Vroom! Vroom!1 Prof. Lars Bauernschmitt Autos sind in

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Vroom! Vroom!1
Prof. Lars Bauernschmitt
Autos sind in redaktionellen Artikeln meist nur ein Thema, um die gewinnträchtigen Rubrikenanzeigen einzubinden. Als Motive in der künstlerischen
Fotografie haben sie eine größere Bedeutung.
Die Jagd beginnt, wenn die Temperaturen unter den Nullpunkt sinken. Sobald die Seen
zugefroren sind, gehen die scheuen Models auf das Eis. Währenddessen warten ihre
Verfolger im Unterholz am Ufer auf eine Gelegenheit zum Abschuss. Bei Temperaturen
weit unter dem Gefrierpunkt findet auf den Gewässern und in den Wäldern am Polarkreis
alljährlich derselbe Zweikampf zwischen alten Bekannten statt. Jahr für Jahr im Winter
treffen sich in Arjeplog im Norden Schwedens die Fahrzeugtester der Autokonzerne und
die fotografierenden Jäger der Erlkönige – der noch geheimen neuen Auto-Modelle – zum
immer gleichen Ritual. Während die Verantwortlichen der Autohersteller durch mehr oder
weniger geschickte Tarnung versuchen, markante Neuerungen möglichst lange zu
verbergen, versuchen die PS-Paparazzis genau diese Details sichtbar zu machen. Wo ihre
auf Stars und Sternchen spezialisierten Kollegen nach neuen Lebensabschnittsgefährten
ihrer Zielpersonen suchen und notfalls eine neue Handtasche zur Meldung hochjubeln,
suchen ihre Kollegen, die mehr Benzin im Blut haben, nach Modifikationen am Kühlergrill
oder Veränderungen an den Türgriffen. Und so wie die Promis des Showbiz mal mehr mal
weniger geschickt den Mitarbeitern der Yellow-Press zu entkommen versuchen, bemühen
sich die Blechpresser ihre neusten Werke möglichst lange vor den Augen der
Öffentlichkeit zu verstecken. Wo der Jet-Set zur Tarnung die getönte Sonnenbrille oder
die unvorteilhafte Schlabberjeans einsetzt, nutzen die Auto-Schrauber
Schaumstoffpolster und falsche Scheinwerfer. Um das Erkennen der Details an den neuen
Fahrzeugtypen zusätzlich zu erschweren, werden die neuen Fahrzeugmodelle nicht selten
mit Folien beklebt, die aussehen wie durch einen schlechten LSD Trip verursachte
Traumbilder. Doch nicht nur wegen der kreativen Outfits der Testwagen lässt die Qualität
der Fotos oft zu wünschen übrig. Um die Wagen möglichst lange vor unerwünschten
Blicken zu verstecken, dürfen manche Testwagen nur nachts auf die verschneiten
Straßen. Keine optimalen Voraussetzungen für technisch gute Fotos. So geben beide
Seiten ihr Bestes beim Tricksen, Tarnen, Täuschen. Die Jagd auf die PS starken
Neuschöpfungen gehorcht denselben Regeln wie die Hatz auf Prominente aus Fleisch und
Blut. Und hier wie dort kennt das Spiel nicht nur Gegner – nicht selten arbeitet man auch
zusammen. Denn so wie viele Promis manches Geheimnis mal gar nicht und manchmal
nur zu gerne gelüftet haben möchten, versuchen auch Autobauer die Blech-Paparazzi mal
fernzuhalten und mal für ihre PR zu nutzen. Denn während zu früh veröffentlichte Fotos
unter Umständen den Absatz der vor der Ablösung stehenden Modelle einbrechen lässt,
können gezielt gestreute „Enthüllungen“ eine gute Werbung sein - und da dürfen die
Fotos gerne auch etwas unscharf sein.
Wenn die Werbung die Vorzüge des Produktes jedoch wirklich gut erkennbar zeigen soll,
müssen die Fotos unter besseren Bedingungen entstehen. Wenn die technische
Überlegenheit und das durch die pferdelose Kutsche erreichte Lebensgefühl deutlich
werden sollen, müssen Fotografen frei und ungehindert arbeiten können. Eine Tatsache,
die die Autohersteller erst lernen mussten. Als Robert Doisneau 1934 bei Renault anfing,
stand der knapp zwanzigjährige Werbe- und Industriefotograf in der Firmenhierarchie
ganz unten. Wenn er beladen mit seiner 18 x 24 Holzkamera, Stativ, drei oder vier
Objektiven, Scheinwerfern und Kabeln in den Fabrikhallen auftauchte, um die Abläufe bei
dem französischen Automobilhersteller im Bild festzuhalten, war er befangen gegenüber
den Arbeitern, die er „quasi als Chefs, als die eigentlichen Herren ansah. ... Wenn man
zum ersten mal mit der Welt der Arbeit konfrontiert wird, ist man doch beeindruckt: die
gewaltigen Maschinen, der Lärm, das Quietschen und Pfeifen, die Gefahren rundum. Oft
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Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 2/2013 der Zeitschrift Pictorial.
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hatte ich Bammel mein Zeug auszupacken. Fotografen bei Renault! Wie die Laufburschen
oder Gärtner waren wir so etwas wie die Schlacke in einer Welt der Arbeit.“ Eine Sicht,
die vermutlich auch der Inhaber teilte. Robert Doisneau war zwischen 1934 und 1939
angestellt bei einem Firmenpatriarchen, der die Arbeit der Fotografen eher als
notwendiges Übel betrachtete. „Louis Renault hatte für Öffentlichkeitsarbeit wenig übrig.
Tatsächlich glaubte er nicht so recht an Werbung. ... Er richtete trotzdem eine Abteilung
ein um autonom zu sein“ schrieb Robert Doisneau von dem vor allem pragmatische
Bildlösungen gefordert wurden. So war eine schlanke Figur der weiblichen Fotomodelle in
den Autos die fotografiert wurden ein wichtiges Auswahlkriterium „damit man drei von
ihnen auf einer Rückbank unterbringen konnte, was bei den stärker gebauten nicht
gegangen wäre.“ Die meisten Aufnahmen musste er im Werk ohne neutralen Hintergrund
oder vernünftige Scheinwerfer machen. Nur manchmal konnte er wenigstens
hinausfahren in den Bois de Boulogne um die Wagen dort beinahe lebensnah zu
fotografieren. „Da hieß es dann schnell machen, denn die Zeit war knapp. Auch unsere
Darsteller waren im Grunde Amateure. Freunde, Sekretärinnen aus dem Versand,
Angestellte aus der PR-Abteilung, für die einige Stunden draußen ein echtes Glück
bedeuteten.“ Der Fotograf, der später mit seinen liebevollen Darstellungen des Alltags
auf den Straßen von Paris weltberühmt wurde, begann seine Laufbahn als Fotograf bei
einem Patriarchen alter Schule. „Er befiehlt und herrscht. Er hasste Papierkram und
Bürokratie. Seiner Meinung nach verführten ein Tisch und ein Stuhl zur Faulheit, zum
Mittagsschläfchen nach dem Essen, zum Plaudern. ... Desgleichen mussten die sanitären
Anlagen so einfach wie möglich gehalten werden, da der geringste Komfort das Personal
nach der Meinung des Chefs dazu verleiten könnte, sich darin auszuruhen, die Zeitung zu
lesen oder zu rauchen, anstatt zu arbeiten.“ So entwickelte Doisneau bei Renault nicht
nur seine fotografischen Fertigkeiten sondern auch sein politisches Bewusstsein. Während
der knapp Zwanzigjährige für Renault alles fotografierte, was das Unternehmen zur
Werbung benötigte, half ihm der Firmenpatriarch Louis Renault auf seine Weise einen
Standpunkt zur gesellschaftlichen Realität zu entwickeln. „Vor 1936 hatte ich keinerlei
Klassenbewusstsein. ... Jetzt hiess es erstmal, der Gewerkschaft beitreten.“ Robert
Doisneaus Engagement bei dem französischen Autobauer endete 1939, als dem
Personalchef die Manipulationen auffielen, die der junge Fotograf an seiner Stempelkarte
vorgenommen hatte, um sein ständiges Zuspätkommen zu vertuschen.
Wurden von Robert Doisneau eher bescheidene Inszenierungen der Vorzüge eines
Renault geliefert, zeigte der Fotograf Ben Oyne Anfang der achtziger Jahre welche
hochemotionalen Momente ein Auto der Marke Lancia schaffen kann. Wo bei Doisneau
fünfzig Jahre vorher Renault-Bedienstete mehr oder weniger entspannt im Auto sitzen
und Bewegung simulieren, zeigen Lancia-Anzeigen gelebte Auto-Begeisterung. In
aufwendigen Inszenierungen zeigt Ben Oyne Menschen, die mit den italienischen Autos
besondere Situationen erleben. Ironisch überzogen und liebevoll karikiert zeigt er zum
Beispiel die Belegschaft einer Autowerkstatt in ihrer geradezu kindlichen Begeisterung für
den Lancia Beta Montecarlo Turbo. Der Wagen, mit dem die Firma 1980 und 1981
Markenweltmeister wurde, ist Mittelpunkt einer Gruppe von drei Mechanikern und dem
autobegeisterten Geschäftsmann. Während die Werbung für Autos sonst vor allem durch
Humorlosigkeit besticht und Fahrgefühl messbar machen will, glaubt man den Männern
und Frauen in der Lancia Werbung vor dreißig Jahren ihre emotionale Beziehung zum
fahrbaren Untersatz. „Das Foto ließ ich im Fiat-Studio in Turin aufbauen. Ermöglicht
wurde dies durch ein erstaunlich hohes Budget und einen mutigen Art Director“,
erläuterte der 1938 in Göteborg geborene Autodidakt Ben Oyne.
Weniger situativ, dafür mit einem sinnlichen Blick auf die Details der Fahrzeuge,
fotografierte Koto Bolofo die Restaurierung historischer Bugattis in der Werkstatt von Tim
Dutton. Im ländlichen Buckinghamshire beobachtete der 1959 in Südafrika geborene
Mode- und Werbe-Fotograf die Arbeit an den automobilen Träumen in einem Betrieb, der
bereits in dritter Generation historische Bugatti-Modelle restauriert, ein Betrieb, in dem
die Zeit scheinbar seit der Gründung still steht. Seine in dem opulenten Bildband „Vroom!
Vroom!“ gezeigten Fotos vermitteln den Eindruck, als seien sie nicht 2007 fotografiert
worden, sondern in der großen Zeit der ursprünglich deutschen Firma Bugatti zwischen
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1920 und 1940. Doch während sich in den gut komponierten Stillleben von Werkzeugen
und Motorenteilen die Begeisterung des Fotografen für die technische Perfektion und die
frühe Ingenieurkunst zeigt, fehlt seinen Portraits der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
diese Ausstrahlung. Die von ihnen ausgeführten Tätigkeiten erschließen sich nicht
wirklich, die Fotos lassen kaum eine emotionale Beziehung zum Produkt oder der
Tätigkeit daran erkennen.
Scheinen die Arbeiter bei Bolofo keinerlei Beziehung zum Produkt zu haben, werden sie
bei Peter Keetmans Darstellung des Volkswagenwerks gleich völlig ausgeblendet. Eine
Woche lang fotografierte er im April 1953 in Wolfsburg die Produktion des VW Käfer und
konzentrierte sich dabei vor allem auf die Darstellung der Massen an Autoteilen, die sich
in den Fabrikhallen gestapelt zu spannenden Strukturen ordnen. Peter Keetman
fotografierte die Bilder als freie Arbeit, von der er sich Impulse für seine Arbeit als
Industriefotograf erhoffte, die jedoch ausblieben. Der 1916 in Wuppertal geborene
Fotograf hatte sein Handwerk zunächst an der Bayerischen Staatslehranstalt für
Lichtbildwesen in München erlernt, bevor er sich als Werbefotograf selbständig machte
und gleichzeitig 1949 unter anderem mit Toni Schneiders und Ludwig Windstoßer zur
Gruppe fotoform zusammenschloss. Peter Keetman fotografierte die Produktion in
Wolfsburg von den unbearbeiteten gestapelten Blechtafeln bis zur Auslieferung der
fertigen Volkswagen. Autoteile, deren Funktion sich auch bei längerer Betrachtung nicht
erschließt, liegen in Massen in den riesigen Hallen. Keetman fotografiert sie im Stile der
Neuen Sachlichkeit und schließt damit fotografisch ebenso an die Vorkriegszeit an, wie
die Wolfsburger Autobauer, die ihren Welterfolg nach dem Krieg mit einem Modell
begründeten, dessen Geschichte bereits 1938 als KdF Wagen begann, bevor es nach
dem 2. Weltkrieg seinen Siegeszug um die Welt antrat. Obwohl die Serien-Produktion des
Käfers erst im Sommer 1945 begann, fand seine Entwicklung, maßgeblich betrieben von
Ferdinand Porsche, bereits vor der NS-Zeit statt.
Für Peter Keetman waren die Käfer lediglich Objekte, an denen er seine fotografischen
Fähigkeiten für potentielle Auftraggeber unter Beweis stellte. Andere Fotografen
definierten sich stärker über das Auto. So bestand die Reporter-Legende Rolf Gillhausen
gegenüber Ute Eskildsen einmal darauf „zwar immer ein guter Autofahrer, aber nie ein
guter Fotograf gewesen zu sein“, während Lee Friedlander erklärte, dass er übergangen
wurde als das Auto-Gen verteilt wurde und darüber hinaus auch noch stolz darauf ist,
nichts über Autos zu wissen. Der Wunsch nach Fachwissen über das darzustellende
Thema beim Fotografen war also nicht der Grund, als ihn die jungen Art-Direktoren des
Harper’s Bazaar, Ansel und Bea Feitler, 1964 beauftragten, die neuen Auto-Modelle des
Jahres zu fotografieren. Die neuen Wagen würden per LKW dorthin geliefert werden, wo
Friedlander sie fotografieren wollte. Nur zwei Auflagen sollte er erfüllen: Fotos liefern und
den Redaktionsschluss einhalten. Er schaffte beides. Im Heft gedruckt wurden die Fotos
jedoch nicht. Denn statt die Autos vor repräsentativen Gebäuden oder in extravaganten
Landschaften zu fotografieren, suchte er seine Motive an Tankstellen, billigen
Möbelgeschäften, leeren Drive-In Kinos oder Burger Läden. Lee Friedlander zeigte Autos
im amerikanischen Alltag. Er fotografierte keine Statussymbole sondern Gebrauchsgüter
mit Verfallsdatum. Seine Fotos zeigen die typischen Straßenkreuzer in den nahezu
menschenleeren Stadtlandschaften inmitten kleinbürgerlicher Umgebung von Detroit und
New York. Harper’s Bazaar, abhängig von Anzeigen auch von der Autoindustrie, bezahlte
den Auftrag und schickte die Fotos zurück. Lee Friedlander vergaß die Bilder bis er sie
eines Tages zufällig beim Aufräumen fand. 2011 brachte die Fraenkel Gallery seine Fotos
unter dem Titel The New Cars 1964 als Buch heraus. Nach fast 50 Jahren sind aus
redaktionellen Auftragsfotografien Objekte des Kunstmarktes geworden und die Fotos
heute mehr wert als die Autos.
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