Extremophile Bakterien: Unsere Ururahnen

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Extremophile Bakterien: Unsere Ururahnen
Thermophile und hyperthermophile Archaeen und Bakterien geben uns eine Vorstellung,
unter welchen Bedingungen sich Organismen vor mindestens 3,5 Milliarden Jahren
entwickelt hatten. Ob die ersten Zellen in heißen vulkanischen Quellen an der Oberfläche
oder an Hydrothermalschloten im Ozean entstanden sind, ist umstritten.
O dass wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.
Gottfried Benn
Heiße Vulkanquelle bei Sasso Pisano, Toskana © EJ
Wer anschaulich erleben will, unter welchen extremen Bedingungen Leben gedeihen kann,
muss von Deutschland aus ziemlich weit fahren. Der Yellowstone Nationalpark in den Rocky
Mountains oder die isländischen und neuseeländischen Geysir-Landschaften sind wohl die
bekanntesten Orte dafür. Aber schon in Italien - bei Sasso Pisano in der Toskana oder am
Solfatara bei Neapel - kann man es beobachten: An den Rändern von unheimlich blubbernden
und penetrant nach faulen Eiern stinkenden Schlamm-und Schwefelquellen findet man gelb,
rostrot und giftgrün schillernde Krusten. Selbst durch die Sohlen von Wanderstiefeln hindurch
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fühlt man den Boden so heiß, dass man sich fast die Füße verbrennt, wenn man zu nahe
herantritt.
Thermus aquaticus und Milliarden Jahre alte Ökosysteme
So auffällig diese Krusten sind, dauerte es doch bis in die späten 1960er-Jahre, bevor Biologen
sie genauer untersuchten und feststellten, dass sie von lebenden Organismen gebildet werden.
Vorher hatte man sie für rein mineralische Ablagerungen gehalten – man konnte sich einfach
nicht vorstellen, dass sie Leben beherbergen könnten. Im Sommer 1971 hatte mir ein junger
Mikrobiologe, der als Ranger im Yellowstone Park arbeitete, mit großer Begeisterung die
schleimigen bunten Ablagerungen von Mikroorganismen gezeigt, die sich an den Rändern
eines dampfenden Pools in der Nähe des berühmten Geysirs „Old Faithful“ gebildet hatten. Ein
paar Jahre früher hatten er und sein Doktorvater Thomas D. Brock von der Indiana University
in Bloomington, damit begonnen, diese Mikroben zu isolieren und zu charakterisieren. 1969
erfolgte die erste Publikation über ein solches „thermophiles" Bakterium; Brock nannte es
Thermus aquaticus. Zwanzig Jahre später erlangte es Weltruhm: Aus Taq, wie Thermus
aquaticus von den Molekularbiologen genannt wird, wurde die Taq-Polymerase gewonnen, eine
hitzebeständige DNA-Polymerase, welche die Grundlage für die Polymerase-Kettenreaktion (
PCR) bildet, für die Kary Mullis 1993 den Nobel-Preis erhielt.
Krusten und Solfataren an einem See im Yellowstone Nationalpark © EJ
Individuelle Aufklärung kann man heute im Yellowstone Park kaum mehr erwarten. Die Ranger
haben vollauf zu tun, die Massen von Touristen hinter den Absperrungen in angemessenem
Abstand von den heißen Quellen zu halten. Als ich vor einigen Jahren wieder dort war,
ermahnte außerdem ein Schild, das „fragile Ökosystem" dieser vulkanischen Krusten nicht zu
verletzen. Darüber kann man schmunzeln, denn heute sind die Wissenschaftler überzeugt,
dass es diese Ökosysteme seit 3,5 Milliarden Jahren oder länger auf der Erde gibt, und sie
werden sicher den Menschen überdauern.
Viele Mikroben-Arten wurden inzwischen beschrieben, die an die unterschiedlichen
Bedingungen in den heißen vulkanischen Gewässern angepasst sind. Oft sind sie von einer
dicken, schützenden Schleimschicht umgeben. Makroskopisch kann man sie erkennen, weil sie
sich zu Filamenten, Klumpen oder Schichten zusammenlagern. Die orangenen Bereiche
mancher Pools könnten auf Karotin-Pigmente von Taq hindeuten, der es am liebsten 70 °C
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warm hat, während sich in der kochenden Mitte Pyrococcus furiosus wohlfühlt, ein echter
„hyperthermophiler" Organismus. Manche Mikroben nutzen die hohen Temperaturen, um aus
Kohlendioxid und Wasserstoff Wasser und Methan herzustellen. Rote Farben deuten auf
Mikroorganismen, die gelöste Eisenionen (Fe2+) zu Fe3+ (Rost) oxidieren, während die gelben
Schwefelablagerungen von Sulfat-reduzierenden Bakterien stammen können. Umgekehrt lebt
Sulfolobus solfataricus (genannt nach dem Vulkan bei Neapel) davon, den elementaren
Schwefel wieder zu Sulfat oder Schwefelsäure zu oxidieren, wobei Kohlendioxid als einzige
Kohlenstoffquelle dient. Über den Schwefelstoffwechsel von Acidianus ambivalens, einem
hyperthermophilen und extrem acidophilen (säureliebenden) Verwandten von Sulfolobus, hat
Karin Lauber von der Technischen Universität Darmstadt promoviert.
Eine eigene Domäne des Lebens
Der Stammbaum des Lebens mit den drei Domänen Bacteria, Archaea und Eukaryota © C. Woese
Der amerikanische Mikrobiologe Carl Woese wies nach, dass sich viele dieser an extreme
Bedingungen angepassten Mikroorganismen in ihren molekularen Eigenschaften so
fundamental von der großen Mehrheit der bekannten Bakterien unterscheiden, dass er für sie
ein eigenes Organismenreich, die Archaea (anfangs Archaebacteria genannt) aufstellte gleichberechtigt neben die eigentlichen Bacteria (oder Eubacteria) und die Eukaryota oder
Eukarya, die Organismen mit echtem Zellkern. Diese höchsten systematischen Kategorien des
Lebens werden als Domänen bezeichnet; die uns vertrauten Reiche der Tiere, Pflanzen und
Pilze sind darin nur kleine Seitenzweige der Domäne Eukaryota. Von den Bakterien
unterscheiden sich die Archaeen unter anderem im Bau ihrer Ribosomen und den RNASequenzen und in der molekularen Zusammensetzung der Zellmembranen (Ether-Brücken
statt Ester-Verbindungen). Sie leben nicht nur in heißen vulkanischen Quellen, sondern auch in
fast gesättigten Salzlaugen oder in extrem sauren oder alkalischen Milieus. Woese nannte sie
Archaeen (von griechisch „archaios“ – uralt), weil er glaubte, dass es sich um eine besonders
alte Organismengruppe handelt, die an Bedingungen angepasst ist, wie sie in den Urzeiten
unserer Erde geherrscht hatten.
Neuere Untersuchungen haben dieses Bild bestätigt. In dem auf Genomanalysen basierenden
Stammbaum des Lebens, den die Structural and Computational Forschungsgruppe am
Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium (EMBL) in Heidelberg publiziert hatte (s.
auch "Mit Genomanalysen zu einem neuen Stammbaum des Lebens"), stellen die Archaeen
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eine gut abgegrenzte eigenständige Gruppe dar. Mehr noch, sie sind offensichtlich mit den
Eukaryoten (und damit mit uns) näher verwandt als die Bakterien. Hinweise darauf hatte es
schon vorher gegeben. So zeigen die „signal recognition particles" (SRPs, das sind
Ribonucleoproteine, die bei allen Organismen vorkommen) der Archaeen eine engere
Verwandtschaft mit den SRPs von Eukaryoten auf als mit denen von Bakterien, wie unter
anderem Irmgard Sinning am EMBL (heute Professorin am Biochemie-Zentrum Heidelberg) mit
Untersuchungen an Sulfolobus solfataricus nachwies. Ähnlich ist es mit dem „elongation
factor", einem Bestandteil des Proteinbiosynthese-Apparates, und mit weiteren Komponenten,
die zu den Grundbausteinen aller Lebewesen gehören. Allerdings muss betont werden, dass die
Ähnlichkeit mit Archaeen nur für die eigentliche Eukaryotenzelle und ihre Kern-DNA gilt, nicht
aber für ihre Mitochondrien. Die sind ganz offensichtlich durch endosymbiotische Aufnahme
von echten Bakterienzellen in die Ur-Eukaryotenzelle (die vielleicht auf eine Archaeenzelle
zurückgeht) entstanden.
Extremophile kommen nicht nur bei Archaeen, sondern auch bei Bakterien vor. Das
bekannteste Beispiel ist Thermus aquaticus. Nach Ansicht des britischen Evolutionsforschers
Thomas Cavalier-Smith gehört Taq in eine Gruppe von Bakterien, die besonders ursprüngliche
Merkmale aufweist. Er nennt sie Hadobacteria (nach der griechischen Unterwelt Hades), als
Hinweis auf die unwirtlichen Vorzeiten der Erde, aus denen diese Formen bis zu uns gekommen
sind. Die früheste Phase unseres Planeten, von seiner Entstehung vor 4,55 Milliarden Jahren
bis vor etwa 3,9 Milliarden Jahren, wird heute oft als Hadaikum bezeichnet.
Schwarze Raucher, Weiße Raucher
Schwarzer Raucher in 2.000 Meter Tiefe am Mittelatlantischen Rücken © Deutsches Zentrum für Luft- und
Raumfahrt, DLR
Als Charles Darwin über die Entstehung des Lebens nachdachte, stellte er sich einen warmen
Gezeitentümpel am Meeresstrand unter einer gleißenden Sonne vor, in der die entscheidenden
Evolutionsschritte stattfanden. Darauf bezieht sich auch Gottfried Benn in seinem Gedicht.
Heute glauben wir zu wissen, dass sich die Anfänge in einem brodelnden Inferno abspielten unter ständigen Meteoriten-Bombardements, extremen Temperaturen, intensiver UVStrahlung und einer dünnen, mit Methan, Ammoniak und anderen für uns giftigen Gasen
angereicherten Atmosphäre.
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Seit man die sogenannten Schwarzen Raucher („Black Smoker") in den Mittelozeanischen
Rücken entdeckt hatte, favorisierten viele Forscher diese Geysire der Tiefsee als Orte der
Lebensentstehung. Dort waren die organischen Strukturen und Zellen vor der tödlichen
ionisierenden Strahlung an der Erdoberfläche geschützt. Schwarze Raucher sind
Hydrothermalquellen, die überhitztes Wasser aus dem Erdinneren, das mit Schwefel, Eisen und
anderen Mineralien angereichert ist, in die Dunkelheit und Kälte am Meeresboden ausstoßen.
Anfang 2012 wurden die tiefsten Unterwasser-Geysire im Kaimangraben 5.000 Meter unter der
Wasseroberfläche der Karibik entdeckt. Sie schleudern 450 °C heißes Wasser, das unter dem
enormen Druck von 500 Bar flüssig bleibt, über einen Kilometer (!) hoch ins umgebende
Meerwasser. An den Schwarzen Rauchern hat sich ein reiches, bizarres und völlig autonomes
Ökosystem entwickelt, mit farblosen Muscheln, Schnecken, Krebstieren, Fischen und anderem.
Am auffälligsten sind Spaghetti-ähnliche, drei Meter lange und 4 Zentimeter dicke Würmer mit
blutrotem Vorderende (Riftia pachyptila). Die Würmer haben keinen Darm, sondern ernähren
sich ausschließlich von chemosymbiotischen Mikroorganismen.
„Strain 121“, Temperatur-Rekordhalter des Lebens. Rechts im Negative staining des elektronenmikroskopischen
Bildes sind von der Archaee gebildete Eisenablagerungen. © K. Kashefi, University of Massachusetts, Amherst
Grundlage der Ökosysteme an den Hydrothermal-Schloten sind extremophile Archaeen und
Bakterien, die ihre Energie aus den gelösten Mineralien beziehen. Vor einigen Jahren wurde
eine Eisen-reduzierende Archaee von einem Black Smoker im Nordostpazifik beschrieben, die
noch bei 121 °C gedieh und den bis dahin gehaltenen Rekord für die Temperaturobergrenze
des Lebens weit überbot. Als man im Labor die Temperatur auf 130 °C erhöhte, stellte die
vorläufig als „Strain 121" bezeichnete Mikrobe das Wachstum ein, sie ließ sich aber in
kochendem Meerwasser „reanimieren".
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Neuerdings argwöhnen manche Wissenschaftler, ob die extreme Hyperthermophilie von
Mikroorganismen nicht eher eine sekundäre Anpassung anstatt eines Überbleibsels aus der
Frühzeit unseres Planeten sei. Ihrer Ansicht nach hätte sich das Leben besser an sogenannten
Weißen Rauchern („White Smoker") entwickeln können. Das sind weniger heiße
Hydrothermalquellen am Meeresboden, die Sulfat-und Silikat-reiches Wasser ausstoßen. Auch
an den Weißen Rauchern, von denen ständig neue entdeckt werden, hat sich ein reiches
Ökosystem auf der Grundlage von chemolithotrophen Bakterien und Archaeen entwickelt.
Die ältesten Lebensspuren (Steranmoleküle mit einem Isotopenverhältnis des Kohlenstoffs, wie
es nach heutiger Kenntnis nur von lebenden Organismen gebildet wird), hat man bereits in den
ältesten bekannten Gesteinen gefunden, dem 3,8 Milliarden Jahre alten Isua-Serpentinit aus
Grönland. Dieses Gestein enthält kohlenstoffreiche, alkalische Verbindungen, wie sie in
hydrothermalen ozeanischen Quellen bei Temperaturen zwischen 100 und 300 °C entstehen.
Ob Schwarze oder Weiße Raucher, ob untermeerische oder oberirdische Geysire: Einig sind sich
die Forscher darin, dass die ersten Lebewesen auf der Erde - unsere Ururahnen - Eigenschaften
haben mussten, wie wir sie heute noch bei extremophilen Archaeen und Bakterien finden.
Fachbeitrag
23.07.2012
EJ (08.06.2012)
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Extremophile Bakterien
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