„Ziel muss es sein [...] ‚bauliche Angsträume‘ zu vermeiden und damit insbesondere Frauen bei der ungehinderten und sicheren Aneignung des öffentlichen Raumes zu unterstützen.“1 Über das Geschlechterwissen im politischen Sicherheitsdiskurs im öffentlichen Raum Anna Valentina Klieber und Klemens Schmidt 1. Einleitende Bemerkungen „Das Geschlecht, nicht die Religion, ist das Opium des Volkes.“ (Goffman 1994: 131) Im Diskurs über Sicherheit im öffentlichen Raum spiegeln sich Perspektiven einer Gesellschaft wider, die schlussfolgern ließen, dass es nun einmal so ist, dass es um Frauen und Männer in Fragen der Sicherheit nicht gleich bestellt sei. Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive aber lässt sich folgende Problemstellung ausmachen: Insbesondere nämlich, wenn sowohl Geschlecht als auch Raum „in ihrer jeweiligen sozialen Konstruiertheit als relational miteinander verwoben und sich dabei wechselseitig bedingend angenommen werden“ (Ruhne 2011: 141), lässt sich danach fragen, wie im Zuge dessen gewisse Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit aufgezeichnet und verfestigt werden. Wie werden verschiedene Räume durch ihre öffentliche Definition mit gewissen „Sicherheitsgefühlen“ konnotiert, und welchen Einfluss übt der städtische politische Sicherheitsdiskurs darauf aus? Der politische Diskurs um diese Themen ist alltäglich, verfestigt das bereits angesprochene implizite und scheinbar selbstverständliche Wissen und konstruiert somit soziale Realität. Eine eingehende Beleuchtung der Konstruktionsvorgänge soll somit durch eine diskursanalytische Behandlung des aufgezeichneten Problemfeldes versucht werden. Konkret soll es um die Konstruktion von Geschlecht im Rahmen des politischen Sicherheitsdiskurses im öffentlichen Raum in Graz gehen. Wie gestaltet sich das diskursive Geschlechterwissen im politischen Diskurs der letzten elf Jahre über Sicherheit im öffentlichen Raum in Graz? Konkreter gefragt: Wie wird Geschlecht im politischen Diskurs über Sicherheit im öffentlichen Raum konstruiert? Wie gestaltet sich das objektivierte Geschlechterwissen, welches im politischen Sicherheitsdiskurs transportiert wird? Hierfür wird von uns ein Fokus gewählt, welcher in der feministischen Raumforschung ein wenig unterrepräsentiert zu sein scheint, nämlich die gezielte Untersuchung der Konstruktion und Reproduktion des zweigeschlechtlichen Systems im politischen Diskurs über Sicherheit im öffentlichen Raum. Das Interesse liegt demnach einerseits darin, die geschlechtsspezifische Konstruktion von (Un-)Sicherheit und andererseits die (Re-) Produktion einer gewissen Geschlechterordnung im öffentlichen Raum, zu untersuchen. 1 111020_Dringlichkeitsanträge: 111 Zunächst wird auf die theoretischen Grundlagen und empirische Befunde zum Verhältnis von Raum, Geschlecht und Sicherheit eingegangen. Hier spielt vor allem die Klärung des Begriffes Geschlechterwissen eine zentrale Rolle und zeigt an welchen theoretischen Überlegungen wir in dieser Forschungsarbeit anknüpfen. Danach soll das methodische Vorgehen erläutert werden, bevor die zentralen Ergebnisse diskutiert werden. 2. Theoretische Grundlagen und empirische Befunde Als Erstes soll eine grundlegende theoretische Basis geschaffen werden, anhand welcher in weiterer Folge das empirische Material diskutiert werden kann. Diese theoretischen Überlegungen umfassen zwei Perspektiven: Einerseits sollen Raum, Geschlecht und Sicherheit betrachtet werden, welchen in der Literatur eine Wechselseitigkeit unterstellt wird, andererseits soll, vor allem auf Basis der Überlegungen von Hirschauer (1996) und Dölling (2007), in den Begriff des Geschlechterwissens eingeführt werden. 2.1. Raum, Geschlecht, Sicherheit – eine wechselseitige Beziehung? Die Stadt ist in ihrer ursprünglich bürgerlich-demokratischen Definition unter anderem ein Raum der Öffentlichkeit. Die Grundprämisse der Möglichkeit des allgemeinen Zugangs bringt für die Stadtbewohner_innen, die sich im öffentlichen städtischen Raum bewegen, eine Dimension der Freiheit mit sich, darüber hinaus soll eine Kontrollinstanz gegenüber der Herrschaft der Obrigkeit geschaffen werden (vgl. Schäfers 2006: 150). In Zusammenhang damit soll auch klar gestellt werden, dass Öffentlichkeit per se „keine Eigenschaft von Räumen [...], sondern ein strategisch eingesetztes, normatives Ideal [darstellt], das einem Raum interessensgeleitet zugeschrieben wird“ (Belina 2006: 24). Raum kann demnach, zurückgehend auf Henri Lefebvre (1974), nicht als statisch, sondern vielmehr als prozesshaft, als relational, von Machtstrukturen durchzogen, kurz als stratifiziert und stratifizierend angesehen werden. Wenn Raum als ein relationales Gebilde konzipiert wird, so lässt sich dieser nicht ohne Körper denken (vgl. Löw 2006: 120). Dem öffentlichen Raum wohnt also sowohl ein konstruiertes als auch ein konstruierendes Moment inne, in Hinblick auf sich selbst, aber auch auf andere soziale Dimensionen. Es waren insbesondere Frauenbewegungen und die feministische Wissenschaft, welche bereits in den 1990er Jahren „Geschlechter- und Raumverhältnisse als ein sich wechselseitig bedingendes Wirkungsgefüge“ (Ruhne 2011: 206) definiert haben. Das heißt, dass sowohl der Raum durch die Verhältnisse der Geschlechter geprägt ist, (öffentlicher) Raum aber auch umgekehrt auf diese Verhältnisse wirkt (vgl. Schuster 2012: 642). Nicht zuletzt in Zusammenhang mit diesen feministischen Perspektiven und der Markierung von Räumen in Verbindung mit Geschlecht, wird häufig auch der Sicherheitsdiskurs in der Stadt und im öffentlichen Raum zum Thema gemacht (vgl. Schuster 2012: 644). An diesem Punkt stellt sich erneut die Frage nach dem jeweiligen Verhältnis von Raum, Geschlecht, Sicherheit und sozialer Wirklichkeit. Die Antwort scheint ebenso einfach wie folgenreich zu sein: „Geschlechtsspezifisch unterschiedene Sicherheiten bzw. Unsicherheiten im öffentlichen Raum konnten […] aber nicht nur als ein (historisches) Produkt machtvoller gesellschaftlicher (Zu)Ordnungsprozess verdeutlicht werden, sondern sie wurden gleichzeitig auch als ein machtvoller Produzent gesellschaftlicher Verhältnisse herausgearbeitet“ (Ruhne 2011: 208). Darüber hinaus werden gewisse Orte als unsicher oder gewaltpolarisierend beschrieben und kategorisiert, und somit auch als sogenannte Angsträume konstruiert und im Zuge gewisser politischer Maßnahmen als solche geprägt. „Die Diskussion um Angsträume hat dazu geführt, dass Frauenparkplätze eingeführt wurden und eine Umgestaltung von Unterführungen und Parks vorangetrieben wurde, die diese Bereiche für von Gewalt betroffene Personen sicherer machen soll – und zugleich für verschiedene andere Personengruppen problematische Folgen hatte.“ (Schuster 2012: 645) In der Öffentlichkeit ist die Vorstellung, dass Unsicherheiten im öffentlichen Raum durch bauliche Veränderungen bzw. stärkere Kontrolle ausgemerzt werden können, immer noch weit verbreitet (vgl. Ruhne 2011: 211). Vor allem die neueren feministischen Studien scheinen in die Richtung zu zeigen, dass (Un-)Sicherheit, beispielsweise in Form von „Angst vor sexualisierter Gewalt im sogenannten öffentlichen Raum weder dem Raum noch den Frauen inhärent, sondern gesellschaftlich konstruiert“ (Strüver 2010: 221) ist. So scheint sich das Verständnis der geschlechterbezogenen Unsicherheit in die allgemeinen Dekonstruktionsbestrebungen der Frauen- und Geschlechterforschung einzuordnen. Das Erkenntnisinteresse verschiebt sich in die Richtung, „die Art und Weise zu untersuchen, in der räumliche Strukturen und Raumplanung die soziale Rekonstruktion des Zweigeschlechtersystems befördern“ (Schuster 2012: 645). Es scheint demnach in der auf den Raum bezogenen Geschlechterforschung, im Hinblick auf das Verhältnis von Raum und Geschlecht, zu einer poststrukturalistischen Wende gekommen zu sein. Es wird nun argumentiert, dass „Diskurse um Angst von Frauen im öffentlichen Raum dazu beitragen, hierarchische Geschlechterverhältnisse und hegemoniale vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen zu zementieren“ (Wucherpfennig 2010: 52). Eine Studie von Kutschinske (1999), in der Joggerinnen befragt wurden, die sich vorwiegend in sogenannten „Angst-Räumen“ bewegten, bestätigt beispielsweise, dass persönliche Ängste und Unsicherheiten im öffentlichen Raum mit der (Re-)Produktion der Geschlechterverhältnisse in diesem zusammenhängen (vgl. ebd.: 52). 2.2. Geschlechterwissen und die Konstruktion von Geschlecht Die theoretische Beschäftigung der Frauen- und Geschlechterforschung mit Geschlechterwissen, welche gleichermaßen wissenssoziologische und sozialkonstruktivistische Überlegungen beinhaltet, begann Mitte der 1960er Jahre, genauer gesagt mit der Publikation der berühmten Studie über Agnes, einer Mann-zu-FrauTranssexuellen, im Jahre 1967 von Harold Garfinkel (vgl. Wetterer 2008: 20). Die Überlegungen Garfinkels fasst Hirschauer treffend zusammen: „Die zwei Geschlechter werden dabei mit Hilfe eines axiomatischen Wissens erzeugt, das über drei Basisannahmen verfügt: daß [sic!] alle Menschen unverlierbar (Konstanzannahme) und aus körperlichen Gründen (Naturhaftigkeit) entweder das eine oder das andere Geschlecht sind (Dichotomizität) [Herv. i. Orig.]“ (Hirschauer 1996: 243). Hirschauer gibt eine Antwort auf die Frage, wie das zweigeschlechtliche System in der Realität (re-)produziert und die Geschlechter sozial konstruiert werden, wenn er die soziologische Perspektive auf Geschlechterkonstruktionen zusammenfasst: „Die Geschlechterunterscheidung ist eine permanent stattfindende soziale Praxis, die ein Wissenssystem reproduziert [Herv. i. Orig]“ (Hirschauer 1996: 242). Die Betrachtung des Wissenssystems und des Geschlechterwissens weist bei Hirschauer eine systematisierte Herangehensweise auf, da Wissen in drei Arten eingeteilt wird: (1) kognitives und sprachförmiges oder diskursives, (2) bildförmiges oder visuelles und (3) praktisches Wissen (vgl. Hirschauer 1996), wobei für den Fokus dieser Arbeit vor allem das kognitive und sprachförmige bzw. diskursive Wissen zentral erscheint. Kognitives und sprachförmiges Wissen umfasst „Theorien, Wahrnehmungsleistungen, Erklärungen und Begründungen, kurz: Diskurse stricken einen dichten Sinnzusammenhang, aus dem kaum zu entrinnen ist“ (Hirschauer 1996: 246). Unter dieses diskursive Wissen fasst Hirschauer vier Elemente, nämlich das Alltagswissen, wissenschaftliches Wissen, normative Annahmen und intellektuelle Schutzvorkehrungen. Alltagswissen beinhaltet alle Annahmen und Kategorisierungen, welche zur Konstruktion der Geschlechter dienen. Das zweigeschlechtliche System wird auch durch wissenschaftliches Wissen unterstützt, welches „eine kognitive Absicherung der Geschlechterklassifikation [darstellt] – mit einem Legitimationsaufwand, wie es ihn für kaum eine andere gesellschaftliche Institution gibt“ (ebd.: 245). Sowohl physische, aber auch kognitive Abweichungen vom zweigeschlechtlichen System werden durch diskursives Geschlechterwissen gleichsam bekämpft. Auf Seiten der körperlichen Devianz geschieht dies mit Hilfe von normativen Annahmen, das heißt einer zweigeschlechtliche Kategorisierung der Körper und einer Pathologisierung der Abweichungen. Menschen, die nicht der Norm des zweigeschlechtlichen System entsprechen, werden durch die Zuhilfenahme von sogenannten intellektuellen Schutzvorkehrungen normiert, welche die kognitive Absicherung der Zweigeschlechtlichkeit und die scheinbar „natürliche“ Unterscheidung der Geschlechter zum Ziel haben (vgl. Hirschauer 1996: 243ff). Dölling trifft eine ebenso systematische Unterscheidung des Geschlechterwissens wie Hirschauer, jedoch auf eine andere Art und Weise. Der Fokus wird auf die Unterscheidung zwischen subjektivem bzw. individuellem und objektiviertem, gesellschaftlichem bzw. kollektiviertem Geschlechterwissen gelegt. Individuelles Geschlechterwissen meint, nach Dölling (2007: 15), den „biografisch aufgeschichteten, sich aus verschiedenen Wissensformen zusammensetzenden und strukturierten Vorrat an Deutungsmustern […], mit dem die Geschlechterdifferenz wahrgenommen, bewertet, legitimiert, begründet bzw. als selbstverständliche, quasi ‚natürliche‘ Tatsache genommen wird“. Das objektivierte Geschlechterwissen, welches einen zentralen Begriff in dieser Forschungsarbeit darstellt, umfasst die normativen Vorstellungen zur Geschlechterordnung. Dies enthält einerseits die Unterscheidung der Geschlechter an sich und andererseits die Beziehung der Geschlechter zueinander. Bei Dölling geht es nicht so sehr, wie etwa bei Hirschauer, um die Frage, wie etwas gewusst wird, sondern wer was weiß. Geschlechterwissen umfasse „Elemente von Veränderungswissen bei den AkteurInnen sowie die Relation von Beharren und Verändern in ihren Subjektpositionen und – genereller – subjektive Dimensionen des Herstellens von Geschlecht (doing gender) im praktischen Handeln“ (ebd.: 10). Dieser Fokus auf soziale Interaktionen lässt sich auch bei Goffmans „Arrangement der Geschlechter“ (1994) erkennen, das den umfangreichen theoretischen Rahmen dieser Forschungsarbeit vervollständigt. 2.3. Goffman’s „Arrangement der Geschlechter“ Goffman (vgl. 1994: 105) identifiziert Geschlecht als eine der wichtigsten Kategorien, durch die soziale Interaktionen und somit gesellschaftliche Strukturen geprägt sind. Menschen wird bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen, was die Grundlage für eine das ganze Leben andauernde „Zuordnung zu einer Geschlechtsklasse“ (Goffman 1994: 109) bildet. 2 Diese Kategorisierung führt dazu, dass die beiden Gruppen unterschiedlich bewertet und den Geschlechtern unterschiedliche Verhaltensweisen bzw. Erfahrungen zugeschrieben werden. Somit sind scheinbar „natürliche“ Unterschiede nicht mehr als vorherbestimmt, sondern als sozial konstruiert zu betrachten, wie das auch in den vorherigen Überlegungen zu Geschlechterwissen deutlich wurde. Goffman (1994: 118f) verweist darauf, dass soziale Interaktionen, welchen einerseits Konstruktion und Ausdruck sozialer Realität innewohnen, zeigen, dass „Frauen für zerbrechlich und kostbar“ gehalten werden und „vor den rauhen Seiten des Lebens geschützt […] werden müssen.“ Dies macht für Goffman (vgl. ebd.: 119) das Arrangement der Geschlechter sichtbar, welches zwei Formen annehmen kann: Das Hofieren und das System des höflichen Umgangs. Während die erste Ausprägung für diese Forschungsarbeit vernachlässigt werden kann, scheint die zweite umso interessanter zu sein. Ausgehend von sozialen Interaktion, in welchen Frauen als „wertvoll, dekorativ und zerbrechlich“ (ebd.: 123) charakterisiert werden, entsteht die männliche Verpflichtung Frauen vor jeglicher Bedrohung zu beschützen. Diese Pflicht bezieht sich nicht nur auf Frauen, die einem Mann nahe stehen, sondern auf die Gesamtheit aller Frauen, die (geographisch) in der Nähe und ohne schützende, männliche Begleitung sind (vgl. ebd.: 123f). Dieser Punkt wird in der Darstellung der empirischen Ergebnisse noch einmal aufzugreifen sein. Zentral für die Konstruktion und Aufrechterhaltung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern ist laut Goffman die institutionelle Reflexivität. Durch diese konnten „die angeborenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die es ja gibt, überhaupt irgendeine Bedeutung – in Wirklichkeit oder in der Vorstellung – bekommen“ (ebd.: 128). Einerseits bedeutet dies für die vorliegende Forschungsarbeit, dass Geschlecht erst durch die politische Debatte (neben anderen handelnden Institutionen) eine Bedeutung für die Sicherheit im öffentlichen Raum zugeschrieben wird. Andererseits scheint die Zuschreibung und Relevanz von Geschlecht auf eine ganz spezifische Weise konstruiert zu werden, nämlich anhand einer Gegenüberstellung der männlichen Stärke, die beschützend wirkt, und der weiblichen Schwäche, die schützenswert ist. Auch dieser Aspekt wird in der empirischen Analyse eine zentrale Rolle spielen. 3. Methodik Wie bereits angesprochen, orientiert sich diese Forschungsarbeit an der grundlegenden Wechselwirkung zwischen Raum, Geschlecht und Sicherheit und möchte diese im Hinblick auf die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit untersuchen. Hierfür kam die Diskursanalyse in der Konzeption Kellers (2006) zur Anwendung. Es sollen nun sowohl theoretische als auch methodische Überlegungen zur Diskursanalyse im Allgemeinen und zur Konzeption Kellers im Speziellen in aller Kürze präsentiert werden. 2 Unter anderem auch aus dem Grund, dass Geschlecht nicht einfach abgelegt werden kann, erscheint das Verständnis, diesem einen Rollencharakter zu unterstellen, mehr als fragwürdig und wurde in der Geschlechtersoziologie zunehmend kritisiert bzw. zurückgewiesen (vgl. u.a. Connell 2015). 3.1. Diskursanalyse als Methode – methodologische Überlegungen Die zentrale Methode, die zur Beantwortung der Fragestellungen herangezogen wurde, ist die Diskursanalyse. Der Begriff Diskurs lässt sich definieren als „Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d.h. Deutungsund Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren [sic!].“ (Keller 2006: 115) Im politischen Diskurs über Sicherheit in der Gesellschaft werden unterschiedlichste (partei-)politische Auffassungen über Sicherheit an die Öffentlichkeit transportiert und im öffentlichen Raum materialisiert. Sicherheitspolitische Maßnahmen wirken demnach, und mit Hintergrund des diskurstheoretischen Verständnisses der Realität, auf die Perspektiven und Auffassungen der Gesellschaft selbst. „[V]or allem Michel Foucault hat mit seinen beiden einflußreichen und eigenwilligen Schriften ‚Archäologie des Wissens’ (1981) und ‚Die Ordnung des Diskurses’ (1974) den Diskursbegriff in einer allgemeineren Diskurstheorie verortet.“ (Keller et. al. 2006: 12) Genannt werden soll Foucaults Fokus auf den „Zusammenhang von übersubjektiven Wissensordnungen und diskursiven Praktiken“ (Keller et. al 2006: 12). Die Diskursanalyse kann als Konfliktanalyse, Prozessanalyse, Analyse öffentlicher Auseinandersetzungen, vergleichende Analyse sowie Einzelfallanalyse verstanden werden (vgl. Schwab-Trapp 2006: 266). Sowohl in Hinblick auf den Sicherheitsdiskurs im öffentlichen Raum als auch auf das diesbezüglich konstruierte Geschlechterwissen ist dies besonders relevant. Die Diskursanalyse „rekonstruiert diskursive Auseinandersetzungen, in denen die Diskursteilnehmer Deutungen für soziale und politische Handlungszusammenhänge entwerfen und um die kollektive Geltung dieser Deutungen ringen.“ (Schwab-Trapp 2006: 266). Die Diskursanalyse als methodische Herangehensweise hat in Zusammenhang damit ein vergleichendes Moment inne, da Diskurse dann besonders expliziert werden können, wenn diskursive Ereignisse und die Manifestationen derselben im Vergleich betrachtet werden (vgl. Schwab-Trapp 2006: 266). Zu betonen ist, dass die jeweilige Vorgehensweise bei Anwendung der Diskursanalyse stark im Zusammenhang mit dem relevanten Forschungsinteresse und den damit verbundenen Fragestellungen steht (vgl. Keller 2006: 138). 3.2. Diskursanalyse in methodischer Anwendung „Diskursanalyse ist immer und notwendig ein hermeneutischer Prozess der Textauslegung. Die Auseinandersetzung um die Methoden der Diskursforschung war zunächst durch strukturalistische Attacken gegen ‚die‘ Hermeneutik und einen [...] meist linguistischer bzw. lexikometrischer Herkunft gegenüber den ‚unkontrollierten‘ hermeneutisch-interpretativen Vorgehensweisen geprägt.“ (Keller 2008b: 273) Die Diskursanalyse bedient sich inhaltsanalytischer und qualitativer Erhebungsverfahren, die aber im diskursanalytisch-methodologischen Verständnis über ihre herkömmliche Fassung hinausgehen. „Ein wichtiger Unterschied zwischen Diskursanalysen und anderen Ansätzen der interpretativen oder qualitativen Sozialforschung liegt in der Annahme textübergreifender Verweisungszusammenhänge in Gestalt von diskursiven Strukturen der Aussageproduktion.“ (Keller 2008b: 275) In anderen Forschungsmethoden stehen einzelne Aussagen für bestimmte Kategorien, bei der Diskursanalyse muss nicht notwendigerweise nur eine Aussage repräsentativ für einen Diskursstrang sein. Vielmehr müssen unterschiedliche Etappen der Analyse und unterschiedliche Positionen und Dimensionen der Diskurse miteinander in Beziehung gestellt und sukzessive rekonstruiert werden. Der essentielle Unterschied zu den meisten anderen qualitativen Ansätzen lässt sich in der „Aggregation von Einzelergebnissen zu Aussagen über ‚den‘ Diskurs“ (Keller 2008b: 275) ausmachen. Klar wird in Zusammenhang damit, dass die Daten, auf welche sich die Diskursanalyse stützt, hauptsächlich schriftliche oder audiovisuelle Dokumente oder Aussageereignisse sowie beobachtbare Praktiken umfassen (vgl. Keller 2008b: 274). Die Diskursanalyse nach Keller – auf die sich die vorliegende Arbeit stützt – unterscheidet drei Phasen der Analyse, nämlich die Struktur-, Fein- und Gesamtanalyse. Wichtig ist es hierbei, auch ein permanentes Vor- und Zurückgehen beizubehalten (Keller 2008a: 90f). In der Strukturanalyse werden im Anschluss an die Abgrenzung des Forschungsgebietes die Sichtung des Datenmaterials und die Zusammenstellung des Datenkorpus durchgeführt. In unserem Fall betrifft dies die Auswahl der Stichprobe, das heißt die Begrenzung auf die Gemeinderatsprotokolle der letzten elf Jahre. Anschließend werden aus den theoretischen Überlegungen Begrifflichkeiten gewählt, anhand derer relevante Textstellen identifiziert werden und welche die Thematik dieser Forschungsarbeit abbilden sollen. In der darauf folgenden, bzw. zum Teil gleichzeitig laufenden, Feinanalyse werden einzelne typische Dokumente in einem offenen und kriteriengeleiteten Suchprozess ausgewählt. In der Gesamtanalyse werden von den einzelnen Diskursfragmenten abstrahiert, um den Gesamtdiskurs und die einzelnen Diskursüberschneidungen darstellen zu können. Für uns bedeutete dies, die drei Diskursstränge Geschlecht, Raum und Sicherheit vor allem in ihren Zusammenhängen zu analysieren. 3.3. Die Stichprobe Für den politischen Sicherheitsdiskurs wurden die Gemeinderatsprotokolle im Zeitraum von elf Jahren herangezogen und analysiert, also von 2004 bis 2014. Der Fokus wurde bewusst auf diesen Zeitraum beschränkt, da in den letzten elf Jahren einige Veränderungen in der sicherheitspolitischen Gesetzgebung in Graz eingetreten waren, wie bspw. die Implementierung der Ordnungswache im Jahre 20073. Aus forschungspragmatischer Sicht schien die Beschränkung auf Gemeinderatsprotokolle in diesem Zeitraum in zweierlei Hinsicht als sinnvoll. Zunächst sind nur die Gemeinderatsprotokolle der letzten elf Jahre auf der Homepage der Stadt Graz4 online einsehbar und somit zugänglich. Aus demselben Grund wurde der Fokus auf den Gemeinderat, und nicht etwa auf einen oder mehrere Bezirksrat/Bezirksräte gelegt. Ein zweiter Grund für die Beschäftigung mit dem gesamten Grazer Sicherheitsdiskurs wurde aus der Annahme heraus getroffen, dass dies ergiebigere Ergebnisse liefert als eine Beschränkung auf ein Teilgebiet im Grazer Raum. In einem gleichen Maß liegt die Vermutung nahe, dass bezirkspolitische Diskurse von jenen des Gemeinderates abhängen. 4. Ergebnisse und Diskussion Im Folgenden wird, ausgehend von den bereits dargelegten theoretischen Überlegungen, auf die Ergebnisse der vorliegenden Studie eingegangen. Als die für unsere Forschungsarbeit relevanten Diskursstränge lassen sich der Geschlechterdiskurs, der Sicherheitsdiskurs und der 3 4 vgl. http://www.graz.at/cms/ziel/4932362/DE vgl. http://www.graz.at/cms/ziel/410977/DE/ Diskurs im bzw. über den öffentlichen Raum nennen. Der Fokus unserer Analyse richtet sich gemäß der Fragestellung auf die Diskursüberschneidung der genannten Aspekte. Aus diesem Grund bleibt eine umfassende Charakterisierung der einzelnen Diskurse an dieser Stelle aus und es erfolgt nur eine kurze Beschreibung, um im nächsten Abschnitt genauer auf die Analyse und die Ergebnisse der Überschneidungen eingehen zu können. 4.1. Raum, Geschlecht, Sicherheit – eine wechselseitige Beziehung! Vorweg genommen sei, dass Geschlecht im Sicherheitsdiskurs im öffentlichen Raum weitaus weniger oft relevant gemacht wird als vorab vermutet wurde. Es gibt im politischen Diskurs durchaus einen Geschlechterdiskurs, häufig insbesondere als Frauendiskurs präsent, der aber zumeist Aspekte impliziert, die nicht in die Fragestellung der Konstruktion von Geschlecht im Bereich der Sicherheit im öffentlichen Raum fallen. So wurde in den von uns analysierten Protokollen oft die Thematik der Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt (bezüglich ungleicher Bezahlung, Jobchancen, etc.) angesprochen, oder auch die Gewalt im häuslichen Bereich. Die beiden Diskursstränge Sicherheit und öffentlicher Raum werden im politischen Diskurs kaum getrennt voneinander verhandelt, da sich die städtische Politik, wenn sie sich auf das Thema der Sicherheit bezieht, fast ausschließlich auf Sicherheit im öffentlichen Raum fokussiert. Dennoch wird über Sicherheit meist unabhängig von Geschlecht diskutiert. Ein hier häufig aufkommendes Thema stellt beispielsweise die Verkehrssicherheit oder auch die Sicherheit auf Baustellen dar, ein weiterer dominierender Diskussionspunkt scheint auch der Drogenhandel und -konsum an öffentlichen Plätzen und Parks zu sein. Wird allerdings Geschlecht im Sicherheitsdiskurs im öffentlichen Raum angeschnitten, so geschieht dies auf eine ganz bestimmte Art und Weise und lässt damit eine spezifische Konstruktionsart von Geschlecht im Diskurs erkennen. Mit Rückbezug auf die zuvor erläuterten theoretischen Grundlagen kann an dieser Stelle das Konzept des Angstraumes angesprochen werden. Der Prozess der Konstruktion stellt sich wie folgt dar: Indem gewisse Situationen in bestimmten öffentlichen Räumen als beängstigend und gefährlich speziell für Frauen dargestellt werden, wird dieses Angstgefühl als dem Raum inhärent beschrieben. Dies wird beispielsweise in Zusammenhang mit Tageszeit, Parks und Beleuchtung diskutiert, wodurch Parks zur Nachtzeit als, besonders für Frauen, gefährliche Orte konstruiert werden. Insbesondere auf diese und andere Thematiken wird im Folgenden noch genauer eingegangen werden. 4.2. Geschlecht im Sicherheitsdiskurs über den öffentlichen Raum Die Konstruktion von Geschlecht im politischen Sicherheitsdiskurs über den öffentlichen Raum ist hauptsächlich dominiert von Aspekten der Beleuchtung und Tageszeit, Angst und des subjektiven Sicherheitsgefühls, der Zivilcourage sowie Gewalt und Kriminalität. Die Konstruktion von Geschlecht äußert sich darin, dass eine verschiedene Handhabung von „männlich“ und „weiblich“ in besagten Kontexten erfolgt. Es wird prinzipiell von einem zweigeschlechtlichen System ausgegangen – dieses wird im Diskurs und in der Debatte um Sicherheit im öffentlichen Raum als solches aufgegriffen und reproduziert. „Die kontroverse Frage ist nicht, wie wirklich die Zweigeschlechtlichkeit ist, sondern wie sie eine Wirklichkeit ist: als eine universelle, überhistorische und außersoziale Wesenheit oder als integraler Bestandteil jeweiliger Lebensformen“ (Hirschauer 1996: 241). Die Zweigeschlechtlichkeit ist in diesem Sinne ein „institutionelles Arrangement“ (Goffman 1994) der Institution Politik. Das System der zwei Geschlechter wird so im Zusammenhang mit Sicherheit im öffentlichen Raum verfestigt. Werden also die oben genannten Themen der Angst, des subjektiven Sicherheitsgefühls, der Zivilcourage, Kriminalität, Gewalt oder Beleuchtung in Zusammenhang mit Geschlecht zur Sprache gebracht, werden den beiden Geschlechtern jeweils eigene Attribute zugedacht. Der Diskurs erweist sich als ausgestattet mit impliziten Annahmen über die Zweigeschlechtlichkeit und „Eigenschaften“, die den Geschlechtern zugeschrieben werden. Die erwähnten, den Diskurs dominierenden Aspekte, äußern sich demgemäß, je nachdem von welchem Geschlecht gesprochen wird, auf unterschiedliche Art und Weise. Dennoch ist zu betonen, dass die genannten Punkte einerseits unabhängig von Geschlecht und andererseits in Zusammenhang miteinander vorkommen können. So wird beispielsweise Angst häufig als ein Resultat des geringen subjektiven Sicherheitsgefühls betrachtet, welches sowohl durch Kriminalität als auch Gewaltverbrechen beeinträchtigt werden kann. Des Weiteren wird dem Sicherheitsgefühl der Passant_innen unterstellt, dass es in engem Zusammenhang mit Beleuchtung des öffentlichen Raumes steht. Um das Ziel der Senkung der Kriminalität bzw. Steigerung des Sicherheitsgefühls zu erreichen, wird unter anderem die Zivilcourage als ein mögliches Mittel identifiziert. Diese wird als eine Eigenschaft von Personen oder auch als eine nötige Grundeinstellung der Gesellschaft verstanden, welcher ein zunehmend prekärer Zustand zugeschrieben wird. Nach dieser allgemeinen Charakterisierung sollen die genannten Aspekte genauer und in Zusammenhang mit Geschlecht beschrieben werden. So kann durch die Ergebnisse unserer Analyse verdeutlicht werden, wie Geschlecht und das System der Zweigeschlechtlichkeit im Zusammenhang mit diesen Themen konstruiert wird. Angst und subjektives Sicherheitsgefühl Der Diskurs um Sicherheit im öffentlichen Raum nimmt sich neben der objektiven Sicherheit, nachweisbar bspw. durch Kriminalitätsstatistiken, vor allem dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Menschen an. Es wird im politischen Diskurs davon ausgegangen, dass das Sicherheitsgefühl von der objektiven Sicherheit abhängig ist. Interessant ist jedoch, dass die subjektive Komponente zu einem großen Teil alleine, losgelöst von Statistiken und Befunden zur objektiven Sicherheit, diskutiert wird. Ein Lösungsansatz zur Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls und gleichzeitigen Minderung von Angst scheint etwa eine größere Polizeipräsenz im öffentlichen Raum zu sein (vgl. bspw. 110609_Dringlichkeitsanträge: 168). An dieser Stelle gilt es zu betonten, dass hauptsächlich ein geringes subjektives Sicherheitsgefühl und größere Angst seitens der Frauen konstatiert wird (vgl. bspw. 140918_Anträge: 203; 111020_Dringlichkeitsanträge: 111). Nur selten wird explizit angesprochen, dass männliche Gewalt für die Ängste bzw. für das geringe subjektive Sicherheitsgefühl der Frauen verantwortlich ist, wie es dieser, durchaus polemische, Kommentar auf den Punkt bringt: „Wenn wir diese Ängste ernst nehmen, und Tatsache ist, dass es auch immer wieder vorkommt in unserer Stadt, dass Frauen in der Nacht von Männern belästigt werden. Wenn wir diese Ängste ernst nehmen und Ihren Vorsatz, dass Sie aktiv werden wollen, bevor etwas passiert und vorher einschreiten wollen, auch so hier anwenden, dann wäre eigentlich die einzig logische Erkenntnis daraus, dass Sie eintreten müssten für eine ortspolizeiliche Verordnung, die ein Ausgehverbot für Männer ab 22.00 Uhr in Graz vorsieht […] Herr Kollege, Sie haben sich noch nie gefürchtet, wenn Sie durch die Stadt gegangen sind (Bürgermeister Mag. Nagl betätigt die Ordnungsglocke), dass Sie von einer Frau belästigt werden. Ich sage das als Beispiel, nicht, um polemisch zu sein, sondern ich bringe es einfach als Beispiel, weil das genauso wenig ein sachlich wirksamer Ansatz wäre, um Ängste von Frauen zu nehmen oder überhaupt das Problem Gewalt oder Belästigung, wie auch immer in den Griff zu bekommen“ (040513_Anfragen an den Bürgermeister: 67). Hierzu kommt, dass das subjektive Sicherheitsgefühl oder Ängste, welche im öffentlichen Raum (nicht nur von Frauen) empfunden werden, nicht selten mit fehlender Beleuchtung am Abend oder in der Nacht in Verbindung gebracht werden. Beleuchtung Die Beleuchtung wird generell als ein grundlegender Aspekt der Sicherheit im öffentlichen Raum und als Voraussetzung des schon erwähnten subjektiven Sicherheitsgefühls postuliert. Dunkelheit wird generell mit Unsicherheit und Gefahr in Verbindung gebracht. „Eine Stadt des Wohlfühlens – das soll Graz sein – auch in der Nacht. Dazu gehört auch eine entsprechende Beleuchtung, die nach Einbruch der Dunkelheit das Sicherheitsgefühl stärkt.“ (120510_Anträge: 153). In der Analyse kann hier an das theoretische Konzept der Konstruktion des Angstraumes – insbesondere an die wechselseitige Verbindung von Raum und Geschlecht – angeknüpft werden. Dem Raum wird im Falle der Dunkelheit die Eigenschaft der Unsicherheit zugeschrieben und mit den korrespondierenden Attributen bedacht – allerdings besonders für Frauen. „Fehlende oder unzureichende Beleuchtung erzeugt vor allem bei Frauen und älteren Menschen ein Gefühl von Unsicherheit oder Bedrohung. Nach dem Prinzip ‚Sehen und gesehen werden‘ soll die Sicherheit und das persönliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung durch eine entsprechende Beleuchtung erhöht werden.“ (120209_Anträge: 210). Die mangelnde Beleuchtung zeichnet den Raum als einen sogenannten Angstraum aus. Hier wird deutlich, wie verankert die Vorstellung, dass Unsicherheiten im öffentlichen Raum durch bauliche Umgestaltung oder eben durch stärkere Beleuchtung eliminiert werden könnte, ist (vgl. Ruhne 2011: 211). Zivilcourage und Sicherheitskonzept Ein weiterer Aspekt der Konstruktion von Geschlecht im politischen Sicherheitsdiskurs stellt das Thema der Zivilcourage dar. Insbesondere wenn es um die Beeinträchtigung der Sicherheit von Bürgerinnen geht, erlebt dieses Thema seinen Aufschwung. Die Allgemeinheit sei es, die Frauen beschützen muss, von der Warte der Gesellschaft aus muss Schutz und Sicherheit für Frauen gewährleistet werden. Dieser Aspekt des Diskurses wird in folgendem Beispiel deutlich: „Wir mussten leider in den letzten Wochen den Medien entnehmen, dass in einem Fall in Salzburg einer sterbenden Frau keine Hilfe geleistet wurde von anwesenden anderen Personen, wir mussten erfahren, dass sowohl in Wien als auch in Graz Frauen überfallen wurden und auch hier PassantInnen weder eingegriffen noch sonstige Schritte, wie zum Beispiel die Polizei zu holen, unternommen haben. […] Die Polizei allein kann allerdings nicht die Sicherheit herstellen, da sind alle BewohnerInnen der Stadt aufgefordert, wir alle sind aufgefordert, unseren Beitrag zu leisten und aus diesem Grunde möchte ich mit diesem Antrag auf diesen Aspekt der Sicherheit näher Aufmerksamkeit lenken, dass es eben eine Verantwortung von jedem Einzelnen gibt, wie das Umfeld auch in Bezug auf Sicherheit aussieht. Wir müssen uns darum kümmern, dass der Wert der Zivilcourage wieder stärker gelebt wird.“ (100325_Dringlichkeitsanträge: 81) Dies spiegelt sehr deutlich die theoretischen Überlegungen zur Konstruktion von Geschlecht wider, die wir schon bei Goffman (1994: 123) gesehen haben, nämlich, „daß [sic!] Frauen als wertvoll, dekorativ und zerbrechlich gelten“. Die daraus resultierende explizite Verpflichtung für Männer, Frauen vor Grausamkeiten, Verbrechen und Ähnlichem zu beschützen, welche Goffman konstatiert, lässt sich in unserem Material jedoch nicht explizit nachweisen. Festzustellen bleibt, dass die Opfer zu einem großen Teil als weiblich dargestellt werden. Dass implizit der männliche Schutz der weiblichen Opfer gemeint ist, belegt der Protokollausschnitt weiter unten, welcher sichtbar macht, dass sich der politische Sicherheitsdiskurs im Rahmen eines zweigeschlechtlichen Systems bewegt. Werden hingegen Männer Opfer von Gewalt, wird der „Wert der Zivilcourage“ weniger betont, welcher laut den politischen Akteur_innen in der modernen Gesellschaft zu einer Rarität verkümmere. Unzureichende Sicherheitskonzepte, fehlende Polizeipräsenz, quasi ein Versagen des Staates werden dagegen in diesen Fällen als Gründe für die fehlende Sicherheit angegeben. Dies zeigt sich bspw. in der Schilderung eines Vorfalles, welcher zeitlich in unmittelbarer Nähe zum zuvor dargelegten Fall liegt und somit die gleichen Akteur_innen am Diskurs beteiligt waren: „Erst vor wenigen Tagen wurde neuerlich ein Jugendlicher, der durch den Schloßberg-Durchgang ging, von einer ganzen Bande, die in einem Stollen lauerte, überfallen und dermaßen traktiert und misshandelt, dass dieser im Krankenhaus notversorgt und auch stationär aufgenommen werden musste. (...) Der Sicherheitsbeauftragte der Stadt Graz, Mag. Wolfgang Hübel, wird aufgefordert, unter Zuziehung von Vertretern und Experten der Grazer Polizei und der Grazer Ordnungswoche ein Sicherheitskonzept für den Schloßbergstollen zu erarbeiten und dem Gemeinderat über das Ergebnis bis längstens Juni 2010 zu berichten. Darüber hinaus ist nach Prüfung des Bedarfs dieses Sicherheitskonzepts auf das ganze Schloßbergareal zu erweitern.“ (100225_Dringlichkeitsanträge: 174f) Insbesondere der Vergleich der beiden Beispiele lässt deutlich werden, dass eine unterschiedliche Handhabung von Geschlecht beim Thema der Sicherheit an den Tag gelegt wird. In letzterem Beispiel sind es nicht die grundlegenden Werte der Gesellschaft, die überdacht werden müssten. Genauso wird in dem Fall, in dem ein männlicher Jugendlicher Opfer von Gewalt wurde, nicht auf die „Gesamtheit der Männer“ referiert. Ist allerdings eine Frau betroffen, wird unmittelbar auf die „Gesamtheit der Frauen“ geschlossen – es wird Frauen keine Hilfe geleistet, es werden Frauen überfallen. Ein Überfall auf eine Frau wird demgemäß unmittelbar auf die Gesamtheit übertragen, sowie mit den (verfallenen) Werten der Gesellschaft in Verbindung gebracht. Ein Fall, in dem ein Mann zum Opfer wird, wird hingegen als Einzelfall behandelt, der Schluss auf den generellen Opferstatus der Männer wird im Gegensatz zum Beispiel des weiblichen Opfers hier nicht durchgeführt. Kriminalität und Gewalt Ist allgemein von Kriminalität bzw. Gewalt im Sicherheitsdiskurs die Rede, werden diese generell als Bedrohung oder Störung der allgemeinen Sicherheit des öffentlichen Raumes verhandelt. Hier spielen Drogendelikte ebenso eine Rolle wie Straftaten gegen Leib und Leben oder Verbrechen gegen Eigentum. Interessant erscheint, dass Frauen in diesem Zusammenhang häufiger genannt werden und ebenfalls wieder in einer anderen Art und Weise als Opfer und schützenswerte Wesen dargestellt werden: „Ausgangspunkt ist für kriminelle Machenschaften, dass hier alte Frauen, alte Menschen beraubt werden, bestohlen werden, […] dass hier keine Sicherheit mehr gegeben ist, ja, dass wir kurz davor stehen, dass in diesem Bereich wirklich eine Ghettoisierung entsteht.“ (090924_Dringlichkeitsanträge: 264) Hier sieht man sehr deutlich, dass fehlende Sicherheit an der prekären Situation von Frauen als Opfer von Kriminalität festgemacht wird, welche gleichzeitig mit dem Opferstatus aller (alten, wie in diesem speziellen Fall) Menschen gleichgesetzt wird. An der Unsicherheit von Frauen wird eine allgemeine Unsicherheit des Raumes festgemacht. Kurz gesagt: Einerseits beträfe Kriminalität alle Menschen, andererseits wird die Kriminalität an Frauen explizit hervorgehoben. Darüber hinaus scheinen Medien eine Ko-Konstruktionsleistung zu erbringen, da diese als eine der wichtigsten Quellen für den politischen Diskurs dienen. Oft erfolgt eine Bezugnahme auf mediale Berichterstattung, wobei dennoch deutlich gemacht wird, dass Medien nicht die Gesamtheit der Situation abbilden können: „Obwohl die Medien naturgemäß nur einen kleinen Teil der Gesamtheit an Vorfällen berichten, reiht sich geradewegs ein Überfall insbesondere auf Ältere, Frauen und Gebrechliche an den nächsten.“ (120920_Anfragen an den Bürgermeister: 262) 5. Fazit In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde das Geschlechterwissen im politischen Diskurs über Sicherheit in Graz untersucht. Die anfangs skizzierte These, dass Raum, Geschlecht und Sicherheit einerseits als sozial konstruiert angesehen werden können und andererseits in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen, zeigt sich auch in unserer Analyse. Wie aber wird nun Geschlecht im politischen Diskurs über Sicherheit im öffentlichen Raum verhandelt bzw. wie gestaltet sich das Geschlechterwissen, das im politischen Sicherheitsdiskurs transportiert wird? Die theoretische Ausgangsprämisse, dass das Geschlechterwissen, wie schon bei Dölling (2007) angeführt, eine diskursive Komponente enthalte, konnte auch anhand unserer Forschung gezeigt werden. Darüber hinaus zeigt sich die gesellschaftliche Auffassung vom zweigeschlechtlichen System auch im politischen Sicherheitsdiskurs. Vorwegzunehmen ist in diesem Zusammenhang, dass Geschlecht in dem von uns analysierten Sicherheitsdiskurs eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Wenn Geschlecht allerdings thematisiert wird, dann lässt sich eine ganz bestimmte Art der Konstruktion entlang der vier Kategorien Beleuchtung, Angst bzw. subjektives Sicherheitsgefühl, Kriminalität und Zivilcourage beobachten. Frauen wird vor allem nachts ein schlechteres subjektives Sicherheitsgefühl zugeschrieben, welches vor allem an Angst festgemacht wird. Dies führe dann dazu, dass Frauen sich im Dunklen bzw. bei schlechter Beleuchtung nicht im öffentlichen Raum aufhalten wollen. Wird aber, wie in dieser Arbeit, Sicherheit als ein konstruiertes Phänomen angenommen, kann durch die Analyse gezeigt werden, dass die Furcht vor Unsicherheit in eben diesen öffentlichen Bereichen „weder dem Raum noch den Frauen inhärent, sondern gesellschaftlich konstruiert“ (Strüver 2010: 221) wird. In diesem Zusammenhang wird eine Gefahr vor Gewalt und Kriminalität thematisiert, welche selten bzw. gar nicht mit objektiven Kriterien der Kriminalität belegt wird. Vielmehr wird konstatiert, dass Frauen per se häufiger als Männer Opfer von Gewalt und Kriminalität im öffentlichen Raum werden. Die Antwort der Politik auf die zuvor konstruierte Sicherheitsproblematik im öffentlichen Raum ist nun, abgesehen von einer Aufstockung von Polizei und Ordnungswache, für die beiden Geschlechter unterschiedlich. Während die Sicherheit der Frauen eine Angelegenheit aller Mitglieder der Gesellschaft, im Sinne einer höheren Zivilcourage, sein müsse, ist die potenzielle Gefährdung von Männern einzig und alleine auf ein unzureichendes Sicherheitskonzept zurückzuführen. Dies verweist auf eine in der Gesellschaft tief verwurzelte unterschiedliche Behandlung von Geschlechtern in verschiedenen sozialen Zusammenhängen. Frauen werden, ganz im Sinne Goffmans (1994: 123), als zu schützende Wesen gefasst, als etwas, das seitens der Allgemeinheit beschützt werden muss. Alltägliche Interaktionen werden von diesem Differenzwissen beeinflusst und die daraus resultierenden Konsequenzen finden – wie unsere Analyse zeigt – Eingang in den politischen Sicherheitsdiskurs. Zuletzt kann angemerkt werden, dass das Erkenntnisinteresse dieser Forschungsarbeit sich im Sinne der wissenssoziologischen Diskursanalyse auf die Rekonstruktion des diskursiven Elements des Geschlechterwissens bezieht. Die subjektive Perspektive der handelnden Personen war bewusst nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Dies wäre allerdings ein durchaus interessanter Punkt, an dem eine mikrosoziologische Analyse anknüpfen könnte. Somit könnte das subjektive Geschlechterwissen der handelnden Akteur_innen identifiziert und in Kontrast zum diskursiven Geschlechterwissen gestellt werden. Literaturverzeichnis Belina, Bernd. (2006). Ordnung im städtischen Raum. Obdachlosenvertreibung und Verhinderung politischen Protests in US-Städten. Fantômas, No. 9, 24-26. Dölling, Irene. (2007). ‚Geschlechter-Wissen‘ – ein nützlicher Begriff für die ‚verstehende‘ Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen. 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