Handout zum Vortrag 6. Februar 2012 Das anomale magnetische Moment des Myons Peter Micke Das vorliegende Handout stellt eine Zusammenfassung meines Seminarvortrags dar, den ich im Rahmen des Masterstudiengangs Physik im Modul Seminar I (M.Sc.) bei Herrn Dr. Patrick Achenbach an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gehalten habe. Der Vortrag fand am 6.2.2012 statt. Die inhaltliche Betreuung oblag Herrn Prof. Dr. Achim Denig. wobei q die Ladung und m die Masse bezeichnen sowie g der g-Faktor auch Landé-Faktor genannt Die Bestimmung des anomalen magnetischen Mo- ist. mentes des Myons erfolgt im Rahmen der Präzisi- Klassisch, im Falle einer kreisenden Ladung mit onsphysik und bietet die Möglichkeit komplemen- Drehimpuls #„ s , errechnet man den Wert g = 1. Allertär zur Forschung bei höchsten Energien Eek- dings ist der Spin natürlich keine klassische Gröÿe, te bisher unbekannter Physik zu beobachten. Das sondern Folge der Quantentheorie. Unter relativistianomale magnetische Moment des Myons ist zum scher Betrachtung ergibt sich in der Dirac-Theorie einen eine extrem präzise vermessene Gröÿe und (1928) ein Wert von g = 2 für den Spin. Tatsächlich kann zum anderen gemäÿ dem Standardmodell ge- liegt der Wert aber etwas über 2, da Strahlungsnauso präzise berechnet werden. Der anschlieÿende korrekturen höherer Ordnung, die im Rahmen eiVergleich von Messergebnis und Standardmodellvor- ner Quantenfeldtheorie ausgerechnet werden, weitehersage ermöglicht die Überprüfung der Gültigkeit re Beiträge liefern. des Standardmodells. Eine dabei auftretende Abwei- Man deniert zweckmäÿig chung ist ein Hinweis auf eine vorhandene Unvollg := 2 (1 + a) (2) ständigkeit. Historisch konnte das anomale magnetische Moment zunehmend genauer vermessen werden. Das erfor- und erhält umgestellt derte gleichzeitig eine immer genauere theoretische g−2 a= . (3) Berechnung, da der Vergleich nur dann sinnvoll ist, 2 wenn experimenteller und theoretischer Fehler von Die dimensionslose Gröÿe a wird als die Anomalie ähnlicher Gröÿenordnung sind. bezeichnet und ist das Maÿ für die Abweichung des g-Faktors vom Dirac-Wert 2 und damit auch gleich2 Das anomale magnetische zeitig das Maÿ für den anomale Beitrag zum magnetischen Moment. Die Anomalie lässt sich unter Moment Betrachtung von Termen höherer Ordnung im StanDas magnetische Moment ist das Maÿ für die Stär- dardmodell berechnen. Der sich aus ihr ergebende ke eines magnetischen Dipols. Für ein Teilchen mit Anteil zum magnetischen Moment wird anomales magnetisches Moment genannt. Häug wird auch Spin #„ s errechnet es sich gemäÿ einfach, gemäÿ Gleichung (3), von (g − 2) gesproq #„ #„ µ =g s, (1) chen. 2m 1 Einleitung 1 Peter Micke Das anomale magnetische Moment des Myons Um eine möglichst hohe Empndlichkeit für solche unbekannten Prozesse zu bekommen, misst man mit Das Myon gehört zu den geladenen Leptonen und einem Lepton möglichst groÿer Masse ml , da der bendet sich eine Generation über dem Elektron. relative Anteil dann gröÿer ist. Es folgt sofort ei 2 Es besitzt, wie das Elektron, die Ladung q = −e m ≈ 4 × 104 höhere Empndlichkeit ne um mµe und den Spin s = 1/2, hat allerdings eine deutlich gröÿere Masse von m ≈ 207 me und eine endliche für das Myon verglichen mit dem Elektron. Obwohl die Empndlichkeit für das Tauon nochmal deutlich Lebensdauer von τ ≈ 2,2 µs. Bei dem Zerfall des Pions wird das Myon erzeugt gröÿer wäre, sind solche Experimente technisch bis(siehe Abb. 1), da der Zerfall des Pions in ein e+ her nicht möglich, da seine Lebensdauer mit weniger bzw. e− aus Helizitätsgründen stark eingeschränkt als 1 ps zu gering ist. ist. Das entstandene Myon besitzt eine denierte Spinrichtung bzgl. der Richtung seines Impulses, 4 Experiment am BNL d.h., es ist hoch polarisiert. Dies wird im Experiment bei der Messung der Anomalie ausgenutzt. Die bisher genauste Messung des anomalen magneDer Zerfall des Myons erfolgt durch schwache Wech- tischen Moments des Myons wurde am Brookhaselwirkung. Es entsteht unter anderem ein e+ bzw. ven National Laboratory (BNL) mit einem relatie− , das in Spinrichtung des Myons emittiert wird. ven Fehler von 0, 54 ppm um das Jahr 2000 durchObwohl auch das Elektron und das Tauon ein an- geführt. Für eine solche Genauigkeit sind enormer omales magnetisches Moment besitzen, ist das My- experimenteller Aufwand und eine groÿe Statistik on das geeignete Teilchen zum Überprüfen des Stan- notwendig. dardmodells. Einen Grund gibt Gleichung (4) an. Abb. 1 stellt den Aufbau des Experimentes dar. Protonen aus einem Beschleuniger treen auf ein Tarm2l δal (4) get, in dem Pionen erzeugt werden. Diese zerfallen ∼ 2 al M in hoch polarisierte Myonen, die in einen Speicherring gelangen. Dort bewegen sie sich im homogenen l Dabei ist δa al der relative Anteil, den ein Beitrag Magnetfeld auf einer Kreisbahn. Gleichzeitig kommt δal zur Gesamtanomalie al des Leptons l liefert, es zur Präzession ihres Spins, wobei diese durch die ml ist die Masse des Leptons und M die Mas- Anomalie etwas schneller ist als die Präzession des se eines bei der Theorievorhersage nicht berück- Impulses (vgl. Abb. 2). Diese relative Präzession mit sichtigten Teilchens, das in einem Schleifenprozess der Kreisfrequenz dargestellt über ein Feynman-Diagramm ent#„ #„ = a e B halten ist. Je gröÿer die Masse eines unbekannten (5) ω a µ m µ Teilchens ist, desto kleiner ist dieser relative Anteil. 3 Das Myon Abbildung 1: kann präzise gemessen und daraus die Anomalie aµ bestimmt werden. Damit Gleichung (5) auch unter Verwendung der technisch notwendigen elektrostatischen Fokussierung des Myonenstrahls gültig bleibt, ist ein genau eingestellter Impuls von pµ ≈ 3,09 GeV/c notwendig. Durch die relativistische Zeitdilatation ist dabei die Lebensdauer der Myonen im Laborsystem 30-fach verlängert. Tatsächlich kommt Gleichung (5) bei der Bestimmung von aµ so gar nicht zum Einsatz, sondern kann zweckmäÿiger umgeschrieben werden. Das Magnetfeld wird dann durch die Lamorfrequenz des Protonenspins aus NMR-Messungen bestimmt und Messungen der Hyperfeinstruktur vom MyoniumAtom sind notwendig um das Verhältnis meµ durch ein genauer bestimmbares Verhältnis von Naturkonstanten auszudrücken. Aufbau des Experiments am BNL und Erzeugung hoch polarisierter Myonen aus dem Pionzerfall. Aus [1]. 2 Peter Micke Das anomale magnetische Moment des Myons Abbildung 3: Feynman-Diagramme aus der QED. (a) liefert den Dirac-Wert g der mehr als Abbildung 2: tonische Vakuumpolarisation dar, einen Term der zwei- Es ist die relative Präzession des ten Ordnung. Aus [2]. Spins bzgl. des Impulses dargestellt. Sie liegt im BNLExperiment bei rund 12◦ α kann durch die Messung der Anomalie des Elektrons sehr genau bestimmt werden. Die Entwicklung (7) entspricht einer Entwicklung in FeynmanDiagrammen mit n Schleifen. Es existieren massenunabhängige und massenabhängige Beiträge. Für die aktuelle Berechnung ieÿen Terme bis zur Ordliefert den mit Abstand donung N = 5 ein. aQED µ minierenden Beitrag zu aµ bei einem relativ kleinen Fehler. In Abb. 3 sind beispielhaft drei FeynmanDiagramme dargestellt. Diagramm (a) liefert den Dirac-Wert 2 und damit keinen Beitrag zur Anomalie. Diagramm (b), der sogenannte Schwinger-Term, der 1948 berechnet werden konnte, ist die Strahlungskorrektur erster Ordnung und ergibt mit mehr als 99 % den Hauptbeitrag zur Anomalie. Seine alleinige Berücksichtigung zusammen mit dem DiracWert führt zum Wert g ≈ 2, 0023. Häug wird hier von der Berücksichtigung der Wechselwirkung des Myons mit seinem eigenen Strahlungsfeld gesprochen. Der Beitrag der schwachen WW berücksichtigt Prozesse mit den Bosonen W± , Z0 und dem HiggsBoson. Es ieÿen die Terme bis zur zweiten Ordist sehr klein, kann aber durch die nung ein. aweak µ Präzision im Experiment beobachtet werden. Im hadronischen Beitrag werden Quarks in den Fermionen-Schleifen berücksichtigt. Da dieser nicht störungstheoretisch behandelbar ist, macht er die gröÿten Probleme bei der präzisen Vorhersage von aµ und dominiert den theoretischen Fehler. Man zerlegt ahad gemäÿ µ pro Umkreis. Aus [1]. Die Detektion der Spinrichtung der Myonen im Speicherring erfolgt über ihren Zerfall in Elektronen bzw. Positronen, die, wie oben erwähnt, in Spinrichtung emittiert werden. Da die Spinrichtung bzgl. der Impulsrichtung und damit auch bzgl. der Detektoren, die sich an der Innenseite des Speicherrings benden, mit ωa präzediert, sehen die Detektoren eine periodische Änderung der Zerfälle pro Zeit. Das Signal enthält demnach den exponentiellen Zerfall der Myonen, der mit der Kreisfrequenz ωa moduliert ist. Durch das Fitten der Messkurve wird ωa bestimmt. 5 Standardmodellvorhersage Zur theoretischen Berechnung der Anomalie aµ gemäÿ dem Standardmodell, tragen mehrere Terme bei, die sich in ihrer Gröÿe und in ihrem Fehler teilweise deutlich voneinander unterscheiden. aµ = aQED + aweak + ahad µ µ µ (6) Bei den Summanden handelt es sich um den Beitrag aus der QED (aQED ), dem Beitrag der schwachen µ Wechselwirkung (WW) (aweak ) und einem hadroniµ had schen Beitrag (aµ ). Der QED-Beitrag berücksichtigt Prozesse mit Leptonen sowie Photonen und ist störungstheoretisch behandelbar mit Entwicklung in der Feinstrukturkonstante α: aQED ≈ µ N X n=1 cn α n π = 2, (b) ist der Schwinger-Term, 99 % der Anomalie ausmacht, (c) stellt lep- ahad = ahvp + ahlbl µ µ µ (7) (8) in den Summanden der hadronischen VakuumPolarisation (ahvp µ ) und den Summanden der ha- 3 Peter Micke Das anomale magnetische Moment des Myons dronischen Licht-Licht-Streuung (hadronic light-bylight scattering, ahlbl µ ). Die Berechnung von ahvp erfolgt über ein Dispersiµ onsintegral, in das experimentell ermittelte hadronische Wirkungsquerschnitte einieÿen. Diese Beziehung kann über das optische Theorem hergeleitet werden. Obwohl der experimentelle Fehler für die Wirkungsquerschnitte mit einer Gröÿenordnung von 1 % nicht sehr groÿ ist, ist der daraus folgende theoretische Fehler für aµ dennoch dominierend. Für ahlbl existieren unterschiedliche Berechnungen, µ die auf unterschiedlichen eektiven Feldtheorien basieren. Die Abschätzung eines Fehlers liefert trotz der relativ geringen Gröÿe von ahlbl einen weiteren µ erheblichen Beitrag zum theoretischen Fehler. In Tab. 1 sind die verschiedenen Beiträge mit ihren Fehlern aus einer aktuellen Veröentlichung vom Oktober 2011 dargestellt. In der letzten Zeile benAbbildung 4: Vergleich verschiedener Standarddet sich deren Summe und damit die Standardmo- modellvorhersagen mit dem experimentell bestimmten dellvorhersage. Weltmittelwert der Anomalie. Aus [6]. Beiträge ×1011 Der Unterschied in den theoretischen Vorhersagen ergibt sich im Wesentlichen aus unterschiedlichen Berechnungen des Beitrags ahad aweak 154(3) µ . Insbesondere zur µ Berechnung von ahvp wurden teils unterschiedlihvp µ aµ 6825(43) che experimentelle Daten für die hadronischen Wir105(26) ahlbl kungsquerschnitte verwendet, zum einen aus e+ e− µ Annihilationen, zum anderen aus τ -Zerfällen. Auch aµ 116 591 802(49) der theoretische Gesamtfehler wird durch ahad doµ miniert. Tabelle 1: Werte entnommen aus Berechnungen von Insgesamt ist festzustellen, dass das StandardmoOktober 2011 [6]. Die Fehler sind in Klammern angegedell eine gute Vorhersage für das anomale magnetiben. sche Moment des Myons liefert, wodurch spekulative Theorien Einschränkung nden. Allerdings kann aufgrund der hohen Präzision, mit der sowohl die 6 Theorie vs. Experiment Vorhersage gemacht als auch im Experiment gemessen wurde, eine Abweichung von mehreren Stanist ein mit den Fehlern geDer Weltmittelwert aexp µ wichteter Mittelwert aus den experimentellen Be- dardabweichungen ermittelt werden. Dies ist ein Hinweis auf Physik jenseits des Standardmodells, stimmungen der Anomalie des Myons: auf eine Unvollständigkeit, um die das Standardaexp = 116 592 089(64) × 10−11 (9) modell möglicherweise ergänzt werden muss, damit µ es zur Übereinstimmung von Theorievorhersage und aexp µ und die Vorhersage aµ aus Tab. 1 stimmen nicht Experiment kommen kann. miteinander überein. Die aktuell ermittelte Abweichung liegt nach [6] bei 3, 6 σ , wobei σ die Standardabweichung bezeichnet. Abb. 4 stellt einen Ver- 7 Ausblick gleich des experimentell bestimmten Weltmittelwertes mit unterschiedlichen Standardmodellvorhersa- Es sind sowohl Verbesserungen der Genauigkeit der gen dar. Auf der x-Achse ist die Dierenz der An- Theorievorhersage, durch genauere Messungen haomalie zum Weltmittelwert in Einheiten von 10−11 dronischer Wirkungsquerschnitte und zuverlässigere aufgetragen. Der blaue Streifen repräsentiert den Schätzungen des Beitrags der hadronischen LichtLicht-Streuung, erwünscht als auch eine NeuauaFehlerbereich um den Weltmittelwert. aQED µ 116 584 718,09(15) 4 Peter Micke Das anomale magnetische Moment des Myons ge eines Experiments am Fermilab und J-PARC geplant, um den experimentellen Fehler auf bis zu 0, 1 ppm zu reduzieren. Durch eine Verkleinerung von experimentellen und theoretischen Fehlern würde die Abweichung zwischen den Ergebnisse von Theorie und Experiment möglicherweise noch deutlicher und damit der Hinweis auf eine Unvollständigkeit des Standardmodells bekräftigt. Auch in Zukunft wird die genaue Bestimmung des anomalen magnetischen Momentes des Myons aktuelles Forschungsthema sein. [2] J. P. Miller, E. de Rafael und B. L. Ro- [3] Bennett F. Jegerlehner: arXiv, Jul 2007. Muon (g − 2): Experiment and Theory. arXiv, Apr 2007. et al.: Measurement of the Negative Muon Anomalous Magnetic Moment to 0.7 ppm. arXiv, Feb 2004. [4] The KLOE Collaboration: Measurement of σ(e+ e− → π + π − γ) and extraction of σ(e+ e− → π + π − ) below 1 GeV with the KLOE detector. arXiv, Jan 2005. [5] A. Denig: [6] M. Davier Literatur [1] berts: Essentials of the Muon g-2. The Radiative Return: a review of experimental results. arXiv, Nov 2006. et al.: Reevaluation of the Hadronic 2 Contributions to the Muon g −2 and to α(MZ ). arXiv, Okt 2011. 5