6. Erzwungene Schwingungen Ein durch zeitveränderliche äußere Einwirkung zum Schwingen angeregtes (gezwungenes) System führt erzwungene Schwingungen durch. Bedeutsam sind vor allem periodische Erregungen und im Besonderen die harmonische Anregung. Erzwungene Schwingungen sind von großer praktischer Bedeutung, z.B. führen mechanischen Uhren und auch Musikinstrumente erzwungene Schwingungen durch. Reale schwingenden Systeme unterliegen natürlich einer Dämpfung. Sie benötigen deshalb für eine dauerhafte Schwingung mit konstanter Amplitude immer einen äußeren Antrieb. http://www.walter-fendt.de/ph11d/resonanz.htm 103 Das einfachste System ist ein 1D harmonischer Oszillator, der durch eine äußere Kraft f(t) angetrieben wird. Die äußere Kraft soll von der Zeit abhängen. Dieser Kraft lässt sich ein Potenzial zuordnen: U e =− f t x ∂Ue ∂ f t x f t = −grad U = − = ∂x ∂x Die Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators mit dieser äußeren Kraft f(t) lautet: L x , ẋ , t = m 2 k 2 ẋ − x f t x 2 2 Rein prinzipiell ist dieses Modellsystem von allgemeiner Bedeutung, da es für beliebige Schwingungen um eine Ruhelage mit kleinen Amplituden angewandt werden kann. Dieses Modell könnte zum Beispiel auf die Schwingung eines zweiatomigen Moleküls in einem elektromagnetischen Feld angewandt werden. 104 Aus den Lagrangegleichungen 2. Art folgt die Bewegungsgleichung d ∂L ∂L =m ẍ= = −k x f t d t ∂ ẋ ∂x ẍ 02 x = mit der Eigenfrequenz 0 = f t m k m Die Eigenfrequenz entspricht der freien Schwingung des Systems ohne äußere Anregung. Da jedes System Verluste hat, lassen wir als Verallgemeinerung noch eine Reibungskraft zu, die zu einer Dämpfung der Schwingung führt. Die Reibungskraft kann durch die Rayleighsche Dissipationsfunktion beschrieben werden. D = m ẋ 2 ∂D = 2 m ẋ ∂ ẋ Die zu lösenden DGL lautet dann: ẍ 2 ẋ 02 x = f t m 105 Allgemeine Lösung Wir bestimmen die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung, also die Lösung des gedämpften, harmonischen Oszillators mit einer äußeren Kraft. Dazu betrachten wir zunächst eine periodische Kraft f(t) = fωcos ω t. Die Erregerfrequenz ω ist im allgemeinen unterschiedlich zur Eigenfrequenz ω0. f ẍ 2 ẋ x = cos t m 2 0 Alle Größen in dieser Gleichung sind reell. Daher ist der Realteil (Re) von Z̈ 2 Ż 20 Z = identisch mit f expi t m x t = Re Z t Wir können also eine komplexe Kraft ansetzen und anschließend den Realteil der Lösung nehmen. Dieser Lösungsweg ist üblich und etwas einfacher. Er beruht darauf, dass die DGL linear in x ist und dass alle Koeffizienten reell sind. 106 Die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung ist von der Form Z t = Z hom t Z part t Dabei ist Zpart(t) eine partikuläre (also irgendeine spezielle) Lösung, und Zhom(t) ist die allgemeine Lösung der homogenen Differenzialgleichung. 2 Z̈ hom 2 Ż hom 0 Z hom = 0 Homogene Lösung Wir setzen Z hom t = C exp−i v t mit einer komplexen Amplitude C ein und erhalten 2 2 −v − 2i v 0 = 0 Diese Bedingung hat die Lösungen v 1,2 = ± 02− 2 − i = ±0 − i Dabei haben wir κ0 = (ω02 - λ2)½ eingeführt. 107 A) Für ω0 > λ ist κ0 reell, und die Lösung x(t) lautet x hom t = Re C exp− t ∓ i 0 t Mit reellen Konstanten A1 und A2 in C = A2 + iA1 wird dies zu x hom t = A1 sin 0 texp− t A2 cos0 t exp− t Das Vorzeichen in sin(± κ0t) = ± sin(κ0t) wird in der Konstante A1 absorbiert. Anstelle der Konstanten A1 und A2 können wir auch eine Amplitude A und eine Phase α verwenden: x hom t = A exp− t cos0 t 0 Diese Lösung beschreibt eine gedämpfte, periodische Bewegung. Die Amplitude der Schwingung nimmt exponentiell mit der Zeit ab. 108 B) Für λ > ω0 erhalten wir zwei imaginäre Lösungen: v 1,2 = ± 0 − − i = ±i 0− i 2 2 ν1 = - iλ1 und ν2 = - iλ2, wobei λ1 und λ2 beide positiv sind. Damit erhalten wir eine exponentiell abfallende Lösung der Form x hom t = A exp− 1 t B exp−2 t 0 Es findet keine Schwingung im eigentlichen Sinne statt, sondern das System kriecht in die Ruhelage zurück. C) Zwischen der periodischen Lösung für ω0 < λ und der exponentiell abfallenden für ω0 > λ gibt es den Grenzfall ω0 = λ . Dann fallen die beiden Frequenzen zusammen und die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung lautet x hom t = A B t exp− t =0 Dies ist der Grenzfall der aperiodischen Bewegung. Ein Beispiel für schwingende Systeme in diesem Zustand sind die Stoßdämpfer von 109 Autos. Partikuläre Lösung Die Lösungen für die Fälle A), B) und C) hängen von zwei Integrationskonstanten ab. Sie sind daher im jeweiligen Fall die allgemeine homogene Lösung. Man überprüft leicht, dass f Z part t = expi t m eine Lösung unserer DGL Z̈ 2 Ż 20 Z = ist, wenn = f expi t m 1 20 −2 2 i Damit haben wir eine partikuläre Lösung gefunden. Die Funktion χ(ω) wird dynamische Suszeptibilität genannt. Sie hängt von den Eigenschaften (ω0 und λ ) des Systems ab und bestimmt das dynamische (zeitabhängige) Verhalten. Der Grenzwert χ(0) heißt statische Suszeptibilität. Die Suszeptibilität ist das Verhältnis zwischen der Auslenkung Zpart(t) des Systems und der antreibenden Kraft fωexp(iωt) . 110 Suszeptibilität Der Begriff Suszeptibilität wird allgemein dann verwendet, wenn ein System einer äußeren Störung (etwa einer Kraft oder einem Feld) ausgesetzt wird. Das Verhältnis zwischen der Reaktion oder Antwort (Response) des Systems und der äußeren Störung ist dann die Suszeptibilität. Die Funktion χ wird auch ResponseFunktion genannt. Ein bekanntes Beispiel ist die Polarisation von Materie, wenn ein äußeres elektromagnetisches Feld angelegt wird. So bestimmt die elektrische Suszeptibilität χe die Polarisation P = χe E im elektrischen Feld E . Für kleine Störungen ist die Reaktion des Systems im Allgemeinen proportional zur Störung. Die Response-Funktion ist dann unabhängig von der Stärke der Störung. Dies bedeutet zum Beispiel, dass χe nicht vom angelegten elektrischen Feld abhängt. = 1 20−2 2 i 111 Allgemeine Lösung Die allgemeine Lösung für eine beliebige Kraft f(t) erhalten wir durch die Zerlegung der Kraft in periodische Anteile, also durch die Fouriertransformation ∞ f t = ∞ ∫ d f expi t , f −∞ 1 = ∫ d t f t exp −i t 2 −∞ Da die Bewegungsgleichung linear in Z(t) ist, erhalten wir eine partikuläre Lösung als Überlagerung (linear Kombination) vieler partikulärer Lösungen. f x part t = Re ∫ d expi t m −∞ ∞ Für λ < ω0 lautet die allgemeine Lösung dann: f x t = Re C exp− t i 0 t ∫ d expi t m −∞ ∞ Die zwei Integrationskonstanten stecken in Re C und Im C. Für λ ≥ ω0 müssen wir die homogene Lösung xhom des Falles B) bzw. C) nehmen. 112 Diskussion Wir betrachten eine periodische Kraft f(t) = fω exp(iω t) mit einer festen Erregerfrequenz ω im Fall kleiner Dämpfung λ < ω0 . Die komplexwertige Suszeptibilität kann durch ihren Betrag und Phase beschrieben werden. 1 a−i b a−i b = ∣∣ expi = = 2 2 ai b ai ba−i b a b 2 2 0 − −2i 1 = 2 = 2 2 0 − 2 i 0 −2 2−4 2 2 1 ∣∣ = , 2 2 2 2 2 0− 4 2 tan = 2 − 20 Für diese periodische Kraft lautet die Lösung dann: f x t = Re C exp− t i 0 t expi t m 0 = − 2 0 2 113 Der Realteil ergibt sich dann als f x t = A exp− t cos 0 t ∣∣ cos t m Die Konstanten A und α werden durch die Anfangsbedingungen festgelegt. Für große Zeiten wird die Lösung unabhängig von Anfangsbedingungen, da der erste Term verschwindet: x t = B cost t≫1/ Diese Lösung entspricht der durch die äußere Kraft erzwungenen Schwingung im eingeschwungenen Zustand. Die Amplitude der Schwingung ist f B = ∣∣ m Die Phase δ(ω) ist die Phase der komplexen Suszeptibilität ∣∣ = 1 , 2 2 2 2 2 0− 4 tan = 2 2 − 20 114 Phase 0 - 2 - f B = ∣∣ m Eigenfrequenz Erregerfrequenz = arctan Das Maximum der Amplitude B(ω) liegt bei res = −2 2 0 2 ∣∣ = 2 2− 20 1 − 4 2 0 2 2 2 2 Die Resonanzfrequenz liegt unter der Eigenfrequenz des Systems, die Breite der Resonanzkurve ist proportional zu λ, die Höhe des Maximums proportional 1/λ. 115 Im statistischen Fall (ω=0) ist die Auslenkung B(0)=f0/m ω02, die Phase ist Null und die Auslenkung erfolgt in Richtung der Kraft. Für kleines ω und ω << ω0 gilt = arctan 2 2 2 ≈ ≈ − 2− 20 2 − 20 20 Die kleine negative Phase bedeutet, das die Auslenkung etwas hinter der antreibenden Kraft zurück bleibt. Je langsamer die Kraft oszilliert, desto kleiner ist die Phase. Für ω=ω0 beträgt die Phase -π/2, die Auslenkung und die Kraft sind außer Phase: x t = B cost−/ 2 = B sin t f t ~ cost Für großes ω >> ω0 geht die Phase gegen -π und die Schwingung ist gegenläufig zur antreibenden Kraft. x t = B cost− = − B cos t f t ~ cos t D Übergang zwischen gleich- und gegenläufiger Auslenkung findet in einem Der e Bereich der Größe λ um ω0 herum statt. r Ü http://www.walter-fendt.de/ph11d/resonanz.htm 116 Energiebilanz F diss = −2 m ẋ Durch die Reibungskraft wird Energie absorbiert. Im eingeschwungenen Zustand wird die absorbierte Leistung laufend durch die äußere Kraft in das System eingespeist. Während der Bewegung um dx wird die Energie fdissdx absorbiert. Die absorbierte Leistung P=-fdissv oszilliert mit der Schwingung. 2 2 2 2 P = − f diss ẋ = 2 m ẋ = 2 m B sin t x t = B cos t ẋ t = −B sin t Wir benötigen die zeitliche Mittelung über eine Schwingsperiode. Das zeitliches Mittel einer Größe A(t) über eine Schwingungsperiode T ist definiert als: T 1 A t = ∫ A t d t T 0 Damit erhalten wir als pro Schwingungsperiode absorbierte Leistung: 2 2 2 2 P = − f diss ẋ = 2 m B sin t = m B T 1 1 2 sin t d t = ∫ T 0 T T ∫ sin t d t = 1T 0 2 T ∫ [ 2 1 1 sin x dx= 2 x−sin 2x T 4 2 T ] = 1 2 117 Mit Hilfe der Ausdrücke für die Amplitude und Suszeptibilität können wir dieses Ergebnis noch umschreiben. f B = ∣∣ m −2 1 2 Im = Im 2 = =−2 ∣∣ 0−2 2i 20 −2 2 4 2 2 Nach Einsetzen und zusammenfassen erhalten wir: P = − f diss ẋ = m B 2 2 = m 2 2 f f 2 ∣∣ = − Im m 2m Der Imaginärteil der Suszeptibilität bestimmt die absorbierte Leistung. Die Energieabsorption erfolgt überwiegend im Frequenzbereich ω ≈ ω0 ± λ. 118 Resonanzkatastrophe Die Resonanzkatastrophe bezeichnet die Zerstörung eines Bauwerkes oder einer technischen Einrichtung durch angeregte Schwingungen aufgrund von Resonanz. Die Energie wird bei periodischer Anregung in der Nähe der Eigenfrequenz des Systems optimal übertragen und im System gespeichert. Durch weitere Energiezufuhr schwingt das System immer stärker, bis die Belastungsgrenze überschritten ist. Tacoma-Narrows-Brücke „Galloping Gertie“ Eröffnet: 1. 7. 1940 Einsturz: 7. 11. 1940 Bauten sollten Eigenfrequenzen besitzen, die normalerweise nicht angeregt werden. In Erdbebengebieten richtet man sich dabei nach lokal typischen Schwingungsfrequenzen der Erderschütterungen. Beim höchsten Bauwerk 2005, dem Taipei 101, wurde ein massives Pendel über mehrere Stockwerke zum Schutz als Schwingungsdämpfer verbaut. Im Jahr 1850 marschierten 730 französische Soldaten im Gleichschritt über die Hängebrücke von Angers. Die Brücke geriet in heftige Schwingungen und stürzte ein. 226 Soldaten fanden dabei 119 den Tod.