Zur Interdependenz sozialer Prozesse unterschiedlicher Aggregationsniveaus als Designprojekte Roger Häußling (RWTH Aachen University) In meinem Beitrag möchte ich zwei zentrale Gedanken der Relationalen Soziologie unter einer neuen Perspektive betrachten: Der eine Gedanke betrifft die Charakterisierung von Netzwerken als Gebilde, die Heterogenes füreinander anschlussfähig machen. Entsprechend kann die Netzwerktheorie nicht wie die Systemtheorie von einem ‚Reiheitsgebot’ der systemeigenen Prozesse (z.B. Zahlungen im Fall des Wirtschaftssystems) ausgehen, sondern soziale Ordnungsphänomene müssen grundsätzlich neu theoretisiert werden. Den wohl perspektivenreichsten Impuls hierzu hat Harrison C. White (1992) mit der Einführung der netzwerktheoretischen Begrifflichkeit von Kontrolle und Identität geliefert. Identität wird immer anderen heterogenen Identitäten des Umfelds abgetrotzt. Dies erfolgt über Kontrollprojekte, die mehr oder weniger stabile Konstellationen für eine Identität erzeugen. Besondere Stabilität versprechen Kontrollprojekte, die wechselseitig angelegt sind. Dabei gehen heterogene Identitäten eine Relation ein, die spezifische wechselseitige Erwartungen beinhaltet. Der andere Gedanke betrifft die ‚mittlere Position‘, welche die Relationale Soziologie bei der Erforschung des Sozialen einnimmt: Sie fokussiert weder auf Individuen und deren Handlungen noch auf gesamtgesellschaftliche Strukturen und deren Wirkungen. Stattdessen geht sie von dem Dazwischenliegenden aus, von der Welt der Relationen, Figurationen und Netzwerke, von der aus überhaupt erst sowohl einzelne Akteure samt ihrer Verhaltensweisen (vgl. Simmels „Schnittpunkt sozialer Kreise“; Simmel 1992) als auch Sozialstrukturen (vgl. die Bedeutung von Patronage-Beziehungen für den Aufbau gesellschaftlicher Strukturen bei: Gould 1996; Martin 2009) erklärbar werden. Damit ist die Relationale Soziologie prädestiniert, einen weiter reichenden Lösungsvorschlag anzubieten, die Interdependenzen von Prozessen unterschiedlicher Aggregationsniveaus theoretisch zu fassen. Weiter reichend ist er deshalb, weil er nicht nur ein dezidiertes Verständnis über die wechselseitigen Beeinflussungen bieten kann, sondern weil er auch empirische Untersuchungen bezüglich der Triangulation von Ergebnissen heterogener Aggregationsniveaus zu instruieren vermag, sodass sie sich wechselseitig explizieren. Aufgrund ihrer mittleren Position kann die Relationale Soziologie die Beeinflussungen in beide Richtungen denken, ohne die eine gegenüber der anderen auszuspielen: sowohl die sozialen (Alltags)Situationen als auch die gesamtgesellschaftlichen Institutionalisierungsprozesse sind erklärungsbedürftige Größen. Sie verabschiedet sich damit ebenso von einem handlungstheoretischen Ansatz (a la Coleman) wie von einem institutionalistischen Denken (z.B. dasjenige der klassischen soziologischen Rollentheorie). Stattdessen rückt die Relationale Soziologie die sozialen Beziehungen und Interdependenzen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, die auf beide Seiten (Situationen und Gesellschaft) die Möglichkeit entstehen lassen, dass Identitätsbildungen glücken können. Genau an dieser Perspektivenverschiebung setzt mein Beitrag an und schlägt vor, die Verkopplung der Prozesse unterschiedlicher Aggregationsniveaus als die Lösung eines Schnittstellenproblems zu reformulieren und entsprechend auf das Design hin zu untersuchen, das diese heterogenen Prozesse füreinander anschlussfähig macht. Unter Bezugnahme auf Dirk Baecker (2005) wird hierbei Design als eine Offerte verstanden, sich auf das Angebot einer fremden Identität einzulassen. Dabei ist die Offerte so geartet, dass sie in Aussicht stellt, was für die heterogenen Identitäten des Umfelds möglich wird, wenn sie das Angebot annimmt, und gleichzeitig in Kontrast dazu setzt, was es bedeuten würde, es abzuschlagen. Dabei verschwindet in der Regel die Komplexität der Operationsweise der fremden Identität hinter ihrer Schnittstellengestaltung (vgl. Simon ²1994), so wie die eigentliche Komplexität einer Technik für deren Nutzer hinter Gehäusen, Reglern und Displays verschwindet. Als besonders wichtigen Fall gesellschaftlicher Sozialstruktur soll hier die Institutionalisierung behandelt werden, wobei mit ‚Institutionalisierung‘ nicht nur das ‚Werden einer Institution‘ bezeichnet werden soll, sondern strikt prozesssoziologisch auch die fortwährende Reproduktion institutionalisierter Strukturen gemeint wird. Auch die Interdependenz zwischen dieser Institutionalisierung und sozialen Alltagsprozessen wird hier relational soziologisch Schnittstellenphänomen – im soeben erörterten Sinn – gefasst. Der kurz dargelegte Designbegriff soll hierbei weiterhelfen, genau diese Ankopplung zwischen Prozessen unterschiedlicher Aggregationsniveaus (als das füreinander Heterogene) beschreibbar zu machen. Dabei werden – wie zu zeigen sein wird – sowohl die Komplexität der Institutionalisierungsprozesse als auch die Komplexität, die Alltagssituationen besitzen können, für die jeweils andere Prozessebene ausgeblendet. Diese These werde ich an zwei klassischen ethnologischen Beispielen verdeutlichen: Zum einen der Kula-Tauschring (Malinowski 1979) und Levi-Straussens (1984) elementare Formen der Verwandtschaft. In beiden Beispielen werde ich (allerdings in nicht strukturalistischer Manier) das jeweilige Designprojekt herausarbeiten. Anschließend sollen die auf diese Weise gewonnenen Einsichten auf aktuelle soziale Phänomene übertragen und Möglichkeiten ihrer soziologischen (theoretischen wie empirischen) Erschließung diskutiert werden. In einem Ausblick werden dann weiterführende Überlegungen und Konsequenzen der durch ein derartiges Denken hervorgerufenen Umstellung erörtert; denn ein Denken, das die Verflechtung des Heterogenen zum Ausgangspunkt nimmt, ist strikt triadisch angelegt: zwei heterogene Identitäten und deren Schnittstelle, die es von und für beiden Seiten zu gestalten gilt. Literatur: Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gould, Roger V. (1996): Patron-Client Ties, State Centralization, and the Whiskey Rebellion, in: American Journal of Sociology 102: 400-429. Häußling, Roger (2010): Zum Design(begriff) der Netzwerkgesellschaft. Design als zentrales Element der Identitätsformation in Netzwerken, in: Fuhse, Jan/ Mützel, Sophie (Hg.): Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung. VS Verlag: Wiesbaden, 137-162. Lévi-Straus, Claude (1981): Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Malinowski, Bronislaw (1979): Argonauten des westlichen Pazifik: ein Bericht über Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea. Frankfurt am Main: Syndikat. Martin, John Levi (2009): Social Structures. Princeton: Princeton University Press. Simmel, Georg (1992): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Band 11 der Georg-Simmel-Gesamtausgabe, hrsg. v. Rammstedt, Otthein. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Simon, Herbert A. (²1994): Die Wissenschaft vom Künstlichen. Wien/New York: Springer (zuerst: 1969). White, Harrison C. (1992): Identity and Control. A Structural Theory of Social Action. Princeton: Princeton UP.