Prof. Dr. Wjatscheslaw Daschitschew Stalins Deutschlandpolitik 1945-1952 Motive Stalins in der Deutschlandpolitik Mit diesem viel umstrittenen Thema habe ich mich schon in mehreren Publikationen auseinandergesetzt1. In der westlichen und russischen Geschichtsschreibung gibt es eine große Palette von Meinungen, Auffassungen und Deutungen der Hintergründe der manchmal schwer erklärbaren Wenden und Zickzackkurse in der damaligen Deutschlandpolitik Moskaus. Das liegt vor allem daran, daß es an zuverlässigen Dokumenten fehlt, die ermöglichen könnten, den Sinn der persönlichen Entscheidungen Stalins festzustellen. Im Unterschied zu Hitler, in dessen Hauptquartier seine Lagebesprechungen, Aussagen, Befehle und Weisungen protokolliert worden waren, hinterließ Stalin den Historikern keine Akten und Belege solcher Art. Es scheint, als ob er die Geheimnisse seiner Deutschlandpolitik mit ins Grab genommen hätte. Zu einer relativ schlüssigen Einschätzung kann jedoch eine vergleichende Analyse seiner Denk- und Handlungsweise, seiner außenpolitischen Auffassungen von dem Kräftespiel auf dem europäischen Kontinent und von der Rolle Deutschlands in diesem Kräftespiel verhelfen. Ausgehend aus seinem kommunistischen Sendungsbewusstsein und dem Ziel, das sowjetische System in Europa auszuweiten, betrachtete Stalin Deutschland als ein genehmes Werkzeug zur Erreichung dieses Ziels. Aus dem Programmwerk Hitlers „Mein Kampf“ war ihm sehr gut bekannt, daß der „Führer“ entschlossen war, im Falle eines neuen europäischen Krieges den ersten strategischen Blitzschlag gegen den Westen (Frankreich) zu versetzen, um sein Hinterland für den Feldzug gegen Russland freizumachen und die Notwendigkeit des Kampfes an zwei Fronten auszuschalten. Das veranlaßte Stalin, in den für Deutschland kritischen Jahren 1930-1933, als das Schicksal des Landes im harten innenpolitischen Kampf entschieden werden sollte, günstige politische Verhältnisse für Hitler in seinem Streben nach der Machergreifung zu schaffen. Gemäß der von ihm für die KPD festgelegten Taktik mußten nicht die Nazis, sondern Sozialdemokraten („Sozialfaschisten“) als Hauptfeinde betrachtet und behandelt werden. Nicht selten kamen die Kommunisten und Nationalsozialisten zu gemeinsamen Aktionen Siehe, z. B.: Aspekte der sowjetischen Politik in der deutschen Frage nach dem Krieg. Im Sammelband „Als der Krieg zu Ende war – 40 Jahre danach“, Düsseldorf, 1986; Deutschland in der Politik Stalins. In der Zeitschrift „Deutschland Archiv“, 3/2003; Die deutsche Frage in dem Nachkriegseuropa. In: „Mittelöstliches Europa in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts“ in drei Bänden, Bd. I, Moskau, Akademieverlag „Nauka“, 2000, S. 233-250; Deutschland im sowjetisch-euroatlantischen Kräftespiel. Ein Kapitel in meinem Buch „Moskaus Griff nach der Weltmacht“, Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg, 2002, S. 289-298 u. a. 1 2 gegen die Sozialdemokraten. Das erleichterte Hitler wesentlich, an die Macht zu kommen. So begann der Amoklauf zum zweiten Weltkrieg, mit dem Stalin viele „revolutionäre“ Hoffnungen verband. Die logische Folge dieses politischen Konzepts von Stalin war die Unterschreibung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes im August 1939, der das grüne Licht für Hitler zur raschen Niederwerfung Polens und zum Feldzug gegen Frankreich gab. So verhalf Stalin, den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln. Er glaubte, die deutsche Wehrmacht und die französische Armee werden an der Maginot-Linie in langwierige Kämpfe hineingezogen und verbluten. Danach könnte die Sowjetunion europäischen Ländern ihren messianischen kommunistischen Willen diktieren. In diesen Kalkulationen verrechnete sich Stalin fatal. Im Westen kam es nicht zu zermürbenden, lang dauernden Kämpfen. Frankreich wurde in einem siegreichen Blitzfeldzug in die Knie gezwungen. Danach wandte sich Hitler gegen die Sowjetunion, deren Streitkräfte durch die stalinistischen „Säuberungen“ in den 30er Jahren ihre Kampffähigkeit und Kampfbereitschaft eingebüßt hatten. Über 40 Tausend höhere Offiziere wurden während dieser „Säuberungen“ erschossen. Für den „Drang nach dem Osten“ eröffneten sich für Hitler verlockende Aussichten. In seinen heimtückischen strategischen Kalkulationen verrechnete sich Stalin fatal. Er musste auch für seine Säuberungsaktionen und Verbrechen gegen das eigene Volk büssen. In Zusammenhang mit den Plänen Stalins, die deutsche Wehrmacht gegen den Westen aufmarschieren zu lassen, blieb in meinem Gedächtnis eine Episode, über die mir Oberst Kononenko, mit dem ich in der Zeitschrift „Militärwissenschaft“ (Wojennaja mysl) in den 1950-er Jahren zusammengearbeitet hatte, erzählte. Am 14.Mai 1940 veröffentlichte er in der Zeitschrift „Krasnaja swesda“ (Roter Stern) einen Artikel, in dem es hieß, die deutsche Wehrmacht hätte die Magino-Linie durchbrochen. Am gleichen Tag erschienen in der Zeitungsredaktion, wo Kononenko die Abteilung „Fremde Heere“ leitete, zwei Zivilisten, die sich als NKWD-Mitarbeiter vorstellten und ihn aufforderten, ihnen zu folgen. Draußen erwartete sie ein Auto. Kononenko dachte, er wäre verhaftet und bedauerte sehr, dass er den kleinen Koffer mit notwendigen Sachen, die für diesen Fall bei den meisten sowjetischen Offizieren immer zu Hause zur Verfügung standen, in die Redaktion nicht mitnahm. Wie groß aber sein Erstaunen war, als er in den Kreml gefahren und direkt in das Arbeitszimmer von Stalin eingeführt wurde. Stalin sah ihn an und, ohne begrüßt zu haben, fragte: „Ist es wahr, daß die Deutschen die Magino-Linie durchbrochen haben?“. Kononenko antwortete bestätigend, obwohl das nicht stimmte, denn die Magino-Linie ist von den Deutschen durch Holland und Belgien umgangen worden. Ihm fiel auf, wie seine 3 Antwort Stalin in eine große Bestürzung brachte. Ratlos flüsterte er vor sich hin: „Was werden wir jetzt tun?“. Dann sagte er: „Sie sind frei“ und ließ ihn in die Redaktion zurückbringen. Diese kleine, aber viel sagende Episode verdeutlicht sehr anschaulich, welche Absichten Stalins hinter dem Pakt mit Hitler steckten. Interessenlage der Westmächte In dem Kräftespiel in Europa vor 1939 trugen die Westmächte nicht minder als Stalin zur Ergreifung der Macht durch Hitler und zur Entfesselung eines europäischen Krieges bei. Die herrschenden Kreise der Finanzoligarchie in den USA waren an solch einem Krieg sehr interessiert. Für sie war es wichtig, die Europäer entscheidend zu schwächen und die Bedingungen für die amerikanische Hegemonie in der Welt zu schaffen. Das war einer der wichtigsten Gründe, warum die Finanzmagnaten, vor allem die großen Bankhäuser wie Warburg und Deterding massiv die Hitlerbewegung in den 30er Jahren finanzierten2. Sie träumten davon, die Aggressivität Hitlers nach Osten zu kanalisieren. 1935 bewunderte Winston Churchill die Erfolge von Hitler und schrieb über ihn wie folgt: „Die Geschichte ist reich an Männern, die mit Hilfe dunkler Taten an die Macht gekommen sind, die aber, wenn man ihr Leben in seiner Gesamtheit betrachtet, trotzdem als große Gestalten gelten dürfen, die die Geschichte der Menschheit bereichert haben. Ein solcher Mann könnte Hitler sein…“. Der Historiker Leo Sievers hat zurecht hervorgehoben, daß Churchill dieses Loblied in dem Glauben geschrieben hätte, in dem erklärten Anti-Marxisten Hitler einen Verbündeten im Kampf gegen die Sowjetunion gefunden zu haben3. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges traten unterschiedliche Tendenzen im Herannahen der Westmächte und der Sowjetunion an die deutsche Frage in Erscheinung. Während Stalin, seinen heimtückischen Plänen treu und gar nicht durch die Achtung für die Deutschen bewegt, die Formel „Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt bestehen“ proklamierte, gingen die herrschenden Kreise der USA und Englands davon aus, daß das ganze deutsche Volk an den Verbrechen der Hitlerclique die kollektive Schuld trüge und daß die Macht Deutschlands für immer gebrochen werden müsse. Deswegen weigerten sie sich, die deutsche Opposition gegen Hitler und jeden Machtwechsel in Deutschland zu unterstützen und vereinbarten in Casablanca im Januar 1943 die Formel der „bedingungslosen Kapitulation“. Die Politik der USA fand ihren Niederschlag in dem 2 Siehe unter anderem: Sidney Warburg. Die Geldquelle des Nationalsozialismus. Drei Gespräche mit Hitler. Amsterdam, 1933 und 1994. 3 Sievers Leo. Deutsche und Russen. Tausend Jahre gemeinsame Geschichte von Otto dem Großen bis Gorbatschow. Hamburg, 1991, S. 438. 4 „Morgentau-Plan“ der Agrarisierung Deutschlands. Es kam so weit, dass der amerikanischen Administration der Plan vorgelegt worden war, das deutsche Volk total zu sterilisieren, damit Deutschland von der europäischen Karte in 50-70 Jahren verschwinden müßte. Nur die Nachkriegskonfrontation mir der SU zwang Washington, auf diese Pläne zu verzichten. Verderbliche Folgen der Beschlüsse von Potsdam Während des „Kuhhandels“ auf der Potsdamer Konferenz versuchte Stalin, die Westmächte zu bewegen, eine einheitliche deutsche Administration für ganz Deutschland zu etablieren. Daraus kann man seine „deutsche Tendenz“ und seine Überzeugung ersehen, zwischen Deutschland und dem Westen würden früher oder später „imperialistische Gegesätze“ entbrennen, die der Kreml zu seinen Gunsten implementieren könnte. Die USA und England dagegen zogen vor, Deutschland in Besatzungszonen zu zerstückeln und ihm nicht erlauben, einen „deutschen Talleyrand“ zu haben. Es war für sie nicht schwer, Stalin von seinem Nachdruck in dieser Forderung abzubringen. Zum Beispiel die Teilung Europas in Einflusssphären zwischen Hitler und Stalin 1939 nicht anerkennen und so Osteuropa dem sowjetischen Zugriff zu entziehen versuchen. Der anglo-amerikanischen Formel - Deutschlands Macht zu brechen – beinhaltete ihre Zustimmung für die Abtretung bedeutender östlicher Gebiete vom deutschen Territorium. Die Folge war die Vertreibung von 12 Millionen Deutschen von ihrem Heimatland. Das war eine unmenschliche, grausame und völkerrechtswidrige Tat. Wie schwer der Krieg für die Sowjetunion auch immer gewesen war, durfte Stalin die Änderung der staatlichen Grenzen Deutschlands im Osten nicht zulassen. In Potsdam hat Stalin seine Formel „Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt besehen“ vergessen. Imperiales Denken hat bei ihm die politische Vernunft und Weitsicht überwogen. Die amerikanischen und englischen Politiker freuten sich, zwischen Russland und Deutschland im weiteren Verlauf der Ereignisse Keile treiben zu können. Das Potsdamer Abkommen war für die US-Politik höchst vorteilhaft, für die nationalen Interessen Russlands - sehr nachteilig. Es brachte die Spaltung Europas und Deutschlands, die Ost-West-Konfrontation, das Wettrüsten, eine ständige Gefährdung der Sicherheit und des Friedens in Europa, die Ablenkung der materiellen und geistigen Ressourcen der Sowjetunion von der Erfüllung weit wichtigerer Aufgaben im Inneren des Landes. Für Deutschland war es viel schlimmer als der Vertrag von Versailles. Optionen der sowjetischen Deutschlandspolitik 5 Nach dem Kriegsende wurde die deutsche Frage zum Angelpunkt der sowjetischen Europapolitik. In der führenden sowjetischen Elite gab es in den ersten Nachkriegsjahren unterschwellige Kontroversen um die Zielsetzungen der Politik gegenüber Deutschland4. Einem Forscher fällt auf, daß die Einstellung des Kremlherrschers Stalin und seiner Riege zu dieser Frage durch gewisse Schwankungen, innere Widersprüche und Zweifel gekennzeichnet war. Dies läßt sich aus der sowjetischen Außenpolitik in den Jahren 1945 bis 1952 ablesen. Einerseits liegt es auf der Hand, daß sich der Kreml in diesem Zeitraum für die Einheit Deutschlands einsetzte, was in der so genannten Stalin-Note an die Westmächte vom 10. März 1952 gipfelte. Andererseits gab es in dieser Zeit Anzeichen für die Absicht Moskaus, Ostdeutschland vom Westen abzuschotten. Was waren also die wirklichen Zielsetzungen Stalins, der die sowjetische Politik als ein uneingeschränkter Diktator gegenüber Deutschland bestimmte? Professor Gerhard Wettig – einer der besten deutschen Kenner der sowjetischen Deutschlandpolitik dieser Periode – stellt die Frage: „War Stalin bereit, Deutschlands Einheit in Freiheit zu gewähren?“. In seinem Buch gibt er darauf eine eindeutig negative Antwort5. Die Frage könnte jedoch auch anders formuliert werden: „War Stalin bereit, Deutschlands Einheit unter den Prämissen seiner Neutralität und seiner Freiheit anzuerkennen?“. In diesem Fall wäre die Antwort aus meiner Sicht nicht so eindeutig negativ. Gerhard Wettig schreibt richtig von einem „inneren Spannungsverhältnis“ der Ziele Stalins in Bezug auf Deutschland. Er meint, es gälte für ihn, das westdeutsche Potential zu paralysieren und aus dem besiegten Deutschland eine Bastion des Sozialismus zu machen. Beide Ziele hätten unverbunden nebeneinander gestanden6. Obwohl diese widersprüchlichen und realitätsfernen Zielsetzungen die Planung der sowjetischen Deutschlandpolitik wirklich beeinflußten, gab es für Stalin andere, noch gewichtigere Faktoren, die er einzukalkulieren gezwungen war. Es handelte sich um die geopolitischen und geostrategischen Überlegungen, die vorwiegend mit der Politik der USA verbunden waren. Wie würden sich die Amerikaner zum sowjetischen Vordringen Alexej Filitow. Stalins Deutschlandplanung und – Politik während und nach dem Zweiten Weltkrieg. In: 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis. Hrsg. von Boris Messner und Alfred Eisfeld. Duncker & Humblot Berlin 1999, .S. 43-55. 5 Gerhard Wettig Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschlandpolitik 1945-1955. Olzog Verlag, München 1999 6 Gerhard Wettig. Stalins Deutschlandpolitik 1945-1953: Kontinuität und Wandel. In: 50 Jahre sowjetische und russische Deutschlandpolitik S. 15. 4 6 nach Zentraleuropa verhalten? Könnte man hoffen, daß sie bereit wären, wie seinerzeit Hitler, mit der Sowjetunion Europa in Einflußsphären aufzuteilen? Sehr bald nach dem Kriegsende konnte sich Stalin vergewissern, daß die USA gewillt waren, gegen die sowjetische Vormachtstellung in Ostmitteleuropa zu kämpfen. Mitte 1947 stand für Stalin fest, daß sich Washington anschickte, eine große antisowjetische Koalition aufzubauen, die für die Sowjetunion eine tödliche Gefahr bedeuten könnte, besonders wenn Westdeutschland darin eingegliedert würde. So mußte Stalin zwischen zwei Zielsetzungen wählen: entweder die Sowjetisierung des östlichen Teils Deutschlands voranzutreiben oder der Herausbildung einer sowjetfeindlichen Weltkoalition vorzubeugen. Es war unmöglich diese beiden Ziele gleichzeitig zu verfolgen. Hinsichtlich der Prioritäten war die zweite Zielsetzung für die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion viel bedeutsamer. Das kommunistische Sendungsbewußtsein der sowjetischen Deutschlandpolitik geriet also in einen tiefen Gegensatz zu geopolitischen Realitäten, die für die Sowjetunion im Falle ihrer Expansion nichts Gutes verhießen. Stalins Deutschlandpolitik in dem Zeitraum 1945 bis 1952 könnte man als Lavieren zwischen diesen zwei Zielsetzungen definieren. Er war bestrebt, mit den Westmächten so lange wie möglich bei der Lösung gesamtdeutscher Fragen zusammenzuarbeiten und sein aus der Nachkriegsregelung resultierendes Mitspracherecht in Bezug auf Westdeutschland aufrechtzuerhalten. Dem liefen aber viele Maßnahmen der sowjetischen Politik in Ostdeutschland, die den Beigeschmack des sowjetischen Totalitarismus und der Sowjetisierung hatten, zuwider. Im Hinblick auf die Durchsetzung seiner Ziele war Stalin bestrebt, die Bevölkerung beider Teile Deutschlands auf die Seite der Sowjetunion zu ziehen. Dies wollte er hauptsächlich durch die Ausspielung der nationalen Gefühle der Deutschen erreichen. Aber außer dem Slogan der Einheit Deutschlands konnte er ihnen nichts darbieten – weder politisch, noch wirtschaftlich, noch sozial, noch moralisch. Nach der Berlin-Blokade 19481949, die die wahren Herrschaftspläne und Gewaltmethoden Stalins entblößte, hatte sich der Spielraum der sowjetischen Politik bezüglich der Beeinflußung der deutschen Bevölkerung sehr stark eingeengt. Mit dieser und anderen Gewaltaktionen auf dem deutschen Boden trieb Stalin die Deutschen in die Arme der USA und ihrer Verbündeten. Die Archivdokumente verdeutlichen, daß Stalin anfangs zwischen drei Optionen der Deutschlandpolitik, die von den sowjetischen außenpolitischen Experten ausgearbeitet worden waren, - ein „sozialistisches Teil- oder Gesamtdeutschland“, „harter Frieden u nd 7 Konfrontation“ oder ein „bürgerlich-demokratischer Staat“ - die letztgenannte Option bevorzugte7. Das erklärt, warum im Aufruf des ZK der KPD vom 11. Juni 1945 festgestellt wurde, „daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, (...) daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarischen demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das deutsche Volk“8. Hat Stalin den Gefahren der westlichen Reaktion auf die Sowjetisierung Deutschlands damals Rechnung getragen? Wollte er dieses Problem mit Vorsicht behandeln, um den Westen nicht zu reizen und nicht zu provozieren? Oder trugen die Ideen einer bürgerlichdemokratischen deutschen Republik einen rein propagandistischen Charakter? Ich glaube, Stalin neigte anfangs immerhin zur Idee eines bürgerlich-demokratischen Deutschland. Das findet in vielen Akten der damaligen sowjetischen Deutschlandpolitik seinen Ausdruck, beispielsweise in dem von der Sowjetunion der Moskauer Außenministerkonferenz politischen und im März 1947 vorgelegten Plan zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands. Darin war die Rede von der „Beibehaltung der bestehenden gesellschaftlich-ökonomischen Verhältnisse des deutschen Einheitsstaates“, d. h. von der geeinten bürgerlich-demokratischen deutschen Republik9. Aber wie konnte man erklären, daß fast gleichzeitig mit der Tagung dieser Außenministerkonferenz Anton Ackermann im November 1947 in der SED - Zeitschrift „Einheit“ verkündete: Als Vorbild für die Entwicklung Ostdeutschlands müsse die Sowjetunion dienen, und die frühere Richtlinie des KPD-Programms sei falsch gewesen? Aus meiner Sicht spiegelte dies Schwankungen innerhalb des politischen Establishments der Sowjetunion wider. Stalin war sich nicht sicher, ob es überhaupt gelingen könnte, ganz Deutschland, wenn es zu einer bürgerlich - demokratischen Republik würde, aus der Dominanz der USA herauszuhalten. Die Deutschlandpolitik der Westmächte formierte sich unter der Einwirkung einer tiefen Antipathie und eines Mißtrauens gegenüber dem totalitären Regime Stalins, das von Geheimnissen des Kreml umhüllt war. Diese Politik war durch die Angst vor seinem Terrorapparat, seiner Expansionssucht und seiner Militärmacht durchdrungen. 7 Alexej Filitow, ebenda, S. 54 Zitiert nach: Zur Geschichte der neuesten Zeit. Die Niederlage Hitlerdeutschlands und die Schaffung der antifaschistisch - demokratischen Ordnung. Bd. I, Berlin 1955, S. 375 9 Die Geschichte der Außenpolitik der Sowjetunion, Moskau 1981, Bd. 2, S.76. (Russisch) 8 8 Es gab noch einen weiteren gravierenden Gegensatz zwischen der Sowjetunion und dem Westen in ihrem Herangehen an Deutschland. Es handelte sich um einen untrennbaren geopolitischen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der deutschen Frage und der sowjetischen Politik in Osteuropa. Die Herrschaft der Sowjetunion über die osteuropäische Region - neben anderen Gründen - erlaubte nicht, eine gemeinsame Politik mit den Westmächten gegenüber Deutschland zu betreiben und gemeinsame Lösungen zu finden. Denn der sowjetische Verzicht auf die Dominanz in Osteuropa war damals eine unabdingbare Voraussetzung für das Einlenken der Westmächte in der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als eines souveränen neutralen Staates. Waren sich Stalin und seine Umgebung darüber im klaren? Es ist schwer zu sagen. Die sowjetische Note an die Westmächte vom März 1952 läßt allerdings daran zweifeln. Die Westmächte sichern Ihre Interessen in Deutschland ab In der nach dem Krieg entstandenen Lage in Europa, gekennzeichnet durch das offensive Handeln Moskaus, waren die USA und westeuropäische Länder gezwungen, ihre Interessen gegen die sowjetische Expansion abzusichern und die Spaltung Deutschlands zu beschleunigen. Im Dezember 1946 vereinigten die USA und England ihre Besatzungszonen in der Bizone, deren Handel vom Januar 1947 auf die Dollarbasis gestellt wurde. Mitte 1947 entstand in der Bizone eine separate Administration. Frankreich, das jede Zentralisierung der Macht in Deutschland befürchtete und ablehnte, weigerte sich zuerst, sich an die Bizone anzuschließen. Aber nach dem kommunistischen Umsturz in Prag am 25. Februar 1948 willigte es ein, eine einheitliche Westzone (Trizone) zu schaffen. Auf der Londoner Konferenz der Westmächte und der Benelux-Länder (Februar bis Juni 1948) wurde vereinbart, eine gemeinsame Verwaltung für drei Zonen als eine politische und wirtschaftliche Einheit zu bilden. Das bedeutete faktisch die Entstehung eines separaten westdeutschen Staates. Im Mai-Juni 1948 wurde in Westdeutschland die Währungsreform durchgeführt. Das hat Deutschland wirtschaftlich geteilt. George Kennan, der damals Direktor des Planungsstabes des US-Außenministeriums war, hatte Vorbehalte gegen die Spaltung Deutschlands. Als Folge dessen befürchtete er die Teilung des Kontinents, die Verschärfung des Kalten Krieges und die Verstärkung der gefährlichen Atomrüstung. Seine Ansichten wurden weder von Dean Acheson, noch von John Foster Dulles, noch vom General Lucius Klay und dem Pentagon geteilt. Auch die Franzosen und Briten sowie Konrad Adenauer waren dagegen. „Übrigens - schreibt Kennan - schätzte ich die Ansichten jener guten Freunde nicht gering. Viele von ihnen fürchteten ein geeintes Deutschland mehr als die Konsolidierung der sowjetischen Macht 9 in der östlichen Hälfte Mitteleuropas. Sie glaubten, jeder Versuch einer Verständigung mit Moskau über einen beiderseitigen Abzug der Besatzungstruppen aus der Mitte Deutschlands und die daraus zu erwartende politische Aufwertung des Landes könnte die westliche Allianz entzweien und Anlaß zu neuer Instabilität werden. Sie hielten es für sicherer, jedenfalls einstweilen, die politischen Unbequemlichkeiten und Unsicherheiten eines geteilten Europas in Kauf zu nehmen, hoffend, daß die wachsende militärische Macht des Westens eines Tages eine europäische Lösung nach westlichen Vorstellungen gestatten würde - eine Lösung, so müßte man folgern, bei der die Sowjets ihre Streitkräfte einseitig abziehen und zulassen würden, daß diese Region der Bundesrepublik angeschlossen und Mitglied der Nato würde“10 So wurde allmählich die Spaltung des Landes zustande gebracht. Vier Jahre nach dem Krieg entstanden auf dem deutschen Boden zwei deutsche Staaten, die an die zwei sozialpolitischen Systeme und an ihre Zentren - Moskau und Washington - gebunden waren. Ungleicher Wettkampf zwischen beiden deutschen Staaten Im Unterschied zur DDR erlangte die Bundesrepublik unvergleichbar größere Vorteile in dem wirtschaftlichen und technologischen Bereich und dementsprechend im Lebensstandard der Bevölkerung. Zunächst einmal war das mit der Hilfe für Westdeutschland seitens der USA verbunden. Washington verzichtete auf die Pläne der Agrarisierung Deutschlands, die Ende des Krieges vom amerikanischen Finanzminister Morgentau entworfen worden waren, und leistete einen wesentlichen Beitrag zur Wiederherstellung des westdeutschen wirtschaftlichen und militärischen Potentials im Interesse der Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion. Zweitens entstand in der Bundesrepublik das Wirtschaftsmodell der sozial orientierten Marktwirtschaft, die dem unbeweglichen, schwerfälligen sowjetischen Modell, das auf die SBZ/DDR allmählich übertragen wurde, nach Effizienz und Innovationsmöglichkeiten weit überlegen war. Das hat die Voraussetzungen für das „Wirtschaftswunder“ in der Bundesrepublik in den 50er Jahren geschaffen Drittens wurde in der Bundesrepublik das nationalsozialistische totalitäre System erfolgreich demontiert, und es wurden die Grundlagen einer stabilen Demokratie und einer effektiv funktionierenden föderalen Staatlichkeit geschaffen. Das Grundgesetz – die provisorische Verfassung der Bundesrepublik – stellte die Interessen der Person, ihre Würde und die Möglichkeiten ihrer Selbstentfaltung und Selbstäußerung in den Mittelpunkt. 10 Kennan George. Leichter mit der Teilung leben. „Die Zeit“, 14. April 1989, S.6 10 Demgegenüber kam in der DDR an die Stelle des totalitären nationalsozialistischen Systems der Totalitarismus sowjetischer Prägung mit seiner Einschränkung der Menschenrechte und -freiheiten, mit der Überzentralisierung und Bürokratisierung der Macht, mit der Bespitzelung und der polizeilichen Überwachung des politischen Verhaltens der Bürger, mit seinen privater wirtschaftlicher Initiative auferlegten Fesseln. Außerdem konnte dieses Regime nur in einer hermetischen Abschottung von der Außenwelt, von den Ideen von außen, unter einem strengen Informationsmonopol der regierenden Partei existieren. In einer mehr und mehr zusammenwachsenden Welt war das Achillesferse des Regimes. Den USA gelang es schon in den ersten Nachkriegsjahren, für Westdeutschland sehr günstige politische und wirtschaftliche Voraussetzungen für den Aufschwung und das Wettbewerb mit Ostdeutschland zu schaffen. Das “Demonstrationseffekt“ der Erfolge der Bundesrepublik in der Entwicklung der Wirtschaft und der Förderung der Demokratie trug wesentlich zur Unterhöhlung der Positionen der Sowjetunion in Zentraleuropa bei. Demgegenüber wandte die sowjetische Politik für die Absicherung ihrer Interessen in dieser Region die ihr eigene ebenso einfache wie Abriegelung primitive Methoden an – die ihrer Herrschaftssphäre gegen das politische und propagandistische Eindringen und den Einfluß des Westens. Die Effektivität dieser Abriegelung in der Ära schnell fortschreitender elektronischer Informationstechnologien war sehr niedrig. Dazu kamen noch andere Schwächen und Sinnlosigkeiten der sowjetischen Politik. Anstatt die Wirtschaft von Ostdeutschland zu stärken und den Wohlstand seiner Bevölkerung zu heben, veranlaßte sie Massendemontage in den Industriebetrieben der SBZ als Reparationen und legte dem Land eine große Bürde an Kontributionen auf. Kein Wunder, daß bald nach dem Krieg eine Massenflucht der Deutschen aus dem östlichen in den westlichen Teil Deutschlands begann. Die Rätsel um die Stalin-Note vom 10. März 1952 Nach dem Scheitern der Versuche Stalins, die Westmächte durch die Blockade aus Berlin zu verdrängen, schien sich die Lage in Deutschland für die sowjetischen Politik nicht besonders günstig zu entwickeln. Sie wurde im Ergebnis der Schaffung der NATO und der Pläne zur Einbeziehung der Bundesrepublik in diese Organisation noch düsterer. Neue Kopfschmerzen bereitete dem Kreml die Anfang 1952 entstandene Gefahr der Schaffung eines neuen westeuropäischen Militärblocks - der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft - unter Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland. 11 In dieser Situation wurde am 10. März 1952 die Note der Sowjetregierung an die USA, England und Frankreich überreicht. Sie ging als Stalin - Note in die Geschichte ein und wurde zu einem der umstrittensten Züge auf dem Schachbrett der sowjetischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Moskau legte dem Westen damals den Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland vor. Dessen wichtigste Punkte: - Die Entwicklung Deutschlands zu einem einheitlichen, unabhängigen, demokratischen und friedliebenden Staat solle gefördert werden. - Deutschland müsse sich verpflichten, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der am Krieg gegen Deutschland teilgenommen habe. - Deutschland müsse berechtigt sein, nationale Streitkräfte für die eigene Verteidigung zu unterhalten und die dafür notwendigen Waffen und technischen Ausrüstungen zu produzieren; - Ein Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags müssten die Truppen der Besatzungsmächte vom deutschen Territorium abgezogen und ihre Stützpunkte und Basen liquidiert werden; - Der endgültige Friedensvertrag müsse unter Teilnahme der zu bildenden gesamtdeutschen Regierung ausgearbeitet und unterzeichnet werden. Am 9. April 1952 richtete die sowjetische Seite an die USA, England und Frankreich eine weitere Note, in der vorgeschlagen wurde, freie Wahlen in ganz Deutschland unter der Aufsicht einer Kommission, bestehend aus Vertretern der vier Mächte, durchzuführen. Die sowjetische Regierung hatte bis dahin gegen die Durchführung von Wahlen in Deutschland unter Aufsicht einer internationalen Kommission fortwährend ihr Veto eingelegt, denn sie konnte bei einer freien Abstimmung nicht mit der Mehrheit der Stimmen rechnen. Und plötzlich räumte Stalin dieses Hindernis zur Verständigung mit dem Westen in der deutschen Frage aus dem Weg. Das konnte man nicht mehr als reinen Propagandatrick betrachten. Allerdings ließ die sowjetische Politik zur gleichen Zeit an der innerdeutschen Grenze Sperranlagen errichten und die Zahl der Übergangsstellen drastisch reduzieren, was im Widerspruch zum Konzept der Note stand. War das ein Drohgebärde für den Westen, dass die Abschottung der DDR einen endgültigen Charakter annehmen wird? Oder wurde das auf Drängen der neuen DDR-Elite gemacht? Bis heute divergieren die Meinungen vieler Historiker und Politiker hinsichtlich der Motive der Stalin - Note und der Haltung des Westens. War das Angebot Stalins ernst 12 gemeint? War die negative Reaktion des Westens und der Bundesregierung von Adenauer auf diese Note richtig? Wurden einmalige Chancen zur deutschen Einheit damals vom Westen verpaßt? Oder war die Note wirklich nur ein Trick?11 Was erwartete Stalin eigentlich von den Westmächten? War er sicher, daß sie die Note zurückweisen? War er überhaupt an ihre Annahme interessiert? Wollte er sein „ungeliebtes Kind“ - so Wilfried Loth12 - opfern, um eine sicherheitspolitische und wirtschaftliche Entlastung der Sowjetunion zu erzielen? Um diese Fragen beantworten zu können, müßte man zunächst einmal in den Archiven von Kreml, des sowjetischen Außenministeriums und des KGB diesbezügliche Akten von Stalin finden und analysieren. Aber diese fehlen oder sind bis jetzt unzugänglich. Die Zeugnisse Molotows, Gromykos und anderer sowjetischer Politiker stalinscher Schule besagen eindeutig, die Note sei ernst gemeint gewesen, die sowjetische Regierung hätte sich um die Wiederherstellung der deutschen Einheit bemüht. Diese Versicherung findet sich in allen von der kommunistischen Parteiführung damals genehmigten Publikationen. Aber in Wirklichkeit ging es um viel Größeres und Wichtigeres als die deutsche Einheit, nämlich um die existentiellen Fragen der Sowjetunion und um die Grundprobleme ihrer Politik und ihrer Beziehungen zum Westen. Was also verfolgte Stalin mit dieser Note? Aus meiner Sicht waren für seine Haltung vier Punkte ausschlaggebend: a) er wollte die Einbeziehung Westdeutschlands in das westliche Militärbündnis verhindern, b) er glaubte, 11 Die meisten Forscher im Westen sind der Meinung, die Stalin-Note sei ein Propagandatrick. Dieser Standpunkt ist am deutlichsten vertreten in: Graml, H. „Die Legende von der verpaßten Gelegenheit. Zur sowjetischen Notenkampagne des Jahre 1952. (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 2, 1981); Wettig G. „Die sowjetische Deutschland - Note vom März 1952. Wiedervereinigungsangebot oder Propagandaaktion?“ , in: Deutschland Archiv, 2/1982; „Die Deutschland - Note vom 10. März 1952 nach sowjetischen Akten“, in: „Die Deutschlandfrage von der staatlichen Teilung Deutschlands bis zum Tode Stalins“, in: Studien zur Deutschlandfrage, Berlin 1994, Bd. 13, auch seine oben zitierten Schriften. Zu dieser Schule gehören auch die amerikanischen Historiker Vojtech Mastny („The Cold War and Soviet Insecurity. The Stalin Years“. New York, 1996) John Lewis Gaddis („We Now Now. Rethinking Cold War History“. Oxford 1997, russischerseits Michail Narinskij. Der namhafte Verfechter einer entgegengesetzten Meinung – die Stalin -Note war ernst gemeint – ist der österreichische Historiker Rolf Steininger, der an Hand von englischen und amerikanischen Akten dieses Problem erforschte und interessante Fakten in seinem Buch „ Eine Chance zur Wiedervereinigung? Darstellung und Dokumentation auf der Grundlage unveröffentlicher britischer und amerikanischer Akten“ ( Archiv für Sozialgeschichte , Beiheft 12), Bonn 1985; In einem gewissen Maße schließt sich an diese Auffassung Wilfried Loth an: „Ost-West-Konflikt und deutsche Frage“, München 1989 sowie „Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte“, Berlin 1994 . Auf derselben Position in der russischen Geschichtsschreibung steht M. Melamid - Melnikow. Der russische Historiker Alexej Filitiw vertritt die Meinung, die Stalin-Note war dazu berufen, die DDRFührung unter Druck zu setzen („Germanskij wopros: ot raskola k objedineniju“ – „Die deutsche Frage: von der Spaltung bis zur Wiedervereinigung“, Moskau 1993). Die oben erwähnten Standpunkte der deutschen Wissenschaftler über Stalins Note werden eingehender vertreten in dem Buch „Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen. Mit Beiträgen von Winfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig“ Hrsg. Jürgen Zarusky. Oldenbourg Verlag, München, 2002. 13 zwischen einem geeinten neutralen Deutschland und den Westmächten entstünden unausweichlich „imperialistische Gegensätze“ und Divergenzen, die die Sowjetunion mit Erfolg, wie 1939, implementieren könnte, c) im Hinblick auf das große innere Potential und die historischen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung hoffte er, auf gesamtdeutscher Basis die revolutionäre Bewegung viel effektiver entfachen zu können. d) er wollte den nationalen Gefühlen der Deutschen schmeicheln und sich im Unterschied zu den USA und ihren Verbündeten als Befürworter der deutschen Einheit hinstellen. Bei der Bewertung der Ziele Stalins, die er mit seiner Note verfolgte, muß auf die Rolle der „imperialistischen Gegensätze“ in seinem außenpolitische Denken und deren Ausnutzung zu Gunsten der Sowjetunion besonderes Gewicht gelegt werden. Das Ausspielen der Gegensätze zwischen realen und vermeintlichen Gegnern nach dem Prinzip divide et impere entsprang der Psychologie Stalins. Das war stets Leitidee seiner innen und außenpolitischen Praxis. Demgemäß war er überzeugt, daß zwischen Deutschland und Westmächten wieder unüberwindbare Gegensätze entstehen würden, die sogar zu einem Krieg zwischen ihnen führen könnten. Diese Auffassungen vertrat er in seiner im Februar 1952, also ein Monat vor der Note an die Westmächte, veröffentlichten Broschüre „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“. Darin hieß es unter anderem: „Einige Genossen behaupten: die Tatsache, daß sich die neuen internationalen Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hätten, bedeutet, daß Kriege zwischen den kapitalistischen Ländern nicht länger unvermeidbar seien. Sie sind der Meinung, daß die Gegensätze zwischen dem Lager des Kapitalismus und dem Lager des Sozialismus stärker seien als die Gegensätze zwischen kapitalistischen Ländern, daß die Vereinigten Staaten von Amerika andere kapitalistische Länder unter ausreichende Kontrolle gestellt hätten, um ihnen zu verbieten, miteinander zu kämpfen und einander zu schwächen, daß die vernünftigen Vertreter des Kapitalismus richtige Schlüsse aus zwei Weltkriegen, die der ganzen kapitalistischen Welt einen ernsten Schaden zugefügt hätten, gezogen hätten und nicht zulassen würden, daß die kapitalistischen Länder wieder in den Krieg miteinander hineingezogen würden(....) Diese Genossen irren sich. Sie sehen nur äußere Erscheinungen, die auf der Oberfläche auftauchen. Sie sehen aber Tiefkräfte nicht, die den Gang der Ereignisse dennoch bestimmen werden, obwohl sie einstweilen unbemerkbar wirken. Nach dem Ersten Weltkrieg meinte man auch, daß Deutschland endgültig kampfunfähig gemacht worden sei (....) Es erhob sich aber, stellte sich auf die Beine als 12 Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte. 14 eine Großmacht in etwa 15 bis 20 Jahren nach seiner Niederlage, indem es sich von Fesseln befreite und einen selbständigen Entwicklungsweg beschritt. Dabei ist es kennzeichnend, daß niemand anderer als England und die Vereinigten Staaten von Amerika Deutschland halfen, wirtschaftlich emporzusteigen und sein Rüstungspotential zu stärken(....) Aber Deutschland richtete seine Streitkräfte in der ersten Linie gegen den englisch - französisch - amerikanischen Block(...) Der Kampf der kapitalistischen Länder um die Märkte und der Wunsch, ihre Konkurrenten auszubooten, erwiesen sich in der Praxis also als stärker als die Gegensätze zwischen dem Lager des Kapitalismus und dem Lager des Sozialismus(...) Daraus ergibt sich, daß die Unvermeidbarkeit der Kriege zwischen kapitalistischen Ländern in Kraft bleibt"13. Ich führe dieses lange Zitat an, um zu verdeutlichen, welche Rolle diese Gedankengänge Stalins bei der Planung der damaligen sowjetischen Deutschlandpolitik spielten. Von der Bedeutung, die Stalin diesen Vorstellungen beimaß, zeugt seine Rede auf dem XIX. Parteitag der KPdSU im Herbst 1952, wo er dasselbe Konzept der Ausnutzung der „imperialistischen Gegensätze“ vorbrachte. Die Idee, daß ein souveränes neutrales Deutschland zu einem schwer kalkulierbaren Akteur der internationalen Politik würde, war nicht nur Stalin eigen. Das befürchteten auch die Westmächte und selbst die Adenauer-Regierung. In diesem Zusammenhang merkt Gerhard Wettig: „Aus der Tatsache, daß Adenauer am Anfang der Bundesrepublik steht und deren Außenpolitik weithin grundgelegt hat, muß nicht auf die deutsche Vereinigung als das notwendige Endresultat dieser Politik geschlossen werden. Umgekehrt kann die Annahme, Stalin habe im Frühjahr 1952 tatsächlich eine Wiedervereinigung Deutschlands zu demokratischen Bedingungen für akzeptabel gehalten, noch nicht eo ipso die Verfehltheit von Adenauers Politik dartun. Denn auch bei einem solchen sowjetischen Angebot wäre noch immer nicht sicher gewesen, daß es im Gefolge einer solchen Vereinigung auch zu einer für das deutsche Volk bekömmlichen Entwicklung gekommen wäre. Das Schicksal des - im Vergleich zu einem wiedervereinigten Deutschland der frühen Nachkriegszeit ungleich besser dastehende - Bismarck-Reichs von 1871 bis 1945 zeigt, daß mit Erreichen der nationalen Einheit die Gefahren für das deutsche Volk nicht notwendigerweise überwunden sind, sondern sogar noch zunehmen können. Wie sich Deutschland mit auferlegter politisch-militärischer Neutralität am Brennpunkt des OstWest-Konflikts zwischen den Fronten hätte behaupten können, ist eine offene Frage"14. 13 14 I.Stalin Wirtschaftliche Probleme des Sozialismus in der UdSSR. Moskau 1952, S. 32-35 Gerhard Wettig. Stalins Deutschlandpolitik, a.a.O., S.38. 15 Welche Ziele Stalin mit seinem Angebot an die Westmächte auch immer verfolgte, klar ist: In beiden Fällen – bei der Annahme der Note oder bei ihrer Zurückweisung – hätte er sich als Gewinner fühlen können. Wären die oben genannten vermeintlichen Vorteile für die sowjetische Politik nicht erlangt worden, so hätte man doch die Schuld an der Spaltung Deutschlands endgültig in die Schuhe des Westens schieben können. Jedenfalls lag dieser Note ein ausgeklügelter Plan zugrunde. Aber sein Hauptziel – die Entstehung einer antisowjetischen Weltkoalition unter der Beteiligung der Bundesrepublik zu vereiteln, – konnte Stalin nicht erreichen. Allem Anschein nach wäre für ihn die Option der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Entlastung der Sowjetunion vorteilhafter gewesen als die Konfrontation mit der überlegenen Macht des Westens. Deswegen kann man behaupten: die Note war ernst gemeint. Als Alleinherrscher konnte er sich erlauben, die sowjetische Politik um 90 oder mehr Grad umzudrehen, wenn dies seine Taktik erforderte. So war es vor dem Krieg, als er den „Teufelspakt“ mit seinem Erzfeind Hitler schloß und alle kommunistischen Gemüter aufregte. Um so mehr konnte er nach dem siegreichen Krieg, als seine Macht unbegrenzt wurde und sich der Spielraum seiner Beschlußfassung im Inneren des Landes enorm erweiterte, überraschende Entscheidungen treffen. Die Vertiefung der Spaltung Deutschlands und Europas Sehr bezeichnend ist es, daß der Kurs auf den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR erst im Juli 1952, nach der Ablehnung der Stalin – Note, eingeschlagen wurde. Die Idee der deutschen Einheit verlor in den Plänen Moskaus ihre Aktualität. Die Versuche Berias, nach Stalins Tod seine Deutschlandpolitik wieder auf die Tagesordnung zu setzen, scheiterten. Als er verhaftet wurde, wurde ihm unter anderem den Verrat am Sozialismus in der DDR zur Last gelegt. Jetzt galt es, die deutsche Teilung so stark wie möglich zu festigen und die Gräben zwischen zwei deutschen Staaten tiefer zu machen. Entgegen der gängigen Meinung, die Spaltung Deutschlands sei ein Ergebnis der Veränderungen in der Gesellschaftsordnung und in den Eigentumsverhältnissen in der SBZ in den Jahren 1945 bis 1949, kann man sagen, daß die Moskauer Führung in dieser Zeit im Grunde genommen nichts Besonderes unternahm, was für die Einheit des Landes unüberbrückbare Hindernisse hätte schaffen können. Die Entnazifizierung, Demilitarisierung, Nationalisierung der Unternehmen der Naziverbrecher und die Dekartellisierung waren kein geeignetes Mittel dazu. Die „klassenmäßigen“ Maßnahmen der sowjetischen Politik in der SBZ bis zum Jahre 1949 und später bis 1952 in der DDR unterschieden sich wesentlich von denen, die in anderen mittel - und osteuropäischen 16 Ländern angewandt wurden. Das beruhte offensichtlich darauf, daß der Kreml bis 1952, obwohl schwankend und unentschlossen, für die Einheit Deutschlands auftrat. Das Scheitern des Konzepts der Stalin-Note hat eine neue Etappe der sowjetischen Deutschlandpolitik eingeleitet. Die weitere Entwicklung der deutschen Frage wurde durch zwei Haupttendenzen der europäischen Politik ausschlaggebend beeinflußt: durch die beschleunigte Sowjetisierung Osteuropas und die Atlantisierung (Amerikanisierung) Westeuropas. Sie präsentierten in der Folgezeit ein Gegeneinander der NATO- und der Warschauer-Pakt-Länder sowie ein europäisches Sicherheitssystem, das auf einer relativen balance of power und auf einem Gleichgewicht des nuklearen Schreckens basierte. In dem Zeitraum 1945-1955 wurden zwei deutsche Staaten in unterschiedliche politische, wirtschaftliche und militärische Strukturen, geführt von den USA und der Sowjetunion, voll integriert. Die Wege ihrer historischen Entwicklung gingen auseinander. Unter der Einwirkung unterschiedlicher politischer Systeme und Werte formierten sich eine unterschiedliche soziale Psychologie und ein unterschiedliches soziales Verhalten der Deutschen, unterschiedliche Typen der sozialen Beziehungen im Westen und im Osten Deutschlands. Beide deutsche Staaten befanden sich in einer überaus verwundbaren Lage an der Nahtstelle einer neuen Kräftekonstellation in Europa. Sie wurden zu dem empfindlichsten Glied in der Konfrontationskette des Kalten Krieges. Als ein Erzeugnis dieses Krieges entstanden, wurde die deutsche Frage im Laufe der Zeit selbst zu einer starken Quelle der Spannungen zwischen der Sowjetunion und den Westmächten. In demselben Maße wie die Spaltung Deutschlands zum Symbol der Spaltung Europas wurde, war die Überwindung der Spaltung Europas nicht denkbar ohne die Aufhebung der Teilung Deutschlands. Die deutsche Frage wurde in einen fest zugezogenen Knoten der Interessen der Großmächte geschlungen. Diesen Knoten zu lösen, waren nur die Sowjetunion und die USA im Falle des Ausgleichs ihrer politischen Interessen fähig. In dieser Etappe der europäischen Geschichte formierte sich das Konzept der USAPolitik in Europa, das später Generalsekretär der NATO Lord Ismay ziemlich zutreffend formulierte: „To keep Americans in, to keep Germans down, to keep Russians out“. Am Ende dieser Etappe hat sich der Expansionsdrang der sowjetischen Politik in Europa ausgeschöpft. Moskau war gezwungen, von der Offensiv- zur Verteidigungsstrategie überzugehen und den sich abwechselnden Varianten der westlichen Strategie – der Eindämmung, des Zurückwerfens, der flexiblen Antwort, der friedlichen Penetration u.a. zu widerstehen, um seine Herrschaft in Osteuropa zu behaupten. Zum Garanten der 17 Unversehrtheit dieser Herrschaft wurde strategische nukleare Waffe. Sie hat auch sichergestellt, daß die Ost-West-Konfrontation in einen europäischen Krieg nicht ausartete. Der Kalte Positionskrieg war aber für die Sowjetunion im Hinblick auf die Schwächen und Mängel ihres Systems, besonders in der Wirtschaft, sehr ungünstig. Die Perspektiven eines sowjetischen Erfolgs in einem solchen Krieg waren überaus zweifelhaft. Die Versuche der Breshnew-Führung, den in Europa entstandenen Status quo durch die Helsinki-Akte zu verankern, konnten die Lage nicht retten und der inneren Erosion des sowjetischen Systems nicht vorbeugen. Die strategischen Atomwaffen waren machtlos; sie konnten den Anreiz der westlichen Ideen der Demokratie, der Freiheit, des Rechts und der Prosperität nicht unterdrücken. Der Teufelskreis der Herrschaft über Ostmitteleuropa begann die sowjetische Politik und Wirtschaft wie eine Schlinge am Hals zu erwürgen. Die Sowjetunion war gezwungen, unannehmbare wirtschaftliche Opfer hinzunehmen, um ihre Herrschaftssphäre in Europa auf die Dauer abzusichern und gleichzeitig die von Breschnew verkündete Doktrin der „strategischen Parität“ mit den USA und anderen Großmächten zu realisieren. Ein klaffendes Mißverhältnis entstand zwischen diesen Aufgaben der sowjetischen Außenpolitik und realen Ressourcen für ihre Durchsetzung. ============= Es ist kaum zu fassen, dass die große Nation Europas - das deutsche Volk - mehr als ein halbes Jahrhundert in zwei Teile auseinander gerissen war. Das war nicht nur die Folge der Hitlerherrschaft, die Deutschland in eine nie da gewesene nationale Katastrophe gestürzt hatte, sondern das Ergebnis der verderblichen Politik der Siegermächte nach dem Krieg. Für sie waren nicht die Sicherheit und das Wohl der europäischen Völker wichtig, sondern ihre egoistischen imperialen und ideologischen Interessen. Solange das deutsche Volk gespalten war, konnte Europa in Ruhe und in Sicherheit nicht leben. Die Überwindung der widernatürlichen Spaltung Deutschlands war eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Einstellung des Kalten Krieges. Die Bedingungen dafür reiften erst Mitte der 1980er Jahre, als in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow der historische Projekt begonnen wurde, das totalitäre sowjetische Regime zu reformieren und es in ein System des demokratischen Sozialismus „mit dem menschlichen Gesicht“ umzuwandeln. Das führte eine radikale Abkehr von den überholten und konfrontationsträchtigen Prinzipien der sowjetischen Außenpolitik herbei, und zwar ihre Entideologisierung, die Gewährung der Freiheit für jedes Volk, den Weg seiner nationalen Entwicklung zu wählen, der Verzicht auf die Breschnew-Doktrin der „beschränkten Souveränität“; d. h. auf die militärische Einmischung in jedes sozialistische 18 Land zwecks der Aufrechterhaltung der sowjetischen Herrschaft, die Verkündung des Ziels des .Aufbaus eines „gemeinsamen europäischen Hauses“ ohne Trennungslinien u. s. w. All das müßte zu einer allmählichen Überwindung der Ost-West-Konfrontation führen. Diese Prinzipien hatten mit dem Stalins Konzept der Schürung und Ausnutzung der „imperialistischen Gegensätze“ nichts gemein. Die Reformen in der Sowjetunion brachten endlich eine Wende auch in das Schicksal Deutschlands. Sie weckten im deutschen Volk, vor allem in der DDR, das Gefühl der nationalen Einheit und das Streben auf, die Selbstbestimmung zu verwirklichen. Die Gewähr dafür war vor allem die Verwerfung der Breschnew-Doktrin. Der Fall der Berliner Mauer; den die Gorbatschowführung ruhig hinnahm und sogar begrüßte, markierte den Anfang des stürmischen Prozesses der deutschen Wiedervereinigung. Die entscheidende Rolle begann dabei die Erhebung des deutschen Volkes zu spielen. Ihm konnte jetzt niemand den Weg sperren, die deutsche Einheit wiederzugewinnen. Die deutsche Wiedervereinigung 1990 vollzog sich vor dem Hintergrund neuer geschichtlicher Erkenntnisse und neuer Imperativen, in einer Lage in Europa und in der Sowjetunion, die sich grundsätzlich von deren unterschied, die in Stalins Zeiten herrschte. Einer der Wesenszüge der Entwicklung Europas im XIX und XX Jahrhundert ist durch die Gegnerschaft und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Kontinentalmächten Frankreich, Deutschland und Russland gekennzeichnet. Sie traten abwechselnd gegeneinander in Kombinationen „Deutschland und Russland gegen Frankreich“ (der Krieg gegen Napoleon, der Stalin-Hitler-Pakt), „Frankreich und Russland gegen Deutschland“ (der Erste und der Zweite Weltkrieg), „Deutschland und Frankreich gegen Russland“ (der Kalte Krieg und im Rahmen der NATO nach dem Kalten Krieg) auf. In dieses Szenario paßte das Konzept der Deutschlandpolitik Stalins und seine Note vom 10. März 1952. Die Versuche der Weltmächte, die nationalen Interessen im Geiste dieses Szenarios durchzusetzen, waren für Europa immer unheilvoll. Einen Ausweg aus dieser Lage hat die Pariser Charta hingewiesen, die im November 1990 von allen europäischen Staaten, den USA und Kanada unterschrieben wurde. Aber die herrschende Elite der USA hatte an einer stabilen, friedlichen Entwicklung und an der gesamteuropäischen Zusammenarbeit in Europa kein Interesse. Sie profitierte enorm von den kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa. Deswegen hielt sie die Pariser Charta für ein totgeborenes Kind. Dank drei Weltkriegen, die die geopolitische Rolle und das wirtschaftliche Potential Europas stark unterminiert hatten, vermochten die USA Anfang 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ihre Dominanz auf 19 dem europäischen Kontinent herzustellen. Die europäischen Politiker haben durch ihre selbstmörderische Politik das alte Abendland den Amerikanern preisgegeben. Auch das wiedervereinigte Deutschland verwandelte sich zu einer Art des Sattelitenstaates der USA mit begrenzter Souveränität. Auf seinem Territorium sind bis jetzt die amerikanischen und englischen Besatzungstruppen stationiert. Obwohl Europa von niemandem mehr bedroht ist und wird, verstärken und erweitern die Amerikaner die NATO – das Hauptinstrument ihrer Herrschaft auf dem alten Kontinent. Diese militärische Allianz ist nach Osten bis an die „Schmerzzone“ Russlands vorgerückt. Im Rahmen der NATO und der EU gelang es den herrschenden Kreisen der USA, fast alle europäischen Länder gegen Russland zu mobilisieren. Unter dem Druck von Amerika hat sich die Konfiguration „Deutschland und Frankreich gegen Russland“ im Rahmen der NATO herausgebildet. So spielt Washington die destruktivste Rolle in Europa. Es verhindert die Bildung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems und die gesamteuropäische Zusammenarbeit. Wie zu Stalins Zeiten haben die Europäer mit der Spaltung des Kontinents, mit dem wachsenden konfrontativen Potenzial, mit den neuen künstlich geschaffenen Feindbildern, mit der hegemonialen Politik zu tun. Das ist ein falscher Weg für Europa. Seine Zukunft liegt in der engen Zusammenarbeit und in der strategischen Partnerschaft zwischen Paris, Berlin und Moskaus im Interesse Sicherheit und des Wohlstandes aller Europäer. der