Die Stellung der Frau im Judentum

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Die Stellung der Frau im Judentum
Charlotte Knobloch
I.
„Wo steht es geschrieben“, singt Barbra Streisand im Film Yentl, „wo steht
geschrieben, was ich sein darf?“. Yentl,
eine junge jüdische Frau, lebt Anfang
des 20. Jahrhunderts alleine mit ihrem
Vater in einem jüdischen Schtetl in Osteuropa. Sie lechzt nach Wissen, will unbedingt studieren, und kann sich nicht
damit abfinden, dass es ihr als Frau verboten sein soll, die Thora zu studieren.
Ihr Vater, ein Rabbiner, sieht bald ein,
dass er Yentl nicht vom traditionellen
jüdischen Rollenverständnis überzeugen
kann – und unterrichtet sie heimlich.
Nach seinem Tod sieht Yentl für sich
nur eine einzige Chance: Um an einer
Yeshiva, einer Thoraschule, zu studieren, verkleidet sie sich als Mann.
Tatsächlich müsste sie dies auch heute noch tun, um in einer orthodox
orientierten Yeshiva zugelassen zu werden. Ein Beleg dafür, dass das traditionelle Judentum bei oberflächlicher Betrachtung die Züge einer patriarchalischen Kultur biblischer und talmudischer Zeiten trägt. Frauen kommen nur
am Rande vor. Im G’’ttesdienst spielen
sie gar keine Rolle. Sie sind von deng’’ttesdienstlichen Pflichten befreit, weil –
und das ist der entscheidende Punkt –
sie Wichtigeres zu tun haben. Darauf
komme ich gleich zurück.
Die Frau ist das Schlüsselmoment des Judentums. Der
konfessionelle Status eines
Kindes richtet sich nach seiner Mutter: Jude ist, wer
von einer jüdischen Mutter
geboren wurde.
Kritiker werden jedoch nicht müde,
die Diskriminierung der Frauen im Judentum zu beklagen. In der Tat bestreitet niemand, dass die Halacha, das jüdische Gesetz, Männer und Frauen ungleich einstuft und auch nicht gleich behandelt. Ebenso wenig wird man jedoch
einen orthodoxen Juden finden, der die
grundsätzliche Gleichwertigkeit von
Mann und Frau infrage stellen würde.
Es gibt in der jüdischen Lehre kein
überliefertes Indiz für eine g’’ttgewollte
und somit natürlich angelegte Unterordnung des weiblichen Geschlechts unter
das männliche. Vielmehr herrscht in der
Orthodoxie die Deutung vor, dass G’’tt
die Frau mit mehr Verstand und Einsicht ausgestattet habe als den Mann.
Die Frau ist das Schlüsselmoment
des Judentums. Der konfessionelle Status eines Kindes richtet sich nach seiner
Mutter: Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Die Frau
ist Quell der jüdischen Identität und
Hüterin über den Fortbestand der jüdischen Gemeinschaft.
Die Orthodoxie wertet Frau und
Mann gleich – betont jedoch ihre funktionale Unterschiedlichkeit. Damit
komme ich zurück auf die oben dargelegte scheinbare Diskriminierung:
Frauen sind anders als die Männer von
allen g’’ttesdienstlichen Pflichten befreit, weil das Judentum als Religion
der Familie den Frauen die häusliche
„Priesterschaft“ zuschreibt. Das bedeutet: Die Ehefrau und Mutter ist privilegiert. Sie ist die zentrale Säule des jüdischen Hauses. Wenn G’’tt ihrem Ehemann, ihren Kindern und ihrem Haus-
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zur debatte 8/2010
Foto: kna
Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in
Deutschland und Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und
Oberbayern
halt den Segen des wahren Glücks gibt,
so ist das allein das Verdienst der Frau.
Ein jüdisches Sprichwort lautet: „G’’tt
kann nicht überall sein – deshalb schuf
er Mütter.“
II.
Nun liegt die Rolle der jüdischen
Frau trotz jener Hauptverantwortung
mitnichten nur zuhause. Von jeher wurden in Orient und Okzident einige, je
nach Lebenssituation sogar alle Funktionen sowohl von Frauen als auch von
Männern wahrgenommen.
Das Selbstverständnis moderner
Frauen ist immer seltener die vorbildliche „Nur-Hausfrau“. Die Mutter, die
sich um die Kinder kümmert, und die
Ehefrau, die ihrem Mann den Rücken
frei hält. Sie wollen und sie dürfen Karriere machen – in allen Bereichen der
Wirtschaft oder Wissenschaft sowie im
Kulturbetrieb, der Kunst oder der Politik.
Die jüdische Frau ist das Paradebeispiel für die emanzipierte Frau. Und
zwar nicht erst seit den 60er Jahren. Ein
Blick in die Geschichte zeigt, dass Jü-
dinnen schon seit mehreren Jahrhunderten zum Unterhalt der Familie beitragen und dafür eine Vielzahl von Berufen ausüben.
Schon die Bibel erzählt von den vier
Stamm-Müttern Sara, Rebekka, Lea
und Rahel. Es folgen die jüdischen
Richterinnen wie Debora, die Königinnen und Gelehrten, aber auch die Märtyrerinnen wie Hanna. Die Moderne
hat erfolgreiche Hoffaktorinnen wie
Chaile Raphael Kaulla hervorgebracht
sowie Salonièren wie Fanny von Arnstein. Beide wirkten unverkennbar als
Jüdinnen.
Solche frühen Vorbilder spielen heute
eine wichtige Rolle, wo immer orthodoxe und nichtorthodoxe Jüdinnen sich
in ihrem Selbstverständnis und ihrem
Wirken für die Gesellschaft neu definieren.
Aus dem 19. und 20. Jahrhundert
schließlich kennen wir berühmte jüdische Dichterinnen wie Else LaskerSchüler oder Nelly Sachs und jüdische
Spitzenpolitikerinnen wie Golda Meir
sowie Frauenrechtlerinnen und Wegbereiter der sozialen Wohlfahrt wie Bertha
Pappenheim und Henrietta Szold.
Ihre Grenzen finden und fanden jüdische Frauen weniger in religiösen Dogmen als vielmehr in den herrschenden
soziokulturellen Gegebenheiten, dem
gesellschaftlichen Rollenverständnis der
Frau – unabhängig von ihrer Konfession.
Schübe gesellschaftlicher Liberalisierung wirkten sich dann eben auch auf
Jüdinnen vorteilhaft aus.
III.
Von allen biblischen Texten ist das
Frauenlob derjenige, der das Bild der
jüdischen Frauen am deutlichsten
zeichnet und durch die Zeiten bestimmend geblieben ist. Die Krönung des
Textes ist ein Lied, das Salomon zugeschrieben wird, und das die Frau beschreibt als Unternehmerin, als Selbstbewusste, finanziell Selbstständige und
in der Öffentlichkeit Angesehene. Sie
wirkt im Kontext ihrer Familie, organisiert Haushalt und Gäste, bleibt dabei
jedoch nicht fernab oder geht im trivialen Alltag auf, sondern erwirbt sich
Weisheit und gibt diese weiter.Man
könnte auch sagen: G’’tt traut uns Frauen mehr zu als den Männern. ER weiß,
dass wir beides: Beruf und Familie bewältigen können. G’’tt, die Religion versperrt uns keine Karriere, solange wir
das Ideal der Frau als „Priesterin des
Hauses“ nicht verraten. Denn insofern
ist es weiterhin an uns – zumindest aus
Kennen und schätzen sich: Seyran Ateş
(li.) und Charlotte Knobloch.
Sicht der Orthodoxie – die Initiative zu
ergreifen und das Fortleben des jüdischen Volkes zu sichern.
Heute ist die gesetzliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau für
die breite Mehrheit der in Industriestaaten lebenden Menschen eine moralische
und logische Notwendigkeit. Ebenso
verhält es sich mit der religiösen Gleichwertigkeit der Geschlechter. Hinsichtlich der religiösen Gleichberechtigung
ist Dreh und Angelpunkt im Judentum
der generelle Diskurs darüber, ob und
wie weit die traditionelle Lehre an die
modernen Gegebenheiten der jeweiligen Gegenwart angepasst werden darf
und soll.
Die jüdischen Reformbewegungen erachten die rigorosen Bestimmungen des
Religionsgesetzes nicht mehr als g’’ttgegeben, sondern als eine historisch
entstandene Tradition, die stets den Anforderungen der Zeit angepasst werden
muss. Die Autorität der Halacha verliert
ihre Gültigkeit, und schon ist der Weg
frei, um die Rolle der Frau neu zu definieren. Sowohl im konservativen als
auch im progressiven Judentum ist die
Gleichstellung der Frau längst erreicht.
Die Separierung in der Synagoge wurde
abgeschafft. Frauen nehmen gleichberechtigt am G’’ttesdienst teil und bekleiden ohne Einschränkung höchste Ämter – bis hin zur Rabbinerin.
Mann und Frau haben
Gemeinsames und Unterschiedliches.
Im orthodoxen Lager ist eine derartige Abkehr von der Tradition unvorstellbar. Aber selbst hier haben sich Frauen
in den letzten Jahren verstärkt zu Wort
gemeldet und bislang nicht dagewesene
Veränderungen herbeigeführt. Mann
und Frau haben Gemeinsames und
Unterschiedliches. Vollkommen sind
beide der Schöpfungsgeschichte zufolge
erst im Bündnis miteinander. Arbeiten
Mann und Frau zusammen, sind sie sich
einander Gegenpart, helfen und stützen
sie sich gegenseitig – nur dann finden sie
körperliche und seelische Erfüllung.
Diese Idee, der Gedanke der Selbstfindung im anderen, übertragen auf das
Thema der heutigen Veranstaltung „Die
Religionen und die Sorge um den
(weiblichen) Menschen“, führt mich zu
folgendem Ergebnis: G’’tt hat uns nach
seinem Vorbild geschaffen. Er hat uns
einen freien Willen gegeben. A priori
steht uns die Welt offen. Die Religion ist
uns ein Vehikel, genau daran zu glauben – auf IHN zu vertrauen. Sie ist aber
nicht dazu da, uns unsere Grenzen aufzuzeigen. Es steht eben nicht geschrieben, wer wir zu sein haben. Die Sorge
um den Menschen – egal ob Frau oder
Mann – obliegt G’’tt.
Die Kernkompetenz der Religion ist
es, uns zu helfen, einen Weg zu G’’tt zu
finden. Ein Wegweiser, der sich in allen
drei monotheistischen Religionen findet, ist die Nächstenliebe und der Respekt der menschlichen Würde. Sehr
wohl steht geschrieben, wie wir sein sollen, wie wir uns im Umgang miteinander verhalten sollen. Wenn wir dereinst
an den Punkt kommen, da wir unser
Handeln diesem Postulat unterwerfen,
übernehmen wir endlich G’’ttes Werk,
uns um einander zu sorgen. 쏔
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