Predigt über Lied 723: "Ich singe dir mit Herz und Mund" (Paul-Gerhardt-Lieder III) St. Mangen / Linsebühl, 8./9. September 2007; von Pfr. Stefan Lippuner Lesung: Matthäus 6,25-33 Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung? Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiss, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. Nun wollen wir uns mit dem Lied von Paul Gerhardt "Ich singe dir mit Herz und Mund" befassen, erstmals herausgegeben 1653 zusammen mit der Melodie von Johann Crüger, dem Kirchenmusiker in Berlin und Freund von Paul Gerhardt, die dieser aus dem 100 Jahre älteren Genfer Psalter übernommen und adaptiert hat. Wie manche andere Lieder von Gerhardt hat auch dieses sehr viele Strophen, nämlich 18 im Ganzen, allerdings sehr kurze. RG 723, Str. 1-18: 1. Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust; ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst! 2. Ich weiss, dass du der Brunn der Gnad und ewge Quelle bist, daraus uns allen früh und spat viel Heil und Gutes fliesst. 3. Was sind wir doch, was haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben werd? 4. Wer hat das schöne Himmelszelt hoch über uns gesetzt? Wer ist es, der uns unser Feld mit Tau und Regen netzt? 5. Wer wärmet uns in Kält und Frost? Wer schützt uns vor dem Wind? Wer macht es, dass man Öl und Most zu seinen Zeiten findt? 6. Wer gibt uns Leben und Geblüt? Wer hält mit seiner Hand den güldnen, edlen, werten Fried in unserm Vaterland? 7. Ach Herr, mein Gott, das kommt von dir, du, du musst alles tun; du hältst die Wach an unsrer Tür und lässt uns sicher ruhn. 8. Du nährest uns von Jahr zu Jahr, bleibst immer gut und treu und stehst uns, wenn wir in Gefahr geraten, treulich bei. 9. Du strafst uns Sünder mit Geduld und schlägst nicht allzu sehr, ja endlich nimmst du unsre Schuld und wirfst sie in das Meer. 2 10. Wenn unser Herze seufzt und schreit, wirst du gar leicht erweicht und gibst uns, was uns hoch erfreut und dir zur Ehr gereicht. 11. Du siehst dein Kind, wie oft es wein' und was sein Kummer sei; kein Tränlein ist vor dir zu klein, du hebst und legst es bei. 12. Du füllst des Lebens Mangel aus mit dem, was ewig steht, und führst uns in des Himmels Haus, wenn uns die Erd entgeht. 13. Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut! Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut. 14. Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil, dein Glanz und Freudenlicht, dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil, schafft Rat und lässt dich nicht. 15. Was kränkst du dich in deinem Sinn und grämst dich Tag und Nacht? Nimm deine Sorg und wirf sie hin auf den, der dich gemacht. 16. Hat er dich nicht von Jugend auf versorget und ernährt? Wie machen schweren Unglücks Lauf hat er zum Heil gekehrt. 17. Er hat noch niemals was versehn in seinem Regiment; nein, was er tut und lässt geschehn, das nimmt ein gutes End. 18. Ei nun, so lass ihn ferner tun und red ihm nicht darein; so wirst du hier in Frieden ruhn und ewig fröhlich sein. Liebe Gemeinde. Wir beschäftigen uns heute mit einem Lied, das nur so sprüht von Freude, Zuversicht und Gottvertrauen, sowohl durch die Melodie wie natürlich durch die Worte selber. Vielleicht denken Sie jetzt: "Schon wieder ein solches Lied!" Doch wir können gar nicht anders, denn alle Lieder von Paul Gerhardt, auch dort, wo sie von Not und Leiden sprechen, haben diesen Grundton der Dankbarkeit und des tiefen Vertrauens auf Gott. – Wie anders tönt das doch als das, was man manchmal oder oftmals von gewissen Mitmenschen zu hören bekommt, deren Leben (wie es scheint) nur aus Kummer und Sorgen, aus Jammern und Klagen besteht. So ist das ganze Lied ein einziger grosser Aufruf zum Dank und zum Vertrauen auf Gott, der uns versorgt, hilft und trägt im ganzen Leben. Schon in der ersten Hälfte des Liedes ist mit grosser Begeisterung die Rede davon, dass unser Gott ein Gott ist, der uns gibt, was wir nötig haben, und dass wir wirklich alles, was wir zum Leben brauchen, was unser Leben ausmacht, aus seiner Hand empfangen dürfen. In Strophe 3: "Was sind wir doch, was haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben werd?" – Nahrung dürfen wir vom himmlischen Vater empfangen: "Du nährest uns von Jahr zu Jahr" (Strophe 8), und in Strophe 5: "Wer macht es, dass man Öl und Most zu seinen Zeiten findt?" Worte, die auch bestens in einen Erntedank-Gottesdienst passen würden und durchaus der jetzigen Jahreszeit entsprechen. Gott sorgt auch für unsere Kleidung: "Wer wärmet uns in Kält und Frost?" (nochmals Strophe 5), aber auch für Güter anderer Art, zum Beispiel für Frieden: "Wer hält mit seiner Hand den güldnen, werten, edlen Fried in unserm Vaterland?" (Strophe 6), oder dass wir geschützt und bewahrt sein dürfen: "Du hältst die Wach an unsrer Tür und lässt uns sicher ruhn" (Strophe 7). – All das zeigt deutlich, wie gütig und grosszügig Gott zu uns Menschen ist und dass er wirklich (wie es in Strophe 2 heisst) "der Brunn der Gnad und ewge Quelle ist, daraus uns allen früh und spat viel Heil und Gutes fliesst." Und es geht noch weiter: Aus Gottes Hand kommt nicht nur die Versorgung unseres Lebens, nicht nur all das Gute und die positiven Erfahrungen, die unser Leben reich machen; auch die weniger schönen Dinge, auch Schweres, Notvolles darf in Gottes gütigen Händen aufgehoben sein. – So ist in Strophe 9 von der menschlichen Schuld die Rede, die immer wieder einmal unser Leben niederdrückt: "Du strafst uns Sünder mit Geduld und schlägst nicht allzu sehr, ja endlich nimmst du unsre Schuld und wirfst sie in das Meer." 3 Mit unserem Seufzen und unserer Not dürfen wir zu Gott kommen (Strophe 10): "Wenn unser Herze seufzt und schreit, wirst du gar leicht erweicht." Und auch unser Weinen ist dem himmlischen Vater nicht verborgen (Strophe 11): "Du siehst dein Kind, wie oft es wein' und was sein Kummer sei; kein Tränlein ist vor dir zu klein, du hebst und legst es bei." Überall also dürfen wir Gottes Fürsorge und Hilfe erfahren. Darum fragt Paul Gerhardt in der 16. Strophe: "Hat er dich nicht von Jugend auf versorget und ernährt? Wie manchen schweren Unglücks Lauf hat er zum Heil gekehrt." – So viel Gutes tut Gott für uns, seine Menschen! Unser ganzes Leben, mit allem, was wir brauchen und was wir erfahren, mit allem Auf und Ab, unser ganzes Leben liegt in den gütigen Händen unseres Vaters im Himmel. Da sollte doch die natürlich Reaktion darauf das sein, was in Strophe 13 unseres Liedes ausgedrückt ist: "Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut! Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut"; ein tiefes Vertrauen auf Gott also. Nur leider ist das nicht unbedingt die Lebenshaltung von allen Menschen. Ich habe es schon kurz erwähnt: Es gibt manche Menschen (und vielleicht gehören wir selber auch zu ihnen oder kennen zumindest diese Haltung auch in unserem eigenen Leben), es gibt manche Menschen, die statt Freude viel Kummer haben und oft jammern, deren Leben nicht von Vertrauen, sondern von Sorgen und Ängsten geprägt ist – von der Angst zum Beispiel, dass in dieser oder jener Situation etwas Schlimmes passieren könnte; von der Sorge, dass das Geld nicht reichen könnte, um am Ende des Monats alle Rechnung zu bezahlen; von der Angst, die Arbeit zu verlieren oder ein Opfer der steigenden Jugendkriminalität in unserer Stadt zu werden; von der Angst, dass wir wegen des Klimawandels noch mehr Überschwemmungen und schlechte Ernten erfahren müssen oder dass auch unsere Schweiz das Ziel von Terroristen werden könnte; und vieles mehr. – Lauter Sorgen und Ängste letztlich um unser Leben überhaupt. Wer kennt das nicht, zumindest in einem gewissen Mass? Es ist durchaus sehr menschlich, solche Ängste zu haben und sich von solchen Sorgen bestimmen zu lassen. Doch mal ehrlich: Was bringen sie uns letztlich, ausser dass sie unser Leben noch schwerer machen? "Was kränkst du dich in deinem Sinn und grämst dich Tag und Nacht?" fragt Paul Gerhardt in der 15. Strophe seines Liedes. In einem anderen bekannten Kirchenlied heisst es: "Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir machen unser Kreuz und Leid nur grösser durch die Traurigkeit." [RG 681,2] Und Jesus fragt in dem Text aus der Bergpredig, den ich vorgelesen habe: "Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?" [Matthäus 6,27] Sich Sorgen zu machen, sich zu ängstigen, ist zwar sehr natürlich und menschlich, und es findet sich sicher auch genügend Anlass dazu. Aber es ist zugleich etwas vom Schlimmsten und Destruktivsten im Leben eines Menschen, ganz besonders im Leben von jemandem, der sich als Christ versteht, der also zu Christus gehört und zum himmlischen Vater, der doch versprochen hat, für alles zu sorgen. Darum sagte Jesus: "Macht euch also keine Sorgen! Euer himmlischer Vater weiss, dass ihr das alles braucht." [Matthäus 6,31f.] Allerdings (das kenne ich aus eigener Erfahrung) ist das leider oft einfacher gesagt als getan. Denn Sorgen und Ängste können sich richtig festsetzen in unserer Seele, in unserem Herzen; sie können uns richtiggehend gefangen nehmen und innerlich auffressen. – Es gibt eine eindrückliche allegorische, also gleichnishafte Geschichte (die ich Ihnen jetzt nicht ganz vorlesen kann): die Geschichte von der Grossen Sorge, in der die Sorge personifiziert auftritt und einer kleinen Schwalbe, die sie fragt, wer sie sei, zur Antwort gibt: "Ich bin die Grosse Sorge, und ich bin überall zu Hause. Bei den Menschen am meisten. Ich liebe die Menschen. Am liebsten niste ich mich ein bei ihnen, denn sie sind treu und halten an mir fest, wenn sie mich einmal empfangen haben. Sie behalten mich wie einen Schatz, 4 und ich kann mich ausbreiten in ihnen und langsam verzehren, was in ihnen das Gute und das Beste ist, das Leben und die Gottesfreude." [Aus: Rainer Strunk, Das Gebet Jesu, Stuttgart 1988, S. 27-29] Sind das nicht erschütternde Worte? Und doch: Wie wahr oftmals! Sorgen und Ängste setzen sich fest in unserem Herzen, plagen uns Tag und Nacht, zerstören unser Leben. "Sorgt euch nicht um euer Leben!" sagte Jesus. Wie aber geht das, wenn die Grosse Sorge schon in unsere Seele hineingekommen ist? – Ich bin überzeugt, es gibt einen Weg. Aber dafür braucht es eine bewusste Entscheidung. Wir müssen bewusst aufhören, dauernd auf unsere sorgenvollen Gefühle zu achten und auf die Angst machenden Umstände zu schauen. Wir müssen uns bewusst entscheiden, immer wieder: "Ich will aufhören damit, mir Sorgen zu machen!" Wir müssen das tun, was Paul Gerhardt in Strophe 15 seines Liedes sagt: "Nimm deine Sorg und wirf sie hin auf den, der dich gemacht." Und das hat er ja direkt aus der Bibel genommen, aus 1. Petrus 5, 7: "Alle eure Sorgen werft auf Gott; denn er sorgt für euch!" Das ist überhaupt der Schlüssel zu einem Leben frei von Sorgen und Ängsten: "Alle eure Sorgen werft auf Gott; denn er sorgt für euch!" Wir können es nicht vermeiden, dass Sorgen kommen und Ängste uns befallen wollen. Es gibt wahrlich genügend Anlass dazu in unserer Welt und Zeit. Ich will also ja nicht behaupten, alle Ängste und Sorgen seien nur eingebildet; sie sind oftmals real. Aber entscheidend ist, wie wir mit ihnen umgehen. Wir können sie hegen und pflegen, können es zulassen, dass sie sich in unserem Inneren festsetzen und langsam, aber sicher unser Leben zerstören. Oder wir können sie möglichst von Anfang an loswerden, indem wir sie auf Gott werfen. Auch das ist eine bewusste Entscheidung, eine aktive innerliche Handlung: Ich nehme die Sorgen, die ich mir mache, und werfe sie auf Gott, lege sie ihm auf und (ganz wichtig) lasse sie dort; sie sollen nun seine Sorgen sein. Und Gott weiss am besten, was er damit tun soll und wie er für mich sorgen kann. Vielleicht mutet Sie das etwas komisch an, die Sorgen und Ängste auf Gott zu werfen. Ich möchte Sie einfach ermutigen: Probieren Sie es aus. Es funktioniert. Denn Gott, der himmlische Vater hat uns versprochen, dass er für uns sorgt in allen Bereichen, die unser Leben ausmachen, wenn wir auf ihn vertrauen. Darum nochmals der Aufruf Jesu: "Macht euch also keine Sorgen! Euer himmlischer Vater weiss, dass ihr das alles braucht." Eine Bemerkung möchte ich noch machen zu dem, was Jesus über die Vögel des Himmels und über die Lilien auf dem Feld sagte und dass wir uns wie sie keine Sorgen machen müssten. Es könnte da nämlich jemand zu Recht einwenden: "Wird da nicht ein etwas gar zu naives und sorgloses Leben im übertriebenen Sinn propagiert? Wie die Vögel und die Blumen nichts arbeiten, sich um nichts kümmern, nur so in den Tag hinein leben, von der Hand in den Mund, und einfach damit rechnen, dass dann schon einmal etwas zum Leben kommt – ist das nicht unverantwortlich sorglos?" Ich glaube nicht, dass es Jesus in diesem Sinn gemeint hat. Ich glaube nicht, dass er uns dazu aufrufen wollte, uns um nichts mehr im Leben zu kümmern und einfach nur in den Tag hinein zu leben. Das wäre in der Tat verantwortungslos, besonders wenn man eine Familie oder ein Geschäft hat und so auch für andere Menschen sorgen muss. – Darum: Wir sollen uns sehr wohl kümmern um die Dinge des Lebens, auch arbeiten für unseren Lebensunterhalt (das tun die Vögel des Himmels nämlich letztlich auch: sie müssen ihr Futter suchen). Aber (das ist das Entscheidende) wir sollen und müssen uns keine Sorgen und Ängste um unser Leben machen, wir müssen uns nicht von Sorgen und Ängsten plagen lassen. Die Haltung, die das Leben lebenswert und erfüllt macht, heisst: totales Vertrauen auf Gott. – Darum soll zum Schluss Paul Gerhardt nochmals zu Wort kommen: "Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut! Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut. / Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil, dein Glanz und Freudenlicht, dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil, schafft Rat und lässt dich nicht. / Was kränkst du 5 dich in deinem Sinn und grämst dich Tag und Nacht? Nimm deine Sorg und wirf sie hin auf den, der dich gemacht." [Strophen 13-15] AMEN