Einführung in die Physik II für Studierende der Naturwissenschaften und Zahnheilkunde Sommersemester 2007 VL #47 am 20.07.2007 Vladimir Dyakonov Kernphysik 1 Zusammensetzung von Kernen Atomkerne bestehen aus Protonen und Neutronen = Nukliden Protonenzahl Z = Ordnungszahl Neutronenzahl N Massenzahl A = Nukleonenzahl: A = Z + N A Z 1 1 H 4 2 He X 238 92 U Z bestimmt Stellung im Periodensystem Das Proton (p) besitzt eine positive Ladung +e, und eine Ruhmasse mp = 1,6726 x10-27 kg = 1836me. Das Neutron (n) ist ein neutrales Teilchen mit der Ruhmasse mn=1,6749x1027kg = 1839 me. Die Ruhemasse ist die Masse eines Teilchens in Ruhe, also wenn es keine Geschwindigkeit besitzt. Sie ist geringer als die relativistische Masse eines bewegten Teilchens. Denn mit der Geschwindigkeit nimmt die Masse zu. 2 Es gibt > 2500 Kerne, die sich entweder in Z oder in A unterscheiden, wobei Z geht vom 1 bis 109(?) Kernmateriedichte Erde Sonne Pulsare Kerne 5-13 g/cm3 1.4 g/cm3 106-1013 g/cm3 1014 g/cm3 • Kerne mit gleichen Z, aber unterschiedlichen A (d. h. mit unterschiedlichen Neutronenzahlen N = A - Z) nennt man Isotope • Kerne mit gleichen A, aber unterschiedlichen Z - Isobare( • Kerne mit gleichen N nennt man Isotone ( 31 15 P16 und 30 14 36 16 S20 und 1836 Ar18 ) Si16 ) Beispiel: Wasserstoff (Z = 1) besitzt drei Isotope: 1 1 2 1 3 1 H0 H1 H2 der normale Wasserstoff (Z = 1, N = 0), Deuterium (schwerer Wasserstoff; Z = 1, N = 1), Tritium (superschwerer Wasserstoff; Z = 1, N = 2). 3 Atomkerne Kerne charakterisiert man durch: • Radien R (!Unschärferelation!) • Masse • Ruheenergie E0 r0 = 1.3 ⋅10 −15 m ⎡ MeV ⎤ E0 = mc 2 ⎢ 2 ⎥ ⋅ [c 2 ] ⎣ c ⎦ ⎡ MeV ⎤ mP = 938,27 ⎢ 2 ⎥ ⎣ c ⎦ ⎡ MeV ⎤ mN = 939,56 ⎢ 2 ⎥ ⎣ c ⎦ Massendefekt und Kernbindungsenergie Erwartung: m( A, Z ) = ZmP + ( A − Z )mN ⎡ MeV ⎤ mP = 938,27 ⎢ 2 ⎥ ⎣ c ⎦ ⎡ MeV ⎤ mN = 939,56 ⎢ 2 ⎥ ⎣ c ⎦ Ergebnis: Die Kernmasse ist kleiner als die Summe der Einzelmassen der aus ihr bestehenden Nukleonen. 4 Massendefekte Massen der Kernbausteine p Proton mp= 1,0072765 u p Neutron mn= 1,0086650 u n n p n n n p p 2 p und 2 n ungebunden m= 4,00318830 u Heliumkern: 2 p und 2 n m= 4,0015061u Massendefekt ∆m = 2 mp + 2mn - mHe = 0,0303769 u m( A, Z ) < ZmP + ( A − Z )mN ∆m( A, Z ) = m( A, Z ) − ZmP − ( A − Z )mN < 0 - Massendefekt ⇒ bei der Bildung eines Kerns muss Energie frei werden! ⇒ je negativer ∆m, desto stabiler ist der Kern! Bindungsenergie: B.E. = ∆m( A, Z )c 2 Bindungsenergie pro Nukleon: ∆m( A, Z )c 2 ( ZmP + ( A − Z )mN − m( A, Z ))c 2 B B.E. =− =− = A A A A 5 Bindungsenergie Bindungsenergie pro Nukleon ∆W/A B MeV ≈8 A Nukleon Fusion 2 leichte Kerne in 1 schweren Kern Energie wird frei Fission 1 schwerer Kern in 2 mittlere Kerne Energie wird frei Kernkräfte Die Kernkräfte sind deutlich größer als die Coulomb‘sche Abstoßungskräfte zwischen den Protonen. Kernkräfte gehören zu den sogenannten starken Wechselwirkungen. Die grundlegenden Eigenschaften der Kernkräfte: 1. Kernkräfte sind Anziehungskräfte 2. Kernkräfte wirken nur über kurze Entfernungen d ~ 10-15 m (1fm) 3. Kernkräfte sind ladungsunabhängig 4. Kernkräfte besitzen die Eigenschaft der Sättigung 5. Kernkräfte hängen von der gegenseitigen Orientierung der Spins der wechselwirkenden Nukleonen ab 6. Kernkräfte stellen keine Zentralkräfte dar. 6 Instabilität von Kernen Radioaktivität ist die Fähigkeit einiger Atomkerne, sich spontan in andere Kerne unter Ausstrahlung verschiedener Arten von radioaktiver Strahlung und Elementarteilchen umzuwandeln. natürliche künstliche bei instabilen Isotopen, die in der Natur existieren bei Isotopen, die durch Kernreaktionen erzeugt wurden 1896 entdeckte Henri Bequerel die natürliche Radioaktivität Radioaktive Strahlung gibt es in drei Arten: α, β und γ-Strahlung: α-Strahlung stellt eine Emission von Heliumkernen dar (v=0.1c) β-Strahlung stellt eine Emission schneller Elektronen dar (v=0.99c) Reichweite γ-Strahlung stellt eine Emission von Photonen mit λ < 10-10 m dar (v=c) α-Strahlung: wird durch elektrische und magnetische Felder abgelenkt (Ladung +2e) A Z X →ZA−−24 Y + 42 He 238 92 U →90234 Th + 42 He 7 β-Strahlung: wird durch elektrische und magnetische Felder abgelenkt (Ladung -e) A Z X →ZA+1 Y + 0−1 e Frage: • Woher kommen Elektronen aus der β−Strahlung? (in dem Kern sind doch keine Elektronen vorhanden...) W. Pauli (1932) postulierte, dass beim β−Zerfall zusammen mit dem Elektron noch ein neutrales Teilchen ausgesandt wird – das Neutrino. Genauere Betrachtung β- Zerfall Mutterkern (Z) ⇒ Tochterkern (Z+1) + ß Teilchen (Elektron) Massenzahl A bleibt erhalten Kernladungszahl Z vergrößert sich Neutron in Proton umgewandelt Aus Energie und Impulserhaltung Erhaltung weitere Teilchen und Energieterme notwendig Antineutrino: neutrales masseloses Teilchen Mutterkern (Z) ⇒ Tochterkern (Z+1) + ß Teilchen (Elektron) + Anitneutrino + kin. Energie 8 Neutrinos • Das Neutrino besitzt keine Ladung, einen Spin von 1/2 und eine • Ruhmasse von Null (bzw. sehr kleine) • Das Neutrino bezeichnet man mit • Beim β−Zerfall wird nicht das Neutrino, sondern das Antineutrino (das Antiteilchen des Neutrinos; bezeichnet durch 00ν~e ), ausgesandt • Die einzige Art der Wechselwirkung, an der das Neutrino teilhaben kann, ist die sogenannte schwache Wechselwirkung • Deshalb ist die direkte Beobachtung des Neutrinos sehr aufwendig νe 0 0 Radioaktiver Zerfall freier Neutronen: 1 0 n →11 p + 0−1 e + 00 ν~e 3 Arten von β-Strahlung Der β-Zerfall ist ein spontaner Kernzerfall, bei dem entweder ein Elektron (e-) oder ein Positron (e+) freigesetzt wird. A Z X →ZA−1 Y + 0+1 e + 00 ν e A Z X →ZA+1 Y + 0−1 e + 00 ν~e A Z X + 0−1 e →ZA−1 Y + 00 ν e β+ Protonenüberschuss β- Neutronenüberschuss Elektroneneinfang aus der Schale 9 γ Zerfall γ-Strahlung wird durch elektrische und magnetische Felder nicht abgelenkt (Ladung=0) γ−Strahlung stellt keine selbständige Art von Radioaktivität dar, sondern begleitet nur den α− und β−Zerfall und entsteht ebenso bei Kernreaktionen: A Z X →ZA−−24 Y * + 42 He A−4 Z −2 Y * →ZA−−24 Y + γ ν Das γ−Spektrum ist in diskrete Linien aufgeteilt, was den Beweis für die diskreten Energiezustände der Atomkerne liefert. Typische γ−Quanten sind bis zu einigen MeV Lebensdauer 10-16 s Annihilation e+e+ →2×511keV γ-Quanten und umgekehrt 10 Reichweite: α, β, γ Radioaktive Elemente 11 Teilchennachweis Prinzip: Energieverluste I. Ionisationsdetektoren a) Rekombinationsbereich Spannung ist klein, E. und Ionen können rekombinieren b) Ionisationsbereich c) Proportionalbereich Elektronen werden so stark beschleunigt, dass sie zusätzliche Atome ionisieren d) Geiger-Bereich (Lawinen) e) Spannungsdurchbruch Detektoren arbeiten als Ionisationszählröhre, Proportionalzählröhre, Geiger-Zählröhre 12 III. Spurendetektoren a) Nebelkammer (Ch. T. R. Wilson, 1912) Adiabatische Expansion kühlt das Gas ab: Übersättigung (wie 100% Luftfeuchte) b) Blasenkammer Flüssigkeit (Wasserstoff) bei 6 bar wird durch plötzliche (ein paar ms) Druckabsenkung zum Sieden gebracht z.B. Paarbildungsprozess γ →e++e- Die Teilchen bewegen sich auf Spiralen wegen Magnetfeld Nebelkammer 13 Nebelkammer in Natur Nebelkammerbilder 14 Anwendungen der Kernphysik - Energiegewinnung - Strukturuntersuchung - Altersbestimmung - Lebensmittelbereich - uva ... Bei Kernspaltung großer Kerne (Uran) wird Energie frei (Achtung: Kernspaltung ≠ radioaktiver Zerfall) • 235U hat B/A=-7.5MeV • Spaltprodukte –8.4MeV • Gewinn: 0.9MeV pro Nukleon 235x0.9MeV=211.5MeV!!! gute Energiequelle! 15 Kernreaktionen Beschuss von Kernen mit energetischen Teilchen: Kerne wandeln sich um Experiment von Rutherford Notation für Kernreaktionen Bei Kernreaktionen gelten auch die Erhaltungssätze: Energie, Impuls und Ladung bleiben erhalten Kettenreaktion Für nützliche Anwendung der Kernspaltung benötigt man eine kontinuierliche Energieproduktion. Jede Kernspaltung erzeugt Neutronen mit den Tochterkernen: 235 92 139 1 U →94 36 Kr + 56 Br + 2 ×0 n k= Zahl der Neutronen in Spaltung n +1 Zahl der Neutronen in Spaltung n k<1 – subkritischer Prozess k>1 –superkritisch (Kettenreaktion) Explosion (Kernwaffenprinzip) k=1 –kritischer Prozess sehr wünschenswerte Bedingung für Kernreaktor 16 Kernreaktor In einem Kernreaktor wird die Energie der Kernspaltung in Wärme umgesetzt. Ein typischer Reaktor produziert eine Leistung in der Größenordnung von 1000 Megawatt. • Aktiven Zone des Reaktors: Brennstäbe. Die Brennstäbe befinden sich zur Kühlung im Wärmeträgerstrom. • Der Moderator, in dem die Neutronen bis auf thermische Geschwindigkeiten gebremst werden. • Die Steuerung wird mittels spezieller Steuerstäbe verwirklicht, die stark Neutronen absorbieren. Wärmetauscher Dampfturbine • Das spaltbare Material – 235Uran • Steuerstäbe – Cadmium • Der Moderator (D2O) Natürliches Uran ist eine Mischung aus 235U und 238U (nicht reaktiv) Fusion 17 ENDE! We are still confused but on a higher level! 18