Plastische Chirurgie im Rahmen der chronischen Wundversorgung

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Plastische Chirurgie im Rahmen der chronischen
Wundversorgung
Michael Valentin Schintler
Klinische Abteilung für Plastische Chirurgie,
Fuß und Wundambulanz
Medizinische Universität Graz
Auenbruggerplatz 29
A-8036 Graz
[email protected]
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Die Behandlung chronischer Wunden ist heutzutage häufig ein Stiefkind des chirurgischen Faches. Dabei hat
sich die gesamte Chirurgie im Mittelalter als eigene Zunft entwickelt. Damals waren die Chirurgen nicht als
Mediziner anerkannt. Sie waren als Bader, Barbiere und Wundärzte tätig, galten für Mediziner als unpässlich.
Versorgung von Knochenbrüchen, Eiterentleerungen, Fremdkörperentfernungen, Zahnreissen oder -brechen,
Amputationen waren genauso an der Tagesordnung wie Haareschneiden und Baden. Wundärzte galten als
grobe Unmenschen, zumal sie ihre Tätigkeit an ihren Patienten oft unter unmenschlichen Schmerzen
durchführten und oft nur wenige überlebten. Die Art der Wunden die damals behandelt wurden, waren alle aus
akuten Wunden entstanden, Kriegsverletzungen und Unfallwunden, die unversorgt blieben, heilten entweder
spontan oder sie wurden chronisch, falls der Patient dies überlebte.
Wundarzt bei der Amputation , Holzschnitt aus Theophrastus Paracelsus, »Opus Chirurgicum, 1565
Die chronischen Wunden von heute entstehen auf dem Boden von längerer Lebenserwartung, Immobilität,
Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Hypertonie und arterieller oder venöser Durchblutungsstörung und
Malnutrition verschiedenster Genese. Deshalb ist eine Renaissance der Wundärzte erforderlich.
Ärzte verschiedenster Fachbereiche behandeln chronische Wunden, Allgemeinmediziner, Dermatologen,
Diabetologen Angiologen, Traumatologen, Allgemeinchirurgen, Gefäßchirurgen, Orthopäden und Plastische
Chirurgen.
Da chronische Wunden immer auch Defekte der Körperkontinuität darstellen, ist es nicht verwunderlich, dass
Patienten, wenn Wunden nicht heilen, erst als ultima ratio dem Plast-ischen Chirurgen vorgestellt werden. Erst
wenn alles versucht wurde, um eine Wunde zur Abheilung zu bringen, und dies erfolglos war, dann soll der
Plastische Chirurg als Wund- bzw Wunderheiler tätig werden. Oft benötigt man dazu kein Wunder sondern muß
nur allgemeine chirurgische Grundsätze beachten.
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Plastische Chirurgie und Diabetischer Fuß
Bakterielle Infektionen am Fuß können beim Diabetiker im klinischen Verlauf bis zum Verlust der Extremität
führen. Ausgehend meist von Bagatelltraumen oder von neuropathischen Plantarulzera kommt es zu
tiefreichenden Infektionen mit Knochen und Gelenksbeteiligung. Eine verzögerte Diagnostik durch
vorbestehende Neuropathie und dadurch resultierende Schmerzlosigkeit einerseits, eine allzu lange konservative
Therapie anderseits, begünstigen das Fortschreiten der Infektion. So werden die Patienten erst bei schweren, oft
Extremitäten bedrohenden Fußinfektionen vorstellig. Die klinischen Zeichen der Infektion und laborchemischen
Sepsiszeichen gehen mit dem oft gutem Allgemeinzustand der Patienten nicht konform.
Oft wird die akute Situation durch einen faulig-süßlichem Gangrängeruch unterstrichen.
Obwohl der betroffenen Fuß oft nur ein Ulcus mit putrider Sekretion, Schwellung, Rötung und Überwärmung
aufweist, so ist von einer tiefreichenden Infektion mit Einbruch in die praeformierten Fascienräume und
ausgeprägten Gewebsnekrosen zu rechnen. Um einen Extremitätenerhalt zu gewährleisten ist ein aggressives,
kompromissloses chirurgisches Vorgehen notwendig. Die breite Eröffnung der anatomischen Logen mit
radikaler Nekrektomie, offener Zehen oder Strahlamputationen, Eröffnung der plantaren und/oder dorsalen
Kompartments, Entfernen nekrotischer Sehnen, der Plantaraponeurose, die Resektion von infizierten und
sequestrierenden Knochenanteilen stellt die Basis für einen Extremitätenerhalt dar.
Eine begleitende
systemische Antibiotikatherapie ist erforderlich. Primäres Ziel ist die Infektion zu stoppen, dies ist nur durch
absolutes Auslöschen der Keimretention in nekrotischen Höhlen und präformierten Fascienräumen möglich. Erst
wenn sicher erischtlich ist ,dass keine weitere Retention vorliegt und keine zusätzlichen Nekrosen entstehen, also
meist 24-48 Std postoperativ kommt das VAC-system zum Einsatz. Es kommt zur Stabilisierung der
Wundverhältnisse durch Reduktion der Wundgröße und
–tiefe sowie zu einem raschen Rückgang des
Wundödems. Eine Konsoliderung der umgebenden Weichteile ermöglicht nach ca. einer Woche, nach Prüfen
einer möglichen Revaskularisation den Verschluß des Defektes. Dies abhängig von der Lokalsituation durch ein
Hauttransplantat, ein atypische Vorfußamputation, lokale oder Filetlappenplastik, manchmal auch gestielte
Lappenplastiken.
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Einleitung
Fußinfektionen stellen die Hauptursache von Spitalsaufnahmen bei Diabetikern dar. Meist sind diese
Fußinfektionen mit einem Malum perforans, der typischen Fußläsion des Diabetikers assoziiert. Obwohl die
Infektion nicht als Ursache der Ulzeration anzusehen ist, präsentiert sie doch einen ausschlaggebenden Faktor für
das Outcome dieser Patienten. Vernachlässigte oder inkorrekt behandelte Plantarulcera sind häufig der
Ausgangspunkt für schwere Hautweichteilinfektionen, die oft in Kombination mit peripherer arterieller
Verschlußkrankheit extremitätenbedrohend und letztendlich lebensbedrohliche Ereignisse darstellen und
schließlich in einer Majoramputation enden. Da diese Fußinfektionen einen signifikanten prädisponierenden
Faktor für eine Amputation der unteren Extremität präsentieren, obliegt es gleichermaßen den Patienten und
Ärzten eine aggressives Vorgehen bezüglich Prävention und Management von Fußinfektionen einzuschlagen.
Trotz zunehmender Patientenschulung und einsetzendem Bewusstsein um Fußpflege und adäquatem Schuhwerk
lässt sich ein Rückgang schwerer Fußinfektionen derzeit noch nicht bemerken.
Pathologie und Pathophysiologie
Nicht lokalisiserte Weichteilinfektionen treten in drei Gewebstiefen auf : Haut, Fascie und Muskulatur. Zwei
Prozesse begünstigen die Ausbreitung von Hautweichteilinfektionen . Erstens produzieren einige Bakterienarten,
wie Streptokokken, Clostridien und Pseudomonasspezies Exotoxine und Enzyme, die das Wirtsgewebe
schädigen und die Ausbreitung begünstigen. Die Produktion von Hämolysin, Fibrinolysin und Hyaluronidase
bewirkt einen lokalen Abbau von Erythrozyten, Fibrin und interstiteiellem Gewebe und vereitelt damit die
Möglichkeiten des Wirtsorganismus, den infektiösen Prozess in Grenzen zu halten. Zweitens führen extensive
entzündliche Prozesse durch die Schwellung und eine septische Vaskulitis zur thrombotischen Unterbrechung
der Blutversorgung und damit zum Zelltod. Nekrosen in der Folge schaffen excellente Bedingungen für eine
anaerobe bakterielle Proliferation, außerdem ebenfalls eine Beeinträchtigung des Abwehrsystems, mit diesen
Mikroorganismen fertig zu werden.
Klinische Manifestation diabetischer Fußinfektion: Klassifikation
Der Ausgangspunkt von Infektionen folgt typischerweise einer sogenannten Bagatellverletzung des diabetischerneuropathischen Fuß oder einem vernachlässigtem bzw. lange bestehendem Malum perforans. Die Hautläsion
ermöglicht Keimen den Zugang, die bei eingeschränkter Abwehrlage des Diabetikers ungehindert gedeihen
können. Gerade bei Patienten mit vaskulärer Insuffizienz kann sich die Infektion rapide ausbreiten und
schließlich in einen medizinischen Notfall verwandeln. Leider bleibt der Notfallcharakter des Problemes dem
neuropathischen Patienten oft verborgen, bis es zu spät ist, den Fuß ohne zumindest erforderliche Teilamputation
zu retten. Auch die Unterschätzung der Schwere der Infektion und einer begleitenden Ischämie von Seiten der
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behandelnden Ärzte kann eine signifikante Quelle der Morbidität bei diesen Patienten darstellen, bei denen jede
Verzögerung der Einweisung zu immer proximaler notwendigen Amputationen führen kann. Da systemische
Zeichen einer Infektion häufig fehlen, oder sehr spät auftreten können, müssen alle Infektionen aggressiv
behandelt werden, um einen Ausdehnung nach proximal, Gangrän und Sepsis verhindern zu können.
Die Klassifikation von Fußläsionen bezüglich Schwere, Ausdehnung und Tiefe, klinischer Charakteristik,
anatomischer Lokalisation oder Ätiologie kann die Behandlung erleichtern und lenken. Karchmer und Gibbons
schlagen eine Einteilung der Fußinfektionen in limb-threatening and non limb-threatening Infektionen vor.
Nicht beinbedrohende Infektionen sind typischerweise oberflächlich, von einem Ulcus begleitet, mit weniger als
2 cm umgebender Cellulitis bzw Begleitentzündung. Diese Patienten zeigen gewöhnlich keinerlei Zeichen einer
systemischen Toxizität und können deshalb gut ambulant behandelt werden. Wenn ein Ulcus vorliegt, sollte die
Probe-to bone testung negativ sein.
Im Gegensatz dazu erfodern extremitätenbdrohende Infektionen immer eine sofortige Hospitalisierung,
insbesondere in Hinsicht auf die Ausdehnung, dem begleitendem Fieber, der bestehenden Leukozytose und
Hyperglykämie. Wobei Fieber nicht unbedingt als verlässlicher Faktor für die Schwere einer Infektion zu werten
ist, da es in nur etwa 35 % bei diesen Fällen auftritt. Die begleitende Entzündungsreaktion betrifft mehr als 2 cm
der Umgebung. Lymphangitis, Ödem und eine Bakteriämie liegen meist vor. Vorbestehende Ulzera lassen eine
Sondierung tief bis zum Knochen oder in Gelenksräume oder in tiefe Fascienräume zu. Tiefe Abszesse,
Gangrän und nekrotisiernde Infektionen sind ebenfalls in diese Gruppe einzuordnen.
Chirurgisches Management
Ein chirurgisches Vorgehen bei diesen beinbedrohenden Infektionen ist als vital anzusehen. Durch eine initiale
Hautincision am verdächtigen Bezirk lässt sich die Verdachtsdiagnose tiefe Infektion bestätigen, der Level der
Weichteilinfektion bestimmen und die Präsenz von Gewebsnekrosen
bestärken. Die initiale Incision muß
sodann großzügig erweitert werden, es folgt eine kompletter Drainage und Debridement von nekrotischem
Gewebe durch breiter Spaltung aller betroffenen Abszess und Nekrosehöhlen und Gewinn einer tiefen aeroben
und anaeroben Bakterienkultur. Bedenken bezüglich einer späteren plastisch –chirurgischen Rekonstruktion
müssen primär außer Acht gelassen werden. Explorative Incisionen müssen beim geringsten Zweifel bezüglich
der Ausdehnung des Prozesses erfolgen. Der Chirurg ist immer mit dem Dilemma konfrontiert, den Patienten zu
verstümmeln zu müssen, versus zu versagen und nicht genügend infiziertes und nekrotische Gewebsmaterial zu
entfernen. Man sollte immer den Weg einschlagen eher zu viel zu entfernen, als zu versagen, indem man nicht
alles betroffene Gewebe erkennt, da dies letztendlich zum Tod, Extremitätenverlust oder weiteren ablativen
Eingriffen führen kann. Die Präparation muß also solange durchgeführt werden, bis sicher vitales Gewebe
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erkennbar wird. Infizierte Fascienanteil verlieren ihren normalen Glanz, Sonden durchdringen ohne Widerstand
die Schichten,wenn eine Fasciitis vorliegt. Avitale Muskulatur blutet oder kontrahiert sich nicht mehr, ist
mißfärbig und kann einen fauligen Geruch zeigen. Vitale Haut, welche avitale Fascie oder Muskulatur überdeckt
kann manchmal erhalten werden, um später als Lappen die entstandene Defekte zu verschließen, und die
Regionen erforderlicher Hautransplantate zu reduzieren. Wenn die Ausdehnung so massiv ist, dass das unter der
Haut gelegene Gewebe avital erscheint bzw. Teile oder der gesamte Fuß nekrotisch ist und oder bei Vorliegen
einer Sepsis ist eine offene, sogenannte Guillotineamputation von einzelnen oder mehreren Strahlen des Fußes
oder des gesamten Beines die Therapie der Wahl. Mit allen Mitteln sollte darauf geachtet werden, soviel
Strukturen des Fußes als möglich zu bewahren, um zumindest einen funktionell gewichttragenden Fußstumpf zu
erhalten, wenn die Infektion beherrscht wird. Dessenungeachtet können multiple Debridements notwendig sein,
um eine adaequate Drainage und Kontrolle der Infektion zu erzielen. In vielen Fällen ist ein Beinerhalt abhängig
von einer möglichen Revaskularisation eines ischämischen Fußes, aber muß der Beherrschung bzw. Kontrolle
einer Sepsis vor allen Versuchen einer möglichen Revaskularisation als Priorität gestellt werden.
Eine
systemische, anfänglich breite Antibiotikatherapie bis zum Ergebnis der Kulturen, danach spezifische Therapie
ist erforderlich. Wichtig ist zu betonen, dass eine alleinige Antibiotikatherapie für diese schweren
Fußinfektionen als absolut unzureichend einzustufen ist und wohl nur in den seltensten Fällen zum Erfolg führen
kann. Auch die Tatsache, dass eine Fußphlegmone einen absoluten chirurgischen Notfall darstellt muß betont
werden, da häufig noch mit einer systemischen Antibiotikatherapie begonnen wird, und erst bei Fehlschlag oder
Progredienz der Chirurg zugezogen wird, oder auch dieser erst jetzt an eine Operation denkt. Hier sei noch mal
die meist völlige Unterschätzung des Ausmaßes der Infektion und des versteckten Gewebeschadens zu betonen.
Methodik : VAC-Therapie bei diabetischen Fußinfektionen
Wir konnten 78 Patienten in einer retrospektiven Untersuchung mit schweren, extremitätenbedrohenden
diabetischen Fußinfektionen einbeziehen. Alle Patienten litten an tiefgreifenden Fußinfektionen, welche generell
eindeutige klinische Zeichen und laborchemische Auswirkungen hatten. Ausgangspunkt der Infektion war 53
mal ein Malum perforans, 7 mal ein Druckulcus an den Zehen oder Interdigitalphlegmone, 5 mal ein Fersenulcus
und 13 mal ein Gangrän bei PAVK. Alle Patienten wurden akut operiert, bei allen war ein chirurgisches
Debridement erforderlich. 9 mal beschränkte sich die Operation auf eine reine Nekrektomie von Haut, Subcutis
Sehnen, 37 mal erfolgte eine Strahlresektion, 18 mal eine offene Vorfußamputation, drei mal eine partielle
Nekrektomie. Bei 52 Patienten konnten wir 24.-48 Stunden danach ein VAC anlegen, 26 mal erfolgte dies
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direkt nach Nekrektomie. Bei 17 Patienten wurde nach der akuten Operation zur Infektbeherrschung eine PAVK
diagnostiziert und eine Revaskularisation notwendig. Wir verwendeten den schwarzen Polyurethanschwamm,
die Standardunterdruck wurde auf 125 mm Hg eingestellt. In Fällen mit klinisch diagnostizierter PAVK erfolgte
eine Einstellung auf 75-100 mm Hg, bei Patienten mit angiographisch verifizierter PAVK wurde der Sog danach
auf 75 mm Hg reduziert. Der VAC-wechsel erfolgte 2-3 tägig am Krankenbett, bei 16 Patienten waren nach der
primär offenen Amputation weitere Nekrektomien in Narkose erforderlich, bevor das VAC- angelegt werden
konnte. Nach einer Woche, bei sichtlichem Rückgang der Schwellung und Entzündungszeichen und Abnahme
der Fördermenge wurde auf intermittierenden Modus umgstellt. Die Dauer der VAC-behandlung betrug im
Schnitt 10,3 Tage (7-22d).
Das neu eingeführte VAC-instill® ermöglicht ein 3-Stufenprogramm. Vakuumtherapie - Instillation –
Einwirkzeit kommen zyklusartig zur Anwendung. Abwechselnde Zyklen von Instillation eines Antiseptikums, Polyhexanid (Lavasept®/Lavasorb®) einer Einwirkzeit von 20 min mit nachfolgender Vakuumtherapie über
etwa eine Stunde stellen eine neue vielversprechende Therapieform dar.
Der definitive Wundverschluß erfolgt je nach Allgemeinzustand und Wundsituation, aber prinzipiell nach
erfolgter oder zumindest versuchter Revaskularisation durch PTA +/- Stent oder gefäßchirurgischen
Bypassverfahren. In vielen Fällen gelingt dies durch eine einfache Spalthauttransplantation, bei freiliegendem
Knochen oder Gelenken durch lokale Lappenplastiken, manchmal unter Opferung einer Nachbarzehe, deren
durchbluteter Haut-Weichteilmantel dem Defektverschluß dient (Filetlappenplastik). Für eine stabilen
Wundverschluß muß häufig eine weiter proximal gelegenen Amputationshöhe in Kaugf genommen werden.
Defektdeckung an der Fußsohle
Neuropathische Fußdeformitäten infolge von Diabetes mellitus, Alkoholmißbrauch oder auch genetischer
Defekte führen zu schlecht heilenden Geschwüren an der Fußsohle mit tiefreichenden Infektionen bis hin zur
Osteomyelitis
mit
Entlastungsapparate,
drohendem
Vollkontaktgipse
Extremitätenverlust.
und
orthopädisches
Konservative
Schuhwerk
Therapie-maßnahmen,
können
nur
bei
wie
fehlender
Knocheninfektion zum Erfolg führen. Bei Vorliegen einer Osteitis bzw. Osteomyelitis ist meist eine chirurgische
Intervention erforderlich, da systemische Antibiotika den nicht oder schlecht durchbluteten Knochen nicht
erreichen können. Eine Sequestrektomie bedarf aber einer suffizienten Weichteildeckung, um die Eintrittsstelle,
das neuropathische Ulcus zu verschließen und die Infektion auszuheilen. Die Rekonstruktion der Fußsohle stellt
besondere Anforderungen an die Plastische Chirurgie. Die anatomische Bauweise der Fußsohle mit der
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besonders dicken Haut, den unterkammerten Septen und den eingelagerten Fettpölstern ist in keiner Weise ideal
zu ersetzen. Hautransplantate sind instabil, können in der Belastungszone das Körpergewicht nicht aushalten,
außerdem ist der freiliegende Knochen als Wundgrund nicht geeignet. Ein freier Gewebetransfer bringt zwar
eine Luxusperfusion über den freiliegenden Knochen, ist anderseits wegen der übermäßigen Gewebsdicke
ebenfalls oft ungeeignet. Fasciocutane Lappen mit normalem Fettgewebe sind den Belastungen an der Fußsohle
(Abshiften von Haut und Subcutis, Scherbelastung) ebenfalls nicht gewachsen. Am ehesten kann ein freier
Muskellappen mit Spalthaut die Sohlenhaut ersetzen. Die Operation erfordert mikrochirurgische Technik und ist
sehr zeitaufwendig. Eine in der Traumatologie eingesetzte Lappenplastik, stellt der proximal gestielte planta
instep flap dar. Er wird aus dem nicht gewichtstragenden Anteil der Fußsohle gehoben, wird an der A. plantaris
medialis gestielt gehoben und kann Defekte an der Ferse und an der lateralen Fußwurzel erreichen. Der
Hebedefekt muß mit einem Hautransplantat gedeckt werden. Eine intraneurale Dissektion des N.plantaris
medialis ermöglicht eine sensible Funktion. Bei neuropathischen Fußdeformitäten mit Verlust des medialen
Gewölbes einerseits, begleitenden Gefäßkrankheiten anderseits sollte die Indikation kritisch gestellt werden. Bei
exakter Planung und Einbeziehung der pathologisch-anatomischen Fußdeformität stellt dieser Lappen trotzdem
eine ausgezeichnete Option dar, chronische neuropathische Ulzera zu verschließen.
Ulcus cruris – Plastisch–chirurgische Aspekte und VAC-therapie
Die Behandlung des Ulcus cruris stellt trotz aller medizinischen Fortschritte und modernem Wundmanagement
eine chirurgische Herausforderung dar. Einerseits bedeutet ein „offenes Bein" für den Patienten eine deutliche
Einschränkung
der
Lebensqualität,
anderseits
verursacht
die
insuffiziente
Behandlung
enorme
sozialmedizinische Kosten. Vor jeder lokalen Therapie sollte die Therapie der Grundkrankheit stehen. Ein
plastisch- chirurgischer Eingriff ohne vorheriges Prüfen der Ursächlichkeit des Ulcus, ist oft zum Scheitern
verurteilt. Aus diesem Grund ist Interdisziplinarität gefordert. Erst wenn eine arterielle Komponente und/ oder
eine Perforansinsuffizienz ausgeschlossen oder behandelt wurde, und die konservativen Maßnahmen gescheitert
sind, ist die Indikation für eine plastisch-chirurgische Deckung gegeben. Anderseits gibt es aber auch
tiefreichende Ulzera mit freiliegenden Sehnen und Knochen, wo in jedem Falle die chirurgische Therapie
erforderlich ist.
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Abhängig vom Lokalbefund, von der Ausdehnung und der Wundtiefe kommen ein- oder zweizeitige
Therapiekonzepte zum Einsatz. Prinzipiell sollte mit dem geringst belastenden, kleinsten Eingriff begonnen
werden. Das Chirurgische Debridement ist für eine erfolgreiche Behandlung essentiell. Als Vorbereitung kann
dieses Debridement etappenweise in Kombination mit feuchten Wundauflagen ambulant erfolgen. Wenn der
Lokalbefund es nicht zulässt (Nekrosen, infizierte Beläge, freiliegende Sehnen) ist das Chirurgische
Debridement zusammen mit einer notwendigen Fasciotomie und Fasciektomie stationär in Narkose
durchzuführen. In der Zeit bis zur definitiven Spalthautdeckung hat sich das V.A.C.-(Vacuum -assisted-closure)
system bewährt. Ein Polyurethanschwamm, der auf die Wunde aufgebracht und mit Folie luftdicht abgeklebt
wird und ein Verbindungsschlauch, der über einen Saugmotor einen definierten, kontrollierten Sog appliziert,
ermöglichen in kurzer Zeit eine Wundkonditionierung. Durch den Abtransport der interstitiellen Flüssigkeit
kommt es zur Abschwellung, Zunahme der Perfusion durch Erweiterung der Kapillaren, zur Förderung der
Granulation und Wundkontraktion.
Das VAC- System wird 2-4 tägig gewechselt, nach meist einer Woche ist die Wunde für eine
Spalthauttransplantation geeignet. Das VAC-system hat sich auch zur Fixation von großflächigen
Spalthauttransplantaten beim Ulcus cruris bewährt Dieser Eingriff ist meist kurz dauernd und die Take -up rate
80-I00 %. Ein Spalthautverlust bei Auftreten eines Infektes oder fehlender Möglichkeit einer vorangehenden
Revaskularisation ist allerdings nicht auszuschließen. In den meisten Fällen können diese Ulzera gänzlich oder
fast vollständig zur Abheilung gebracht werden. Vorraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist das
interdisziplinäre Vorgehen und die Nachbehandlung.
Dekubituschirurgie
Einleitung:
Dekubitale Ulzera sind häufige Komplikationen beim querschnittgelähmten und bettlägrigen, oft geriatrischen
Patienten. Aber auch nicht chronisch Kranke können auf grund einer akuten neurologischen Problematik, einer
mittelfristigen Bewusstseinsstörung oder sogar im Zuge einer längerdauernden Operation in Narkose eine
Druckschädigung der Gewebe widerfahren. Das Hauptaugenmerk dieser Erkrankung liegt natürlich in der
Prophylaxe. Beim bewusstlosen, schwerkranken sowie beim bewegungsunfähigen und narkotisierten Patienten
liegt diese Verantwortlichkeit natürlich in den Händen der behandelnden Ärzte und des Pflegepersonals. Ein
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großer Anteil betrifft den querschnittgelähmten Patienten der auf grund der Bewegungsunfähigkeit,
Gefühllosigkeit und meist inadäquaten Lagerungs bzw.Sitzhilfe lebenslang mit dem Problem des Wundliegens
oder –sitzens konfrontiert ist. Ein einmal entstandenes Druckgeschwür stellt allemal eine Problemwunde dar.
Einerseits ist es klar, dass eine Wunde unter der nicht immer vermeidbaren vollständigen Druckentlastung kaum
abheilen kann, anderseits kommt es bei fehlender Schutzfunktion des Integuments zu bakteriellen Infektionen.
Auf grund der topographischen Nähe zu den Ausscheidungsorganen wird die Situation durch Kontamination mit
Stuhl und Harn noch verschlimmert.
Eine meist kleine Druckstelle wird damit oft zwangsläufig zu einem großen Problem. Trotz modernster
Wundauflagen unter dem Regime der feuchten Wundbehandlung und dem Fortschritt der mobilen
Hauskrankenpflege: „Hat der Dekubitusteufel einmal sein Opfer erfasst, so lässt er es nicht mehr so schnell
wieder los.“ Der Verlust von Körpergewebe, Haut, Fettgewebe, Sehnen und Knochen, der Einbruch in große
Gelenke bedeutet für den Patienten nicht nur Verlust von Körperanteilen, was einer Amputation gleichkommt,
sondern auch Scham, häufig Schmerzen, weiterer Verlust der Lebensqualität, soziale Desintegration. Man
bedenke was wohl eine jauchig zerfallende, übelriechende faustgroße Wundhöhle für Lebensgefährten, Familie
und Freundschaft bedeutet. Dazu kommt noch der enorme Zeitaufwand für ambulante oder stationäre
Behandlung, sowie die zusätzliche finanzielle Belastung.
Aus der Sicht der behandelnden Ärzte stellt sich das Problem :
Kann man einen Dekubitus ambulant
behandeln ? Ist eine aufwendige Wundbehandlung ohne die dringend erforderlichen Lagerungsmaßnahmen und
die pflegerische Komponente überhaupt sinnvoll ? Ist eine konservatives Regime zielbringend ? Ist eine
Operation angezeigt ? Ist der Patient überhaupt für einen belastenden Eingriff geeignet ? Wird die Operation von
Erfolg gekrönt sein ? Ist das postoperative Management gesichert ? Kann ich ein Krankenhausbett wochen- oder
monatelang belegen ? Wie ist der Ernährungszustand des Patienten ? Wie ist die Compliance des Patienten ? Wie
ist seine Lebenserwartung ? Kann ich dem ohnehin schon überlasteten Pflegepersonal mehrere so aufwendige
Patienten zumuten ?
Chirurgische Therapie:
Wenn man die Indikation für eine chirurgische Maßnahme getroffen hat, und diese sollte einerseits allgemeine
Faktoren wie Grunderkrankung, Alter, Ernährungszustand, Begleiterkrankungen, Lebenserwartung als auch
lokale Faktoren : Wundtiefe, -lokalisation, Infektion, Knochen und Gelenksbeteiligung berücksichtigen, dann
muß man auch daran denken, wie erreiche ich mit geringstem operativem Aufwand (Verwendung benachbartere
Gewebeanteile und Muskulatur) den benötigten Erfolg. Welche Reserven habe ich bei Scheitern meiner
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Operation ? Und habe ich die Möglichkeit mein vollbrachtes Werk postoperativ gegen alle drohenden Gefahren
zu schützen?
Angefangen bei der aufwendigen Lagerung, der praeoperativen Planung, und dem Verständnis der operativen
Grundprinzipien der Dekubitusbehandlung, wie radikales Debridement inklusive Knochen, penible Blustillung,.
Totraumauffüllung
mit
lokalen
fasciocutanen
oder
Muskellappen,
großzügige
Wunddrainage
und
spannungsfreier Wundverschluß ist zu achten. Auch das Ausmaß des Operationstraumas, das heißt die Größe
des Eingriffes soll erkennbar werden. Um ein relativ kleines Dekubitalulcus zu verschließen müssen oft
großflächige Gewebeverschiebungen bzw. Lappenplastiken durchgeführt werden. Das erkennbare Risiko einer
postoperativen Wundheilungsstörung bei belassenem kleinen Totraum oder frühzeitigem Entfernen der
Wunddrainagen oder oft nichtvermeidbarer Kontamination der frischen Op-wunde mit Stuhl und Harn soll
allgegenwärtig sein.
Die Take-Home-Message für die chirurgische Decubitsubehandlung,
1. Strenge Indikationsstellung zur Dekubituschirurgie
2. Nicht jeden Dekubituspatienten mit Wundstadien III und IV operieren: Das Primum nihil nocere von
Hippokrates : vor allem keinen Schaden anzurichten soll allgegenwärtig sein.
3. Das Bonum facere: Das Prinzip, Gutes zu tun könnte man auch als ärztliche Sorgfaltspflicht umschreiben. Die
Schwierigkeit bei diesem Grundsatz ist, wer denn entscheidet was gut ist oder nicht? Sind es die Patienten, die
Hausärzte, die eine Operation wünschen, sind es die Angehörigen, die erreichen wollen-(oder auch nicht), daß
der Dekubituspatient wieder nach Hause kommt?
Chirurgische Therapie beim Sitzbeindekubitus
Einleitung: Der Sitzbeindekubitus betrifft in erster Linie rollstuhlpflichtige, paraplegische Patienten und hat
eine Rezidivrate von 75–77%. In sitzender Position kommt es zu einer maximalen Druckbelastung der
Weichteile über dem Tuber ischiadicum von 60–100 mm Hg. Die inadäquate Druckbelastung, vertikale
Scherkräfte und die Folgen der Denervation führen zur Ischämie mit anschließender Nekrose der betroffenen
Gewebe. Die verminderte lokale Resistenz gegen Keime und die Nähe zur Anogenitalregion begünstigen das
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Auftreten von Wundinfektionen. Die Wahl der Defektdeckung beim Dekubitus richtet sich nach der Größe, Lage
und Tiefe des Defektes sowie der Beschaffenheit des umgebenden Gewebes.
Material und Methode: Am Anfang jeder chirurgischen Therapie der Decubitalulcera steht das radikale
Debridement. Dieses beinhaltet die kompromisslose Nekrektomie der Weichteile, die Entfernung der
entstandenen Pseudobursa sowie die Abtragung von Knochenvorsprüngen und osteomyelitisch veränderten
Knochenanteilen. Das operative Vorgehen erfolgt meist zweizeitig. Vor dem endgültigen Defektverschluss ist
eine maximale Reduktion der Keimbelastung anzustreben, weshalb die Wunde mit antimikrobiellen Lösungen
behandelt oder mit Hilfe der vacuum assistierten Wundbehandlung konditioniert wird. Der Posterior thigh flap
ist ein lokaler fasciocutaner advancement flap, dessen Basis medial oder lateral der Oberschenkelrückseite zu
liegen kommt. Das Lappendesign richtet sich nach der Defektgröße und die Schnittführung reicht nahezu bis in
die Kniekehle. Der craniale Anteil des Lappens wird desepithelialisiert und in die Tiefe versenkt um die
Wundhöhle auszufüllen. Das Einnähen des Lappens muss spannungsfrei erfolgen, die Hebestelle kann in den
meisten Fällen direkt verschlossen werden.
Ergebnis: Mit dem Posterior thigh flap wird belastungsfähiges Gewebe mit adäquater Durchblutung in den
Defekt eingebracht ohne postoperative funktionelle Einbussen. Limitierende Faktoren sind der Verschluss der
Hebestelle und der Ausschluss sekundärer lokaler Lappenplastiken als Folge der Durchtrennung von
Perforatoren.
Schlussfolgerung: Unter Berücksichtigung der chirurgischen Richtlinien der Dekubituschirurgie stellt der
Posterior thigh flap eine bewährte und einfach durchzuführende
Methode der Defektdeckung des Sitzbeindekubitus dar.
Abb. 1-3 Wunddebridement radikal
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Abb. 4-5 Knochendbridement und Desepithelisiserung der Lappenspitze
Abb. 6-7 Posterior Thigh Flap beim Sitzbeindekubitus
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