J GETHMANN, FJ CONRATHS & C STAUBACH Aktuelles zur Epidemiologie der Blauzungenkrankheit in Westeuropa Aktuelles zur Epidemiologie der Blauzungenkrankheit in Westeuropa JÖRN GETHMANN, FRANZ J. CONRATHS & CHRISTOPH STAUBACH Friedrich-Loeffler-Institut , Institut für Epidemiologie, Seestr. 55, 16868 Wusterhausen, [email protected] Zusammenfassung Die Blauzungenkrankheit ist auch 2007 in Deutschland wieder aufgetreten. Dabei sind im Jahr 2007 wesentlich mehr Betriebe betroffen als 2006. Insbesondere Schafe erkranken zum Teil schwer an der Blauzungenkrankheit. Überlebende Tiere erholen sich teilweise nur sehr langsam. Eine Therapie gegen das Blauzungenvirus gibt es nicht. Die erkrankten Tiere können lediglich symptomatisch behandelt werden. Inaktivierte Impfstoffe gegen den Serotyp 8 stehen Mitte 2008 zur Verfügung. Die Blauzungenkrankheit ist eine nicht ansteckende Erkrankung bei Wiederkäuern, welche durch das Blue-Tongue-Virus (BTV) – einem Orbivirus der Familie der Reoviren verursacht wird. Vom BTV sind 24 verschiedene Serotypen bekannt. Der Name der Krankheit rührt daher, dass bei manchen erkrankten Tieren, insbesondere Schafen, die Zunge in Folge von Einblutungen blau anschwellen kann. Das Virus wird hauptsächlich von wenige Millimeter langen blutsaugenden Mückenarten („Gnitzen“) aus der Gattung Culicoides von Tier zu Tier übertragen und auf diesem Weg schnell verbreitet. Vor 2006 waren in Europa ausschliesslich im Mittelmeerraum Fälle aufgetreten. Verursacht wurden diese Ausbrüche durch die Serotypen 1, 2, 4, 9 und 16. Als Hauptüberträger im Mittelmeerraum gilt C. imicola. Ende August 2006 brach die Blauzungenkrankheit erstmals in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg aus. Dabei wurde in den infizierten Tieren BTV Serotyp 8 festgestellt, ein Serotyp, der bis dahin in Europa noch nicht nachgewiesen worden war. Bis Ende 2006 wurden in den betroffen Gebieten 890 Ausbrüche gemeldet. Entomologische Untersuchungen ergaben, dass das BTV bei dem Seuchengeschehen nördlich der Alpen höchstwahrscheinlich durch paläarktische Culicoides-Arten, wie C. dewulfi und C. obsoletus verbreitet wird. Die epidemiologischen Untersuchungen zur Einschleppungsursache von BTV-8 nach Europa haben bisher keine eindeutige Quelle identifizieren können. Im Juni 2007 wurde die Krankheit wieder festgestellt und hat sich seitdem über weite Teile Deutschlands ausgebreitet. Bis zum 12.11.2007 wurden fast 18.000 Fälle gemeldet (siehe Abbildung 1). Untersuchungen zur Häufigkeit der Symptome bei Schafen zeigten, dass Fieber, Speichelfluss, Ödeme am Kopf, Apathie, Müdigkeit, Dysphagie und Lahmheiten im Vordergrund stehen. Betroffene Schafhalter berichteten ausserdem, dass sich die Tiere nach einer Infektion mit der Blauzungenkrankheit nur langsam erholten und noch Wochen später Lahmheiten zeigten. Lämmer waren in der Entwicklung zum Teil stark verzögert. Eine Auswertung der zentralen Tierseuchedatenbank im deutschen Tierseuchennachrichtensystems (TSN) ergab, dass seit dem 01.05.2007 in den Schafbetrieben, in denen die Blauzungenkrankheit aufgetreten war, etwa 6 % der Tiere in den Beständen erkrankten (Morbidität) und 2 % der Schafe an der Blauzungenkrankheit verendet sind oder wegen der Symptome getötet 41 G RAHMANN & U SCHUMACHER (Hrsg.) Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2008 Festgestellte Blauzungenausbrüche 2007 (wöchentlich) 3500 3000 2007 Ziege Schaf Rind 2500 2000 2006 Anzahl Fälle Ziege Schaf Rind 1500 1000 500 0 23 28 33 38 43 48 KW Abbildung 1: Übersicht der gemeldeten Blauzungenfälle in Deutschland werden mussten (Mortalität). Die Letalität (d.h. der Anteil der gestorbenen an den an Blauzungenkrankheit erkrankten Tieren) betrug 36 %. Da nicht alle Tiere deutliche klinische Symptome aufwiesen, muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle erkrankten Schafe erkannt werden. Demzufolge wird die Morbidität eher unterschätzt und die Mortalität eher überschätzt. Wenn die Tiere erst einmal an der Blauzungenkrankheit erkrankt sind, kann nur eine symptomatische Therapie durchgeführt werden. Dazu gehört je nach Schwere der Symptome die Behandlung mit Analgetika (Schmerz lindernd), Antiphlogistika (entzündungshemmend) und zur Bekämpfung von Sekundärinfektionen Antibiotika/Chemotherapeutika. Es sollte den Tieren auch ausreichend Wasser und wenig strukturiertes, energiereiches Futter angeboten werden. Der bisherige Verlauf der Epidemie hat gezeigt, dass die vorbeugenden Massnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung der Blauzungenkrankheit wie das Aufstallen in der Dämmerung und die Anwendung von 42 Insektiziden die Tiere nicht sicher vor einer Infektion schützten. In Südafrika, wo BTV-8 auch vorkommt, gibt es einen modifizierten Lebendimpfstoff gegen diesen Serotyp. Dieser Impfstoff ist jedoch auf Grund von Nebenwirkungen und der Gefahr von Feldinfektionen in Deutschland nicht zugelassen. Inaktivierte Impfstoffe sind in der Entwicklung und werden voraussichtlich ab Mitte 2008 zur Verfügung stehen. Literatur Conraths FJ et al. (2007): Blauzungenkrankheit in Deutschland: Klinik, Diagnostik und Epidemiologie. In: Der praktische Tierarzt. 88 (Suppl. 2), S. 9–15 European Food Safety Agency (EFSA) (2007): Epidemiological analysis of the 2006 bluetongue virus serotype 8 epidemic in north-western Europe. Request of the EC according to Article 31 of Regulation (EC) No 178/2002 (2007) In: http://www.efsa.europa.eu European Food Safety Agency (EFSA) (2007): Scientific Report of the Scientific Panel on Animal Health and Welfare on request from the Commission (EFSA-Q-2006-311) and EFSA Selfmandate (EFSA-Q-2007-063) on blueton- J GETHMANN, FJ CONRATHS & C STAUBACH Aktuelles zur Epidemiologie der Blauzungenkrankheit in Westeuropa gue. In: The EFSA Journal 479, 1-29 Iben B. (2006): Blauzungenkrankheit jetzt auch in Deutschland, In: Grosstierpraxispraxis 7:10, 418-427 43