RiBVerwG Helmut Petz Wintersemester 2008/09 Vorlesung UMWELT- UND PLANUNGSRECHT - Vorlesungsskript für Erasmus-Studenten zur Prüfungsvorbereitung I. GRUNDLAGEN: GRUNDPRINZIPIEN DES UMWELTRECHTS 1. Überblick Grundprinzipien des Umweltrechts; auf unterschiedlichen Aktionsebenen (Völkerrecht; Gemeinschaftsrecht; nationales Recht) herausgebildet; politischer Ursprung (z.B. Umweltprogramm BReg von 1971 sowie Fortschreibung im Umweltbericht BReg von 1976); nach und nach zunehmend verrechtlicht (erstmals Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Art. 16; Fortschreibung im Einigungsvertrag, Art. 34 EV); Rechtsverbindlichkeit nur dort, wo Geltung ausdrücklich gesetzlich normiert; auf verschiedenen Ebenen zum Teil divergierende Inhalte herkömmliche Prinzipientrias: Vorsorgeprinzip: Primärziel, Belastungen und Gefahren für die Umwelt bereits im Vorfeld zu vermeiden Verursacherprinzip: determiniert als Sekundärziel die Verantwortlichkeiten für Umweltbeeinträchtigungen (Adressaten von Umweltschutzmaßnahmen; finanzielle Lastenverteilung; mittelbar auch Präventivfunktion) Kooperationsprinzip: bestimmte Art und Weise der Operationalisierung des Umweltschutzrechts (organisatorische und instrumentelle Umsetzung) angereichert wird diese Prinzipientrias - entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben - durch einen integrativen Ansatz (Integrationsprinzip): Schutzauftrag für die Umwelt in ihrer Gesamtheit daneben werden eine Reihe weiterer Grundprinzipien erörtert, die Konkretisierungen oder Ausnahmen der Hauptprinzipien sind(z.B. 2 Nachhaltigkeitsprinzip) 2. Vorsorgeprinzip a) Zweck und Inhalt wichtigstes Prinzip des Umweltrechts; von der bloß reaktiven Schadensbeseitigung zum präventiven und planenden Umweltschutz (Vermeidung und Verminderung von Umweltbelastungen an der Quelle, Schutz vor Auswirkungen von Umweltbelastungen heute im Wesentlichen zwei Varianten: Risiko- und Gefahrenvorsorge (sicherheitsrechtlicher Aspekt; nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 UGB-RefE zentraler oder sogar alleiniger Aspekt; insoweit dort nahe am Schutzprinzip/Teilaspekt der Gefahrenabwehr) Ressourcenvorsorge (bewirtschaftungsrechtlicher Aspekt) aa) Risiko- und Gefahrenvorsorge Gefahrenvorsorge schon im Vorfeld der sicherheitsrechtlichen Gefahrenschwelle Dimensionen: technische Vorkehrungen zur Vermeidung und Verminderung von Emissionen technische oder organisatorische Vorkehrungen gegenüber Unfall- oder Störfallrisiken Inhalte: vom Vorsorgeprinzip erfasst sind auch zeitlich und räumlich noch entfernte Risiken zeitlich: in die Zukunft weisende Perspektive (u.U. über Generationen) räumlich: erfasst sind auch Ferntransporte von Schadstoffen Fälle mit geringer Eintrittwahrscheinlichkeit: Schwelle für staatliches Handeln ist erreicht, wenn Besorgnispotential besteht; Restrisiken (z.B. Mobilfunk) sind demgegenüber hinzunehmen (kein Null-Risiko-Prinzip) Umweltbelastungen, die erst im Zusammenwirken mit anderen schädlich werden können Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen Gebot der Belastungsminimierung (z.B. nach dem Stand der Technik); 3 Grenzen: Grundrechte/Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Umständen Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr (z.B. im Zivilrecht <vgl. BGHZ 92, 143>; aber auch im VwR denkbar) bb) Ressourcenvorsorge Umweltvorsorge im Sinne einer vorausschauenden Umweltplanung und zukunftsverträglichen Ressourcenbewirtschaftung; Ziel, für zukünftige Nutzungen Freiräume zu erhalten (s. auch Nachhaltigkeitsprinzip) b) c) Dogmatische Herleitung sog. Ignoranztheorie ("Handeln im Ungewissen", vgl. Erbguth/Schlacke, Umweltrecht 2005, § 3 Rn. 4): behördliche Risikoentscheidungen erfordern eine gewisse Sicherheitszone vor der Gefahrenschwelle sog. Freiraumtheorie: Schaffung und Erhaltung (sicherheitsrechtlicher) Freiräume Rechtsnatur und Rechtswirkungen allgemeine Gesetzesgrundlage für Vorsorgeprinzip fehlt; deshalb derzeit (wohl) allein durch Fachgesetze getragen; siehe aber § 1 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 UGB-RefE! nur objektiv-rechtliches Prinzip; nach h.M. keine drittschützende Wirkung (keine subjektive Rechtsposition des Bürgers, dass jenseits des Schutzprinzips Umweltvorsorge betrieben wird); deshalb auch keine hieraus ableitbare Klagebefugnis 3. Verursacherprinzip a) Zweck Umweltprogramm der BReg. 1971: "Jeder, der die Umwelt belastet oder sie schädigt, soll für die Kosten dieser Belastung oder Schädigung aufkommen"; insoweit lediglich Kostenzurechnungsprinzip: Verursacherprinzip bestimmt, wem einzelne Umweltbeeinträchtigungen zuzurechnen sind und wer für die Beseitigung bzw. Verminderung in die Pflicht genommen werden soll general- und spezialpräventive Wirkung (mittelbar verhaltenssteuernde Wirkung aufgrund der auf einen Schädiger zukommenden finanziellen Belastungen) Schwächen: rein ökonomische Betrachtung der Umweltgüter kann effektiven 4 Umweltschutz nicht gewährleisten; Verursacherprinzip deshalb immer auf Ergänzung durch Vorsorgeprinzip angelegt b) Inhalt und Rechtswirkungen Vorsorgeprinzip wird heute allgemein weiter verstanden: nicht bloß ökonomisches Kostenzurechnungsprinzip/Sekundärrechtsfolgenprinzip mit dem Ziel einer Internalisierung der Kosten von Umweltbeeinträchtigungen sondern auch finanzielles und materielles Verantwortungsprinzip, das Verantwortlichen im Sinne einer Nichtverursachung beeinflussen soll, etwa durch o Zurechnungsprinzip im Sinne der sicherheitsrechtlichen Störerverantwortung (Adressat für ordnungsrechtliche Gebote und Verbote etc.) o Zurechnungsprinzip auch für Anreizinstrumente (z.B. Abgaben) Maßstab für Zurechnung: erhebliche Nachweisprobleme (im Sinne einer conditio sine qua non) bei komplexen Wirkungszusammenhängen (z.B. Waldschaden), deshalb rechtliches Zurechnungsprinzip, das der Gesetzgeber nach Gerechtigkeits-, Billigkeits- oder politischen Zweckmäßigkeitserwägungen ausgestalten kann 4. Kooperationsprinzip kein umweltspezifisches, aber doch ein umwelttypisches Prinzip Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung von Staat und Bürgern und zur gegenseitigen Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit beider Bereiche im freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat (vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 4 UGB-RefE) Aufgabenverteilungsprinzip: Wandel vom imperativen zum paktierenden Staat (z.B. informelle Absprachen; freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Vermeidung staatlicher Maßnahmen <VerpackungsV; Atomausstieg etc.>) Einbindung privater Freiheitsgebrauch") Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz Gefahr inhaltlicher Kompromisse zu Lasten des Gemeinwohls und der Verantwortung (Stichwort: "Verantwortlicher 5 Belange des Umweltschutzes 5. Fehlende rechtsstaatliche Sicherungen, insbesondere hinsichtlich betroffener Dritter, wenn Normsetzungen oder behördliche Anordnungen durch informelle Absprachen oder Selbstverpflichtungs-Abkommen ersetzt werden staatliche Gewährleistungsverantwortung als notwendiges Korrektiv, soweit Aufgaben des Umweltschutzes privatisiert werden kooperatives Aufgabenwahrnehmungsprinzip, z.B. Anhörung "beteiligter Kreise" (§ 51 BImSchG), Betroffenen- und Verbandsbeteiligung (§ 58 ff. BNatSchG) Einbringung von Sachverstand; Komplettierung entscheidungserheblichen (Abwägungs-) Materials Repräsentation von (organisierten) Interessen aber auch: erhöhte Mitwirkungspflichten (z.B. in Form von materiellen oder prozessualen Präklusionswirkungen) des Integrationsprinzip Zweck: Schutz der Umwelt in ihrer Gesamtheit; gemeinschaftsrechtliche Wurzeln (UVP-RL und IVU-Richtlinie) Aspekte des Integrationsprinzips: 6. interne Integration: medienübergreifender Ansatz (z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1 BImSchG: "… hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt …"; § 10 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG; § 1 WHG) externe Integration: Berücksichtigung der Umweltbelange auch in nur mittelbar umweltrelevanten Politiken (insb. Querschnittsklausel des Art. 6 EGV) Nachhaltigkeitsprinzip in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zwar nicht ausdrücklich benannt, aber impliziert (Zukunftsverantwortung des Staates "für künftige Generationen"); Ausprägungen etwa in naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung, §§ 18 ff. BNatSchG 6 Verschlechterungsverbote, § 33 Abs. 5, § 34 Abs. 1 BNatSchG Raumordnung, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 ROG 7 II. NATURSCHUTZRECHT: GEMEINSCHAFTSRECHTLICHER GEBIETSUND ARTENSCHUTZ Ziel: Sicherung der Artenvielfalt durch Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, Art. 2 Abs. 1 FFH-RL; Maßnahmen zielen darauf, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wild lebenden Tier- und Pflanzenarten vom gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen, Art. 2 Abs. 2 FFH-RL; Maßnahmen tragen Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung, Art. 2 Abs. 3 FFH-RL 1. Gemeinschaftsrechtlicher Gebietsschutz Zentrales Anliegen: Kohärentes Europäisches ökologisches Netz „Natura 2000“, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 FFH-RL, § 10 Abs. 1 Nr. 8, §§ 32 bis 38 BNatSchG Gedanke der Biotopvernetzung für "Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung": in die Liste nach Art. 4 UAbs. 2 der FFH-RL eingetragene Gebiete, auch wenn sie noch nicht zu Schutzgebieten erklärt worden sind, § 10 Abs. 1 Nr. 5 BNatSchG; Ziel ist flächendeckendes System von Schutzgebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen und Habitate umfassen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (sog. FFH-Gebiete), Art. 3 Abs. 1 Satz 2 FFH-RL o natürliche Lebensraumtypen im Sinne von Anhang I der FFH-RL o Habitate der Arten im Sinne von Anhang II der FFH-RL mit * jeweils als prioritäre Lebensraumtypen oder Arten (vgl. auch § 10 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG) Europäische Vogelschutzgebiete, Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 FFH-RL, § 10 Abs. 1 Nr. 6 BNatSchG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL 8 a) Vogelschutzgebiete, Art. 4 VRL Pflicht der Mitgliedstaaten zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten, Art. 4 VRL Ziel: besondere Schutzmaßnahmen für Lebensräume der Vogelarten von Anhang I VRL (Art. 4 Abs. 1 VRL) und für Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete von Zugvögeln, die nicht in Anhang I VRL aufgeführt sind (Art. 4 Abs. 2 VRL), indem die zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt werden (sog. Special Protected Areas - SPA -) Auswahl, Unterschutzstellung und Meldung der Vogelschutzgebiete Verfahren der VRL deutlich einfacher als dasjenige der FFH-RL: o Gebietsauswahl Gebietsauswahl allein durch die Mitgliedstaaten; in Deutschland seit der 4. BNatSchG-Novelle die Länder im Benehmen mit dem BMU unter Beteiligung der anderen betroffenen Bundesministerien allein fachliche Kriterien maßgeblich; andere Aspekte wie z.B. regionale, soziale oder wirtschaftliche Belange dürfen bei der Gebietsauswahl (anders als bei der Verträglichkeitsprüfung, s.u.) keine Rolle spielen; Entscheidungsspielräume nur insoweit, als der Mitgliedstaat bei mehreren zur Verfügung stehenden Gebieten die zahlen- und flächenmäßig geeignetsten zur Meldung auswählen kann; ungenügende Ausweisung verstößt gegen Art. 4 VRL; Verstoß wird nach der Rspr. des EuGH (NuR 1998, 538/541) angenommen, wenn 50 % der Gebiete der sog. IBA ("Important Bird Areas")-Liste des Internationalen Rats für Vogelschutz und des Internationalen Wasservogel- und Feuchtgebietsforschungsbüros über wichtige Vogelschutzbereiche nicht geschützt sind; Liste hat keine normative Bedeutung; vom BVerwG (NuR 2002, 153/154) aber als wissenschaftliches Erkenntnismittel behandelt; Eintragung begründet den - durch andere wissenschaftliche Erkenntnisse widerleglichen - Verdacht, dass es sich um ein zu schützendes Gebiet handelt; 9 o Unterschutzstellung Unterschutzstellung durch Rechtsvorschrift erforderlich; o Meldung Meldung der Vogelschutzgebiete an die Kommission; diese wird lediglich koordinierend tätig, um eine europaweite Vernetzung der Vogelschutzgebiete zu gewährleisten (Art. 4 Abs. 3 VRL); Schutz der Vogelschutzgebiete o Ausgewiesene Vogelschutzgebiete Schutz grundsätzlich entsprechend der jeweils zugrunde liegenden nationalrechtlichen Schutzkategorie (z.B. Naturschutzgebiet) europarechtlicher Schutz: bis zum Inkrafttreten der FFH-RL: strenges gemeinschaftsrechtliches Schutzregime (sog. LeybuchtUrteil des EuGH NuR 1991, 249/250): Verkleinerung eines ausgewiesenen Vogelschutzgebiets unzulässig, soweit nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes von Gesundheit, Leib oder Leben oder wegen der unmittelbaren günstigen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt erfolgt; nicht: wirtschaftliche Gründe (arg. Art. 4 Abs. 4 VRL: Vermeidung der Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume oder der Belästigung der Vögel); Konsequenz: hoher Schutzstatus, der nur in den genannten Ausnahmefällen durchbrochen werden durfte seit Inkrafttreten der FFH-RL: Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 bis 5 FFH-RL über die Verträglichkeitsprüfung (s.u.) gelten anstelle des Art. 4 Abs. 4 VRL, sobald die FFH-RL in einem Mitgliedstaat anwendbar ist, Art. 7 FFHRL; damit unterliegen die europäischen Vogelschutzgebiete dem gleichen Schutzsystem wie FFH-Gebiete (s.u.) 10 o Faktische Vogelschutzgebiete das ursprünglich rigide Schutzsystem der VRL verleitete die Mitgliedstaaten dazu, Vogelschutzgebiete nur sehr zurückhaltend auszuweisen; Reaktion EuGH <Santona-Urteil NuR 1994, 521>: Verpflichtung des Mitgliedstaats aus Art. 4 VRL, die geeignetsten Gebiete als Vogelschutzgebiete auszuweisen, insbesondere Gebiete mit europaweiter Bedeutung für das Überleben europäischer Vogelarten; wenn Pflicht verletzt: Mitgliedstaat soll aus seinem gemeinschaftsrechtswidrigen Verhalten keinen Vorteil ziehen, EuGH behandelt nicht ausgewiesene Gebiete wie ausgewiesene Gebiete (sog. faktische Europäische Vogelschutzgebiete mit grundsätzlich dem gleichen Schutzregime wie ausgewiesene Gebiete); Unterschied: da sich Art. 7 FFH-RL nur auf ausgewiesene Schutzgebiete bezieht, bleibt es für faktische Vogelschutzgebiete beim strengen Schutzregime des LeybuchtUrteils b) Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (sog. FFH-Gebiete) Auswahl, Meldung, Kommissionsliste und Unterschutzstellung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, Art. 4 FFH-RL Aufbau des Netzes "Natura 2000" in Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der Kommission in drei Phasen: o Phase 1: Meldeverfahren in Phase 1 hatten die Mitgliedstaaten binnen 3 Jahren nach Bekanntmachung der FFH-RL (1995) in eigener Verantwortung eine Liste schutzwürdiger Gebiete zu erstellen und diese an die Kommission weiterzuleiten, Art. 4 Abs. 1 FFH-RL Gebietsauswahl Gebietsauswahl allein nach fachlichen Kriterien (andere Aspekte wie z.B. regionale, soziale oder wirtschaftliche Belange dürfen bei der Gebietsauswahl - anders als bei der Verträglichkeitsprüfung, s.u. - 11 keine Rolle spielen); BVerwG (NuR 2001, 382) geht insoweit von einer naturschutzfachlichen Beurteilungsermächtigung aus; Entscheidungsspielräume nur insoweit, als der Mitgliedstaat bei mehreren gleichartigen Gebieten auswählen kann, wenn die Anzahl der gemeldeten Gebiete für den betreffenden Lebensraumtyp oder die Schutzzwecke ausreichend sind; ggf. bilaterales Konzertierungsverfahren, Art. 5 FFH-RL die Nichtmeldung von - aus der Sicht der Kommission meldungsbedürftigen Gebieten führt zur Einleitung eines sog. Konzertierungsverfahrens zwischen dem säumigen Mitgliedsstaat und der Kommission Abgleich der verwendeten wissenschaftlichen Daten; letztverbindliche Entscheidung des Rats (allerdings Einstimmigkeit erforderlich!); o Phase 2: Kommissionsliste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, Art. 4 Abs. 2 FFH-RL aus den gemeldeten Listen erstellt die Kommission auf der Grundlage der in Anhang III der FFH-RL festgelegten Kriterien im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten binnen sechs Jahren nach Bekanntmachung der FFHRL (1998) den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung; o Phase 3: Schutzgebietsausweisung Mitgliedstaat weist in der Liste enthaltenen Gebiete so schnell wie möglich - spätestens aber binnen sechs Jahren - als besondere Schutzgebiete aus; Schutzerklärung bestimmt erforderliche Gebietsabgrenzung sowie den Schutzzweck, der entsprechend den Erhaltungszielen auszugestalten ist; außerdem soll angegeben werden, ob in den Gebieten prioritäre Biotope oder prioritäre Arten geschützt werden; Schutz der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung o Schutz nach Aufnahme in die Kommissionsliste 12 grundsätzlich absolutes Verschlechterungsverbot gemäß Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL, sobald Gebiet in Kommissionsliste aufgenommen ist, Art. 4 Abs. 5 FFH-RL; o Schutz nach der Unterschutzstellung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich absolutes Verschlechterungsverbot; Schutzregime richtet sich nach nationalem Recht; o Schutz potentieller FFH-Gebiete problematisch ist, in welchem Maße Gebiete, die an sich die materiellen Voraussetzungen einer Unterschutzstellung erfüllen, aber nicht oder nicht rechtzeitig gemeldet und damit auch (noch) nicht in die Kommissionsliste aufgenommen worden sind (sog. potentielle FFH-Gebiete), oder Gebiete, die bereits an die Kommission gemeldet wurden, aber noch nicht in die Liste aufgenommen worden sind (sog. Vorschlagsgebiete), auch schon vor ihrer Unterschutzstellung bzw. vor ihrer Aufnahme in die Kommissionsliste vorwirkenden Schutz genießen; in der sog. Draggagi-Entscheidung (vom 13.1.2005 Rs. C-117/03 NuR 2005, 242, Rn. 22-25 = NVwZ 2005, 310) legt der EuGH dar, dass die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL (also das Verschlechterungsverbot sowie die Vorschriften über die Verträglichkeitsprüfung und das Abweichungsverfahren) nur gelten, wenn ein Gebiet gelistet, d.h. in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (FFH-Liste) aufgenommen worden ist; das gilt selbst dann, wenn Gebiete mit prioritären Arten betroffen seien; andererseits verlangt der EuGH jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Meldung der Gebiete an die Kommission einen angemessenen Schutz, den die Mitgliedstaaten zu gewähren hätten; für angemessene Schutzmaßnahmen sei es erforderlich, dass die Mitgliedstaaten keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale dieser Gebiete ernsthaft beeinträchtigen können (EuGH vom 14.9.2006 zur Vorlage BayVGH BayVBl 2005, 659; vgl. auch vom 14.9.2006 Rs. 244/05 Rn. 38 ff.); wie dieser Schutz im Einzelnen aussehen soll, legt der EuGH nicht dar; 13 FFH-Verträglichkeitsprüfung Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL (Verträglichkeitsprüfung und Abweichungsverfahren) eröffnen die Möglichkeit, Pläne und Projekte zuzulassen, auch wenn sie gegen das Verschlechterungsverbot nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstoßen; gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erfordern Pläne und Projekte, die ein FFH-Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit andere Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen können, eine Prüfung der Verträglichkeit mit den für das Gebiet festgelegten Erhaltungszielen; die einzelstaatlich zuständigen Behörden stimmen dem Plan oder Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben; wurde ein Plan oder Projekt zugelassen, weil im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung keine erheblichen Beeinträchtigungen zu erwarten waren, so kann dieser Plan oder dieses Projekt aufgrund nachträglicher Erkenntnisse unzulässig werden, wenn sie entgegen den Erwartungen zu erheblichen Beeinträchtigungen führen; wurde hingegen ein Abweichungsverfahren durchgeführt, so kann Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht angewendet werden, weil Plan oder Projekt zugelassen wurde, obwohl sie erhebliche Beeinträchtigungen des betroffenen Gebiets hervorrufen können (vgl. EuGH vom 7.9.2004 NuR 2004, 788 Rn. 35 ff.); o Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung Art. 6 Abs. 3 FFH-RL: "Pläne und Projekte"; o Wesensmerkmale der Verträglichkeitsprüfung Prüfung hat "vor der Zulassung oder Durchführung" zu erfolgen, § 34 Abs. 1 BNatSchG; bezieht sich nicht auf bestehende Pläne und Projekte; Verfahren ist im Gesetz nicht deutlich geregelt; Verträglichkeitsprüfung ist unselbständiger Teil des Zulassungsverfahrens; zweistufige Ausgestaltung: sog. Screening: Feststellung, ob durch das Projekt oder den Plan 14 überhaupt eine Beeinträchtigung eintreten kann Voraussetzung: es genügt, dass Beeinträchtigungen des Gebiets wahrscheinlich sind, Zweifel reichen aus; (arg. Vorsorgegrundsatz, Art. 174 Abs. 2 UAbs. 1 EGV); Vorhabens- oder Planungsträger hat darzulegen, dass das Gebiet durch den Plan oder das Projekt nicht beeinträchtigt werden kann (Datenmaterial wie in der UVP); Behörde muss in der Lage sein, auf Datengrundlage einschlägige Schlussfolgerungen zu ziehen; wenn Beeinträchtigung möglich: Erheblichkeitsprüfung erheblich sind Beeinträchtigungen, wenn der günstige Erhaltungszustand der Art gefährdet wird; nicht jeder Verlust eines lokalen Vorkommens oder Reviers führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung; auch Schutz- und Kompensationsmaßnahmen können eine Beeinträchtigung unter die Erheblichkeitsschwelle drücken; Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung: unwesentliche Beeinträchtigungen werden ausgeschieden; erhebliche Beeinträchtigungen machen Plan oder Projekt grundsätzlich unzulässig, Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, § 34 Abs. 2 BNatSchG; Abweichungsverfahren, Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, § 34 Abs. 3 BNatSchG trotz grundsätzlicher Unzulässigkeit gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, § 34 Abs. 2 BNatSchG wegen erheblicher Beeinträchtigungen darf Plan oder Projekt nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, § 34 Abs. 3 BNatSchG unter folgenden Voraussetzungen ausnahmsweise zugelassen werden: o keine zumutbaren Alternativen nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG dürfen zumutbare Alternativen, den mit dem Plan oder Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringerer Beeinträchtigung zu erreichen, nicht gegeben sein; die sog. Null-Variante ist keine Alternative in diesem Sinn; die Vorschrift zwingt nicht zur Aufgabe des Plans oder Projekts; 15 gemeint sind vielmehr zumutbare Standortalternativen, bei denen der Zweck des Plans oder Projekts ebenso gut, aber ohne oder mit geringerem Beeinträchtigungspotential erreicht werden kann; hängt auch davon ab, wie eng oder weit der Zweck eines Plans oder Projekts gezogen wird (Bsp. Produktionsanlage: Zweck kann lediglich Produktion sein, aber auch Schaffung von Arbeitsplätzen, Verbesserung der Infrastruktur, kurze Transportwege, staatliche Zuschüsse etc.); wirtschaftliche Zumutbarkeit der Standortalternative: entfällt nur, wenn Plan oder Projekt im Falle einer Verwirklichung der Standortalternative betriebswirtschaftlich unrentabel würde; o zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG darf ein Plan oder Projekt ferner nur zugelassen oder durchgeführt werden, soweit es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist; öffentliches Interesse: auch Interessen sozialer und wirtschaftlicher Art; auch Tätigkeiten Privater, wenn Allgemeinheit davon profitiert (z.B. Wohnungsbau; Sicherung der Steuerkraft einer Gemeinde); zwingende Gründe: wenn Erfüllung des öffentlichen Interesses mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten und öffentliches Interesse überwiegt (gewichtiger als die durch das kohärente ökologische Netz "Natura 2000" konkretisierten Belange von Naturschutz und Landschaftspflege); in der Regel nur der Fall, wenn wirksame Kohärenzmaßnahmen (s.u.) möglich; o Kohärenzmaßnahmen im Falle einer Zulassung sind gemäß § 34 Abs. 5 BNatSchG die notwendigen Maßnahmen vorzusehen, um das kohärente ökologische Netz "Natura 2000" zu sichern; sind wirksame Kohärenzmaßnahmen nicht oder nur eingeschränkt möglich, überwiegen die Belange des Naturschutzes; im Ergebnis sind daher nur solche Pläne oder Projekte unzulässig, die die Kohärenz des Systems unterbrechen oder gefährden; Sonderfall: Abweichungsverfahren bei Gebieten mit prioritären Biotopen 16 oder Arten, Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL, § 34 Abs. 4 BNatSchG sind in einem Gebiet prioritäre Biotope oder Arten vorhanden, ist eine Abweichung nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL, § 34 Abs. 4 BNatSchG möglich; BVerwG (vom 17.1.2007 NuR 2007, 336): Existenz prioritärer Biotope oder Arten in dem Gebiet reicht aus; unerheblich ist, ob diese auch erheblich beeinträchtigt werden können; o zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nur Gesundheit des Menschen öffentliche Sicherheit, einschließlich Landesverteidigung und Schutz der Zivilbevölkerung maßgeblich günstige Auswirkungen des Plans oder Projekts auf die Umwelt (nur unmittelbare Wirkungen) sonstige Gründe können nur berücksichtigt werden, wenn zuvor Stellungnahme der Kommission eingeholt worden ist; entscheidende Behörde ist allerdings nicht an Stellungnahme gebunden! 2. Gemeinschaftsrechtlicher Artenschutz a) Artenschutzrechtliche Regelungen der V-RL Art. 5 VRL: Verpflichtung zur Schaffung allgemeiner Regelungen zum Schutz aller unter Art. 1 VRL fallenden Vogelarten Schutzgegenstand sämtliche wildlebende Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten heimisch sind (Ausnahme Grönland), Art. 1 Abs. 1, 3 VRL; Schutzinstrumente insbesondere Zugriffs- und Störungsverbote; im Einzelnen: Verbot des absichtlichen Tötens oder Fangens; der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern; des Sammelns von Eiern in der Natur und des Besitzes von Eiern; des absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit; 17 des Haltens von Vögeln, die nicht bejagt oder gefangen werden dürfen; Art. 6 VRL: Verbot des Verkaufs von lebenden und toten Vögeln und von deren ohne weiteres erkennbaren Teilen oder aus diesen Tieren gewonnenen Erzeugnissen sowie deren Beförderung und Halten für den Verkauf und das Anbieten zum Verkauf (mit Einschränkungen und der Möglichkeit von Ausnahmen, Art. 6 Abs. 2 und 3 VRL); Art. 7 und 8 VRL: Vorschriften für das Bejagen; Abweichungen Art. 9 VRL: gestattet den Mitgliedstaaten Abweichungen von den Verboten und Regelungen der Art. 5 bis 8 VRL; Voraussetzungen: o o spezielle Abweichungsgründe Gefahrenabwehr i.w.S. (Volksgesundheit und öffentliche Sicherheit; Sicherheit der Luftfahrt; Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischereigebieten und Gewässern) Forschungs- und Unterrichtszwecke, Aufstockung der Bestände, Wiederansiedlung; unter streng überwachten Bedingungen Ermöglichung des Fangs, der Haltung oder jeder anderen vernünftigen Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen Alternativenprüfung "keine anderweitige zufriedenstellende Lösung" (s.u. bei FFH-RL); b) Artenschutzrechtliche Regelungen der FFH-RL Art. 12 und 13 FFH-RL: Verpflichtung zur Schaffung eines strengen Schutzsystems Schutzgegenstand in Anhang IV der FFH-RL aufgeführte Arten (streng zu schützende Arten von gemeinschaftlichem Interesse); Schutzinstrumente bei Tieren insbesondere Zugriffs- und Störungsverbote (Art. 12 FFH-RL); im Einzelnen: Verbot des absichtlichen Fangens oder Tötens von aus der Natur entnommenen 18 Exemplaren, Art. 12 Abs. 1 Buchst. a FFH-RL; jeder absichtlichen Störung dieser Arten, insbesondere während der Brutund Aufzuchtzeit, Art. 12 Abs. 1 Buchst. b FFH-RL; jeder absichtlichen Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur, Art. 12 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL; jeder Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten, Art. 12 Abs. 1 Buchst. d FFH-RL; außerdem Verbot des Besitzes, Transports, Handels oder Austauschs und Angebot zum Verkauf oder Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren, Art. 12 Abs. 2 FFH-RL; im Übrigen System zur fortlaufenden Überwachung des unbeabsichtigten Fangens oder Tötens, Art. 12 Abs. 3 FFH-RL; bei Pflanzen: Art. 13 FFH-RL; Abweichungen Art. 16 FFH-RL: Abweichungen von den Schutzbestimmungen der Art. 12 und 13 FFH-RL unter engen Voraussetzungen: o spezielle Abweichungsgründe Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen und Erhaltung natürlicher Lebensräume; Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie sonstigen Formen des Eigentums; Volksgesundheit und öffentliche Sicherheit oder andere zwingende Gründe (Maßstab ist ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes Handeln, BVerwG vom 27.1.2000 NuR 2000, 448) des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positive Folgen für die Umwelt; Zwecke der Forschungs- und des Unterricht, Bestandsauffüllung und, Wiederansiedlung; Erlaubnis der Entnahme oder Haltung bestimmter Vogelarten unter streng überwachten Bedingungen; selektiv, in beschränktem Ausmaß; 19 o Alternativenprüfung "keine anderweitige zufriedenstellende Lösung"; Alternativenprüfung sowohl hinsichtlich des Standorts als auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Vorhabens; Abstriche am Grad der Zielvollkommenheit sind hinzunehmen, sofern akzeptabel, d.h. - etwa wegen erheblicher Mehrkosten - nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr erreichbaren Gewinn für Natur und Umwelt; o "Günstiger Erhaltungszustand" Populationen der betroffenen Art verweilen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand; aktueller Erhaltungszustand der Population maßgeblich; Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten deshalb nur dann, wenn hinlängliche Kompensationsmaßnahmen durchgeführt werden, die den Bestand der Population erhalten;