Übungen zu Experimentalphysik 4 - Lösungsvorschläge Prof. S. Paul Sommersemester 2005 Dr. Jan Friedrich Nr. 8 Email [email protected] Telefon 089/289-12586 Physik Department E18, Raum 3564 20.06.2005 http://www.e18.physik.tu-muenchen.de/teaching/phys4/ Aufgabe 18 : Exotische Atome a. Wie kann man myonische Atome experimentell erzeugen? Wie groß ist die erste Bohrsche Bahn eines im Blei gebundenen Myons mit einem punktförmig angenommenen Kern? Vergleichen Sie mit der Größe des Bleikerns (r ≈ 7 fm), und diskutieren Sie daraus folgende Abweichungen für die Bahngröße und das Energieniveau. (5 Punkte) Lösung: Man kann myonische Atome erzeugen, indem man einen (sekundären, d.h. aus einem primären Teilchenstrahl erzeugten) Myon-Strahl in einem Be- (eigentlich Ent-) schleuniger abbremst auf einige MeV und dann auf eine Folie des zu betrachtenden Materials treffen lässt. Hier verlieren sie durch Stöße mit Elektronen ihre restliche kinetische Energie, und werden schließlich an einen Kern gebunden. Wegen der begrenzten Lebensdauer der Myonen beginnt man mit möglichst niederenergetischen Myonen (aus kinematischen Gründen bei der Teilchenerzeugung allerdings nicht wengier als ca. 200 MeV) und muss die Abbremsung möglichst schnell vollziehen. Die Myonen verdrängen die Elektronen der Atomhülle (zumindest zum Teil), da ihre Bindungsenergie größer als die der Elektronen ist; aus den Formeln En,Z = µα2 Z 2 · , 2~2 n2 rn,Z = 2 ~2 n 2 · µα Z 2 lässt sich ableiten, dass gilt Enµ = µµµe Ene = µµµe Zn2 EH und rnµ = µµµe rne = µµµe nZ aB (µµ und µe sind jeweils die reduzierten Massen). Für Blei ist Z=82 und mµ = 105.7 MeV /c2 = 206.85 · me , sodass r1µ = 3.1 fm einen Faktor 82 · 207 ≈ 17 000 kleiner als aB ist (die reduzierte Masse entspricht hier aufgrund der riesigen Kernmasse der Masse des Myons). Dies ist kleiner als der Radius des Bleikerns, entsprechend sind durch dessen Ausdehnung Korrekturen zu erwarten (größerer Radius, kleiner Bindungsenergie). b. Welche Größe und Bindungsenergie hat ein kaonisches Wasserstoffatom im Grundzustand? (mK − = 497 MeV) (2 Punkte) Lösung: Die reduzierte Masse des Kaons im System Kaon-Proton ist 325 MeV und damit einen Faktor 636 größer als die des Elektrons. Analog zur ersten Teilaufgabe beträgt der Radius der ersten Bohrschen Bahn in diesem Falle aB /636 = 83 fm, wogegen der Radius des Protons vernachlässigbar ist. Die Bindungsenergie ergibt sich analog zu E1 = −13.6 eV ·636 = 8.65 keV. Wegen der relativ großen Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Kaonen in direkter Nähe des Protons in s-Orbitalen besteht allerdings trotzdem eine 1 Verkürzung der Lebensdauer und eine Modifikation der Wellenfunktion. Diese Effekte sind wesentlich kleiner in Orbitalen mit höherem Drehimpuls, deren Aufenthaltswahrscheinlichkeit Nahe dem Ursprung wesentlich kleiner ist. Aufgabe 19 : Atomare Übergänge Beim atomaren Übergang zwischen zwei Energieniveaus mit spontaner Emission eines Lichtquants regt die Ladungsschwingung der Elektronenhülle das elektromagnetische Feld an. a. Machen Sie sich die Größenverhältnisse vom schwingenden Atom und der Wellenlänge des abgestrahlten Lichts beim Übergang 2p → 1s im Wasserstoffatom klar. (2 Punkte) Lösung: ∆E = EH 1 1 − 2 2 nk ni 1 = EH − 1 = 10.2eV 4 E = h · c/λ ⇒ λ = 122 nm aB = 0.53 · 10−10 m, d.h. die Größe eines schwingenden Wasserstoffatoms befindet sich in der Größenordnung von 1 − 2 · 10−10 m. Die abgestrahlte Wellenlänge ist um drei Größenordnungen größer als die Abmaße des Atoms. b. Nach dem Hertzschen Strahlungsgesetz strahlt ein harmonisch schwingender elektrischer Dipol, pel (t) = q · r(t) = p0 sin ωt, (klassisch) die mittlere Leistung P = f (ω) · p2el ab. Wie lautet f (ω)? (2 Punkte) Lösung: Die über alle Winkel integrierte abgestrahlte Leistung P eines klassischen, harmonisch schwingenden elektrischen Dipols ist P = 2 ω4 · p2 3 4πc3 el Abstrahlcharakteristik (Skizze Stöcker Seite 499): 2 c. Motivieren Sie den Zusammenhang 12 p2el = |hp~el i|2 bei der quantenmechanischen Behandlung eines atomaren Übergangs n`m → n0 `0 m0 , wobei Z hp~el i = q · h~r i = q Ψ∗n`m~r Ψn0 `0 m0 dV. Berechnen Sie das Überlappintegral und bestimmen Sie die Lebensdauer des 2p-Niveaus, indem Sie aus der abgestrahlten Leistung die Photonemissions-Rate 1/τ = P /(~ω) berechnen. (3 Punkte) Hinweis: −3/2 R10 (r) = 2 aB r −5/2 R21 (r) = √ · aB · e−r/2aB 24 · e−r/aB Lösung: Das quantenmechanische Analogon zur schwingenden Ladung ist die Änderung des mittleren Aufenthaltsortes des Elektrons beim Übergang von der Anfangs- zur Endzustands-Wellenfunktion; dieses motiviert die Betrachtung des Operators ~r zwischen Ψn`m und Ψn0 `0 m0 . Der zusätzliche Faktor 2 erklärt sich bei Vergleich der klassischen Herleitung mit der quantenmechanischen Störungsrechnung für die Übergangswahrscheinlichkeit und wird hier als gegeben angenommen. Zur Auswertung der Winkelabhängigkeit des Integrals wird zunächst umgeschrieben mit Hilfe der Kugelflächenfunktionen 1 r √1 (Y−1 x 1 − Y1 ) 2 4π 1 √ (Y−1 + Y1 ) , ~r = y = r 1 1 i 2 3 z Y10 woraus mit den entsprechenden Vollständigkeitsrelationen und Y00 = √14π folgt Z 0 r Y01 ~r Y00 dΩ = √ 0 3 1 Hierbei wurde für den Anfangszustand n = 2, ` = 1 speziell m = 0 betrachtet, die anderen Fälle ergeben sich analog. Das Integral für den Radialanteil ergibt Z ∞ R10 r R21 r2 dr I = Z0 ∞ r −5/2 −3/2 = 2 aB · e−r/aB · r · √ · aB · e−r/2aB r2 dr 24 0 Z ∞ 2 = √ · a−4 r4 e−3/2aB ·r dr B 0 Z 24 ∞ n! Integral vom Typ : xn e−ax dx = n+1 (n = 0, 1, 2, ..., a > 0) a 0 4! 2 ⇒ √ · a−4 · a5B = 1, 29 · aB B · 24 (3/2)5 Damit ergibt sich 1 2 q2 2 q2 pel = |hp~el i|2 = |I| = |1, 29 · aB |2 2 3 3 2 ⇒ p2el = 1, 6641 q 2 a2B 3 3 und ω4 2 · · p2 3 4π0 c3 el P Photoemissionsrate: 1/τ = (~ω) 4 4 ω 1 = · 1.6641 q 2 a2B 3 9 4π0 c ~ω 18 2 2 3 = 2.35 · 10 · q aB ω = 6, 3 · 108 1/s Lebensdauer: ⇒ τ = 1, 6 · 10−9 s Mittlere Leistung: P = Für die Berechnung wurden folgende Werte verwendet: Plancksche Konstante: ~ = 1.05 · 10−34 Js Vakuumlichtgeschwindigkeit: c = 3 · 10−8 m/s Dieletrizitätskonstante: = 8.85 · 10−12 As/Vm Übergangsfrequenz: ω = 15 · 1015 Hz Elementarladung : e = 1.60 · 10−19 C Bohrscher Radius : aB = 0.53 · 10−10 m Aufgabe 20 : Röntgenstrahlung a. Skizzieren und erklären Sie das energetische Spektrum der elektromagnetischen Strahlung, das durch die Kollision von auf einige 10 kV beschleunigten Elektronen mit Materie entsteht. Was sind Auger-Elektronen? (2 Punkte) Lösung: Elektronen ändern ihre Geschwindigkeit beim Durchlauf des Coulombfeldes der positiv geladenen Atomkerne. Nach den Gesetzen der klassischen Elektrodynamik sendet ein geladenes Teilchen elektromagnetische Strahlung aus, wenn es beschleunigt wird, was nach dem Korrespondenzprinzip auch quantenmechanisch der Fall ist. Allerdings gibt es für hochenergetische Lichtquanten keine eindeutige Strahlungsleistung pro Streuvorgang, sondern eine entsprechende Emissionswahrscheinlichkeit (Bremsstrahlung). Das typische Bremsspektrum ist kontinuierlich, die Elektronen durchlaufen keine quantisierten oder/und gebundenen Zustände. Um die abgestrahlte Energie verringert sich die kinetische Energie des Elektrons. Das Bremsspektrum hat eine minimale Wellenlänge λmin (Abschneidewellenlänge), das ist die gesamte kinetische Energie, die das einfallende Elektron in einem einzigen atomaren Bremsvorgang verlieren kann. 4 Die maximale Energie (minimale Wellenlänge) wird durch die kinetische Energie der Elektronen, z.B. durch die Spannung U der Röntgenröhre bestimmt. Ekin = eU = ~ωmax = hc , λmin λmin = hc 1 e UB In der rechten Skizze ist ein charakteristisches Röntgenspektrum abgebildet mit den am häufigsten vorkommenden K-Linien. Diese charakteristischen Linien entstehen durch Innerschalenanregung, d.h. ein Elektron aus den innersten Schalen wird in den nichtgebundenen Kontinuumszustand (Ionisation) herausgelöst. Das entstehende Loch in der inneren Schale kann durch ein Elektron aus der äußeren Schale aufgefüllt werden (siehe Skizze unten). Die charakteristische Strahlung für den Übergang ist: ~ωik = Ei − Ek Ein alternativer Prozess statt Emission eines Röntgenquants ist, dass die frei werdende Energie ein weiters Elektron aus einer höheren Schale herauslöst. Diese Elektronen heißen Auger-Elektronen. Ihre kinetische Energie ist Ekin = ~ωKα − EL = EK − EL − EL = EK − 2EL wenn EL und EK Bindungsenergien des Elektrons in der L- bzw. K-Schale sind. 5 b. Wie wirken sich diese Prozesse auf den Absorptionsquerschnitt für Lichtquanten in diesem Energiebereich aus? (3 Punkte) Lösung: Röntgenstrahlen werde beim Durchgang durch Materie absorbiert und gestreut. Gemessen wird der Schwächungskoeffizient µ für die Lichtintensität I(x) = I0 e−µx nach der durchquerten Dicke x. Es treten Absorptionskanten auf (Absorptionskoeffizient nimmt sprunghaft zu) , sie entsprechen Seriengrenzen der Serien K, L, M, ... ebenso wie die Unterschalen z.B. L1 , L2 , L3 . Damit Röntgenlicht vom Atom absorbiert wird, muss ein Elektron aus einer inneren Schale in einen weniger stark gebundenen Zustand gehoben werden. Dazu muss aber erst Platz in der benachbarten Schale sein, d.h. eine Ionisation muss vorrausgehen. Mit der Absorption ist meistens eine Ionisierung verbunden und Absorptionsspektren sind die überlagerten Seriengrenz-Kontinua der verschiedenen Schalen bzw. Unterschalen. Sprünge treten auf, wenn die Energie der Röntgenquants gerade reicht zum Absorptionsübergang aus einer neuen Schale in das Grenzkontinuum. 6