mezináboženský dialog

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Prof. PhDr. Tomáš Halík Th.D., Karlsuniversität Prag
Ansprache bei der öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament am 10.1. 2008 in
Brüssel
Der interreligiöse Dialog zwischen Herausforderung und Wirklichkeit
Zwischen Herausforderung und Wirklichkeit des interreligiösen Dialogs liegt nach wie vor
ein gähnender Abgrund.
Unter den vernünftig denkenden Menschen wird sich heute wohl schwerlich jemand finden,
der nicht auch der Meinung ist, dass der interreligiöse Dialog – als Vorbeugung gegen den
Missbrauch religiöser Symbole und religiöser Rhetorik – zu den vorrangigen Aufgaben
unserer Zeit gehört.
Es gibt Hunderte Institutionen und Initiativen, die sich dem interreligiösen Dialog widmen,
aber kein Zentrum, das diese Aktivitäten – zumindest im Rahmen der EU-Länder – begleitet
und zwischen ihnen zu vermitteln, Erfahrungen weiterzugeben und auf „weiße Flecken“
hinzuweisen versucht. Gäbe es eine solche Plattform und kämen dort Menschen mit
langjährigen Erfahrungen in dem Bereich zusammen, die auch in der Lage sind, diese ihre
Erfahrungen kritisch zu reflektieren, würden sie wahrscheinlich nicht nur über die
Schwierigkeiten sprechen, denen sie begegnen, sondern auch über die ungelösten Probleme,
die mit den Grundvoraussetzungen des „interreligiösen Dialogs“ zu tun haben.
Das große Missverständnis darüber, was wir mit „Religion“ und „Dialog“ meinen, ist nicht
nur ein rein akademisches Problem, sondern spiegelt sich ganz praktisch in der nicht geklärten
Frage wider, wer mit wem in einen Dialog tritt, wer welche Religion repräsentiert und was
Sinn und Ziel des Dialogs sein soll. Im Arabischen z. B. gibt es den Begriff „Dialog“ gar
nicht. Das Wort, das dort üblicherweise verwendet wird, bedeutet eher „Verhandeln“. Der
typisch westliche und aus dem antiken Rom überkommene Begriff „Religion“ (religio) blickt
auf eine turbulente Geschichte voller Umbrüche zurück; die nichtwestlichen Sprachen und
Kulturen kennen kein genaues Äquivalent dafür. Die Gewohnheit, den Begriff Religion als
Gattungsbezeichnung (genus) zu verwenden, der verschiedene Arten (species) – Christentum,
Judaismus, Islam, Buddhismus usw. - untergeordnet sind, geht als eine Erfindung der
Philosophen von Cambridge auf das 17. Jahrhundert zurück und knüpft an die etwas naive
Vorstellung europäischer Kolonialherren aus der Zeit der frühen Aufklärung an, dass es
überall „so etwas wie Christentum“ (d. h. das Christentum ihrer Zeit) geben muss.
Wenn wir mit Vertretern des „Hinduismus“ sprechen wollen, können wir etliche von ihnen in
London finden – die Schwierigkeit ist nur die, dass sie in Indien niemand als Vertreter des
Hinduismus kennt und anerkennt; möglicherweise auch deshalb, weil es dort keinen
„Hinduismus“ gibt. Diese Bezeichnung der britischen Kolonialherren für die
nichtmuslimischen Inder deckt eine gewaltige Skala unterschiedlicher Philosophien,
geistlicher Schulen, Gebräuche usw. ab. Der sympathische tibetische Dalai Lama wird im
Westen als eine Person wahrgenommen, die irgendwo zwischen Papst und Jesus Christus
angesiedelt ist, und wenn er sagt, er sei nur ein einfacher Mönch, wirkt das noch
sympathischer; der „Weltbuddhismus“ jedoch (falls es denn überhaupt so etwas gibt) sieht in
ihm keineswegs seinen höchsten Repräsentanten oder Sprecher. Wenn Buddhisten zu
verschiedenen Kongressen von Vertretern der Weltreligionen reisen, vergessen sie in der
Regel nie zu betonen, dass sie eigentlich irrtümlicherweise da sind, weil sie ihren geistlichen
Weg nicht als „Religion“ ansehen. Wenn sie hören, dass sich im Westen immer mehr
Menschen zum Buddhismus bekennen, während die Zahl der „praktizierenden Buddhisten“ in
vielen asiatischen Ländern abnimmt, bemerken sie manchmal realistisch, dass das, was die
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meisten westlichen Anhänger des Buddhismus praktizieren, eigentlich eine Art Christentum
ist, das lediglich von den Eigenschaften befreit wurde, die den heutigen Menschen an der
christlichen Kirche stören.
Wollen Christen einen Dialog mit der ihnen am nächsten stehenden Tradition, dem
Judaismus, führen, stellen sie fest, dass auf der anderen Seite des Tisches keine „Judaisten“,
sondern Juden sitzen und dass sich keine klare Grenze zwischen Judaismus und Judentum,
zwischen „gläubigen Juden“ und „säkulären Juden“ ziehen lässt (denn das Judentum ist nicht
im gleichen Sinne des Wortes eine Religion wie das Christentum).
Der Historiker des Christentums wird jedoch hinzufügen, dass auch das westliche
Christentum seit der Aufklärung keine Religion mehr ist – oder zumindest keine Religion in
dem Sinne, wie das Christentum der vormodernen Zeit eine Religion war.
Es gibt keine allgemein anerkannten Vertreter und Sprecher des gesamten Islam, des
gesamten Judentums oder des gesamten Christentums. Begriffe wie Christentum, Islam,
Buddhismus usw. sind Abstrakta, die sich für eine Enzyklopädie eignen, in der Praxis aber
eher Verwirrung stiften. Die heute so oft zitierte Pluralität der Religionen beinhaltet auch eine
immer größere Pluralität innerhalb der Religionen – vielleicht beunruhigt und provoziert
diese Pluralität gerade deshalb die religiösen Fanatiker (Vielfalt der Religionen, Kontakte
zwischen ihnen und gegenseitiges Durchdringen gab es schon immer; der Zorn der
Fundamentalisten richtete sich stets vor allem gegen die Gefahr im eigenen Lager).
Einfach gesagt: Man kann keinen Dialog zwischen den Religionen führen, sondern nur einen
Dialog zwischen den Menschen, zwischen den vielgestaltigen Gruppen von Gläubigen.
Da der Dialog eine bestimmte Form braucht, haben wir es in der Regel mit einem Dialog
zwischen Intellektuellen oder mit Begegnungen zwischen Vertretern bestimmter „religiöser
Institutionen“ zu tun. Solche Begegnungen finden jeden Tag in großer Zahl statt – leider
münden sie oft im Entstehen einer gewissen Subkultur von „Dialogprofis“, die sich
untereinander weitaus besser verstehen als mit den meisten Gläubigen, die sie angeblich
repräsentieren; und je mehr sie sich annähern, desto größer gähnt der Abgrund zwischen
ihnen und den „gewöhnlichen Gläubigen“, um nicht zu sagen: den Fanatikern in den
einzelnen Traditionen.
Eine weitere Reihe von Problemen wirft das Verhältnis zwischen den Religionen und den
politischen Institutionen auf.
Seit der Aufklärung wurde das Verhältnis von Religion und Politik im Westen über das
Paradigma der Trennung von Kirche und Staat wahrgenommen, das in einer Situation
entstand, als die Freiheit der Bürgergesellschaft vor der Gefahr einer Dominanz der mächtigen
Kirche und die Freiheit von Kirche und Religion vor der Dominanz der absolutistischen
Staaten geschützt werden mussten.
Dieses Paradigma ist heute gänzlich überholt, denn beide Gefahren gibt es nicht mehr: Die
heutigen Kirchen wollen und können die Freiheit der Bürgergesellschaft nicht bedrohen (sie
haben keine andere Macht als die des Arguments), und der demokratische Staat ist durch die
Verfassung gebunden und muss die Freiheit der Kirchen und Religionen achten. Aber vor
allem haben die Kirchen das Religionsmonopol und die Nationalstaaten das Politikmonopol
verloren. Das Verhältnis von Religion und Politik muss in einem weit größeren Kontext
wahrgenommen werden, als es das Paradigma des Verhältnisses von Kirche und Staat
ist. Mit anderen Worten: Die Trennung von Kirche und Staat (wenn sie denn deren
gegenseitige Achtung bedeutet) hat auf der Ebene der juristischen und politischen Praxis noch
ihren Sinn, ist aber als Schlüssel zum Verständnis des Verhältnisses von Religion und Politik
völlig ungeeignet.
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Überdies kann dieses Paradigma nicht außerhalb eines ausgesprochen christlichen Bereichs
geltend gemacht werden – schon in den beiden anderen monotheistischen Religionen, um
nicht zu sagen in den Religionen des Ostens, finden wir kein Äquivalent einer Kirche – einer
Institution, die die Gesamtheit der Gläubigen repräsentiert und von der Gesamtheit der
Gesellschaft, des Staates und der Nation losgelöst ist.
Die westliche Freiheitskultur erwuchs aus der Unterscheidung der weltlichen von der
kirchlichen Sphäre, die im Mittelalter mit der „päpstlichen Revolution“ gegen das Monopol
der kaiserlichen Macht begann und zu der später die Aufklärung mit dem Ideal der
Gewissens- und Religionsfreiheit entscheidend beigetragen hat. Eine Frucht dieser
Unterscheidung war der „säkuläre, laizistische Staat“, allerdings mit dem Nationalismus als
dessen wichtige Säule; in vielen Fällen ersetzte eine nationale Identität die konfessionelle
oder religiöse Identität als Bindemittel der Gesellschaft. (Die verschiedenen Formen der
Laizität und ihr Verhältnis zur Religion – von der Laizität als einer „Ersatzreligion“ oder
konkurrierenden, antiklerikalen und manchmal auch militant atheistischen Pseudoreligion
über die „civil religion“ bis hin zu ihrer Kompatibilität mit einem „nationalisierten
Christentum“ würden einen gesonderten Vortrag erfordern).
Im Prozess der Globalisierung – dessen Bestandteil auch die Integration Europas ist – werden
die Rolle des Nationalstaates und des Nationalismus jedoch schwächer, wodurch auch das
bisherige Modell der „Laizität“ in eine Krise gerät. Ein politisches Gebilde wie die EU kann
nicht automatisch das mit dem Nationalismus und dem Nationalstaat verknüpfte
„Laizitäts“modell übernehmen (wie es sich z. B. in Frankreich herausgebildet hat). Der
Versuch, dieses Modell auf die EU zu übertragen, käme einer ähnlichen Transformation der
„Laizität“ gleich, wie es die Transformation des Islam in den militanten Islamismus ist.
Die EU darf nicht zu einem „laizistischen Superstaat“ werden, der das Prinzip des
„Multikulturalismus“ und der „politischen Korrektheit“ zur Staatsideologie macht und dann
gegenüber der Religion – vor allem dem Christentum – eine intolerante und repressive Politik
betreibt. Der Philosoph Paul Ricœur spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von einem
„umgekehrten McCarthyismus“.
Es muss klar gesagt werden, dass die Kultur des Dialogs und des Miteinander in der
pluralistischen Gesellschaft zwei gleich ernsten Gefahren ausgesetzt ist: der religiösen
und der säkularistischen Intoleranz.
Die Europäische Union ist als „Wertegemeinschaft“ entstanden – sie muss
konfessionsneutral, kann aber nicht wertneutral sein; sie muss das Recht all ihrer Bürger auf
die Freiheit des Gewissens, der Kultur und der Religion verteidigen, und es liegt in ihrem
ureigensten Interesse, den Raum für religiöses Leben als wichtigen Hort dieser Werte und
unverzichtbare (wenn auch nicht einzige) Quelle der moralischen Inspiration der
Bürgergesellschaft zu bewahren.
Eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass Europa zu einem Ort des „Dialogs der
Religionen“ und im Dialog mit den außereuropäischen Kulturen zu einem überzeugenden
Partner wird, ist der wieder aufgenommene Dialog von Säkularität und Glauben – denn
die Kultur der Kompatibilität dieser beiden Elemente der europäischen Kultur ist der
alles entscheidende Wert für die kulturelle Identität Europas.
Der Weg zwischen der Scylla des religiösen Fundamentalismus und der Charybdis der
säkulären Intoleranz führt über eine neue Allianz der kritischen Rationalität mit den
spirituellen und ethischen Werten des Glaubens. Diese Allianz kann nicht die Form
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irgendeiner Ideologie oder „civil religion“ annehmen, sondern muss sich als dynamischer
Dialog darstellen.
Das westliche Christentum und das Judentum, die in ihrer überwiegenden Mehrheit gelernt
haben, unter den Bedingungen einer pluralistischen Bürgergesellschaft zu leben, bergen in
sich ein wichtiges, bislang nicht genutztes Potential: Sie haben eine Vielzahl von Werten mit
den beiden Welten gemeinsam, die einander heute mit Misstrauen und vielfach mit offener
Feindschaft begegnen, mit der Welt des Islam (mit der sie die gemeinsame „abrahamische
Tradition“ verbindet) und der säkulären Welt des Westens, die keineswegs zufällig aus dem
Schoß des europäischen Christentums und Judentums hervorgegangen ist und vieles von
deren Zügen trägt. Auch die „westliche Version des Islam“ (z. B. der Versuch einiger
türkischer Muslime, an die sufischen Elemente in der islamischen Tradition anzuknüpfen)
muss aufmerksam verfolgt werden. Hier liegt ein großes Energiepotential für einen
„Brückenschlag“.
Religion ist die starke, vitale und ambivalente Wirklichkeit unserer Welt, eine Energiequelle,
die sich zur Zerstörung oder aber zur Kultivierung der menschlichen Gesellschaft einsetzen
lässt.
In den Vereinigten Staaten gibt es umfangreiche Initiativen, das „Friedenspotential der
Religion“ in Gestalt einer Paralleldiplomatie religiöser Gruppen (faith-based-communities) zu
nutzen. Es gibt viele Gesellschaften, die durch jahrelange ethnische und soziale Spannungen,
Kriege und totalitäre Regimes verletzt und traumatisiert sind und in denen es eine Kultur der
Versöhnung braucht, damit aus diesen Traumata nicht neue Konflikte erwachsen; gerade auf
diesem Gebiet, auf dem die politischen und diplomatischen Aktivitäten einen sehr
eingeschränkten Wirkungskreis haben, können die Religionen eine Reihe therapeutischer
Aktivitäten entfalten.
Der interreligiöse Dialog braucht seine akademische Form, aber diese Form muss eine
pädagogische und therapeutische Ausprägung haben. Eine große Verantwortung liegt bei den
Medien; sie müssen Sendungen ausstrahlen, die das Verständnis für die Welten anderer
religiöser Kulturen und gegenseitige Achtung lehren. Sehr gute Erfahrungen gibt es mit
gemeinsamen Seminaren junger Menschen aus unterschiedlichen Religions- und
Kulturkreisen mit dem Ziel, zwischen ihnen dauerhafte Netzwerke für Kontakte und für
Zusammenarbeit aufzubauen.
Wenn die Maßnahmen zur Erweiterung und Vertiefung der europäischen Integration nicht mit
ständiger Pflege einer Kommunikationskultur auf der Ebene der geistigen/geistlichen Werte
einhergehen, wird das geeinte Europa auf Sand gebaut oder in einem Minenfeld errichtet.
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