Nathan der Weise - Schlosstheater Moers

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Spielzeit 2013/2014 | Herausgeber Schlosstheater Moers GmbH | Geschäftsführender Intendant Ulrich Greb |
Redaktion Jurgita Imbrasaite | Gestaltung Agentur Berns | Probefotos Jakob Studner | Textauszüge Heiner
Müller „Lessings Schlaf Traum Schrei“, In: „Herzstück“, Berlin: Rotbuch, 1987; Gotthold Ephraim Lessing „Brief
an Bruder Karl“, in: Gesammelte Werke, Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta‘schen Buchhandlung, 1886; Bischof
Dr. Wolfgang Huber „Dialog der Religionen in einer pluralen Gesellschaft. Überlegungen aus evangelischer
Perspektive“, in: „Evangelische Verantwortung. Das Magazin des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU“,
Ausgabe 07+08, Berlin 2007; Jean-Luc Nancy „Die Dekonstruktion des Christentums“, Zürich: Diaphanes, 2008;
„Buch Hiob“, In: „Die Bibel. Luther-Übersetzung“, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1985; Peter Sloterdijk „Gottes Eifer: Vom Kampf der drei Monotheismen“, Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, 2007;
Bertolt Brecht „Geschichten vom Herrn Keuner“, Berlin: Suhrkamp, 1971; Manfred Noa „Nathan der Weise“
Stummfilm 1992, Filmmuseum München 2011
Impressum
Premiere 8. Februar 2014, Schloss
Aufführungsdauer ca. 2 Stunden, keine Pause
Schneiderei
Requisite
Stephan Nickel
Martin Flasbarth
Daniel Schäfer, Tina Struck,
Felix Hecker
Heiko Schröder
Daniel Schäfer, Felix Hecker
Felix Hecker, Martin Flasbarth, Stephan Nickel,
Daniel Schäfer, Heiko Schröder, Tina Struck
Marijke Volkmann, Patricia Kollender
Nadine Bergrath
Technische Leitung
Schreinerei
Beleuchtung
Jurgita Imbrasaite | Ulrich Greb
Ulrich Greb
Birgit Angele
Elisabeth Strauß
Jurgita Imbrasaite
Anandita Schinharl
Stefan Eberle
Clara Kroneck
Textfassung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Choreographie der Gurdjieff-Tänze
Regieassistenz
Regiehospitanz
Tontechnik
Videotechnik
Bühnentechnik
Nathan der Weise
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
Recha, dessen angenommene Tochter
Ein junger Tempelherr
Sultan Saladin
Sittah, dessen Schwester |
Daja, eine Christin im Hause des Juden
Ein Derwisch, Al-Hafi |
Der Patriarch von Jerusalem |
Ein Klosterbruder
Matthias Heße
Ensemble
Marissa Möller
Patrick Dollas
Frank Wickermann
Sabine Osthoff
Nach Gotthold Ephraim Lessing
Nathan der Weise
Es wird ein Mensch gemacht
Zwischen uns und Lessing erstreckt sich die Epoche des Menschen und vielleicht erst
heute können wir anfangen die Konsequenzen dessen zu beurteilen, was als eine so vernünftige und gütige Idee begann.
Lessings Schlaf Traum Schrei
PROJEKTION (SPRECHER)
LESSING HATTE IN SEINEM GANZEN LEBEN EINEN UNGEMEIN FOLGSAMEN SCHLAF
DER SOGLEICH KAM WENN ES IHM NUR EINFIEL DIE AUGEN ZU SCHLIEßEN ER HAT
MICH OFT VERSICHERT DASS ER NIE GETRÄUMT HÄTTE DIESES GLÜCK BEHIELT ER
BIS AN SEIN ENDE UND SAGTE NOCH KURZ VORHER WENN ER DEN GANZEN TAG
GESCHLAFEN HÄTTE FREUE ER SICH DOCH AUF DIE NACHT (Lesewitz)
Schauspieler wird geschminkt (Lessingmaske) und kostümiert. Bühnenarbeiter stellen
langen Tisch und Stühle auf.
SCHAUSPIELER liest:
Mein Name ist Gotthold Ephraim Lessing. Ich bin 47 Jahre alt. Ich habe ein/zwei Dutzend Puppen mit Sägemehl gestopft das mein Blut war, einen Traum vom Theater in
Deutschland geträumt und öffentlich über Dinge nachgedacht, die mich nicht interessierten. Das ist nun vorbei. Gestern habe ich auf meiner Haut einen toten Fleck gesehen, ein Stück Wüste: das Sterben beginnt. Beziehungsweise: es wird schneller. Übrigens bin ich damit einverstanden. Ein Leben ist genug. Ich habe ein neues Zeitalter nach
dem anderen heraufkommen sehn, aus allen Poren Blut Kot Schweiß triefend jedes.
Die Geschichte reitet auf toten Gäulen ins Ziel.
Heiner Müller
„Nathan der Weise“ mit seiner berühmten Ringparabel, den Lessing 1778 nach einer
nahezu mathematischen Logik entwirft, zählt zu den literarischen Grundsteinen der
Aufklärung und wird herkömmlich als Vision für ein friedliches Zusammenleben der drei
monotheistischen Religionen zelebriert.
Doch wie realistisch ist das? Können verschiedene Religionen und Kulturen sich auf eine
gemeinsame humanistische Idee verständigen?
Seit Beginn der Aufklärung befinden wir uns an einer Schwelle, wo der menschliche
Verstand und die humanistische Idee selbst als eine Art Para-Monotheismus den Platz
dessen einnimmt, was bis dahin nur Gott vorbehalten war. In der Ringparabel wird bereits
vermutet, dass der wahre Ring womöglich verloren ging. Dies symbolisiert einen historischen Umbruch, dass namentlich die unhinterfragbare Souveränität Gott, König, Vater im
Begriffe ist zu verfallen. Und wenn der eindeutige Garant für Gut und Böse verschwindet,
ist die Entscheidung jedem Einzelnen überlassen.
Was garantiert aber den Frieden zwischen diesen Einzelnen geschweige denn gesamter
Glaubensgemeinschaften? Reicht Toleranz als Ethik aus? Heute, wo mit Waffengewalt
Demokratie erkämpft wird, Extremisten jedweder Glaubensrichtung und politischen Gesinnung Terror verbreiten scheinen Lessings Fragen aktueller denn je.
Um die Idee der „Brüderlichkeit“ der Völker und Religionen zu veranschaulichen entwirft
Lessing eine Geschichte, in der nicht nur „Jud und Christ und Muselmann“, sondern sogar
ein klassisch dramatisiertes Liebespaar im letzten Akt als Familie, ja als Geschwisterpaar sich wiederfindet. Den Ausgang der neuen Bindung und die politischen Auswirkungen lässt Lessing aber „unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen“ offen.
Das Stück legt nahe, dass unser Lernprozess vielleicht noch „tausend tausend Jahre“
dauern wird, doch genauso hebt es hervor, dass es dieser Einzelne sein kann, sein muss,
von dem unsere Ethik abhängt. Gestern wie heute bleibt der Mann, der in Anbetracht des
Mordes an seiner Frau und seinen Kindern durch Christen, die Sorge um ein verwaistes
Christen-Baby nicht ausschlägt, das Reale dieser Erzählung: Nathan.
Ulrich Greb versucht in seiner Inszenierung durch eine Rekonstruktion des Textes dem
Potential von Lessings “dramatischem Gedicht” nachzuspüren, untersucht die Kehrseite
des scheinbaren „Happy Ends“ und fragt nach der Möglichkeit einer friedlichen Gemeinschaft, die Andersheit aufrechterhält.
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Dialog der Religionen
in einer pluralen Gesellschaft
Was passiert eigentlich mit diesem Ausgang der berühmten
Ringparabel? Die Wahrheitsfrage tritt in den Hintergrund. Man
traut sich ja in Potsdam kaum etwas Kritisches dazu zu sagen,
aber es muss meiner Meinung nach einmal sein: Das von Lessing
vorgeschlagene Konzept der Toleranz kann zu einer relativistischen Vorstellung von Toleranz verleiten, der alle Wahrheitsansprüche gleich gültig sind; der öffentliche Streit um die Wahrheit wird dann um des lieben Friedens willen ausgesetzt. Wer
sich dem von Lessing vorgeschlagenen Konzept dagegen entzieht
und die Frage nach der Wahrheit weiter stellt, wird sich unter
Umständen dem Vorwurf ausgesetzt sehen, einem fundamentalistischen Verständnis religiöser Wahrheit zuzuneigen, welches
dem anderen einen Zugang zur Wahrheit des Glaubens gerade
bestreitet. Dann haben wir also relativistische Toleranz auf der
einen Seite und fundamentalistischen Absolutheitsanspruch auf
der anderen Seite, ganz offenkundig zwei Konzepte, die beide
gleichermaßen für einen Dialog der Religionen nicht taugen.
Denn diesem ist mit Gleichgültigkeit so wenig geholfen wie mit
Fundamentalismus. Er braucht vielmehr einen Grundansatz, den
ich überzeugte Toleranz nenne. Toleranz ist also nicht mit einer
Haltung gleichzusetzen, die alles für richtig hält und jedem Recht
gibt. Wenn alles gleich gültig ist, wird alles gleichgültig.
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Déclosion
Es geht nicht darum, die Religion wiederauferstehen zu lassen, auch
jene nicht, die Kant in den »Grenzen der bloßen Vernunft« einfassen
wollte. Sondern es geht darum, die bloße Vernunft auf die Unbegrenztheit hin zu öffnen, die ihre Wahrheit ausmacht.[…]
Es geht nicht darum, die Himmel neu auszumalen oder neue zu gestalten: Vielmehr geht es darum, die dunkle, harte und im Raum verlorene Erde zu öffnen. […]
Es geht indes um Folgendes: zu wissen – auf neue Kosten, mit allen Mühen, mit allem Mut des Denkens –, was das einfache Wort
»Mensch« bedeutet. Eben dies ist die Frage des Humanismus. Hinter
diesem Wort, hinter dem, was es sagt und dem, was es verbirgt – was
es nicht sagen will, nicht sagen kann oder nicht zu sagen weiß –, stehen heute die dringlichsten Anforderungen des Denkens. […]
Heute ist die angebliche Kultur des Humanismus auf einmal bankrott
oder ringt mit dem Tode – wie man es auch nennen mag, wobei der
zweite Ausdruck vermutlich vorzuziehen ist. Wenn aber eine Gestalt
des Lebens alt geworden ist, dann muss das Denken sich erheben:
Hegels alte Lektion wurde nicht zufällig zu Beginn der heutigen Welt
formuliert, das heißt zu Beginn der sichtbaren Dekomposition oder
Dekonstruktion des Christentums. Die »Gestalt des Lebens«, die laut
Hegel verblichen ist und in Grau-in-Grau zerfließt, ist jene Form, in
der die Religion – die Gewissheit einer vorherbestimmten Rettung
der Welt und der Existenz – mit der Legitimität auch den Sinn für die
eigene Quelle verliert: Was die Lebendigkeit und Lebhaftigkeit eines
Glaubensaktes ausmachte, erscheint nur noch als dogmatische und
institutionelle Kontrolle. Das heißt auch: Was im Glauben die Welt
öffnete, was sie in sich selbst auf ihr eigenes Draußen hin öffnete (und
nicht auf eine Hinterwelt, Hölle oder Paradies), das schließt sich und
verkümmert in einer gewinnorientierten Verwaltung der Welt. Das ist
nicht neu, und diese Ambivalenz konstituiert geradezu das, was sich
als Religion gründet, oder auch den religiösen Charakter, der jeder
Institution innewohnt (ihr inneres Band, das Sakrale ihrer Gründung,
der höhere, ja erhabene Charakter ihrer Bestimmung).
Was das Denken also sammeln und auflesen muss, ist die Leere der
verwaisten Öffnung.
Jean-Luc Nancy
Nathans Vorgeschichte: Hiob
Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen und
gottesfürchtig und mied das Böse. Und er zeugte sieben Söhne und drei Töchter,
und er besaß siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder
und fünfhundert Eselinnen und sehr viel Gesinde, und er war reicher als alle, die im
Osten wohnten. Und seine Söhne gingen hin und machten ein Festmahl, ein jeder in
seinem Hause an seinem Tag, und sie sandten hin und luden ihre drei Schwestern
ein, mit ihnen zu essen und zu trinken. Und wenn die Tage des Mahles um waren,
sandte Hiob hin und heiligte sie und machte sich früh am morgen auf und opferte
Brandopfer nach ihrer aller Zahl; denn Hiob dachte: Meine Söhne könnten gesündigt
und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. So tat Hiob allezeit.
[…]
An dem Tage aber, da seine Söhne und Töchter aßen und Wein tranken im Hause
ihres Bruders, des Erstgeborenen, kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder
pflügten und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide, da fielen die aus Saba
ein und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts,
und ich allein bin entronnen, dass ich dir‘s ansagte.
Als der noch redete, kam ein anderer und sprach: Feuer Gottes fiel vom Himmel und
traf Schafe und Knechte und verzehrte sie, und ich allein bin entronnen, dass ich
dir‘s ansagte. Als der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machten drei
Abteilungen und fielen über die Kamele her und nahmen sie weg und erschlugen die
Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein bin entronnen, dass ich dir‘s
ansagte. Als der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen
und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die
jungen Leute, dass sie starben, und ich allein bin entronnen, dass ich dir‘s ansagte.
Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde
und neigte sich tief und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen,
nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat‘s gegeben, der HERR hat‘s genommen; der Name des HERRN sei gelobt! In diesem allen sündigte Hiob nicht und
tat nichts Törichtes wider Gott.
Tanach / Altes Testament
Kraft des
der um die Wette, die
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an Tag zu legen.“
Steins in seinem Ring
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Gotthold Ep
Bei Licht betrachtet hätte Lessing somit auf die
Figur des zweiten Richters, der in ferner Zukunft
sein Urteil fällt, verzichten können, denn das Gericht
über die Religionen vollzieht sich seit der Aufklärung
nicht am Ende der Zeiten, sondern als tägliches
Plebiszit. Es drückt sich in Sympathiefluktuationen
aus, deren Auf und Ab man vom frühen 20. Jahrhundert an durch Umfragen ermittelt.[…] Wir erinnern
uns: Lessing läßt seinen Richter statuieren, nur der
Ring könne der echte sein, der die Gabe mit sich
bringt, seinen Träger bei Gott und den Menschen
beliebt zu machen. Beliebe jeder der Ringbesitzer
nur sich selbst am angenehmsten, betont Nathan
selbst, dann wären alle drei »betrogene Betrüger«
- soviel zu sagen, darf sich die Liberalität des 18
Jahrhunderts schon erlauben. Erst wer den Beifall
der Mitwelt gewinnt, verfügt über ein glaubhaftes
Indiz dafür, sich wirklich auf dem richtigen Weg zu
befinden. Tatsächlich ist die Altruismus -Pflicht von
den klassischen Religionen untrennbar[…].“
Peter Sloterdijk
„Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“
„Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge dafür, dass er
ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“
Bertolt Brecht
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