Religion ist die Mutter der Kultur

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Religion als Mutter der Kultur
Heute wird allgemein betont, Religion sei Privatsache, sei
Angelegenheit jedes Einzelnen, höchstens noch der Familie, in die
sich die Öffentlichkeit, vor allem der Staat, nicht einmischen darf.
Unbewusst wird daher auch gefordert, dass religiöse
Überzeugungen der Einzelnen in der Gesellschaft möglichst keine
gesellschaftliche Rolle spielen dürfen. Vor allem wird gefordert,
religiös Glaubende dürften keinen Druck auf Andere ausüben, sie
nicht direkt oder indirekt beeinflussen wollen. Jeder müsse völlig
frei sein, seine Glauben zu leben oder eben keinen Glauben zu
bekennen. Religion und Staat seien so weit wie möglich zu
trennen. Der Anhänger eines religiösen Glaubens dürfe nicht den
Anspruch erheben, dass sein Glaube Einfluss ausübt auf die
Gesellschaft. Ich halte dies für einen schwerwiegenden Irrtum, der
auf lange Sicht für Kultur und Zivilisation sehr schädlich ist. Ich
möchte dies erklären und begründen.
Religiöser Glaube ist tatsächlich eine sehr persönliche Sache. Vor
allem der moderne Mensch muss religiöse Überzeugungen ganz
persönlich und möglichst bewusst annehmen. Er darf von
niemandem dazu rechtlich oder moralisch gezwungen oder
überlistet werden, nicht vom Staat, von religiösen Autoritäten und
auch nicht einmal von seinen Eltern. Die Freiheit, die eigene
weltanschauliche oder religiöse Wahl zu treffen, ist ein
grundlegendes Menschenrecht,
Leider ist die Menschheit erst nach schweren geistigen
Auseinandersetzungen zu dieser Überzeugung gelangt. Leider
haben auch die christlichen Kirchen durch Jahrhunderte das
Evangelium missverstanden und die Menschenrechte nicht
erkannt und anerkannt, haben den religiösen Glauben mit
geistigen Manipulationen und äußerer Gewalt vorangetrieben. Die
Aufklärung hat den Kirchen gut getan, da sie sie in ihre Schranken
verwiesen und tatsächlich dem Evangelium zu seinem Recht
verholfen hat.
Freilich scheint mir, dass die westliche Welt dann in den
gegenüberliegenden Graben gefallen ist und den religiösen
Glauben der Menschen mehr oder weniger bewusst für eine
Privatsache hält.
Ein Blick in die Geschichte der Kulturen lehrt jedoch das Gegenteil.
Liegt es nicht auf der Hand, dass die Kultur Chinas auf den Lehren
des Konfuzius ruht, die buddhistische Kultur auf dem Weg Buddhas,
die Weisheit Indiens auf den Lehren hinduistischer Weiser, die Kultur
Arabiens auf dem Islam und schließlich die europäische Kultur auf
dem Christentum? Hinter den Kulturen stehen transzendent
begründete Überzeugungen und Lehren, eben Religionen. Diese
haben Kulturen und Zivilisationen entstehen lassen, ohne die die
Welt arm wäre. Herbert Marcuse lehrt: „Vernunft schafft Ordnung,
Religion schafft Motivation“.
Nun kann man nicht übersehen, dass das Christentum gerade in
Europa in einer Krise ist. Immer weniger Menschen kennen Jesus
Christus und das Evangelium, wissen etwas vom Alten und Neuen
Testament, leben eher nach bürgerlichen Normen als nach den
zehn Geboten. Der Kern dessen, was man einmal christliches
Abendland nannte, brennt aus. Vielleicht lässt sich das nicht
verhindern. Kulturen kommen und gehen. Die Frage ist aber
einerseits, wie viele aufmerksame Beobachter unserer Zeit dies
wahrnehmen und nach ihren Möglichkeiten gegensteuern.
Andererseits kann man fragen, ob sich die zivilisatorische und
kulturelle Höhe Europas halten lässt, wenn ihr innerer Motor zerfällt,
wenn die Grundlagen dieser Zivilisation sich auflösen.
Meiner Ansicht nach sind eben die Grundlagen etwa der
deutschen Verfassung im Evangelium grundgelegt: die
unantastbare Würde des Menschen, die Rechtsgleichheit von
Mann und Frau, von Alt und Jung, von Arm und Reich, die
Sozialpflichtigkeit von Eigentum, Religionsfreiheit und alle
Menschenrechte.
Es ist ja nicht zu übersehen, dass die anderen großen Weltkulturen
andere Normen haben für das Verhältnis von Menschen unter
einander. Das was in Europa gewachsen ist, wird in unseren Jahren
auch dort mit Mühe und mit mehr oder weniger Erfolg importiert
oder aufgedrängt. Viele Denkweisen in China, in den Ländern
Ostasien, in Indien, im arabischen Raum unterscheiden sich
dennoch grundlegend von Denkweisen, die sich in Europa
langsam durchgesetzt haben und jetzt in europäischen
Verfassungen verankert sind.
Heute steht Europa vor der Frage, wie es mit Einwanderern vor
allem aus dem arabischen Raum umgehen soll. Einerseits braucht
es Arbeitskräfte und Kinder, andererseits sperren sich viele Bürger
gegen Fremdes. Muslimische Terroristen schaden zudem dem Bild
des Zuwanderers aus arabischen und islamischen Ländern.
Außerdem wurde und wird der Irrtum des „Multikulti“ verbreitet.
Weise Zeitgenossen sind seit langem der Überzeugung, dass dieser
Slogan keine Lösung anbietet. Viele Zuwanderer fühlen sich in
Europa gerade deswegen wohl, weil es hier eben europäisch
zugeht, weil das Recht herrscht, zu dem der soziale Gedanke
kommt.
In der breiten Öffentlichkeit wird meiner Ansicht nach
stillschweigend und unbewusst die Ansicht verbreitet, der Staat
sein ein quasi leerer Raum, in dem Menschen verschiedener
Weltanschauung neben einander Platz haben müssen, Religion sei
Privatsache, die den Staat nichts angehe. Damit treten die
Prinzipien der deutschen Verfassung immer mehr in den
Hintergrund, sie bleiben auf der Seite der toten Buchstaben.
Ich möchte nun dagegen die These aufstellen: So wie die „grüne
Bewegung“ bereits vor 30 Jahren erkannt hat, dass die physischen
Grundlagen unserer Zivilisation geschützt werden müssen, dass wir
sie nicht ohne Schaden aufzehren dürfen, ebenso wenig dürfen
wir die geistigen Grundlagen unserer europäischen Kultur und
Zivilisation verfallen lassen. Wenn wir ihrem Zerfall tatenlos zusehen,
sollten wir uns nicht wundern, wenn eines Tages auch die
Menschenrechte immer mehr durchlöchert werden. Wenn eines
Tages möglicherweise die materiellen Ressourcen knapper werden
und der Verteilungskampf härter wird, dann braucht es umso mehr
das Bewusstsein, dass die Würde des einzelnen Menschen, die
Menschenrechte geschützt und die sozialen Menschenpflichten
eingefordert werden müssen.
Es geht also überhaupt nicht um den Einfluss oder auch die Macht
der Kirchen, es geht vielmehr um die Weisheit von Politik,
Rechtsprechung, Medien, Kultur und Wissenschaft. Pragmatik ist
Verderb.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im November 2010 in Karlsruhe
vor der CDU einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Wir haben
nicht zu viel Islam, wir haben zu wenig Christentum“.
Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland die politischen
Parteien bereits erkannt haben, dass ihnen eine Konfrontation mit
den Kirchen nichts bringt, sondern eher schadet. Auch die FDP hat
offenbar ihren Versuch, Stimmen zu gewinnen durch
Kampfstellung gegen die Kirchen, als schädlich erkannt. Die Linke
ist wohl ein kurzfristiges Phänomen. Die Medien aber brauchen nur
Käufer, keine Wähler, und daher tendieren sie im Allgemeinen
dazu, oberflächliches Interesse zu befriedigen, Gänsehaut zu
erzeugen, indem sie zur Kirchenkritik tendieren.
Vertreter des Christentums sollten versuchen, immer von den
Werten des Evangeliums zu sprechen, um die es geht und nicht
von Ansprüchen der Kirchen. Es geht nicht um die Rolle, die
Rechte, die Macht der Kirchen, es geht im Entscheidenden um die
biblischen oder evangelischen Werte. Diese sind zu schützen. Das
ist Aufgabe aller Christen und der Kirchen.
Da die soziologischen Gebilde „Kirchen“ auch immer hinter ihrem
Anspruch zurückbleiben, sind sei leicht angreifbar. Daher wäre es
wichtig, so oft wie möglich zu erklären, dass unsere
Verfassungswerte letztlich auf das Evangelium zurückgehen und
keineswegs Forderungen der Kirchen sind. Offenbar gibt es auch
im Religionsunterricht, an dem nahezu alle deutschen Schüler
einige Jahre teilnehmen, schwere Defekte, denn das Wissen um
Grundlagen des Christentums scheint bei vielen Jugendlichen zu
fehlen. Ebenso scheinen getaufte Eltern heute ihren Kindern vom
Christentum nur sehr wenig mitzugeben.
Schade, dass das Wort Leitkultur missverstanden wurde und nun
nicht mehr einsetzbar ist. Ich möchte noch einen kühnen
Vorschlag machen, der mein Anliegen verdeutlicht, der aber
sicher heftig angegriffen wird: Die UNESCO sollte drei christliche
Grundtexte zum Weltkulturerbe erklären und schützen: den
Dekalog, der Juden und Christen gemeinsam ist, das Vater-unserGebet Jesu und die Seligpreisungen der Bergpredigt. Alle Schüler
Europas sollten diese Texte auswendig lernen. Sie sollten
Prüfungsstoff sein.
Worauf basiert denn das, was Europa groß und weise gemacht
hat, wenn nicht auf einigen Grundgedanken des Christentums.
Auf welchem Hintergrund wurden viele Kunstschätze geschaffen –
von Michelangelo, Dürer, Mozart und Goethe. Wer hat die Dome,
Klöster und Wallfahrtskirchen gebaut? Warum sind unsere alten
Stadtkerne gut für die Seelen der Menschen? Weil hier Denkmäler
von gläubigen Menschen zu sehen und zu spüren sind. Wenn
Europa ein guter Partner der anderen Kontinente und vielleicht
sogar Motor der Humanität sein und bleiben will, darf es seine
christlichen Wurzeln nicht verkümmern lassen, im Gegenteil es muss
sie pflegen.
P. Eberhard von Gemmingen SJ,
Januar 2014
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