Wiener Schilddrüsenkonsens - biomed

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wissenschaft & praxis
➔ die Indikation zur Charakterisierung des regionalen Stoffwechsels
durch Szintigraphie ist
gegeben bei Knotenstrumen
Mit dem „Wiener Schilddrüsenkonsens“ bemüht sich die
zur Differenzierung heißer
Fachgruppe der „Nuklearmedizin Wien“ in interdisziplinärer
und kalter Knoten, hyperthyreoten Zuständen, zur
Zusammenarbeit um eine praxisnahe Anleitung zur DiagnoKontrolle nach erfolgter
stik und Therapie des kalten Knotens: „keine unnötigen
Operation und RadiojodThyreoidektomien – kein Karzinom übersehen“.
therapie sowie bei Verlaufskontrollen euthyreoter
funktioneller Autonomien.
Unter der Leitung von Prim. Univ.-Doz. Dr. ➔ die Differentialdiagnose eines kalten Knotens erfolgt
mittels Feinnadelbiopsie.
Thomas Leitha wurden aus nuklearmedizinischer, pathologischer und chirurgischer Sicht ■ multinoduläre Struma sind häufig
wissenschaft
folgende Schwerpunkte vorgestellt: Epide- ■ regressive Veränderungen, Thyreoiditis, primäre
& praxis
Neoplasien und Zysten weniger häufig
miologie, sonographische und szintigraphische Diagnostik (Univ.-Doz. Dr. Georg Zettinig), Feinnadel- ■ Abszesse, Hämatome, Lymphome, Metastasen, Nebenschilddrüsenadenome, der Zustand nach Radiojodtherapie,
biopsie (Ao. Prof. Dr. Klaus Kaserer), Thyreoidektomie (Prim.
einer funktionellen Autonomie und Halszysten selten.
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Roka) und Fallbeispiel und Vorstellung
des Konsenses (Prim. Univ.-Doz. Dr. Thomas Leitha).
Wiener Schilddrüsenkonsens
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Schilddrüsentumoren sind häufig
Bedingt durch eine bessere medizinische Versorgung und
die Jodierung des österreichischen Speisesalzes, bekommt man
heute kaum noch das Bild des mächtig imponierenden Kropfes zu sehen. 1963 wurde in Österreich für Salz ein Jodzusatz
von 10 mg/kg festgelegt, der 1990 auf 20 mg/kg erhöht wurde. Aufgrund des verstärkten Konsums von oft im Ausland hergestellten Fertigprodukten, für deren Herstellung meist kein jodiertes Salz verwendet wird, wird derzeit überprüft, ob trotzdem die Jodversorgung noch hinreichend ist. Dank verfeinerter diagnostischer Möglichkeiten ist bekannt, dass 20 – 30 %
der österreichischen Bevölkerung Schilddrüsenknoten größer
als 1 cm haben, wobei der Anteil der Betroffenen in der Altersgruppe der über 60-Jährigen auf 66 % ansteigt. Die Prävalenz kalter Knoten in der erwachsenen Bevölkerung beträgt 23 %, die Wahrscheinlichkeit der malignen Entartung eines
kalten Knotens ist mit 3-10 % anzunehmen.
Trotz steigender Inzidenz des Schilddrüsenkarzinoms
(wahrscheinlich auf die häufigere Entdeckung [verfeinerte
Diagnosemöglichkeiten] des Papillären Mikrokarzinoms
[„Haustierkrebs“] zurückzuführen) ist die Mortalitätsrate
sinkend – nur 0,8% aller Krebstodesfälle in Österreich entfallen auf das Schilddrüsenkarzinom.
Nachdem es nicht das Ziel sein kann, alle Knoten operativ zu entfernen – wovon ein Drittel aller ÖsterreicherInnen
betroffen wäre – kommt der fächerübergreifenden Diagnostik
eine besondere Bedeutung zu.
Jede vergrößerte und/oder knotig umgeformte
Schilddrüse ist als krankhaft anzusehen
und daher adäquat abzuklären:
➔ die Funktion durch die Basisuntersuchungen im Labor.
Normale TSH-Werte sind kein Ausschlusskriterium für
eine maligne Struma.
➔ die gestörte Morphologie/Struktur durch Sonographie,
wobei das Gesamtvolumen, Herdbefunde zur
Differenzierung zwischen Knoten und Zysten, die
Echostruktur zur Erkennung von Autoimmunerkrankungen
und die Durchblutung ebenso zu erfassen sind, wie die
Lymphknoten und pathologische Nebenschilddrüsen.
Die Feinnadelbiopsie –
eine 3000 Jahre alte Technik?
ABU AL-QASIM AL-ZAHRAVI (Abb. 1), ein von 936 –
1013 v. Ch. lebender „Arzt“, hat in der „AL TASRIF“, einer 30bändigen Enzyklopädie, im Kapitel 44 über das Herausschneiden eines Tumors, der außerhalb des Halses liegt und „Elefant
des Halses genannt wird“, Folgendes niedergeschrieben.
■ Der Tumor, der „Elefant des Halses“ genannt wird, ist
ein großes fleischfarbenes Gewächs und findet sich vor
allem bei Frauen.
■ Es gibt zwei Formen, die angeborene und die erworbene.
■ Für die angeborene Form gibt es keine Behandlung.
■ Bei der erworbenen Form gibt es zwei Arten: Die eine ist
einer teigigen Zyste ähnlich und die andere gleicht einem
Tumor, der aus einem Gefäßknäuel entsteht; niemals darf
man ein Messer bei diesen Tumoren verwenden, außer
nur ganz kleine.
■ Wenn Du den Tumor mit einer Nadel untersuchst und
feststellst, dass er wie eine teigige Zyste ohne Verbindung
zu irgendwelchen Blutgefäßen ist, dann schneide ihn sofort
heraus, so wie Du eine Zyste entfernen würdest. Nimm
alles mit, was ihn wie eine Kapsel umgibt.
■ Wenn es keine Kapsel gibt, entferne gewissenhaft das
ganze Gewebe mit dem passenden Werkzeug.
ABU AL-QASIM
AL-ZAHRAVI hat neben der detaillierten
Beschreibung auch
gleich das passende
Werkzeug dargestellt.
Auch wenn heute wesentlich verfeinerte
technische Möglichkeiten zur Durchführung der Feinnadelbiopsie zur Verfügung stehen, war der
Ansatz doch ein sehr
ähnlicher.
Abb. 1
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wissenschaft & praxis
Voraussetzung für eine aussagekräftige
Feinnadelbiopsie ist deren technisch exakte
Durchführung
Dank der Ultraschall geführten Punktion können auch
schlecht palpierbare, tief sitzende und Knoten – kleiner als 1cm
– untersucht werden. Mittels Ultraschallkontrolle wird der Sitz
der Punktionsnadel exakt geführt und der Knoten fächerförmig
an mehreren Stellen punktiert. Um das Aspirieren von Blut
möglichst hintan zu halten, ist zu beachten, dass die Aspiration
und das Fächern rasch und mit Unterdruck erfolgen, sowie dass
der Druckausgleich vor dem Herausziehen der Nadel hergestellt wird. Sollten mehr als 0,3 ml Blut aufgezogen worden
sein, ist das Material zu verwerfen und die Punktion zu wiederholen.
Malignitätsverdacht ist die vorrangige
Indikation zur Operation
Die Thyreoidektomie ist eine relativ risikolose Operation,
restriktiv sind Senium, Multimorbidität und eine bestehende
einseitige Rekurrensparese. Der Umfang der Operation und
die Operationstechnik richten sich nach der Vorgeschichte,
dem makroskopischen Verdacht und dem intraoperativen
Schnellschnittergebnis.
Radiojodtherapie
Bei gesichertem Schilddrüsenkarzinom wird nach erfolgter
Thyreoidektomie und funktioneller Neck dissektion (Entfernung der Lymphknoten) eine Radiojodtherapie durchgeführt,
um mikroskopisch kleine Schilddrüsenreste und eventuelle Mikrometastasen zu zerstören. Dies senkt das
eventuell noch vorhandene Restrisiko
und erhöht die gute
Prognose des Schilddrüsenkarzinoms.
Prognose
Die Prognose der
meisten Schilddrüsenkarzinome ist hervorragend. So weist
das Papilläre SD-Karzinom eine 10-JahresÜberlebensrate von
85-90% auf und das
Follikuläre SD-Karzinom eine 10-JahresÜberlebensrate von
immerhin noch 75Normaler SD Scann
Kalter Knoten Rechts
80%. Andere SDKarzinome wie z. B.
Ein gelungenes Punktat und die Erstellung
das medulläre Karzinom – mit einer wesentlich schlechteren
Prognose – sind selten.
optimaler Ausstriche ist die Voraussetzung
für die Befundung durch den Pathologen
■ die Nadel von der Spritze trennen
■ den Spritzenkolben mit Luft füllen
■ einen Tropfen auf einem Objektträger in einem Zug vorsichtig ausstreichen
■ drei Ausstriche anfertigen: zwei lufttrocknen, einen feucht
fixieren
■ die Färbung erfolgt mit May-Grünwald-Giemsa bzw. nach
Papanicolaou
■ Zystenpunktate zentrifugieren, das Sediment ausstreichen
und wie oben behandeln
Für eine aussagekräftige Beurteilbarkeit sind mindestens
6-8 Zellverbände mit jeweils 10 gut erhaltenen Zellen vonnöten. Die Resultate geben Auskunft, ob von histo-zytologischer Seite eine Operationsindikation gegeben ist oder nicht.
Mit der Punktionszytologie steht eine verlässliche Screeningmethode zur Verfügung, deren Sensitivität zwischen 5798% liegt und deren Spezifität 71-100% beträgt. Durch diese Methode wird die Zahl der Operationen um 50% reduziert
und dadurch die Kosten um 25% gesenkt.
Die Therapie des kalten Knotens – ein
exzellentes Beispiel für den Vorteil
interdisziplinärer Aktivitäten
Die in Wien bestehende Problematik:
■ die diagnostischen Mittel zur Differenzierung zwischen
Schilddrüsenmalignomen und „normalen“ Schilddrüsenknoten sind nicht überall in ausreichendem Maße
vorhanden und
■ im niedergelassenen Bereich nicht durch Refundierung
abgedeckt
■ das Zusammenführen aller Untersuchungsergebnisse
(möglichst aus einer Hand) ist oft nur in nuklearmedizinischen Spitalsambulanzen möglich
Interdisziplinäre Aktivitäten sind ein effektiver Beitrag
zur Erreichung des Ziels des Wiener Schilddrüsenkonsens
und kommen nicht nur den PatientInnen, sondern auch den
Kostenträgern zugute.
■
Prof. Helene Breitschopf
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