Hepatitis A – ein Update

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Infektionskrankheiten der Leber
© Schattauer 2010
Hepatitis A – ein Update
J.M. Kittner
I. Medizinische Klinik, Universitätsmedizin Mainz
Schlüsselwörter
Keywords
Umweltresistentes Virus, fehlende Therapiemöglichkeiten, hocheffektive Impfung
Stable virus, no therapeutic options, highly effective vaccination
Zusammenfassung
Summary
Die akute epidemische Gelbsucht ist schon seit
vielen Jahrhunderten bekannt, das auslösende
Hepatitis A-Virus wurde aber erst 1973 isoliert.
Es handelt sich um ein sehr umweltstabiles Picornavirus, das vor allem fäkal-oral übertragen
wird. Unter eingeschränkten hygienischen Bedingungen erfolgt die Infektion bereits in der
frühen Kindheit und verläuft hier fast immer
asymptomatisch, hinterlässt aber eine lebenslange Immunität. Bei Erwerb im höheren Lebensalter kommt es hingegen zu signifikanten
klinischen Symptomen. Die Gefahr fulminanter
Verläufe steigt, wovon besonders Personen mit
vorgeschädigter Leber betroffen sind. Die Entzündung der Leber wird wesentlich durch eine
Immunpathogenese verursacht. Möglichkeiten
der Behandlung – außer einer Transplantation
bei fulminantem Verlauf – gibt es nicht. Die Bevölkerungen der Europäischen Union bzw.
Deutschlands sind bereits weitgehend nichtimmun, sodass die jährlich durch Fernreisen eingeschleppten Infektionen zu kleinen, manchmal auch größeren Epidemien führen. Es existiert eine hocheffektive Impfung, die für Risikogruppen empfohlen wird. Maßnahmen der epidemiologischen Surveillance und der Hygiene
sind von großer Bedeutung.
The acute disease of jaundice and its epidemiological appearance are known for many centuries, however, the hepatitis A virus was not
isolated until 1973. It is described as a highly
resistant Picornavirus with a positive RNAstrand, being transmitted mainly faecal-orally. In limited hygienic conditions the infection usually occurs in early childhood, with almost no clinical symptoms. It leaves lifelong
immunity. However, when infection is acquired at higher age clinical symptoms occur,
and fulminant cases are more common. Persons with pre-existing liver disease are at a
special risk. The inflammation of the liver is
mainly caused by immunopathogenesis. Except for transplantation in fulminant cases
there is no treatment available. People living
in the European Union and Germany in large
parts lack acquired immunity, therefore
smaller and sometimes larger outbreaks
occur, induced by infected travellers returning. A highly effective vaccination is available
which is recommended for certain risk groups.
Epidemiological surveillance and hygiene are
of major importance for prevention.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Jens M. Kittner
I. Medizinische Klinik
Universitätsmedizin Mainz
Langenbeckstr.1
55131 Mainz
Tel.: 0 61 31 / 17 22 29
Fax.: 0 61 31 / 17 34 36
Hepatitis A – an Update
Med Welt 2010; 61: 137–141
Einleitung
Das Hepatitis A-Virus ist weltweit verbreitet und verursacht jährlich 1,4 Mio. klinische Erkrankungsfälle einer akuten Vi-
rushepatitis (1), die zwar nur selten zum
Tode führt, aber mit einer erheblichen
Morbidität und hohen sozioökonomischen Verlusten verbunden sind. Die Infektion begleitet die Menschheit schon seit
langem, bereits in der Antike war das
Krankheitsbild einer epidemischen Gelbsucht bekannt. Im 17. bis 19. Jahrhundert
wurden in Europa viele große Epidemien
beobachtet, die vor allem im Zusammenhang mit Kriegen auftraten. Der zweite
Weltkrieg bot erneut die Möglichkeit, epidemiologische Erfahrungen zu ansteckenden Leberentzündungen zu sammeln, und
so wurde kurze Zeit später, 1948, von MacCallum die Trennung in eine „infektiöse
Hepatitis“ (Hepatitis „A“) und eine überwiegend durch Spritzen und (verunreinigte) Impfungen übertragene „Serum-Hepatitis“, die Hepatitis „B“, vorgeschlagen (2).
Versuche mit Freiwilligen bewiesen die
fäkal-orale Übertragbarkeit der „infektiösen Hepatitis“ (3). Jedoch gelang es erst
1973, bei Patienten mit akuter Erkrankung
Viruspartikel im Stuhl elektronenmikroskopisch nachzuweisen (4). Ab 1979 wurde
die Kultivierung des Virus in der Zellkultur
möglich (5), was einen weiteren Meilenstein in der Bekämpfung der Hepatitis A
zur Folge hatte: Seit 1992 ist eine hocheffektive Impfung verfügbar.
Das Virus: ein kleines RNAVirus mit positivem Strang
Das Hepatitis A-Virus gehört zu den kleinsten Viren: es ist nur etwa 27–30 nm groß
und nicht von einer Lipidmembran umgeben. Ein singulärer positiver RNA-Strang
mit einer Gesamtlänge von 7,5 kb wird von
vier unterschiedlichen Strukturproteinen
umhüllt, die sich in einer ikosaedrischen
Form anordnen. Die Namensgebung der
Virusfamilie folgt der Virusgröße: PicoRNA-Viridae. Innerhalb der Familie der
Hepatoviren stellt das Hepatitis A-Virus die
einzige Spezies dar. Tatsächlich ist das Hepatitis A-Virus mit den schnupfenauslösenden Rhinoviren verwandt, die ebenfalls
zu den Picornaviridae gehören (Genus Enteroviren), ebenso wie Coxsackie- und Polioviren. Der positive singuläre RNAStrang macht diese Virusfamilie hochMed Welt 3/2010
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Fallzahl
infektiös, da unmittelbar im Zytosol eine
Translation erfolgen kann und keine weiteren Transkriptionsschritte erforderlich
sind.
Vom Hepatitis A-Virus lassen sich vier
Genotypen (I, II, III und VII) differenzieren. Der weltweit häufigste Genotyp ist Ia.
Allerdings lässt sich nur ein singulärer Serotyp feststellen, verursacht durch eine hohe
Übereinstimmung der antigenen Determinanten. Gleichzeitig bedeutet dies einen erheblichen Vorteil für die Wirksamkeit der
Impfstoffe gegen verschiedene Virusstämme (6). Die bei anderen Primaten gefundenen Virusstämme (IV, V, VI) unterscheiden
sich deutlicher von den humanpathogenen, klinisch signifikante Infektionen sind
beim Menschen bislang nicht beschrieben
(6).
Da das Virus nicht auf eine leicht zerstörbare Lipidhülle angewiesen ist, ist es
sehr umweltstabil, zum Beispiel auch gegenüber 70%igem Alkohol und milden Detergentien wie Seife. Die RNA wird durch
die umgebenden Strukturproteine sehr gut
geschützt. Die Infektiosität bleibt in der
Umwelt für mehrere Monate erhalten, ein
pH-Wert von 3 wird ebenso toleriert wie
Hitze bis maximal 85°C oder Kälte bis
–15°C. An der Luft, zum Beispiel nach Kontamination der Hände, bleibt es für einige
Stunden kontagiös.
A)
Epidemiologie
Weltweit bestehen große Unterschiede in
der Durchseuchung: Die Bevölkerung armer Länder mit überwiegend schlechten
Hygienebedingungen weist bereits bei Kindern im Alter von 9 Jahren eine fast
100%ige Durchseuchung auf (1).
In „Schwellenländern“ mit mittelgradiger bzw. inhomogen verteilter Durchseuchung können in den vergangenen Jahren
zunehmend Epidemien mit symptomatischen Erkrankungen beobachtet werden.
In Regionen mit hohen Hygienestandards wie der Europäischen Union ist die
Prävalenz hingegen sehr niedrig: Im Jahr
2008 wurden 2,8 Erkrankte auf 100 000
Einwohner festgestellt, am häufigsten war
die Altersgruppe der 5- bis 14-Jährigen betroffen (7). Deutschland liegt mit 1,5 Fällen/100 000 Einwohner noch unter dem
EU-Durchschnitt. Die Inzidenz war bis
2004 rückläufig, bleibt aber seitdem bei etwa 1000 Fällen pro Jahr konstant (8). Zum
Ende der Hauptreisezeit (Spätsommer und
Herbst) findet sich in jedem Jahr eine Häufung, am ehesten verursacht durch importierte Fälle (9), gefolgt von einer Welle autochthon erworbener Infektionen bis ins
Frühjahr des Folgejahres (씰Abb. 1).
Woher stammt nun die größte Zahl der
importierten Fälle? Offenbar sind dies vor
80
< 10
10–19
70
20–39
60
40–59
50
> 60
40
30
20
10
0 Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mär
2007
2008
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40
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20–39
40–59
> 60
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B)
0 Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mär
2007
2008
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Abb. 1
Hepatitis A-Fälle
(n = 679), dargestellt
nach Monat des
Krankheitsbeginns
und Altersgruppe,
Deutschland,
2007–2008. A) Importierte Fälle B)
Nichtimportierte Fälle (40)
allem in Deutschland lebende Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund,
die in den Sommermonaten längere Zeit
bei Familie oder Freunden im Herkunftsland zu Besuch sind (9). Die Türkei scheint
hier die größte Rolle zu spielen. Ähnliche
Beobachtungen wurden auch in anderen
mitteleuropäischen Ländern gemacht (10).
Die im Jahresverlauf anschließenden Fälle
betreffen in der Regel zunächst Personen
aus dem direkten Wohnumfeld der Indexpatienten, allerdings nimmt im Verlauf des
Winters der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund ab und das Alter der Betroffenen zu. Insgesamt war bei 56,4% der
HAV-Infektionen in Deutschland keine
Reiseanamnese vorhanden (9).
Das Ergebnis der phylogenetischen
Analyse der in Deutschland aufgetretenen
Virusstämme ist mit einer vielfachen Einschleppung vereinbar, denn es zeigt sich eine große Diversität. Die Weitergabe innerhalb Deutschlands wird in der Regel rasch
unterbrochen, so lag im Jahr 2008 die maximale Größe eines genetisch determinierten Clusters bei nur 15 Personen (9). Ähnliche Beobachtungen wurden auch in anderen Staaten mit niedriger Prävalenz gemacht (11).
In den vergangenen Jahren kam es in
Deutschland nur einmal zu einer größeren
Zahl an Infizierten mit demselben Virusstamm, hier lag allerdings die gemeinsame
Ansteckungsquelle in Ägypten: 271 deutsche Touristen hatten sich in einem Hotel
am Roten Meer angesteckt, vermutlich, wie
retrospektiv ermittelt wurde, durch kontaminierten Orangensaft (12).
Die erhebliche Umweltstabilität ermöglicht auch andere Infektketten: In den USA
wurden mehrere Ausbrüche an räumlich
entfernten Schulen mit demselben Virusstamm beobachtet, nachdem tiefgefrorene
kontaminierte Erdbeeren an die Schulkantinen geliefert worden waren (13). Der Verzehr von Muscheln ist ebenfalls mit einem
erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Da
Muscheln naturgemäß große Mengen von
Wasser filtern, können sie Krankheitserreger anreichern. In mehr als 40% von Muscheln von der Küste Nordspaniens konnte
HAV-RNA nachgewiesen werden (14).
Weltweit dürften hingegen kontaminiertes
Trinkwasser sowie die Verunreinigung von
Lebensmitteln unmittelbar im Rahmen der
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J.M. Kittner: Hepatitis A – ein Update
Zubereitung die Hauptrolle für die Übertragung sein.
Personen mit homosexuellen Kontakten
sind einem höheren Risiko für eine Hepatitis A ausgesetzt, vor allem durch Analverkehr. Ein erhöhtes Risiko besteht weiterhin
für Personen mit intravenösem Drogenkonsum: eine parenterale Übertragung der
Hepatitis A-Viren ist grundsätzlich möglich, wenngleich die Virämie-Phase nur
kurz ist. Die oft prekären Lebensumstände
dieser Personengruppe dürften für die
Übertragung eine zusätzliche Rolle spielen.
ker die Immunantwort, umso rascher geht
die Viruslast zurück, desto höher ist aber
auch das Risiko für einen fulminanten Verlauf (19). Das Auftreten neutralisierender
Antikörper vom Typ IgG signalisiert die
beginnende Ausheilung. Eine Viruspersistenz wird nicht beobachtet, nach durchgemachter Infektion besteht eine lebenslange Immunität.
Die Virusausscheidung endet in aller
Regel ein bis zwei Wochen nach Einsetzen
des Ikterus, allerdings ist bei Kindern in
einzelnen Fällen auch eine deutlich längere
Virusausscheidung nachgewiesen worden.
Epidemien in der EU
Seit August 2007 wurden aus Lettland mit
dem Schwerpunkt in Riga mehr als 3200
Hepatitis A-Fälle berichtet. Zuvor galt die
Prävalenz für diese Region als sehr niedrig.
In der Tschechischen Republik mit dem
Schwerpunkt Prag und dem umgebenden
Böhmen wurden seit 2008 1600 Fälle gemeldet. In beiden Fällen sind die Infektketten nicht eindeutig geklärt, es wird ein Ursprung bei Drogenkonsumenten vermutet
mit anschließendem Übergreifen auf die
sonstige Bevölkerung (15, 16).
Pathogenese
Das Virus tritt entweder bereits über den
Oropharynx oder, sofern es die Magenpassage übersteht, über den Dünndarm in den
Blutkreislauf ein. In die Leberzellen gelangt
es über den Rezeptor HAVcr-1 (17). Der gesamte Vermehrungszyklus findet im Zytoplasma statt, der Zellkern ist nicht beteiligt.
Ein bis zwei Wochen nach der Infektion
erfolgt eine starke Virusvermehrung, die
aber zunächst asymptomatisch bleibt: Das
Virus selbst wirkt nicht zytopathisch. Allerdings werden über die Galle zu diesem
Zeitpunkt bereits massiv Viren ausgeschieden, der Betroffene ist hochinfektiös.
Der klinische Krankheitsbeginn ist erst
festzustellen, wenn die Immunreaktion
einsetzt: etwa vier Wochen nach der Infektion sind HAV-spezifische, CD8+ zytotoxische T-Lymphozyten und Natürliche Killerzellen in der Leber nachweisbar und zerstören infizierte Hepatozyten, was sich klinisch als Hepatitis manifestiert (18). Je stär© Schattauer 2010
Klinik
Die Inkubationszeit beträgt im Durchschnitt 30 Tage (15–50 Tage). Die Erkrankung setzt plötzlich ein mit Fieber, starker
Abgeschlagenheit,
Gelenkschmerzen,
Übelkeit und Erbrechen sowie rechtsseitigem Oberbauchschmerz. In den folgenden
Tagen entwickeln etwa 70% der Erwachsenen einen Ikterus.
Kinder unter sechs Jahren sind hingegen
zu 70% asymptomatisch. Falls dennoch
Symptome auftreten, ist ein Ikterus sehr
selten. Die Hepatitis A wird dann häufig
nicht diagnostiziert, da aufgrund der Allgemeinsymptome eher an einen grippalen
Infekt gedacht wird.
Die Gesamtsterblichkeit der akuten Hepatitis A liegt zwischen 0,015 und 0,5% aller Fälle (20). Je älter der Betroffene ist, desto schwerer verläuft die Erkrankung. Lemon et al. (21) fanden eine Mortalitätsrate
von 0,1% bei Kindern, 0,4% bei 15– bis
39-Jährigen und 1,1% bei Personen, die älter als 40 Jahre alt waren.
Im Normalfall dauert die Erkrankung
vier bis acht Wochen, allerdings sind auch
protrahierte Verläufe möglich: 10–15% der
Patienten sind bis zu sechs Monate erkrankt,
wobei es klassischerweise zu einer Art Relapse nach bereits vollständiger oder teilweiser
Remission kommt. Prädisponierende Faktoren (außer einer Steroidtherapie) sind nicht
bekannt, die Ursache ist vermutlich in einer
unvollständige Virus-Clearance begründet.
Selten kommt es sogar zu mehreren Relapsen
in Folge. Ein Relapse verläuft klinisch in der
Regel milder. Schließlich ist aber in fast allen
Fällen mit einer Ausheilung zu rechnen (22).
Etwa 5% der Patienten leiden primär
unter einer cholestatischen Verlaufsform:
Hier sind neben einem hohen Bilirubin Alkalische Phosphatase und Gamma-GT
stark erhöht, bei nur niedrigen oder sogar
normalen Transaminasen. Der klinische
Verlauf ist protrahiert, es bestehen starker
Juckreiz, Durchfall und Gewichtsverlust.
Warum es zu dieser Verlaufsform kommt,
ist nicht bekannt. Histologisch findet sich
eine zentrolobuläre Cholestase.
Selten kommt es zu immunologisch vermittelten Komplikationen, besonders bei
einer protrahierten Erkrankung. So wurden eine Kryoglobulin-assoziierte Vaskulitits (23), eine aplastische Anämie (24), eine
schwere hämolytische Reaktion (25) oder
auch eine steroidsensible Kardiomyopathie
(26) beschrieben. Bei prädisponierten Personen kann eine Autoimmunhepatitis angestoßen werden (27).
Koinfektion und vorbestehende
Leberschädigung
Liegt bereits eine höhergradige Leberschädigung vor, so ist das Risiko einer hepatischen Dekompensation durch die Hepatitis A verstärkt, insbesondere bei höherem
Lebensalter (28, 29). Entsprechend wird eine frühzeitige Impfung um so dringlicher
empfohlen. Der Impferfolg kann bei höhergradiger Zirrhose und besonders nach
Transplantation eingeschränkt sein (30).
In Einzelfällen wurde ein positiver Einfluss einer akuten Hepatitis A bei Vorliegen
einer chronischen Hepatitis C beschrieben:
Deterding et al. beobachteten eine Suppression der HCV-Viruslast während der Koinfektion, und in zwei von 17 Patienten wurde sogar eine vollständige HCV-Elimination erreicht (31).
Diagnostik
Durch die serologische Diagnostik mit
Nachweis von Anti-HAV-IgM kann die Diagnose sehr sensitiv (99% bei Eintreten des
Ikterus) gestellt werden. In der frühen Phase kann auch Hepatitis A-Antigen oder
HAV-RNA im Stuhl nachgewiesen werden,
was jedoch in der Praxis nur selten durchgeführt wird. Anti-HAV-IgM ist in der ReMed Welt 3/2010
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gel für bis zu sechs Monate nachweisbar,
kann jedoch nach einem protrahierten
Krankheitsverlauf für bis zu zwei Jahre positiv bleiben. Ein falsch positives IgM kann
im Rahmen einer akuten EBV-Infektion
auftreten (32), was die Abgrenzung gegenüber einer EBV-assoziierten Hepatitis erschweren kann. Natürlich kann auch eine
sonstige unspezifisch-polyklonale B-ZellAktivierung zu einem falsch positiven Befund führen. Daher sollte der Befund in Zusammenschau mit der Klinik beurteilt werden.
Fällt eine Hepatitis A-Serologie passend
zur Klinik positiv aus, kann auf eine weitere invasive Abklärung (z.B. mittels Leberpunktion und/oder ERCP) verzichtet werden.
Therapie
Eine spezifische Therapie für die akute Hepatitis A ist nicht verfügbar. Steroide sind
nicht indiziert. Spezifische Immunglobuline haben nach Beginn einer manifesten Erkrankung keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Eine Behandlung mit Acetylcystein bei fulminantem Verlauf wurde
propagiert (33, 34), allerdings zeigte eine
randomisierte Studie keinen Nutzen, sodass dieses Vorgehen nicht empfohlen werden kann (35). Die Gabe von Ursodesoxycholsäure beeinflusst die Cholestase-Parameter günstig, hat aber weder einen Einfluss auf die Virusreplikation, noch wirkt es
beschleunigend auf den Rückgang der
Transaminasen (36).
Die Einhaltung von Bettruhe ergibt keinen Vorteil bezüglich einer rascheren Ausheilung, auch kann keine bestimmte Diät
empfohlen werden. Auf Alkohol sollte natürlich vollständig verzichtet werden.
Impfung und Prävention
Seit 1992 ist eine aktive Impfung mit sehr
hoher Protektionswirkung verfügbar. Die
Impfung ist auch für Kinder ab zwölf Monaten zugelassen. Aufgrund der zuverlässigen Wirkung sind serologische Kontrollen
des Impferfolges nicht erforderlich. Der
übliche Impfabstand zwischen erster und
zweiter Impfung beträgt 6–12 Monate. BeMed Welt 3/2010
reits 14 Tage nach der ersten Impfung besteht ein ausreichender Schutz, sodass auch
bei kurzfristig geplanten Fernreisen eine
Protektion meist rechtzeitig erreicht wird.
Die zweite Impfung ist für die langfristige
Wirkung von großer Bedeutung. Die Wirkungsdauer beträgt bis zu 25 Jahre (37),
vermutlich sogar lebenslang.
Der Impfstoff besteht aus inaktiviertem Virus („Tot-Impfstoff“). In Deutschland sind
Havrix® (GlaxoSmithKline), HAV pur®
(Novartis Behring) und Vaqta® (Sanofi
Pasteur MSD) erhältlich. Als Kombinationsimpfstoff kommt vor allem Twinrix®
(GlaxoSmithKline) (mit Hepatitis B) zum
Einsatz, eine weitere interessante Kombination für Auslandsreisende stellt Hepatyrix (Viatim®, Sanofi Pasteur MSD) (mit
Typhus) dar.
Die Hepatitis A-Impfung ist sehr gut
verträglich, selten kommt es zu den üblichen allgemeinen Nebenwirkungen von
Impfungen. Ob die vereinzelt berichteten
Phänomene eines Guillain-Barré-Syndrom
oder einer multiplen Sklerose mit der Impfung in einem kausalen Zusammenhang
stehen, ist nicht klärbar. In vielen Staaten
konnte nach Einführung der Impfung ein
markanter Rückgang der Hepatitis A-Häufigkeit festgestellt werden. So fiel die Zahl
der Fälle in den USA in den Jahren von
1995 bis 2007 um 92% (38).
lich Arzthonorar. Für folgende Indikationen wird die Impfung in Deutschland
durch die gesetzlichen Krankenkassen
übernommen:
● Homosexuell aktive Männer
● Personen mit substitutionspflichtiger
Hämophilie
● Personen in psychiatrischen Einrichtunen oder Fürsorgeeinrichtungen für Zerebralgeschädigte
Für Auslandsreisende ist keine Kostenübernahme vorgesehen. Allerdings erstattet etwa die Hälfte der Krankenkassen die Impfung freiwillig. Eine aktuelle Liste kann eingesehen werden unter www.crm.de/kran
kenkassen (ohne Gewähr). Gemäß STIKO
besteht eine beruflich begründete Impfindikation für
● Mitarbeiter im Gesundheitsdienst inklusive des Reinigungspersonals
● das Personal in Kindertagesstätten, in
Kinderheimen sowie in psychiatrischen
Einrichtungen
● die Mitarbeiter von Laboren mit regelmäßigem Kontakt zu potenziell infektiösem Material
● Kanal- und Kläranlagen-Mitarbeiter
Hier besteht eine Leistungspflicht seitens
des Arbeitgebers.
Passive Impfung noch zeitgemäß?
Erst testen, dann impfen?
In Deutschland wird der Test auf eine möglicherweise bereits bestehende Immunität
empfohlen, wenn die entsprechende Person vor 1950 geboren ist, längere Zeit in einem Endemiegebiet gelebt hat oder in der
Anamnese der dringende Verdacht auf eine
abgelaufene Hepatitis A besteht. Dies entspricht jedoch lediglich Erwägungen einer
Kosteneffektivität, ein medizinischer Schaden durch eine zusätzliche Impfung ist
nicht zu erwarten.
Kostenübernahme: Wer zahlt?
Die reinen Impfstoffkosten belaufen sich
für eine zweimalige Impfung z.B. bei Havrix® (GlaxoSmithKline) auf 130 Euro (Erwachsene) und 82 Euro (Kinder), zuzüg-
Zur Präexpositionsprophylaxe werden Immunglobuline nur noch sehr selten angewendet, außer wenn z.B. eine Auslandsreise
sehr kurzfristig (<14 d) angetreten wird
oder wenn Kontraindikationen für eine aktive Immunisierung vorliegen. Die Dosis
beträgt 0,02 ml/kg KG (z.B. Beriglobin®),
die Schutzwirkung hält drei Monate an.
Maßnahmen nach einer Exposition
Soll nach einer Exposition eine passive oder
aktive Impfung oder beides durchgeführt
werden? Victor et al zeigten an 1090 exponierten Personen, dass die alleinige Gabe
von Immunglobulinen geringfügig effektiver war als eine alleinige aktive Impfung
(Erkrankung von 4,4% der Exponierten
versus 3,3%, relatives Risiko 1,35). Die Ex© Schattauer 2010
J.M. Kittner: Hepatitis A – ein Update
Fazit für die Praxis
Die Hepatitis A ist eine akute, mit erheblicher
Morbidität, aber nur geringer Mortalität einhergehende Erkrankung, die als „Reisehepatitis“ nach Aufenthalt in Endemiegebieten
treffend beschrieben ist. Allerdings finden
auch in Europa immer wieder fokale Epidemien statt. Die STIKO empfiehlt eine Impfung nur für Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko, aber auch für alle Patienten mit
vorgeschädigter Leber. Vor Reisen in Endemiegebiete wird die Impfung zwar empfohlen, aber abhängig von der einzelnen Krankenkasse häufig nicht erstattet. In Deutschland lebende Kinder und Jugendliche aus
Migrantenfamilien infizieren sich – ohne eigene frühkindlich erworbene Immunität –
häufig bei Besuchsreisen in das Herkunftsland. Wenn nur irgend möglich, sollten die
Kinder und Jugendlichen sowohl im Sinne
der Betroffenen als auch der überwiegend
nichtimmunen deutschen Wohnbevölkerung
eine Immunisierung erhalten.
Die Beachtung der Meldepflicht an die lokalen Gesundheitsbehörden ist von großer
Bedeutung. Die geringe Zahl an weiteren Infektionen pro Index-Fall in Deutschland beweist, wie erfolgreich die eingeleiteten präventiven Maßnahmen in den vergangenen
Jahren gewesen sind.
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position lag bei den beiden Personengruppen 10,1±2,6 bzw. 10,1±2,5 Tage zurück
(39). Eine Aktiv-Impfung hat hingegen neben Kosten- und Verträglichkeitsaspekten
den Vorteil, zusätzlich für die Präsenz einer
zellulären Immunantwort zu sorgen. Entsprechend gilt aktuell die folgende Empfehlung (RKI): Nach einer Exposition sollte so bald wie möglich eine Aktiv-Impfung
erfolgen, und nur, falls eine akute Hepatitis
A für die betroffene Person ein besonderes
Risiko darstellen würde (Alter >50, Vorerkrankung der Leber), wird die gleichzeitige Gabe von Immunglobulin empfohlen.
Hygienische Maßnahmen
Während eines stationären Aufenthalts ist
die Unterbringung in einem Einzelzimmer
mit eigener Toilette erforderlich. Eine Woche nach Auftreten des Ikterus kann die
Isolation aufgehoben werden. Eine getrennte Aufbereitung des Patientengeschirrs ist nicht erforderlich. Kontaminierte Schmutzwäsche sollte getrennt und
verschlossen in die Wäscherei gebracht
werden, ähnliches gilt für kontaminierten
Abfall. Urin und Stuhl können undesinfiziert in die Kanalisation gegeben werden.
Für die Händedesinfektion sollten aufgrund der erhöhten Umweltresistenz des
Erregers bevorzugt viruzide Desinfektionsmittel (wie z.B. Sterilium® virugard) Verwendung finden.
Meldepflicht bereits
bei Erkrankungsverdacht
Um Maßnahmen zur Eindämmung ergreifen zu können, ist gemäß §6 des Infektionsschutzgesetzes der behandelnde Arzt verpflichtet, jeden Fall (Verdacht, Erkrankung
oder Tod) einer akuten Virushepatitis namentlich an das lokale Gesundheitsamt zu
melden. Nach §7 wird ein direkter oder indirekter Erregernachweis durch das diagnostizierende Labor dorthin übermittelt.
Die lokalen Behörden geben diese Daten zu
Zwecken der Surveillance nichtnamentlich
an das Robert-Koch-Institut weiter.
Literatur unter
www.die-medizinische-welt.de
Med Welt 3/2010
141
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