Culinary Misfits in Berlin Zwei Herzen für kulinarische Außenseiter Wie man von einem Designstudium zur Leidenschaft für aussortiertes Gemüse kommt und daraus einen Beruf macht, das haben Cathrin Brandes und Pamela Dorsch im Gespräch mit den beiden Gründerinnen der »Culinary Misfits«, Lea Brumsack und Tanja Krakowski, erfahren. N ach langer Suche haben die beiden jungen Frauen es nun endlich gefunden: ein Laden­ geschäft für die »Culinary Misfits«, ein festes Zuhause für sich und ihre Lieblinge. Noch betritt man eine Baustelle. Doch es ist schon zu erkennen, was Lea Brumsack und Tanja Krakowski planen: zwei helle Gasträume, eine Küche, ein Workshop­raum und Büro im Keller. Die beiden stehen jetzt täglich in dem frisch angemieteten Laden in Berlin-Kreuz­berg und treiben die Renovierung voran. Freuen sich über fleißige Handwerker, frisch gestriche24 Slow Food | 03/2014 ne Wände oder wenn ihnen ein neues Fundstück für die Einrichtung vor die Füße fällt. Wie die wunderschöne alte Theke. Manchmal können sie ihr Glück noch gar nicht fassen, nun wirklich einen festen Ort zu haben für all ihre Aktivitäten, endlich Platz für all die vielen Ideen und langgehegten Träume rund um krumme Rüben, knollige Kartoffeln und dreibeinige Möhren! So fing alles an Woher kommt ihre Liebe für krummes Gemüse und fruchtige Sonderlinge, ihre Begeisterung für alte, fast verges- sene Sorten und ihr Herz fürs Übriggebliebene, für die Lebensmittel, für die es scheinbar keine Verwendung gibt? Weder Tanja noch Lea kommen aus der Landwirtschaft oder der Gastronomie. Sie haben beide Produktdesign studiert und sich den kulinarischen Außenseitern eher aus ästhetischen Gründen genähert. Tatsächlich haben die aussortierten Knollen und Wurzeln eine ganz eigene poetische Ästhetik: Knorpelige Ausformungen auf Tomaten erinnern an Nasen, verschlungene Wurzeln an Liebespaare und merkwürdig knollige Kartoffeln an kleine Aliens. Fotos © Culinary Misfits (2), Cathrin Brandes Lea Brumsack und Tanja Krakowski haben nicht nur ein Herz für krummes Gemüse, sondern auch für schöne Details in ihrem Laden. Erst einmal sind die zwei auf getrennten Wegen »auf die Knolle« gekommen: Lea beschäftigte sich in ihrer Abschlussarbeit in Berlin mit den Reisewegen von Lebensmitteln und dem Thema Regio­ nalität am Beispiel von Kartoffeln. Für einen Wettbewerb entwickelte sie daraus ein Restaurantkonzept auf der Basis kulinarischer Außenseiter. Tanja befasste sich zeitgleich in ihrer Diplom­arbeit in Potsdam mit »Culinary Misfits« – wie sie sie damals das erste Mal nannte – unter dem Gesichtspunkt der Lebensmittelverschwendung. Eine Misfits-Aktion in der Markthalle Neun, ganz in der Nähe ihres heutigen Ladens, brachte die beiden im Januar 2012 zusammen. Mission: Außenseiter auf die Teller Das Studium abgeschlossen, aber ihrer Mission, die kulinarischen Außenseiter wieder auf unsere Teller zu bringen, noch lange nicht überdrüssig, überlegten sie nun gemeinsam, wie sie darauf aufmerksam machen können, dass jährlich etwa ein Drittel der Ernte einfach aussortiert wird oder bestimmte Sorten erst gar nicht mehr angebaut werden, weil sie nicht den Handelsnormen entsprechen. Was folgte, waren viele Kochaktionen und viel Aufklärungsarbeit. Unter dem Namen »Culinary Misfits« sind die beiden jungen Frauen mittlerweile nicht nur in Berlin bekannt für ihre guten Suppen aus aussortiertem Gemüse, für ihre Caterings rund um das Thema Regionalität und alte Sorten sowie – nicht zu vergessen – für ihre »Bildung am Gemüse« in Workshops mit Kindern und Erwachsenen. Denn was immer noch zu wenige Menschen wissen: Staatliche Normierungswut und die mächtigen Handelsriesen geben ihr Bestes, um der Natur gerade Gurken, gleichlange Möhren und identisch geformte Äpfel abzuringen. Und die wenigsten Verbraucher wundern sich darüber: Wo bleiben die krummen Gurken, die verdrehten Möhren und die kleinen Äpfel? Die Antwort ist einfach: auf dem Acker! Der Verlust eines großen Teils der Ernte wird von der Landwirtschaft einkalkuliert, vom Handel gefordert und vom Verbraucher akzeptiert. Die wenigsten Großstädter, die heute im Supermarkt einkaufen, wissen noch, wie Gemüse eigentlich einmal aussah bzw. geschmeckt hat. Denn die optische Gleichmacherei hat auch geschmackliche Folgen: Es werden immer weniger Sorten angebaut, die alle immer gleich schmecken, egal zu welcher Jahreszeit sie gekauft werden. Der Preis des Andersseins Natürlich hat der Formenreichtum auch seinen Preis. Die Verarbeitung, z. B. das Schälen krummer Wurzeln und kleiner Kartoffeln ist viel mühsamer. Für ein Catering oder die Suppenproduktion bedeutet das ungleich höhere Personalkosten als beim Einsatz von gleich großem und gleich geformtem »Industriegemüse«. Und das krumme Gemüse bestellt man ja auch nicht einfach beim Großhändler. Mittlerweile haben Tanja und Lea ein Netzwerk von Bauern aufgebaut, von denen sie die Außenseiter meist zu sehr günstigen Preisen bekommen. Oft müssen sie das Gemüse aber beim Bauern im Berliner Umland direkt abholen oder manchmal sogar noch selbst vom Acker auflesen. Vor einem Jahr schon hatten Lea und Tanja das Geld für einen eigenen Laden durch Crowdfunding zusammen Slow Food | 03/2014 25 Foto © Culinary Misfits UNTERWEGS Eine Spezialität von »Culinary Misfits«: Rotes Couscous aus zu klein geratenen Roten Beten mit Wildkräutern im Weckglas. ROTE-BETE-COUSCOUS getrommelt. Die gesammelten 15 000 Euro waren für die jungen Unternehmerinnen ohne großes Eigenkapital die Grundlage, um die Idee mit dem Laden wirklich wagen zu können. Die breite Unterstützung machte ihnen auch Mut, mit ihren kulinarischen Außenseitern auf dem richtigen Weg zu sein. Der eigene Laden schien schon zum Greifen nah, aber die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten gestaltete sich schwieriger als gedacht. Allerlei skurrile Erlebnisse aus der Berliner Immobilienwelt wissen sie seitdem zu erzählen. Endlich ein Hafen in Sicht So betrieben die beiden »Culinary Misfits« erst einmal ohne Laden weiter. Viele Catering-Aufträge brachten sie gut über das Jahr und ermöglichten es ihnen, weiteres Geld für Investitionen in den eigenen Laden beiseite zu legen. Aber große Caterings vorzubereiten ohne eine feste Küche, in immer wieder unterschiedlichen Produktionsräumen und obendrein mit dem Lager an noch einem weiteren Ort, das machte das letzte Jahr für sie sehr anstrengend. Und den Wunsch nach einem eigenen, festen Standort immer größer. Eines Tages fiel ihnen dann der richtige Laden wie durch Zufall vor die Füße: Beim Spaziergang vor ihrer Haustüre stand Lea plötzlich vor ihm. Nach unkomplizierten Verhandlungen wurde der Vertrag unterschrieben. Das Renovieren und Einrichten konnte beginnen. 26 Slow Food | 03/2014 Im Gastraum, durch dessen großes Schaufenster man auf die belebte Straße blickt, stapelt sich mittlerweile eine kunterbunte Mischung von Mobiliar, Geschirr und weiteren Einrichtungsgegenständen. Die Unternehmensphilosophie findet auch bei der Ladeneinrichtung Anwendung: Aussortiertes und Beschädigtes wird liebevoll restauriert und wiederverwertet. Im Juni soll alles fertig sein und der Laden feierlich eröffnet werden. Lea und Tanja freuen sich schon darauf, nun bald in ihrer eigenen Küche leckere Kuchen und kleine Gerichte – Suppen, Salate, Sandwiches – aus regionalen Bio-Außenseitern herzustellen, die dann tagsüber direkt im kleinen Caféraum verspeist werden können. Im großen, lichten Kellerraum werden neue Workshops rund um die Sonderlinge und sicher auch das eine oder andere große Mahl an einer langen Tafel stattfinden. Beim Renovieren entstehen täglich neue Ideen, was sie alles noch in diesen Räumen rea­lisieren können. Und natürlich werden sie auch weiterhin von hier aus zum Ernten, für Caterings und andere Formen kulinarischer Aufklärungsarbeit ausschwärmen. Damit immer mehr Menschen erfahren, was mit einem Drittel der Ernte wirklich passiert und dass man etwas dagegen tun kann. Wenn wir alle unser Herz für kulinarische Außenseiter entdecken. Culinary Misfits Laden ab Juni 2014 in der Manteuffelstr. 19, 10997 Berlin-Kreuzberg → www.culinarymisfits.de Zutaten für 6 kleine Weckgläser: 6 bis 8 zu klein geratene Rote Bete, 3 kleine Äpfel, 2 Handvoll Wildkräuter, 1 Schalotte, 1 Knoblauchzehe, 1 Stück Ingwer, 200 g Couscous, 1 EL Koriandersamen (gemahlen), 2 TL Zucker, Olivenöl, Salz, Pfeffer, Vinaigrette (Öl, Zitronensaft, Senf, Salz, Pfeffer). • Rote Bete schrubben oder schälen, in daumendicke Würfel schneiden und in etwa 350 ml Salzwasser bissfest köcheln. Das rote noch heiße Kochwasser in eine Schüssel abseihen und mit Olivenöl sowie je einer ordentlichen Prise Salz und Pfeffer unter den Couscous mischen und ziehen lassen bis der Couscous angenehm bissfest ist. Ggf. noch etwas heißes Wasser unterrühren und ziehen lassen. • Schalotte, Knoblauch und Ingwer schälen und fein würfeln. Zusammen mit den Betewürfeln, den Koriandersamen und dem Zucker in Öl scharf anbraten und karamellisieren lassen. Etwa 1/3 der Betewürfel mit dem Zauberstab pürieren und unter den Couscous heben, bis alles kräftig rot ist. Die Würfel ebenfalls untermengen. Alles noch einmal mit Salz und Pfeffer abschmecken. • Äpfel entkernen und in Scheibchen schneiden. Die Wildkräuter zusammen mit den Apfelscheibchen in der Vinaigrette kurz marinieren. Rotes und Grünes zusammen im Weckglas anrichten und mit wilden Blumen garnieren.