Abraham – dreifacher Urahn Eine Glaubensgestalt macht Karriere im interreligiösen Dialog Von: Andreas Goetze, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 1 / 2017 Juden, Christen und Muslime nehmen ihn in ihre Gebete auf. Jede der drei Religionen reklamiert ihn für sich: Abraham Glaubensvater für Judentum, Christentum und Islam. Wer war dieser Abraham, den Gott zu seinem ersten Jünger erkor? Abraham ist einer der Großen der Menschheitsgeschichte. Tief verwurzelt sind im kollektiven Gedächtnis die Geschichten von Abraham, seiner Frau Sara und seinem Sohn Isaak in Judentum und Christentum. Die Linie Ibrahim - Hagar - Ismael ist entscheidend für die Identität der Muslime. Keine andere biblische bzw. koranische Person "muss so viele Prüfungen bestehen und wird hin- und hergerissen zwischen unglaublichen Verheißungen und bittersten Enttäuschungen" (Karl-Josef Kuschel). In Abraham hat Gottergebenheit ein Gesicht bekommen. Heute macht Abraham Karriere im interreligiösen Dialog. Der Tübinger Theologe Karl-Josef Kuschel spricht von einer "abrahamischen Ökumene" und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Verbindende der Abraham-Geschichte: Juden, Christen und Muslime seien doch alle "Söhne und Töchter Abrahams". Es gelte sich der "gemeinsamen Werte Abrahams zu erinnern", so der jordanische Prinz Hassan Bin Talal, der in Jordanien ein "Königliches Institut für interreligiöse Studien" gegründet hat. Dreifach bedeutsame Person Es ist wahr. Abraham spielt in allen drei Religionen eine zentrale Rolle. "Avraham Avinu" nennen die Juden den Patriarchen voller Ehrfurcht: "Unser Vater Abraham". Denn ihm gab Gott - nach jüdischer Lesart - ein doppeltes Versprechen, ohne dass es weder das "auserwählte Volk" noch den Staat Israel gäbe: "Ich schließe meinen Bund zwischen mir und dir samt deinen Nachkommen", heißt es in 1. Mose, mit dem die Bibel beginnt. Und außer einer großen Zukunft schenkt Gott Abraham auch eine neue Heimat, so dass viele Juden in Abraham den "ersten Zionisten" sehen und die Bibelstelle wie eine Eintragung ins Grundbuch Palästinas lesen. Auch die Christen beanspruchen Abraham für ihre Glaubensgeschichte: "Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams". So beginnt das NT. Der Evangelist Matthäus macht damit klar: ohne die Familiengründung Abrahams keine Geburt Jesu. Dementsprechend heißt es in der katholischen Weihnachtsliturgie: uns, "dem Geschlecht Abrahams", "wurde das Wort des Heils gesandt". Und für Paulus wird Abraham zum Vater der Glaubenden in Christus, indem er Gottes Verheißungen vertraut und sein Leben Gott anvertraut. Islam ist ohne Abraham nicht denkbar. Im Anschluss an die Feststellung im Koran, Gott habe die Religion vollendet (Sure 5,5), sei nach dem islamischen Gelehrten Abdoljavad Falaturi die Streitfrage entschieden, ob Juden oder Christen Abraham für sich beanspruchen könnten: "Abraham war weder Jude noch Christ, Abraham war Muslim". Muslim im Sinne von der einzigen Möglichkeit, wirklich gläubig zu sein, sich eben absolut "Gott hinzugeben", was das Wort "Islam" ja bedeute. Abraham verkörpert all das, was Muhammad von Gott offenbart bekommt. Er soll den "dîn Ibrahim", den "reinen Glaubensvollzug Abrahams", wieder herstellen. Nach Sure 2 erneuert Abraham dementsprechend die Kaaba, das zentrale Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 1/2 Heiligtum, und begründet zusammen mit Hagar und Ismael die Hadsch, die Wallfahrt nach Mekka. Sie gehört zu den fünf Säulen des Islams, auf denen der Glaube eines frommen Muslims basiert. Abraham eint und unterscheidet Die dramaturgische Grundfunktion ist jeweils gleich: Abraham glaubt als erster Mensch an nur einen Gott. Ob spätes Vaterglück oder die Opferszene, in der Abraham erst kurz vor dem tödlichen Stich statt seines Sohnes einen Widder zum Opfer erhält: Abrahams Schicksal soll den Gläubigen erklären, dass dieser Gott ihnen am Ende immer zu Hilfe eilt - auch wenn es manchmal etwas länger dauert. Wenn wundert es, dass Abraham den Gläubigen aller drei Religionen so bedeutsam ist: Ein Schatz des Judentums, eine Quelle christlicher Spiritualität, die Grundlage islamischer Frömmigkeit. Was wird deutlich? Zum einen sind die Differenzen im Verständnis von Abraham nicht unerheblich. Mit dem Stichwort "abrahamische Ökumene" wischt man die Unterschiede zu schnell beiseite. Der Islam legt den Akzent einseitig auf den Glaubensgehorsam, den Abraham als "erster wahrer Muslim" vollzieht. Juden und Christen wissen nichts von der Suche Abrahams nach Gott. In der Bibel ist es Gott selbst, der Abraham anspricht, worauf dieser vertrauend reagiert. Und Christen können darüber hinaus nicht davon absehen, dass in Jesus Christus diese Vertrauensgeschichte an ihr Ziel gekommen ist. Zum anderen könnte uns aber neues Hören auf die Ur-Geschichten des Glaubens helfen, uns als nahe Verwandte anzuerkennen und uns nicht vorschnell voneinander zu trennen. Isaak ist der Ersterwählte (Judentum), Ismael der Erstbeschnittene und im Bund Gesegnete (Islam). Und die Christen aus den Völkern sind durch Jesus Christus die Hinzuerwählten und Mitgesegneten. Der Gott Abrahams und Saras ist auch der Gott Ismaels und Hagars und ist auch der Vater Jesu Christi und Marias. "Alle Geschlechter des Erdbodens" (1. Mos. 12,3) haben Teil an der Segensgeschichte dieses Abraham-Bundes. Das Gespräch zwischen Juden, Christen und Muslimen wird so zu einem Gespräch abrahamischer Geschwisterlichkeit. Denn Abraham als "Freund Gottes" (so wird er in allen drei heiligen Schriften genannt: Jes. 41,8; Jak. 2,23; Sure 4,125) kann uns die Freundschaft zu Gott lehren - ohne Abwertung der anderen. Das wäre wahrhaftig ein Segen, der von Abraham, dem Gottesfreund, für die Völker ausgehen könnte. ▸ Andreas Goetze Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771 Herausgeber: Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Langgasse 54 67105 Schifferstadt Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 2/2