Der demokratische Sozialismus erhält in Spanien eine neue Chance

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Podemos – der demokratische Sozialismus erhält in Spanien eine neue Chance
von Gerd Elvers
Das Subjektive und Objektive im spanischen Tollhaus
Bei einer mehrwöchigen Reise im Oktober nach Spanien bin ich
unvermutet in ein politisches Tollhaus geraten, das mit dem
Auseinanderfallen der Sozialistischen Partei Spaniens (PSOE) Anfang
Oktober 2016 in einen linken und sozialdemokratischen Teil seine
neuerliche Zuspitzung erfahren hat. Der Grund ist die Duldung der
Mehrheit der Parteispitze für eine Minderheitenregierung der
konservativen Volkspartei PP mit der bürgerlichen Protestpartei
Ciudadonos-Parteit. Es brauchte seine Zeit, bis ich das Vordergründige
scharf-links 27.10.16
durchschaut hatte. Dies war der Augenblick, wo mir die Ähnlichkeit der beiden linken Parteien
„Wir können“ und die Linkspartei in ihrer aktuellen Politik und deren Problematik aufgefallen ist.
Blickt man nur auf eine Partei in ihrem staatlichen und gesellschaftlichen Umfeld, ist man schnell
gewillt, das Individuelle, Spezifische hervorzukehren, maßgeblich geprägt durch ihre
Persönlichkeiten als bestimmende voluntaristische Entscheider, sie also zu subjektivieren. In diesem
Fall ist man schnell mit der Kritik bei der Hand. Erkennt man aber das Ähnliche beider trotz aller
vorhandenen nationalen Unterschiede, drängt sich geradezu zwanghaft die Frage auf, welche
strukturellen Gründe dahinter stehen könnten, also die Frage nach objektiven Ursachen, nach den
Gesetzmäßigkeiten, die die Parteien unterliegen – ohne dass ihnen dies bewusst sein muss. Der
Vergleich ist also eine Methodik kritischen Selbsterkennung, der erste Weg zum politischen Erfolg.
Unterschiedliche Genese der Linken in Spanien und Deutschland
Die Ähnlichkeiten sind ein erstaunlicher Faktor, wenn man von ihren unterschiedlichen
Entstehungen ausgeht. Die Linkspartei ist mit ihren Vorgängern aus dem Untergang der DDR
hervorgegangen, anfänglich getragen von SED-Mitgliedern aus dem Osten, die sich urplötzlich im
kapitalistischen Gesamtdeutschland wiederfanden. Nach einigen, zum Teil unvermeidbaren
konfusen Irrungen und Wirrungen, kam es zur Vereinigungen mit linken Kräften des Westens,
beide getragen von einem breiten Spektrum von orthodoxen Antikapitalisten bis zu demokratischen
Sozialisten, auf Einzelheiten der Darstellung soll hier verzichtet werden, da sie als bekannt
vorausgesetzt werden.
Podemos – linkspopulistische antikapitalistische Protestpartei
Ganz anders ist die Gründungsgeschichte von Podemos in Spanien. Sie ist eine politisch-moralische
Reaktion der Empörung auf die Weltwirtschaftskrise im 21. Jahrhundert, verbunden mit einer
spanisch spezifischen Krisenzuspitzung durch das Platzen einer immensen Spekulationsblase an
Immobilien, geprägt von mafiösen korrupten Kräften des Aznarismus, wie die Zeit unter dem
Ministerpräsidenten Aznar der PP, der „Populären – Volks-Partei“ . Podemos, entstanden aus
großen Straßendemonstrationen 2014, wird von Kommentatoren als „linkspopulistische
antikapitalistische Protestpartei“ bezeichnet, wobei „populistisch“ für die Aufnahme von sozialpopulären Forderungen steht und dem „antibürgerlichen“ Auftreten ihrer jungen Führung. Bei den
ersten Wahlen gewann sie auf Anhieb ein Fünftel aller Stimmen, auch durch das Bündnis mit der
neokommunistischen Izquierda Unidad, ein Ergebnis, das die heutige SPD in den Umfragen erzielt,
das aber unterschiedlich gewertet werden kann, je nachdem, welche Messlatte angelegt wird.
Die ersten Parteienvertreter von Podemos, einer spezifisch spanischen Ausrichtung eines
demokratischen Sozialismus, kamen aus dem akademischen Milieu unter der Führung von Pablo
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Iglesias und Inigo Errejónals. Ihr Vorbild war der lateinamerikanische Sozialismus des XXI.
Jahrhunderts, wie ich in mehreren Aufsätzen hier dargestellt habe.
PSOE, die unentschiedene Vertreterin sowohl des Neoliberalismus wie des demokratischen
Sozialismus, bestraft sich selbst
Die Verbindung mit dem Aznarismus der PP legten die vorangegangenen Sozialdemokraten PSOE
unter Felipe González und José Zapatero mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Durch das
Aufspüren des jungen González durch Willi Brandt, der am Spanischen Bürgerkrieg 1937 als
Journalist beteiligt war, hatte dieser die organisatorisch-materiellen Geburtshilfe für die PSOE
noch während der Endzeit des Franco-Regimes im Untergrund geliefert. Sie stellte nach dem
Untergang der Post-Franquisten die ersten demokratischen Regierungen, nachdem sie sich den
Bedingungen der Konservativen unterworfen hatten, nicht das Grauen des Bürgerkrieges und
danach das Francosystems aufzuarbeiten, einschließlich der Wieder-Inthronisierung des Königtums
durch den sterbenden Franco. Dies war der politisch-historische Sündenfall der jungen Demokratie,
unter dem Spanien heute noch leidet.
Linkswendung der PSOE durch Pedro Sánchez
Mit der fehlenden Aufarbeitung der Vergangenheit, wurden die Sozialisten anfällig, sich mit
schmutzigen Flecken (manchas) der Korruption ebenfalls zu besudeln, so dass sie an der generellen
Empörung über eine Politik als Selbstbedienungsladen von den Wählern in gleicher Weise wie die
PP in Neuwahlen abgestraft wurden. In bezeichnender Weise hatten sie sich in Sozialdemokraten
umbenannt. Der neue Generalsekretär Pedro Sánchez schlug ab 2014 den Kurs ein, in
Übereinstimmung mit der Mehrheit der Wähler mit der Vergangenheit zu brechen. Er setzte auf die
moralische Karte, um sich entschieden von der verdorbenen Politik der PP abzusetzen und nicht
mit ihnen zu koalieren. Zusammen mit der Mehrheit seiner Partei-Mitglieder glaubte er, wieder
mehr Kredit bei den Wählern zu erlangen. Zugleich strebte er eine Koalition mit der Podemos an,
beide erhielten aber in den beiden letzten Wahlen nicht die absolute Mehrheit.
Der strukturelle Grund hierfür war, dass sich im bürgerlichen Lager, zeitgleich mit Podemos, eine
liberal-bürgerliche Seite der Empörung (indignación) gebildet hatte, die Ciudadanos-Partei, nicht
zu verwechseln mit der Staatsdoktrin des Präsidenten Correa von Ecuador. Sie erhielt als scheinbar
zweite Protestpartei fast so viel Stimmen wie Podemos, vor allem auf Kosten der PP. Indirekt
verhinderte sie mit ihrer Gründung, dass Podemos sozusagen das Monopol des Protestes mit ihr
teilen musste und in dem „Käfig“ eines Fünftels der Wählerschaft eingesperrt wurde, vorerst
wenigstens. Viele Wähler durchschauten nicht, dass sie sich als bürgerliche Partei als der geborene
Partner der PP andiente. Aber auch hier das gleiche Schicksal wie auf der linken Seite. Zum
Steigbügelhalter der PP reichte es nicht. Auch der rechte Block konnte nicht eine
Regierungsmehrheit stellen.
Das Aufbrechen des Zweiparteiensystem Spaniens und die Regierungskrise
Symptomatisch für die heutige politische Situation Spaniens ist das Vierparteiensystem, das seit
wenigen Jahren besteht. Die beiden sogenannten Protestparteien kommen fast auf die Hälfte der
Stimmen, auf nicht viel mehr kommen die beiden Altparteien, die damit ihre Jahrzehnte lang
führende Rolle abwechselnd als Regierungsträger die Macht inne zu haben bei den letzten Wahlen
verloren haben. Da die PP unter dem Regierungschef Rajoy etwas weniger verlor als die
Sozialdemokraten und diese sich unter ihrem Vorsitzenden Pedro Sánchez als prinzipientreuer
Sozialist weigerte, mit der PP gemeinsame Sache wegen der Verquickung Rajoys mit den
Korrupten seiner Partei zu machen, konnte über die letzten beiden Wahlen keine neue Regierung
mit einer Mehrheit im Parlament geschaffen werden. Seit 11 Monaten amtiert Rajoy als
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administrativer Regierungschef ohne legislative Befugnisse.
Eine dritte Wahl stand um die Weihnachtszeit 2016/17 neu an. Bis vor kurzem. Denn entgegen den
Erwartungen gewann Rajoy bei den letzten beiden Wahlen leicht dazu, weil ein Teil der
Wählerschaft seinem neoliberalen Kurs zutraute, das leichte Pflänzlein eines moderaten
Wirtschaftsaufschwungs weiterhin zu begießen, obwohl das leichte Wirtschaftswachstum vor allem
bei den arbeitslosen Jugendlichen nicht angekommen war. Auf der anderen Seite gelang es dem
neuen Generalsekretär Sánchez nicht - angesichts interner Widerstände - für die PSOE ein klares
linkes Profil zu gewinnen, sodass diese weiter verlor und die Gefahr bestand, auch bei der dritten
Wahl in weniger als einem Jahr weiter zu verlieren.
Der gewollte Sturz von Pedro Sánchez am 1. Oktober 2016 als politisches Erdbeben
In dieser kritischen Situation allgemein und zwei schlechten Wahlergebnissen in zwei Provinzen für
die PSOE verweigerte eine Mehrheit der Führungsspitze der PSOE Sánchez die Gefolgschaft seines
Verweigerungs-Kurses gegen Rajoy. Er trat zurück im Wissen, dass die Mehrheit der Partei
weiterhin auf seiner Seite stand und fuhr demonstrativ mit seiner Frau an einem unbekannten Ort in
den Urlaub. Bewusst stürzte er seine Partei in eine seit Franco nicht mehr dagewesene Krise, eine
strategisch bewusst gesteuerte Krise, um über Urwahlen durch die Parteimitglieder gegen die
momentane Rajoy-Hörigen im erweiterten Vorstand zu stürzen. Dieser gewagte Prozess mit
höchstem Risiko spielt sich heute – Ende Oktober – ab, und wir werden sehen, ob sein Plan aufgeht.
Aber im Nachhinein kann man sagen, er hatte keine Wahl: Hätte Sánchez resigniert, hätte er seine
linken Überzeugungen verraten. So kann man sagen, dass letztlich die Mehrheit der Führung
verantwortlich für das Geschehen war. Denn nun sieht sich die neue Parteispitze urplötzlich vor der
Situation, den logischen weiteren Schritt seines Sturzes in entsprechende Politik umzusetzen: die
Blockade gegen Rajoy aufzugeben. Welche Büchse der Pandora dabei aufgemacht wurde, übersah
sie wohl nicht.
Aber welchen weiteren Schritt sollte der siegreiche Teil der erweiterten Parteispitze gehen? Zwei
Optionen standen bis vor ein paar Tagen den Rechten in der PSOE zur Verfügung: Entweder eine
Minderheitenregierung der PP und der Bürgerpartei zu dulden oder selber in die Regierung
einzutreten, sozusagen eine Große Koalition mit der bürgerlichen Ciudadanos als Anhängsel zu
gründen. Auf Deutschland bezogen wäre dies eine Art rosa-schwarz-gelbe Koalition. gewesen.
Diese zweite Möglichkeit würde aber die Krise weiter vertiefen, die Parteibasis endgültig gegen
sich aufbringen und die Partei mit hoher Sicherheit spalten. So sieht es zumindest eine über das
Geschehen in der Parteispitze überraschte Mitgliedschaft. Die momentane Parteiführung – sie hat
momentan eine Drei-Fünftel-Mehrheit gegen den Sánchez-Block - entschied sich für die Duldung
der Rajoy-Regierung und hat alle Mandatsträger dazu verpflichtet, entsprechend sich der Stimme zu
enthalten. Ob aber damit die Spaltung verhindert werden kann, entscheidet sich danach, ob die
bevorstehende Urabstimmung – die Sánchez will – kommt und wie sich die momentane Mehrheit in
der Parteispitze zu dem Willen der Mitglieder verhält. Das englische Beispiel der Labourpartei
drängt sich auf.
Rajoy das Stehaufmännchen, gestützt vom jungen König
Die politischen Kommentatoren gaben vor dem 1. Oktober auf die Zukunft von Rajoy keinen
Pfifferling mehr. Früh oder spät müsste der uncharismatische Premier seinen Partei- und
Regierungsvorsitz abgeben oder wenigstens auf den Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten
verzichten. Seit dem 1. Oktober sieht die Sache anders aus. Am Nationalfeiertag Día de la
Hispanitad am 12. Oktober konnte man vor allen Kameras das überaus freundliche tete à tete von
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König und Rajoy als direkte Botschaft an das Volk verstehen. Diesen Feiertag der Kolonisierung
Amerikas hatte Franco eingeführt. Der junge König Felipe VI. hatte ihn als Oberbefehlshaber des
Heeres zu einer großen Militärparade missbraucht, was Pablo Iglesias heftig kritisierte und die
Einladung ausschlug. Der König – obwohl zur politischen Neutralität verpflichtet – gab seine
Meinung kund, es sei genug der Wahlen. Er kann sich sicher sein, dass eine Mehrheit der Spanier
diese Meinung teilt.
Rajoy sieht sich plötzlich in einer bequemeren Rolle als zuvor. Kommt es wider Erwarten doch zur
Wahl zu Weihnachten, kann er sich weitere Stimmenzuwächse aus der PSOE versprechen, falls
nicht, auch gut. Oder wenigstens fast gut. Denn mit einer Duldung der PSOE zu Gunsten einer
Minderheitenregierung noch Ende Oktober von PP und Bürgerpartei bliebe noch die Frage, ob die
PSOE überhaupt die integrative Kraft aufbringt, dauerhaft diese Rolle zu spielen, die
Minderheitenregierung zu dulden. In der PP hat man da so seine Zweifel. Zweifeln tut auch die
Bürgerpartei, für die sich ebenfalls eine neue Situation ergibt. Sie ging stillschweigend davon aus,
dass die PP sich auf einen neuen Parteichef und Regierungschef einigen würde, der weniger
umstritten sei als Rajoy.
Caso „Gürtel“ – Die Mafia der PP steht vor Gericht
Während dieses ganzen Polittheaters des Oktobers 2016 öffnet sich eine neue Bühne, deren Einfluss
auf die Politik noch nicht abzuschätzen ist, wenn sich heraus stellen sollte, dass Rajoy mit dem Fall
Gürtel irgendwie verbunden ist. Unter der Führung von Francisco Correa, einem Unternehmer von
Mephisto-ähnlichem Aussehen, hatte sich eine Gruppe hoher PP-Funktionäre aus autonomen
Provinzen wie Valencia und Madrid gebildet, die sich gegenseitig in skandalöser und korrupter
Weise unterstützen, um den Boom im Bau wie Banken unter den Ministerpräsidenten Aznar zur
illegalen Bereicherung auszunutzen. Diese Mafia-Bande erhielt den deutschen Namen „Gürtel“,
weil die Polizei während der geheimen Ermittlung den Fall mit dem Geheimcode „Gürtel“ belegte
für den Strippenzieher Correa, was im Deutschen Gürtel heißt. Dieser Name bot sich auch deshalb
an, weil die Mafia durch Correa zusammen gehalten wurde, wie der Gürtel die Hose. Bisher
haben die Ermittlungen noch kein tätliches Mitwirken von Rajoy unter dem Ministerpräsidenten
Aznar an dem Caso Gürtel erbracht. Der Mephisto ist wenig glaubhaft in die Rolle des Don
Quichote gewechselt und behauptet plötzlich, Rajoy sei in den Skandal seines Vorgängers nicht
verwickelt.
Ausbruch von Podemos aus dem Ein-Fünftel-Wählerkäfig?
Für Podemos bietet die politische Krise die Gelegenheit, aus dem Ein-Fünftel-Käfig, in dem sie die
Wähler dauerhaft einzusperren schien, auszubrechen. Die bisherige politische Landschaft Spaniens
verändert sich. Die angebliche bürgerliche Protestpartei hat sich als Begleiter der PP entlarvt. Über
der PP schwebt das Damokles-Schwert des Caso Gürtel und ob die Hoffnung auf Erfolge einer
neoliberalen Wirtschaftspolitik, für die Rajoy steht, dauerhaft ist, bleibt fraglich. Im benachbarten
Portugal ist sie schon gescheitert. Der Entwicklung innerhalb der PSOE kommt eine Schlüsselrolle
zu. Folgende Entwicklungen sind denkbar: 1. Sánchez gewinnt den Machtkampf gegen die
Parteispitze und bringt über die Urabstimmung die heute sozialdemokratische Partei auf
sozialistischen Kurs. Ein linker Block bildet sich zusammen mit Podemos und einigen
Abgeordneten aus den autonomen Provinzen. 2. Scheitert Sánchez dauerhaft wird der linke Teil der
PSOE, die ihr bisher die Treue gehalten hat, zu Podemos überwechseln, wenn nicht heute so dann
morgen. 3. Dies hätte zur Folge, dass die Regierung Rajoy die Unterstützung für ihre
Minderheitenregierung durch die Enthaltung der PSOE verliert und sich für die Zukunft nicht als
tragfähig für eine Regierungsstabilität erweist. Fiele dieser Shift nach links kräftig aus, hätte die
Linke die Mehrheit, denn sie stünde dann für weitere Teile der Wähler für Stabilität.
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Sánchez und Iglesias für einen dauerhaften demokratischen Sozialismus in Spanien
Sánchez und Iglesias einigt ein Fundament, auf dem der Aufbau eines demokratischen Sozialismus
in Spanien eine dauerhafte Chance hätte: die moralische und linke Wende in Spanien als die echte
Alternative zum bisherigen Polittheater einzuleiten. Eine klare Konfrontation gegen die momentane
Führung der PSOE ist ihr Weg. Aber bis Mitte Oktober wurde Iglesias Strategie von der Nummer
Zwei der Partei, Irigo Errejón angezweifelt. Zeitweise sah es aus, als würde Podemos selber es sein,
die in einem unzeitgemäßen inneren Machtkampf ihre Chancen verspielt. Wie das?
Der interne Kampf von Iglesias als prinzipieller Stratege und Errejòn als Pragmatiker
Zwischen dem Ersten und Zweiten der Partei schwelt schon seit langem ein interner Kampf um die
Führung. Wie meistens in solchen Fällen, ging es nicht nur um individuelle Machtkämpfe sondern
um einen unterschiedlichen Richtungsstreit: Hier Iglesias als der prinzipielle, langfristig denkende
Stratege, dort Errejón als der pragmatische Politiker. Errejón konnte darauf verweisen, dass Iglesias
prinzipielle Politik die Wähler bei den letzten Wahlen nicht umstimmen konnten. Den Konflikt
kann man als die klassische Konfliktlinie linker Parteien verstehen, in die auch die Linkspartei
verwickelt ist. Die Frage war, wie kommt Podemos aus seiner Ein-Fünftel-Stellung zur Macht? Ich
kann mich noch gut an die Zeit vor drei Jahren erinnern, als viele in Deutschland bei der ersten
Wahl unter Beteiligung von Podemos die Hoffnung, ja Erwartung hegten, dass Podemos das
Potential der griechischen Syriza-Partei hat und auf einen Schlag mehrheitsfähig wird. Daran
gemessen war das Ergebnis mit einem Fünftel enttäuschend. Andererseits stünde es einem Mitglied
der Linkspartei schlecht an, Podemos zu kritisieren, wenn die Linkspartei gerade mal die Hälfte der
Wähler von Podemos auf sich ziehen kann.
Dennoch ist es der Überlegung wert, warum Podemos nicht mehr Wähler auf sich gezogen hat,
obwohl Spanien eine weitaus größere ökonomische Krise als Deutschland bis heute zu verkraften
hat, mit seinen 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Fährt man über die Autobahn entlang der
südspanischen Küste, von Malaga nach Almaría, dort wo während des Spanischen Bürgerkrieges
Tausende von Flüchtlingen aus Malaga von den „Mauren“ Francos und von der Marine des
faschistischen Italiens zusammen geschossen wurden, trifft man nur auf ganz wenige 40-TonnerLastkraftwagen im Vergleich zu Deutschland. Das ist gut für die PKW-Fahrer und die Umwelt
schlecht aber für die Ökonomie, weil sie Ausdruck eines geringen Austauschs von Gütern ist,
wobei der Stand des spanischen Schienennetzes mit berücksichtigt werden muss, der noch
miserabler als der deutsche ist.
Dieser Bericht über das Oktober-Tollhaus des politischen Spaniens bis zum 1. Oktober gibt schon
eine Antwort. Sie ist – zugegeben - eine anrüchige, und könnte auch auf Deutschland passen. Wer
soll bei dem intransigenten Durcheinander, den der Kapitalismus anzettelt, einen kühlen Kopf
bewahren, wenn es um die Abwägung von politischen Ereignissen zueinander geht? Wer hat noch
die Übersicht über die Ränke und Spielchen von Parteien? Je mehr Parteien, desto
unübersichtlicher. Es liegt im Rahmen des Kapitalismus, dass auf seine Krise neue Protestparteien
entstehen, in Deutschland die AfD und in Spanien die Ciudadanos-Partei, wenn auch aus
unterschiedlichen Richtungen heraus. Strukturell gesehen, werden politische Prozesse komplizierter.
In der Abstimmung der Parteien untereinander werden die möglichen Ergebnisse unübersichtlicher.
Aber nur der, der einen inneren festen Fahrplan hat für eine dauerhafte Strategie wie Iglesias hat
die Chance richtig zu liegen. Iglesias Politik beruht auf eine überzeugende, auf Eindeutigkeit,
Moral, sozialistische Prinzipien ausgerichtete Haltung. Dazu gehört auch seine
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Überzeugung als Demokrat, dass den autonomen Katalanen das Recht zugesprochen werden muss,
über ihr eigenes Schicksal selber abstimmen zu können, wobei er wohl insgeheim hofft, dass die
Separatisten in einer Volksabstimmung keine Mehrheit erhalten werden, falls sie denn angesichts
des Widerstandes des spanischen Verfassungsgerichts denn käme.
Errejóns Position war hingegen, dass man einige bisher funktionierende Bündnisse mit der PSOE in
einigen Provinzen hat, die man auch nach dem 1. Oktober nicht gefährden sollte, auch wenn sie mit
dem konservativen Flügel der Sozialdemokratie abgeschlossen waren. An dieser opportunistischen
Haltung wollte er auch für einige Zeit nach dem 1. Oktober festhalten. Auf Länderebene hat man
zum Teil schon ein Stück Macht zusammen mit den Sozialdemokraten, von denen aus man die
Machtfrage auf nationaler Ebene stellen kann. Dass Errejón so pointiert auf die Freiheiten der
Provinzen – gegenüber der Zentrale - verwies, ist vielleicht auch im Zusammenhang mit dem
Kampf der beiden um den Vorsitz von Podemos in Madrid zu sehen. Dies war der Stand der Dinge.
Doch nach dem 1. Oktober musste er umdenken, das einige Zeit dauerte. Die Ironie der Geschichte
besagt, dass es Sánchez war, der Podemos vor einer zermürbenden Zerreißprobe bewahrte. Und nun
ist alles zum optimalen Möglichen zusammengefügt: Eine PSOE unter Sánchez, zusammen mit
Podemos unter Iglesias und einigen linken Gruppierungen der Autonomen hätten die Chance zur
Mehrheit, wenn nicht heute, weil ein Teil der PSOE-Abgeordneten noch Rajoy-hörig sind, dann
später, wenn sie den neoliberalen Kurs von Rajoy doch nicht weiter tragen können.
Post scriptum: Wo bleibt der Vergleich deutscher linker Politik mit der spanischen?
Und wo bleibt jetzt am Ende des Artikels der anvisierte Vergleich der Linken in Spanien und
Deutschland? Ich gestehe: Zu Anfang meiner Reise nach Spanien habe ich gedacht, dass die
ermüdenden Irrungen und Wirrungen der spanischen Politik der letzten 10 Monate weiter
fortdauern würden, und ich mich als Archäologe dem letzten Neandertaler in Gibraltar widmen
könnte. Die rasante Dynamik, die die Politik in Spanien seit dem 1. Oktober eingenommen hat, war
jenseits meiner Vorstellungen. Sie hat viele überrascht und einiges über den Haufen geworfen. Falls
es eine Lehre aus der Geschichte gibt, so die, dass sie zu vielen Überraschungen neigt. Eine
prinzipielle, beharrlich linke Haltung wie sie Sánchez und Iglesias aufweisen, kann die Geschichte
diese belohnen, muss es aber nicht. Aber nur über eine solche Haltung kann man den Zipfel der
Geschichte erfassen, die neue Möglichkeiten für die Politik öffnet.
Redaktionsschluss 27. Oktober 2016
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