Psalmen IV

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Predigt über Psalm 104 und die Aktion 'Brot für alle':
"Damit das Recht auf Nahrung kein frommer Wunsch bleibt."
Linsebühl, 24. Februar 2008; von Pfr. Stefan Lippuner
(Psalmen IV)
Psalm 104,1-5.10-31:
Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott,
du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig
geschmückt.
2 Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest
den Himmel aus wie einen Teppich;
3 du baust deine Gemächer über den Wassern.
Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen
und kommst daher auf den Fittichen des
Windes,
4 der du machst Winde zu deinen Boten und
Feuerflammen zu deinen Dienern;
5 der du das Erdreich gegründet hast auf festen
Boden, dass es bleibt immer und ewiglich.
10 Du lässest Wasser in den Tälern quellen,
dass sie zwischen den Bergen dahinfliessen,
11 dass alle Tiere des Feldes trinken und das
Wild seinen Durst lösche.
12 Darüber sitzen die Vögel des Himmels und
singen unter den Zweigen.
13 Du feuchtest die Berge von oben her, du
machst das Land voll Früchte, die du schaffest.
14 Du lässest Gras wachsen für das Vieh und
Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus
der Erde hervorbringst,
15 dass der Wein erfreue des Menschen Herz
und sein Antlitz schön werde vom Öl und das
Brot des Menschen Herz stärke.
16 Die Bäume des Herrn stehen voll Saft, die
Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat.
17 Dort nisten die Vögel, und die Reiher wohnen
in den Wipfeln.
1
Die hohen Berge geben dem Steinbock
Zuflucht und die Felsklüfte dem Klippdachs.
19 Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach
zu teilen; die Sonne weiss ihren Niedergang.
20 Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da
regen sich alle wilden Tiere,
21 die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub
und ihre Speise suchen von Gott.
22 Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich
davon und legen sich in ihre Höhlen.
23 So geht dann der Mensch aus an seine Arbeit
und an sein Werk bis an den Abend.
24 Herr, wie sind deine Werke so gross und viel!
Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist
voll deiner Güter.
25 Da ist das Meer, das so gross und weit ist, da
wimmelt's ohne Zahl, grosse und kleine Tiere.
26 Dort ziehen Schiffe dahin; da sind grosse
Fische, die du gemacht hast, damit zu spielen.
27 Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise
gebest zur rechten Zeit.
28 Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn
du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem
gesättigt.
29 Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken
sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen
sie und werden wieder Staub.
30 Du sendest aus deinen Odem, so werden sie
geschaffen, und du machst neu die Gestalt der
Erde.
31 Die Herrlichkeit des Herrn bleibe ewiglich, der
Herr freue sich seiner Werke!
18
Gedicht, das eine Frau während einer Hungersnot geschrieben hat:
(aus Indien)
Jeden Tag um zwölf
in der Mittagshitze
kommt Gott zu mir
in Gestalt von 200 Gramm Haferbrei.
Ich spüre ihn in jedem Korn.
Ich schmecke ihn mit jedem Löffel.
Ich halte Mahl mit ihm,
wenn ich schlucke,
denn er erhält mich am Leben
mit 200 Gramm Haferbrei.
Ich warte auf den nächsten Mittag
und weiss: er kommt.
So kann ich hoffen,
einen weiteren Tag zu leben,
denn du hast Gott zu mir kommen lassen
in 200 Gramm Haferbrei.
Jetzt weiss ich: Gott liebt mich.
Und das verdanke ich dir.
Jetzt weiss ich, was du meinst,
wenn du sagst,
dass Gott diese Welt so liebt,
dass er seinen geliebten Sohn gibt
jeden Tag durch dich.
2
Liebe Gemeinde.
Wir haben zwei recht unterschiedliche Texte gehört: Der erste, aus Psalm 104, ein Text mit
einem stark lobpreisenden Charakter, in dem alles einfach nur gut tönt; etwa mit dem Vers:
"Herr, wie sind deine Werke so gross und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde
ist voll deiner Güter." Unser Gott ist ein grossartiger Gott, der die Welt wunderbar
geschaffen und weise eingerichtet hat, so dass jedes Geschöpf zu seiner bestimmten Zeit
zu seinen Lebensmöglichkeiten kommt: Die wilden Tiere erhalten in der Nacht ihre Nahrung,
der Mensch macht sich am Tag ans Werk und darf Brot und vieles andere bekommen. – "Es
warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du deine Hand
auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt." Gott gibt allen seinen Geschöpfen, was sie
brauchen, auch jedem von uns. Eine wunderbare Zusage, die uns aus Psalm 104
entgegenkommt und auf die auch wir unser Leben vertrauensvoll abstützen dürfen.
Und dann haben wir einen anderen Text gehört, einen Text nicht aus der Bibel, der in
dieses wunderschöne Bild von Psalm 104 einige Risse macht, denn er entstand während
einer Hungersnot. Auch dieser Text einer Frau aus Indien hat zwar einen dankbaren und
vertrauensvollen Grundton und spricht von der erfahrenen Versorgung durch Gott. Aber er
zeigt doch auch deutlich, dass es in unserer Welt nicht nur Sattheit und Überfluss gibt,
sondern auch Mangel und Hunger.
Und das wissen wir ja alle. Niemand kann heutzutage leugnen oder die Augen davor
verschliessen, dass etwa 850 Millionen Menschen (ein Siebtel der Weltbevölkerung) nichts
zu essen haben und dass jeden Tag ca. 25'000 Menschen (wovon dreiviertel Kinder) an
Nahrungsmangel sterben, also alle vier Sekunden ein Mensch. – Wir hören und lesen viel
von solchen Zahlen und Tatsachen, gerade auch im Zusammenhang mit der Aktion "Brot für
alle" und ihrem Motto: "Damit das Recht auf Nahrung kein frommer Wunsch bleibt"; und
manchmal ist es uns fast zu viel und wir möchten am liebsten nichts mehr davon hören.
Aber ich denke, wir alle werden doch immer wieder von der Frage geplagt: Warum ist das
so? Warum loben und bekennen wir (zusammen mit Psalm 104) Gott als denjenigen, der
alle seine Geschöpfe versorgt, und gleichzeitig müssen wir mitansehen, wie unzählige
Menschen sterben, weil ihr Recht auf Nahrung tatsächlich nur ein frommer Wunsch bleibt?
Wie geht das zusammen? Warum ist das so?
Ich weiss, dass man hier von vielen, zum Teil sehr komplexe Zusammenhänge sprechen
müsste, aber ich glaube, dass der tiefste Grund dafür doch eigentlich ein sehr einfacher ist:
Es ist so, weil der Mensch und mit ihm die ganze Welt aus der Schöpfungsordnung
Gottes herausgefallen ist. – Gott hat diese Welt nicht mangelhaft erschaffen, sondern im
Gegenteil: Alles war sehr gut [vgl. 1. Mose 1,31]. Er hat seine Schöpfung so geordnet, wie
es in Psalm 104 beschrieben wird: dass alle Geschöpfe und damit auch alle Menschen zur
rechten Zeit und genug bekommen, um gut leben zu können.
Doch der Mensch hat diese gute Schöpfungsordnung zerstört. Er wollte sein wie Gott, er
wollte selber Gott sein – und ist tief gefallen (wir haben uns ja vor zwei Wochen etwas mit
diesem sog. Sündenfall beschäftigt). In diesen Fall hat der Mensch eben auch die ganze
Schöpfung miteinbezogen; seither sind auch die Schöpfungsordnungen zerbrochen. Und
es ist nur der unendlichen Güte Gottes zu verdanken, dass er es trotzdem regnen lässt, die
Sonne scheinen lässt und es wachsen lässt auf den Feldern.
Aber eben, es ist nicht mehr alles in Weisheit geordnet, denn der Mensch hat das Schicksal
der Welt selber in die Hand genommen. Und der Mensch ist halt in seinem Wesen habgierig
und egoistisch. Denn eigentlich müsste auch heutzutage niemand auf dieser Welt vor
Hunger sterben; es gäbe genügend Nahrung auf der Erde, damit jeder Mensch zu essen
hätte, statistisch gesehen. – Aber diese Nahrung ist sehr ungleichmässig und ungerecht
verteilt: Bei den einen herrschen Hunger und Mangel, bei den anderen Überfluss und
Verschwendung. Sie müssen nur einmal in einen dieser neuen Coop-Megastores gehen; da
wird es einem direkt schwindlig bei dieser Riesenauswahl an Früchten und Süssigkeiten
und Getränken usw.
3
Die Schuld an Hunger und Elend in dieser Welt darf also nicht Gott in die Schuhe
geschoben werden, wie das immer wieder einmal getan wird. Nein, die Menschheit ist
selber Schuld daran, dass es einem recht grossen Teil von ihr so schlecht geht. Gott hat
alles weise geordnet und die Erde mit seinen Gütern erfüllt; aber wir Menschen haben diese
Ordnungen zerbrochen und sind mit diesen Gütern egoistisch umgegangen. Die Menschheit
selber steht in der Verantwortung.
Diese Verantwortung ist übrigens durchaus schon in der Schöpfungsordnung Gottes
vorgesehen. Denn als Gott die Menschen schuf (so wird es uns auch am Anfang der Bibel
erzählt), gab er ihnen den Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, über die Erde zu
herrschen [1. Mose 1,28]. Damit war ursprünglich gemeint, dass die Menschen beauftragt
wurden, die Erde zu kultivieren, sie zu bebauen und zu nutzen. – Davon ist auch in Psalm
115 die Rede, wenn es dort heisst: "Der Himmel ist der Himmel des Herrn, die Erde aber
hat er den Menschen gegeben" [Psalm 115,16]. Der Mensch hat also von Gott die
Verantwortung bekommen für das Leben auf dieser Erde.
Doch auch diese gute Ordnung Gottes zerbrach durch den Sündenfall, weshalb seither
die Menschen (das kennen wir ja ebenfalls bestens) nicht im positiven Sinn über die Erde
regieren, sondern die Schöpfung ausnutzen, bedrücken und zerstören und ihre
Mitmenschen ins Elend bringen. – Wir Menschen sind selber verantwortlich dafür, dass es
Hunger, Ungerechtigkeit und Gewalt gibt in unserer Welt. Wir alle sind miteinbezogen,
selbst wenn wir uns persönlich nicht direkt ungerecht verhalten gegenüber einem Menschen
zum Beispiel in Haiti. Denn auch jede und jeder von uns ist ein Teil der gefallenen
Menschheit, und heutzutage ist sowieso alles auf dieser Welt miteinander verhängt und
vernetzt; der Hunger in der sog. 3. Welt und die Sattheit in der 1. Welt (zu der wir gehören)
hängen eng miteinander zusammen.
Ich weiss, dies alles tönt sehr negativ und ist nicht gerade angenehm und aufbauend. Aber
wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen und uns mit diesen unangenehmen Themen
wie eben Hunger in der Welt beschäftigen. Doch wir dürfen dabei wissen, dass es
gegenüber all dem Negativen, Niederdrückenden auch eine gute Botschaft gibt, die wir
hören dürfen. Und von dieser guten Botschaft möchte ich jetzt auch noch sprechen. Sie hat
zwei Teile:
Der erste Teil lautet: Gott ist und bleibt gnädig und barmherzig. Auch wenn der Mensch
von Gott abgefallen ist und die Schöpfungsordnungen zerbrochen hat, so ist die Gnade
Gottes doch so gross, dass er (ich habe es bereits erwähnt) die Schöpfung, die Welt
trotzdem erhält und dafür sorgt, dass die Menschen grundsätzlich zu leben haben. Deshalb
konnte auch diese Frau aus Indien in ihrem Gedicht Gott danken für die Versorgung gerade
in der Hungersnot.
Gottes Liebe zu seiner Welt ist sogar so gross, dass er selber ganz in diese Welt
hineingekommen ist, dass er in Jesus Christus selber ein Mensch geworden ist und in
seinem Tod am Kreuz die Schuld und die Schlechtigkeit der Menschheit auf sich selber
genommen hat. Dadurch können wir Menschen Vergebung erfahren, auch für das, was wir
unseren Mitmenschen in der weiten Welt angetan haben. Es ist Veränderung möglich und
Heilung des Zerbruchs, wenn wir diese Gnade Gottes bewusst für uns in Anspruch
nehmen.
Das ist der erste Teil der guten Botschaft angesichts von Hunger und Elend in der Welt:
Gott hat sich nicht von dieser Welt zurückgezogen und lässt die Menschheit nicht im Stich,
sondern er liebt sie trotz allem und will immer wieder mit seiner Hilfe kommen. Er hat seine
Schöpfungsordnungen nicht vergessen, auch wenn sie durch den Menschen zerbrochen
wurden. Deshalb dürfen wir auch weiterhin solche lobpreisenden Texte wie unseren Psalm
104 lesen und beten und darauf vertrauen. Denn Gottes Reich, in dem alles
wiederhergestellt sein wird, in dem es keinen Mangel, keine Ungerechtigkeit und kein Leid
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mehr geben wird, kommt; es ist unterwegs, es dringt schon da und dort in unsere gefallene
Welt ein und bringt Veränderung und Erneuerung.
Der zweite Teil der guten Botschaft betrifft die Verantwortung und den Auftrag, die uns
Menschen gegeben sind. Wenn der Mensch verantwortlich ist für den schlimmen Zustand
der Welt, dann hat er auch die Verantwortung und die Möglichkeit, etwas dagegen zu
unternehmen. Und genau da haken Organisationen und Aktionen wie diejenige von "Brot
für alle" ein: Sie rufen uns dazu auf, die Verantwortung für die Erde und für unsere
Mitmenschen, die uns Gott in der Schöpfung gegeben hat und die wir auch durch den
Sündenfall nicht verloren haben, wahrzunehmen und im positiven Sinn, also nicht
ausbeuterisch und zerstörend, sondern aufbauend und helfend zu handeln.
Natürlich brauchen wir dazu zuerst selber eine Erneuerung. Denn aus unserem gefallenen
Menschsein heraus sind wir nicht wirklich fähig, auf gute Weise zu handeln; da kommt
letztlich immer nur Schlechtes heraus. Aber wenn wir durch Gott und durch den Erlöser
Jesus Christus, durch den Glauben an ihn selber verändert werden, wenn unser
Menschsein durch das Wirken Gottes an uns erneuert wird, dann werden wir befähigt und
auch beauftragt, von uns selber wegzuschauen und zum Wohl unserer Mitmenschen, zum
Wohl unserer Welt tätig zu werden. Darum müssen alle Aufrufe zum Handeln und Helfen
unbedingt diese Gemeinschaft mit Gott und diesen Glauben an Jesus Christus zur
Grundlage haben. – Ohne Gott ist uns letztlich nichts möglich; mit Gott sollen und können
wir uns einsetzen. Gott will seine Barmherzigkeit und seine Hilfe gerade durch andere
Menschen zu den Menschen bringen, auch durch uns. Das ist doch ebenfalls eine gute
Botschaft.
Auf dieser Grundlage können wir nun das Motto von "Brot für alle" ernst nehmen: "Damit
das Recht auf Nahrung kein frommer Wunsch bleibt". Wir können uns einsetzen, indem wir
zum Beispiel Geld spenden für Projekte, die mindestens einem Teil der hungernden
Menschen helfen können (wie wir es heute mit der Kollekte und dem anschliessenden
Suppentag tun werden). Wir können uns einsetzen, indem wir einen bewussteren Umgang
mit unserer eigenen Nahrung und unserem eigenen Konsum pflegen (z.B. Lebensmittel
kaufen, die unter fairen, existenzsichernden Bedingungen produziert wurden).
Wir können uns einsetzen, indem wir mit den Möglichkeiten, die wir haben, Einfluss nehmen
auf die Politik und die wirtschaftlichen Bedingungen. Denn (ich habe es bereits angetönt)
Hunger und Armut in der Welt sind zu einem grossen Teil durch eine gewalttätige Politik und
eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung verursacht, also müsste auf diesen Ebenen auch
Abhilfe geschaffen werden. – Und wenn wir in diesen Bereichen selber zu wenig
Einflussmöglichkeiten haben, dann können wir z.B. eine Petition unterschreiben und vor
allem auch dafür beten, dass Menschen, die Einfluss nehmen können, dazu bewegt
werden, dies wirklich zu tun.
Ich möchte jetzt nicht mehr weiter aufzählen; es gibt sicher noch manche anderen
Möglichkeiten, wie wir unsere Verantwortung wahrnehmen und uns einsetzen sollen und
können zum Wohl unserer Mitmenschen und unserer Welt. Ich möchte uns alle einfach
ermutigen, es zu tun. Wenden wir uns immer wieder neu unserem gnädigen und
barmherzigen Gott zu; lassen wir uns von ihm verändern und damit befähigen und
ausrüsten zu guten Taten, damit für die vielen hungernden Menschen auf der Erde das
Recht auf Nahrung kein frommer Wunsch bleibt, sondern zu einer erfahrenen Realität wird –
und damit der Lobpreis von Psalm 104 wieder neu zur Geltung kommen kann: "Herr, wie
sind deine Werke so gross und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll
deiner Güter. Die Herrlichkeit des Herrn bleibe ewiglich, der Herr freue sich seiner Werke!"
AMEN
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