akute Uveitis). Rückenschmerzen als Zeichen einer entzündlichen Wirbelsäulenbeteiligung treten oft erst im weiteren Krankheitsverlauf hinzu. In etwa einem Drittel der Fälle kann eine Sakroiliitis in den ersten 5 Erkrankungsjahren mittels Kernspintomografie nachgewiesen werden. Mit zunehmender Krankheitsdauer nimmt der Anteil der Patienten mit entzündlicher Wirbelsäulenbeteiligung zu. 164 Abb. 2: An der Kerndokumentation und ambulanten kinderrheumatologischen Versorgung teilnehmende Einrichtungen (10 Kinderarztpraxen, 20 Universitätskinderkliniken, 31 weitere Kinderkliniken), Bezug: Jahr 2012. Im frühen Erwachsenenalter hat etwa die Hälfte der Patienten mit EAA eine axiale Spondylarthritis entwickelt. Psoriasisarthritis (PsA) Im Unterschied zum Erwachsenenalter manifestiert sich bei Kindern mit PsA die Arthritis in etwa der Hälfte der Fälle vor der Psoriasis. Zu Erkrankungsbeginn wird meist eine asymmetrische Entzün- dung weniger Gelenke beobachtet, wobei das Kniegelenk am häufigsten betroffen ist. Als typisch gelten die Beteiligung kleiner Gelenke, z. B. der Endgelenke von Fingern und Zehen, der Befall im Strahl (Befall von Grund-, Mittel- und Endgelenk eines Fingers oder einer Zehe) sowie eine Daktylitis (sog. Wurstfinger bzw. -zehe). Auch bei der Psoriasisarthritis kann, wie bei der Enthesitis-assoziierten Arthri- Kinderärztliche Praxis 85, 162 – 169 (2014) Nr. 3 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ tis, die Wirbelsäule in den Entzündungsprozess einbezogen sein. Generell finden sich bei mehr als 70 % der Patienten mit Psoriasisarthritis nach mehr als 5 Jahren Krankheitsdauer noch Zeichen der aktiven Arthritis. Im Vergleich zu anderen oligoartikulären JIA-Formen ist die Prognose der Psoriasisarthritis also ungünstiger. umfasst Patienten, die entweder keine der für die 6 anderen Subgruppen notwendigen Definitionskriterien erfüllen oder aber in mehrere der zuvor angeführten 6 Subgruppen eingeordnet werden könnten. Systemische Form der JIA (sJIA [Synonym: Morbus Still]) Die sJIA unterscheidet sich grundsätzlich von den anderen JIA-Subtypen. Sie zeichnet sich durch Allgemeinsymptome mit hohem wiederkehrenden Fieber (bis über 39 °C), einem flüchtigen, lachsfarbenen Exanthem, einer Hepatosplenomegalie, Polyserositis, Lymphadenopathie sowie Erhöhungen der Akut-Phase-Parameter aus. Autoantikörper werden in der Regel nicht nachgewiesen, es besteht keine Geschlechtsdisposition. Zu Erkrankungsbeginn dominieren in der Regel die systemischen Zeichen. Bis zu 10 % der Patienten entwickeln eine lebensbedrohliche Komplikation, die als Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) bezeichnet wird. Eine chronische Gelenkentzündung tritt gewöhnlich innerhalb von 6 Monaten nach Fieberbeginn, gelegentlich auch erst Jahre später auf. Der Krankheitsverlauf ist variabel. Bei etwa der Hälfte der Patienten schreitet die Erkrankung chronisch voran. Diese Patienten zeigen eine schwere Polyarthritis und einen relevanten Funktionsverlust. Die Diagnose der JIA ist eine rein klinische. Sie fußt auf der Erkennung der Gelenkentzündung und dem Ausschluss bekannter, mit ähnlicher klinischer Symptomatik einhergehender Erkrankungen (Tab. 3). Nach wie vor gibt es keine für die JIA wegweisenden oder gar pathognomonischen Laborbefunde. Erhöhte Entzündungsparameter finden sich bei bis zu zwei Drittel der JIA-Patienten zu Erkrankungsbeginn, bei der OA seltener, bei der sJIA immer. Unauffällige Entzündungsparameter schließen eine JIA nicht aus. Laboruntersuchungen sind vor allem hinsichtlich des Ausschlusses anderer Erkrankungen von Bedeutung. Rheumafaktor-positive Polyarthritis (RF+ PA) Die RF+ PA ist sehr selten und wird überwiegend bei jugendlichen Mädchen beobachtet. Ein symmetrischer Gelenkbefall, vor allem im Bereich der Hände und Füße, dominiert. Die RF+ PA gilt als pädiatrisches Äquivalent der rheumatoiden Arthritis der Erwachsenen und zeigt analoge klinische Manifestationen und einen rasch voranschreitenden Verlauf. Andere Arthritis Die Gruppe der „Anderen Arthritis“ kennzeichnet keine spezielle JIA-Unterform. Sie Wie lässt sich Gelenkrheuma bei Kindern und Jugendlichen erkennen? Tab. 3: Diagnostisches Vorgehen zur Abklärung und Klassifikation einer chronischen Arthritis im Kindes- und Jugendalter ◾ Anamnese (inklusive Familienanamnese) ◾ Ganzkörperuntersuchung mit ausführlicher Erhebung des Gelenkstatus ◾ Situationsangepasste Labordiagnostik: – Blutbild mit Differenzierung Entzündungsparameter (BSG, CrP) – Kreatinin, ALAT, Harnsäure, CK, LDH, Ferritin Immunglobuline (IgA, IgM, IgG) (ggf. Gerinnung) – Auto-Antikörper: ANA, RF – HLA-B27 – Infektionsserologie (nach Anamnese): Borrelien-Antikörper (ELISA, Blot), Streptokokken-Antikörper, (ggf. Antikörper gegen Parvovirus B19, Yersinien, Salmonellen etc.) Tuberkulosetest (z. B. Quantiferontest, RT 23) ◾ Augenärztliche Untersuchung ◾ Bildgebende Untersuchungen: Arthrosonografie, ggf. Röntgen (Gelenke, Thorax), ggf. MRT Kinderärztliche Praxis 85, 162 – 169 (2014) Nr. 3 www.kipra-online.de Antinukleäre Antikörper (ANA) ohne Zielantigen werden bei 40 – 50 % der JIAPatienten nachgewiesen. Sie finden sich im niedrigen Titerbereich allerdings auch bei bis zu 20 % gesunder Kinder. Ihre diagnostische Spezifität ist sehr gering. Werden ANA bei JIA-Patienten nachgewiesen, weisen sie auf ein erhöhtes Uveitisrisiko hin (ca. 3fach im Vergleich zu ANA-negativen JIA-Patienten). Rheumafaktoren (RF) und Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide (Anti-CCP-Ak) werden bei < 5 % der Patienten nachgewiesen und sind somit diagnostisch ebenfalls nicht hilfreich; allerdings ist der Nachweis dieser Antikörper mit einer höheren Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Gelenkdestruktionen verbunden. Bildgebende Untersuchungen (Arthrosonografie, Magnetresonanztomografie, Röntgen) dienen zum einen der Ausschlussdiagnostik, zum anderen der Beurteilung des Entzündungsausmaßes bzw. von Folgeschäden. Wie wird Gelenkrheuma behandelt? Für die Behandlung rheumatischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen stehen mittlerweile landesweit über 100 auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendrheumatologie ausgebildete Kinderärzte an über 60 meist Klinikambulanzen zur Verfügung (s. Versorgungslandkarte unter www.gkjr.de). Die meisten dieser Einrichtungen (Abb. 2) nehmen an der bundesweiten Kerndokumentation teil, so dass Informationen zur aktuellen Versorgungssituation rheumakranker Kinder vorliegen [9]. Die Behandlung der JIA ist komplex und orientiert sich an der Form bzw. Schwere der Erkrankung. Sie umfasst medikamentöse, krankengymnastische, physikalische und ergotherapeutische Maßnahmen neben einer psychosozialen Betreuung der gesamten Familie (Therapieleitlinie der JIA unter www.awmf.org). Diese komplexe Therapie zielt auf eine Unterdrückung der rheumatischen Entzündungsaktivität, sucht bleibende Schäden zu vermeiden sowie eine normale körperliche und psychosoziale Entwicklung des 167 FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ Nichtsteroidale Antirheumatika Methotrexat 32 % 71 % 39 % 67 % 42 % 56 % 43 % 48 % Glukokortikoide, systemisch Andere konventionelle DMARDs 21 % 18 % 18 % 13 % 12 % 8% 12 % 7% DMARDs Biologische DMARDs 47 % 1% 52 % 6% 52 % 11 % 57 % 2000 2004 2008 betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen zu fördern. Unter www.gkjr.de ist eine Versorgungslandkarte aller Klinikambulanzen zu finden, an denen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendrheumatologie ausgebildete Kinderärzte beschäftigt sind. Die Entwicklung innovativer medikamentöser Behandlungsverfahren hat in den letzten Jahren zu einer deutlichen Änderung des therapeutischen Vorgehens bei der JIA geführt (Abb. 3). Schmerzund entzündungslindernde Medikamente (nicht steroidale Medikamente), wie z. B. Naproxen oder Ibuprofen, bilden zwar nach wie vor die First-Line Therapie der Erkrankung, in der langfristigen Behandlung werden sie aber seltener angewendet. Auch die systemische Anwendung von Steroiden hat, im Unterschied zur lokalen Gabe in die Gelenke (intraartikulär), an Bedeutung verloren. Nichtbiologische und biologische krankheitsmodi- 168 Abb. 3: Anteil der mit nichtsteroidalen Antiheumatika, Glukokortikoiden systemisch und nichtbiologischen/biologischen DMARDs (Disease Modifying AntiRheumatic Drugs) behandelten JIA-Patienten (in %). Quelle: Daten der Kerndokumentation von 2000 bis 2012 19 % 2012 fizierende Medikamente (sog. DMARDs) werden heute nicht nur häufiger, sondern auch früher im Krankheitsverlauf eingesetzt. Mittlerweile wird jedes zweite kinderrheumatologisch betreute Kind hiermit behandelt. Methotrexat (MTX) ist die am häufigsten verwendete Substanz. MTX wird in einer Dosis von 10 – 15 mg/m2 Körperoberfläche/Woche oral oder subkutan verabreicht. Biologische, relativ gezielt in den rheumatischen Entzündungsprozess eingreifende Substanzen, wie Etanercept und Adalimumab als den Tumornekrosefaktor (TNF) blockierende Substanzen, der T-Zell-Kostimulations-Blocker Abatacept oder die zytokinblockierenden Substanzen Tocilizumab (IL-6-Inhibitor) und Canakinumab (IL-1-Inhibitor), werden inzwischen bei jedem fünften Patienten bzw. bei jedem dritten mit schweren JIA-Formen eingesetzt. Durch das geänderte therapeutische Vorgehen gelingt es zunehmend besser, die rheumatische Krankheitsaktivität bei der JIA zu kontrollieren und die Krankheitslast bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu vermindern. Es gibt Hinweise, dass ein frühes Erreichen einer in- Wesentliches für die Praxis . . . ◾ Die Diagnose Gelenkrheuma beim Kind bzw. juvenile idiopathische Arthritis beruht auf rein klinischen Kriterien, beweisende Laborbefunde gibt es nicht. ◾ Für die medizinische Versorgung rheumakranker Kinder und Jugendlicher stehen bundesweit inzwischen über 100 pädiatrische Rheumatologen an über 60 Einrichtungen zur Verfügung. ◾ Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich für Kinder und Jugendliche mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen erheblich verbessert. Rechtzeitige Diagnose und Therapie ermöglichen den betroffenen Patienten in der Regel ein weitgehend normales Leben. Kinderärztliche Praxis 85, 162 – 169 (2014) Nr. 3 www.kipra-online.de FORTBILDUNG | „ARTIKEL DES MONATS“ aktiven Erkrankung die Langzeitprognose der Patienten verbessert [10]. Insofern ist es wichtig, dass Patienten möglichst bei Erkrankungsbeginn Zugang zur spezialisierten Versorgung finden. Allerdings erreicht nach wie vor nur etwa die Hälfte der JIA-Patienten innerhalb des angestrebten Zeitfensters von 6 bis 8 Wochen nach Symptombeginn den Kinderrheumatologen. Wertvolle Zeit, die für die Behandlung genutzt werden könnte, geht dadurch verloren. Literatur 1. Goodman JE, McGrath P (1991) The epidemiology of pain in children and adolescents: a review. Pain 46: 247 – 64 2. Thomas E, Symmons DP, Brewster DH et al. (2003) National study of cause-specific mortality in rheumatoid arthritis, juvenile chronic arthritis, and other rheumatic conditions: a 20-year follow-up study. J Rheumatol 30: 958 – 65 3. Hersh A, von Scheven E, Yelin E (2011) Adult outcomes of childhood-onset rheumatic diseases. Nat Rev Rheumatol 7: 290 – 5 4. Zink A, Minden K, List SM (2010) Entzündlich-rheumatische Erkrankungen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 49. Hrsg. Robert Koch-Institut, Berlin 5. Petty RE, Southwood TR, Manners P et al. 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