Ziel muss es sein [...] ‚bauliche Angsträume` zu vermeiden und damit

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„Ziel muss es sein [...] ‚bauliche Angsträume‘ zu
vermeiden und damit insbesondere Frauen bei der
ungehinderten und sicheren Aneignung des öffentlichen
Raumes zu unterstützen.“1
Über das Geschlechterwissen im politischen Sicherheitsdiskurs im
öffentlichen Raum
Anna Valentina Klieber und Klemens Schmidt
1. Einleitende Bemerkungen
„Das Geschlecht, nicht die Religion, ist das Opium des Volkes.“ (Goffman 1994: 131)
Im Diskurs über Sicherheit im öffentlichen Raum spiegeln sich Perspektiven einer
Gesellschaft wider, die schlussfolgern ließen, dass es nun einmal so ist, dass es um Frauen
und Männer in Fragen der Sicherheit nicht gleich bestellt sei. Aus einer
sozialwissenschaftlichen Perspektive aber lässt sich folgende Problemstellung ausmachen:
Insbesondere nämlich, wenn sowohl Geschlecht als auch Raum „in ihrer jeweiligen sozialen
Konstruiertheit als relational miteinander verwoben und sich dabei wechselseitig bedingend
angenommen werden“ (Ruhne 2011: 141), lässt sich danach fragen, wie im Zuge dessen
gewisse Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit aufgezeichnet und verfestigt werden. Wie
werden verschiedene Räume durch ihre öffentliche Definition mit gewissen
„Sicherheitsgefühlen“ konnotiert, und welchen Einfluss übt der städtische politische
Sicherheitsdiskurs darauf aus? Der politische Diskurs um diese Themen ist alltäglich,
verfestigt das bereits angesprochene implizite und scheinbar selbstverständliche Wissen und
konstruiert somit soziale Realität.
Eine eingehende Beleuchtung der Konstruktionsvorgänge soll somit durch eine
diskursanalytische Behandlung des aufgezeichneten Problemfeldes versucht werden. Konkret
soll es um die Konstruktion von Geschlecht im Rahmen des politischen Sicherheitsdiskurses
im öffentlichen Raum in Graz gehen. Wie gestaltet sich das diskursive Geschlechterwissen im
politischen Diskurs der letzten elf Jahre über Sicherheit im öffentlichen Raum in Graz?
Konkreter gefragt: Wie wird Geschlecht im politischen Diskurs über Sicherheit im
öffentlichen Raum konstruiert? Wie gestaltet sich das objektivierte Geschlechterwissen,
welches im politischen Sicherheitsdiskurs transportiert wird?
Hierfür wird von uns ein Fokus gewählt, welcher in der feministischen Raumforschung ein
wenig unterrepräsentiert zu sein scheint, nämlich die gezielte Untersuchung der Konstruktion
und Reproduktion des zweigeschlechtlichen Systems im politischen Diskurs über Sicherheit
im öffentlichen Raum. Das Interesse liegt demnach einerseits darin, die
geschlechtsspezifische Konstruktion von (Un-)Sicherheit und andererseits die (Re-)
Produktion einer gewissen Geschlechterordnung im öffentlichen Raum, zu untersuchen.
1
111020_Dringlichkeitsanträge: 111
Zunächst wird auf die theoretischen Grundlagen und empirische Befunde zum Verhältnis von
Raum, Geschlecht und Sicherheit eingegangen. Hier spielt vor allem die Klärung des
Begriffes Geschlechterwissen eine zentrale Rolle und zeigt an welchen theoretischen
Überlegungen wir in dieser Forschungsarbeit anknüpfen. Danach soll das methodische
Vorgehen erläutert werden, bevor die zentralen Ergebnisse diskutiert werden.
2. Theoretische Grundlagen und empirische Befunde
Als Erstes soll eine grundlegende theoretische Basis geschaffen werden, anhand welcher in
weiterer Folge das empirische Material diskutiert werden kann. Diese theoretischen
Überlegungen umfassen zwei Perspektiven: Einerseits sollen Raum, Geschlecht und
Sicherheit betrachtet werden, welchen in der Literatur eine Wechselseitigkeit unterstellt wird,
andererseits soll, vor allem auf Basis der Überlegungen von Hirschauer (1996) und Dölling
(2007), in den Begriff des Geschlechterwissens eingeführt werden.
2.1.
Raum, Geschlecht, Sicherheit – eine wechselseitige Beziehung?
Die Stadt ist in ihrer ursprünglich bürgerlich-demokratischen Definition unter anderem ein
Raum der Öffentlichkeit. Die Grundprämisse der Möglichkeit des allgemeinen Zugangs bringt
für die Stadtbewohner_innen, die sich im öffentlichen städtischen Raum bewegen, eine
Dimension der Freiheit mit sich, darüber hinaus soll eine Kontrollinstanz gegenüber der
Herrschaft der Obrigkeit geschaffen werden (vgl. Schäfers 2006: 150). In Zusammenhang
damit soll auch klar gestellt werden, dass Öffentlichkeit per se „keine Eigenschaft von
Räumen [...], sondern ein strategisch eingesetztes, normatives Ideal [darstellt], das einem
Raum interessensgeleitet zugeschrieben wird“ (Belina 2006: 24). Raum kann demnach,
zurückgehend auf Henri Lefebvre (1974), nicht als statisch, sondern vielmehr als prozesshaft,
als relational, von Machtstrukturen durchzogen, kurz als stratifiziert und stratifizierend
angesehen werden. Wenn Raum als ein relationales Gebilde konzipiert wird, so lässt sich
dieser nicht ohne Körper denken (vgl. Löw 2006: 120).
Dem öffentlichen Raum wohnt also sowohl ein konstruiertes als auch ein konstruierendes
Moment inne, in Hinblick auf sich selbst, aber auch auf andere soziale Dimensionen. Es
waren insbesondere Frauenbewegungen und die feministische Wissenschaft, welche bereits in
den 1990er Jahren „Geschlechter- und Raumverhältnisse als ein sich wechselseitig
bedingendes Wirkungsgefüge“ (Ruhne 2011: 206) definiert haben. Das heißt, dass sowohl der
Raum durch die Verhältnisse der Geschlechter geprägt ist, (öffentlicher) Raum aber auch
umgekehrt auf diese Verhältnisse wirkt (vgl. Schuster 2012: 642). Nicht zuletzt in
Zusammenhang mit diesen feministischen Perspektiven und der Markierung von Räumen in
Verbindung mit Geschlecht, wird häufig auch der Sicherheitsdiskurs in der Stadt und im
öffentlichen Raum zum Thema gemacht (vgl. Schuster 2012: 644).
An diesem Punkt stellt sich erneut die Frage nach dem jeweiligen Verhältnis von Raum,
Geschlecht, Sicherheit und sozialer Wirklichkeit. Die Antwort scheint ebenso einfach wie
folgenreich zu sein:
„Geschlechtsspezifisch unterschiedene Sicherheiten bzw. Unsicherheiten im öffentlichen Raum
konnten […] aber nicht nur als ein (historisches) Produkt machtvoller gesellschaftlicher
(Zu)Ordnungsprozess verdeutlicht werden, sondern sie wurden gleichzeitig auch als ein machtvoller
Produzent gesellschaftlicher Verhältnisse herausgearbeitet“ (Ruhne 2011: 208).
Darüber hinaus werden gewisse Orte als unsicher oder gewaltpolarisierend beschrieben und
kategorisiert, und somit auch als sogenannte Angsträume konstruiert und im Zuge gewisser
politischer Maßnahmen als solche geprägt.
„Die Diskussion um Angsträume hat dazu geführt, dass Frauenparkplätze eingeführt wurden und eine
Umgestaltung von Unterführungen und Parks vorangetrieben wurde, die diese Bereiche für von
Gewalt betroffene Personen sicherer machen soll – und zugleich für verschiedene andere
Personengruppen problematische Folgen hatte.“ (Schuster 2012: 645)
In der Öffentlichkeit ist die Vorstellung, dass Unsicherheiten im öffentlichen Raum durch
bauliche Veränderungen bzw. stärkere Kontrolle ausgemerzt werden können, immer noch
weit verbreitet (vgl. Ruhne 2011: 211). Vor allem die neueren feministischen Studien
scheinen in die Richtung zu zeigen, dass (Un-)Sicherheit, beispielsweise in Form von „Angst
vor sexualisierter Gewalt im sogenannten öffentlichen Raum weder dem Raum noch den
Frauen inhärent, sondern gesellschaftlich konstruiert“ (Strüver 2010: 221) ist. So scheint sich
das Verständnis der geschlechterbezogenen Unsicherheit in die allgemeinen Dekonstruktionsbestrebungen der Frauen- und Geschlechterforschung einzuordnen. Das Erkenntnisinteresse
verschiebt sich in die Richtung, „die Art und Weise zu untersuchen, in der räumliche
Strukturen und Raumplanung die soziale Rekonstruktion des Zweigeschlechtersystems
befördern“ (Schuster 2012: 645). Es scheint demnach in der auf den Raum bezogenen
Geschlechterforschung, im Hinblick auf das Verhältnis von Raum und Geschlecht, zu einer
poststrukturalistischen Wende gekommen zu sein. Es wird nun argumentiert, dass „Diskurse
um Angst von Frauen im öffentlichen Raum dazu beitragen, hierarchische
Geschlechterverhältnisse und hegemoniale vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen zu
zementieren“ (Wucherpfennig 2010: 52). Eine Studie von Kutschinske (1999), in der
Joggerinnen befragt wurden, die sich vorwiegend in sogenannten „Angst-Räumen“ bewegten,
bestätigt beispielsweise, dass persönliche Ängste und Unsicherheiten im öffentlichen Raum
mit der (Re-)Produktion der Geschlechterverhältnisse in diesem zusammenhängen (vgl. ebd.:
52).
2.2.
Geschlechterwissen und die Konstruktion von Geschlecht
Die theoretische Beschäftigung der Frauen- und Geschlechterforschung mit
Geschlechterwissen,
welche
gleichermaßen
wissenssoziologische
und
sozialkonstruktivistische Überlegungen beinhaltet, begann Mitte der 1960er Jahre, genauer
gesagt mit der Publikation der berühmten Studie über Agnes, einer Mann-zu-FrauTranssexuellen, im Jahre 1967 von Harold Garfinkel (vgl. Wetterer 2008: 20). Die
Überlegungen Garfinkels fasst Hirschauer treffend zusammen:
„Die zwei Geschlechter werden dabei mit Hilfe eines axiomatischen Wissens erzeugt, das über drei
Basisannahmen verfügt: daß [sic!] alle Menschen unverlierbar (Konstanzannahme) und aus
körperlichen Gründen (Naturhaftigkeit) entweder das eine oder das andere Geschlecht sind
(Dichotomizität) [Herv. i. Orig.]“ (Hirschauer 1996: 243).
Hirschauer gibt eine Antwort auf die Frage, wie das zweigeschlechtliche System in der
Realität (re-)produziert und die Geschlechter sozial konstruiert werden, wenn er die
soziologische Perspektive auf Geschlechterkonstruktionen zusammenfasst: „Die
Geschlechterunterscheidung ist eine permanent stattfindende soziale Praxis, die ein
Wissenssystem reproduziert [Herv. i. Orig]“ (Hirschauer 1996: 242).
Die Betrachtung des Wissenssystems und des Geschlechterwissens weist bei Hirschauer eine
systematisierte Herangehensweise auf, da Wissen in drei Arten eingeteilt wird: (1) kognitives
und sprachförmiges oder diskursives, (2) bildförmiges oder visuelles und (3) praktisches
Wissen (vgl. Hirschauer 1996), wobei für den Fokus dieser Arbeit vor allem das kognitive
und sprachförmige bzw. diskursive Wissen zentral erscheint.
Kognitives und sprachförmiges Wissen umfasst „Theorien, Wahrnehmungsleistungen,
Erklärungen und Begründungen, kurz: Diskurse stricken einen dichten Sinnzusammenhang,
aus dem kaum zu entrinnen ist“ (Hirschauer 1996: 246). Unter dieses diskursive Wissen fasst
Hirschauer vier Elemente, nämlich das Alltagswissen, wissenschaftliches Wissen, normative
Annahmen und intellektuelle Schutzvorkehrungen. Alltagswissen beinhaltet alle Annahmen
und Kategorisierungen, welche zur Konstruktion der Geschlechter dienen. Das zweigeschlechtliche System wird auch durch wissenschaftliches Wissen unterstützt, welches „eine
kognitive Absicherung der Geschlechterklassifikation [darstellt] – mit einem Legitimationsaufwand, wie es ihn für kaum eine andere gesellschaftliche Institution gibt“ (ebd.: 245).
Sowohl physische, aber auch kognitive Abweichungen vom zweigeschlechtlichen System
werden durch diskursives Geschlechterwissen gleichsam bekämpft. Auf Seiten der
körperlichen Devianz geschieht dies mit Hilfe von normativen Annahmen, das heißt einer
zweigeschlechtliche Kategorisierung der Körper und einer Pathologisierung der
Abweichungen. Menschen, die nicht der Norm des zweigeschlechtlichen System entsprechen,
werden durch die Zuhilfenahme von sogenannten intellektuellen Schutzvorkehrungen
normiert, welche die kognitive Absicherung der Zweigeschlechtlichkeit und die scheinbar
„natürliche“ Unterscheidung der Geschlechter zum Ziel haben (vgl. Hirschauer 1996: 243ff).
Dölling trifft eine ebenso systematische Unterscheidung des Geschlechterwissens wie
Hirschauer, jedoch auf eine andere Art und Weise. Der Fokus wird auf die Unterscheidung
zwischen subjektivem bzw. individuellem und objektiviertem, gesellschaftlichem bzw.
kollektiviertem Geschlechterwissen gelegt. Individuelles Geschlechterwissen meint, nach
Dölling (2007: 15), den „biografisch aufgeschichteten, sich aus verschiedenen Wissensformen
zusammensetzenden und strukturierten Vorrat an Deutungsmustern […], mit dem die
Geschlechterdifferenz wahrgenommen, bewertet, legitimiert, begründet bzw. als selbstverständliche, quasi ‚natürliche‘ Tatsache genommen wird“. Das objektivierte Geschlechterwissen, welches einen zentralen Begriff in dieser Forschungsarbeit darstellt, umfasst die
normativen Vorstellungen zur Geschlechterordnung. Dies enthält einerseits die
Unterscheidung der Geschlechter an sich und andererseits die Beziehung der Geschlechter
zueinander. Bei Dölling geht es nicht so sehr, wie etwa bei Hirschauer, um die Frage, wie
etwas gewusst wird, sondern wer was weiß. Geschlechterwissen umfasse „Elemente von
Veränderungswissen bei den AkteurInnen sowie die Relation von Beharren und Verändern in
ihren Subjektpositionen und – genereller – subjektive Dimensionen des Herstellens von
Geschlecht (doing gender) im praktischen Handeln“ (ebd.: 10).
Dieser Fokus auf soziale Interaktionen lässt sich auch bei Goffmans „Arrangement der
Geschlechter“ (1994) erkennen, das den umfangreichen theoretischen Rahmen dieser
Forschungsarbeit vervollständigt.
2.3.
Goffman’s „Arrangement der Geschlechter“
Goffman (vgl. 1994: 105) identifiziert Geschlecht als eine der wichtigsten Kategorien, durch
die soziale Interaktionen und somit gesellschaftliche Strukturen geprägt sind. Menschen wird
bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen, was die Grundlage für eine das ganze Leben
andauernde „Zuordnung zu einer Geschlechtsklasse“ (Goffman 1994: 109) bildet. 2 Diese
Kategorisierung führt dazu, dass die beiden Gruppen unterschiedlich bewertet und den
Geschlechtern unterschiedliche Verhaltensweisen bzw. Erfahrungen zugeschrieben werden.
Somit sind scheinbar „natürliche“ Unterschiede nicht mehr als vorherbestimmt, sondern als
sozial konstruiert zu betrachten, wie das auch in den vorherigen Überlegungen zu
Geschlechterwissen deutlich wurde.
Goffman (1994: 118f) verweist darauf, dass soziale Interaktionen, welchen einerseits
Konstruktion und Ausdruck sozialer Realität innewohnen, zeigen, dass „Frauen für
zerbrechlich und kostbar“ gehalten werden und „vor den rauhen Seiten des Lebens geschützt
[…] werden müssen.“ Dies macht für Goffman (vgl. ebd.: 119) das Arrangement der
Geschlechter sichtbar, welches zwei Formen annehmen kann: Das Hofieren und das System
des höflichen Umgangs. Während die erste Ausprägung für diese Forschungsarbeit
vernachlässigt werden kann, scheint die zweite umso interessanter zu sein. Ausgehend von
sozialen Interaktion, in welchen Frauen als „wertvoll, dekorativ und zerbrechlich“ (ebd.: 123)
charakterisiert werden, entsteht die männliche Verpflichtung Frauen vor jeglicher Bedrohung
zu beschützen. Diese Pflicht bezieht sich nicht nur auf Frauen, die einem Mann nahe stehen,
sondern auf die Gesamtheit aller Frauen, die (geographisch) in der Nähe und ohne schützende,
männliche Begleitung sind (vgl. ebd.: 123f). Dieser Punkt wird in der Darstellung der
empirischen Ergebnisse noch einmal aufzugreifen sein.
Zentral für die Konstruktion und Aufrechterhaltung der Unterschiede zwischen den
Geschlechtern ist laut Goffman die institutionelle Reflexivität. Durch diese konnten „die
angeborenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die es ja gibt, überhaupt irgendeine
Bedeutung – in Wirklichkeit oder in der Vorstellung – bekommen“ (ebd.: 128).
Einerseits bedeutet dies für die vorliegende Forschungsarbeit, dass Geschlecht erst durch die
politische Debatte (neben anderen handelnden Institutionen) eine Bedeutung für die
Sicherheit im öffentlichen Raum zugeschrieben wird. Andererseits scheint die Zuschreibung
und Relevanz von Geschlecht auf eine ganz spezifische Weise konstruiert zu werden, nämlich
anhand einer Gegenüberstellung der männlichen Stärke, die beschützend wirkt, und der
weiblichen Schwäche, die schützenswert ist. Auch dieser Aspekt wird in der empirischen
Analyse eine zentrale Rolle spielen.
3. Methodik
Wie bereits angesprochen, orientiert sich diese Forschungsarbeit an der grundlegenden
Wechselwirkung zwischen Raum, Geschlecht und Sicherheit und möchte diese im Hinblick
auf die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit untersuchen. Hierfür kam die Diskursanalyse
in der Konzeption Kellers (2006) zur Anwendung. Es sollen nun sowohl theoretische als auch
methodische Überlegungen zur Diskursanalyse im Allgemeinen und zur Konzeption Kellers
im Speziellen in aller Kürze präsentiert werden.
2
Unter anderem auch aus dem Grund, dass Geschlecht nicht einfach abgelegt werden kann, erscheint
das Verständnis, diesem einen Rollencharakter zu unterstellen, mehr als fragwürdig und wurde in der
Geschlechtersoziologie zunehmend kritisiert bzw. zurückgewiesen (vgl. u.a. Connell 2015).
3.1.
Diskursanalyse als Methode – methodologische Überlegungen
Die zentrale Methode, die zur Beantwortung der Fragestellungen herangezogen wurde, ist die
Diskursanalyse. Der Begriff Diskurs lässt sich definieren als „Prozesse der sozialen
Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d.h. Deutungsund Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen
(kollektiven) Akteuren [sic!].“ (Keller 2006: 115) Im politischen Diskurs über Sicherheit in
der Gesellschaft werden unterschiedlichste (partei-)politische Auffassungen über Sicherheit
an die Öffentlichkeit transportiert und im öffentlichen Raum materialisiert.
Sicherheitspolitische Maßnahmen wirken demnach, und mit Hintergrund des
diskurstheoretischen Verständnisses der Realität, auf die Perspektiven und Auffassungen der
Gesellschaft selbst. „[V]or allem Michel Foucault hat mit seinen beiden einflußreichen und
eigenwilligen Schriften ‚Archäologie des Wissens’ (1981) und ‚Die Ordnung des Diskurses’
(1974) den Diskursbegriff in einer allgemeineren Diskurstheorie verortet.“ (Keller et. al.
2006: 12) Genannt werden soll Foucaults Fokus auf den „Zusammenhang von
übersubjektiven Wissensordnungen und diskursiven Praktiken“ (Keller et. al 2006: 12). Die
Diskursanalyse kann als Konfliktanalyse, Prozessanalyse, Analyse öffentlicher
Auseinandersetzungen, vergleichende Analyse sowie Einzelfallanalyse verstanden werden
(vgl. Schwab-Trapp 2006: 266). Sowohl in Hinblick auf den Sicherheitsdiskurs im
öffentlichen Raum als auch auf das diesbezüglich konstruierte Geschlechterwissen ist dies
besonders relevant. Die Diskursanalyse „rekonstruiert diskursive Auseinandersetzungen, in
denen die Diskursteilnehmer Deutungen für soziale und politische Handlungszusammenhänge
entwerfen und um die kollektive Geltung dieser Deutungen ringen.“ (Schwab-Trapp 2006:
266). Die Diskursanalyse als methodische Herangehensweise hat in Zusammenhang damit ein
vergleichendes Moment inne, da Diskurse dann besonders expliziert werden können, wenn
diskursive Ereignisse und die Manifestationen derselben im Vergleich betrachtet werden (vgl.
Schwab-Trapp 2006: 266). Zu betonen ist, dass die jeweilige Vorgehensweise bei Anwendung
der Diskursanalyse stark im Zusammenhang mit dem relevanten Forschungsinteresse und den
damit verbundenen Fragestellungen steht (vgl. Keller 2006: 138).
3.2.
Diskursanalyse in methodischer Anwendung
„Diskursanalyse ist immer und notwendig ein hermeneutischer Prozess der Textauslegung. Die
Auseinandersetzung um die Methoden der Diskursforschung war zunächst durch strukturalistische
Attacken gegen ‚die‘ Hermeneutik und einen [...] meist linguistischer bzw. lexikometrischer Herkunft
gegenüber den ‚unkontrollierten‘ hermeneutisch-interpretativen Vorgehensweisen geprägt.“ (Keller
2008b: 273)
Die Diskursanalyse bedient sich inhaltsanalytischer und qualitativer Erhebungsverfahren, die
aber im diskursanalytisch-methodologischen Verständnis über ihre herkömmliche Fassung
hinausgehen. „Ein wichtiger Unterschied zwischen Diskursanalysen und anderen Ansätzen
der interpretativen oder qualitativen Sozialforschung liegt in der Annahme textübergreifender
Verweisungszusammenhänge in Gestalt von diskursiven Strukturen der Aussageproduktion.“
(Keller 2008b: 275) In anderen Forschungsmethoden stehen einzelne Aussagen für bestimmte
Kategorien, bei der Diskursanalyse muss nicht notwendigerweise nur eine Aussage
repräsentativ für einen Diskursstrang sein. Vielmehr müssen unterschiedliche Etappen der
Analyse und unterschiedliche Positionen und Dimensionen der Diskurse miteinander in
Beziehung gestellt und sukzessive rekonstruiert werden. Der essentielle Unterschied zu den
meisten anderen qualitativen Ansätzen lässt sich in der „Aggregation von Einzelergebnissen
zu Aussagen über ‚den‘ Diskurs“ (Keller 2008b: 275) ausmachen. Klar wird in
Zusammenhang damit, dass die Daten, auf welche sich die Diskursanalyse stützt,
hauptsächlich schriftliche oder audiovisuelle Dokumente oder Aussageereignisse sowie
beobachtbare Praktiken umfassen (vgl. Keller 2008b: 274).
Die Diskursanalyse nach Keller – auf die sich die vorliegende Arbeit stützt – unterscheidet
drei Phasen der Analyse, nämlich die Struktur-, Fein- und Gesamtanalyse. Wichtig ist es
hierbei, auch ein permanentes Vor- und Zurückgehen beizubehalten (Keller 2008a: 90f). In
der Strukturanalyse werden im Anschluss an die Abgrenzung des Forschungsgebietes die
Sichtung des Datenmaterials und die Zusammenstellung des Datenkorpus durchgeführt. In
unserem Fall betrifft dies die Auswahl der Stichprobe, das heißt die Begrenzung auf die
Gemeinderatsprotokolle der letzten elf Jahre. Anschließend werden aus den theoretischen
Überlegungen Begrifflichkeiten gewählt, anhand derer relevante Textstellen identifiziert
werden und welche die Thematik dieser Forschungsarbeit abbilden sollen. In der darauf
folgenden, bzw. zum Teil gleichzeitig laufenden, Feinanalyse werden einzelne typische
Dokumente in einem offenen und kriteriengeleiteten Suchprozess ausgewählt. In der
Gesamtanalyse werden von den einzelnen Diskursfragmenten abstrahiert, um den
Gesamtdiskurs und die einzelnen Diskursüberschneidungen darstellen zu können. Für uns
bedeutete dies, die drei Diskursstränge Geschlecht, Raum und Sicherheit vor allem in ihren
Zusammenhängen zu analysieren.
3.3.
Die Stichprobe
Für den politischen Sicherheitsdiskurs wurden die Gemeinderatsprotokolle im Zeitraum von
elf Jahren herangezogen und analysiert, also von 2004 bis 2014. Der Fokus wurde bewusst
auf diesen Zeitraum beschränkt, da in den letzten elf Jahren einige Veränderungen in der
sicherheitspolitischen Gesetzgebung in Graz eingetreten waren, wie bspw. die
Implementierung der Ordnungswache im Jahre 20073. Aus forschungspragmatischer Sicht
schien die Beschränkung auf Gemeinderatsprotokolle in diesem Zeitraum in zweierlei
Hinsicht als sinnvoll. Zunächst sind nur die Gemeinderatsprotokolle der letzten elf Jahre auf
der Homepage der Stadt Graz4 online einsehbar und somit zugänglich. Aus demselben Grund
wurde der Fokus auf den Gemeinderat, und nicht etwa auf einen oder mehrere
Bezirksrat/Bezirksräte gelegt. Ein zweiter Grund für die Beschäftigung mit dem gesamten
Grazer Sicherheitsdiskurs wurde aus der Annahme heraus getroffen, dass dies ergiebigere
Ergebnisse liefert als eine Beschränkung auf ein Teilgebiet im Grazer Raum. In einem
gleichen Maß liegt die Vermutung nahe, dass bezirkspolitische Diskurse von jenen des
Gemeinderates abhängen.
4. Ergebnisse und Diskussion
Im Folgenden wird, ausgehend von den bereits dargelegten theoretischen Überlegungen, auf
die Ergebnisse der vorliegenden Studie eingegangen. Als die für unsere Forschungsarbeit
relevanten Diskursstränge lassen sich der Geschlechterdiskurs, der Sicherheitsdiskurs und der
3
4
vgl. http://www.graz.at/cms/ziel/4932362/DE
vgl. http://www.graz.at/cms/ziel/410977/DE/
Diskurs im bzw. über den öffentlichen Raum nennen. Der Fokus unserer Analyse richtet sich
gemäß der Fragestellung auf die Diskursüberschneidung der genannten Aspekte. Aus diesem
Grund bleibt eine umfassende Charakterisierung der einzelnen Diskurse an dieser Stelle aus
und es erfolgt nur eine kurze Beschreibung, um im nächsten Abschnitt genauer auf die
Analyse und die Ergebnisse der Überschneidungen eingehen zu können.
4.1.
Raum, Geschlecht, Sicherheit – eine wechselseitige Beziehung!
Vorweg genommen sei, dass Geschlecht im Sicherheitsdiskurs im öffentlichen Raum weitaus
weniger oft relevant gemacht wird als vorab vermutet wurde. Es gibt im politischen Diskurs
durchaus einen Geschlechterdiskurs, häufig insbesondere als Frauendiskurs präsent, der aber
zumeist Aspekte impliziert, die nicht in die Fragestellung der Konstruktion von Geschlecht im
Bereich der Sicherheit im öffentlichen Raum fallen. So wurde in den von uns analysierten
Protokollen oft die Thematik der Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt (bezüglich ungleicher
Bezahlung, Jobchancen, etc.) angesprochen, oder auch die Gewalt im häuslichen Bereich. Die
beiden Diskursstränge Sicherheit und öffentlicher Raum werden im politischen Diskurs kaum
getrennt voneinander verhandelt, da sich die städtische Politik, wenn sie sich auf das Thema
der Sicherheit bezieht, fast ausschließlich auf Sicherheit im öffentlichen Raum fokussiert.
Dennoch wird über Sicherheit meist unabhängig von Geschlecht diskutiert. Ein hier häufig
aufkommendes Thema stellt beispielsweise die Verkehrssicherheit oder auch die Sicherheit
auf Baustellen dar, ein weiterer dominierender Diskussionspunkt scheint auch der
Drogenhandel und -konsum an öffentlichen Plätzen und Parks zu sein.
Wird allerdings Geschlecht im Sicherheitsdiskurs im öffentlichen Raum angeschnitten, so
geschieht dies auf eine ganz bestimmte Art und Weise und lässt damit eine spezifische
Konstruktionsart von Geschlecht im Diskurs erkennen. Mit Rückbezug auf die zuvor
erläuterten theoretischen Grundlagen kann an dieser Stelle das Konzept des Angstraumes
angesprochen werden. Der Prozess der Konstruktion stellt sich wie folgt dar: Indem gewisse
Situationen in bestimmten öffentlichen Räumen als beängstigend und gefährlich speziell für
Frauen dargestellt werden, wird dieses Angstgefühl als dem Raum inhärent beschrieben. Dies
wird beispielsweise in Zusammenhang mit Tageszeit, Parks und Beleuchtung diskutiert,
wodurch Parks zur Nachtzeit als, besonders für Frauen, gefährliche Orte konstruiert werden.
Insbesondere auf diese und andere Thematiken wird im Folgenden noch genauer eingegangen
werden.
4.2.
Geschlecht im Sicherheitsdiskurs über den öffentlichen Raum
Die Konstruktion von Geschlecht im politischen Sicherheitsdiskurs über den öffentlichen
Raum ist hauptsächlich dominiert von Aspekten der Beleuchtung und Tageszeit, Angst und
des subjektiven Sicherheitsgefühls, der Zivilcourage sowie Gewalt und Kriminalität. Die
Konstruktion von Geschlecht äußert sich darin, dass eine verschiedene Handhabung von
„männlich“ und „weiblich“ in besagten Kontexten erfolgt. Es wird prinzipiell von einem
zweigeschlechtlichen System ausgegangen – dieses wird im Diskurs und in der Debatte um
Sicherheit im öffentlichen Raum als solches aufgegriffen und reproduziert. „Die kontroverse
Frage ist nicht, wie wirklich die Zweigeschlechtlichkeit ist, sondern wie sie eine Wirklichkeit
ist: als eine universelle, überhistorische und außersoziale Wesenheit oder als integraler
Bestandteil jeweiliger Lebensformen“ (Hirschauer 1996: 241). Die Zweigeschlechtlichkeit ist
in diesem Sinne ein „institutionelles Arrangement“ (Goffman 1994) der Institution Politik.
Das System der zwei Geschlechter wird so im Zusammenhang mit Sicherheit im öffentlichen
Raum verfestigt. Werden also die oben genannten Themen der Angst, des subjektiven
Sicherheitsgefühls, der Zivilcourage, Kriminalität, Gewalt oder Beleuchtung in
Zusammenhang mit Geschlecht zur Sprache gebracht, werden den beiden Geschlechtern
jeweils eigene Attribute zugedacht. Der Diskurs erweist sich als ausgestattet mit impliziten
Annahmen über die Zweigeschlechtlichkeit und „Eigenschaften“, die den Geschlechtern
zugeschrieben werden.
Die erwähnten, den Diskurs dominierenden Aspekte, äußern sich demgemäß, je nachdem von
welchem Geschlecht gesprochen wird, auf unterschiedliche Art und Weise. Dennoch ist zu
betonen, dass die genannten Punkte einerseits unabhängig von Geschlecht und andererseits in
Zusammenhang miteinander vorkommen können. So wird beispielsweise Angst häufig als ein
Resultat des geringen subjektiven Sicherheitsgefühls betrachtet, welches sowohl durch
Kriminalität als auch Gewaltverbrechen beeinträchtigt werden kann. Des Weiteren wird dem
Sicherheitsgefühl der Passant_innen unterstellt, dass es in engem Zusammenhang mit
Beleuchtung des öffentlichen Raumes steht. Um das Ziel der Senkung der Kriminalität bzw.
Steigerung des Sicherheitsgefühls zu erreichen, wird unter anderem die Zivilcourage als ein
mögliches Mittel identifiziert. Diese wird als eine Eigenschaft von Personen oder auch als
eine nötige Grundeinstellung der Gesellschaft verstanden, welcher ein zunehmend prekärer
Zustand zugeschrieben wird.
Nach dieser allgemeinen Charakterisierung sollen die genannten Aspekte genauer und in
Zusammenhang mit Geschlecht beschrieben werden. So kann durch die Ergebnisse unserer
Analyse verdeutlicht werden, wie Geschlecht und das System der Zweigeschlechtlichkeit im
Zusammenhang mit diesen Themen konstruiert wird.
Angst und subjektives Sicherheitsgefühl
Der Diskurs um Sicherheit im öffentlichen Raum nimmt sich neben der objektiven Sicherheit,
nachweisbar bspw. durch Kriminalitätsstatistiken, vor allem dem subjektiven
Sicherheitsgefühl der Menschen an. Es wird im politischen Diskurs davon ausgegangen, dass
das Sicherheitsgefühl von der objektiven Sicherheit abhängig ist. Interessant ist jedoch, dass
die subjektive Komponente zu einem großen Teil alleine, losgelöst von Statistiken und
Befunden zur objektiven Sicherheit, diskutiert wird. Ein Lösungsansatz zur Steigerung des
subjektiven Sicherheitsgefühls und gleichzeitigen Minderung von Angst scheint etwa eine
größere
Polizeipräsenz
im
öffentlichen
Raum
zu
sein
(vgl.
bspw.
110609_Dringlichkeitsanträge: 168). An dieser Stelle gilt es zu betonten, dass hauptsächlich
ein geringes subjektives Sicherheitsgefühl und größere Angst seitens der Frauen konstatiert
wird (vgl. bspw. 140918_Anträge: 203; 111020_Dringlichkeitsanträge: 111). Nur selten wird
explizit angesprochen, dass männliche Gewalt für die Ängste bzw. für das geringe subjektive
Sicherheitsgefühl der Frauen verantwortlich ist, wie es dieser, durchaus polemische,
Kommentar auf den Punkt bringt:
„Wenn wir diese Ängste ernst nehmen, und Tatsache ist, dass es auch immer wieder vorkommt in
unserer Stadt, dass Frauen in der Nacht von Männern belästigt werden. Wenn wir diese Ängste ernst
nehmen und Ihren Vorsatz, dass Sie aktiv werden wollen, bevor etwas passiert und vorher
einschreiten wollen, auch so hier anwenden, dann wäre eigentlich die einzig logische Erkenntnis
daraus, dass Sie eintreten müssten für eine ortspolizeiliche Verordnung, die ein Ausgehverbot für
Männer ab 22.00 Uhr in Graz vorsieht […] Herr Kollege, Sie haben sich noch nie gefürchtet, wenn Sie
durch die Stadt gegangen sind (Bürgermeister Mag. Nagl betätigt die Ordnungsglocke), dass Sie von
einer Frau belästigt werden. Ich sage das als Beispiel, nicht, um polemisch zu sein, sondern ich bringe
es einfach als Beispiel, weil das genauso wenig ein sachlich wirksamer Ansatz wäre, um Ängste von
Frauen zu nehmen oder überhaupt das Problem Gewalt oder Belästigung, wie auch immer in den Griff
zu bekommen“ (040513_Anfragen an den Bürgermeister: 67).
Hierzu kommt, dass das subjektive Sicherheitsgefühl oder Ängste, welche im öffentlichen
Raum (nicht nur von Frauen) empfunden werden, nicht selten mit fehlender Beleuchtung am
Abend oder in der Nacht in Verbindung gebracht werden.
Beleuchtung
Die Beleuchtung wird generell als ein grundlegender Aspekt der Sicherheit im öffentlichen
Raum und als Voraussetzung des schon erwähnten subjektiven Sicherheitsgefühls postuliert.
Dunkelheit wird generell mit Unsicherheit und Gefahr in Verbindung gebracht. „Eine Stadt
des Wohlfühlens – das soll Graz sein – auch in der Nacht. Dazu gehört auch eine
entsprechende Beleuchtung, die nach Einbruch der Dunkelheit das Sicherheitsgefühl stärkt.“
(120510_Anträge: 153). In der Analyse kann hier an das theoretische Konzept der
Konstruktion des Angstraumes – insbesondere an die wechselseitige Verbindung von Raum
und Geschlecht – angeknüpft werden. Dem Raum wird im Falle der Dunkelheit die
Eigenschaft der Unsicherheit zugeschrieben und mit den korrespondierenden Attributen
bedacht – allerdings besonders für Frauen.
„Fehlende oder unzureichende Beleuchtung erzeugt vor allem bei Frauen und älteren Menschen ein
Gefühl von Unsicherheit oder Bedrohung. Nach dem Prinzip ‚Sehen und gesehen werden‘ soll die
Sicherheit und das persönliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung durch eine entsprechende
Beleuchtung erhöht werden.“ (120209_Anträge: 210).
Die mangelnde Beleuchtung zeichnet den Raum als einen sogenannten Angstraum aus. Hier
wird deutlich, wie verankert die Vorstellung, dass Unsicherheiten im öffentlichen Raum durch
bauliche Umgestaltung oder eben durch stärkere Beleuchtung eliminiert werden könnte, ist
(vgl. Ruhne 2011: 211).
Zivilcourage und Sicherheitskonzept
Ein weiterer Aspekt der Konstruktion von Geschlecht im politischen Sicherheitsdiskurs stellt
das Thema der Zivilcourage dar. Insbesondere wenn es um die Beeinträchtigung der
Sicherheit von Bürgerinnen geht, erlebt dieses Thema seinen Aufschwung. Die Allgemeinheit
sei es, die Frauen beschützen muss, von der Warte der Gesellschaft aus muss Schutz und
Sicherheit für Frauen gewährleistet werden. Dieser Aspekt des Diskurses wird in folgendem
Beispiel deutlich:
„Wir mussten leider in den letzten Wochen den Medien entnehmen, dass in einem Fall in Salzburg
einer sterbenden Frau keine Hilfe geleistet wurde von anwesenden anderen Personen, wir mussten
erfahren, dass sowohl in Wien als auch in Graz Frauen überfallen wurden und auch hier PassantInnen
weder eingegriffen noch sonstige Schritte, wie zum Beispiel die Polizei zu holen, unternommen haben.
[…] Die Polizei allein kann allerdings nicht die Sicherheit herstellen, da sind alle BewohnerInnen der
Stadt aufgefordert, wir alle sind aufgefordert, unseren Beitrag zu leisten und aus diesem Grunde
möchte ich mit diesem Antrag auf diesen Aspekt der Sicherheit näher Aufmerksamkeit lenken, dass es
eben eine Verantwortung von jedem Einzelnen gibt, wie das Umfeld auch in Bezug auf Sicherheit
aussieht. Wir müssen uns darum kümmern, dass der Wert der Zivilcourage wieder stärker gelebt
wird.“ (100325_Dringlichkeitsanträge: 81)
Dies spiegelt sehr deutlich die theoretischen Überlegungen zur Konstruktion von Geschlecht
wider, die wir schon bei Goffman (1994: 123) gesehen haben, nämlich, „daß [sic!] Frauen als
wertvoll, dekorativ und zerbrechlich gelten“. Die daraus resultierende explizite Verpflichtung
für Männer, Frauen vor Grausamkeiten, Verbrechen und Ähnlichem zu beschützen, welche
Goffman konstatiert, lässt sich in unserem Material jedoch nicht explizit nachweisen.
Festzustellen bleibt, dass die Opfer zu einem großen Teil als weiblich dargestellt werden.
Dass implizit der männliche Schutz der weiblichen Opfer gemeint ist, belegt der
Protokollausschnitt weiter unten, welcher sichtbar macht, dass sich der politische
Sicherheitsdiskurs im Rahmen eines zweigeschlechtlichen Systems bewegt.
Werden hingegen Männer Opfer von Gewalt, wird der „Wert der Zivilcourage“ weniger
betont, welcher laut den politischen Akteur_innen in der modernen Gesellschaft zu einer
Rarität verkümmere. Unzureichende Sicherheitskonzepte, fehlende Polizeipräsenz, quasi ein
Versagen des Staates werden dagegen in diesen Fällen als Gründe für die fehlende Sicherheit
angegeben. Dies zeigt sich bspw. in der Schilderung eines Vorfalles, welcher zeitlich in
unmittelbarer Nähe zum zuvor dargelegten Fall liegt und somit die gleichen Akteur_innen am
Diskurs beteiligt waren:
„Erst vor wenigen Tagen wurde neuerlich ein Jugendlicher, der durch den Schloßberg-Durchgang
ging, von einer ganzen Bande, die in einem Stollen lauerte, überfallen und dermaßen traktiert und
misshandelt, dass dieser im Krankenhaus notversorgt und auch stationär aufgenommen werden
musste. (...) Der Sicherheitsbeauftragte der Stadt Graz, Mag. Wolfgang Hübel, wird aufgefordert,
unter Zuziehung von Vertretern und Experten der Grazer Polizei und der Grazer Ordnungswoche ein
Sicherheitskonzept für den Schloßbergstollen zu erarbeiten und dem Gemeinderat über das Ergebnis
bis längstens Juni 2010 zu berichten. Darüber hinaus ist nach Prüfung des Bedarfs dieses
Sicherheitskonzepts auf das ganze Schloßbergareal zu erweitern.“ (100225_Dringlichkeitsanträge:
174f)
Insbesondere der Vergleich der beiden Beispiele lässt deutlich werden, dass eine
unterschiedliche Handhabung von Geschlecht beim Thema der Sicherheit an den Tag gelegt
wird. In letzterem Beispiel sind es nicht die grundlegenden Werte der Gesellschaft, die
überdacht werden müssten. Genauso wird in dem Fall, in dem ein männlicher Jugendlicher
Opfer von Gewalt wurde, nicht auf die „Gesamtheit der Männer“ referiert. Ist allerdings eine
Frau betroffen, wird unmittelbar auf die „Gesamtheit der Frauen“ geschlossen – es wird
Frauen keine Hilfe geleistet, es werden Frauen überfallen. Ein Überfall auf eine Frau wird
demgemäß unmittelbar auf die Gesamtheit übertragen, sowie mit den (verfallenen) Werten
der Gesellschaft in Verbindung gebracht. Ein Fall, in dem ein Mann zum Opfer wird, wird
hingegen als Einzelfall behandelt, der Schluss auf den generellen Opferstatus der Männer
wird im Gegensatz zum Beispiel des weiblichen Opfers hier nicht durchgeführt.
Kriminalität und Gewalt
Ist allgemein von Kriminalität bzw. Gewalt im Sicherheitsdiskurs die Rede, werden diese
generell als Bedrohung oder Störung der allgemeinen Sicherheit des öffentlichen Raumes
verhandelt. Hier spielen Drogendelikte ebenso eine Rolle wie Straftaten gegen Leib und
Leben oder Verbrechen gegen Eigentum. Interessant erscheint, dass Frauen in diesem
Zusammenhang häufiger genannt werden und ebenfalls wieder in einer anderen Art und
Weise als Opfer und schützenswerte Wesen dargestellt werden:
„Ausgangspunkt ist für kriminelle Machenschaften, dass hier alte Frauen, alte Menschen beraubt
werden, bestohlen werden, […] dass hier keine Sicherheit mehr gegeben ist, ja, dass wir kurz davor
stehen, dass in diesem Bereich wirklich eine Ghettoisierung entsteht.“ (090924_Dringlichkeitsanträge:
264)
Hier sieht man sehr deutlich, dass fehlende Sicherheit an der prekären Situation von Frauen
als Opfer von Kriminalität festgemacht wird, welche gleichzeitig mit dem Opferstatus aller
(alten, wie in diesem speziellen Fall) Menschen gleichgesetzt wird. An der Unsicherheit von
Frauen wird eine allgemeine Unsicherheit des Raumes festgemacht. Kurz gesagt: Einerseits
beträfe Kriminalität alle Menschen, andererseits wird die Kriminalität an Frauen explizit
hervorgehoben. Darüber hinaus scheinen Medien eine Ko-Konstruktionsleistung zu erbringen,
da diese als eine der wichtigsten Quellen für den politischen Diskurs dienen. Oft erfolgt eine
Bezugnahme auf mediale Berichterstattung, wobei dennoch deutlich gemacht wird, dass
Medien nicht die Gesamtheit der Situation abbilden können: „Obwohl die Medien naturgemäß
nur einen kleinen Teil der Gesamtheit an Vorfällen berichten, reiht sich geradewegs ein
Überfall insbesondere auf Ältere, Frauen und Gebrechliche an den nächsten.“
(120920_Anfragen an den Bürgermeister: 262)
5. Fazit
In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde das Geschlechterwissen im politischen Diskurs
über Sicherheit in Graz untersucht. Die anfangs skizzierte These, dass Raum, Geschlecht und
Sicherheit einerseits als sozial konstruiert angesehen werden können und andererseits in einer
wechselseitigen Beziehung zueinander stehen, zeigt sich auch in unserer Analyse. Wie aber
wird nun Geschlecht im politischen Diskurs über Sicherheit im öffentlichen Raum verhandelt
bzw. wie gestaltet sich das Geschlechterwissen, das im politischen Sicherheitsdiskurs
transportiert wird?
Die theoretische Ausgangsprämisse, dass das Geschlechterwissen, wie schon bei Dölling
(2007) angeführt, eine diskursive Komponente enthalte, konnte auch anhand unserer
Forschung gezeigt werden. Darüber hinaus zeigt sich die gesellschaftliche Auffassung vom
zweigeschlechtlichen System auch im politischen Sicherheitsdiskurs. Vorwegzunehmen ist in
diesem Zusammenhang, dass Geschlecht in dem von uns analysierten Sicherheitsdiskurs eine
untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Wenn Geschlecht allerdings thematisiert wird, dann
lässt sich eine ganz bestimmte Art der Konstruktion entlang der vier Kategorien Beleuchtung,
Angst bzw. subjektives Sicherheitsgefühl, Kriminalität und Zivilcourage beobachten.
Frauen wird vor allem nachts ein schlechteres subjektives Sicherheitsgefühl zugeschrieben,
welches vor allem an Angst festgemacht wird. Dies führe dann dazu, dass Frauen sich im
Dunklen bzw. bei schlechter Beleuchtung nicht im öffentlichen Raum aufhalten wollen. Wird
aber, wie in dieser Arbeit, Sicherheit als ein konstruiertes Phänomen angenommen, kann
durch die Analyse gezeigt werden, dass die Furcht vor Unsicherheit in eben diesen
öffentlichen Bereichen „weder dem Raum noch den Frauen inhärent, sondern gesellschaftlich
konstruiert“ (Strüver 2010: 221) wird. In diesem Zusammenhang wird eine Gefahr vor Gewalt
und Kriminalität thematisiert, welche selten bzw. gar nicht mit objektiven Kriterien der
Kriminalität belegt wird. Vielmehr wird konstatiert, dass Frauen per se häufiger als Männer
Opfer von Gewalt und Kriminalität im öffentlichen Raum werden. Die Antwort der Politik
auf die zuvor konstruierte Sicherheitsproblematik im öffentlichen Raum ist nun, abgesehen
von einer Aufstockung von Polizei und Ordnungswache, für die beiden Geschlechter
unterschiedlich. Während die Sicherheit der Frauen eine Angelegenheit aller Mitglieder der
Gesellschaft, im Sinne einer höheren Zivilcourage, sein müsse, ist die potenzielle Gefährdung
von Männern einzig und alleine auf ein unzureichendes Sicherheitskonzept zurückzuführen.
Dies verweist auf eine in der Gesellschaft tief verwurzelte unterschiedliche Behandlung von
Geschlechtern in verschiedenen sozialen Zusammenhängen. Frauen werden, ganz im Sinne
Goffmans (1994: 123), als zu schützende Wesen gefasst, als etwas, das seitens der
Allgemeinheit beschützt werden muss. Alltägliche Interaktionen werden von diesem
Differenzwissen beeinflusst und die daraus resultierenden Konsequenzen finden – wie unsere
Analyse zeigt – Eingang in den politischen Sicherheitsdiskurs.
Zuletzt kann angemerkt werden, dass das Erkenntnisinteresse dieser Forschungsarbeit sich im
Sinne der wissenssoziologischen Diskursanalyse auf die Rekonstruktion des diskursiven
Elements des Geschlechterwissens bezieht. Die subjektive Perspektive der handelnden
Personen war bewusst nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Dies wäre allerdings ein
durchaus interessanter Punkt, an dem eine mikrosoziologische Analyse anknüpfen könnte.
Somit könnte das subjektive Geschlechterwissen der handelnden Akteur_innen identifiziert
und in Kontrast zum diskursiven Geschlechterwissen gestellt werden.
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Magistrat Graz. (o.J.). Ordnungswache der Stadt Graz. Zugriff am 27.01.2015 unter
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