Zur Inszenierung von Gedächtnis in der Novelle ,,Die Zeit der Stinte“ von Artur Becker Inhaltsverzeichnis 1. EINLEITUNG ......................................................................................................................... 3 2. GEDÄCHTNISTHEORETISCHE KONZEPTE................................................................. 5 2.1 GEDÄCHTNISFORMEN NACH ALEIDA ASSMANN ................................................................. 9 2.1.1 Das individuelle Gedächtnis ........................................................................................ 9 2.1.2 Das Generationen Gedächtnis .................................................................................... 11 2.1.3 Das kollektive Gedächtnis.......................................................................................... 13 2.1.4 Das kulturelle Gedächtnis .......................................................................................... 16 3. ,,FICTION OF MEMORY“ ALS GATTUNGTYPOLOGIE NACH B. NEUMANN .... 18 3.1 ZUM AUTOBIOGRAPHISCHEN GEDÄCHTNISROMAN .......................................................... 18 3.2 ZUM AUTOBIOGRAPHISCHEN ERINNERUNGSROMAN ........................................................ 21 3.3 ZUM KOMMUNALEN GEDÄCHTNISROMAN ....................................................................... 23 3.4 ZUM SOZIOBIOGRAPHISCHEN ERINNERUNGSROMAN ........................................................ 26 4. ZUR RHETORIK DER ERINNERUNG............................................................................ 28 4.1 INFORMATIONEN ZUM AUTOR ARTUR BECKER ................................................................ 28 4.2 ZUM INHALT ...................................................................................................................... 29 4.3 ZUM TEXTANFANG ............................................................................................................ 32 4.4 ZUM ERZÄHLER ................................................................................................................. 34 4.4.2 Erzählanalyse nach Jürgen H. Petersen ...................................................................... 40 4.4.3 Erzählanalyse nach Gérard Genette ........................................................................... 42 4.4.3.1 Fokalisierung nach Gérard Genette ..................................................................... 48 4.4.4 Innenweltdarstellung .................................................................................................. 51 4.4.5 Darstellung der Figurenkonstellation anhand des Generationen-Gedächtnisses und Täter-Opfer Gedächtnis ....................................................................................................... 53 4.4.6 Zeit ............................................................................................................................. 68 4.4.7 Ordnung ..................................................................................................................... 69 4.4.8 Textende ..................................................................................................................... 72 5. ZUSAMMENFASSUNG ...................................................................................................... 73 6. LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................. 76 2 Einleitung Das Thema Erinnerung kann für jedes Individuum etwas anderes bedeuten. Die ältere Generation assoziiert die vergangenen Erfahrungen mit dem zweiten Weltkrieg, dem Hunger, Trauer und Leid. Aber wie werden diese Erinnerungen von der jungen Generation empfangen? Haben sie noch Interesse sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen? Die junge Generation hat mit den Kriegserinnerungen in Schulen oder mit Lesen von Büchern aus der vergangenen Zeit zu tun. Hat das aber einen größeren Einfluss auf sie, anstatt die erzählten Geschichten von unserer eigenen Generation, an die wir fixiert sind? Dieser Aspekt, wird mit Hilfe des Kommunikativen Gedächtnisses analysiert. Man muss betonnen, dass die erzählten Erinnerungen oft als Bruchstücke erscheinen. Durch diese Fetzen, kommt es zu einem Prozess, der die Geschichte jedes mall anders darstellen kann. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf den Erinnerungen der Generationen bzw. dem Kollektiv der Gesellschaft. Es wird erläutert, auf welche Weise die vergangenen Kriegserinnerungen der alten Generation von der jungen aufgenommen und bearbeitet werden. In dieser Arbeit, wird die Novelle ,,Die Zeit der Stinte“ von Artur Becker untersucht. Man stellt sich die Frage, welchen Einfluss die erzählte Geschichte über das Täter – Opfer Gedächtnis auf das gegenwärtige Individuum hat, ob es einen starken Einfluss auf es bewirkt oder auch nicht. Demzufolge, am Anfang der Arbeit, wird der Theoretische Teil angeführt, also die zwei Komponente des Kommunikativen Gedächtnisses und nach Birgit Neumann die Fictions of Memory, eine Gattungsklassifikation untersucht und dargestellt. Im Nächsten werden einige Informationen zum Autor eingegeben und der Inhalt der Novelle kurz besprochen. Im Weiteren wird die Rhetorik der Erinnerung anhand der Analyse untersucht. Dabei wird der erzähltheoretische Teil mit Hilfe der Elemente von Franz K. Stanzel, Jürgen H. Petersen und Gérard Genette bearbeitet. Hierbei soll es untersucht werden, wie das Prinzip des Gedächtnisses vs. Erinnerung von den Erzählern narratologisch analysiert wird. Auch nicht ohne Bedeutung ist die Untersuchung, welchen Einfluss die erzählte Geschichte auf das Individuum hat. Es sollte resultieren, 3 dass die Erinnerungen durch Kommunikation verfestigt werden.1 Das Täter – Opfer Gedächtnis soll nicht nur in der ganzen Analyse vorkommen, aber besonders wird es in der Figurendarstellung geprägt. Es werden Beispiele präsentiert, die darauf zeugen, dass wir mit einem kollektiven Gedächtnis zu tun haben. Der zweite Aspekt, der in der Analyse vorkommt, ist die Gliederung und Wahl um welche Gattung von Roman sich es handelt. Dabei wird nach Neumann die Gattungstypologie eingeführt, die mit Hilfe der ganzen Analyse ein Resultat bringen soll. In Betracht werden die Erinnerungen der Protagonisten genommen und daraufhin analysiert. Nicht nur die Erinnerungen der Figuren sollen jedoch Einfluss auf die Gattung haben, sondern auch solche Aspekte, wie der Textanfang, Innenweltdarstellung, Fokalisierung, Zeit, Ordnung und das Textende. Nach Neumanns Differenzierung, sollen die Gesichtspunkte helfen, die Gattung des Textes zu klassifizieren. Am Ende sollte der Text ergeben, ob er sich wirklich um das kulturelle oder das kommunikative Gedächtnis handelt. Also, ob es das individuelle Gedächtnis bzw. das Individuum der jungen Generation mit den zugänglichen Gedächtnissen, die auf dem kommunikativen gebaut sind, verbindet. Die Analyse des Textes sollte mit einer Schlussbetrachtung abgerundet werden. 1 Assmann, Aleida / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlag-Anstalt. 1999. S. 36. 4 2. Gedächtnistheoretische Konzepte Mit Harald Welzers Worten wird das Problem des Gedächtnisses vs. Erinnerung begonnen. ,,Die Themen Gedächtnis und Erinnerung erfreuen sich seit gut zwei Jahrzehnten einer immer noch steigenden Konjunktur – und zwar über die Grenzen der natur- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen hinweg, bis in Alltagsdiskurse hinein.“ 2 Dieses Prinzip lässt solche Komplexe wie Neurowissenschaften, Geschichtswissenschaften, wie als auch die Psychosoziologie nicht in Ruhe. Das reizende und rätselhafte Organ - Gehirn, hatte auch die Literaturwissenschaftler dazu gezwungen, sich mit ihm zu befassen. Die Wissenschaftler sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass wenn sie an Texten arbeiten wollen, müssen sie das Prinzip des Gedächtnisses bzw. der Erinnerung erfassen. Bevor man also mit diesem Beitrag anfängt, muss das Prinzip Gedächtnis vs. Erinnerung zuerst erläutert werden. Obwohl das Prinzip des Gedächtnisses viele Wissenschaftler in Verwirrung bringt, trotzdem wird eine enorme Zahl von Namen angegeben, die sich gerne mit dem Thema beschäftigen möchte. Kognitionswissenschaftler interpretieren das Gedächtnis des Individuums, also uns Menschen, als eine Art Datenverarbeitungsmaschine, die wichtige Informationen kodiert, aufbewahrt und abruft.3 Astrid Erll & Ansgar Nünnig in ihrem Beitrag ,,Literaturwissenschaftliche Konzepte von Gedächtnis: Ein einführender Überblick“, stellen eine Frage, was die Literaturwissenschaft unter dem Begriff Gedächtnis versteht? Die Antwort lautet ,,vieles- und viel Verschiedenes.“4 Schon hier kann man feststellen, dass das Thema, nicht zu den einfachsten gehört. Weiterhin, wird das Gedächtnis Prinzip differenziert und zwar in drei verschiedene Grundrichtungen ,,Gedächtnis der Literatur (als Symbol- und als Sozialsystem), Gedächtnis in der 2 http://www.wz.nrw.de/magazin/artikel.asp?nr=546&ausgabe=2004/1&magname=&titel=Erinnerung%5 Eund%5EGed%C3%A4chtnis. 26.04.2009. 19:52. 3 Vgl. Schacter. Daniel L.: Wir sind Erinnerung. Gedächtnis und Persönlichkeit. Reinberg bei Hamburg: Rowohlt. 2001. S. 31. 4 Hrsg. Astrid Erll/ Ansgar Nünning: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Verlag: Gruyter. 2005. S. 1. 5 Literatur und Literatur als Medium des Gedächtnisses.“5 Um dennoch genauer diesen Nexus zu untersuchen, wird es von Birgit Neumann das Gedächtnis folgend erläutert. ,,In den Kulturwissenschaften kursieren zahlreiche Begriffe, um die organisierte Dimension des gemeinsamen Vergangenheitsbezugs zu beschreiben. Es ist vom sozialen Gedächtnis, von invented traditions, vom kommunikativen und kulturellen Gedächtnis, von lieux de mémoire oder cultural memory die Rede. Die Vielzahl bestehender Gedächtnisbegriffe verdeutlicht, dass sich an diesem Forschungsfeld zahlreiche Disziplinen beteiligen, die unterschiedliche Erkenntnisinteressen verfolgen und verschiedene Epochen und Kulturen ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellen. Trotz differenter Schwerpunkte liegen allen Gedächtnistheorien zweiwenngleich in unterschiedlichem Grade explizierte – zentrale Annahmen zugrunde. Sie betonen erstens die Perspektivität und Konstruktivität auch kollektiver Erinnerungen und zweitens die enge Verbindung zwischen kollektivem Erinnern und Identität. Die Praxis des gemeinsamen Erinnerns, so die grundlegende Prämisse kulturwissenschaftlicher Gedächtnistheorien, bildet zugleich den Ausganspunkt der Entstehung einer Kollektividentität. Durch die geteilte Aktualisierung von vergangenen Erfahrungen in Geschichten, Riten oder Ritualen schaffen sich Gruppen eine überindividuelle Identität.“6 Neumann beruft sich auf verschiedene Arten von Gedächtnis, die folgend von Maurice Halbwachs, sowie Aleida Assmann und Jan Assmann im Weiteren besprochen und logisch übermittelt werden. Als Gründungsvater der Disziplin, wird es von Maurice Halbwachs die gegenwärtige kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung ausschlaggebend bestimmt.7 Wenn man also über Maurice Halbwachs und seine Theorie spricht, erfährt man, dass er stattdessen der neuralen und hirnphysiologischen Basis des Gedächtnisses, sich mehr auf die sozialen Bezugsrahmen fokussiert, die seiner Meinung nach, das individuelle Gedächtnis ohne diese Rahmen nicht bilden und erhalten könnte.8 Halbwachs ist der Meinung, dass ein Individuum kein Gedächtnis besitzen könnte, wenn es das Leben allein verbracht hätte. Das Innehaben eines Gedächtnisses durch das Individuum, entsteht erst dann, wenn es in einem Sozialisationsprozess teil nimmt.9 Dieser Ansicht ist auch Birgit Neumann, die 5 Hrsg. Astrid Erll/ Ansgar Nünning: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Verlag: Gruyter. 2005. S. 2. 6 Hrsg. Astrid Erll/ Ansgar Nünning: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Verlag: Gruyter. 2005. S. 159. 7 Vgl. Hrsg. Astrid Erll/ Ansgar Nünning: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Verlag: Gruyter. 2005. S. 159. 8 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. In: Erwägen. Wissen. Ethik. 13/2002. S. 35. 9 Ebd. 2002. S. 35. 6 annimmt, dass eine Identitätsbildung ohne Erinnerungsvermögen einfach undenkbar ist. Die Identität wird nicht nur in der synchronen, aber auch in der diachronen Dimension verortet. ,,Erst die Erinnerung an Vergangenes ermöglicht die Bearbeitung temporaler Differenz und damit die Stiftung von Kontinuität. Diese Spezifika individueller Erinnerungen und deren Bedeutung für die Konstitution von Identität sind mittlerweile zum zentralen Gegenstand der Kognitions- und Narrationspsychologie avanciert. Die Ansätze gehen davon aus, dass Erinnerungen vergangene Erfahrungen nicht wiederaufleben lassen, sondern nach Maßgabe gegenwärtiger Bedingungen rekonstruieren.“10 Die Gegenwart ist mit der Vergangenheit fixiert. Ohne die beiden Verfahren könnte man bedauern, dass eine Erinnerung gebildet wäre. Demnach werden die Erinnerungen berufen, aber mit einer hochen und sogar notwendigen Wahrscheinlichkeit wiederbelebt und rekonstruiert. Carsten Gansel definiert das auf dieselbe Art und Weise. Nach ihm wird ,,Vergangenes Geschehen aus dem Blickwinkel der Jetztzeit wahrgenommen und rekonstruiert.“11 Das könnte man auch als Geschichte vom Gedächtnis bezeichnen, dass sich mit ,,der Gegenwart der Vergangenheit im Bewußtsein Gruppen und Nationen beschäftigt.“ 12 von Individuen, Halbwachs stellt eine Frage, wie Erinnerungen entstehen. Um das zu erfassen, führt er den Begriff des kollektiven Gedächtnisses ein. Er vertritt den Standpunkt, dass das Gedächtnis des Individuums durch ein kollektives Gedächtnis geprägt wird. Er unterstreicht, dass das Kollektiv kein Gedächtnis besitzt, aber es wird von ihnen das Gedächtnis der Mitglieder bestimmt. Erinnerungen sollen nur unter einer Kommunikation und Interaktion im Rahmen sozialer Gruppen gebildet werden. 13 Deswegen vertritt Halbwachs folgende Ansicht. ,,Wir erinnern nicht nur, was wir von anderen erfahren, sondern auch, was uns andere erzählen und was uns von anderen als bedeutsam bestätigt und zurückgespiegelt wird. Vor allem erleben wir bereits im Hinblick auf andere, im Kontext sozial vorgegebener Rahmen der Bedeutsamkeit. Denn es gibt keine Erinnerung ohne Wahrnehmung.“14 10 Hrsg. Astrid Erll/ Ansgar Nünning: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Verlag: Gruyter. 2005. S. 150. 11 Gansel, Carsten: Gedächtnis und Literatur in den geschlossenen Gesellschaften des Real-Sozialismus zwischen 1945 und 1989. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2007. S. 7. 12 Assmann, Aleida/ Frevert. Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlag-Anstalt. 1999. S. 31. 13 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. In: Erwägen. Wissen. Ethik. 13/2002. S. 36. 14 Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. In: Erwägen. Wissen. Ethik. 13/2002. S. 36. 7 Er konstatiert, dass das Subjekt des Gedächtnisses und Erinnerung das Individuum abhängig von Rahmen macht, die die implizierten Erinnerungen im Gehirn organisieren. Es gibt einen Vorteil, der die Theorie der Erinnerung mit dem Vergessen erklären kann. Wenn sich die Bevölkerung oder ein Individuum nur daran erinnern, was die Vergangenheit in den Rahmen der Gegenwart rekonstruiert hat, dann vergisst das Individuum das, was in der Gegenwart keine Bezugsrahmen besitzt. Mit anderen Worten ,,baut sich das individuelle Gedächtnis in einer bestimmten Person kraft ihrer Teilnahme an kommunikativen Prozessen. Also, sozialer Gruppen, von der Familie bis zur Religions- und Nationsgemeinschaft“.15 Es wird nur daran erinnert, was auch kommuniziert und in den Rahmen des Kollektivs bestimmt wird. Durch die Erinnerungen wird ein unabhängiges System konstruiert, wo die existierenden Elemente sich gegenseitig stützen, sowohl im individuellen Gedächtnis als auch im kollektiven Gedächtnis.16 Dieser Punkt wird mit einem Zitat beendet, das eine kurze Definition des Gedächtnisses vs. Erinnerung eingibt. ,,Das Gedächtnis speichert Gelerntes oder Erlebtes, indem es innerhalb von Stunden oder Tagen so genannte Engramme bildet, also Erinnerungsspuren verfestigt. Wird dieser Prozess der Konsolidierung gestört, etwa durch einen zünftigen Alkoholrausch, Medikamente oder Stress, dann verfliegt die Erinnerung.“17 Der Fokus liegt hier an der Theorie Gedächtnis- Erinnerung-Vergessen. Man sollte bewusst sein, dass die Oben erwähnten drei Termini, ohne sich nicht funktionieren können. Das ist ein natürlicher Prozess, dass im Gehirn des Menschen oder auch des Individuums geschieht. Es folg, dass wir nicht nur im Stande sind unsere ErinnerungenBewusstsein zu kodieren, aber auch zu modifizieren, drängen und sogar verlieren. 15 Ebd.2002. S. 36 f. Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. In: Erwägen. Wissen. Ethik. 13/2002. S. 37. 17 Fried, Johannes: Gehirn macht Geschichte. Wie wahr sind Erinnerungen? In: Gehirn & Geist. Heft 5/2005. S.56. 16 8 2.1 Gedächtnisformen nach Aleida Assmann 2.1.1 Das individuelle Gedächtnis Der ankommende Beitrag wird dem Begriff Gedächtnisdiskurs gewidmet, dass in verschiedene Gedächtnisformen gegliedert wird.18 Wenn es von dem Gedächtnis gesprochen wird, sollte man am Anfang Maurice Halbwach erwähnen, der den Begriff des kollektiven Gedächtnisses eingeführt hat. Den Diskurs des Kollektivs haben aber Aleida Assmann und Jan Assmann genauer recherchiert. Beide haben Ende der 1980er Jahre den Begriff des kulturellen Gedächtnisses geprägt. Es wurde die Kultur mit dem Gedächtnis systematisch verbunden ,,begrifflich differenziert und theoretisch fundiert aufgezeigt.“19 Sie richteten den Fokus auf den Zusammenhang von kultureller Erinnerung, kollektiver Identitätsbildung und politischer Legitimierung. Obwohl die Assmanns oft zusammenarbeiten, hat jeder von ihnen eine verschiedene Meinung zu dem kollektiven Gedächtnis. Jan Assmann stellt in seinen Untersuchungen das kommunikative Gedächtnis oberhalb des kulturellen Gedächtnisses. Aleida Assmann hingegen konstatiert das kulturelle Gedächtnis über das kommunikative Gedächtnis. Die Wissenschaftlerin hat die Position geäußert, dass ohne die Erinnerung Menschen keine Individuen wären und nicht mit Anderen kommunizieren könnten. Unsere Erinnerungen sind die wichtigste Quelle, die wir besitzen. Das sind unsere eigenen Erfahrungen, Beziehungen, ganz zu schweigen davon, dass sie unsere Identität bilden. Neurologen und kognitive Psychologen entwerfen ein Bild von unserem Gedächtnisvermögen. Ihrer Meinung gehören ,,Erinnerungen zum Flüchtigsten und zu Unzuverlässigsten […].“20 In dem Kurzzeitgedächtnis schlummern Erinnerungen, die eines Tages von dem Individuum geweckt werden können. In den verfügbaren und unverfügbaren Erinnerungen birgt sich eine Art von Erinnerungen, die unzugänglich und verschlüsselt sind, die als Verdrängung und Trauma dargestellt werden. Es ist schwierig ohne Hilfe sie wieder in unser Bewusstsein herbeizurufen. Das individuelle 18 Assmann, Aleida. Frevert, Ute: Geschichtvergessenheit – Geschitsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlag-Anstalt. 1999. S. 36. 19 Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart. Weimar: Metzler. 2005. S. 27. 20 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Verlag: C. H. Beck. München. 2006. S. 24. 9 Gedächtnis wird durch bestimmte Merkmale aufgerufen. ,,Erstens sind (die Erinnerungen) grundsätzlich perspektivisch und darin unaustauschbar und unübertragbar.“21 Gerade ist es die Erinnerungsfähigkeit, die uns dazu bringt Fragen zu stellen, die den Menschen zu Menschen macht.22 Ohne sie wäre es undenkbar ein Selbst des Individuums zu bauen.23 In dem Organ – Gehirn, stecken Erinnerungen, die divergent sind. Diese bilden persönliche Lebensgeschichten, die eine Wahrnehmungsposition einnehmen. Die Geschichten der Individuen können deshalb verschieden sein, weil jeder sein eigenes Selbst besitzt und die Geschichten aus der eigenen Perspektive darstellt. Von daher lässt sich sagen ,,Erinnerungen existieren zweitens nicht isoliert, sondern sind mit den Erinnerungen anderer vernetzt.“24 Infolgedessen lässt sich deuten, dass sogar die meist individuellen Erinnerungen, durch eine Kommunikation sozialer bzw. kollektiver Gruppen entstehen.25 Mit dem Verbinden und Überlappen haben diese Strukturen einen bedeutsamen Einfluss auf sich selbst. Nicht nur der Zusammenhang und Glaubwürdigkeit, sondern auch Aspekte wie Verbindung und Gemeinschaftsbildung wirken besonders hier. Daher ,,drittens sind Erinnerungen für sich genommen fragmentarisch. d.h. begrenzt und ungeformt.“26 In der Regel werden die Erinnerungen in nicht kohärente Bilder, Momente aufgeschnitten. Nachhinein durch erzählen, erhalten sie eine stabile, logische Form. Was aber bedeutend ist, dass die Erinnerungen viertens, als flüchtig und labil auftreten können.27 Im Fortgang der Zeit kommt es nicht nur zu Veränderungen der Erinnerungen, denn sie können auch verblassen oder sogar verloren gehen. Die Relevanz und das Bewertungsmuster ändern sich. Für eine Person können die wichtigsten Ereignisse an ihrer Bedeutung verlieren. Durch das ständige wiederholen der Erzählungen, werden sie dadurch am besten eingeprägt. Doch mit dem Tode eines Trägers, kommt es zu verblassen der erzählten Geschichte. Daniel Schacter hat sich über das Verblassen von Erinnerungen auf folgende Art und Weise geäußert. 21 Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S.184. Vgl. Welzer, Harald: Das soziale Gedächtnis: Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hamburger Edition. 2001. S. 103. 23 Vgl. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Verlag: C. H. Beck. München. 2006. S. 24. 22 25 Vgl. Didi-Huberman, Georges: Die Ordnung des Materials. Akademie Verlag. 1999. S. 35. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S. 184. 27 Vgl. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S. 184. 26 10 ,,Kann man davon ausgehen, dass Erinnerungen dann verschwinden, wenn sie nicht in Anspruch genommen werden; möglicherweise lösen sie die synaptischen Verknüpfungen der entsprechenden Engramme auf, wenn die Erinnerung nie abgerufen wird.“28 Das Gedächtnis als eine Einheit der Erinnerungen des Menschen, wird mit der Sprache konfrontiert, die genauso in die Person hineinwächst. Es ist zweifellos, dass die Sprache als eine Stütze für das Gedächtnis ist. ,,Das Kommunikative Gedächtnis entsteht demnach in einem Milieu räumlicher Nähe, regelmäßiger Interaktionen, gemeinsamer Lebensformen und geteilter Erfahrungen.“29 Im Gegensatz zum individuellen Gedächtnis, besteht das Generationen-Gedächtnis, aus einer größeren Menge von individuellen Mini-Gedächtnissen. 2.1.2 Das Generationen Gedächtnis Im zweiten Aspekt wird von Aleida Assmann das Generationen-Gedächtnis angesprochen. Sie betont, dass auf die Ausbildung der menschlichen Identität viele Faktoren einen Einfluss ausüben. Zu diesen zählt man vor allem: den Familien- und Bekanntenkreis. Darüber hinaus werden die autobiographischen Erinnerungen von den Menschen beeinflusst, die wir nicht kennen. Oft sind das Persönlichkeiten, Vorgänge, die von relevantem Belang sind.30 Nach der Position von A. Assmann, gehören die Individuen zu gemeinsamen Erinnerungen der Gemeinde, ihrer Stadt und der ganzen Generation31. Durch das Zeitvergehen verändert sich in einer natürlichen Weise das Gedächtnis mit der heranwachsenden Gesellschaft, die das Erinnerungsprofil steuert. Nach einer gewissen Periode verschieben sich die Erinnerungen und bestimmte Aspekte übernehmen den Platz von den älteren, die nicht mehr so wichtig für diese Generation sind. 28 Markowitsch. Hans. J./ Welzer. Harald: Das autobiographische Gedächtnis. Stuttgart: Klett. 2005. S. 28. 29 Aleida Assmann geht hier auf Maurice Halbwachs zurück. ( Halbwachs. Maurice. Les cadres sociaux de la mémoire. 1925 (Ndr. 1975, mit Vorwort von F. Chátelet. Archontes. Bd.5). 2002. S. 185. 30 Vgl. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Verlag: C. H. Beck. München. 2006. S. 26. 31 Vgl. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S. 185. 11 ,,Dann stellt man rückblickend fest, daß sich mit dem Dominanzwechsel der Generationen eine bestimmte Atmosphäre von Erinnerungen und Werten, Hoffnungen und Obsessionen aufgelöst hat und neue Prägungen an ihre Stelle getreten sind.“32 Dennoch, ist das Rezipieren der Erinnerungen nicht nur von fremden Menschen bedeutend. Die nächsten Verwandten können unser Gedächtnis, beziehungsweise Erinnerungen auch lenken. Die persönlichen Erinnerungen existieren auch in einem spezifischen Zeitraum. Diese Zeit wird durch verschiedene Generationen gebildet, die in der Regel in drei oder auch in fünf auftreten. Es kommt zu einem Austausch von Erfahrungen, Erinnerungen und Erzählgemeinschaften. Durch das Weitergeben der Informationen, dehnt sich die Kapazität eigener Erinnerungen aus. Familienmitglieder bekommen Erinnerungen der älteren Generation, die sich mit derer eigenen Erinnerungen schräg übereinander schlagen. Von daher lässt sich sagen ,,dieses DreiGenerationen-Gedächtnis ist ein existenzieller Horizont für persönliche Erinnerungen und entscheidend für die eigene Orientierung in der Zeit“. 33 Im Laufe der Zeit, werden die erhaltenen Informationen in eine verschwommene Erinnerung geformt, die dazu führt, dass sie sich langsam auflösen und Platz für die nachfolgende Generation machen. Diese eingesammelten Erinnerungen, die langsam in Vergessenheit geraten, werden immer noch durch Objekte wie Fotos, Möbel, etc. aufgerufen. Obwohl die Objekte für das Individuum greifbar sind, sollte man auch betonen, dass es zu einen Punkt kommen kann, wo gerade nicht der Gegenstand, sondern Erinnerungsfetzen, also einzelne Erzählungen zu einen Erinnerungsbezug führen können z.B. zu einer früher gebildeten Geschichte unserer Familie. So ist es konstatiert, dass es fast unmöglich ist, die schon gebildeten Erinnerungen in der z.B. Kindheit mit anderen Details wie Bilder, die eigentlich die Realität zeigen, zu ändern und sich bewusst zu werden, dass wir dieses Bild mit anderen Augen früher gesehen haben.34 Jedes Individuum wird nicht nur mit eigenen Erfahrungen kooperieren, sondern auch mit den Erinnerungen der Gesellschaft, in der es sich befindet. In diesem Fall, versteht man, dass das individuelle Gedächtnis nicht alleine existiert. Es wird auch von den Erfahrungen und Erinnerungen der Generation bestimmt, in der es sich befindet. Man stellt fest, dass Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren sehr aufnahmefähig für Erfahrungen sind. Diese eingeprägten 32 Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. 2002. S. 185. Ebd. 2002. S. 185. 34 Vgl. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. 2002. S. 185. 33 12 Erinnerungen sind viel kräftiger verankert, im Gegensatz zu den Erinnerungen der älteren Personen, die Schwierigkeiten haben, Informationen zu behalten. Sie haben einen großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung. Die Entwicklung der Persönlichkeit, ob sie gewollt oder auch ungewollt ist, wird mit dem Generationengedächtnis und der Generationen-Identität verflochten. Die Funktionen, Rollen und Eigenschaften des Generationen-Gedächtnisses werden zum Teil beibehalten, aber zum Teil im kollektiven Gedächtnis weggeworfen.35 2.1.3 Das kollektive Gedächtnis In dem Artikel „Vier Formen des Gedächtnisses“ sprich Aleida Assmann noch den Aspekt des kollektiven Gedächtnisses an. Nach der Wissenschaftlerin ist der Begriff des kollektiven Gedächtnisses keine Illusion.36 Der Prozess von dem individuellen zum kollektiven Gedächtnis, den Aleida Assmann beschreibt, gilt als ein komplizierter Analogieschluss. Die Problematik besteht darin, dass die Grundlage des kollektiven Gedächtnisses mit den Aspekten des individuellen sich nicht gleicht. Infolgedessen verfügen ,,Institutionen und Körperschaften nicht über ein Gedächtnis nach der Art des individuellen Gedächtnisses, denn es gibt dort nichts, was der biologischen Grundlage, der anthropologischen Disposition und den naturwüchsigen Mechanismen des Erinnerns entspräche.‘‘37 Demzufolge entstand ein neues wissenschaftliches Fachgebiet, welches unter anderem eine neue Methodologie etabliert hat, die mit dem Gedächtnis Phänomen verbunden ist. Es soll auf tägliche ergreifende Erscheinungen aufmerksam machen. Man unterstreicht, dass die beiden Gedächtnisse sich nicht gleichen. Dennoch gibt es unter denen, eine gemeinsame Zusammenarbeit. Institutionen und Körperschaften, die kein Gedächtnis besitzen, machen sich eines, und das durch beziehungsweise Zeichen, Texte, Bilder, Riten, Orte, etc. Dadurch wird das Individuum auf bestimmte Gedächtnisinhalte eingeschworen und zu einem Träger des kollektiven Gedächtnisses gemacht. Dieser 35 Ebd. 2002. S. 185. Vgl. Hillenbrand, Anne-Katrin: Erinnerung Und Raum: Friedhöfe und Museen in der Literatur. Königshausen & Neumann. 2001. S. 11. 37 Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S. 186. 36 13 Prozess bildet den Institutionen und Körperschaften eine Identität. Signifikant werden drei Strukturen des kollektiven Gedächtnisses von dem individuellen unterschieden. Nach Aleida Assmann ist das Gedächtnis ,,nicht auf Vernetzung, Anschlußfähigkeit und gegenseitige Bestätigung angelegt, sondern tendiert im Gegenteil eher zur polemischen Gegenkonstruktionen zu bestehenden anderen kollektiven Gedächtnissen.“38 Die bewusste und logische Relevanz des kollektiven Gedächtnisses entsteht erst durch Erzählungen, Mythen und Legenden, die eine bestimmte narrative Struktur diesem Phänomen liefern. Im Gegenteil zu dem individuellen Gedächtnis, stützt sich das kollektive Gedächtnis auf tägliche Symbole, die in dem Bewusstsein der Menschen fixiert und über Generationen überliefert werden. Im Gegenteil zum Generationen-Gedächtnis wird das kollektive Gedächtnis von Trägern unterstützt, die bestimmte Erinnerungen in der Folgezeit fixieren. Die neue Generation wird durch gewisse Symbole, Monumente, Denkmäler und Riten dazu verpflichtet, sich zu erinnern. Durch diese tastbaren Embleme und kontinuierliche Wiederholung der Feiertage, wird im Bewusstsein des Menschen und der neuen Generationen das Erinnern fest verankert. Es werden aber auch Gemeinsamkeiten dieser Gedächtnisaspekte betont. Beide, das individuelle genauso wie das kollektive Gedächtnis werden perspektivisch organisiert. Sie nehmen nicht Beliebiges auf, sondern sind eher wählerisch. Das Phänomen des Vergessens, das mit Gedächtnis genauso, wie Erinnern verbunden ist, zählt als ein konstitutiver Teil des individuellen, wie als auch des kollektiven Gedächtnisses. Somit stützt sich Aleida Assmann auf die Worte von Nietzsche, der den Begriff, Horizont‘ einführt. Er interpretierte das, als eine Ansicht verbundene Eingrenzung des Sichtfeldes. Ein anderer Aspekt den Nietzsche artikuliert, ist die sogenannte plastische Kraft des Gedächtnisses. An dieser Stelle wollte er erläutern und hervorheben, dass es eine Grenze zwischen dem Erinnern und Vergessen gibt. Sie filtert das was wichtig vom unwichtigen für unser Bewusstsein ist. Ohne diesen Prozess, würde es nicht zu einer Identitätsbildung und Handlungsorientierung kommen. Aus seiner Ansicht, zu viele Informationen verursachen, die in dem Wissensspeicher verlagert sind, eine Aufweichung des Gedächtnisses, was zu einem Schaden und Defizit eigener Identität führen kann.39 Im weiteren Aspekt wird von Assmann das kollektive mit dem nationalen Gedächtnis konfrontiert. Es geht um ein Bild, dass eher die positiven Ereignisse prägt, anstatt auch über die traumatischen Erinnerungen zu 38 39 Ebd. 2002. S. 186. Vgl. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. 2002. S. 186. 14 sprechen. Die von Assmann erwähnten Sieger- und Verlierer Gedächtnisse immunisieren gegen alternative Wahrnehmungen von Geschichte.40 Unter diesen entstandenen Umständen, bildet die Nation ihre Identität auf der Opfer-Bewusstsein Grundlage. Die Erinnerungen bleiben immer wach, weil sie mit einem erlittenen Unrecht verwurzelt sind. Die Erscheinung des kollektiven Gedächtnisses wird von Markowitsch und Simon folgendermaßen resümiert. ,,Egal, wer die wirklichen Täter oder Anstifter waren, das Gedächtnis der Nation kristallisiert sich schließlich um die Achse von Unrecht und Opfererfahrung.“41 Man sollte mit dem Opferbegriff bedacht sein, auf Grund der falschen Interpretation, kann es zu einem Missverständnis kommen. Opfer bedeutet nicht Sieger. So sollte man diese Begriffe unterscheiden können, dass das Gegenteil von Opfer der Täter ist, und für die Besiegten, Sieger sind. Diese Aufteilung der Gruppen, ist sehr bedeutungsvoll, weil sie bestimmten Formen von Erinnerungen gleichen.42 Man muss bewusst sein, dass sich der Vergleich einer Entwicklung des Opfer- und Tätergedächtnisses deutlich von einander unterscheidet. Es war immer einfacher über Opfer und die traumatischen Ereignisse zu sprechen, als mit den Tätern von ihnen über den begangenen Mord. Beispielsweise im Beitrag von Harald Welzer ,,Kriege der Erinnerung“ 43 erwähnt er, dass die ältere Generation, als sie in einem Projekt, als Antisemiten oder sogar Kriegsverbrecher dargestellt wurde und eine Geschichte aus dieser Perspektive erzählten, wurde die Geschichte trotzdem von der jungen Generation umgedreht und Oma und Opa als Helden dargestellt. Meistens, in diesen Geschichten haben sie sich zu heroischen Gestallten verwandelt. Die jüngere Generation, die keine eigenen Erinnerungen aus dieser Zeit besitzt, glaubt und ist sogar stolz auf Großmutters heldenhafte Haltung. Hiermit kommt es zu einer Fixierung der erzählten Erinnerungen, die stark im kollektiven Gedächtnis verankert werden. Im weiteren Abschnitt, wird das kollektive Gedächtnis Folgens dargelegt. ,,Erst allmählich bilden sich Formen einer kollektiven Erinnerung, die nicht mehr in die Muster einer nachträglichen Heroischen und Sinnstiftung fallen, sondern auf universale Anmerkung von Leiden und Überwindung lähmender Nachwirkungen angelegt sind. Damit verbunden 40 Vgl. Assmann, Aleida. Frevert, Ute: Geschichtvergessenheit – Geschitsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlag-Anstalt. 1999. S. 42. 41 Andrei S. Markovits, Siemon Reich: Das Deutsche Dilemma. Die Berliner Republik zwischen Macht und Machtversicht. Berlin. 1998. 41. 42 Vgl. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. 2002. S. 187. 43 Welzer, Harald: Kriege der Erinnerung. Wie wahr sind Erinnerungen? In: Gehirn & Geist, Heft 5/2005. S. 44 f. 15 kommt es auch zu einer neuen Bearbeitung der Schuld der Täter in der Erinnerung der Nachkommen, die die dunklen Kapitel ihrer Geschichte nicht mehr mit Vergessen übergehen können, sondern für diese Verantwortung übernehmen, indem sie sie im kollektiven Gedächtnis stabilisieren und ins kollektive Selbstbild integrieren.“44 Man kann feststellen, dass die grammatischen Regeln des kollektiven Gedächtnisses sich mehr ausgedehnt haben. ,,Das Prinzip der Auswahl und Horizontbildung, gilt weiterhin, doch ist die Scheidenlinie, die das Lebensdienliche vom nicht Lebensdienlichen sonderte, als alleinig herrschendes Auswahlkriterium problematisch geworden.“45 In der Zukunft wird es verlangt, dass das neue Bewusstsein die Erinnerungen mit anderen Augen betrachten soll. Also das Erinnern soll zwischen dem Opfer und Täter zu einer friedlichen Koexistenz führen. Es kann aber der Fall sein, dass die Dichotomie Opfer-Täter das kollektive Gedächtnis übersteht und ins kulturelle Gedächtnis transportiert wird. Was Assmann unter dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses versteht, wird im Folgenden darzustellen versucht.46 2.1.4 Das kulturelle Gedächtnis Im nächsten Punkt beschäftigt sich Aleida Assmann mit dem kulturellen Gedächtnis, dass sich oberhalb des kollektiven Gedächtnisses befindet. Gleicherweise hat es dieselben Aufgaben, sich mit den Erfahrungen und Wissen der alten Generation zu befassen und der jungen Generation ein Langzeitgedächtnis über diese Ereignisse zu bilden. Im Gegenteil zu dem kollektiven Gedächtnis ,,stützt sich das kulturelle Gedächtnis der Industrienationen auf externe Datenspeicher und Institutionen der Gedächtnispflege und Wissensvermittlung.“47 Das kulturelle Gedächtnis bedient sich der Datenspeicher wie Buch und Film, aber auch mit einem Überlieferungsbestand, das aus Artefakten, Texten, Bildern, Architektur, Landschaften, Festen, Skulpturen, Brauchtümern und Ritualen besteht. Durch sie, wird der Überlieferungsbestand 44 Assmann, Aleida. 2002. S. 188. Ebd. 2002. S. 188. 46 Vgl. Assmann, Aleida. 2002. S. 188 f. 47 Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S.189. 45 16 verschlüsselt, der ,,im historischen Wandel einer beständigen Deutung, Diskussion und Erneuerung bedarf, um ihn jeweils mit den Bedürfnissen und Ansprüchen der jeweiligen Gegenwart zu vermitteln.“48 Währenddessen das kollektive Gedächtnis ein Problem mit der Vereinheitlichung und Instrumentalisierung hat, kämpft das kulturelle Gedächtnis mit seiner Auslagerung, die dazu bringt, dass es zu einer Entfernung von lebendigem Bewusstsein kommt. Die Prämisse für das kulturelle Gedächtnis ist eine Konservierung und Pflege der Bestände. Aber das wird von dem kulturellen Gedächtnis erst gelungen, wenn es durch ,,individuelle Wahrnehmung, Wertschätzung und Aneignung“49 erreicht. Im Gegenteil zum kulturellen Gedächtnis, ermöglicht das kollektive Gedächtnis den Bürgern, in langfristiger historischer Perspektive überlebenszeitlich in einer Interaktion mit anderen zu sein. Man muss auch erwähnen, dass das kulturelle Gedächtnis im Gegensatz zu dem kollektiven sich der Engführung widersetzt. ,,Die Bestände des kollektiven Gedächtnisses lassen sich nicht vereinheitlichen und politisch instrumentalisieren.“50 Ein Prozess des Aktivierens und Vergessens von Inhalten des kulturellen Gedächtnisses, differenziert Aleida Assmann in zwei Schichten: das Funktions- und Speichergedächtnis. Das Funktionsgedächtnis wird anders als das bewohnte Gedächtnis bezeichnet. Das Funktionsgedächtnis ,,besteht aus bedeutungsgeladenen Elementen, die zu einer kohärenten Geschichte konfiguriert werden können und sich durch Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung auszeichnen. Das Speichergedächtnis hingegen ist das unbewohnte Gedächtnis, eine amorphe Masse ungebundener, bedeutungsneutraler Elemente, die keinen vitalen Bezug zur Gegenwart aufweisen.“51 Bestimmte Artefakte, die durch eine Pflege und Auseinandersetzung nicht ganz verstummen, können von jeder Generation neu vernommen und aufgenommen werden. Es ist besonders wichtig, dass bei dem kulturellen Gedächtnis die Grenzen zwischen dem Funktionsgedächtnis und dem Speichergedächtnis nicht hermetisch sind, sondern in beiden Richtungen überschritten werden können. Elemente die im Funktionsgedächtnis an Interesse verlieren, werden im Archiv gespeichert und andere aus dem Speichergedächtnis ins aktive Funktionsgedächtnis wieder zurück 48 Assmann, Aleida. Frevert, Ute: Geschichtvergessenheit – Geschitsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlag-Anstalt. 1999. S. 49f. 49 Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S.189. 50 Ebd. 2002. S. 189. 51 Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart, Weimar: Metzler. 2005. S. 31. 17 transportiert. Durch solche Aspekte, wie das Erinnern und Vergessen, Bewusstsein und Unbewußtsein, Manifest und Latent, ist das kulturelle Gedächtnis ungleich und wandlungsfähiger, aber auch fraglicher und umstrittener als das kollektive Gedächtnis.52 3. ,,Fiction of memory“ als Gattungtypologie nach B. Neumann 3.1 Zum autobiographischen Gedächtnisroman Fictions of Memory präsentieren ein enormes Spektrum literarischer Repräsentationen von Erinnerung und Identität. Um die Aspekte der Fictions zu verstehen, werden die Formen gattungstypologisch differenziert. Neumann konstatiert, dass es gewisse Indizien in der Rhetorik der Erinnerung gibt, die zu einer Gliederung literarischer Erinnerungs- und Identitätsentwürfe führen können. Demnach deutet die Differenzierung zwischen dem Erinnerungs- und Identitätsentwurf einen Zeitbezug der Fictions of Memory, die mit der Relationierung der Erzählebene verbunden ist. Sie notiert, dass während das Dargestellte von Gedächtnis in der Vergangenheit und die diegetische Ebene in einem zurückliegenden Text oder Handlung Beziehung findet, erscheint die Präsentation von Erinnerungen in der Gegenwart und auf der extradiegetischen Ebene einer Erinnerungselaboration.53 Durch die gemeinschaftliche Stiftung und der rivalisierenden Aushandlung von Vergangenem, wird die Differenzierung zwischen geschlossenen und offenen Perspektivenstrukturen erreichbar. Unterdessen werden ,,Fictions of Memory durch eine geschlossene Perspektivierungstruktur ausgezeichnet, sie veranschaulichen die Kommunalität der Erfahrung einander ergänzender Ausblickspunkte auf ein geteiltes Gruppengedächtnis.“54 Solche Gattungsausprägungen inszenieren eine Differenz um 52 Vgl. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. Erwägen. Wissen. Ethik. Jahrgang 13/2002. S.190. 53 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht (XXXVII/4/2004). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S.342. 54 Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht (XXXVII/4/2004). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S.342. 18 die Deutung der kollektiven Vergangenheit.55 Dadurch werden vier Formen der Fictions of Memory in vier Komponente differenziert: der autobiographische Gedächtnisroman, der autobiographische Erinnerungsroman, der kommunale Gedächtnisroman und der soziobiographische Erinnerungsroman. Im autobiographischen Gedächtnisroman steht die Vergangenheitserfahrung des erzählenden/ erzählten Ichs im Zentrum.56 Dabei wird die persönliche Vergangenheit des Protagonisten durch sinnstiftende Erzählakte in ein stabiles Gedächtnisnarrativ vereinigt.57 Mit Hilfe von Rückblenden, kommt zu einer Geschlossenheit und Chronologie vergangener Erlebnisse. ,,Im erinnernden Rückblick schlägt das erzählende Ich eine bedeutungsstrukturierende Brücke zwischen den im Laufe der Zeit eingetretenen Veränderungen und bringt die komplexen Transformationen zwischen dem ,,self that was’’ und dem ,,self that is” in eine plausible und aneignungsfähige Form.”58 In dem autobiographischen Gedächtnisroman verlaufen die Rückblenden chronologisch. Es entsteht eine Ausdehnung des Bogens von dem Beginn der erzählten Geschichte bis zum Zeitpunkt des gegenwärtigen Rückblicks und damit wird die Vergangenheit kontinuitätsstiftend an die gegenwärtige Zeit des Erzählenden Ichs verbunden.59 Dadurch scheint ,,die gegenwärtige Identität so fast folgerichtig und zwangsläufig aus den vergangenen Ereignissen hervorzugehen”.60 Die Darstellung des entstandenen Individuums findet in der Vergangenheitsorietierung, also auf der diegetischen Ebene der laufenden Geschichte einen Niederschlag. In diesem Beispiel von Roman liegt der Akzent zeitlich rückblendend, wo das erzählende Ich die mit seinen eigenen Ereignissen 55 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität Gegenwartsromanen. 2004. S. 342. 56 Ebd. 2004. S. 342. 57 Ebd. 2004. S. 343. 58 Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität Gegenwartsromanen. 2004. S. 343. 59 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität Gegenwartsromanen. 2004. S. 344. 60 Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität Gegenwartsromanen. 2004. S. 343. in englischsprachigen in englischsprachigen in englischsprachigen in englischsprachigen 19 auf der autodiegetischen Ebene liegt, in ein abgeschlossenes Erlebniszusammenhang überführt wird.61 Dementsprechend ,,wird die Ebene des Erinnerungsabrufs nur minimal ausgestaltet, so dass der konstruktive Charakter von retrospektiver Sinnstiftung kaum zutage tritt und die Ebene der Handlung als von gegenwärtigen Dispositionen des Erzählers unabhängig erscheint. Unterstützt wird diese Authentizitätssuggestion durch die dominant interne Fokalisierung des Vergangenen und die damit verbundene Inszenierung von field of memories, die den Eindruck einer episodenhaften Unmittelbarkeit der Vergangenheit evozieren.”62 Unter dem Begriff Detailrealismus, wird die Glaubwürdigkeit der nacherzählten Geschichte durch gewisse Prinzipien angedeutet. Damit das funktioniert, müssen Orte und Zeiten aus der Vergangenheit, wie auch die Verwendung von Temporal- und Lokaleiktika beschrieben werden.63 Die diegetische Ebene, die die erlebten Erfahrungen des erzählten Ichs besitzt, liefert ihm die Antwort oder erklärt auch das Gewordensein seiner Identität.64 Hiermit werden ,,der Anfang der Lebensgeschichte, ihre Höhe- und schicksalhaften Wendepunkte vor dem Hintergrund eines bereits bekanntes Endes gedeutet.”65 Neumann bezeichnet das als ,,retrospektive Teleologie”66, wo die Handlung der Geschichte als eine geschlossene Plotstruktur auszeichnet ,,die dem Dargestellten ein besonders hohes Maß an Plausibilität verleiht und die temporal und sinnstiftende Kluft zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem überbrückt.”67 In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der Detailrealismus und die retrospektive Teleologie dual agieren um der sinnstiftenden Vergangenheitskonstruktion und der Identitätskonstitution gemäß Erinnerung zu verstärken.68 Demnach wird ,,die konstitutive Dualität von erzählendem und erlebendem Selbst im autobiographischen Gedächtnisroman durch den gelungenen Sinnstiftunsprozeß aufgehoben”.69 In diesem 61 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory:Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. 2004. S. 343. 62 Neumann, Birgit. 2004. S. 343. 63 Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 343. 64 Ebd. 2004. S. 343. 65 Neumann, Birgit. 2004. S. 343. 66 Ebd. 2004. S. 343. 67 Ebd. 2004. S. 343. 68 Vgl. Neumann, Birgit 2004. S. 343. 69 Neumann, Birgit. 2004. S. 343. 20 Zusammenhang, wo ein strukturierendes Erzählen vorkommt, verleiht es der Figur stabile Identität und bewirkt eine autobiographische Kohärenz.70 3.2 Zum autobiographischen Erinnerungsroman Der autobiographische Erinnerungsroman problematisiert aktuelle Bedingungen von Sinnstiftung.71 Im Zentrum dieses Romans steht eine Offenheit eines situativ gerahmten Erinnerungsprozesses. Auf diese Weise wird eine Verlagerung des Akzents verbunden, die von der diegetischen Ebene des Erinnerten auf die extradiegetische Ebene der Erinnerungselaboration fixieren.72 Daraufhin nutzen autobiographische Erinnerungsromane ,, die Rhetorik der Erinnerung und Identität dazu, die Konstruktivität sowie die Grenzen der Sinnstiftung selbstreflexiv offen zu legen und die Prozesse der Vergangenheitsaneignung in den Vordergrund zu rücken. Sie kombinieren involvierte Erinnerunsperspektiven mit kritischreflektierenden und erheben damit das ,,Wie” des Erinnerns zum zentralen Gegenstand.”73 Darüber hinaus, lotet in der Vergegenwärtigung der zurückliegenden Erfahrung, der homodiegetische Erzähler die Konnotation des Vergangenen erst aus und sucht nach prägenden Mustern. Durch das Verlagern des Akzents auf der Ebene des Erinnerungsabrufs, geht für diese Gattung der Romane eine Tendenz einher, Vergangenes extern zu fokalisieren. Die observer memories inszenieren, dass die sinnstiftende Instanz, die Erinnerungen von gegenwärtigen Handlungsanforderungen sie überformt. Deswegen werden ,,in metamnemonischen Reflexionen die Perspektivität und Konstruktivität von Erinnerungen zudem explizit thematisiert.”74 Charakteristisch für den autobiographischen Erinnerungsroman ist das, dass die Chronologie des faktischen Ereignisablaufs zugunsten der verknüpfenden Funktionsweise von Erinnerungen aufgebrochen wird, so dass unterschiedliche Zeitebenen nebeneinander stehen. Das ständige Schwanken zwischen dem Jetzt des Erinnerungsabrufs und den 70 Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 343 f. Ebd. 2004. S. 345. 72 Ebd. 2004. S. 345. 73 Neumann, Birgit. 2004. S. 345. 74 Ebd. 2004. S. 346. 71 21 differenten Dimensionen der Vergangenheit erklärt die Schwierigkeit, die Heterogenität der vergangenen Erfahrungen der Realität in einen kohärenten und kontinuitätsstiftenden Zusammenhang zu überführen. Auch solche Ereignisse, die Mehrfachthematisiert werden, weisen auf eine Polyvalenz bzw. eine Unverfügbarkeit der eigenen Vergangenheit des Individuums nach. Deshalb verweisen Divergente ,,zumeist widersprüchliche Elaborationen der gleichen Begebenheit auf die Perspektivität von Sinnstiftung und zeigen, dass Erinnerungen niemals endgültige Antworten auf die Frage nach dem Gewordensein der individuellen Identität liefern. Die temporal Diskontinuität und narrative Inkohärenz lassen die inszenierte Lebensgeschichte als einen Prozeß des Interpretierens und Reinterpretierens vergangener, identitätsrelevanter Begebenheiten erscheinen.”75 Im autobiographischen Erinnerungsroman fungiert der Handlungsverlauf durch seine nicht-teleologische, offene Plotstruktur. ,,Vergangenes und gegenwärtiges Ich bleiben einender fremd, wodurch die individuelle Identität als instabiles und immer nur vorläufig Konstrukt erscheint.”76 Anschließend resultiert ,,aus der grundsätzlichen Standortgebundenheit eines in das vergangene Geschehen emotional einschließenden Erzählinstanz eine Affinität beziehungsweise eine Wesensverwandschaft des autobiographischen Erinnerungsroman zu Formen von unreliable narraton.’’77 Unreliable Narration schildert, in welchem Maβe Erinnerungen von idiosynkratrischen Interessen geprägt sind und problematisiert den engen Grad, der zwischen einer Findung und Erfindung von Vergangenem liegt. Es entstehen Fragen nach dem Wahrheitsgehalt in dem autobiographischen Erinnerungsroman. Wie es A. Assmann betont, geht es bei dem Erinnern ,,nicht primär um das, was war [geht], sondern um das was im autobiographischen Prozeß daraus gemacht wird und stellt damit die Vorstellung einer einzigen, wahren Lebensgeschichte in Frage. Inszeniert wird der Eindruck der grundlegenden Perspektivität von Erinnerungen in 75 Ebd. 2004. S. 346. Ebd. 2004. S. 346. 77 Ebd. 2004. S. 346. 76 22 zahlreichen autobiographischen Erinnerungsromanen durch Verfahren der strukturellen Multiperspektivität.”78 Durch die intertextuelle bzw. intermediale Referenz werden kontradiktorische Perspektiven importiert, die die Vergangenheit, die von der Erzählinstanz präsentiert wird, kritisch perspektiviert und die Vorläufigkeit jedes einzelnen Sinnstiftungsversuchs unterstrichen. In dem autobiographischen Erinnerungsroman werden Sinn- und Identitätsstiftung zu krisenhaften und prekären Phänomenen, die sich durch einen offenen, provisorischen und unabschließbaren Charakter auszeichnen.79 3.3 Zum kommunalen Gedächtnisroman Nach der Besprechung des autobiographischen Erinnerungsromas, geht Neumann in ihrem Beitrag zu dem kommunalen Gedächtnisroman über. Sie ist der Meinung, dass das Gedächtnis nicht nur auf individueller, aber auch auf der kollektiven Ebene Identität stiftet. Das gemeinsame Anwenden der Vergangenheitsaneignung erzeugt einen Ausgangspunkt, dass zu der Entstehung eines überindividuellen Gedächtnis führt, das kollektive Identitätsmuster und Selbstverständnisse rahmt.80 Sie betont, dass diese Gedächtnisse, die zum Kollektiven gehören, die nach einer innen Gemeinschaft stiften, werden auf der Ebene der Gesellschaft mit weitreichenden politischen Interessen und Geltungsansprüchen verbunden. Das Besitzen von Erinnerungen, die zu einer gruppenspezifischen Vergangenheit gehören, werden für viele zum Ansatzpunkt politischen Agierens, deren Erfahrungen in einem öffentlichen Gedächtnisraum nicht oder nur verkürzt repräsentiert werden.81 Das, was den kommunalen Gedächtnisroman besonders auszeichnet, ist dass im Zentrum solcher Gattung eine Aktualisierung und Aneignung einer kollektiven Vergangenheit steht. Im Anschluss an solche Romane, die zu dieser Gattungsausprägung gehören 78 Brockmeier 1999: 25. zit. nach Neumann, Birgit. 2004. S. 346. Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 346. 80 Ebd. 2004. S. 349. 81 Ebd. 2004. S. 349. 79 23 ,,inszenieren sie den Versuch einer partikularen Gruppe, durch eine Struktur von geteilten Vergangenheitsreferenzen in z.B. Geschichtne, Riten oder Ritualen ein überindividuelles Gedächtnis zu konstituieren und auf diese Weise vormals Vergessens zu revitalisieren.“82 Es handelt sich oft bei dem Gedächtniskollektiv um eine kulturelle Minderheit, deren Gruppenidentität, die durch Erfahrungen einer gesellschaftlichen Marginalisierung beschädigt wurde. Bei dem Kommunalen Gedächtnisroman werden fiktionale Privilegien der Selektion benutzt, um den verdrängten Erinnerungen Gehör zu verleihen, um sie in die Kultur der Erinnerung zu fixieren. Diese Gattung von Roman, mit Hilfe von literarischen Mitteln konstituiert ein imaginatives Gegengedächtnis, das Vergangenheitsdeutungen kritisch perspektiviert und daraufhin die etablierte Grenze, die zwischen dem Erinnern und dem Vergessen steht in Frage stellt.83 Neumann stützt sich mit dem Begriff communal voice84 und meint, dass die zurückliegenden Erfahrungen mit ,,diesem” Begriff reaktiviert werden, also von einer Erzählinstanz, die als Sprachrohr einer Gedächtnisgemeinschaft auftritt und deren Erfahrungen, Werthierarchien und Identitätskonzepte zur Geltung bringt. Die communal voice tritt in zwei unterschiedlichen Ausprägungen. ,,Zum einen kann sie sich in heterodiegetischen Erzählungen in der alternierenden Fokalisierung der geteilten Vergangenheit, also in der Darstellung sich wechselseitig ergänzender Perspektiven manifestieren.”85 Die Kommunalität der gemeinsamen Vergangenheit wird durch kollektive Fokalisierung inszeniert. Hier macht die Innendarstellung gemeinsame Erfahrungen und Sinndeutungen einer Gedächtnisgemeinschaft deutlich. Der andere Aspekt, der von Neumann angeführt wird, ist das communal voice, dass als ein homodiegetischer Erzähler im Text erscheint, der seine ,,Erfahrungen als exemplarischen Ausblickspunkt auf das Kollektivgedächtnis einer Gruppe inszeniert und in struktureller Hinsicht einem Wir-Erzähler ähnelt. Individuelle Erinnerungen werden von der communal voice als paradigmatisch für das Gedächtnis eines bestimmten Kollektivs repräsentiert.”86 82 Neumann, Birgit. 2004. S. 349. Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 349. 84 Lanser 1992: 21. Zit. Nach Neumann, Birgit. 2004. S. 349. 85 Neumann, Birgit. 2004. S. 349. 86 Ebd. 2004. S. 349 f. 83 24 Gleichermaßen zeichnet sich der kommunale Gedächtnisroman, wie als auch der autobiographische Gedächtnisroman durch einen dominanten Vergangenheitsbezug aus. Auf der Figurenebene werden die vergangenen Erfahrungen in Form von reaktualisierten Gedächtnisbeständen dargestellt. Das schwache Beleuchten der extradiegetischen Ebene führt dazu, dass sich der konstruktive Charakter der Sinnstiftung verschleiert und eine Authentizität vom gegenwärtigen Interessenlangen unabhängige Vergangenheit suggeriert.87 Die typische interne Fokalisierung des kommunalen Gedächtnisromans akzentuiert die anhaltende, emotionale Virulenz der Erinnerungen. Deswegen vertritt Assmann folgende Ansicht. ,,Neben den gruppenkonstitutiven Erfahrungen gelangt auf der Handlungsebene ein bereits Spektrum Gedächtnis- und gemeinschaftsstiftender Praktiken zur Anschauung: Dialoge der Figuren über die geteilte Vergangenheit, die Darstellung von Gedenkfeiern, Riten und Ritualen gehören in dieser Gattungsausprägung zu den zentralen Strategien, um die gruppenspezifische Vergangenheit ,überlebensblos’ (J.Asmann) präsent zu halten. Intertextuelle und medialeReferenzen spielen gruppenspezifische Gedächtnisbestände ein und leisten einen Beitrag zur Kontinuierung des Kollektivsgedächtnisses.”88 Der kommunale Raum wird durch Semantisierungsstrategien zu einem symbolischen Ausdrucksträger des gruppenspezifischen Gedächtnisses stilisiert, der die Präsenz der Vergangenheit verstärkt. Diese Semantisierung verleiht der Forderung nach Repräsentation, nach einem legitimen Platz in öffentlichen Gedächtnisraum Ausdruck. Neumann unterstreicht, dass die Merkmale in der Gattung von Roman zusammenwirken, um die Kommunalität der Erfahrung darzustellen und die Anerkennung des gruppenspezifischen Gedächtnisses einsetzen.89 87 Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 350. Neumann, Birgit. 2004. S. 350. 89 Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 350. 88 25 3.4 Zum soziobiographischen Erinnerungsroman Im Gegensatz zu dem kommunalen Gedächtnisroman schildert der soziobiographische Erinnerungsroman, dass die Vergangenheitsgliederung nicht nur Gemeinschaft stiftet, sondern auch als Anlass veritabler Erinnerungskonflikte gesehen werden kann. In diesem Roman geht es nicht um eine gemeinschaftliche Tradierung, sondern um die konkurrierende Aushandlung von Vergangenem.90 Die Romane stellen zur Verfügung einen einfachen Einblick in die Mehrheit gesellschaftlich kursierender Sinnstiftungsversuche und kollektiver Identität. Im Gegensatz zu dem kommunalen Roman, der die Authenzität in Vergessenheit eines Gedächtnisfundus insinuiert, legt der soziobiographische Roman die aktuellen Bedingungen von kollektiver Erinnerung bloß und entschleiert sie in ihrer Konstruktivität und Kontingenz. Wenn es bei dieser Gattung von Roman zu einer multiperspektivischen Verfahrung kommt, lösen die Verfahren die Vergangenheit in eine Pluralität verschiedener Erinnerungsversionen auf, die in der jeweiligen Gegenwart um Deutungshoheit konkurrieren. Neumann unterstreicht, dass sich bei den soziobiographischen Erinnerungsromanen die inszenierten Vergangenheitsdeutungen unvereinbar und einander wechselseitig perspektivierend gegenüberstehen. Darauf folgt, dass diese Form von Gattung das Interesse lenkt auf subjektive und gruppenspezifische Brechungen aber auch auf das agonale, denkbar gemeinschaftszersetzende Moment von Erinnerungen. Die kollektiven Erinnerungen werden als zweckgebundene Bedeutungskonstrukte angesehen, die zugleich viel Aufschluss über gegenwärtige Sinnbedürfnisse und Wertevorstellungen transportieren wie über die Vergangenheit selbst.91 Im weiteren Aspekt meint Neumann, dass die Romane sich durch ihre Gegenwartsgebundenheit charakterisieren. ,,Sie problematisieren die gegenwärtigen Bedingungen der Vergangenheitsaneignung und zeigen, welche aktuellen Herausforderungslagen die Konstruktion bestimmter Erinnerungsversionen motivieren. Die Offenlegung der Sinnstiftungsprozesse stellt die Polyvalenz vergangener Erfahrungen heraus und zeichnet Vergangenheitsversionen und die daraus hervorgehenden Identitätsmuster als präsentische Konstrukte aus, die die Spuren der Zwecke ihrer Konstruktion tragen.”92 90 Ebd. 2004. S. 353. Ebd. 2004. S. 353. 92 Neumann, Birgit. 2004. S. 353 91 26 Die Ebene des Erzählens führt zu einem Oszillieren zwischen der Vergangenheit und Gegenwart, was dazu beiträgt, dass die Geschehnisse fragmentiert und inkohärent erscheinen. Es kommt zu einer Grenze der Sinnstiftung, weil die temporalen Diskontinuitäten und narrative Brüche dazu beitragen und auch zeigen, dass es nicht möglich ist, eine Gemeinschaft geltende Vergangenheitsdeutung zu bilden. Im weiteren Aspekt meint Neumann, dass mit der Gegenwartsorientiertheit des Romans eine Tendenz der Metaisierung des Erinnerten einhergeht. ,,Der soziobiographische Erinnerungsroman nutzt die Rhetorik der Erinnerung und Identität zur selbstreflexiven Problematisierung der Modalität von Sinnstiftung.“93 Sie ist der Meinung, dass explizite Thematisierungen der Besonderheiten und Funktionsweisen von kollektiver Erinnerung genauso zu Textrepertoire dieser Gattungsausprägung gehören, wie auch die Reflexionen über gruppen- und epochenspezifische Bedingtheit der Sinnstiftung.94 Anschließend schreibt Neumann, dass metamnemonische Reflexionen den Blick auf die Konstruktion und die Ausschlusskriterien von Kollektivgedächtnissen richten und unterstreichen, dass die Erinnerungen angesichts ihrer unauflöslichen Verwobenheit mit gruppenspezifischen Geltungsansprüchen einer Synthetisierung zu einem Gedächtnis entziehen.95 Es wird hervorgehoben, dass der Streit um die Deutung der Vergangenheit des Kollektivs in solcher Gattung von Roman, sich durch zahlreiche intertextuelle und intermediale Referenzen auf Gedächtnismedien beobachtbar macht. Im weiterem betont A. Assmann. ,,Verfahren der Intertextualität Einblick in das synchrone und diachrone Spektrum gesellschaftlich kursierender Gedächtnismedien liefern und verdeutlichen, dass die Frage welche Vergangenheiten überhaupt erinnerbar sind, von medialen Stützen abhängig ist.”96 Die intertextuelle und intermediale Referenzen werden von dem soziobiographischen Erinnerungsroman benutzt, um eine wirklichkeitskonstutierende Macht von Medien zu reflektieren und Erinnerungskonkurrenzen als ein Streit um mediale Repräsentation im offenen Raum zu problematisieren.97 93 Ebd. 2004. S. 353. Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 353. 95 Ebd. 2004. S. 354. 96 Neumann, Birgit. 2004. S. 354. 97 Vgl. Neumann, Birgit. 2004. S. 354. 94 27 4. Zur Rhetorik der Erinnerung 4.1 Informationen zum Autor Artur Becker . Der Autor, der analysierten Novelle ,,Die Zeit der Stinte“ Artur Becker wird am 7.05. 1968 im polnischem Bartoszyce (Masuren) geboren. Becker kommt aus einer deutschpolnischen Familie. Als junger Mann zieht Becker nach Deutschland um. Er wohnt in Verden an der Aller. Seit 1985, ist er als Schriftsteller tätig. Er spezialisiert sich für Prosa, Lyrik, Aufsätze und Erzählungen. Darunter hinaus arbeitet er als Übersetzer.98 Auf der polnischen Literaturszene, debütiert er 1984 in der Gazeta Olszyńska als Lyriker. In den Jahren 1989 entschied er sich für die Deutsche Sprache, in der er bis heute seine Werke verfasst. Beckers Schreiben, kann man nicht nur in der Frankfurter Rundschau und Rheinischen Merkur finden, aber auch in vielen anderen Zeitschriften. Zu seinen bekanntesten Werken zählt der Roman ,,Der Dadajsee“ (1997), die Novelle ,,Die Zeit der Stinte“ (2006), der Schelmenroman ,,Das Herz von Chopin“ (2006). ,,Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken“ (2008), ist sein neuester Roman, der große Interesse bei den Kritikern weckte.99 Spricht man dennoch von der kontroversen Novelle ,,Die Zeit der Stinte“, muss man das Interview Beckers mit Christiane Nowak zitieren: ,,Wie sind sie auf die Idee zu dem Buch gekommen? Wer oder was hat sie dazu gebracht, diese Geschichte zu schreiben? Ich kannte die Geschichte schon lang und nachdem der letzte Roman, „Kino Muza“, fertig war, erzählte mir mein Vater die Geschichte noch einmal und dann fand ich, dass es jetzt soweit ist. Jetzt möchte ich sie erzählen, weil sie sich tatsächlich auch so abgespielt hat, mit diesem Flugboot, mit dieser Hinrichtung. Ich wusste, ich brauchte dafür noch einen Rahmen von heute. Ich wollte das unbedingt so machen, dass die Enkelkinder darüber nachdenken und das erzählen, um einen Zugang zur Gegenwart zu haben und um so die Vergangenheit zu sehen. Die Geschichte hat mich einfach fasziniert, weil sie faszinierend ist und ich finde auch faszinierend, dass ich so etwas in meinem Leben habe, solche Geschichten, 98 99 Vgl. http://kulturalny.blox.pl/html/1310721,262146,21.html?194011. 03.06. 3009. 20:18. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Artur_Becker_(Schriftsteller). 03.06. 2009. 20:29. 28 die sich an einem See abgespielt haben, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Die Geschichte gehört zu mir, das ist meine Geschichte.”100 Obwohl der Ausschnitt viel zu denken gibt, werden wir nicht in der Analyse auf das Problem eingehen. Trotzdem ist es gut zu erwähnen, dass wahrscheinlich diese Geschichte stattgefunden hat. Im weiteren Aspekt, fragt die Journalistin ob die verlassene Heimat Polen eine Spur an dem Autor hinterlassen hat: ,,Das Besondere ist folgendes: Es gibt Autoren, die schreiben über das Jetzt und es gibt Autoren, die sich vollkommen auf die Vergangenheitsbewältigung konzentrieren und ich glaube, ich bin solch ein Autor, der zu der zweiten Sorte gehört. Ein so genannter Kindheitsautor, der im Grunde genommen verarbeiten muss, was gewesen ist. Zusätzlich komme ich aus einem Gebiet, das eine sehr, sehr geschichtsträchtige Vergangenheit hat. Es gehört eigentlich niemandem, weder den Deutschen noch den Polen, sondern nur den baltischen indianischen Stämmen, die im Zuge der Christianisierung entweder vernichtet oder aufgenommen wurden in die christliche Gesellschaft, von den Litauern und später auch von den Polen. Das ist ein Gebiet, in dem es unheimlich viele Sprachen und Religionen, Vorstellungen gab. Das wirkt sich auf das literarische Gemüt, das literarische Schreiben und Geschichtenerzählen aus. Außerdem ist es eine Landschaft, die sehr urtümlich ist, sehr, wie sagt man, indianisch, archaisch, mit der Natur verbunden - wobei ich mir keinen Pantheismus vorwerfen lassen würde. Ich suche keinen Gott in der Natur, dazu bin ich zu katholisch, der Gott muss schon eine Individualität sein. Ich könnte auch Steine und Bäume verehren, das kann man in einem Gedicht machen, man kann darüber schreiben, das hat aber mit Pantheismus nichts zu tun, glaube ich. ‘‘101 4.2 Zum Inhalt Chrystian Brodd, der Protagonist in der Novelle von Artur Becker ,,Die Zeit der Stinte”, ist ein Spätaussiedler, der mit seiner Familie, als er ein Kind noch war, nach Bremen umgezogen ist. Seine Eltern lebten in den Masuren, in der Stadt Iława, namens DeutschEylau. Der Umzug war für ihn kein traumatisches Ereignis, weil Chrystian in einer 100 101 http://www.arturbecker.de/Presse/varia/artikel008.html. 03.06. 2009. 20:22. http://www.arturbecker.de/Presse/varia/artikel008.html. 03.06. 2009. 20:23. 29 zweisprachigen Familie aufgewachsen ist. Seine Mutter Danusia, war Polin, die Gustaw Brodd, einen Deutschen heiratete. Chrystian hatte sich nie Gedanken gemacht, warum seine Eltern aus den wunderschönen Masuren ausgezogen sind. Diese Geschichte schildert ihm Erwin, sein Onkel, der Bruder seines Vaters. Seine Mutter hatte beschlossen nach Bremen mit der ganzen Familie auszuwandern, nicht nur weil sie ein schwieriges Leben in Polen hatten, sonder sie wollte vor der Liebe, die Erwin zu ihr hatte, wegrennen. Chrystian ist in einem Wohnblock aufgewachsen, wo sein Vater als Hausmeister angestellt ist. Man könnte sagen, dass er ein ganz gewöhnlicher junger Mann ist, der sein Magisterstudium abgeschlossen hat und Katharina geheiratete. Dennoch, war etwas falsch in Chrystians Leben. Seine Frau hat ihn verlassen, sie nahm ihren Sohn Boreas mit und Chrystian ist alleine in Klein-Brooklyn geblieben. Er sollte eine geheimnisvolle Krankheit haben, die er von seinem Opa, der mütterlicher Seite bekommen hat. Die Krankheit zwang ihn manchmal das Haus zu verlassen und z.B. auf dem Bahnhof mit den Obdachlosen zu leben, um neue Erfahrungen zu sammeln. Chrystians Schwächen, waren auch Frauen, die seine Ehe zerstörten. Demzufolge verlor er irgendeinen Sinn zu leben. Er war arbeitslos, seine Frau hatte einen anderen, deswegen wozu sollte er noch auf dieser Erde sein? In den Augen seines Vaters war er ein Verlierer und seine geliebte Mutter lebte nicht mehr. Sie starb tragisch. Am Gustaws Geburtstag, ging sie in den Keller und irgendwie ist sie gestolpert und hat sich das Genick gebrochen. Jedes Jahr, wenn seines Vaters Geburtstag kam, hatten die beiden Schuldgefühle gehabt. Eines Tages hatte sein Vater einen Brief von seinem Bruder Erwin bekommen. Der Brief erzählte, dass eine jüdische Journalistin, Mona Juchelka nach Europa kommt, mit einigen Fragen an die Vergangenheit ihres Großvaters Gerald Juchelka, der wahrscheinlisch Richard Schmidtke, den KZ-Lager Besitzer in den Jahren 1947 ermordet hat. Chrystians Vater wollte damit nichts zu tun haben. Er wollte schnell wie möglich sich Mona loswerden. Er hatte Chrystian dazu verpflichtet, Mona vom Flughafen abzuholen. Und hier beginnt die Geschichte für Chrytian. Da Chrystian eine Schwäche für Frauen hatte, hatte es sehr schnell zwischen den Beiden gefunkt. Mona Juchelka kam um eine Recherche über dieses Ereignis zu machen. Das bedeutete für sie nicht nur mit Gustaw zu sprechen, sondern auch nach Polen zu fahren, sich mit Erwin zu treffen und Stutthof, die kleine Stadt bei Danzig, wo das KZ-Lager war zu erkunden. Mona versuchte Chrystian zu überreden, mit ihr nach Polen zu fahren, doch er hatte abgesagt. Sie hatte noch einige Sachen in Leipzig zu erledigen, deswegen in dieser Zeit hatte Chrystian beschlossen sie zu überraschen. Zwischen Mona und 30 Chrystian kam es zu einer brennenden Affäre. Chrystian war für diese aufregende Reise dafür. Er wollte nur noch so schnell wie möglich weg von seiner Frau, von seinen Problemen, alles nur noch vergessen und mit Mona zu sein. Da er pleite war und sein VW diese lange Strecke nicht machen würde, hatte ihm sein bester Freund Rudi diese Probleme erleichtert. Die beiden sind nach Polen gefahren um Chrystians Onkel Erwin zu besuchen. Mona wollte so gut wie möglich die korrekte Geschichte hören. Das grausame Erlebnis für beide Seiten, also für den Täter und die Opfern war sehr bitter. Die Geschichte war über drei ehemalige Häftlinge des KZ-Lagers, dass Schmidtke führte, als er verstand, dass er zu alt war um mit den Nazis gemeinsam zu kämpfen. Nach dem Krieg hatte sich Schmidtke im Wald versteckt, weil er Angst bekam, dass jemand sich an ihm rechen könnte. Er lebte in diesem Wald, hatte sich schon daran gewöhnt mit den Bäumen zu sprechen. Jeden Tag, kam Johann Brodd, Schmidtkes Koch, der im KZ-Lager die Häftlinge gefüttert hat, ihm Essen zu bringen. Eines Tages kam er zu Schmidtke um ihn zu warnen, dass drei Männer mit einem Flugboot auf dem Geserichsee gelandet sind und nach ihm gefragt haben. Sie hatten Schmidtkes Mutter verprügelt um Informationen zu bekommen wo sich Schmidtke versteckt. Richard Schmidtke war ,,ganz ruhig“, aber in demselben Moment sehr gestresst. Er hatte sich gefragt, wie würden sie ihn töten. Eines wollte er nicht, vergast zu werden. Als die Männer sein Versteck fanden, wollten sie Schmidtkes Urteil sehr langsam durchführen. Sie wollten, dass er genauso leidet wie tausende Häftlinge des KZ-Lagers. Eine lange Zeit hatten sie ihn geprügelt und beschimpft. Danach hatten sie einen Strick um seinen Hals gewickelt und ihn aufgehengt. Nach der Ermordung von Schmidtke, sind die ,,Täter “ zum Geserichsee zurückgekehrt und weggeflogen. Mona und Chrystain sind zu Onkel Erwins Haus angekommen. Mona hat beschlossen sich Schmidtkes KZ-Lager anzusehen. Leider war sie enttäuscht. Auf dem alten KZLager war eine ,,Agroturystyka “ entstanden. Mona hatte begriffen, dass alles sich verändert und vielleicht war es keine gute Idee nach Polen zu kommen. Auch der alte Friedhof, der Deutschen war verdorben. Man konnte die Namen und Daten der Deutschen Bürger nicht lesen können. An Schmidtkes Grab war sein Name, aber unter der Geburt und Tod waren keine Daten gewesen. Mona hatte andere Erwartungen von dieser Reise. Nach diesem Urlaub in den Masuren, wo Mona eine Vorstellung über die Leute bekam, hatte sie verstanden, dass ihr Recherche Weg zu Ende kam. Eines Tages, als Chrystian aufwachte, war Mona Juchelka weg. Er konnte sie nirgendswo finden. Mona war genauso wie die Stinte in dem Geserichsee. Sie erschien sehr schnell und 31 genauso war sie fort. Chrystian war wieder alleine. Sein Leben war zu demselben Punkt gekommen, wie es am Anfang war. Dennoch hatte Chrystian Monas Worte nicht vergessen, die ihm Hoffnung gaben: ,,Ich bin geduldig!“ 102 4.3 Zum Textanfang Im Folgenden soll das Prinzip des Textanfangs in der Novelle ,,Die Zeit der Stinte“ analysiert werden um später die Deixis der Erzählung exakt zu erfassen. Um einen Textanfang zu bestimmen, werden von Carsten Gansel vier Varianten präsentiert:103ab ovo; in medias res; in ultimas res; invocatio.104 Der Anfang der Novelle von Artur Becker beginnt in medias res: ,,Es war die Zeit der Stinte, die durch die Wesser zogen und sich vermehrten. Als Chrystian Brodd mittags mit einem Auge erwachte, war er wie erschlagen: Heute hatte sein Vater Geburtstag, am 4. April 2003, er wurde sechzig; außerdem kam es Chrystian so vor, als ob irgendjemand, der sehr mächtig sein musste, an seinem Leben herumschnipselte wie mit einer Schere. Ihm fehlten plötzlich mehr Tage und Nächte als je zuvor, und das, was blieb, war auch nicht mehr in sicherer Hand: hier am Steintor, in seinem Wohnviertel, das er auf den Namen >>Klein Brooklyn<< getauft hatte – im Gegensatz zu >>Klein-Manhattan<<, wo sein Vater Gustaw wohnte.“105 102 Vgl. Becker, Artur: ,,Die Zeit der Stinte”. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München. 2006 103 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 74. 104 ,,ab ovo“: Der Beginn gibt eine Einstimmung auf die folgenden Ereignisse sowie einen Einstieg in die Handlung. Die Variante tauch meist in der Gattung der Märchen auf (,,Es war einmal…“); ,,in medias res“: Als Einstieg wird ein Zeitpunkt mitten in der Geschichte gewählt und von hier aus wird die Handlung weiter fortgeführt. Der Leser durchschaut die Handlung nicht. Erst am Ende ist er in der Lage, Ereignisse chronologische zu verknüpfen und Zusammenhänge zu erschließen; ,,in ultimas res“: Der Text beginnt mit dem Ende der Geschichte beziehungsweise kurz vor dem Ende. Der Leser erkennt erst am Schluss die Zusammenhänge der jeweiligen Handlungsstränge. Das besondere an diesem Textanfang ist die Übereinstimmung der erzählten Zeit mit der Erzählzeit; ,,invocatio“: In der Einleitung als ,,Invocatio“ kann der Leser eine Begründung oder eine Legitimation erfahren, die in Form einer Widmung, Einleitung und Rahmenerzählung auf die Geschichte unter bestimmten Geschichtspunkten hinführt. / Wiederhold, Bernadette: Zur Darstellung von Kindheit im Werk von Benno Pludra. GRIN Verlag. 2008. S. 52. 105 Becker, Artur. 2006. S. 7. 32 Bevor jedoch man sich auf die Bedeutung des Textanfangs einlässt, sollte man auf den ersten Satz Rücksicht nehmen ,,Es war die Zeit der Stinte“106, der überhaupt nicht zu dem weiterem im Text passt. Man könnte das als einen gestimmten Raum interpretieren, der schon am Anfang der Historie eine Atmosphäre einbringt. Das was im Text dargestellt wird, beziehungsweise die Welt im gestimmten Raum, wird als Innbegriff von psychognomischen Ausdruckscharakteren erfasst.107 Folgend, zeugt der Textabschnitt darauf hin, dass die Geschichte in einem bestimmten Zeitpunkt beginnt. Das wird ebenfalls durch das Datum illustriert. Der Leser befindet sich in einem konkreten Zeitpunkt, der darauf hinweist, dass es um medias res geht. Die Geschichte fängt an, wo Chrystian, die Hauptfigur, den Rezipienten mit dem Geburtstag seines Vaters konfrontiert. Man weiß nicht genau, worüber die Geschichte sein wird. Erst im Verlauf, beginnt der Leser das Erzählte zu verstehen. Es wird am Ende der Novelle eine Chronologie der Ereignisse zusammengestellt. Dies führt zu dem, dass der Leser die ganze Geschichte zu begreifen beginnt.108 Was bedeutend für medias res ist, so Carsten Gansel, ist es mit einem anachronischen Erzählen verbunden. Es wird durch Rückwendungen geprägt, wobei die unklaren für den Leser Informationen nachgeliefert werden. Schon an der ersten Seite kommt es zu einer Analepse: ,,Dass er sie nicht mochte, lag daran, dass Chrystians Opa Johann, als er noch lebte, fast täglich irgendwelche Straßenköter nach Hause angeschleppt hatte. Allerdings war das vor langer Zeit gewesen, als sie noch in Iława wohnten, das früher Deutsch-Elyau hieß.“109 Das Einführen in die Geschichte, das in medais res beginnt, wird mit einer aufbauenden Rückwendung110 gestiftet. Warum ist diese Information wichtig? In dieser Novelle kommt es zu einer Binnenerzählung. Der Leser kann irritiert sein, weil er die Informationen nicht zusammen fixieren kann. Deswegen wird eine Exposition 106 Ebd. 2006. S. 7. Vgl. Paetzold, Heinz: Ästhetik der neuron Moderne: Sinnlichkeit Und Reflexion In der konzeptionellen Kunst der Gegenwart. Franz Steiner Verlag. 1990. S. 29. 108 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 74. 109 Becker, Artur. 2006. S. 7 f. 110 Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens. 9. Aufl., Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 2004 (1955). S. 104-108. 107 33 nachgeliefert, mit deren Hilfe die unklaren Hintergründe einer unvermittelten Situation entwickelt werden.111 Erst am Ende, wird alles entschlüsselt: ,, Als das Flugboot, eine Do 24, vom Geserichsee abhob, war Richard Schmidtke seit einer Viertelstunde tot. Gerald Juchelka saß im Cockpit, öffnete die Flasche und nahm einen Schluck. […] >> Sehen Sie sich das an, dieses weiße Meer<<, sagte Gerald Juchelka. >>Es ist so still.<<“112 Nicht nur die aufbauende Rückblendung ist für medias res von Bedeutung, sondern auch eine auflösende Rückblendung113, die für das Ende der Geschichte relevant ist. Sie befindet sich am Ende der Story, wo das lückenhaft Erzähltes Geschehen ergänzt, so das was bislang rätselhaft war, aufgeklärt wird.114 Damit beginnt der Leser die Geschichte erst zu verstehen, er verbindet alle unklaren Informationen und daraufhin wird eine Chronologie gebildet. 4.4 Zum Erzähler 4.4.1 Erzählanalyse nach Franz K. Stanzel Der Erzählforscher Franz K. Stanzel hat für den Bereich narrativer Texte eine Typologie des Vermittlungsvorganges (Erzählsituationen) aufgegriffen und danach übertragen.115 Er gliedert die Erzählsituationen in drei Typen: die auktoriale Erzählsituation bzw. auktorialer Erzähler;116 personale Erzählsituation bzw. Personaler Erzähler;117 Ich-Erzählsituation bzw. Ich-Erzähler.118 111 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. München: Verlag C.H. Beck. 2007. S. 36. 112 Becker, Artur. 2006. S. 200. 113 Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens. 9. Aufl., Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler. 2004 (1955). S. 108-112. 114 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. München: Verlag C.H. Beck. 2007. S. 36. 115 Vgl. Martinez/Scheffel. 2007. S. 89 116 Die auktoriale Erzählsituation bzw. auktorialer Erzähler: hier kann die Erzählinstanz ,,über die Auβenwie die Innenwelt der Figuren verfügen, aber letztlich bleibt der Blick auf die Bewusstseinszustände von außen bestimmt und daher begrenzt. Deshalb ist die Rede vom ,,allwissenden” Erzähler relative und irreführend.”116 Ebenfalls ist es: ,,für den auktorialen Erzähler wesentlich, dass er als Mittelsmann der Geschichte einen Platz sozusagen an der Schwele zwischen der fiktiven Welt des Romans und der Wirklichkeit des Autors und des Lesers einnimmt.” Gansel, Carsten: Moderne Kinder- Und 34 In dem Werk von Artur Becker kann man von einem personalen Erzähler sprechen, der ebenfalls wie bei Genette, unbeteiligt ist und sich nicht in die Erlebnisse der Figur einmischt. Daraufhin muss man feststellen, dass der Autor nicht die Position des erzählenden Ich eingenommen hat. Der personale Erzähler, also das erzählende Ich sollte nicht als ein erlebendes Ich definiert werden. Wie schon es erwähnt wurde, ist der personale Erzähler unbeteiligt, also er kann nicht als eine allwissende Instanz erscheinen. Das was kennzeichnend ist, ist der ,piont of view‘,119 wo die erzählende Instanz in dem Text sehr oft eine Position einnimmt, die aus der Sicht einer Figur bzw. Chrystians dargestellt wird. Die Erinnerungen von Chrystian Brodd haben eher mit seiner Kindheit zu tun. Er erscheint als die dritte Generation, also er hat keine eigenen Erinnerungen aus dem Krieg. Sie werden ihm im Laufe der Geschichte durch die Mittglieder seiner Familie erzählt. Wenn man sich jedoch an den Protagonisten konzentriert, an seine Identität, stellt man fest, dass der erzählende aus einer Mitsicht erzählt und sie dadurch liefert: ,, Aber die Angst saß Chrystain weiter im Nacken. Sie war unbeweglich, still, gemein […] Warum war er Chrystain Brodd, nicht ein kleiner Stint geworden?“120 Die Angst, die ihm von dem Anfang bis zum Ende der Geschichte begleitet, wird von der Erzählinstanz nicht kommentiert. Chrystian erscheint als eine sehr schwache Figur. Er ist nicht selbstsicher. Die Erinnerungen an seine Kindheit haben eher ein positives Erinnerungsbild. Dagegen, die Gegenwart, also die Zeit in der, Chrystian als ein erwachsener Mann leben muss, wird von ihm mit pessimistischen Bildern und Ängsten kreiert. Der Misserfolg, der ihn begleitet, hat einen großen Abdruck an seiner Identität. In diesem Abschnitt bekommt er nicht nur Angst von einer Sache, er hat mehrere Jugendliteratur: Ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin 1999. S. 30 und Martinez/Scheffel 2007. S. 90. 117 Die personale Erzählsituation bzw. Personaler Erzähler: hier dagegen verzichtet der Erzähler an Kommentare. Der Leser bekommt das Gefühl in einer Illusion zu sein: ,,er befände sich selbst auf dem Schauplatz des Geschehens oder er betrachte die dargestellte Welt mit den Augen einer Romanfigur, die jedoch nicht erzählt, sondern in deren Bewusstsein sich das Geschehen gleichsam spiegelt. Damit wird diese Romanfigur zur Persona, zur Rollenmaske, die der Leser anlegt.” Martinez/Scheffel 2007. S. 90. 118 Die Ich-Erzählsituation bzw. Ich-Erzähler: hier stellt man fest, dass der Erzähler zu der Geschichte, der Welt der Figuren gehört. Deswegen wird es betonnt, dass: Er selbst das Geschehen erlebt hat, miterlebt oder beobachtet, oder unmittelbar von den eigentlichen Akteuren des Geschehens in Erfahrung gebracht. Auch hier herrscht die berichtende Erzählweise vor, der sich szenische Darstellung unterordnet.” Ebd. Martinez/Scheffel 2007. S. 90. 119 Vgl. Fricke, Harald. Braungart, Georg. Grubmüller, Klaus. Weimar, Klaus. Müller, Jan-Dirk: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Walter de Gruyter. 1997. S. 510. 120 Becker, Artur. 2006. S. 13. 35 Furchten, die der personale Erzähler nicht kommentiert. Nach Stanzel tritt der Erzähler hinter die Figur, wo er manchmal sie aus ihrer Innenperspektive darstell.121 Das was kennzeichnend ist, ist der ,point of view‘,122 wo die erzählende Instanz in dem Text sehr oft eine Position einnimmt, die aus der Sicht einer Figur dargestellt wird: ,,Ich bin ein stolzer Vater und Opa- obwohl mein Sohn vom Kapitalismus nichts begriffen hat. Vielleicht ist es sogar besser, dass sich meine Liebe Danusia nicht anschauen muss, was aus unserem Sprössling geworden ist. Ein überqualifizierter Bengel, der kein Geld verdient.”123 Dieses Zitat verdeutlicht, dass der Protagonist die Stellung des Erzählers übernimmt und als eine auktoriale Instanz das Leben seines Sohnes beschreibt. Die Erinnerungen und Erfahrungen von Gustaw, der als die zweite Generation hier erscheint, unterscheiden sich diametral von dem was Chrystian erlebt hat. Meistens haben politische Geschichten keinen Sinn um über sie zu sprechen. Jede Generation sieht sie mit ihren eigenen Augen und versteht sie auf ihre eigene Art und Weise, was oft die ältere Generation irritieren kann. Chrystians Erinnerungen waren eher sorgenfrei. Er hatte studiert und auf diese Weise, also passive, über Geschichte gelernt. Der nach Stanzel personale Erzähler, ermöglicht ihm bzw. hat für Gustaws Verhalten Verständnis. Das Phänomen wird als ein nichtdiegetischer Erzähler bzw. Reflektor bezeichnet, der den Standpunkt einer Figur einnimmt.124 In einigen Passagen kann der Leser einen Eindruck bekommen, dass der personale Erzähler als sehr neutral erscheint. Nach Carsten Gansel, der über Stanzels Erzähltypen in der Kinder und Jugend Literatur schreibt, wird es folgend betont. ,, Die Hinweise auf das Erzähltwerden sind kaum noch erkennbar, der Erzähler tritt nicht mehr als persönlicher Sprecher in Erscheinung, Leseanreden, Kommentare, Reflexionen über das Erzählen entfallen zumeist. Wiedergegeben wird das Geschehen von einer Instanz, die anonym und neutral bleibt, was es schwer macht, die Erzählinstanz als solche zu identifizieren.”125 121 Vgl. Stanzel 1995, 16; Ludwig 1995, 95. zit. nach Gansel, Carsten. 1999. S. 32. Vgl. Fricke, Harald. Braungart, Georg. Grubmüller, Klaus. Weimar, Klaus. Müller, Jan-Dirk: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Walter de Gruyter. 1997. S. 510. 123 Becker, Artur. 2006. S. 16. 124 Vgl. Schmid, Wolf: Elemente der Narratologie. Verlag: Walter de Gruyter. 2008. S. 139. 125 Gansel, Carsten. 1999. S. 32. 122 36 Diese Hinweise, werden an einigen Stellen des Textes deutlich. Während des Lesens, bekommt der Rezipient einen Eindruck, dass das Erzählte nicht nur von der personalen Instanz vorgestellt werden könnte, wie als auch von der Figur, aber auch von jemandem anderen, der schwer zu identifizieren ist: ,,Sie verzichteten auf ein langes Bad, legten sich auf das Sofa und hörten dem Regen zu. Es war dunkel in der Wohnung, die Stereoanlage spielte Streichquartette von Beethoven, nur über dem Spülbecken brannte Neonlicht.“126 Es ist nicht einfach hier den Erzähler zu klassifizieren. Man könnte vermuten, dass er als allwissend erscheint, aber genauso könnte man einen Eindruck bekommen, dass es von jemand anderen, neutralen erzählt wird. Es werden keine Reflexionen oder Kommentare angewendet, was dem Leser ein Gefühl gibt, dass er mit einer anderen Erzählinstanz zu tun hat. Ein anderer Aspekt, der für den Erzähler von Bedeutung ist, ist die Perspektivenstruktur, die in zwei Aspekten interpretiert wird: monoperspektiwisches Erzählen, wo der Erzähler sich auf die Innensicht einer Figur konzentriert und multiperspektivisches Erzählen, wo der Erzähler sich auf die Innensicht mehrerer Figuren fokussiert.127 In Anlehnung an Carsten Gansel, ist er der Ansticht. ,,Für das personale Erzählen kennzeichnend, steht im vorliegenden Ausschnitt nicht der Bericht von Handlungen und Ereignissen im Mittelpunkt, sondern die Präsentation von Bewusstseinsprozessen. Die Gedanken und Gefühle, Ängste und Hoffnungen der Reflektorfigur werden unkommentiert präsentiert, sodass ein direkter Einblick in die Innenwelt der reflektierenden, denkenden, fühlenden Figur gegeben scheint.”128 Dementsprechend hat man hier mit einem monoperspektivischen Erzählen zu tun. Der Erzähler konzentriert sich auf Chrystian, der ein Problem hat, mit seinem Leben zu Recht zu kommen. Chrystian spricht ständig von seinen Gefühlen, Ängsten, wie beispielsweise von der Trennung mit seiner Frau oder, dass er kein Geld hat und arbeitslos ist. Aber die größte Angst hat er vor dem Tod. Er hat Herzprobleme, eine geheimnisvolle Krankheit, die er wahrscheinlich von seinem Großvater geerbt hat: 126 Becker, Artur. 2006. S. 100. Vgl. Gansel, Carsten. 1999. S. 34. 128 Gansel, Carsten. 1999. S. 35. 127 37 ,,Dann, als er das Lenkrad mit beiden Händen anfasste – der Motor lief bereits -, spürte er ein heißes Stechen in der Brust. Ihm wurde plötzlich kalt, und der unvermeidliche Schweißausbruch kam gleich hinterher. Der Schwächeanfall dauerte immer nur einige Sekunden, aber danach war er erschöpft, als hätte er schwere, körperliche Arbeit geleistet.“129 Obwohl Chrystian immer wieder Angst in solchen Situationen bekommen hat, wollte er versuchen normal zu leben, als ob die Krankheit nicht wichtig ist. Dennoch muss man feststellen, dass er sich selber betrügt hat. Die Furcht war immer da. Der personale Erzähler hatte nie eingegriffen. Es wurden keine Kommentare von ihm gegeben. Das, was Oben Carsten Gansel erwähnt hat, richtet den Leser mehr an den ,Bewusstseinprozess’ der Figur an. Anstatt sich Fragen zu stellen wer Schmidtke war, ob sie ihn wirklich getötet haben, wird es versucht den Leser an das Innere von Chrystian zu binden. In den dominierenden Kapiteln über Chrystian, werden nur kleine Momente fixiert, die über die Geschichte der KZT Juden erzählen: ,, Mona hakte sich bei Chrystian (…), aber er schwieg. Engel, dachte er, als sie das Weserufer erreichten und sich auf Steine setzten, Engel, die mit einem Flugboot auf dem Wasser landen, können gut oder böse sein. Gerald kam als Richter zu Schmidtke. Seine Botschaft war die Todesstrafe. Aber wer ist Mona Juchelka? Ist sie wie ein Stint, der sich einmal blicken lässt, verliebt und danach wieder verschwindet? Oder ist sie wie ein Stint, der sich rächt und der mordet?”130 Die Geschichte von dem tragischen Ereignis, wurde Chrystian erst jetzt erzählt. Deswegen kann man nicht von seinen eigenen Erinnerungen hier sprechen. Er hat ein anderes Bild für das. Obwohl man von einer gewissen Analepse sprechen könnte, muss man unterstreichen, dass es keine Felderinnerungen, wie als auch Beobachtererinnerungen sind. Der personale Erzähler kommt mit einer Mittsicht vor. Er kann leider auf die Fragen keine Antwort geben. Dagegen, wenn man sich auf die Gegenwart des Protagonisten konzentriert, stellt man fest, dass der Bewusstseinprozess in folgender Passage zum Vorschein kommt: ,,Bevor Rudi Cafébesitzer wurde, war er einige Jahre im Ausland gewesen- auf einer langen Weltreise. Gleich bei ihrer ersten Begegnung hatte er Chrystian auf den Kopf zugesagt: Angst essen Seele auf! Du bist ein Angsthase, Brodd! Glaub mir! Ich kann es riechen! Rudi hatte sich 129 130 Becker, Artur. 2006. S. 23. Ebd. 2006. S. 45. 38 von Anfang an wie der Boss aufgeführt, und Chrystian fürchtete immer, von seinem Freund versklavt zu werden- im Namen der Freundschaft.”131 Mit diesen Sätzen stellt man fest, das Chrystian nicht selbstsicher ist. Das traurige daran ist, dass er es bestätigt Angst zu haben. Die auktoriale Figur-Rudi, spricht über seinen Freund Chrystian, dass er ein Feigling ist und diese werden es nicht in der heutigen Welt überleben können. Wiederum wird die Initiative von der Figur übernommen, anstatt des personalen Erzählers, der neutral hinter Chrystian steht. In einem anderen Abschnitt sieht man, wie sich Chrystian Gedanken macht, was seine Ex-Frau denken wird. Er erscheint als ein schwacher Mann: ,, Chrystian hatte Angst vor dem unausweichlichen Ärger mit Katharina. Er beschloss, Mona als Schutzschild einzusetzen, und bat sie, mit nach oben zu kommen. In ihrer Gegenwart würde Katharina sich vielleicht zügeln. Am Ende war es dann gar nicht so schlimm- und zwar deshalb, weil Michail da war.”132 Obwohl Chrystian nicht mehr mit seiner Frau lebte, hatte er immer noch ein Gefühl von Verantwortung. Sie hatten doch ein gemeinsames Kind. Chrystian wiederholte ständig, dass er sie nicht mehr lieben würde, aber trotzdem, gab es immer noch ein Hauch von Eiversucht und verdrängten Gefühlen, Gedanken, die er aber nicht raus lassen wollte. Sein einziger Wunsch war, über diese misslungene Ehe zu vergessen, zu fliehen weit aus Bremen. Auch hier sieht man, dass der Erzähler auf die Innensicht der Figur sich konzentriert. Er steht hinter ihr, bekommt zu wissen was Chrystian fühlt in diesem Moment, aber trotzdem, kommt keine Hilfe von ihm, kein Kommentar, Ironie, etc. Man muss allerdings erwähnen, dass in einigen Momenten der Handlung, eher ein auktorialer Erzähler ins Vorschein kommt. Beispielsweise, das oben erwähnte Zitat aus dem Buch, kann darauf zeugen, dass die Instanz sich ändert. Ersten erfahren wir, dass Chrystian eine große Angst vor Katharina hat, deswegen nimmt er Mona mit sich mit, die als ein Schutzschild stehen sollte. Der Erzähler ist jedoch nicht allwissend, weil er nicht weiß, wie seine Frau reagieren wird. Dennoch am Ende der Passage kommentiert er, dass es gar nicht so schlecht war, weil Michael da war.133 Ein anderes Zitat, dass als auktorial bezeichnet werden kann, ist ein Moment, wo die Figur nicht ahnt, dass der Erzähler genaue Angaben von dem Gebäude gibt, wo Chrystian lebt: 131 Ebd. 2006. S. 13. Ebd. 2006. S. 114. 133 Vgl. Becker, Artur. 2006. S. 114. 132 39 ,,Das Miethaus stammte aus dem Anfang des 20.Jahrhunderts. Es war im Krieg nicht zerbombt worden, obwohl es zum alten Stadtkern gehörte. Es hatte gesunde Mauern, hohe Decken und kaputte Heizkörper, die singen und pfeifen konnten.“134 Man sieht, dass es von dem Erzähler kommt. Er hat ein Wissen nicht nur über das Haus, aber auch dem Krieg. Er ermöglicht dem Leser ein genaueres Bild zu kreieren. Der auktoriale Erzähler besitzt einen gewissen Wissenshorizont, der einen Flashback in die Vergangenheit macht. Also er spricht von Erinnerungen, die wahrscheinlich auf dem kommunikativen Gedächtnis gebaut wurden. Solche Abschnitte, werden oft als eine Nullfokalisierung bezeichnet, wo die Instanz als auktorial erscheint. 4.4.2 Erzählanalyse nach Jürgen H. Petersen Um das Erzählverhalten Petersens, das er von Stanzel benutztes Termini Erzählsituation umgetauscht hat zu bestimmen, wird durch ihn die Erzählform differenziert: a) Er-Erzähler (Er-Erzählform b) Ich-Erzähler (Ich-Erzählform). Im weiterem Ablauf bespricht er das Verhalten des Erzählers zum Erzählten wo er drei Typen vorstellt: a) auktoriale, b) neutrale, c) personale.135 Unter dem Begriff Erzählverhalten, mein Petersen das ,,Verhalten des Narrators zum Erzählten”.136 Nach Carsten Gansel wird es noch unterstrichen. ,,Um den Weg von einer Alltagserzählung hin zu einer literarisch gestalteten Geschichte (,Story’) mit einer entsprechenden Erzählergestaltung bewusst zu machen, erweist sich handlungsorientiertes Arbeiten als besonders produktiv.”137 Im weiteren Aspekt wird der Standort von ihm (Nähe oder Ferne) und (zeitlicher Abstand) der Erzählinstanz in: a) allwissend olympisch, b) begrenzt bestimmt und auch die Erzählperspektive der Außen- und Innensicht, wie als auch die Erzählhaltung (neutral, bejahend, kritisch, humorvoll, ironisch, zynisch und parodistisch) besprochen.138 In Beckers Novelle wird der personale Erzähler deutlich. Er berichtet die Geschichte aus der Er-form: 134 Becker, Artur. 2006. S. 24. Vgl. Gansel, Carsten. 1999. S. 35 136 Petersen 1993, 68. zit. nach Gansel, Carsten. 1999. S. 35 137 Waldmann/Bothe. 1992 . zit. nach Gansel, Carsten. 1999. S. 36 138 Vgl. Gansel, Carsten. 1999. S. 36 135 40 ,,Sein Vater hatte in Iława in einer Fabrik gearbeitet, er war Dreher gewesen […]. Und auf dem besagten Foto aus Gustaws Familienalbum war Folgendes zu sehen: Sein Vater steht vor dem Eingangstor des KZs, raucht lässig eine Zigarette, grient und schüttelt einem Kollegen die Hand – zum Abschied.”139 Der Erzähler steht hinter der Figur und beschreibt eine Geschichte aus der Vergangenheit, wo sein Vater immer noch ein Foto im Album aus dem Ausflug hat. Ein problematisches Thema erscheint erst dann, wo Chrystian nicht mehr als ein Kind denkt, sondern es mit Augen eines erwachsenen Mannes sich anschaut. Dieses Foto sollte eher ein Witz sein, doch als kleiner Junge hatte er eine andere Geschichte erstellt. Erst dann, als er mit sechzehn Jahren ein Plattencover von Pink Floyd sieht, beginnt er zu verstehen was für eine Übertragung das Foto hatte. Sein Vater war für ihn ein Held, jetzt würde er am liebsten das Foto wegschmeißen und das Ereignis vergessen. Doch wie er es selber begründet, das ist seine Vergangenheit, also seine Erinnerungen, die er so einfach nicht entfernen kann. Im nächsten Punkt, wenn man den Standort beschreiben möchte, muss man feststellen, dass der Erzähler eher als ,begrenzt‘ erscheinen wird. Chrystian und Mona fahren nach Polen. Es wird beschrieben, wie Chrystian den Weg gut kennt. Doch der Erzähler kann es nicht sagen, was sie am Zielort erwartet. Es folgt ein Beispiel: ,,Den Weg zu Onkel Erwins Haus fand er ohne Mühe. Als hätte er Iława nie verlassen.”140 Der Erzähler weiß so viel, wie die Figur ihm sagt oder laut denkt. Er kann es nicht sagen ob die beiden den Mord von Schmidtke klarstellen oder ob Onkel Erwin sie nicht vergessen hat und auf sie wartet. Die Erzählperspektive wird eher von der Innensicht geprägt. Der Narrator ist im Stande die Gefühle, Gedanken und Ängste von Chrystian zu zeigen: ,,Und dann begriff er: Mona Juchelka war fort, und er konnte es förmlich riechen. Wo bist du? Komm zurück! […] Danach würde er losfahren, aber wohin? Zurück auf die Autobahn? Aber welche? Richtung Leipzig, Bremen oder New York? Oder Stutthof? Solche Autobahnen gab es nicht.”141 Der Leser fühlt nicht nur, dass Chrystian sehr verliebt ist, aber auch, dass es hoffnungslos ist, Mona zu suchen. Das folgt mit einer Wehmut und Angst. Chrystian bleibt wieder allein. Er war arbeitslos, verlor seine Familie und jetzt seine Liebe. Die 139 Becker, Artur. 2006. S. 123 Ebd. 2006. S. 127 141 Ebd. 2006. S. 194 140 41 einzige Person, die ihm in dieser schweren Zeit geholfen hat, hat ihn verlassen ohne ein Wort zu sagen. Wieder muss Chrystian sein Leben mit eigenen Händen packen, weil der Erzähler ihm nicht helfen kann. Die Erzählinstanz ist ein Teil der Figur, aber ohne ein Recht etwas zu sagen. Er kommentiert nicht, nur Chrystian führt einen Monolog: ,, Er wird mir zuhören. Ich muss ihm sagen, dass ich nicht einmal ihre New Yorker Adresse und Telefonnummer habe. Ich habe sie mir nicht aufgeschrieben. Ich weiß über dieses Mädchen so gut wie nichts, Rudi. […] Was soll ich jetzt tun? Wo soll ich sie suchen?’’142 Das Verlieren der jüdischen Frau, bleibt durch den Erzähler neutral bewertet. Er mischt sich nicht ein. Chrystian sucht nach Hilfe, aber sogar der Narrator gibt ihm die nicht. Chrystian braucht jemanden, der ihn bejaht, kritisiert oder einfach sagt, was er machen soll oder was er falsch gemacht hat. Er selbst antwortet und hofft, dass sein Freund Rudi ihm einen Ratschlag gibt: ,,Weder im Himmel, mein Lieber, noch in Nirwana, würde Rudi antworten. Such auf der Erde. Bum Shankar!”143 Aber das sind seine Behauptungen. Es ist nicht klar, ob Rudi das sagen würde. So bleibt Chrystian ohne Hilfe der Erzählinstanz, wie als auch der Hilfe Rudis alleine. 4.4.3 Erzählanalyse nach Gérard Genette Gérard Genette unterscheidet in seiner Erzähltheorie ,Personen‘ (Erzähler), die in der narratologischen Analyse eine enorme Bedeutung spielen. Infolgedessen, werden nach Genette zwei Kategorien von Erzähler klassifiziert: der homodiegetischer Erzähler und der heterodiegetische Erzähler. Die beiden Konstellationen werden in vier andere Gruppen zerteilt, die später besprochen werden. Als eine homodiegetische Instanz können wir einen Erzähler erst nennen, wenn er in der erzählten von ihm Geschichte als eine Figur auftritt und als die erste Person dominiert. Hier erscheint die Person in zwei unterschiedlichen Rollen des Ichs: ein erzählendes und 142 143 Ebd. 2006. S. 194 Ebd. 2006. S. 194 42 ein erzähltes bzw. ein erlebendes Ich.144 Dagegen wenn es um den heterodiegetischen Erzähler geht, zählt er nicht zu den Figuren der Geschichte und tritt als die dritte Person auf. Es ist erkennbar, dass hier nur um das erzählende geht, wahrscheinlich gar nicht fassbare Ich-Instanz der Erzählrede.145 Geht man weiter mit der Gliederung der Erzählinstanz, bekommt man vier Erzähltypen: extradiegetisch-heterodiegetische, wo der Erzähler erster Stufe eine Geschichte erzählt, wo er nicht auftretet; extradiegetischhomodiegetische, wo der Erzähler erster Stufe seine eigene Geschichte erzählt; intradiegetisch-heterodiegetische, wo der Erzähler der zweiten Stufe eine Geschichte erzählt, wo er nicht auftretet und intradiegetisch-homodiegetische, wo der Erzähler zweiter Stufe seine eigene Geschichte erzählt.146 Geht man auf die Analyse der Novelle ,,Die Zeit der Stinte“ zu, sieht man schon am Anfang der Geschichte, dass der Erzähler als eine heterodiegetische Instanz erscheint, die mit der extradiegetischen Ebene sich verbindet: ,,Als Chrystian Brodd mittags mit einem Auge erwachte, war er wie erschlagen: Heute hatte sein Vater Geburtstag, am 4.April 2003, er wurde sechzig; außerdem kam es Chrystian vor, als ob irgendjemand, der sehr mächtig sein musste, an seinem Leben herumschnipselte wie mit Einer Schere.“147 Im Rahmen des Erzählten, wird die dritte Person in den Vordergrund gesetzt. Auf dieser Ebene der Erzählung, wird durch den Erzähler der ersten Stufe eine Geschichte erzählt, in der er nicht vorkommt. Der Narrator erzählt über Chrystian, den Protagonisten, dass heute sein Vater Geburtstag hat. Also, wie Genette schon früher betont hat, wird in der extradiegetische-heterodiegetische Erzählung eine Geschichte erzählt, in der der Narrator nicht vorkommt:148 144 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung In die Erzähltheorie. München: Verlag C.H. Beck. 2007. S. 81 145 Ebd. Martinez/Scheffel. 2007. S. 81 146 Ebd. Martines/ Scheffel. 2007. S. 81 147 Becker, Artur: Die Zeit der Stinte. München: Verlag Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG. 2006. S. 7 148 Vgl. Schmitz, Barbara. Prophetie und Königtum: eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern. Mohr Siebeck. 2008. S. 26. 43 ,,Gustaw, der ältere Brodd, war Hausmeister in einem Hochhaus und instruierte aus dem Küchenfenster im Erdgeschoss die Mieter darüber, was ihnen gestattet war oder nicht. Seine wichtigsten Widersacher waren allerdings nicht die Menschen, sondern Hunde”149 Es wird stark ausgeprägt, dass es in einer ,,Er-Erzählung”150 geschrieben wird. Der Erzähler ist nicht in das Leben der Figur involviert. Die Geschichte über die Hunde, lenkt Chrystian in die Vergangenheit zurück, genauergesagt in seine Kindheit. Er erinnerte sich an die Tage, wo sein Großvater Straßenköter oft nachhause mitgebracht hat. Er liebte sie, doch Gustaw hat bis zum heutigen Tag ein Problem mit ihnen. Der Protagonist Chrystian, wird eher als ein Versager in der Novelle dargestellt. Sowohl mit seinem Leben, wie als den Materiellen Gütern hat er ein Problem. Der primär nichtdiegetische Erzähler151 beschreibt die zwei Wohnviertel, nämlich Gustaws und Chrystians, trotzdem zieht er sich von Kommentaren zurück: ,,Ihm fehlten mehr Tage und Nächte als je zuvor, und das, was blieb, war auch nicht mehr in sicherer Hand: hier am Steintor, in seinem Wohnviertel, das er auf den Namen ,Klein-Brooklyn’ getauft hatte- im Gegensatz zu ,Klein Manhattan’ , wo sein Vater Gustaw wohnte.”152 Man könnte die Namen, die er den Wohnvierteln gegeben hat, als Metaphern einer Kritik interpretieren, die er selber bestätigt hat. Wie schon Gérard Genette erwähnt hat, wird der Erzähler als ,,Unbeteiligter Erzähler’’153 in der heterodiegetischen Ebene präsentiert. Also, er mischt sich in das Leben oder Ereignisse der Figuren nicht ein. Er gibt keine Ratschläge, und kann genauso viel wissen, wie der Leser, dem die Geschichte von der Figur vorgestellt wird. Trotzdem, muss man bedenken, dass der Erzähler als auktorial bezeichnet werden kann. Er muss sich nicht unbedingt einmischen um auktoriale Zeichen zu geben. Er kann es auch durch eine Übersicht zeigen. Dass es keinen Beweis für subjektive Kommentare des Erzählers erster Stufe gibt, wird durch den heterodiegetischen Sprecher im folgendem Zitat vorgestellt: ,,Der letzte Schluck Jelzin hatte Gustaw die Zunge gelöst […] Juchelka! So hieß der Mann aus New York, der 1947 mit zwei Freunden und einem Flugboot auf dem Geserichsee landete. Die 149 Becker, Artur. 2006. S. 7 Vgl. Fludernik, Monika: Erzähltheorie: Eine Einführung. Darmstadt: Verlag Buchgesellschaft. 2008. S. 42 151 Vgl. Schmid, Wolf: Elemente der Narratologie. Walter de Gruyter. 2005. S. 87. 152 Becker, Artur. 2006. S. 7 153 Vgl. Martinez/Scheffel. 2007. S. 82 150 Wissenaschaftliche 44 drei Männer, ehemalige Häftlinge aus dem Konzentrationslager Stutthof, purzelten aus dem Himmel, um den Gutsbesitzer Richard Schmidtke hinzurichten […] Mein Bruder Erwin war damals sieben Jahre alt. Er kann sich noch an alles erinnern”154 Es wird stark ausgeprägt, dass die Geschichte von der Figur- Gustaw erzählt wird. Der Unbeteiligte Erzähler deutet auf einem höheren Standpunkt zu sein, wo er ruhig zusieht, ohne zu involvieren. Diese Erinnerungen gehören zu der Figur. Es kommt zu einer Analespse, auf die der heterodiegetische Erzähler keinen Einfluss hat. Gustaw erzählt was vor vielen Jahren geschah, aber mit dem letzten Satz möchte er eher unterstreichen, dass seine Familie rein ist. Eine gewisse Unsicherheit kann der Leser spüren. Wie es Birgit Neumann in ,,Fictions of Memory” betont ,,steht das Gedächtnis für das Vermögen, sich erinnern zu können, so wie das Buch im populären Verstande ein stilles Vermögen an eingeschriebenen Gedanken darstellt, das im Akt der Lektüre (der Er-Innerung) seine Produktivkräfte entfalten kann.”155 Sie ist der Ansicht, dass unsere Erinnerungen durch einem Prozess aktiviert werden, der von ,,bestimmten Erlebnissen, Erfahrungen und erworbener Wissensbestände, die nicht dem jeweils aktuellen Handlungszusammenhang entstammen.”156 Durch das Prinzip von Genette, wird es bestätigt, dass der extradiegetischheterodiegetische Erzähler unbeteiligt ist, auch wenn die Figur erzählt und erinnert. Sehr oft, hat die Novelle mit einer Binnenerzählung zu tun. In diesem Fall, wird es bewiesen, dass das Buch eine Erzählung in der Erzählung besitzt. Davon aus, können wir nach Genette den heterodiegetischen- intradiegetischen Erzähler einführen. Um es genauer zu erläutern, geht man aus dem extradiegetisch-heterodiegetischen Erzähler, wo er das Erzählte spezifiziert, auf den intradiegetsichen Erzähler hin zu, wo sich nicht nur die Zeit und Ort der Geschichte ändern, aber auch der sprechende Erzähler. 157 Für ein gutes Beispiel, dient der zweite Teil des Buches: ,, Es war die Zeit der Stinte, die durch den See zogen und sich vermehrten. 1947. Richard Schmidtke hatte den Wald seit zwei Jahren nicht mehr verlassen. Draußen an den Ufern des Geserichsees lauerte die Rache auf ihn. Es gab nur zwei Menschen, die ihn nicht umbringen 154 Becker, Artur. 2006. S. 18 Harth 1991b, S. 31. zit. nach Neumann, Birgit: Erinnerung, Identität, Narration. Gattungstypologie und Funktionen kanadischer Fictions of Memory. Berlin u.a.: de Gruyter. 2005. S. 22 f 156 Rusch 1991, S. 270. zit. nach Neumann, Birgit: Erinnerung, Identität, Narration. Gattungstypologie und Funktionen kanadischer Fictions of Memory. Berlin u.a.: de Gruyter. 2005. S. 23 157 Vgl. Martinez/ Scheffel. 2007. S. 75. 155 45 wollten: seine Mutter und der Koch Johann Brodd, der ihm jeden zweiten Tag etwas zu essen brachte. Aber er hatte keinen Hunger mehr. Seit das Flugboot auf dem See gelandet war, pisste er Blut und Rasierklingen.“158 Damit der Wechsel offensichtlich wird, wird ein kurzer Schnitt des beendeten, ersten Kapitels angeführt: ,,(Chrystian) Das Herz wurde ruhig und schlug wieder normal. Okay, Rudi, dachte er. Ich ruf dich an.“159 Es kommt zu zwei Erzählebenen. Auf der extradiegetischen Ebene, wird die intradiegetische gebaut, die eine neue Geschichte in die Erzählung einbringt. Dieser Sprung wird als eine Rückblendung order auch, nach Genette, als eine Analepse bezeichnet. Die Geschichte von Schmidtke unterbricht das Lesen des Rezipienten. Er ist irritiert, ist sich nicht sicher, ob die frühere Geschichte schon zu Ende ist und diese als eine neue erscheint, oder gehört sie zu der ganzen Geschichte des Buches. Dasselbe passiert mit der Zeit. Der Leser wird in die Vergangenheit gebracht, genauer zu sagen in das Jahr 1947. Nach Genette, ist es selbstverständlich, dass die beiden Ebenen sich zeitlich unterscheiden werden. Wir werden aus der gegenwärtigen Erzählung, also aus dem Leben des Protagonisten Chrystian und seinen Abenteuern in die Vergangenheit gesetzt, wo das primäre Thema, nicht Liebe oder die Suche nach eigener Identität ist, sondern das große Problem der Nachkriegszeit, des Antisemitismus, Rache und Leid war. Es ist nicht das einzige Beispiel, dass in der Novelle vorkommt. In den Kapiteln der Gegenwart erfährt der Leser nicht nur über Chrystians und Monas Fahrt nach Polen, aber auch, wird die Binnenerzählung mit geringen Abschnitten durchgeflochten. Das eigentliche, primäre Problem der Erzählung, sollte das grausame Geschehenen bzw. der Mord von Schmidtke, den Kommandanten des KZ-Lagers in den Masuren sein. Dennoch überwiegt die extradiegetische Ebene in der Erzählung. Ein beachtliches Beispiel dafür ist, das schon Oben einmal erwähnte Zitat, das aber nur unter der extradiegetischen Ebene besprochen wurde: ,, Und? Wer ist diese Frau? fragte Chrystian. Sein Vater sank auf den Stuhl. Sein Gesicht wurde blass. Ich weiß es nicht…, murmelte er. […] Er schaute sich die Postkarte an und begann zu erzählen: Juchelka! So hieß der Mann aus New York, der 1947 mit zwei Freunden und einem Flugboot auf dem Geserichsee landete. Die drei Männer, ehemalige Häftlinge aus dem 158 159 Becker, Artur. 2006. S. 55. Ebd. 2006. S. 53. 46 Konzentrationslager Stutthof, purzelten aus dem Himmel, um den Gutsbesitzer Richard Schmidtke hinzurichten. […] 160 Der Abschnitt zeugt darauf hin, dass die Erzählungen der beiden Erzähler, sich kategorial unterscheiden. Erstens, befindet sich der Leser in Gustaws Wohnung, wo er mit Freunden und Familie seinen Geburtstag feiert, dann wird die Feier mit der geheimnisvollen Geschichte unterbrochen. Solche Aspekte kommen oft in dem Buch vor. Sie erscheinen unerwartet, was natürlich den Leser durcheinander bringt. Das zeugt darauf hin, dass die Novelle auch mit der zweiten Ebene, der intradiegetischen zu tun hat. Ein weiterer Grund, der über den intradiegetischen Erzähler deutet, wird der fünfte Teil, der letzte, in der Novelle sein. Das vierte Kapitel endet mit Chrystians nicht erfüllter Liebe. In der Nacht, hatte Mona ihn verlassen. Der Kapitel endet mit den Worten: ,,Ich bin geduldig!“161 Man bedenkt, dass die Geschichte zu Ende ist, ein Offenes Ende. Doch der Leser wird in einen Irrtum gesetzt. Die Geschichte, wird weiter von dem intradiegetischen Erzähler übernommen. Man erfährt, dass die Geschichte im zweiten Kapitel nicht zu Ende war: ,, Als das Flugboot, eine Do 24, vom Geserichsee abhob, war Richard Schmidtke seit einer Viertelstunde tot. Gerald Juchelka saß im Cockpit, öffnete die Flasche und nahm einen Schluck. Der Wodka brannte in seinem Mund, er brannte in seinem Magen, und Gerald Juchelka, der noch nie Alkohol getrunken hatte, übergab die Flasche an Jake, den er in Frankfurt angeheuert hatte. Jake war Pilot der Air Force und würde bald ein reicher Mann sein: Für den Flug nach Polen hatte ihm Gerald Juchelka eine astronomische Summe geboten, und für das Schweigen.“162 Nochmals, wird die intradiegetische Ebene in Erscheinung gebracht. Der Leser ist zu dem Endepunkt gekommen, wo er eigentlich das Ende der gegenwärtigen Geschichte erfahren wollte. Leider wie es deutlich wird, bleit die mit einem offenen Ende gelassen. Dagegen, die intradiegetiche Geschichte, der Vergangenheit, verrät nur dem Leser die wahren Ereignisse, die am Geserichsee 1947 geschahen. Der Erzähler kommentiert und belehrt das Verhalten der Opfer nicht, die in dem Moment mit Schmidtke zu Tätern wurden. Nichtmal Mona konnte das Wahre über ihren Großvater erfahren, obwohl sie sogar nach Polen gereist ist. Man kann das fixieren der beiden Ebenen zweierlei 160 Ebd. Becker. Artur. 2006. S. 18. Ebd. Becker. Artur. 2006. S. 194. 162 Ebd. Becker. Artur. 2006. S. 195. 161 47 interpretieren. Also, es könnte von einer starken Fixierung der Ebenen gesprochen werden, aber genauso, könnte man es als schwach interpretieren. Obwohl die Erinnerungen aus der Vergangenheit durchgeflochten werden, kann es passieren, dass die Figuren aus der Gegenwart geringe oder sogar gar keine Beweise enthüllen.163 4.4.3.1 Fokalisierung nach Gérard Genette Seit den 60-er Jahren hatte man zahlreiche neue Termini und Systeme für die Narratologie in Texten entwickelt. Gérard Genette hatte ein Modell vorgelegt, das in der Literaturwissenschaft Anerkennung fand.164 Es folgt ein Zitat. ,,[…] Genette lenkte die Aufmerksamkeit auf Strukturen und Techniken der Fiktion, die zuvor nicht wahrgenommen wurden oder deren Bedeutung nicht erkannt worden sei.“165 In dem folgenden Punkt wird der Diskurs der Erzählung nach Gérard Genette erfasst und differenziert. Genette teilt die Erzählung in zwei Faktoren,166 nämlich in die ,Stimme‘ und ,Fokalisierung‘, die mit zwei Fragen vorkommen:167,,Wer sieht“ und ,,Wer spricht“.168 Mann sollte dennoch erwähnen, dass dieser Diskurs durch viele Literaturwissenschaftler immer noch unter einem Fragezeichen steht. ,,Insbesondere die Analyse der Erzählrolle und die damit verbundene Frage, mit welchen Mitteln diese Instanz Leserlenkung Hinsichtlich der Mentalitäten betreibt, wurde bislang nicht erschöpfend beantwortet.“169 Insbesondere, das nach Stanzel Model der Erzählsituationen, wo er sich mit dem Modus, Person und Perspektive auseinander setzt,170 wird immer noch nicht von den Narratologen als vollständig angesehen. Deshalb konzentriert man sich umso öfter an Genettes Perspektivierung, die auch als Fokalisierung bezeichnet werden kann. 163 Vgl. Martinez/ Scheffel. 2007. S. 75 f. Vgl. Wergin, Janine: Franz Kafkas ,,in der Strafkolonie“- eine Analyse nach dem erzähltheoretischen Ansatz von Gerard Genette. GRIN Verlag. 2007. S. 3. 165 Wergin, Janine: Franz Kafkas ,,in der Strafkolonie“- eine Analyse nach dem erzähltheoretischen Ansatz von Gerard Genette. GRIN Verlag. 2007. S. 3. 166 Vgl. http://www.icn.unihamburg.de/images/download/perspektivierung_und_fokalisierung_ioana_vultur%20.pdf. 17:39. 18.05.2009. 167 Vgl. Blödorn, Andreas; Langer, Daniela; Scheffel, Michael: Stimme(n) im Text: narratologische Positionsbestimmungen. Verlag: Walter de Gruyter. 2006. S. 83. 168 Vgl. Martinez/ Scheffel. 2007. S. 64. 169 Papke, Kaja: Heinrich Manns Romane Die Jagd nach Liebe und Zwischen den Rassen: Mentalitäten, Habitusformen und ihre narrative Gestaltung. Verlag: Martin Meidenbauer. 2007. S. 81. 170 Vgl. Stanzel, Franz, K. Theorie des Erzählens. Goettingen. 1991. S. 76. 164 48 Es werden drei Typen der Fokalisierung von Genette besprochen, a) Nullfokalisierung,171 b) Interne Fokalisierung172, c) Externe Fokalisierung.173 In dieser Novelle ist es schwierig sich einen Typ von Fokalisierung auszusuchen. Man könnte eigentlich von zwei Typen sprechen, nämlich von der Nullfokalisierung, wie als auch von der Internen Fokalisierung. Sie sind meistens in der Handlung durchgeflochten. Das erste eingeführte Beispiel fungiert als eine Interne Fokalisierung: ,,Mona hakte sich bei Chrystian (…), aber er schwieg. Engel, dachte er, als sie das Weserufer erreichten und sich auf Steine setzten, Engel, die mit einem Flugboot auf dem Wasser landen, können gut oder böse sein.“174 Der Protagonist wird mit einem Pronomen dargestellt, was darauf hinweist, dass es um den zweiten Typ Genettes der Fokalisierung sich handelt. Die Instanz hat eine Mitsicht, also er ist nicht im Stande mehr als die Figur weiß zu sagen. Chrystian geht wieder mit seinen Gedanken an die schreckliche Tat, in die Vergangenheit zurück. Obwohl es nicht seine Erinnerungen sind, kann er sie sehr gut rekonstruieren. Man kann sogar sagen, dass der Leser einen Eindruck bekommen kann, dass Chrystian wohl am Ort des Geschehens war. Aber das ist nicht möglich. Die Geschichte ist aus der Kriegszeit und Chrystian erscheint als die junge Generation, die nur das Schreckliche aus Büchern, Familie und anderer Gesellschaft erfahren hat. Wie es Genette erwähnt hat, kann das Erzählte eng an die Wahrnehmung des Protagonisten fixiert werden:175 ,,Im Fahrstuhl roch es wie in einem chinesischen Restaurant. Ein Geruch, den man nicht so leicht vergaß. Irgendetwas sehr Kostbar ist noch aus der DDR erhalten geblieben, dachte er, der süße Duft der Unterhemde und der Deodorants.“176 Chrystian erinnert sich nicht nur an die Zeiten, wo er als Junge die DDR erlebt hatte, sondern auch an den Geruch, der typisch mit der Zeit assoziiert wurde. Der heterodiegetische Erzähler hat eine Einsicht in Chrystians Gedanken, aber im Gegensatz zu dem auktorialen Erzähler wird der Wahrnehmungshorizont von ihm nicht 171 Nullfokalisierung (auktorial)- der Erzähler hat eine, Übersicht’: ,,er weiß bzw. sagt mehr, als irgendeine der Figuren weiß bzw. wahrnimmt.” Martinez/ Scheffel. 2007. S. 64. 172 Interne Fokalisierung (aktorial)- der Erzähler besitzt eine Mitsicht: er sagt nicht mehr, als die Figur weiß. Martinez/ Scheffel. 2007. S. 64. 173 Externe Fokalisierung (neutral)- der Erzähler hat eine, Außensicht’: er sagt weniger, als die Figur weiß. Martinez/ Scheffel. 2007. S. 64. 174 Becker. Artur. 2006. S. 45. 175 Vgl. Martinez/ Scheffel. 2007. S. 65. 176 Becker, Artur. 2006. S. 85. 49 überschritten. Ein anderer Aspekt, der ein Durcheinander einführen kann, ist der Ausschnitt, wo Chrystian über die Reise nach Polen dachte. Er war eher skeptisch eingestellt und hatte keinen Grund gesehen um nach Iława zu fahren, wo alles seiner Meinung so sei, wie früher: ,,Iława, sein Geburtsort, war eine Stadt, die jemand anders wieder entdecken und ausgraben würde: Iława, dieser Friedhof namens Deutsch-Eylau, dessen letzter Bewacher Onkel Erwin hieß, war für ihn verloren. Mona wusste nicht, dass er unterwegs zu ihr war. Er hatte auf einen Anruf verzichtet.“177 In diesem Abschnitt sollten zwei Sachen konstituieret werden. Wie schon erwähnt, ist es der Ort seiner Kindheit, aber auch das wie Chrystian in dem Moment Iława wahrnimmt. Der zweite Punkt dagegen, der von großer Bedeutung ist, zeugt daraufhin, dass am Ende wahrscheinlich eine Nullfokalisierung erscheint. Der Wahrnehmungshorizont von Mona wird überschritten. Die Figur hat keine Ahnung, dass der Narrator und Chrystian wissen, dass sie Besuch haben wird. Dementsprechend muss man feststellen, dass die Novelle auch eine Nullfokalisierung hat. Diese Art von Fokalisierung wird mit einer ,Übersicht‘ konstituiert. In einem Abschnitt spricht der Erzähler über die Figuren, die angeln gegangen sind: ,,Sie warfen ihre Angeln mit übertriebenem Schwung aus wie kleine Jungen, wenn sie messen wollen, wer am weitesten pinkeln kann.“178 Aus der Position des Narrators wird nicht nur der Wahrnehmungshorizont überschritten, aber auch ein Kommentar erstellt. Die Figuren haben keine Ahnung, dass sie von jemandem beobachtet werden. Der Vergleich der Figuren zu kleinen Jungen bestätigt nur, dass die Instanz als auktorial bezeichnet werden kann. Der Erzähler muss nicht immer unbedingt kommentieren bzw. belehren. Er kann auch von Sachen sprechen, die die Figuren nicht wahrnehmen: ,,Monas Studentenheim, am Rande von Leipzig gelegen, war ein Denkmal der sozialistischen Baukunst. Das Gebäude war so hoch wie ein Wolkenkratzer und stand an einer Hauptstraße, die an einer Plattenbausiedlung entlangführte. Ein paar Satellitenschüsseln verstärkten das ohnehin triste Erscheinungsbild der Betonblöcke. Hier wohnten die Nachfahren des Homo sowjeticus (wie sein Vater sage würde). Menschen, die Chrystian aus seiner Kindheit bestens bekannt waren.“179 177 Ebd. 2006. S. 80. Ebd. 2006. S. 72. 179 Ebd. 2006. S. 82. 178 50 Der heterodiegetische Erzähler spricht über historische Baukünste. Es ist klar, dass er eine Übersicht besitzen muss. Er vergleicht auch die Entstehungszeit der Gebäude mit Chrystians Kindheit. Und das ist nicht das Ende was er berichtet, er ist sich sicher, dass Chrystians Vater es bestätigen würde. Auch hier, wird die Genettes Perspektivierung verteidigt, hauptsächlich mit Beckers Sätzen. Bei der Nullfokalisierung wird es deutlich, dass der übersichtige Erzähler die Initiative ergreift. Er unterstreicht, dass was die Figur nicht wahrnimmt: ,,Gegen Mittag wurde es sogar heiß, wie an einem dieser nicht enden wollenden Julitage. Der Badestrand war menschenlehr, die Sonne brannte erbarmungslos über dem jenseitigen Ufer, die Spiegelungen auf dem Wasser erzeugten silberne Flächen, und der Himmel und der Geserichsee verschmolzen zu einem breiten Strom wie dem Mississippi oder der Wolga.“180 Das Prinzip der Nullfokalisierung konzentriert sich auf das auktoriale. Die Wahrnehmung hier, wird an keine der Figuren gebunden. Der heterodiegetische Erzähler hat ein breiteres Wissen von den Protagonisten.181 Solche Pausen, die der Erzähler benutzt, erscheinen sehr oft in dem Buch: ,,Das sonnige Wetter war vorbei, es wurde kalt, aber solange es nicht regnete, ließ es sich draußen am See und im Wald gut aushalten.“182 Das Erscheinen Genettes, des Fokalisators, fokussiert den Rezipienten an Informationen im Text, die das Wissen der anwesenden Figuren übersteigen.183 4.4.4 Innenweltdarstellung Die Innenweltdarstellung, die nach Gedächtnisses‘184 bezeichnet Felderinnerungen (field-memories) wird, Schacter greift und auch zwei als ,Blickwinkel Erinnerungsformen Beobachtererinnerungen des auf: (observer- memories).185 In der Novelle von Becker haben wir mit den Felderinnerungen zu tun. Das wird durch die interne Fokalisierung geprägt, die mit dem Protagonisten Chrystian 180 Ebd. 2006. S. 142. http://www.li-go.de/definitionsansicht/prosa/nullfokalisierung.html. 21.05.2009. 19:16. 182 Becker, Artur. 2006. S. 182. 183 http://www.li-go.de/definitionsansicht/prosa/nullfokalisierung.html. 21.05.2009. 19:27. 184 Vgl. Schacter, Daniel L.: Wir sind Erinnerung. Gedächtnis und Persönlichkeit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. 2001. S. 45. 185 Vgl. Erll, Astrid. Nünning, Ansgar. Birk, Hanne: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Walter de Gruyter. 2005. S. 138. 181 51 verbunden ist. Mehrmals geht Chrystian mit seinen Gedanken in die Vergangenheit zurück, genauergesagt in seine Kindheit. Das Erinnerte Ich benutzt Analepsen um seine Erinnerungen aufzurufen. Ein Beispiel dafür, ist das folgende Zitat: ,,Die Weser war kein gewöhnlicher Fluss mehr. Sie war jetzt so groß wie der Hudson und so gefährlich wie der Geserichsee.“186 Chrystians Erinnerungen drehen sich um den Geserichsee. Er kann sich nicht nur an ihn erinnern, aber auch, dass der See sehr gefährlich war. Das Adjektiv ruft die Angst hervor, die ihn in der Kindheit und auch immer noch im erwachsenen Leben begleitet. Die interne Fokalisierung besitzt eine Fähigkeit, die die vergangenen Erfahrungen des Protagonisten so darstellt, dass er keine Kritik ausübt.187 Der Wissenshorizont ist eher hinten. Chrzstians Erinnerungen, die mit Polen, genauergesagt mit Masuren zu tun haben, werden nicht in der gegenwärtigen Zeit modifiziert. Die Felderinnerungen bewirken, dass die Gefühle, die er mit dem Geschehen oder dem Standort verbindet, sich im Laufe des erwachsen werden nicht ändern. Darauf folgt eine Passage: ,, […] sondern ausgerechnet in Vaters heiligem Keller, wo er nicht selten, meist im Augenblick der totalen Herzensschwäche, auf dem 25-Kilo-Kartoffelsack sitzt wie in seinem begrabenen Deutsch-Eylau, und seiner Danusia nachweint, in allen Himmeln nachweint.“188 Wieder werden von Chrystian Gefühle mit der Stadt Deutsch-Eylau assoziiert. Das Erinnerte Ich verwendet eine Rückwendung. Wahrscheinlich, als er noch klein war, gab es Situationen, die ähnlich zu den gegenwärtigen sind. Die Erscheinung der Felderinnerungen bewirkt, dass die damaligen Erinnerungen reaktualisiert werden.189 In der ganzen Novelle, werden Pausen verwendet, die den Rezipienten unbewusst in die Vergangenheit schicken. Es ist ein Satz, der über die Stinte, die Fische im Geserichsee Leben erzählt. Diese Erinnerungen hat auch das Erinnerte Ich, dass in der folgenden Passage hervorgehoben werden: 186 Becker, Artur. 2006. S. 45 f. Vgl. Neumann, Birgit: Erinnerung-Identität-Narration: Gattungstypologie Und Funktionen kanadischer fictions of Memory. Walter de Gruyter. 2005. S. 173. 188 Becker, Artur. 2006. S. 47. 189 Vgl. Neumann, Birgit: Erinnerung-Identität-Narration: Gattungstypologie Und Funktionen kanadischer fictions of Memory. Walter de Gruyter. 2005. S. 173. 187 52 ,,Chrystian liebte die Stinte. Sie waren so schlau wie die Aale und so königlich wie die Gezeiten und das Meer und die zahllosen Flussmündungen, aus denen sie stammten.“190 Solche Aspekte erscheinen in diesem Buch sehr oft. Chrystians Erinnerungen, die mit seiner Kindheit verbunden sind, werden stark von den Felderinnerungen geprägt. Was von Bedeutung ist, dass die Erfahrungen, die er gesammelt hat, von ihm nicht Kommentiert oder evaluiert werden. Ein anderer Flashback, der in der Handlung zum Vorschein kommt, ist Chrystians Ankunft in seine Vergangenheit bzw. sein Vaterland. Die Innenweltdarstellung wird in der folgenden Passage illustriert: ,,Den Weg zu Onkel Erwins Haus fand er ohne Mühe. Als hätte er Iława nie verlassen. Die grüne Dämmerung kannte er natürlich auch, sie würde sich nie ändern […].“191 In einen Augenblick, war das Erinnerte ich in der Vergangenheit wieder. Es war genauso, wie er es erinnerte. Die Euphorie, die ihm begleitete, hatte dieselbe Intensität, wie früher. Diese Komponente (interne fokalisierung und field memories) suggerieren, dass es sich um einen Gedächtnisroman handelt. 4.4.5 Darstellung der Figurenkonstellation anhand des Generationen-Gedächtnisses und Täter-Opfer Gedächtnis Um die Figurenkonstellation zu erfassen, muss man sich an den Ebenen fokussieren: a) Figurenkonzeption bzw. Figurenaufbau; b) Figurencharakteristik. Der erste Punkt ,,unter der Figurenkonzeption kann man die Konventionen fassen, die dem Aufbau der Figur zu Grunde liegen und die in der strukturellen Beziehung zwischen Figur und Handlung/Zustand zum Ausdruck kommen.“192 Dagegen die ,,Figurencharakteristik betrifft die Form der Informationsvergabe, die die Figur später im Text präsentiert.“193 190 Becker, Artur. 2006. S. 70. Ebd. 2006. S. 127. 192 Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 38. 193 Pfister, Manfred: Das Drama. München. 1997. S. 240 ff. 191 53 In Beckers Novelle werden einige Figuren unter die Lupe genommen und im Weiteren analysiert. Johann Brodd- war Chrystians, der Hauptfigur, Großvater. Er erscheint hier als eine, in gewissem Sinne verschwommene, rätselhafte Figur. Es wird nicht viel über ihn erfahren. Er war der Koch bei Schmidtkes Familie. Der Leser ist nicht im Stande die Figur zur bestimmten Ebenen zu klassifizieren. In einem Abschnitt erfährt der Rezipient, dass: ,,Johann Brodd hatte ihn gewarnt, dass sie jeden Moment bei ihm anklopfen könnten.“194 Man spekuliert, ob Johann ein guter Mensch, oder ähnlich wie Schmidtke ein kalter Mörder und ein propagierender Nazi gewesen war. Als Mona Juchelka eine unpassende Frage an Gustaw, den Vater von Chrystian stellt, ist er sehr empört: ,,Haben Sie jemals einen Menschen getötet?“ Sagt er: ,,Nein mein Mädchen. Und Johann, mein Papa, hat auch niemanden getötet. Selber der Schmidtke nicht. Das ist das Unerklärliche dabei. Obwohl es so viele Tote gab.“195 Der Leser kann hier verwirrt sein. Obwohl die Familie Brodd ihren Verwandten im guten Licht darstellt, bekommt man ein Gefühl eines Fragezeichens. Der Abschnitt zeugt darauf hin, dass es zu einer Tradierung von Geschichtsbewusstsein in der deutschen Familie gekommen ist.196 Die zweite Generation, also Gustaw Brodd, konnte wahrscheinlich, die Bruchteile der erzählten Geschichte seines Vaters in eine eigene Version komponieren. Diese Familiengeschichte konnte von Generation zu Generation erzählt und verändert werden. Der Satz ,,Das ist das Unerklärliche dabei. Obwohl es so viele Tote gab.“197 kann man als absurd bezeichnen. Gustaw lässt die schrecklichen Taten offen. Wer war also der Mörder? Man kann nur annehmen, dass vielleicht Johann Brodd, der Koch, manchmal Schmidtkes Helfer gewesen sein konnte. Aber das wird leider nicht in dem Buch erläutert.198 Wenn man mit den Augen von Chrystian, der 194 Becker. Artur: Die Zeit der Stinte. 2006. S. 55. Ebd. 2006. S. 41. 196 Vgl. Koch, Lars. Wende, Waltraud: Krieg Und Gedächtnis: ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld kultureller Sinnkonstruktionen. Verlag: Königshausen & Neumann. 2005. S. 58. 197 Becker, Artur. 2006. S. 41. 198 Vgl. Koch, Lars. Wende, Waltraud: Krieg Und Gedächtnis: ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld kultureller Sinnkonstruktionen. Verlag: Königshausen & Neumann. 2005. S. 59 f. 195 54 dritten Generation, den Großvater Johann Brodd sieht, hat man schon mit anderen Erinnerungen zu tun: ,,Dass er ( Gustaw) sie nicht mochte, lag daran, dass Chrystians Opa Johann, als er noch lebte, fast täglich irgendwelche Straßenköter nach Hause angeschleppt hatte. Allerdings war das vor langer Zeit gewesen, als sie noch in Iława wohnten, das früher Deutsch-Eylau hieß.“199 Chrystian kennt Opa nur aus seinen kindlichen Erinnerungen. Die Geschichte, dass er für Schmidtke gearbeitet hatte, war für ihn ohne Bedeutung. Der Generationswechsel spielt hier eine große Rolle. Wenn Chrystian erinnert, dann nur aus der kindlichen Perspektive. Für ihn war Großvater, ein alter Mann, der Hunde liebte. In einer anderen Passage, wo Chrystian seinen Vater über die Juchelka Geschichte fragt, kommt es zu einem sehr wichtigen Fokus: ,, Mein Bruder Erwin war damals sieben Jahre alt. Er kann sich noch an alles erinnern. Und unser Vater Johann floh in den Wald, als der Juchelka und die beiden anderen auf dem Hof von Schmidtke erschienen. Johann hatte Angst, dass sie ihn auch umbringen würden. Er hat sich ganz unnötig Sorgen gemacht. Er war bei Schmidtke als Koch und Knecht angestellt. Die Häftlinge kriegten einmal am Tag warme Rübensuppe. Wir Brodds brauchen uns nichts vorzuwerfen. Unser Gewissen ist rein. Aber was die Frau von uns will, die meinem Erwin einen Brief geschrieben hat, würde ich gerne erfahren!“200 Wieder erfährt der Rezipient nicht viel über die eigentliche Figur, also Johann. Der Protagonist lautet hier als statisch. Er verändert sich innerhalb des Buches nicht. Es werden zu wenige Informationen geschildert, die einen genaueren Einblick in die Figur eingeben würden. Wie es in der Figurendarstellung folgt, wird Johann als Eindimensional bezeichnet. Im Grunde, kann man sicher über ein Merkmal sprechen der Koch.201 Der Abschnitt zeugt darauf hin, dass wahrscheinlich Gustaw die korrekte Geschichte kennt oder auch nicht. Man kann vermuten, dass er sie von Erwin gehört hat und sie mit seiner eigenen Vorstellung umgestaltet hat. Eine quälende Frage: warum ist Johann in den Wald geflohen und warum hatte er Angst, dass sie ihn umbringen würden, wenn er nur als Koch arbeitete? Ist es vielleicht, weil er im Gegenteil zu dem was Gustaw erzählte tat, dass er keine Rübensuppe den Häftlingen gegeben hat? Man könnte vermuten, dass Johann Angst hatte, dass die Opfer, die zu Tätern wurden, ihn 199 Becker, Artur. 2006. S. 7 f. Ebd. 2006. S. 18 f. 201 Vgl. Gansel, Carsten. 1999. S. 38. 200 55 erinnern und für das mager Essen, das viele Menschen vor Hunger tötete, ihn hinrichten würden. Eine andere Frage ist, woher weißt denn Gustaw, dass sein Vater jeden Tag so gutherzig war und den Häftlingen Nahrung gegeben hat? Gustaw war klein, kann sich nicht an die Zeit erinnern, also es kommt zu einer Behauptung, dass er sich das einfach ausgedacht hat. Dagegen der letzte Abschnitt ,, […] würde ich gerne erfahren!“202 klingt eher als ob Gustaw Angst hat, dass irgendwelche schmutzigen Sachen über seinen Vater herauskommen würden, die darauf zeugen würden, dass die Familie Brodd leider kein ,,reines Gewissen besitzt.“203 Obwohl die Figur Johann Brodd nicht genügend beschrieben wurde, ist es schon möglich einige Spekulationen zu bauen, besonders mit der Hilfe des Generationen Gedächtnisses. Gustaw Brodd- ist der Vater von der Hauptfigur Chrystian. Gustaw, gilt als die zweite Generation der Familie Brodd. Was die Figurencharakteristik ausprägt, ist, dass im Zentrum der Figur, ein Name steht, dem Merkmale zugeordnet werden. 204 Ein weiterer Aspekt, der mehr über die Gestalt sagt, ist: ,,Heute hatte sein Vater Geburtstag, am 4.April 2003, er wurde sechzig […].“205 Um den Krieg zu erinnern, war er zu klein. Er kann sich nur an einige Fetzen aus der Vergangenheit erinnern, aber diese Geschichten sollten eher mit einem augenzwinkernd betrachtet werden. Ob die Figur zu einem Typ klassifiziert werden kann, ist fraglich. An einer Passage, könnte man feststellen und ihn bezeichnen, als einen ,,stolzen Vater.“206 Doch im Weiteren, klingt es mehr, als wäre er nicht glücklich und stolz auf seinen Sohn: ,,Ein überqualifizierter Bengel, der kein Geld verdient.“207 Gustaw war ein Deutscher, der die Polin Danusia geheiratet hat. Für einige Menschen in den Masuren, war es ohne Bedeutung ob es einen Nationalunterschied zwischen den beiden Personen gab. Sie haben neben sich gelebt und im gewissen Sinne auch akzeptiert. Die Familie Brodd war aus Masuren, der Stadt Iława nach Bremen ausgezogen, um ein neues Leben zu beginnen. Dadurch dass Gustaw ein Deutscher war, konnten sie ohne Problem umziehen. Gustaw zählt zu einer 202 Becker, Artur. 2006. S. 18 f. Ebd. 2006. S. 18 f. 204 Vgl. Jannidis, Fotis: Figur Und Person: Beitrag zu einer historischen Narratologie. Verlag: Walter de Gruyter. 2004. S. 109. 205 Becker, Artur. 2006. S. 7. 206 Ebd. 2006. S. 16. 207 Ebd. 2006. S. 16. 203 56 statischen Gestalt. Man erfährt schon am Anfang der Novelle, dass Gustaw ,,der ältere Brodd, war Hausmeister in einem Hochhaus und instruierte aus dem Küchenfenster im Erdgeschoss die Mieter darüber, was ihnen gestattet war oder nicht.“208 Die Beschreibung der Figur, kann nur eines bedeuten, dass ,,klein Manhattan“209 zu seinem Leben geworden ist. Es wird nicht erzählt, dass er z.B. nach Polen, zu seinem Bruder Erwin gereist war. Gustaw zählt eher zu den Typen, die es mögen bequem im Haus zu haben. Jeden Tag macht er dasselbe. Er bleibt als Eindimensional betrachtet. Man weiß nur, dass Gustaw ,,ein hagerer Mann mit einem Tatarenschnurrbart“210 war. Der Rezipient ist nicht im Stande ein volles Bild zu kreieren. Er kann nur vermuten, wie das Individuum aussieht. Die Figurencharakteristik, wird nicht nur durch äußerliche Aspekte gebaut, sondern ein wichtiger Fokus liegt besonders im sozialen Milieu. Das wird dementsprechend durch das Kollektiv geformt, in diesem Beispiel, von der Generationen-Familie. Das primitive erscheint in der Passage, wo Chrystian über das wahre Denken von Gustaw schildert: ,, Gustaw hat Angst, dass du durch deine Recherchen etwas Ungeheures ans Licht bringen könntest, und ein Schandflecken auf seiner Ehre würde ihn empfindlich treffen wie ein Torpedo, sein Untergang wäre dann eine beschlossene Sache. Er sorgt sich immer darum, was die Leute über ihn und seine Familie sagen. Er hat mich vor dir gewarnt. Er ist kein Dummkopf. Manchmal denkt er sich die Welt kleiner, als sie in Wirklichkeit ist. Und eine Jüdin hat nach seiner Vorstellung hier in Bremen, in seiner Welt, nichts verloren.“211 Erstens, wird das primitive Denken Gustaws in den Vorschein gestellt. Er hat Angst, dass irgendwelche schlimmen Sachen ans Tageslicht kommen. Man könnte vermuten, dass es eher ihm um seine Person geht, und nicht um die Familie. Natürlich, im gewissen Sinne auch um die Familie, aber das ist mit ihm fixiert. Er war immer als ein guter Mensch betrachtet worden, der eine Polin geheiratet hat, was bedeuten würde, dass er und ,,seine Familie“ eine große Toleranz für Ausländer prägen. Aber das scheint nicht so zu sein, weil er Mona, als eine Jüdin bezeichnet, die nichts zu suchen in ,,Europa“ hat. Es würde eine Katastrophe sein, wenn eine jüdische Frau auf die Spur gekommen wäre, dass sein Vater ein Mörder war. Die Geschichte über Schmidtkes Mord, die er Chrystian erzählt, klingt doch, als hätte er einige Details vergessen zu 208 Ebd. 2006. S. 7. Ebd. 2006. S. 7. 210 Ebd. 2006. S. 11. 211 Ebd. 2006. S. 105. 209 57 erwähnen. Die Figur fungiert besonders mit seinem Alter, als Geschlossen. Er möchte sich nicht entwickeln, obwohl er eine Chance darauf hätte, weil der Erzähler ihn nicht lenkt. Der Rezipient bekommt stark zu fühlen, dass er ein alter Mann ist, der weiß wo sein Platz ist und keine Abenteuer mehr braucht. Chrystian Brodd- 37 Jahre alt, ist die Hauptfigur der Geschichte. Obwohl Chrystian am Anfang der Novelle als eine statische Figur erscheint, so muss man im Laufe der Geschichte feststellen, dass er sich wesentlich entwickelt. Chrystian ist ein Träumer, der ausgebildet ist, aber trotzdem ohne Job. Er verliert seine eigene Familie. Seine Frau verlässt ihn, weil er ein Versager ist. Alles was Schlimmste, passiert ihm. Er sieht keinen Ausweg, möchte nur wegrennen, wo seine ex-Frau und andere Probleme ihn nicht erreichen können. Das Problem liegt auch in dem, dass Chrystian Vater ist. Er möchte ein verantwortungsbewusster Vater für Tobias sein, aber ohne Job und keine Wohnung, die geeignet für seinen Sohn ist, kann das nicht wirklich funktionieren. Das verursacht, eine negative Kommunikation zwischen dem Vater und Sohn. Das macht Chrystian auch fertig. Dadurch kann man ihn als einen Melancholiker bezeichnen, der mit Hilfe von Mona Juchelka wieder eine Hoffnung im Leben sieht. Man sollte dennoch mit der Herkunft der Brodds beginnen, um Chrystian, die Figur genauer kennen zu lernen. Wie es in dem Abschnitt der Novelle steht: ,,Die Brodds waren Kinder des Nordens. Sie waren alle dort, im tiefen Norden Polens, geboren.“212 Chrystians Eltern sind nach Bremen ausgezogen. Das hier erwähnte Ereignis zeugt darauf hin, dass er Mehrdimensional ist, weil im Laufe seines Lebens vieles geschah. Er ist halb Pole halb Deutscher. Seine Relation zwischen seinem Vater und ihm war nicht zu letzt gut. Es wird ein Zitat eingeführt: ,,Aber der Kapitalismus hat aus meinen Sohn kein gefräßiges Raubtier gemacht. Ich hoffe, er würde anders werden als sein Vater.“213 Chrystians Vater ist nicht von seinem einzigen Sohn begeistert. Chrystians Person, bedeutet für die meiste Umgebung, in der er lebt, dass er ein Verlierer ist. Das ist nicht das einzige Merkmal, dass der Rezipient über das Individuum erfährt. Es wird sein Äußeres beschrieben: 212 213 Ebd. 2006. S. 10. Ebd. 2006. S. 17. 58 ,,Aber einen Zopf und einen Schnurrbart und eine Jeansjacke tragen mindestens eine Million Männer. Ja, aber Ihr Gesicht ähnelt erstaunlicher dem von Johnny Depp, insofern war es ganz leicht.“214 In diesem Abschnitt, bekommt der Leser ein deutliches Bild von Chrystian. Er ist nicht mehr anonym für ihn. Wir sind im Stande uns Chrystian vorzustellen. So wie es früher gedeutet wurde, ist Chrystian am Anfang der Novelle eher statisch und eindimensional. Aber als er Mona Juchelka kennenlernt, ändert sich alles. Er selbst kapiert es endlich in einem Moment: ,, Rudi, ich muss nach Leipzig! Zu Mona. Sie ist mein Rettungsring. Wenn ich jetzt versage, kriege ich nichts mehr auf die Reihe. Meine Mutter Danusia hat immer gesagt, dass ein Mann selten auf die Frau seines Lebens trifft.“215 Er begreift, dass sein Leben keine Bewegung mehr hat. Um sie zu bekommen, muss er etwas ändern. Stattdessen Mitleid an seinem Leben zu haben, ist bereit ein Risiko zu nehmen. Und so beginnt Chrystians Wandlung. Sobald er jede Stunde mit Mona verbringt, geht seine Traurigkeit weg. Er ist total an Mona und ihre Gefühle fokussiert und sieht Hoffnung. Chrystians Figur ist nicht an die Geschichte seiner Familie interessiert. Er möchte nur mit Mona sein. Natürlich mag er sich an seine Kindheit zu erinnern, die er in Iława verbracht hatte, aber diese Erinnerungen haben nichts mit der Geschichte zu tun, die Mona recherchieren möchte. Der geheimnisvolle Mord, trifft ihn so strak, dennoch ist er nicht dieser Situation bewusst. Chrystian träumt: ,,Er sah in seinen Träumen den Geserichsee und das Flugboot im grauen Nebel landen. Gerald Juchelkas Kameraden aus dem KZ, zwei Litauer, schwiegen, als sie den Anker ins Wasser ließen. Gerald hatte einen Strick im Rucksack. Im Gänsemarsch gingen sie über die feuchte Wiese, auf der Kühe grasten. Sie überquerten einen Sandweg und gelangten auf den Hof von Schmidtke, wo sie seine Mutter antrafen. Die Milchkanne, die die alte Frau in der rechten Hand trug, war voll. Sie wusste sofort, dass die Piloten des Flugboots ihren Sohn hinrichten wollten. […] Ihr Sohn versteckte sich seid 1945 im Wald. In einer verlassenen Holzhütte. Dort hängten sie ihn und flogen noch am selben Morgen zurück, damit die polnische Miliz sie nicht schnappte […]“216 214 Ebd. 2006. S. 28. Ebd. 2006. S. 73. 216 Ebd. 2006. S. 33. 215 59 Es wird rätselhaft für den Leser, weil man sich die Frage stellt, woher Chrystian über die Einzelheiten weiß, die am Geserichsee geschahen? Natürlich hatte er die Geschichte von seinem Vater gehört, aber nicht so genau. Kommt es hier zu einer Benutzung der erzählten Geschichte, einiger Pfetzen und Chrystians Fantasie, die alle erwähnten Erinnerungen vermischen und eine neue Geschichte darauf hin bauen? Wie es früher unterstrichen wurde, das Kollektiv der Generation, übermittelt Informationen den andreren, dagegen die wieder jemandem anderen, aber in diesem Moment schon mit eigenen persönlichen Bildern, die sich vermischen und eine bunte Story konstituieren. Einen anderen, wichtigen Aspekt, der dem Rezipienten nicht entgehen sollte, ist der Schluss der Novelle, wo der Leser von dem Individuum-Chrystian verlangt, offen und Mehrdimensional zu bleiben. Doch das Ende sieht leider für ihn nicht optimistisch aus, was eine Behauptung geben kann, dass Chrystian sich wieder zurückzieht, in seine Eindimensionale, Statische Welt. Diese Welt wird oft durch den inneren Monolog der Figur im Text präsentiert. Der Empfänger könnte bereits früher auf eine Konklusion kommen, dass Chrystian sich nicht entwickelt, dass er sich in der Innenwelt nur bewegt. Das wird besonders charakteristisch durch das ,,Ich-Thema“217, wo die Figur eine passive Einstellung kennzeichnet, ein Beobachter, der sich innerhalb der Innenwelt mit Reflexionen und psychischen Konflikten herumschlägt.218 Es wird ein Beispiel figuriert: ,,Egal, ich muss jetzt sofort mit jemandem sprechen […]. Was soll ich jetzt tun? Wo soll ich sie suchen?“219 Das ist nicht das einzige Zitat, wo Chrystian über seine Ängste, Schwächen und Machtlosigkeit spricht. Die Figur gibt nach. Der Text endet mit diesen Worten: ,,Ich bin geduldig!“220, was darauf hinweist, dass die passive Einstellung gewonnen hat und Chrystian nicht auf den Sprung kommt, sich zu entwickeln. Das Fazit ist, dass Chrystian Brodd eine Chance hatte, mit Hilfe der Liebe zu Mona Juchelka seine Person weiter zu entfalten, doch das geschieht in der Novelle nicht. 217 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 39. 218 Ebd. 1999. S. 39. 219 Becker, Artur. 2006. S. 194. 220 Ebd. 2006. S. 194. 60 Gerald Juchelka- Die nächste Figur, die besprochen wird, ist Gerlad Juchelka, der zu der zweiten Familie in der Novelle gehört. Die Figurencharakteristik zählt nicht zu den einfachsten. Auf der Ebene des Discourse erster Linie, kommt es zu einer Verbindung zwischen der Figur und Information, die durch die Grammatik (Name, Personalpronomen, usw.) im Satz die Informationen zuordnen.221 Gerlad Juchelka, obwohl er im Text als Erinnerung vorkommt, erscheint er mit einem Namen, den der heterodiegetische Erzähler dem Leser nicht vorenthält. Er, als die dritte Generation, spielt eine relevante Rolle in der Geschichte. Aber um alle Aspekte zu schildern, wird es erstens mit Geralds Herkunft begonnen. Gerald Juchelka war jüdischer Herkunft. Die wahre Geschichte schildert Mona Juchelka, seine Enkelin: ,,Ich bin Jüdin, begann sie und löste ihren um die Hüften gewickelten Pullover. Meine Eltern stammen aus Bromberg – Bidgoschtsch. Sie sind Jiddische, keine Orthodoxen. Das einzige Fest, das sie feiern, ist Jom Kippur. Wir hießen früher Goldbaum. Die neuen Papiere, ausgestellt auf den Namen Gerlad Juchelka, haben meinem Opa Samuel trotzdem nichts geholfen. Er wurde nach Stutthof verfrachtet. Die Nazis hielten ihn für einen Kommunisten oder Homosexuellen – ich hab keine Ahnung. Im KZ wurde er verschont und wanderte 1945 aus. Er fand in New York seine Schwester wieder, der Glückspilz!“222 Kennzeichnend wird das wahre Präsentieren der Identität Juchelkas. Mit Hilfe von Mona, bekommt der Leser eine größere Einsicht in und über den ehemaligen KZGefangenen. Es wird klar, dass sein eigentlicher Name, der sehr wichtig für eine Figurencharakteristik ist, Samuel Goldbaum war. Das Erwähnen der Figur – Mona Juchelka ist nicht ohne Bedeutung. Mona ist eine Journalistin. Sie möchte über die Geschichte ihres Großvaters recherchieren. Der Leser sollte jedoch vorsichtig mit den Tatsachen, die Mona erzählt sein. Sie könnten durchaus halb fiktiv sein, weil sie nur das Erzählte von ihrer Familie kennt. Was unterstrichen wird, ist der Generationswechsel, der hier eine bedeutende Rolle spielt. ,,Wir erleben gegenwärtig einen Generationswechsel, bei dem die lebendigen Erinnerungen an den Holocaust mit den Zeugen und Zeitgenossen aussterben. Unsere Kinder werden in einer Welt leben, die keinen lebendigen Kontakt zu den Ereignissen des nationalsozialistischen Massenmords mehr hat. […] Mit dem Generationswechsel ändert sich auch der Gegenstand der 221 Vgl. Jannidis, Fotis: Figur Und Person: Beitrag zu einer historischen Narratologie. Verlag: Walter de Gruyter. 2004. S. 198. 222 Becker, Artur. 2006. S. 87. 61 Betrachtung. Aus der erfahrungsgesättigten, gegenwärtigen Vergangenheit der Überlebenden wird eine reine Vergangenheit, die sich der Erfahrung entzogen hat. […] Mit der ausstrebenden Erinnerung wird die Distanz nicht nur größer, sondern verändert sich auch ihre Qualität. Bald sprechen nur noch die Akten, angereichert durch Bilder, Filme, Memoiren.“223 Es wird markiert, dass es eine Schwierigkeit gibt, die Erinnerungen wieder zu beleben. Die spielenden Figuren in der Novelle, haben es nicht einfach das Wahre zu erfahren, nur der Leser bekommt von dem Erzähler die Möglichkeit mehr über Gerald zu lernen. Das wird durch eine Binnenerzählung im Text erreicht. Im weiterem folg eine Auffassung. ,, Einen nicht kleinen Teil der Zuschreibungen machen bereits die Angaben zur raumzeitlichen Lokalisationen von Figuren aus. Zusammenfassend soll als Folge all dieser Zuschreibungen im discours von der Bindung von Informationen an die Figur in der erzählten Welt die Rede sein.“224 Dadurch kann man sagen, dass mit der Figur Gerlad, die raumzeitliche Lokalisation, das KZ-Lager in Stutthof ist. Der Leser wird durch das Lager ihn assoziieren. Ob die Figur als Eindimensional oder Mehrdimensional gilt, wird auch bestätigt und zwar durch einige Passagen im Text. Es gibt keine Rede, wie Juchelka aussehen konnte, aber der Leser ist sich bewusst, dass die Figur den Krieg überstanden hat und danach in die Staaten ausgezogen war: ,,Sie erzählte ihm, dass ihr Opa, der besagte Gerald Juchelka, in Amerika eine Karriere als Immobilienmakler gemacht hätte. Er sei Anfang der Achtziger verstorben. Ihre Familie sei wohlhabend, bis zum heutigen Tag, und ihr älterer Bruder würde bald die Geschäfte übernehmen.“225 Wie den meisten Juden, ist es auch Juchelka gelungen sich ein wohlhabendes Leben nach dem Schrecklichen Ereignis zu bauen. Schon hier wird es deutlich, dass er eher als Mehrdimensional fungiert. Diese Merkmale sind jedoch nicht genügend um sich sicher zu sein, dass es von einer offenen und mehrdimensionalen Figur gesprochen wird. Der Höhepunkt der Wandlung erscheint erst in dem zweiten Kapitel und am Ende der 223 Kobylińska, Ewa. Lawaty, Andreas: Erinnern, vergessen, verdrängen: polnische und deutsche Erfahrungen. Harassowitz Verlag: Wiesbaden. 1998. S. 110. 224 Vgl. Jannidis, Fotis: Figur Und Person: Beitrag zu einer historischen Narratologie. Verlag: Walter de Gruyter. 2004. S. 198 f. 225 Becker, Artur. 2006. S. 32. 62 Novelle, wo der heterodiegetische Erzähler Gerald eine Stimme gibt. Hier kommt es zu einer gewaltigen Entwicklung der Figur: ,,Der Anführer goss ihm kaltes Wasser ins Gesicht, eine Schöpfkelle voll, und sagte: Mein Name ist Gerald Juchelka. Und du, Richard Schmidtke, bist erlöst. Wir werden uns die Hände nicht an dir dreckig machen.“226 Die Figur erscheint hier eher als indefinit auktorial.227 Durch das Zitat bekommt man einen Eindruck, dass die Figur eine strake Persönlichkeit besitzt. Im Laufe der Geschichte werden andere Aspekte geschildert, die das Opfer- Juchelka zu einem Täter verändern: ,,Du wirst dich an uns erinnern, sagte Gerald Juchelka, das verspreche ich dir. Du wirst deine Erinnerung herausschreien, weil du ein Feigling bist – nicht einmal ein richtiger Mörder, sondern ein Feigling, Schmidtke!“228 Der Abschnitt zeugt darauf hin, dass die Rollen sich umgetauscht haben und Gerald, Schmidtke jetzt zeigen kann, wie Leid, Erniedrigung und Machtlosigkeit sich anfühlen. Durch diese Interpretationen der Figur, kann man feststellen, dass es um einen Erinnerungsroman geht. Die Suche nach der Wahrheit unterstreicht, dass unsere Erinnerungen niemals eine Konkrete Antwort auf die Frage des Gewordenseins des Individuums liefern.229 Mona Juchelka- ist die Enkelin von Gerald Juchelka. Sie (Journalistin), kommt zu den Brodds aus USA, um über den Mord von Schmidtke zu sprechen. Sie ist auf der Spur nach dem Wahrheitsbezug des Mordes, den vermutlich ihr Großvater an Schmidtke vollstreckt hat. Mona zählt zu einer offenen-mehrdimensionalen Figur: ,,Mona Juchelka hatte schmale Lippen. Ihr Haar war gewellt, rostfarben und kurz. Sie hatte nur eine Umhängetasche und einen Samsonite-Aluminiumkoffer auf Rollen mit, der allerdings 226 Ebd. 2006. S. 61. Vgl. Zimniak, Paweł: Nachbarn literarisch- Zu Polenbildern In der neusten deutschen Literatur. Warszawa. 2007. S. 204. 228 Becker, Artur. 2006. S. 67. 229 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht (XXXVII/4/2004). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S. 346. 227 63 riesig war. Er sah in ihre Augen, die ihm an diesem Abend hellbraun schien.“230 Der Leser bekommt einen besseren Eindruck, wie Mona aussieht und wer sie ist. Im Weiteren Aspekt wird es klar, dass sie eine Jüdin ist. Also man stellt fest, dass diese Informationen, die sie über Stutthof hat, müssen mit dem zweiten Weltkrieg, Konzentrationslagern und Hinrichtung zu tun haben. Mona beschreibt was Liebe für sie ist: ,,Sie sagte, Liebe sei etwas für Menschen mit einer Biographie. […] Du bist noch erbarmungsloser als ich, sagte Rudi. Hast du eine Biographie? Nein. Nur der Krieg gibt uns die Chance, wirklich zu lieben- wenn man so will: das Leid. Dann entsteht eine Biographie, weil wir Schmerzen spüren oder selber jemandem einen Schmerz zufügen. In friedlichen Zeiten erschaffen wir uns künstliche Leiden, dieses Verhaltensmuster ist uns angeboren.“231 Monas Weltanschauung ist breiter von Chrystians. Sie kann Dinge differenzieren und in derselben Zeit sie vergleichen. Sie ist eine sehr offene Person, die selbstbewusster von Chrystian Brodd ist. Mona bestimmt, dass es eine Parallele zwischen Leid und Liebe gibt. Nach Carsten Gansel folgt. ,,Es ist nicht immer sinnvoll, nach der Nationalität eines Opfers zu fragen, den das Leid hat keine Nationalität.“232 Der Mensch ist gleich, obwohl es Täter und Opfer gab, jeder kann in einigen Momenten seines Lebens dasselbe fühlen. Die Journalistin, die nur ihre Erinnerungen über die Familie aus den Erzählungen besitzt, versucht eine stärkere Verbindung mit dem Ort Iława zu haben als Chrystian. Sie ist allerdings an die Vergangenheit gebunden, er dagegen im gewissen Sinne auch, aber genauergesagt an seine Kindheit und nicht an das schreckliche Geschehen. Das wird prägnant in einer Passage: ,,Jetzt bin ich endlich hier, wo alles begann, sagte Mona und machte eine Atemübung, die sie wohl in einem Yogakurs gelernt hatte. Jetzt sind wir in dem Land, wo unsere Mütter geboren wurden.“233 Sowohl wenn es kein immanentes Gedächtnis an diesem Ort innewohnt, hat die Konstruktion kultureller Erinnerungsräume prägnante Bedeutung. Sie fixieren und 230 Becker, Artur. 2006. S. 26. Ebd. 2006. S. 39. 232 Gansel, Carsten. Zimniak, Paweł: Reden Und Schweigen In der deutschsprachigen Literatur nach 1945 – Statt lines Vorwortes. Verlag: Neisse. 2006. S. 12. 233 Becker, Artur. 2006. S. 126. 231 64 beglaubigen nicht nur die Erinnerung, die sehr stark im Boden verankert ist, sondern es wird auch Kontinuität der Dauer durch sie personifiziert, die die vergleichsweise kurzphasige Erinnerung von Individuen, Epochen und Kulturen übersteigt. 234 Man bedenkt, dass die junge Generation, wie z.B. Mona nichts mit der Geschichte antut, doch das Individuum ist sehr ehrgeizig: ,,Sie habe wissen wollen, ob der Stall auf Schmidtkes Hof noch in Betrieb sei, landwirtschaftlich in Betrieb, versteht sich. Und wo man den Schmidtke beerdigt habe, das habe sie am meisten interessiert.“235 Man stellt fest, dass die Geschehnisse des Holocaust, sogar mit der Zeitdauer nicht farbloser und blasser geworden sind, sondern noch stärker sich genährt haben und konkreter geworden sind.236 Und das wird besonders an der dynamischen Figur Mona Juchelka fassbar. Richard Schmidtke- zählt zu den primären Figuren in der Novelle. Man könnte sich eine Frage stellen, warum es sich lohnt, näher das Individuum kennen zu lernen? Richard Schmidtke wird nicht nur zu den zwei Konstellationen, der Täter-Opfer Gedächtnis, sondern auch zum Generationsgedächtnis zugeschrieben. Richard Schmidtke war der Kommandant des Außenlagers in Stutthof. Mit eigenen Händen hatte er das KZ-Lager gegründet. Durch die Kriegsjahre hatte er fortwährend Menschen getötet, verhungern lassen. Ein unmenschliches Verhalten folgt in einer Passage der Novelle: ,,Es war nichts einfacher, als zu sterben. Er hatte selbst Hunderte in den Tod geschickt und es niemals bereut. Was soll’s, hatte er sich immer gedacht, sie müssen sowieso irgendwann abkratzen. Ob gestern oder heute? Ich kann ihnen dabei helfen. Und deswegen hatte er an diesem Morgen kein Mitleid mit sich selbst.“237 234 Vgl. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. C. H. Beck. 2006. S. 299. 235 Becker, Artur. 2006. S. 141. 236 Vgl. Kobylińska, Ewa. Lawaty, Andreas; Erinnern, Vergessen, Verdrängen. Verlag: Harrassowitz. Wiesbaden. 1998. S. 111. 237 Becker, Artur. 2006. S. 55. 65 Obwohl in der Analyse zu einer Reflektion kommt, ob Schmidtke zu statischen Figuren zählt oder zu den offenen, stellt man fest, dass er eher als statisch bezeichnet werden soll. Wie es gedeutet wird, ist die Figur innerhalb des Textes von Beginn festgelegt.238Über das Äußere der Figur wird es währenddessen nicht viel erfahren. Es werden kleine Aspekte angegeben, die aber dem Rezipienten nicht weiter helfen, eine Figur im Gedächtnis zu bilden. Das einzige klare, ist der Wald und die Hütte, wo sich Schmidtke für Jahre versteckt hatte. Unter der Charakteristik der Figur, dominiert die auktoriale Technik. Die explizite Charakteristik von Schmidtke, wird durch den inneren Monolog sichtbar: ,,Sein Adamsapfel zuckte mehrmals, und er dachte: So wollen sie es also tun, leise und ohne Eile. Ich werde auf den Stuhl steigen, nackt wie ich bin, nur in Unterhosen – meine Kleider habe ich auf ihren Befehl hin ablegen müssen. Der dicke Eichenbalken wird nicht nachgeben.“239 Der Erzähler verleiht Schmidtke eine Stimme. Unter der Anführung von Gerald Juchelka, den Großvater von Mona, kommt es zu einer Selbstjustiz.240 Durch den inneren Monolog, wird die Täter-Perspektive hervorgehoben.241 Das epische Medium242, verfügt über eine Übersicht in die Innenwelt von Schmidtke. Sie rückt ihn dazu, ein KZ-Lager zu bauen. Die Täterfigur bekommt sogar Verständnis von dem Erzähler selbst: ,,Er war zu Hause geblieben, als der Krieg anfing. Er war ja kein junger Mann mehr. Er hatte eine andere Methode gefunden, sich nützlich zu machen.“243 Der heterodiegetische Erzähler lässt Schmidtke reden, er mischt sich in die Weltanschauung der Figur nicht ein. Ein anderes Beispiel dafür ist, wo Schmidtke durch einen inneren Monolog den Rezipienten in seine Gedanken einführt: ,, Er fragte sich, ob er sich an sie erinnern würde. Bestimmt nicht. Und er ärgerte sich, dass sie noch am Leben waren. Was war in Stutthof passiert? Waren sie geflohen? Wie hatten sie nur … vergessen werden können? Welcher Dummkopf hat diese drei Häftlinge entkommen lassen? Sie 238 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 38. 239 Becker, Artur. 2006. S. 62. 240 Vgl. Zimniak, Paweł. Nachbarn literarisch – Zu Polenbildern In der neusten deutschen Literatur. Warszawa. 2007. S. 204. 241 Ebd. 2007. S. 204. 242 Petersen, H. Jürgen/ Wagner-Egelhaaf, Martina: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft. Ein Arbeitsbuch. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., Berlin. 2006. S. 47. 243 Becker, Artur. 2006. S. 204. 66 sollten doch schon seit mindestens zwei Jahren tot sein. Niemand würde dann mehr wissen, was aus ihren Leichen geworden war. Niemand würde sie identifizieren können.“244 Der unmittelbare Erzähler kennzeichnet, dass Schmidtke sich an die Häftlinge nicht erinnern kann. Es wird erwiesen, dass er als Statisch in der Geschichte sich bewegt. Durch die Sätze, die er ausspricht, betonnt er nur persönlich, dass er ein Täter war und immer bleibt. Das offensichtliche ist wiederum, dass der Erzähler keine Stellung einnimmt. Die auktoriale Figur disponiert mit einen freien und sehr offenen Feld, wo sie seine eigene Meinung unterstreichen kann. Dennoch in diesem Kapitel, der als eine Binnenerzählung fungiert, kommt es zu einem Rollentausch. Das Genozid, dass nicht nur an jüdischen Opfern verübt wurde, sondern, wie es bewiesen wurde, auch an solchen Völkern, wie den Deutschen, entspricht nur dem, dass das Täter-Opfer Phänomen sich auch umtauschen kann.245 Der langsame Tod Schmidtkes, den der Anführer Gerald Juchelka durchführt, zwingt Richard sich in seiner Innenwelt zu verschließen, wo der heterodiegetische Erzähler nur hineinschaut: ,,Er war aber wach. Er schlief doch nicht mehr, seit dem I. September hatte er kaum eine Nacht durchgeschlafen. Und er war für seine Häftlinge immer da gewesen, hatte sich doch um sie gekümmert. Und was wollten sie jetzt noch von ihm? Warum waren diese drei Männer hier? Um der Gerechtigkeit willen? Welche Gerechtigkeit vertraten sie? Warum mussten sie sich rächen? Er hatte doch nichts Böses gewollt, als er auf seinem Hof das Außenlager baute.“246 Richard Schmidtke zählt zu den Figuren, die sich nie ändern werden, die keine Chance haben, offen zu werden oder Mehrdimensional, etc.247 Eine Konklusion, die am Ende des Punktes unterstrichen sollte, ist dass die beiden Konstellationen, also das Generationengedächtnis und das Täter-Opfer Gedächtnis sehr viel gemeinsam haben. Die Geschichte, die hier von den Figuren erzählt wird, wird in einer kollektiven Weise weiter ausgerichtet. Ohne das Generationengedächtnis, wäre es besonders schwer das schreckliche Geschehen, Genozid zu erfahren. Im Grunde, kann man das in zwei Punkten darstellen, weil das Ganze was passiert, nur der Rezipient weiß. Er hat den Einblick in beide Historien. Dagegen die Figuren, bis heute haben keine Gewissheit, 244 Ebd. 2006. S. 56. Vgl. Uhl, Heidemarie: Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20 Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21 Jahrhunderts. Innsbruck et al.: Studien Verlag. 2003. S. 199. 246 Becker, Artur. 2006. S. 63. 247 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 39. 245 67 wer Schmidtkes Täter war. Deshalb muss man unterstreichen, dass der Mechanismus des Empfangs der Identifikation mit dem Opfer und der Abwehr der Täterassoziation scheitern kann, besonders wenn die Erinnerungen in der Vergangenheit sich rasch wechseln und eine ganz neue Perspektive einnehmen. Daraus folgt. ,,Ein Teil einer Strategie, die der Gefahr begegnen will, dass die Einmütigkeit in kollektiver Abscheu, Trauer und Erinnerung [zugleich] eine bequeme Übernahme der Opferperspektive [bedeutet] und die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit [gerade verhindert].“248 4.4.6 Zeit Der folgende Punkt, soll die Erscheinung der Zeit und andere Aspekte, die mit ihr fixiert sind, berücksichtigen. Der Literaturwissenschaftler Günter Müller, hatte in die Erzähltheorie zwei Begriffe ,,erzählte Zeit und Erzählzeit“249 eingeführt, die den Text unter dem Terminus Zeit, narratologisch bearbeiten sollen.250 Die Relation der beiden Konstellationen, kann man nach Genette anhand dreier Prinzipien analysieren: Ordnung, Dauer und Frequenz.251 Bevor jedoch man sich auf sie einlässt, wäre es nötig die Novelle von Artur Becker anhand narrativer Zeitverhältnissen zu analysieren.252 Unter der Erzählzeit wird die Summe der unterschiedlichen langen Zeit beachtet. Also in dieser Hinsicht haben wir mit 199 Seiten in der Novelle zu tun. Demgegenüber, die erzählte Zeit, die aus der Summe der Zeitspannen von Stunden, Jahren, Monaten, etc. konstituiert ist, entspricht sie in Beckers Novelle ungefähr 30 Tagen.253 Das wird im jedem Kapitel von dem heterodiegetischen Erzähler hervorgehoben: ,,Heute hatte sein 248 Lampig, Dieter: Identität Und Gedächtnis In der jüdischen Literatur nach 1945. Erich Schmidt Verlag GmbH &. 2003. S. 167. 249 Die erzählte Zeit ist die Dauer der erzählten Geschichte, wohin gegen die Erzählzeit die Zeit meint, die ein Erzähler für das erzählen seiner Geschichte benötigt. Hermand, Sita: Erzählanalyse der Kurzgeschichte „der Tunnel“ von Friedrich Dürrenmatt. GRIN Verlag. 2008. S. 4. 250 Vgl. Martinez / Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 2007. S. 31. 251 Vgl. Hermand, Sita: Erzählanalyse der Kurzgeschichte „der Tunnel“ von Friedrich Dürrenmatt. GRIN Verlag. 2008. S. 4. 252 Vgl. Ackermann, Susanne. Die Ordnung der Zeit bei Gérard Genette und Eberhard Lämmert: Ein Vergleich. GRIN Verlag. 2008. S. 8. 253 Vgl. Reidel-Schrewe, Ursula. Die Raumstruktur des narrativen Textes: Thomas Mann, ‘’Der Zauberberg”. Königshausen & Neumann. 1992. S. 8. 68 Vater Geburtstag, am 4. April 2003 […].“254 Das Datum ist eine große Hilfe für den Leser, denn dadurch und einige andren Passagen kann er sich ein Bild über das Zeitverhältnis bauen: ,,Im Radio sagte der Nachrichtensprecher gerade: >> Heute ist Donnerstag der 16.April…<<, […].“255 Von großer Bedeutung ist auch die Binnenerzählung, die in zwei separaten Kapiteln erscheint. 1947, war das Jahr wo Gerald Juchelka nach Stutthof kam um Schmidtke zu töten. Die erzählte Zeit dauert einen Tag, beziehungsweise einige Stunden. Ein Zitat folgt: ,, […] war Richard Schmidtke seit einer viertel Stunde tot.“256 Hier könnte man von einer heterodiegetischen-internen Analepse sprechen, weil sie ,,den diegetischen Inhalt betrifft, der sich von der Basiserzählung unterscheidet.“257 Wenngleich wir von zwei divergenten Geschichten erzählen, haben sie dennoch etwas Gemeinsames. Chrystian Brodd verbindet sie dadurch, dass er und Mona Juchelka nach Polen fahren um das rätselhafte Ereignis zu enthüllen. Doch man sollte unterstreichen, dass nur die Figuren der Gegenwart, die zwei separaten Geschichten verbinden versuchen. Dennoch, wenn man die Geschichten separat anschaut, dann wird es eher von einer nichtteleologischen, offenen Plotstruktur der Handlung gesprochen.258 4.4.7 Ordnung Im Folgenden, soll der Begriff der Ordnung anhand der Novelle erläutert werden. Was für diesen Aspekt von Bedeutung ist, dass der narrative Text zeitlich nacheinander konstitutiv sein soll.259 Wie schon erwähnt, setzt die Erzählung in medias res, was darauf deutet, dass wir mit einem nicht chronologischen, sondern anachronischen 254 Becker, Artur. 2006. S. 7. Ebd. 2006. S. 117. 256 Ebd. 2006. S. 195. 257 Nottelmann, Nicole. Trategie des Erfolgs: narratologische Analysen exemplarischer Romane Vicki Baums. Königshasen & Neumann. 2002. S. 309. 258 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht (XXXVII/4/2004). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S. 346. 259 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung In die Erzähltheorie. München: Verlag C.H. Beck. 2007. S. 32. 255 69 Erzählen zu tun haben.260 Die von Lämmert eine Rückwendung beziehungsweise von Genette die Analepse, kommt in dem ersten Kapitel ins Vorschein: ,,Als kleiner Junge hatte er dem Heiligen Bartholomäus, der in der roten Backsteinkirche in Iława thronte, geschworen, keine Sünden zu begehen, […].“261 Chrystians Erinnerungen, werden in Form einer Analepse nachträglich dargestellt.262 Die Zeitdehnung, die aus der Gegenwart sich spannt, hat einen Umfang von ungefähr 30 Jahren. Jedes Kapitel hat mit Analepsen zu tun. Die Frage ist jedoch, ob die Handlung mit der primären Geschichte sich fixiert? In dieser Novelle kommt es zu einer Differenzierung zweier Geschichten, die dennoch sich durch die Erinnerungen der Figuren verbinden. Deswegen sollte man nicht nur über die 30 Jährige Zeitdehnung sprechen, sondern auch über die ungefähr 56 Jährige Dehnung der ganzen Geschichte, beziehungsweise der Einzelerzählung. Wie folgt, haben wir mit zwei divergenten Analepsen zu tun. Also erstens, mit einer langen (komplette) und zweitens mit einer kurzen (partielle) Analepse.263 Die komplette, wird ohne Kontinuitätsbruch an die Basiserzählung zurückgebunden.264 Diese erscheint eher nicht. Dagegen können wir von der partiellen Analepse sprechen. Es werden mehrere Zitate berücksichtigt, die darauf hinweisen, dass diese Art von Analepse, die Basiserzählung nicht erreicht hat.265 Ein Beispiel dafür ist: ,,Er hatte viel zu lange von einer Doktorandenstelle geträumt und dabei etwas Wesentlich übersehen: das er gar kein Lehrer werden wollte. Seine Mutter war Lehrerin gewesen, eine Lehrerin der Hauptschule Nr.4 in Iława.“266 Die von dem Protagonisten Erinnerungen und träume, werden nie erreicht. Ein anderes Beispiel für Analepse ist, wo Mona Juchelka ihre Familiengeschichte recherchieren möchte. Sie geht mit den Erinnerungen zurück: ,,Gerlad Juchelka und Richard 260 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 261 Becker, Artur. 2006. S. 8. 262 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung In die Erzähltheorie. München: Verlag C.H. Beck. 2007. S. 33. 263 Vgl. Bliedtner, Nadine: Eine Erzählanalyse anhand von „schlechtes Gewissen“ von Thomas Bernhard. GRIN Verlag. 2007. S. 9 f. 264 Ebd. Vgl. 2007. S. 9. 265 Ebd. Vgl. 2007. S. 9. 266 Becker, Artur. 2006. S. 20. 70 Schmidtke sind aber keine erfundenen Figuren. Ihre Geschichte ist wahr.“ 267 Obgleich, das ihre Worte sind, ist die erzählte Zeit bzw. der Wahrnehmungshorizont, an die Figur nicht gebunden. Die zweite Geschichte in der Novelle, also die wo Schmidtke eine Stimme bekommt, hat auch eine Analepse, die aber aus einer ganz anderen Perspektive geschildert wird: ,,Er hatte selbst Hunderte in den Tod geschickt und es niemals bereut.“268 Es kommt zu einem starken Unterschied der beiden Erzählebenen. Die Handlung, die in der Gegenwart fungiert, unterstreicht ganz andere Geschehnisse, oder besser gesagt, von einer anderen Perspektive. Dagegen, die von Schmidtke, ist mit den Kriegstaten stärker eingesaugt. Diese Beispiele zeugen daraufhin, dass das behandelnde Geschehen in der Hauptgeschichte nicht zu dem Zeitabschnitt gehört. Dementsprechend, können wir hier von einer externen Analepse sprechen. Das Phänomen der Analepsen, bewies, dass wir mit einem Erinnerungsroman zu tu haben. Die Chronologie der Ereignisse in dieser Sorte von Roman, wird durch Erinnerungen aufgebrochen, sodass verschiedene Zeitebenen neben sich unverbunden stehen.269 Ein wichtiger Punkt, der mit der Ordnung verbunden ist, ist auch die Inszenierung von Erinnerung.270 In dieser Novelle hat man mit vielen Analepsen zu tun, die am Ende der Geschichte eine Chronologie bilden. Da die Geschichte in medias res beginnt, muss man von einem anachronischen Beginn sprechen. Es ist offensichtlich, dass die Inszenierung von Erinnerung, die hier in Form einer Analepse erscheint, die Erinnerungen des Protagonisten erst später die Ereignisse in einer chronologischen Abfolge erzählt. 267 Ebd. 2006. S. 29. Ebd. 2006. S. 55. 269 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht (XXXVII/4/2004). Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH, S. 346. 270 Vgl. Erll, Astrid. Nünning, Ansgar. Birk, Hanne: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Walter de Gruyter. 2005. S. 126. 268 71 4.4.8 Textende Wenn es um das Textende geht, sollte man eher zwei Arten von Enden berücksichtigen. Erstens, die primäre Handlung, die in der Gegenwart erscheint, wird mit einem offenen Ende beendet.271 Ein Beispiel dafür ist der Textausschnitt: ,,Was soll ich jetzt tun? Wo soll ich sie suchen? Weder im Himmel, mein Lieber, noch im Nirwana, würde mir Rudi dann antworten. Such sie auf der Erde. Bum Shankar! Ich bin geduldig!“272 Die Figuren, also Chrystian und Mona befanden sich in einer bestimmten Stelle der Handlung. Sie waren auf der Spur nach der Wahrheit. Genauergesagt, Mona wollte wissen, ob ihr Großvater ein Mörder war. Die Situation, die sich in dem Zweiten Weltkrieg abspielte, war eine traumatische Erfahrung, nicht nur für die Jüdische Bevölkerung, aber auch für andere Nationen. Der Ort, das Verhalten der Bewohner der Polnischen Stadt und die Nichtachtung, die am Platz des Geschehens existierte, waren wahrscheinlich für Mona zu viel. Vielleicht hatte sie sich gedacht, dass sie hier nichts verloren hat und es keinen Sinn mehr bringt weiter zu suchen. Das andere, was auch eine Ursache sein könnte, dass Mona ihrer Gefühle zu Chrystian nicht sicher war. Deswegen, ihrer Meinung nach, war es besser für sie ihn zu verlassen. Obwohl Mona nicht als die Hauptfigur erscheint, ist es sie, die unter unerklärten Umständen verschwindet.273 Man kann nur vermuten, wie der Weg, der Figuren sich weiter entwickelt. Nehmt man Chrystian in Betracht, könnte man von einer Wiederkehr des Immergleichen sprechen. Also, es kann geschehen, dass Chrystian wieder zum alten wird, oder einen neuen Weg sich aussucht. Der zweite Aspekt, der besprochen werden muss, ist das Ende der Erzählung in der primären Geschichte. Hier wird eher von einem geschlossenen Ende gesprochen. 274 Es Folgt ein Zitat: ,,Sehen Sie sich das an, dieses weiße Meer, sagte Gerald Juchelka. Es ist so 271 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 64. 272 Becker, Artur. 2006. S. 194. 273 Vgl. Gansel, Carsten: Moderne Kinder Und Jugendliteratur, ein Praxishandbuch für den Unterricht. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin. 1999. S. 64. 274 Ebd. 1999. S. 65. 72 still.“275 Richard Schmidtke wurde von den Tätern umgebracht. Das wird schon am Anfang des Kapitels klar. Man hatte eine Vermutung, dass es zu diesem schrecklichen Ereignis kommen wird. Der Erzähler berichtet über diese Tat. Diese Art von Ende, ist für den Rezipienten klarer. Es gibt keine Missverständnisse. Obwohl die beiden Geschichten diametral verschieden sind, verbinden sie sich und geben dem Rezipienten einen breiten Wissenshorizont über die ganze Handlung. Wenn man entscheiden muss zu welcher Gattung das Ende gehört, sollte man es ersten differenzieren und Angaben einführen. Erstens, das Ende in der primären Handlung kann eher als ein Erinnerungsroman bezeichnet werden. Die Plotstruktur ist im diesem Fall nicht geschlossen. Zweitens, die Erzählung in der Erzählung wird eher mit einer Plotstruktur dargestellt. Doch wenn man noch das Wissen des Rezipienten und die Informationen der Novelle aus der Vergangenheit, die als Flashbacks in der Primären Geschichte erscheinen in Betracht zieht, kann die Analyse für einige umstritten sein. Einige Komponente zeugen davon, dass es die Rede von einem Gedächtnisroman ist. Andere dagegen, die überwiegen, würden es eher als ein Erinnerungsroman bezeichnen.276 5. Zusammenfassung Die Oben dargestellte Arbeit, wurde unter den theoretischen, wie als auch narratologischen Aspekten analysiert. Die in dem narratologischen Punkt dargelegten Komponenten, haben in der Untersuchung einen primären Bestandteil abgespielt. Die Analyse der Novelle, zählt nicht zu den einfachsten. Einige Aspekte können vielseitig erklärt werden. Die Modelle der Narratologie, haben bewiesen, dass wir mit einem kommunikativen Gedächtnis zu tun haben. Das wird von den analysierten Punkten verteidigt. Die Erzähler Instanz, hatte in einigen Punkten bewiesen, dass das Individuum mit dem Generationen Gedächtnis gestärkt wird. Die schwebenden Erinnerungen der alten Generation, werden mit der jungen unbewusst verbunden. Es kommt zu einem natürlichen Prozess, der selbstverständlich verantwortlich für eine Übergabe der Erinnerungen ist. In der Einleitung hatte man sich einige Fragen gestellt, wie die 275 Becker, Artur. 2006. S. 199. Vgl. Neumann, Birgit: Fiction of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht, Heft 4/2004. S. 343 ff. 276 73 Erinnerungen von der jungen Generation aufgenommen werden und ob sie überhaupt an sie interessiert sind. Es wird bewiesen, dass durch den natürlichen Prozess der Weiterleitung von Erinnerungen, das kommunikative Gedächtnis, dass mit der Generation verbunden ist, ein bestimmtes Milieu präsentiert, dass Erfahrungen, Werte, Hoffnungen und Obsessionen zwischendurch auflöst.277 Das wird besonders an dem drei-Generationen Model deutlich, dass im Laufe der Zeit immer wieder das Gedächtnis und Erinnerungen schwächt und eine neue Dimension der erzählten Erinnerungen bildet. Es wird auch bewiesen, dass ein kollektives Gedächtnis in der Novelle erscheint. Das wird jedoch nicht mit den eigenen Erinnerungen des Individuums verknüpft. Diese Erinnerungen dagegen werden ihm durch die Generation dargelegt. Das prägnante Täter – Opfer Gedächtnis, wird eher mit der Vergangenheit fixiert, dass in Rahmen von Rückblenden erscheint. Dies wird durch die Binnenerzählung geprägt, die in einigen narratologischen Punkten eingeführt wird. Das Besondere daran ist, dass es zu einem Umtausch von Tätern und Opfern kommt. Es kommt zu einer Verbindung des Kollektivs mit dem Gedächtnis. Das ist ein separater Punkt, der ein Bild zweier Nationen darstellt. Im Gegensatz zu dem Kommunikativen Gedächtnis, das eine Fähigkeit zur schnellen Auflösung hat, ist das Gedächtnis eher mit der Identität der Nation stark verbunden und daraufhin bildet es ein Gedächtnis.278 Also, im Grunde kann man das zweierlei verstehen. Erstens, werden die erzählten Erinnerungen der Generation im Laufe verändert. Das wird von der neuen, jungen Generation verursacht, die aber das unbewusst macht. Zweitens, das kollektive Gedächtnis prägt Erinnerungen, die mit dem Krieg und Nationen verbunden sind. Objektiv gesehen, können diese Erinnerungen nie sterben. Sie sind mit einem wichtigen Ereignis verbunden, dass immer wieder in den Gegenwärtigen Zeiten auftauchen und analysiert wird.279 Der Letzte Aspekt, der berücksichtigt wird, sind die Fictions of Memory von Birgit Neumann. Hier dagegen kam es zu einer umstrittenen These. Einige Modelle aus dem Gedächtnisroman, weisen darauf hin, dass wir mit dieser Gattung zu tun haben. Doch wenn man die Aspekte des Erinnerungsroman darstellt, kann es genauso von dieser Gattung gesprochen werden. Demzufolge muss man klarstellen, dass die Analyse sich nicht geprüft hat. Beispielsweise, im Gedächtnisroman werden fields memories sehr 277 Vgl. Assmann, Aleida / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlag-Anstalt. 1999. S 37. 278 Ebd. 1999. S. 41 f. 279 Vgl. Assmann, Aleida / Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt. 1999. S. 36 ff. 74 stark geprägt, die sehr gut zu dem Individuum der Geschichte passen. Dagegen der Erinnerungsroman bevorzugt die observer memories, die leider keine Verbindung hier finden. Ein anderer Unterschied ist, dass in dem Erinnerungsroman, die Chronologie mit verschiedenen Zeitebenen dargestellt wird, die kein kohärentes Ergebnis bilden. Also es kommt zu unverbundenen Geschichten, die nebeneinander stehen. Das wird eher mit der Novelle assoziiert. Dagegen der Gedächtnisroman bildet eine geschlossene Chronologie, die im Rahmen von Rückblenden, die zeitlich geordneten Erinnerungen am Ende logisch fixiert. Man könnte hier gemischte Gefühle bekommen. In dieser Novelle hat man mit einer Binnenerzählung zu tun, deswegen könnten die Thesen doch einen Weg finden und beweisen, dass wir mit einem Gedächtnisroman zu tun haben. Die Erzähler Analyse, besonders nach Genette, hat auch eine große Bedeutung. Wir sprechen von den homo- wie als auch heterodiegetischen Erzählern, die jeder Roman einen anderen prägt. Auch die intra- oder extradiegetischen Ebenen, werden separat von denen benutzt. Demzufolge muss man unterstreichen, dass in der Novelle der heterodiegetische Erzähler erscheint und eher eine intradiegetische Ebene geprägt wird. Es wird deutlich, dass die Modelle sich verbinden. Es ist nicht einfach eine Gattung auszusuchen, deswegen muss man unterstreichen, dass diese Ebene der Analyse sich nicht erfüllt hat.280 280 Vgl. Neumann, Birgit: Fictions of Memory: Erinnerung und Identität in englischsprachigen Gegenwartsromanen. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht, Heft 4/2004. S. 342 ff. 75 6. Literaturverzeichnis Primärliteratur - Becker, Artur: Die Zeit der Stinte. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München, 2006. Sekundärliteratur - Ackermann, Susanne: Die Ordnung der Zeit bei Gérard Genette und Eberhard Lämmert: Ein Vergleich. 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