T O PI CA L UPDA TE Medikamentöse Schmerztherapie in der Stillzeit U ntersuchungsergebnisse weisen nach kurzzeitiger Verabreichung für die meisten Medikamente Konzentrationen in der Muttermilch auf, die weit unter dem therapeutischen Spiegel für Säuglinge liegen. Einzeldosen eines Arzneimittels sind in den meisten Fällen unbedenklich, während repetitive Gaben oder eine Langzeittherapie kritisch bewertet werden müssen. Eine Beobachtung der Vigilanz des Säuglings, seiner Atmung und seines Schlaf-, Wach- und Trinkverhaltens ist immer unerlässlich. ÜBERGANG VON MEDIKAMENTEN IN DIE MUTTERMILCH UND EXPOSITION DES KINDES Hohe Fettlöslichkeit, geringes Molekulargewicht, geringer Ionisationsgrad und niedrige Plasmaproteinbindung begünstigen den Übergang einer Substanz in die Muttermilch. Ebenso erleichtert die relative Azidität der Muttermilch gegenüber dem Plasma (pH 6,8–7,1 versus 7,4) den Übertritt alkalischer Medikamente in die Muttermilch. Fällt die Plasmakonzentration einer Substanz unter ihre Konzentration in der Muttermilch, diffundieren die meisten Arzneimittel wieder zurück in den mütterlichen Kreislauf. Die Menge des Medikamentes, die in die Muttermilch gelangt, wird durch den Milch-Plasma-Quotienten (M/P) angegeben. Der M/P-Quotient errechnet sich aus der Konzentration des Medikaments in der Milch geteilt durch die Konzentration des Medikaments im mütterlichen Plasma. M/P-Quotient = Konzentration Medikament in der Milch Konzentration Medikament im mütterlichen Plasma Ein niedriger M/P-Quotient spricht zwar gegen eine relevante Anreicherung eines Arzneimittels in der Muttermilch, trotzdem können bei sehr hohen mütterlichen Plasmawerten Konzentrationen in der Muttermilch erreicht werden, die den Säugling 14 SCHMERZ NACHRICHTEN Noch immer wird Müttern, die in der Stillperiode Analgetika benötigen, zu einer Stillpause oder sogar zum Abstillen geraten, da Informationen über das Arzneimittel bedingte Risiko beim gestillten Kind oft unzureichend oder fehlerhaft sind. VON OÄ DR. GABRIELE GRÖGLARINGER Krankenanstalt Rudolfstiftung, Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin, Vizepräsidentin der ÖSG gefährden. Umgekehrt ist bei sehr geringen Arzneimittelkonzentrationen im mütterlichen Plasma ein hoher M/P-Quotient nicht gleichzusetzen mit dem Vorliegen von hohen oder gar toxischen Konzentrationen einer Substanz in der Muttermilch. Eine genauere Beurteilung des kindlichen Expositionsrisikos ist durch die Bestimmung der relativen Dosis eines Medikamentes möglich. Sie bezeichnet den Anteil an der gewichtsbezogenen Tagesdosis der Mutter, den ein vollgestillter Säugling pro Kilogramm seines Körpergewichts in 24 Stunden mit der Milch erhält. Relative Dosis (%) = { Dosis via Muttermilch/kgKG Dosis der Mutter/kgKG } x 100 Beim Säugling können der höhere pHWert der Magensäure, die längere Verweilzeit im Magen-Darm-Trakt, die erhöhte Permeabilität der Darmwand für größere Moleküle und die noch nicht voll entwickelte Kapazität der Gallensäuren und der Pankreasenzyme die Resorption von Arzneimitteln begünstigen. Durch die noch unreife hepatische Metabolisierungs- und renale Eliminationsleistung kann die Halbwertszeit eines Medikaments im kindlichen Organismus erheblich verlängert sein und zu einer Kumulation der Substanz führen. Zu beachten ist, dass Frühgeborene länger zur Organreifung benötigen als reife Neugeborene. Aufgrund der noch unzureichend entwickelten Blut-Hirn- Schranke weisen Neugeborene und vor allem Frühgeborene eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber den zentralen Nebenwirkungen von Arzneimitteln auf. BEURTEILUNG DER EINZELNEN SUBSTANZGRUPPEN NICHTOPIOIDE Paracetamol Relative Dosis: 6–12 Prozent M/P-Quotient: 1 Paracetamol gehört gemeinsam mit Ibuprofen zu den Analgetika der Wahl in der Stillzeit. Metamizol M/P-Quotient: 1 Zur Anwendung in der Stillzeit liegen nur wenige Daten vor. Einzelne Dosen von Metamizol erfordern keine Einschränkung des Stillens. NSAR u Ibuprofen Relative Dosis: <0,6 Prozent! M/P-Quotient: 0,008! Ibuprofen ist bei therapeutischer Tagesdosis in der Muttermilch nicht bzw. kaum nachweisbar. Ibuprofen zählt gemeinsam mit Paracetamol zu den Analgetika der Wahl in der Stillzeit. u Diclofenac Relative Dosis: 0,9 Prozent Bisher liegen keine Berichte über Nebenwirkungen bei gestillten Kindern vor. Diclofenac weist wie Ibuprofen eine hohe Plasmaproteinbildung, eine geringe Fettlöslichkeit und einen pH-Wert auf, der unter dem der Muttermilch liegt. Alle drei Komponenten erschweren den Übertritt in die Muttermilch. Diclofenac stellt bei kurzfristiger Anwendung eine gute Alternative zu Ibuprofen dar – eine Option, die vor allem bei erforderlicher intravenöser Applikation von Relevanz ist. u Mefenaminsäure Relative Dosis: 0,8 Prozent Aufgrund der schwachen Datenlage liegt keine Empfehlung für den Einsatz von Mefenaminsäure in der Stillperiode vor. u Indometacin Relative Dosis: 1 Prozent M/P-Quotient: 0,37 Die Verabreichung von Indometacin wird in der Stillzeit nicht empfohlen. Einzelne Dosen erfordern jedoch keine Einschränkung des Stillens. u Naproxen Relative Dosis: 3,3 Prozent M/P-Quotient: 0,01 Aufgrund mangelnder Erfahrungen und der langen Halbwertszeit (10–18 h) wird der Einsatz von Naproxen in der Stillzeit nicht empfohlen. Einzeldosen erfordern keine Einschränkung des Stillens. u Piroxicam Relative Dosis: 8 Prozent M/P-Quotient: 0,008–0,13 Piroxicam ist aufgrund der langen Halbwertszeit (30–60 h) in der Stillzeit nicht zu empfehlen. Einzeldosen erfordern keine Einschränkung des Stillens. COX-2-Inhibitoren Selektive COX-2-Inhibitoren sollten aufgrund der unzureichenden Datenlage in der Stillzeit nicht zum Einsatz kommen. Die Verabreichung von Einzeldosen erfordert jedoch keine Einschränkung des Stillens. Acetylsalicylsäure Relative Dosis: 2–6 Prozent M/P-Quotient: 0,1 Bei antiphlogistischer Langzeittherapie der Mutter mit Dosierungen von 4 g/Tag wurden vereinzelt therapeutische Konzentrationen im kindlichen Plasma nachgewiesen. Die Gabe von Einzeldosen ist ebenso wie eine „Low-dose“-Therapie akzeptabel. Nach derzeitiger Datenlage treten bei diesen Dosierungen weder ein Reye-Syndrom noch Gerinnungsstörungen oder andere negative Effekte beim Kind auf. Eine repetitive Verabreichung und höhere antiphlogistische Dosierungen sind nicht vertretbar! OPIOIDE Opioide sollten in der Stillzeit nur kurzzeitig zur Anwendung kommen. Bei repetitiver oder langfristiger Verabreichung kann es zur Substanzkumulation mit Atemdepression, Sedierung und kardialen Problemen beim Kind kommen. Aufgrund der Organ- unreife von Leber und Niere sind Frühgeborene und Säuglinge unter vier Wochen besonders gefährdet. Eine Überwachung des Säuglings vor allem hinsichtlich des Auftretens von Atemdepression und Vigilanzverschlechterung ist unerlässlich. Opioide reduzieren die Milchejektion durch Herabsetzung der Oxytocinausschüttung. Tramadol Relative Dosis: 0,1–2,24 Prozent Relative Dosis des aktiven Metaboliten O-Desmethyltramadol: 0,64 Prozent M/P-Quotient: 0,1 Bisher liegen keine Berichte über Nebenwirkungen bei gestillten Säuglingen vor, sodass eine kurzfristige Behandlung mit Tramadol ohne Einschränkung des Stillens akzeptabel ist. Eine längere Therapiedauer erfordert eine regelmäßige Überwachung des Kindes. Trotz des geringen Übertritts in die Muttermilch ist bei Kindern mit Apnoe-Neigung Vorsicht geboten. Codein Relative Dosis: 7,9 Prozent M/P-Quotient: 1,3–2,5 Codein ist ein Pro-Drug und wird in der Leber durch das CYP450-Isoenzym 2D6 zu Morphin metabolisiert. Bei einer Duplizierung des CYP2D6-Gens kommt es zu einer „ultraschnellen“ Biotransformation von Codein zu Morphin. In diesem Zusammenhang ist der Todesfall eines Kindes beschrieben, dessen Mutter über einen längeren Zeitraum Codein erhalten hat. Eine kurzzeitige Anwendung bis zu maximal drei Tagen ist bei zwingender Indikation unter sorgsamer Beobachtung des Kindes möglich. Eine längerfristige Therapie sollte unterbleiben. Fentanyl Relative Dosis: 3 Prozent Berichte über toxische Wirkungen liegen nicht vor. Fentanyl gilt bei kurzfristiger Anwendung als Opioid der Wahl in der Stillperiode. Eine Dauertherapie wie die transdermale Verabreichung muss mit einer sorgfältigen Beobachtung des Kindes einhergehen. Morphin Relative Dosis: 10,7 Prozent M/P-Quotient: 1,1–3,6 Orale Bioverfügbarkeit: 26 Prozent Aufgrund der geringen oralen Bioverfügbarkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass größere Mengen von Morphin vom Kind über die Muttermilch aufgenommen werden können, sehr gering. Eine kurze Anwendungszeit erfordert keine Einschränkung des Stillens. Hydromorphon Angaben zur relativen Dosis und zum M/PQuotienten liegen nur für die nasale Applikation vor. Bisher liegen keine Berichte über negative Symptome bei gestillten Kindern vor. Einzeldosen erfordern keine Einschränkung des Stillens. Oxycodon Relative Dosis: 3 Prozent M/P-Quotient: 3,42 Es liegen keine Berichte über negative Auswirkungen beim Kind vor. Eine kurzfristige Anwendung ist ohne Einschränkung des Stillens unter strenger Beobachtung des Kindes akzeptabel. ANTIKONVULSIVA Prinzipiell kann unter antikonvulsiver Monotherapie gestillt werden. Ist eine antiepileptische Kombinationstherapie erforderlich, sollte vom Stillen abgesehen werden. Treten beim Säugling nicht erklärbare Schläfrigkeit, Trinkschwäche, vermehrtes Erbrechen, Antriebslosigkeit oder Unruhe auf, so sollte eine Bestimmung der Arzneimittelkonzentration im Serum des Kindes durchgeführt werden. Gegebenenfalls muss abgestillt oder Flaschennahrung zugefüttert werden. Daten über die Langzeitauswirkung einer antikonvulsiven Dauertherapie liegen nicht vor. Bisher gibt es jedoch keine Hinweise für das Auftreten von Entwicklungsstörungen. Carbamazepin Relative Dosis: 3–8 Prozent M/P-Quotient: 0,5 Es existieren einzelne Berichte über reversible lebertoxische Veränderungen beim Säugling. Bei Monotherapie kann unter Observanz des Kindes gestillt werden. Oxcarbazepin M/P-Quotient: 0,5 Berichte über negative Symptome bei gestillten Kindern liegen nicht vor. Bei Monotherapie kann unter Observanz des Kindes gestillt werden. Gabapentin Relative Dosis: 1,3–3,8 Prozent M/P-Quotient: 1 SCHMERZ NACHRICHTEN 15 TO PI C A L UP DATE Berichte über Nebenwirkungen beim Säugling liegen nicht vor. Unter Monotherapie kann unter Observanz des Kindes gestillt werden. Pregabalin Über die Anwendung in der Stillzeit liegen keine ausreichenden Erfahrungen vor, sodass eine Verabreichung in der Stillperiode nur unter Vorbehalt erfolgen soll. Lacosamid Über die Anwendung in der Stillzeit liegen keine ausreichenden Erfahrungen vor, daher kann die Verabreichung in der Stillperiode nur als bedingt akzeptabel angesehen werden. ANTIDEPRESSIVA Unter einer antidepressiven Monotherapie ist Stillen in den meisten Fällen möglich. Eine Kombinationstherapie kann jedoch Einschränkungen beim Stillen erforderlich machen. In jedem Fall sind die Kinder engmaschig hinsichtlich des Auftretens von Schläfrigkeit, Trinkschwäche und Unruhe zu überwachen. Amitriptylin Relative Dosis: 1,9–2,5 Prozent M/P-Quotient: 1 Im kindlichen Plasma konnten weder Amitriptylin noch der Metabolit Nortriptylin nachgewiesen werden. Auffälligkeiten bei Kindern wurden bisher nicht beschrieben. Amitriptylin gehört zu den Antidepressiva der Wahl in der Stillzeit. Citalopram Relative Dosis: 3–5, maximal 10 Prozent M/P-Quotient: 1,16–3 Vereinzelt sind Unruhe oder Somnolenz bei exponierten Kindern beschrieben. Unter regelmäßiger Kontrolle des Kindes wird das Stillen unter Citalopram-Therapie als akzeptabel angesehen. Escitalopram Relative Dosis: 5,2 Prozent M/P-Quotient: 2,2 Vereinzelt wird über Übererregbarkeit und vermehrtes Schreien berichtet. Da die Erfahrungen mit der Substanz noch sehr gering sind, wird die Gabe von besser erprobten Antidepressiva empfohlen. Mirtazapin Relative Dosis: 1,5 Prozent M/P-Quotient: 0,76 16 SCHMERZ NACHRICHTEN Die Anwendung in der Stillzeit wird als akzeptabel bewertet. Trazodon M/P-Quotient: 0,14 Aufgrund unzureichender Erfahrungen sind besser erprobte Antidepressiva zu bevorzugen. Duloxetin Relative Dosis: <1 Prozent M/P-Quotient: 0,18–0,35 Für eine Empfehlung ist die Datenlage zu gering. Unter sorgfältiger Beobachtung des Kindes ist der Einsatz von Duloxetin in der Stillperiode zu vertreten. Venlafaxin Relative Dosis: 6–8 Prozent M/P-Quotient: 4 Die bisherigen Anwendungsbeobachtungen zeigen keine negativen Effekte bei Kindern, daher ist eine Verordnung in der Stillzeit unter regelmäßiger Kontrolle des Kindes vertretbar. TRIPTANE Bei insgesamt schlechter Datenlage existieren keine Berichte über Unverträglichkeiten bei gestillten Kindern. Sumatriptan ist am besten untersucht und sollte daher bevorzugt zum Einsatz kommen. Eine allgemeine Empfehlung zum Einsatz von Triptanen in der Stillperiode kann aufgrund der mangelhaften Erfahrungen nicht gegeben werden. Einzeldosen erfordern keine Einschränkung des Stillens. Sumatriptan Relative Dosis: 3,5 Prozent M/P-Quotient: 4,9 Eletriptan M/P-Quotient: 0,25 KORTIKOSTEROIDE Der Einsatz von Kortikosteroiden kann als unbedenklich angesehen werden, da der Säugling selbst bei Hochdosistherapie der Mutter nur einen Bruchteil der therapeutischen Kinderdosis erhält. Eine kurzzeitige Verabreichung hoher Dosierungen erfordert keine Einschränkung des Stillens, bei einer Hochdosis-Langzeittherapie wird eine Stillpause von 3–4 Stunden empfohlen, ist aber nicht zwingend einzuhalten. Lokale Kortikoidanwendungen sind unbe- denklich. Prednisolon, Prednison und Methylprednisolon sind aufgrund der besten Datenlage die Kortikosteroide der Wahl. Prednison Relative Dosis: 1–2 Prozent M/P-Quotient: 0,05–0,25 Prednisolon Relative Dosis: 1–2 Prozent M/P-Quotient: 0,05–0,25 LOKALANÄSTHETIKA Lokalanästhetika können ohne Einschränkung des Stillens zum Einsatz kommen. Erfahrungen mit Lidocain zeigen keine negativen Effekte beim gestillten Kind. Lidocain Relative Dosis: 1,8–4 Prozent M/P-Quotient: 0,4–1,3 Bupivacain Relative Dosis: 1,15 Prozent Ropivacain M/P-Quotient: 0,23–0,25 CANNABINIODE Tetrahydrocannabinol erreicht aufgrund seiner hohen Lipophilie bei regelmäßigem Konsum in der Muttermilch achtfach höhere Konzentrationen als im mütterlichen Plasma. Eine Langzeitexposition kann eine verzögerte motorische Entwicklung des Säuglings zur Folge haben. Der Einsatz von Cannabinoiden hat in der Stillzeit zu unterbleiben. Bei regelmäßigem Gebrauch ist abzustillen. KETAMIN Eine Stellungnahme ist aufgrund fehlender Daten nicht möglich. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass Informationen über das Risikopotenzial von Medikamenten in Bezug auf ihre Anwendung in der Stillzeit und Schwangerschaft beispielsweise über die Homepage des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryotoxikologie in Berlin unter: www.embryotox.de jederzeit verfügbar sind. Literatur bei der Verfasserin