Wer darf was im Gottesdienst?

Werbung
WER DARF WAS IM GOTTESDIENST?
Seit vielen Jahren werden Gottesdienste der ökumenischen Dekade „Solidarität der Kirchen
mit den Frauen“, aber auch Weltgebetstagsgottesdienste, Friedensgottesdienste,
Themengottesdienste und andere Sondergottesdienste von einem Team gestaltet – oft unter
Beteiligung einer Pastorin oder eines Pastors, oft aber auch in eigener Verantwortung. Die
Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt wird: Was ist offiziell erlaubt?
Wer darf was?
1. Was sagt die Verfassung der Nordelbischen Evang.-Luth. Kirche?
Grundlage des Bekenntnisses ist laut Präambel das Evangelium von Jesus Christus, wie es
„im Zeugnis der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments gegeben und in den
altkirchlichen Bekenntnissen und den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften
ausgelegt und bezeugt ist“. Auf dieser Basis gilt: „Die NEK ist zu ständiger Erneuerung ihres
Lebens gerufen!“. Gottesdienste neu zu verstehen und neu zu feiern ist von daher nicht nur
möglich sondern notwendig!
Gottesdienste, die explizit eine gerechte Gemeinschaft von Frauen und Männern intendieren,
entsprechen darüber hinaus dem konkreten Verfassungsauftrag der Kirche, wie er in den
Grundartikeln zum Ausdruck kommt: „Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der
Kirche ist durch die Taufe in Jesus Christus gegeben. Diese Gemeinschaft gilt es, im Leben
der Kirche wirksam und erfahrbar werden zu lassen“ (Art. 2a).
Dabei liegt die Erfüllung des Auftrags der Kirche ihrer Verfassung nach ausdrücklich nicht
nur bei den hauptamtlichen Amtsträgerinnen und Amtsträgern, sondern bei allen Gliedern
der Kirche: „Alle Glieder sind für die Erfüllung des Auftrages der Kirche mitverantwortlich. Sie
sollen nach ihren Gaben und Kräften Aufgaben übernehmen und die Lasten der Kirche
mittragen“ (Art. 6, 2)! So ist auch im Blick auf die Ortsgemeinde von der „gemeinsamen
Verantwortung“ zur Erfüllung der Aufgaben die Rede, „daß das Evangelium verkündigt, die
Taufe empfangen und das Abendmahl gefeiert wird“ (Art. 7,2). Vertreten wird die
Kirchengemeinde durch den Kirchenvorstand, der für Leitung und Verwaltung die
Verantwortung trägt. Ausdrücklich benannt wird auch seine „geistliche Verantwortung“ (Art.
14), zu der auch die Sorge für „den öffentlichen Gottesdienst an Sonntagen und kirchlichen
Feiertagen“ gehört (Art. 15,1a).
(Nur) im Zusammenhang der Verantwortung der gesamten Gemeinde (Priestertum aller
Gläubigen) ist der besondere Dienst der Pastorinnen und Pastoren zu sehen und zu
verstehen, der ihnen durch die Ordination übertragen wird: „die Sammlung der Gemeinde
durch die öffentliche Verkündung des Evangeliums in Wort und Sakrament im Gottesdienst
und in den Amtshandlungen“ (Art. 20,1).
Im Einvernehmen mit dem Kirchenvorstand kann die Pastorin/der Pastor „evangelischen
Gemeindegliedern die Predigt im öffentlichen Gottesdienst übertragen“. Bei einem
regelmäßigen Dienst ist die Zustimmung der zuständigen Pröpstin/des Propstes erforderlich
(Art. 23, 2). Im Einzelfall kann die Predigt im Einvernehmen mit dem Kirchenvorstand auch
Mitgliedern anderer christlichen Kirchen übertragen werden. (Art. 23,3)
Wer darf was im Gottesdienst?:
Jede Christin, jeder Christ hat nicht nur das Recht, sondern auch den Auftrag, „das
Evangelium in Wort und Tag zu bezeugen, und das Recht, zur Verkündigung Stellung zu
nehmen“ (Art. 23,1). Im Sinne guter Ordnung ist für die öffentliche Wortverkündung und die
Gestaltung des gottesdienstlichen Lebens einer Kirchengemeinde der Kirchenvorstand
zuständig. Wenn also eine Gruppe von ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern einen
öffentlichen Gottesdienst plant und gestalten will, hat sie dazu – nach Rücksprache mit dem
Kirchenvorstand - alle Freiheit und allen Grund!
2. Was sagt das Evangelische Gottesdienstbuch?
Das Evangelische Gottesdienstbuch, die Agende für die Evangelische Kirche der Union und
für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, bringt die „spirituelle und
liturgische Entwicklung der letzten Jahrzehnte“ zum Ausdruck (13) und nennt sieben
„maßgebliche Kriterien für das Verstehen und Gestalten des Gottesdienstes“ (15ff). Da sie
ebenfalls explizit oder implizit Antworten geben auf die Frage: Wer darf was? und vor allem
Wie? zitieren wir an dieser Stelle die Kriterien samt einigen Aussagen aus den
Erläuterungen:
1. Der Gottesdienst wird unter der Verantwortung und Beteiligung der ganzen Gemeinde
gefeiert.
Die Reformation hat das Priestertum aller Getauften neu zur Geltung gebracht. Daher ist die
ganze Gemeinde für den Gottesdienst verantwortlich. Die Gemeinde, die von Gott mit der
Vielfalt von Geistesgaben beschenkt wird, soll sich mit all diesen Gaben, Fähigkeiten und
Erkenntnissen am Gottesdienst beteiligen. Gottesdienstordnungen sollen hierfür immer neu
Wege ebnen und Möglichkeiten erschließen.
2. Der Gottesdienst folgt einer erkennbaren, stabilen Grundstruktur, die vielfältige
Gestaltungsmöglichkeiten offen hält.
3. Bewährte Texte aus der Tradition und neue Texte aus dem Gemeindeleben der
Gegenwart erhalten den gleichen Stellenwert.
4. Der evangelische Gottesdienst steht in einem lebendigen Zusammenhang mit den
Gottesdiensten der anderen Kirchen in der Ökumene.
5. Die Sprache darf niemanden ausgrenzen; vielmehr soll in ihr die Gemeinschaft von
Männern, Frauen, Jugendlichen und Kindern sowie von unterschiedlichen Gruppierungen in
der Kirche ihren angemessenen Ausdruck finden.
….Niemand darf im Gottesdienst durch Wort oder Verhalten ausgegrenzt oder beiseite
geschoben werden… das erfordert, eingeschliffene Sprachgewohnheiten zu durchdenken
und gemäß den unterschiedlichen Lebens- und Glaubenserfahrungen von Männern und
Frauen zu verändern…
6. Liturgisches Handeln und Verhalten bezieht den ganzen Menschen ein, es äußert sich
auch leibhaft und sinnlich.
7. Die Christenheit ist bleibend mit Israel als dem erstberufenen Gottesvolk verbunden.
3. Wie ist es mit dem Abendmahl?
Alles Gesagte gilt auch im Blick auf die
Orientierung darüber hinaus:
Gestaltung und Feier des Abendmahls! Zur
„Die Regel ist, dass das Sakrament öffentlich unter Leitung eines dazu Berufenen gefeiert
wird“, d.h. einer ordinierten Pastorin bzw. eines ordinierten Pastors (S.85). Es können aber
auch Nichtordinierte beauftragt werden, in einer besonderen Situation oder für einen
bestimmten Wirkungsbereich kirchlicher Arbeit (Heinrich/Blaschke, 86).
An der Austeilung und Gestaltung des Abendmahls können alle Glieder der Gemeinde
beteiligt werden (vgl. a.a.O. 86).
Die Gestaltung des Abendmahls ist variabel. Nicht zuletzt Abendmahl sollte im Sinne der
Kriterien des Evangelischen Gottesdienstbuches vielstimmig und vielfältig gefeiert werden.
Die Einsetzungsworte bleiben biblisch – und liturgierechtlich - vorgegeben und sind nicht
ersetzbar. Sie sollten im Regelfall von einer ordinierten Person gesprochen werden, können
nach evangelischem Verständnis aber z.B. auch mit anderen gemeinsam gesprochen
werden.
Die vielfältigen Sinn- und Bedeutungsaspekte des Abendmahls lassen sich nicht alle
gleichzeitig und gleichermaßen aufnehmen. Es gilt auszuwählen, was in der konkreten
Situation verstehbar, aufschlussreich, von Bedeutung sein könnte. Das setzt voraus, dass
neben biblisch-theologischen Sachkriterien und liturgierechtlichen Erwägungen auch die
Lebens- und Vorstellungswelt der zum Abendmahl Eingeladenen zu berücksichtigen ist.
Auch aus diesem Grund sind bei der Gestaltung und der inhaltlichen Ausrichtung der
Abendmahlsfeiern die sogenannten Laiinnen und Laien gefragt. Eine monologisch,
hierarchisch, - womöglich wie eh und je männerzentriert - inszenierte Feier des Abendmahls
durch Amtsträger und Amtsträgerinnen ist nicht das Wahre!
Abendmahl ist Feier und leibhaftige Vergewisserung der Gegenwart Gottes in Christus Jesus
mitten im Leben. In Gottes Geistesgegenwart ist Abendmahlsgemeinschaft
die
Gemeinschaft von Verschiedenen, die ausnahmslos alle Glieder eines Leibes sind, nicht
gleichartig, aber gleichwertig, gleich wichtig und von Bedeutung, eine Gemeinschaft auf einer
Ebene, ohne Oben und Unten und verschlossene Türen.
Für die Teilnahme von Kindern am Abendmahl spricht z.B. laut Evangelium alles. Ihr Glaube
ist keine Vorform, sondern wird zum Vorbild des Glaubens, wo es um Gottes Reich geht (Mt
18,3 par). Nicht intellektuelle Einsicht und Potenz ist beim Abendmahl gefragt, sondern die
Bereitschaft, sich von Gott beschenken zu lassen. Kinder wie Erwachsene sollten
entsprechend ihren Verstehensmöglichkeiten aber wissen, was ihnen mit dem Abendmahl
geschenkt wird. Das Gespräch über Abendmahl ist angesagt – mit Kindern wie mit
Erwachsenen.
4. FAZIT
Wer darf was im Gottesdienst? Die Antwort ist: Immer mehr als wir meinen!
Literatur:
Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die
Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, 1999; Gerd Heinrich, Klaus
Blaschke: Die Taufe / Das Brot und das Evangelium. Grundlinien für das kirchliche Handeln,
1992; Ute Grümbel: Abendmahl. Biblische Vorgaben. Erfahrungen und Ansichten.
Konsequenzen für die Praxis, in: Lernort Gemeinde, Heft 1, 1999, 35-42; Dies.: Abendmahl.
Stein des Anstoßes und Hoffnungszeichen. Thesen für den Dialog, in: Evangelische
Theologie, 2-2003, 100-110
Gundula Döring, Ute Grümbel
Dezember 2003
Herunterladen