Das Interview als journalistische Stilform – Ein (fiktives) Interview mit

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Interview als Textsorte; Grundmerkmale; 5i; SJ 2012/13
Das Interview als journalistische Stilform – Ein (fiktives) Interview mit
Odysseus
Journalistisches Schreiben – das Interview
1. Definition / Begriff
Das Interview (aus dem lat./engl.; wörtl.: „dazwischen schauen“) ist eine klassische journalistische
Form. Hauptmerkmal ist die Strukturierung nach Frage und Antwort. Manchmal ist dem eigentlichen
Interviewteil ein kurzer Einleitungsteil vorangestellt.
2. Grundformen
Das sachgebundene / themenzentrierte Interview
 Im Mittelpunkt steht ein sachliches Thema oder eine sachliche Fragestellung; nicht die befragte
Person, sondern ihr (Experten)-Wissen ist gefragt
 Beispiel: ein Wirtschaftswissenschaftler nimmt in einem Interview über Chancen und Risiken der
Euro-Krise Stellung; ein Trainer / Sportler wird über ein Fußballspiel interviewt; ein
Feuerwehrinspektor wird in einer Interview über Brandverhütung befragt
Das Meinungsinterview
 Eine Person (Experte oder Laie) wird über ihre persönliche Sichtweise befragt. Mit ihren
Aussagen zu einem Thema gibt die befragte Person Sachinformation weiter, charakterisiert sich
darüber hinaus aber auch selbst
 Beispiel: eine Sozialpolitikerin wird zu ihrer Meinung über Kindergeld und Pensionsreform befragt;
eine Augenzeugin / Betroffene wird über einen Brand befragt; ein Skifahrer erklärt, warum er aus
seiner Sicht nicht / schon aufs Stockerl gefahren ist und wie er das Rennen erlebt hat
Das personenzentrierte Interview
 Im Mittelpunkt des Interesses steht eine Person mit ihrem Charakter, ihrer Meinung, ihrer
Geschichte, ihren Zukunftsplänen, … (Wichtig ist hier, der befragten Person mit offenen Fragen
viel Raum zur Selbstdarstellung zu lassen; Ergänzungsfragen statt Entscheidungsfragen stellen)
 Beispiel: Zeitzeugen-Interviews, Prominenten-Interviews, …
Eine andere wichtige Unterscheidung ist die zwischen einem Life-Interview (Fernsehen, Radio) und
einem überarbeiteten Interview (Printmedien, aber auch Fernsehen, Radio). Ersteres stellt an
Interviewer und interviewte Person besonders hohe Anforderungen!
3. Vorbereitung auf ein Interview (aus der Perspektive des Journalisten)
Ein gutes Interview verlangt eine genaue Vorbereitung. Dazu zählen beispielsweise
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Information über das Thema, zu dem das Interview geführt wird, oder über die interviewte Person
(Voraussetzung für entsprechendes Fragen und Nachfragen!)
Erstellen eines Fragenkatalogs
Strukturierung des Interviews in unterschiedliche Interviewteile; Ordnung der Fragen nach
Themenbereichen
Klären der Rahmenbedingungen (z. B. Autorisierung, …)
Klären der Zielsetzungen für das Interview (Welche Informationen muss / möchte ich unbedingt
erhalten? Auf welche Fragen möchte ich unbedingt eine Antwort? …)
Überlegen einer Einleitung / eines zur Situation und zur interviewten Person passenden Einstiegs
(Natascha Kampusch muss anders interviewt werden als ein Politprofi)
4. Durchführung des Interviews
Ein guter Interviewer / eine gute Interviewerin „holt“ aus der Gesprächssituation ein Optimum „heraus“
und erreicht die eigene Zielsetzung.
Interview als Textsorte; Grundmerkmale; 5i; SJ 2012/13
Allgemeine Richtlinien für die Durchführung …
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Das Interview soll zielorientiert geführt werden und (im Normalfall) weder in ein Verhör ausarten
noch reine Plauderei sein
Die interviewte Person und das, was sie sagt, sollte im Mittelpunkt stehen
Die Meinung des Journalisten ist keinesfalls Thema in einem Interview. Allenfalls kann die
Meinung dritter zitiert werden (Beispiel: Frau Gesundheitsminister, die Ärzte sehen die
Gesundheitsversorgung in Gefahr und wollen im November streiken. Was sagen Sie Ihren
Kritikern?)
Offene Fragen // Ergänzungsfragen (W-Fragen wie Warum? Wie? Wofür? …) lassen der
interviewten Person mehr Raum als Entscheidungsfragen, die nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet
werden können.
Eine weitere Frageform sind Plateau-Fragen (Balkonfragen). Das sind Fragen, in denen der Frage
ein Sachverhalt vorangestellt wird. Dadurch wird der Spielraum für die Beantwortung der Frage
eingeschränkt. (Beispiel: Herr Bundeskanzler, die Opposition fordert ein Bleiberecht für gut
integrierte Asylwerber. Warum geben Sie hier nicht nach?)
Der vorbereitete Fragenkatalog sollte der Orientierung dienen. Er sollte aber nicht sklavisch
abgearbeitet werden, weil sonst keine Gesprächssituation entsteht.
Wenn wichtige Fragen unbefriedigend / unvollständig beantwortet werden, sollte nachgefragt
werden können. Nachhaken sollte ein Interviewer auch, wenn er eine konkretere Auskunft
möchte. Dazu eignen sich kurze Fragen (Warum? Wieviel genau? Wer ist von der Reform X
betroffen). Hier können aber auch Entscheidungsfragen (Werden Sie nach der Wahl die
Mehrwertsteuer erhöhen?) hilfreich sein.
Wichtig ist auch die Sicherung des Interviews (heute üblicherweise mittels Mikrophon und nicht mittels
stenographischer Mitschrift)
5. Überarbeitung eines Interviews
Ein Interview wird vor der Veröffentlichung üblicherweise bearbeitet. Dazu zählen beispielsweise
Kürzungen, Zusammenfassungen, sprachliche Veränderungen (Transferierung von der mündlichen in
die geschriebene Sprache  Anpassung in Satzbau, Wortwahl, …), Veränderungen in der
Chronologie u.a.m.
Üblicherweise wird ein „heikles“ Interview, bevor es in einer Zeitung erscheint, vom Gesprächspartner
nochmals durchgelesen und autorisiert. Das ist allerdings nicht zwingend und z. B. in der politischen
Berichterstattung auch nicht unbedingt üblich.
6. Ein kleiner Ausflug in die Geschichte
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Die ersten Interviews entstanden nicht im politischen Journalismus, sondern im Rahmen von
„human interest storys“, beispielsweise für Gerichtsreportagen. Erfinder des Interviews als
journalistischer Darstellungsform ist ein Reporter der New Yorker Zeitung „Herold Tribune“, der ab
dem Jahr 1835 Polizeigeschichten durch Interviewpassagen (mit Zeugen, Polizisten, Opfern, …)
aufpeppt.
Im deutschen Sprachraum sind kritische Journalistenfragen an Politiker, Experten, … bis nach
dem Zweiten Weltkrieg nicht üblich. Eher waren Journalisten bestrebt, in Form von Kommentaren
oder Leitartikeln ihre eigene Meinung zu publizieren.
Während des Nationalsozialismus entstanden zwar – im Rahmen der allgemeinen
Instrumentalisierung der Medien für parteipolitische Zwecke – Interviews mit NS-Größen und
Funktionären. Diese Interviews dienten aber ausschließlich der Idealisierung der NS-Politik und
ihrer Repräsentanten.
Nach dem Nationalsozialismus – auch unter Einfluss der Besatzungsmächte, die versuchten, „die
Deutschen“ mittels Medien zu Demokraten zu erziehen – wurde das Interview zu einer etablierten
Stilform
Zugehörige Unterlagen
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