Hannibal ante portas Vierundzwanzig Jahre führen Rom und Karthago schon Krieg gegeneinander. Sizilien ist römisch geworden; auch von den Inseln Sardinien und Korsika haben die Römer die Karthager vertrieben. Für ein Spottgeld hat der Senat die den Karthagern abgenommenen großen Landgüter auf den Inseln mitsamt den Arbeitssklaven verkauft. Und an wen? An die Senatoren. Sie alle sind dadurch noch reichere Großgrundbesitzer und große Sklavenhalter geworden. Den 24 Kriegsjahren folgen 22 Friedensjahre. Karthago verschafft sich in dieser Zeit einen Ersatz für die verlorenen Inseln. Es erobert Spanien bis zum Ebro, ein Land, in dem es fruchtbare Äcker, saftige Viehweiden und unerschöpfliche Silber- und Goldbergwerke gibt. „Wird Karthago durch die Reichtümer Spaniens nicht bald so reich und stark sein, dass es seine verlorenen Inseln zurückerobern kann?“ fragen die Senatoren in Rom. Sie meinen, das fruchtbare, silberreiche Spanien sollte Rom allein gehören! Ein Senator wird nach Karthago geschickt, um die Räumung Spaniens zu verlangen. Als sich die Karthager weigern, rafft der römische Gesandte die Falten seiner Toga zusammen: „Hier halte ich Krieg und Frieden“, sagt er, „wählet!“ „Gib, was du willst“, antworten die Karthager, die Rom in einem neuen Krieg zu besiegen hoffen. Da lässt der Römer die Toga fallen und ruft: „So sei es Krieg!“ Der Krieg entbrennt von neuem. Karthagos Feldherr in Spanien ist der kluge und tüchtige Hannibal, den seine Krieger achten und verehren. Ein großes Heer hat Hannibal in Spanien gesammelt, mehr als 9.000 Reiter aus Nordafrika, 50.000 afrikanische und spanische Söldner zu Fuß sowie 21 Kriegselefanten. Eines Tages lädt Hannibal seine Unterfeldherren zum Kriegsrat. Einige wollen die Römer in Spanien erwarten, andere in Afrika, um Karthago zu schützen. Hannibal aber sagt: „Warum warten, bis die Römer uns angreifen! Wir greifen Rom an, und zwar in Italien!“ Der Kommandant der Flotte warnt: „Die Flotte der Römer ist jetzt stärker als unsere. Die Römer haben auch Fünfruderer.“ „Nicht übers Meer greifen wir an“, antwortet Hannibal, „sondern zu Lande! Es gibt in Italien viele Städte und Stämme“, verrät er seine geheimsten Gedanken, „die von Rom hart bedrückt werden. Sie werden sich uns anschließen, wenn wir in Italien erscheinen.“ Der Marsch nach Italien dauert etwa ein halbes Jahr. Ein langer, mühseliger, an Entbehrungen reicher Marsch ist es. Zuerst zieht Hannibals Heer nordwärts über die Pässe der Pyrenäen hinweg ins heutige Frankreich. Dann geht es ostwärts. Das Heer überquert die wasserreiche Rhône und beginnt den Übergang über die Alpen. Menschen und Tiere müssen steile Gebirgspfade emporklimmen. Über Geröll und Eisfelder geht es hinweg. Oft steigen die Felsen diesseits des schmalen Pfades steil empor, während jenseits tiefe Abgründe gähnen. Menschen, Elefanten und Lasttiere stürzen in die Tiefe; Waffen, Zelte und Verpflegung gehen verloren. Endlich, nach neun Tagen, ist der Alpenpass erreicht. Das Schwerste scheint überstanden; der Abstieg in das Tal des Po beginnt. Da fällt Schnee, die Pfade werden schlüpfrig. Hannibal ante portas 1 Menschen und Tiere gleiten aus, - und wieder stürzen viele in die Tiefe. Nur 26.000 Krieger mit einem Kriegselefanten erreichen den Po. Hannibal hat jedoch richtig gerechnet: Die von den Römern unterdrückten Bewohner Norditaliens unterstützen ihn bereitwillig. Viele treten als Söldner in sein Heer ein. Der römische Senat schickt Truppen nach Norditalien, Hannibal zu vernichten oder zu vertreiben. Eines Tages liegen sich beide Heere bei dem Dorfe Cannae gegenüber. Die Römer verfügen über 80.000 Mann. Wie eine Mauer stehen die römischen Krieger auf dem Schlachtfeld bereit. Hannibals Truppen zählen nur 50.000. Er hat sie so aufgestellt, dass seine trefflichen Afrikaner (Söldner aus Libyen) und seine Reiterei an den Flügeln stehen. Das Zentrum der karthagischen Schlachtordnung bilden weniger kampfstarke Verbände. Die Schlacht beginnt, die Römer dringen vor, Hannibals Zentrum weicht zurück. Der römische Angriff scheint unaufhaltsam zu sein; schon ist das Zentrum der Schlachtordnung Hannibals tief eingebuchtet. Hannibal selbst kommandiert an der bedrohten Stelle. Noch ein Augenblick, und der römische Durchbruch wird erfolgen. Da erschallt Angriffsgeschrei von rechts, von links, von hinten! Das schwer bewaffnete afrikanische Fußvolk stößt den Römern in die Flanken; Hannibals Reiterei hat den Feind umgangen. Die Römer sind in eine Zange hineingelaufen, die sich nun schließt. 48 00o römische Krieger werden bei Cannae getötet, 10.000 gefangen genommen. Die Kunde fliegt durch Italien. Rom zittert: Hannibal ante portas; Hannibal ist vor den Toren ! Sizilien geht verloren. In Capua, das die Römer vor 100 Jahren unterworfen haben, erheben sich die Bürger. Sie töten alle Römer in der Stadt und schließen sich Hannibal an. Andere Städte folgen. Doch gibt es viele von Rom unterworfene Städte, deren Bürger sagen: „Warten wir ab, wer stärker ist, Rom oder Karthago!“ Dafür gelingt es Hannibal, mit dem König von Mazedonien, dem Beherrscher Griechenlands, ein Bündnis gegen Rom zu schließen. Doch Rom hat seinen Schrecken schon überwunden. Der Senat ordnet an: „Wer Waffen tragen kann, leistet Kriegsdienst!“ Er will ein neues Heer aus dem Boden stampfen. Doch die Zahl der Krieger ist zunächst gering. Da reiht der Senat auch Nichtrömer ins Heer ein. Er kauft 8000 Sklaven und verspricht ihnen die Freiheit, wenn sie gut fechten. Das neue Heer schickt der Senat nicht gegen Hannibal, sondern teilt es in drei Armeen. Eine Armee setzt nach Sizilien über, um die fruchtbare Insel zurückzuerobern. Die zweite Armee landet in Spanien, um dieses silberreiche Land den Karthagern zu entreißen. Die dritte Armee erobert Capua. So furchtbar ist dort das römische Strafgericht, dass keine italienische Stadt mehr wagt, Hannibal zu unterstützen. -Gute Nachrichten treffen in Rom ein. Die neuen Truppen kämpfen wie die Löwen. Das ist kein Wunder; denn jeder Römer weiß, wenn Karthago siegt, wird er versklavt. Noch tapferer fechten die Sklaven, denn sie wollen j a frei werden. Aus Spanien meldet der Armeeführer: „Wir werden von den Spaniern unterstützt, die Karthagos Herrschaft abschütteln wollen!“ In Italien aber murren die Bauern über Hannibal. Die Bauern grollen ihm, weil seine Krieger die Obstbäume im Lagerfeuer verheizen, das Vieh und Getreide rauben, ganze Dörfer zerstören. Siegesmeldungen treffen in Rom ein: „Sizilien ist wieder in unserer Hand! - Spanien ist erobert!“ Am meisten frohlockt der Senat darüber, dass Hannibal keine Verstärkung aus Karthago erhält; denn dort befürchten viele, Hannibal könne durch große Erfolge zu mächtig Hannibal ante portas 2 werden und sich nach seiner Heimkehr zum Alleinherrscher aufwerfen. So ist Hannibal außerstande, neue Schlachten gegen die Römer zu wagen oder gar Rom zu erobern. Rom aber schickt eine starke Armee nach Nordafrika. Dort schließen sich die von Karthago unterjochten Stämme den Römern an. Hannibal muss nach Afrika zurück, um Karthago zu verteidigen. In Afrika kommt es zur Entscheidungsschlacht zwischen Hannibals Truppen und den Römern. Wieder versucht Hannibal die Römer „in die Zange“ zu nehmen. Doch diesmal kann er seine Gegner nicht wieder überlisten. Seine Armee wird geschlagen, und Karthago muss sich Rom unterwerfen. Der siegreiche Senat von Rom tritt Karthago gegenüber wie ein Räuber auf. Alle Besitzungen Karthagos, die außerhalb Afrikas liegen, werden ins Römische Reich eingegliedert. So Jahre lang muss Karthago Kriegsentschädigung an Rom zahlen. Der Senat nimmt sich die gesamte karthagische Flotte. Er verbietet den Karthagern, künftig Krieg zu führen, ohne zuvor vom römischen Senat die Erlaubnis eingeholt zu haben. AUSWERTUNG 1. Der Verlauf der beiden ersten Punischen Kriege und ihr Charakter 2. Hannibals Feldzug und die Ursachen für sein Misslingen 3. Die römischen Gegenmaßnahmen und die Ursachen für den Sieg Roms 4. Der Gewaltfrieden Hannibal ante portas 3