Vorlesung14.WS.2016-17 - Prof. Dr. Kazimierz Rynkiewicz

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Prof. Dr. Kazimierz Rynkiewicz
Die epistemische Koexistenz
von Theorie und Wissen
- aus wissenschaftstheoretischer Perspektive
Vorlesung
Ludwig-Maximilians-Universität München
WS 2016/17
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Vorlesung 14
(01.02.2017)
2.3. Natur und Praxis
2.4. Natur und Ethik
2.5. Der Fall „Kognitionswissenschaft als Wissenschaft“
2.6. Exkurs: Kritik am Naturalismus mit dem Blick auf Kant
Darüber hinaus schreibt Habermas:
„Kommunikativ nenne ich die Interaktionen, in denen die Beteiligten ihre
Handlungspläne einvernehmlich koordinieren; dabei bemisst sich das jeweils
erzielte Einverständnis an der intersubjektiven Anerkennung von
Geltungsansprüchen. Im Fall explizit sprachlicher Verständigungsprozesse
erheben die Akteure mit ihren Sprechhandlungen, indem sie sich miteinander
über etwas verständigen, Geltungsansprüche, und zwar Wahrheitsansprüche,
Richtigkeitsansprüche und Wahrhaftigkeitsansprüche je nachdem, ob sie sich
auf etwas in der objektiven Welt […], auf etwas in der gemeinsamen sozialen
Welt […] oder auf etwas in der eigenen subjektiven Welt […] Bezug nehmen.
Während im strategischen Handeln einer auf den anderen empirisch, mit der
Androhung von Sanktionen oder der Aussicht auf Gratifikationen einwirkt, um
die erwünschte Fortsetzung einer Interaktion zu veranlassen, wird im
kommunikativen Handeln einer vom anderen zu einer Anschlusshandlung
rational motiviert, und dies kraft des illokutionären Bindungseffekts eines
Sprechaktangebots.“
(Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt am Main 1983, 68)
Aus dem Zitat ergibt sich, dass die Kommunikation für Habermas als Projekt
kommunikativen Handelns einzig entscheidend ist, weil sie den Raum für
rationale Motivation schafft.
Im Gegensatz zum strategischen Handeln, das sich in performative
Widersprüche verwickelt, weil es doch die intersubjektive Anerkennung von
Geltungsansprüchen voraussetzt, die aber im strategischen Handeln von Anfang
an verneint werden, bringt das kommunikative Handeln eine Menge von
pragmatischen Vorteilen, welche vor allem zur Stabilisierung von
interpersonalen Relationen beitragen.
Die Pragmatik des kommunikativen Handelns, die bei Habermas im Rahmen
des Konzepts der Universalpragmatik auftritt, wird darum zu einem zentralen
Ansatzpunkt, von dem her die objektive, die soziale und die subjektive Welt erst
verstanden werden kann. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil die
Philosophie heute nicht mehr in der Lage ist, in monologischer Systematik die
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Identität der Gesellschaft zu begründen und zu stabilisieren. Die Identität der
Gesellschaft ist nur in der Prozedur des kommunikativen Handelns auf der
moralischen Basis der Diskursethik möglich.
Der im kommunikativen Handeln fundierte Theorierahmen kann durch
hermeneutische Dimension der Sprache erheblich gestützt werden, insbesondere
dann wenn diese Dimension transzendental ausgerichtet ist. Wie dies vor sich
gehen könnte, zeigt uns etwa K.O. Apel.
Seine transzendentale Sprachpragmatik lässt sich zum einen von der
Transzendentalphilosophie Kants her begreifen: Dass sich Leute schon
verstehen, miteinander reden und kommunizieren können, setzt voraus, dass sie
ein gemeinsames Vorverständnis haben oder – mit Wittgenstein gesprochen –
die Regeln eines Sprachspiels anerkennen. Jede Kommunikationsgemeinschaft
hat also Bedingungen der Möglichkeit ihrer Kommunikation. Da sich alles
Erkennen, Denken und Handeln im Rahmen von Kommunikation vollzieht, so
ist nach den Bedingungen der Möglichkeit realer Kommunikation zu fragen,
welche alle Menschen voraussetzen müssen, um überhaupt kommunizieren zu
können.
Das bedeutet, dass die Sprechakte hermeneutisch und pragmatisch interpretiert
und dann transzendental - auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin hinterfragt werden. Zum anderen bezieht sich die transzendentale Reflexion
Apels nicht wie die Kants monologisch auf die Bedingungen der Möglichkeit
der Erkenntnis im Subjekt, sondern auf die Bedingungen der Möglichkeit von
Sprechhandlungen in der Kommunikationsgemeinschaft.
Die sprachlich und pragmatisch orientierte Verknüpfung von Natur und Praxis
fördert in der Naturwissenschaft zunächst den internen Modus der Entdeckung.
Alle Entdeckungen, die das Prädikat „naturwissenschaftlich“ beanspruchen,
müssen von der Naturwissenschaft legitimiert werden und legitimierbar sein.
Denn sonst haben wir es nur mit Magie, Scharlatanerie, Esoterik, ScienceFiction usf. zu tun.
Darüber hinaus gibt es den externen Modus des Erkenntniszuwachses in den
Naturwissenschaften, was gleichsam den Fortschritt erzeugt. Und der Fortschritt
erlaubt uns bekanntlich, das naturwissenschaftliche System nicht nur zu
stabilisieren, sondern es auch gleichermaßen durch die Einbindung der Zeit als
ein sich vorwärts Bewegendes zu glauben. Der Modus des
Erkenntniszuwachses, der auch über die Naturwissenschaften hinausgeht,
produziert aus seiner Beschaffenheit heraus sowohl die nächste Erkenntnis als
das Konzept des Zuwachses als auch das Konzept der Frage, das aber seinerseits
das Konzept der Antwort nach sich zieht. Die ethische Dimension ist dabei auch
entscheidend.
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Natur und Ethik
Im Vorangehenden haben wir versucht, das Verhältnis zwischen Natur und
Praxis zu beschreiben, allerdings nicht aus ontologischer oder metaphysischer
Sicht, sondern aus sprachtheoretischer. Sowohl die Natur als auch die Praxis
werden als Begriffe betrachtet, die durch einen umfassenden propositionalen
Gehalt gekennzeichnet sind. In beiden Fällen weist der propositionale Gehalt
eine Reihe von miteinander verflochtenen Aspekten auf.
Während für die Natur deren Aspekte wie Existenz, Substanz und Wesen
grundlegend sind, sind es für die Praxis die Entitäten wie Subjekt, Handlung und
Ethik. Im Folgenden wollen wir allerdings nur Ethik aufgreifen, um das
Verhältnis zwischen Natur und Praxis zu vertiefen. Es soll im Hinblick auf
Norm und Pflicht geschehen.
In dem Kontext stellt sich zuvor die Frage nach der Funktion von Norm und
Pflicht in den Naturwissenschaften. Inwiefern sind diese beiden Begriffe für die
Naturwissenschaft relevant? Kann eine Wissenschaft auf Norm und Pflicht
verzichten?
Es muss nicht speziell betont werden, dass dies undenkbar sei. Auch die
Naturwissenschaften sind auf Normen angewiesen und haben ihre
„wissenschaftliche Pflicht“ zu erfüllen. Die Funktion von Norm und Pflicht
besteht also darin, dass sie Naturwissenschaften beim Erfüllen ihrer Aufgaben
unterstützen, genauer gesagt beim Erzielen wissenschaftlicher Resultate.
Während die Norm die Wegrichtung von den Naturwissenschaften weist, stellt
die Pflicht hingegen eine Art Motor dar, der die Naturwissenschaften auf ihrem
Weg antreibt. Erklären wir zunächst die Wirkung und Notwendigkeit von
Normen.
Normen werden grundsätzlich mit den Begriffen wie Regel, Maßstab, Vorschrift
usf. in Verbindung gebracht und haben eine grundlegende Funktion nicht nur in
der praktischen Philosophie, sondern auch dort, wo es um die Gewinnung
theoretischer Erkenntnisse geht. Wo immer menschliches Tun sich selbst und
seine Gegenstände gesetzlich ordnet, findet Normierung statt.
Für Naturwissenschaften ist die Normierung zumindest in zweierlei Hinsicht
wichtig: logischer und wissenschaftlicher. Die logischen Normen bestimmen in
den Naturwissenschaften folgerichtiges und widerspruchsfreies Reden, die
wissenschaftlichen Normen konstituieren dagegen in ihren terminologischen
und methodischen Festsetzungen den Rahmen für ein mögliches System
kognitiv-wahrer Aussagen über einen bestimmten Gegenstandsbereich, der auch
von den Naturwissenschaften untersucht werden kann. Dann zeigt sich, dass die
Normen
auch
pragmatisch
fundierte
Anweisungen
methodischer
Naturbeherrschung darstellen.
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Normen sind also Regeln, die in sozialen Gebilden gelten und einen
intersubjektiven Charakter haben. Das gilt sowohl für die sittlichen Normen als
auch für die Rechtsnormen, die als Gesetze bezeichnet werden. Wie
Rechtsnormen von ihrer Durchsetzbarkeit leben, so leben sittliche Normen von
ihrer sozialen Akzeptanz. Sittliche Normen sind Elemente eines sozialen Ethos,
einer gemeinsamen Orientierung, einer objektiv geltenden sittlichen Ordnung
sozialer Gebilde.
Während Gewissensüberzeugungen subjektiv im je eigenen Gewissen
verpflichten, sind das soziale Ethos und seine Normen etwas durchaus
Empirisches, Objektives, der soziologischen Forschung Zugängliches.
Individuelle Gewissen und Normen des sozialen Ethos sind also aufeinander
bezogen und bestimmen sich aneinander. Einerseits leben die Normen von der
Akzeptanz, die sie im Gewissen finden. Sie normieren nur, sofern sie zu
Gewissensüberzeugungen internalisiert sind. Andererseits bilden und entwickeln
sich die Gewissen in Auseinandersetzung mit den Normen des sozialen Ethos.
So entsteht ein dialektisches Verhältnis zwischen der Dynamik der Gewissen
(=Gewissensbildung) und der Dynamik des Ethos (=Wertewandel). Daraus
ergibt sich, dass die Normen für die Dialektik des Gewissens notwendig sind.
Zudem sind sie für die Herausbildung und Funktionierung einer humanen
Gesellschaft erforderlich. Denn nur auf der Basis einer gemeinsam anerkannten
sittlichen Normativität können gesellschaftliche Institutionen human lebbare
Gestalten konkreter Freiheit sein.
Dass das dialektische Verhältnis zwischen Gewissen und Normen auch für die
Naturwissenschaften bedeutsam ist, leuchtet zumindest schon dann ein, wenn
man die Aktivität epistemischer Subjekte vor Augen hat, die
Naturwissenschaften betreiben. Die epistemischen Subjekte müssen sich bei der
Bewältigung naturwissenschaftlicher Aufgaben zum einen an geltende Normen
halten, zum anderen dürfen sie ihrem Gewissen folgen. Diese Konstellation
wirkt sich letzten Endes auf wissenschaftliche Resultate aus.
Dennoch ist dabei zu betonen, es reicht nicht aus mit Hilfe von Normen zu
wissen, welcher Weg in den Naturwissenschaften zu gehen ist, sondern man
muss ihn auch effizient gehen (wollen). Dazu trägt das Phänomen der Pflicht
erheblich bei. So kann es durchaus vorkommen, dass sich die
Naturwissenschaftler – man denke hier etwa an die Mediziner – trotzdem
verpflichtet wissen, ihren Aufgaben sorgfältig nachzugehen, auch wenn sie von
deren Effizienz aufgrund vorhandenen Wissens nicht mehr überzeugt sind:
Obwohl ein Arzt z.B. weiß, dass der Patient, den er seit langem behandelt, bald
sterben werde, hat er die Pflicht, den Patienten bis zum Ende gewissenhaft zu
behandeln.
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Das Agieren menschlicher Subjekte auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet
wird also stets von der Pflicht begleitet, dass sie ihre Aufgaben gut erfüllen und
ihre Ziele möglichst effizient verfolgen. In dem Kontext ist der formale
Standpunkt Kants anzusprechen, und zwar in dem Sinne, dass sich das kantische
Sollen auf dem Terrain der Naturwissenschaften weder sachlich noch strukturell
offenbart, sondern eher begleitend und motivierend.
Als Erscheinungsform der Pflicht ist vor allem der kategorische Imperativ
anzusehen. Kant schreibt:
„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle
nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein
allgemeines Gesetz werde. […] Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wonach
Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im
allgemeinsten Verstande (der Form nach), d.h. das Dasein der Dinge, heißt,
sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine
Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Maxime deiner
Handlung durch deinen Willen zum ALLGEMEINEN NATURGESETZ werden
sollte“ (GMS B, 421).
Nach Kant kann also unser Handeln nur dann moralisch sein, wenn wir es einem
notwendigen und allgemein gültigen, d.h. einem unbedingt verbindlichen Gesetz
unterstellen. Ein unbedingt verbindliches Gesetz ist ein Gesetz, dessen
Gültigkeit nicht von den Umständen abhängt, in denen gehandelt wird. Die
Existenz eines notwendigen und allgemein gültigen, d.h. apriorischen
Moralgesetzes stellt für Kant ein unbestreitbares Faktum der Vernunft dar.
Moralisch, d.h. aus Pflicht zu handeln bedeutet, eine Handlung rein aus
Vernunftgründen vollziehen. Und das höchste moralische Gesetz in den
Menschen, das sie zu unbedingtem sittlichen Wollen antreibt, ist kein
undefinierbares Sollen, sondern ein genau formulierbares, apriorisches Gesetz
der praktischen Vernunft. Dieses Gesetz wird von Kant der kategorische
Imperativ genannt. Der kategorische Imperativ überprüft die Maximen, d.h.
subjektive praktische Grundsätze, die eine allgemeine Bestimmung des Willens
enthalten. Die Maximen werden in der moralischen Überlegung einzelnen
Handlungsmöglichkeiten zugrunde gelegt (vgl. KpV A, 56f.; GMS B, 402f.).
Wenn wir den kategorischen Imperativ Kants direkt mit den
Naturwissenschaften in Verbindung setzen, dann zeigt sich der fundamentale
Unterschied zwischen Naturgesetz und Moralgesetz (sittlichem Gesetz).
Wenn wir ihn aber auf die Naturwissenschaften nur indirekt beziehen, d.h. so
dass er für sie als „Antriebsfaktor“ gilt, dann ergibt sich eine
wissenschaftstheoretisch zulässige Konstellation; zudem bringt Kant selbst den
Begriff „Natur“ ins Spiel. Diese Konstellation wird auch dann nicht aufgehoben,
wenn manche Denker von einer Provokation sprechen, wie dies etwa bei der
Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kant und Schiller der Fall ist.
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So fragt z.B. Otfried Höffe, ob bei Kant Pflicht kontra Neigung stehe, und
antwortet, dass dies nicht der Fall sei. Dass es keinen Menschen gibt, der sich
nie von seinen Neigungen verführen lässt und beispielsweise selbst unter
Lebensgefahr zuverlässig moralisch handelt, weiß Kant durchaus. Indessen
verstehen manche Kant-Kritiker den Begriff der Pflicht rein funktional als die
Aufforderung, eine beliebige Aufgabe zu erfüllen, ohne den Rang der Aufgabe
zu beachten.
Kant vertritt aber weder einen funktionalen und fremdbestimmten
(heteronomen), oder sogar autoritären Pflichtbegriff, noch einen als „pietistisch“
zu denunzierenden Gehorsam. Im Rahmen der Selbstbestimmung enthält der
Begriff vielmehr die schwerlich zu bestreitende Einsicht, dass Menschen –
wider besseren Wissens - nicht immer so handeln, wie sie moralisch handeln
sollen. Wegen ihres natürlichen Interesses am eigenen Wohl, also aus einem
durchaus anthropologischen Grund, hat die Moral den Charakter des Sollens.
Für den Menschen, ein sinnliches Vernunftwesen, tritt es in Form eines
uneingeschränkt gültigen, kategorischen Imperativs auf.
Abschließend ist festzustellen, dass auch die Naturwissenschaftler nicht immer
so handeln bzw. forschen (können), wie sie handeln bzw. forschen sollen.
Insofern kann sie der kategorische Imperativ Kants durchaus positiv motivieren.
Der Fall „Kognitionswissenschaft als Wissenschaft“
Dass die Naturwissenschaften ihre Resultate in komplexen Zusammenhängen
gewinnen, leuchtet schon aufgrund der Analyse naturwissenschaftlicher
Dynamik ein. Zwar gilt dabei stets die Natur in ihrer vielfältigen Gestalt in erster
Linie als Gegenstand der Analyse, dennoch ist ferner auch die ganze strukturelle
Komplexität des Gewinnungsprozesses zu beachten.
Diese beiden Aspekte werden auf dem Gebiet der Kognitionswissenschaft
plausibel repräsentiert, die als Wissenschaft mit dem breit angelegten
Untersuchungsspektrum betrachtet wird. Kognitionswissenschaft ist also die
interdisziplinäre Wissenschaft zur Erforschung von geistigen Prozessen:
Denken, Sprechen, Lernen, Wahrnehmen, Erkennen u.ä. All diese Prozesse sind
aber stets naturhaft bzw. materiell fundiert. Daher ergibt sich folgendes Schema:
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Kognitionswissenschaft
Psychologie Linguistik
Philosophie
Neurowissenschaft
Anthropologie
Künstliche Intelligenz
Kognitionswissenschaft (engl. Cognitive Science) umfasst also (zumindest)
folgende Disziplinen: Philosophie, Neurowissenschaft, Psychologie, Linguistik,
Anthropologie, Künstliche Intelligenz, wobei den zwei ersteren Disziplinen (d.h.
Philosophie und Neurowissenschaft) eine besondere wissenschaftliche Funktion
zukommt, weil sie das Verhältnis zwischen dem Mentalen und Materialen auf
personal-menschlicher Ebene bestimmen.
Darüber hinaus ist hier zu betonen, dass die Philosophie als einzige Disziplin
vom Menschen ausgeht, insofern er Denkender (d.h. menschliches Subjekt) ist.
Andere naturwissenschaftlich geprägte Disziplinen wie die Neurowissenschaft
oder die Psychologie betrachten den Menschen hingegen in erster Linie als
Objekt.
Alle Disziplinen befassen sich - in der jeweils eigenen Weise - mit der Frage
nach dem kognitiven Vermögen von Erkenntnissubjekten, indem sie klassische
epistemologische Begriffe (wie Denken, Erkennen, Wahrnehmen usf.)
aufgreifen und mit verschiedenen, teilweise pragmatischen Akzenten versehen.
Als derartige Subjekte können sowohl Lebewesen als auch künstliche Strukturen
gelten. Bei menschlichen Lebewesen, bei denen auch das Vernunftvermögen
miteinbezogen wird, erlangt diese Frage eine besonders komplexe Struktur.
Zum einen ergibt sich diese Konstellation daraus, dass sich das menschliche
Erkenntnisvermögen selbst in einem mehrfach strukturierten Prozess abspielt.
Zum anderen werden von den Menschen immer präzisere künstliche Systeme
entworfen, welche nicht nur nachahmend über zahlreiche menschenartige
Erkenntnismerkmale verfügen, sondern auch über diese in vielerlei Hinsicht
hinausgehen.
Im Computerzeitalter, in der Zeit der neuen „Schöpfungswissenschaft“, sind es
insbesondere künstliche Intelligenz und künstliches Bewusstsein. Sie gelten als
prinzipielle
neuronal-künstliche
Untersuchungsgegenstände
der
Kognitionswissenschaft, allerdings in einem breiteren Rahmen, in dem auch
andere wissenschaftliche Aspekte mit beachtet werden: psychologische,
philosophische, anthropologische, linguistische usw.
Die naturwissenschaftliche Relevanz der Kognitionswissenschaft wird schon
dann sichtbar, wenn wir ein paar einfache Fragen stellen:
* Was ist künstliches Bewusstsein?
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* Können wir die elementaren Typen der bei den Menschen feststellbaren
Aktivitäten wie Rechnen, Sprechen, Singen usw. auch mit dem künstlichen
Bewusstsein problemlos in Verbindung setzen?
* Ist ein künstliches Bewusstsein überhaupt möglich?
* Können Artefakte (Computer, Automaten, Roboter, künstliche systemische
Vernetzungen) so gefertigt werden, dass sie Qualia besitzen?
Wäre dies möglich, dann müssten wir ihnen auch bewusstes Erleben
zuschreiben. Um aus diesem Fragenlabyrinth herauszukommen, müssen wir
innerhalb der Kognitionswissenschaft unbedingt zwischen dem künstlichen
Bewusstsein (KB) und der künstlichen Intelligenz (KI) unterscheiden.
Mit der KI ist die Fähigkeit von Maschinen gemeint, funktionale (logische,
mathematische, grammatische, übersetzungstechnische usw.) Operationen
auszuführen, für die sie programmiert werden. In diesem Sinne „rechnet“ der
Computer ebenso wie die alte Rechenmaschine, nur eben in weit komplexeren
Kalkülen. Dabei verwenden wir einen funktionalistisch reduzierten
Intelligenzbegriff, der allerdings von den philosophischen Begriffen wie
Intellekt, Vernunft usf. zu unterscheiden ist. Wenn wir daher nach der
Möglichkeit von dem KB fragen, dann wollen wir wissen, ob die Komplexität
maschinenartiger Artefakte einen Grad erreichen kann, auf dem diese Artefakte
mentale Zustände (Qualia) entwickeln. Die Antwort auf diese Frage hängt
jeweils von dem bewusstseinsphilosophischen Standpunkt ab:
(1) Neigt man zum naturalistischen Reduktionismus, so reduziert man die
Qualia physikalistisch auf materielle Gehirnprozesse. Dadurch hat man keine
besonderen Probleme, hochkomplexen künstlichen systemischen Vernetzungen
Bewusstsein und Geist zuzuschreiben, da beide Begriffe so reduziert sind, dass
ihr intuitiver Gehalt eliminiert ist;
(2) Hält man dagegen an der eigenständigen, nichtreduzierbaren Bedeutung
dieser Begriffe fest, so wird man künstliches Bewusstsein für unmöglich halten,
da bewusst-geistiges Erleben auf einer prinzipiell anderen Ebene liegt als
sämtliche mechanische Prozesse, gleichgültig wie komplex, rückgekoppelt oder
vernetzt diese auch sein mögen.
Die Aufgliederung des Untersuchungsgegenstands der Kognitionswissenschaft
in die künstliche Intelligenz und das künstliche Bewusstsein hebt den
naturwissenschaftlichen Aspekt dieser Disziplin ganz deutlich hervor. Dies wird
noch deutlicher, wenn wir zwischen drei verschiedenen Phasen der Entwicklung
der Kognitionswissenschaft unterscheiden.
In der ersten Phase, die man als „Beginn der strukturellen Modellierung“
bezeichnen kann, kommt es zur Etablierung der Kybernetik, die sich bekanntlich
mit der Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der
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Maschine befasst. Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass Verknüpfungen
(vornehmlich) neurobiologischer Wissensbestände mit logischen Operationen
unternommen werden. So werden erste kybernetische Modellierungs- und
Simulationsansätze neuronaler Netzwerke ermöglicht. Im 1943 erschienenen
Aufsatz „A logical calculus of ideas immanent in nervous activity“ von
McCulloch/Pitt finden wir bereits das programmatische Neuronenmodell der
Neuroinformatik. Beide Autoren greifen auf die logischen Operationen (der
Booleschen Algebra) zurück, welche die Eigenschaften der logischen Partikeln
UND, ODER, NICHT über die Eigenschaften der mengenalgebraischen
Verknüpfungen Durchschnitt, Vereinigung, Komplement rekonstruieren.
Um dies für eine künstliche neuronale Modellierung zu nutzen, wird die
Binarität der Wahrheitswerte logischer Wahrheitsfunktionen auf die
Modellierung neuronaler Funktionen übertragen. Dabei werden für die
Modellierung eines Neurons folgende Parameter bestimmt:
(1) The activity of the neurons is an all-or-non process.
(2) A certain fixed number of synapses must be excited within the
period of latent addition in order to excite a neuron at any time, and
this number is independent of previous activity and position on the
neurons.
(3) The only significant delay within the nervous system is synaptic
delay.
(4) The activity of any inhibitory synapse absolutely prevents
excitation of the neurons at that time.
(5) The structure of the net does not change with time.
Auf der Basis der obigen Parameter lassen sich Neurone als Schwellenelemente
terminologisch bestimmen. Da sie jeweils entweder nur aktiv oder inaktiv sind,
sollen sie als binäre Eigenschaft die logischen Werte wahr und falsch darstellen.
Ab dem Jahr 1956 beginnt sich die zweite Phase abzuzeichnen und wird als
„Generierung einer funktionellen Modellierung“ aufgefasst. Entscheidend sind
dabei zwei wissenschaftliche Konferenzen, die 1956 in Cambridge und
Dartmouth stattfanden. Zum ersten Mal werden hier die Hypothese eines
kognitivistischen Paradigmas und die Begriffe funktioneller Symbolverarbeitung
und Künstlicher Intelligenz formuliert. Symbolverarbeitung und Intelligenz
gelten als wesentliche Merkmale von Kognition und werden als
Struktureigenschaften digitaler Systeme aufgefasst, die sich als symbolische
Repräsentationen mittels künstlicher Rechnerarchitekturen simulieren und
modellieren lassen.
Für die Hypothese kognitivistischen Paradigmas ist einerseits die Konzeption
der sogenannten Von-Neumann-Architektur bedeutsam, andererseits die dadurch
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gegebene Möglichkeit der funktionellen Modellierung bestimmter Heuristiken
in Form implementierbarer Algorithmen. Die Von-Neumann-Architektur besteht
aus vier Funktionskomponenten:
* dem Steuerwerk,
* dem Rechenwerk,
* dem Speicher und dem Ein- und
* Ausgabewerk.
Diese Komponenten werden über ein Datenbussystem miteinander verbunden.
Und die dritte Phase wird schließlich als „Kombinierung funktioneller und
struktureller Modellierung zwecks Erzeugung emergenter Eigenschaften“
aufgefasst. Dabei geht es um alternative Ansätze kognitiver
Symbolmanipulation. Ab den späten 1970er Jahren werden strukturelle
Modellierungskonzepte
bei
der
Analyse
des
Bewusstseins
kognitionswissenschaftlicher Forschungsperspektiven eingesetzt. Für diese
Phase sind vor allem zwei folgende Faktoren relevant: die physikalisch
unterbaute Selbstorganisation und die nicht-lineare Mathematik.
Die nicht-linearen Prozesse mit selbstorganisierenden Eigenschaften sind für die
Kognitionswissenschaft insofern wichtig, als sie sowohl neue Möglichkeiten
bieten als auch zudem bestimmte Defizite des Kognitivismus aufzeigen können:
(1) Die im Algorithmus fundierte Einschränkung, weil die algorithmische
Prozedur keine große Effizient aufweist, und
(2) die Anfälligkeit der Systeme für Störungen, wenn ein Element des Systems
ausfällt.
Diese Defizite lassen sich dann vermeiden, wenn man von einer prozeduralen
Operationsweise zu einer Parallelverarbeitung übergeht. Als Beispiel können
hier die Vorgänge neuronaler Verarbeitung des Gehirns gelten.
Exkurs: Kritik am Naturalismus mit dem Blick auf Kant
Wenn die Naturwissenschaften Natur zum Gegenstand ihrer Analyse haben,
dann müssen sie sich ebenfalls mit der äußeren Erfahrung und Naturgesetzen
befassen. Kognitionswissenschaft, deren Struktur, Leistungen und
geschichtliches Profil im Vorangehenden beschrieben wurden, liefert uns ein
umfassendes Paket von Instrumenten, damit die äußere Erfahrung
wissenschaftlich analysiert werden kann.
Für die äußere Erfahrung, so behauptet etwa Kant, sind aber Naturgesetze
konstitutiv. Deshalb schreibt er in der Anmerkung zur dritten Antinomie, dass
die Naturgesetzlichkeit zum Merkmal empirischer Wahrheit gehört, welches
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Erfahrung vom Traum unterscheidet (vgl. KrV B 479). Darüber hinaus
behauptet Kant im Anschluss an die drei Analogien der Erfahrung, dass die
Objektivität in der Einsicht gründet, dass die Natur (=die Außenwelt) einen
Zusammenhang nach empirischen Gesetzen bildet (vgl. KrV B 520f.).
Diese das empirische Element hervorhebende Konstellation verführte jedoch
einige angesehene Philosophen (z.B. Quine) zu einem naturalistischen
Standpunkt, oder kurz zum Naturalismus.
Es ist die Ansicht, dass die empirische Erkenntnis ausschließlich auf natürliche,
empirisch zu erforschende Sachverhalte zurückzuführen sei. Der Naturalismus
besteht als solcher aus einer Reihe von Ansichten, die sich nicht nur
epistemologisch, sondern auch wissenschaftstheoretisch auswirken. So gibt es
etwa den genetischen Naturalismus (GN), der in einer allgemeinen und einer
besonderen Form auftritt:
(1) Der allgemeine GN befasst sich mit der Erkenntnis überhaupt und erklärt
ihre Entstehung lediglich aus natürlichen Faktoren, etwa gewissen Anlagen und
Keimen, die sich im Laufe der Phylo- und Ontogenese entwickeln. Dabei ist der
Beitrag von Kognitionswissenschaften nicht zu übersehen; und
(2) Der besondere GN wird auch als Psychologismus bezeichnet, konzentriert
sich nicht auf die Rechtfertigung von Aussagen, sondern auf die Beziehungen
zwischen Meinungszuständen empirischer Subjekte, und ist mit den alltäglichen
Meinungen eng verbunden.
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