Tony Glaus, PD Dr. med. vet., Fokaler oder diffuser Schmerz

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Fokaler oder diffuser Schmerz – medizinische Aspekte
Tony Glaus, PD Dr. med. vet., Leiter Kardiologie Vetsuisse, Klinik für Kleintiermedizin Uni ZH.
Grundsätzliche Überlegungen zur Entstehung von viszeralem Schmerz
Schmerzen von viszeralen Strukturen ist schlecht lokalisierbar, unangenehm und assoziiert
mit Nausea und autonomen Symptomen. Der Schmerz strahlt oft aus und kann sich an
anderen Orten manifestieren.
Abdominale und intrapleurale viszerale Schmerzrezeptoren von Hohlorganen sind speziell
empfindlich auf Dehnung, also auf Organvergrößerung, Entzündung oder Hyperämie. Das
Ausmaß des mit Organomegalie assoziierten Schmerzes hängt von der Geschwindigkeit der
Schwellung und damit Dehnung ab. Geringgradige Dehnung kann sehr schmerzhaft sein,
wenn es schnell geht. Langsam entstehende massive Organomegalie kann sich demgegenüber
erst manifestieren, wenn die Organfunktion kompromittiert wird. Obwohl die meisten mit
Schmerz verbundenen Krankheiten sich in zusätzlichen mehr oder weniger Organ
spezifischen Symptome manifestieren, kann Schmerz das prädominierende Symptom sein.
Erkennung von Schmerz
Schmerz kann grundsätzlich in jedem Organ im Körper entstehen. Je nach Ort und
Grunderkrankung ist der Schmerz leicht zu erkennen und zu lokalisieren, oder aber es kann
äußerst schwierig sein zu erkennen, dass Schmerz das Problem des Tieres ist. Am einfachsten
ist meist muskulo-skelettaler Schmerz zu erkennen, weil bereits die kleinste Erkrankung zu
einer Lahmheit führt. Am schwierigsten zu erkennen dürften demgegenüber intrakraniale oder
intrapleurale Erkrankungen sein, v.a. wenn andere Krankheitssymptome fehlen. Bei vielen
anderen Entstehungsorten, wie intraabdominal, kann Schmerz zwar relativ einfach erkannt
werden, jedoch die spezifischere Lokalisierung auf ein Organ schwierig sein.
Schließlich kann Schmerz an einem Ort entstehen und an eine andere Stelle ausstrahlen.
Beispielsweise kann spinaler Schmerz als abdominaler Schmerz oder umgekehrt
missinterpretiert werden. In diesem Zusammenhang sind Prostataerkrankungen speziell
erwähnenswert, da ein Prostatakarzinom oder –abszess sich mit Paraparese und spinalem
Schmerz äußern können. Obwohl Prostataerkrankungen oft bei rektaler digitaler Palpation zu
erkennen sind, kann insbesondere ein Ca bei einem kastrierten Rüden nur eine recht
unscheinbare Prostatamegalie bewirken.
Um die klinischen Symptome assoziiert mit Schmerzen bei Hund und Katze besser zu
verstehen, ist es hilfreich, über seine eigenen Empfinden bei Schmerz nachzudenken,
beispielsweise Kopfweh, Schmerzen beim Atmen bei Bronchitis, Angina pectoris,
rheumatoide Schmerzen bei Wetterumschwung, oder, speziell schwierig, Schmerzen nach
Schleudertrauma. Letzteres ist beispielsweise so schlecht nachvollziehbar, dass betroffene
Patienten oft als Simulanten verdächtigt werden. Diese Leute können im Gegensatz zu Tieren
wenigstens ihren Schmerz beschreiben.
Lustlosigkeit, schlechte Laune, Bewegungsunlust, verminderter Appetit, Sich-Zurückziehen
von Lärm dürften auch beim Tier unspezifische Äußerungen von Schmerz sein. Schnelle
Kopfbewegungen verstärken oft Kopfweh, Druck auf den Kopf jedoch nicht unbedingt. (Ganz
abgesehen davon, dass Kopfweh durch x verschiedene auch extrazerebrale Ursachen wie
Zahnprobleme oder verkrampfte Halsmuskulatur ausgelöst werden kann.)
Bei unspezifischen Symptomen oder „Verhaltensänderungen“ sollte also zuerst intensiv eine
schmerzhafte Erkrankung gesucht werden, bevor das Tier in die „Psycho-Schublade“
geschoben wird.
Ursachen von Schmerz
Damit beim individuellen Patienten möglichst viele Schmerzursachen in Betracht gezogen
werden können, werden im Folgenden häufige Ursachen gruppiert nach Organlokalisation
tabellarisch aufgeführt.
Abdominaler Schmerz, “akutes Abdomen”
Peritoneum: Peritonitis, septisch oder chemisch infolge Perforation von Magen, Darm,
Gallenblase, Harnblase
Diaphragmalhernie
Umbilikal- oder traumatische Peritonealhernie mit eingeklemmtem, ischämischem Darm
Magendrehung, -ulkus, hochgradige Gastritis
Darm: Fremdkörper, Entzündung, Invagination, Ulkus
Pankreas: Pankreatitis, Karzinom
Leber: Hepatitis, Abszess, akute intrahepatische Blutung, sekundär zu Neoplasie, z.B.
Hämangiosarkom, oder Trauma,
Gallengänge: Obstruktion durch Steine, Cholezystitis
Milz: Torsion, akute intrasplenische Blutung
Nebennieren: Blutung, Nekrose
Nieren: Pyelonephritis, (Ureter-) Steine, Tumor; Urethra: Steine
Uterus: Pyometra
Prostata: Prostatitis, Prostata Ca; Hoden: Torsion, häufiger bei Kryptorchiden
Intrathorakaler Schmerz
Pleura: Pleuritis, meist septisch assoziiert mit FK; beim Mensch verursacht ein Thoraxdrain
extremen Schmerz.
Rippen: Fraktur, Tumor
Mediastinal: Pneumomediastinum, Blutung, z.B. nach Kumarinvergiftung,
Ösophagus: FK, Reflux Ösophagitis
Atemwege: Bronchitis
Herz: Angina pectoris, sehr schmerzhaft beim Mensch und typischerweise ausstrahlend zur
linken Axilla; in der Vet Med äußerst selten; Lungengefäßveränderungen bei Herzwurm
schmerzhaft?
Medizinische Ursachen für Skelettschmerz
Spinal: FK nach Inhalation und Perforation der Lunge und des Zwerchfells Wanderung
sublumbal; Diskospondylitis; Tumor, z.B. Myelom.
Orthopädisch: hypertrophe Osteodystrophie HOD, Polyarthritis, Osteomyelitis, pathologische
Fraktur
Varia
Obere Atemwege: Rhinitis, Sinusitis assoziiert mit Aspergillus, FK
Vaskulär: systemische arterielle Thrombose, nicht selten bei Katze zusammen mit
Kardiomyopathie; selten beim Hund, zusammen mit Protein-losing Nephropathie und
Enteropathy, Leishmaniose, Atherosklerose, Gefäßtumor.
Klinische Schmerzzeichen
Schmerz äußert sich mit allgemeinen typischen Zeichen wie Wimmern oder Schreien, für die
Lokalisation spezifischen Zeichen, und zusätzlichen unspezifischen systemischen Zeichen.
Schmerzzeichen nach Ursprung des Schmerzes
Skelett: Lahmheit auf einem Bein; Schmerzen an allen Beinen (Polyarthritis) äußert sich nicht
unbedingt in Lahmheit, sondern kurzen Schritten („auf Eiern“) oder Widerstand gegen
Bewegung (Aufstehen, Abliegen, Gehen); Palpationsschmerz bei (pathologischen) Frakturen.
Vertebral: krummer Rücken, steifer Hals beim Wenden oder Palpieren.
Abdominal: krummer Rücken, verspanntes Abdomen; ev. Schmerz auf Organ lokalisierbar
(Nieren, Leber); häufiger höchstens auf Gegend lokalisierbar (Epigastrium versus
Mesogastrium); Schmerz kann schwierig von Angstreaktion differenziert werden.
Kolon, anal, perianal, prostatisch: Tenesmus coli
Urogenital: Tenesmus vesicae, Pollakisurie
Weniger offensichtliche / unspezifische Schmerzzeichen
Neue Aggression gegen anderen Hund oder gegen Leute
Defensiv auf Berührung, z.B. Kopf
Verstecken
Nächtliche Unruhe, z.B. Möbel herumschieben
Leistungsschwäche
Hyperthermie / Fieber
Hecheln
Apathie
Inappetenz / Anorexie
Aufarbeitung Schmerz
Die exakte Untersuchung ist A-und-O jedes klinischen Problems. Die Untersuchung
beinhaltet die Beobachtung von Verhalten, Respiration, Haltung, Gang gefolgt von einer
exakten Palpation aller Körperteile. Wenn Schmerz auf eine Region lokalisiert werden kann,
wird die oben genannte Differentialdiagnose für diese Lokalisation bedacht und die
sinngemäßen weiteren diagnostischen Schritte eingeleitet und exakt beurteilt. Wenn der
Schmerz beispielsweise klinisch mit großer Sicherheit auf die Lumbalwirbelsäule lokalisiert
werden kann, werden Röntgenbilder dieser Region viel exakter und länger bezüglich der
genannten DD für spinale Schmerzen beurteilt (eben beispielsweise bezüglich einem
möglichen sublumbalen FK oder einer Diskospondylitis).
Diagnostische Überlegungen bei Verdacht auf abdominalen Schmerz:
Abdominaler Schmerz kann wie erwähnt multiple Ursachen haben. Somit muss einerseits
versucht werden, den Schmerz auf ein Organ zu lokalisieren und andrerseits die Art der
Organveränderung mittels Auffinden Organ spezifischer zu untersuchen. Die wichtigsten
Diagnostika sind Labor, Röntgen und Ultraschall. Neuerdings ist auch ein abdominales CT
ein sehr wertvolles Diagnostikum. Zusätzlich wird dann je nach Organ und
Verdachtsdiagnose eine Biopsieentnahme erfolgen.
Primär nützliche Tests je nach Organ:
Peritoneum, Peritonitis: Röntgen, Ultraschall (freie Flüssigkeit, Gas), Aspiration von
Flüssigkeit für Zytologie; falls septische Peritonitis  sehr schnell Probelaparotomie.
Diaphragmalhernie: Röntgen, ev. auch Ultraschall; Chirurgie (cave!: kongenitale peritoneoperikardiale Hernie kann ein irrelevanter Zufallsbefund sein).
Umbilikal- oder traumatische Peritonealhernie mit ischämischem Darm: Palpation; falls
sekundäre Peritonitis siehe oben.
Magen: Ulkus, hgr. Gastritis: Röntgen meist unauffällig, Ultraschall oft fehlleitende Resultate
(Über- und Unterinterpretationen); abdominaler Ultraschall für Magen eher per exclusionem
anderer Organe oder bei Perforation (Erguss, Gas); Verdacht Magen  Endoskopie; falls
Perforation mit Peritonitis, siehe oben.
Darm: FK, Ileus: Röntgen, teils auch Ultraschall nötig; Duodenalulkus: Röntgen und
Ultraschall unauffällig, falls keine Perforation; ev. hypomotiler dilatierter Darm im
Ultraschall; falls Perforation mit Peritonitis, siehe oben.
Pankreas: Pankreatitis, Karzinom: Labor, Amylase, Lipase (auch erhöht bei Azotämie;
manchmal bei Enteritis); ev. Röntgenhinweise für vergrößertes Pankreas; Ultraschall sehr
stark Operator-abhängig; CT, falls Zugang.
Leber: Hepatitis, Abszess, akute intrahepatische Blutung, sekundär zu Neoplasie, z.B.
Hämangiosarkom, oder Trauma: Laborhinweise: Enzyme, ALT für hepatozellulär, ALP für
biliär; Röntgen nicht sehr sensitiv außer Mikrohepatica oder Hepatomegalie; Ultraschall recht
sensitiv für fokale oder generalisierte Unterschiede in Echodichte; wobei generalisiert
veränderte Echodichte ziemlich unspezifisch; Biopsien unter Ultraschallkontrolle und nach
Gerinnungscheck.
Gallengänge: Obstruktion: Ultraschall, ev. mit Aspiration von Gallenblasengalle; falls
Hinweise für Galleperitonitis: Probelaparotomie.
Milz: Torsion, akute intrasplenische Blutung: Röntgen für Splenomegalie oder Verlagerung;
Ultraschall für fokale oder diffuse Veränderungen; cave: auch wenn Milzmassen meist
maligne sind, benötigt definitive Diagnose Tumor versus Kein-Tumor eine Histologie, d.h.
Laparotomie.
Nebennieren: Blutung, Nekrose: falls Hypoadrenokortizismus verursachend: typische
Laborveränderungen Hyponatriämie, Hyperkaliämie; falls assoziiert mit
Nebennierenneoplasie: klinische Zeichen von Hyperadrenokortizismus und
Laborveränderungen mit erhöhten ALP, Cholesterin und Stress Leukogramm; Röntgen
unempfindlicher Test, Abdomenultraschall sehr sensitiv und recht spezifisch, aber sehr stark
Untersucher abhängig; CT falls verfügbar; spezifische Labortests für
Hyperadrenokortizismus, respektive Phaeochromozytom.
Nieren: Pyelonephritis, (Ureter-) Steine: Harnanalyse mit Kultur; Röntgen, besser Ultraschall
für Konkremente und Nierenbeckenerweiterung, typischer subkapsulärer Ring bei
Lymphosarkom; Pyelozentese falls erweitere Becken, negative Harnkultur und Verdacht
Pyelonephritis.
Urethra: Steine: klinischer Verdacht, Katheterisierung, Röntgen, ev. Ultraschall.
Uterus: Pyometra: typische Klinik mit PU/PD einige Wochen nach Läufigkeit;
Vaginalausfluss; Ultraschall;  Laparatomie.
Prostata: Prostatitis, Karzinom: Röntgen für Skelettmetastasen, Prostatamegalie;
Prostatamassage; Ultraschall mit Biopsie.
Hoden: Torsion: Palpation; kryptorchider Hoden: Ultraschall.
Intraabdominaler Schmerz, aber kein Fokus mittels Röntgen und Ultraschall erkennbar: CT.
Intrathorakaler Schmerz
Pleura: Pleuritis: Röntgen; Pleurozentese für Zytologie + Kultur; + Ultraschall; Exploration,
falls starker Verdacht auf FK.
Rippen: Fraktur, Tumor: Röntgen.
Mediastinal: Pneumomediastinum, Blutung, z.B. Kumarinvergiftung: Röntgen,
Koagulationstests.
Ösophagus: FK, Refluxösophagitis: Endoskopie.
Atemwege: Bronchitis: Röntgen, Bronchoskopie, Wash für Zytologie und Kultur.
Skelettschmerz
Subspinaler FK: klinischer Verdacht (lokalisierter Schmerz, erhöhte Temperatur, chronisch
progressiv), Röntgen, braucht jedoch hohen Verdachtsmoment, um spinale Veränderungen zu
erkennen; abdominaler / retroperitonealer Ultraschall; CT.
Spinale Neoplasie, Myelom: Laborveränderung monoklonale Gammopathie; radiologische
typische lytische Veränderung; Aspirationszytologie der Läsion; Knochenmarkzytologie.
Orthopädisch: Hypertrophe Osteodystrophie: klinischer Verdacht, junger wachsender Hund,
sehr krank als ob septisch, Metaphysenschmerz; typische Röntgenveränderungen.
Polyarthritis: Klinischer Verdacht, typischer Gang mit kurzen Schritten, erhöhte
Rektaltemperatur, meist (aber nicht immer) angefüllte Gelenke; Arthozentese.
Pathologische Fraktur: Diagnose der Fraktur simpel; Röntgen zur Erkennung abnormaler
Knochenstruktur, fokal falls Tumor assoziierte Fraktur, diffus falls metabolisch bedingte
Fraktur, spez. Sekundärer renaler oder nutritiver Hyperparathyroidismus; Laborveränderung
Hypokalzämie und Hyperphosphatämie bei sekundärem Hyperparathyroidismus.
Varia
Obere Atemwege: Rhinitis / Sinusitis infolge Aspergillose oder FK: lokale klinische Zeichen,
CT und Endoskopie inkl. Biopsien und Pilzkultur.
Vaskulär bedingter Schmerz: Arterienthrombose; kein Puls, kalte Extremität, Mono- oder
Paraplegie, stark erhöhte Serum-CK, beim Hund Laborveränderungen der Grundursache (z.B.
Hypoalbuminämie, Proteinurie).
Zusammenfassung:
Extrem viele Erkrankungen können Schmerz als Teil der Symptomatik haben; teils ist
Schmerz das prädominierende Problem. Die Erkennung von Schmerz kann jedoch
insbesondere bei Katzen sehr schwierig sein. Sogenannte Verhaltensstörungen oder
unspezifische Befunde wie Apathie und Anorexie können rein Schmerz bedingt sein. Die
Differentialdiagnose solcher diffuser Veränderungen umfasst praktisch die gesamte Medizin,
Orthopädie und Neurologie. Die macht das Leben des Klinikers demzufolge sehr schwierig.
Von zentraler Bedeutung ist (selbstverständlich und banal) eine sehr gute Beobachtung des
Patienten und eine sehr exakte geduldige klinische Untersuchung.
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