06.11.2005 Lk 11, 14-23

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Lk 11,14-23 Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres 6.11.2005
14 Und er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der
Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich.
15 Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch
Beelzebul, ihren Obersten.
16 Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
17 Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit
sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre.
18 Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen?
Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul.
19 Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen
treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.
20 Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das
Reich Gottes zu euch gekommen.
21 Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in
Frieden.
22 Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er
ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.
23 Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der
zerstreut.
Liebe Gemeinde,
Jesus befreit einen Menschen zur Sprache. Vorher war er gefangen. Damals war
klar: ein böser Geist hatte sich seiner bemächtigt. Kein Geist, der ihn in das Tun
des Wahnsinnigen trieb, keiner, der ihn auffällig werden ließ, aggressiv etwa
oder gewalttätig. Nein, es war ein leiser Geist, ein fast unmerklicher Geist. Es
war ein böser Geist, der war stumm.
Ein stummer Geist in einem Menschen, der durch ihn verstummt. Jesus hat auch
taubstumme Menschen geheilt. Aber das wird hier ausdrücklich nicht gesagt,
daß der Mensch taubstumm gewesen wäre. Einfach stumm, sein Mund
verschlossen, seiner Sprache beraubt, seiner Möglichkeit, sich Ausdruck zu
verleihen, benommen. Ein schlimmer Geist ist das gewesen.
Manchmal sagen Menschen: er war immer so stumm. Er hat doch nie etwas
gesagt. Sie war doch immer so ruhig. Naja, gesprochen hat sie nie sehr viel. So
sagt man in bestimmten Situationen nachher. Er war doch ein recht ruhiger
Schüler. Sie ist doch nie aufgefallen. Da hat man doch vorher nichts gehört.
Eigentlich ist es doch ganz ruhig um ihn gewesen. Wir hören die Schreie
Afrikas gar nicht hier im Speck. Warum hat er denn nie etwas gesagt?
Sicher nicht deshalb, weil dieser Mensch verzaubert gewesen wäre an der
Zunge. Jesus heilt hier etwas ganz anderes als eine Lähmung der Muskulatur.
Wenn er den bösen Geist vertreibt, wenn er das verjagt, was über dem
Menschen lastet, dann werden alle Mächte zurückgedrängt, ausgetrieben mit
dem Finger Gottes. Ihre Herrschaft wird beendet. Ihre Diktatur wird zerstört.
Ihre Tyrannei muß unterliegen. Der Stärkere ist da. Christus zersprengt die
Fessel des Mundes. Nichts soll mehr im Schweigen zugrunde gehen. Nichts ist
so stark, daß es auf Dauer den Menschen verstummen läßt. Gott ist größer.
Christus ist stärker.
Am vergangenen Mittwoch gab es in unserer Gemeinde einen Vortrag zu einem
schwierigen Thema. “Patientenverfügung - Selbstbestimmung am Lebensende”.
Allein schon das Wort Lebensende wiegt schwer. Wer mag daran denken? Wer
mag es aussprechen? Wer mag darüber reden? Es ging an diesem Abend auch
darum, dem Dämon der Sprachlosigkeit zu begegnen. Der Referent Dr. Heubel,
ein Arzt, erreichte es mit guten Bespielen und mit sachlichen Informationen,
Menschen Mut zu machen, sich ihre Meinung zu bilden und sie auszusprechen.
Oder auch ihre Fragen und Bedenken vor den vielen Gästen dieses Abends
auszusprechen. Und ob nun jemand das Wort ergriff oder die Worte in der Stille
seiner Gedanken fand und so zur Sprach kam, das ist dabei zweitrangig
gewesen. Hier wurde eine ganz wichtige menschliche Erfahrung aus einer
Stummheit befreit. Als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme.
Warum gelang das? Wir können uns als Christinnen und Christen dem Thema
Lebensende zuwenden, weil wir an einen Gott glauben, der nicht vor dem Ende
aufgehört hat, Mensch zu sein. Wir kennen viele Bilder des Lebensendes von
Jesus Christus. Der Ort seines Todes, das Kreuz, ist der Inbegriff unserer
Religion geworden. Fast in allen unseren Kirchen ist es vorne und in der Mitte,
und oft auch mit dem Sterbenden Jesus abgebildet. Das hat er auch deshalb
getan, damit die Dämonen da nicht sind, wo wir Menschen am schwächsten
sind: wenn unsere Möglichkeiten zu Ende gehen. Das Lebensende steht dafür
auch zeichenhaft, für viele andere Situationen des Endes, Verlustes und
Abschieds.
Christus ging es nicht darum, das Böse mit noch schlimmerem zu vertreiben. Er
zeigte Format in der Begegnung mit ihm, gerade indem er sich ihm aussetzte.
Und so wurde immer wieder seine stärkere Kraft deutlich. “Wenn ich mit dem
Finger Gottes die bösen Geister austreibe, so ist das Reich Gottes zu euch
gekommen.” Jesus hat nicht die Faust gemacht, er hat nicht durchgegriffen und
aufgeräumt, sondern der Finger Gottes reichte ihm aus, um sein Werk zu tun.
Wir denken manchmal, es müßte mit großer Macht dem Bösen begegnet
werden. So werden die Armeen durch die Welt gesandt, um dreinzuschlagen
und zu bomben. Sei es die “Achse des Bösen” eines George Bush, um die es
merkwürdig still geworden ist, seien es die dämonisierten und verteufelten
Ungläubigen, die man meint in täglichen Bombenattentaten in die Luft sprengen
zu müssen, sei es der Ruf nach Ordnung, Polizei und Gesetz, Jesus hat das alles
nicht gebraucht. Der Finger Gottes genügte, nicht einmal die Hand, geschweige
denn der Arm des Herrn. Wer die Vollmacht hat, braucht keine großen Heere
und Mächte. Und Christus hat seine Jüngerinnen und Jünger immer dieses
gelehrt: treibt den Teufel nicht mit dem Beelzebul aus, vergeltete nicht Gleiches
mit Gleichen, oder in den Worten des Paulus: “Laß dich nicht vom Bösen
überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.”
Gut ist zu reden. Gut ist das Gespräch. Gut sind die Verhandlungen. Gut ist es,
einander zuzuhören, sich auszusprechen, auf dem Weg der Versöhnung. Welch
ein Gewinn bedeutet es, wenn man etwa zwischen Freunden wieder beginnt zu
reden. Welches neue Glück zieht herauf, wenn in einer Ehe das Verfremden
beendet. Welche Entspannung bringt das Gespräch mit sich, auch auf der Ebene
der Politik. Ist es nicht auch ein gutes Zeichen, wenn durch die
Koalitionsverhandlungen in Berlin erstmalig die Parteispitzen die gegenseitigen
Parteizentralen besuchen? Da waren wir in den Kirchen doch schon wesentlich
weiter. Aber nun gut, man ist im Gespräch.
Die heutige Geschichte zeigt uns jedenfalls, daß Christus stärker ist als alles,
was uns die Sprache verschlägt und rauben will. Wie vieles, und was im
einzelnen, ist der Rede Wert, wo wir es unter das Licht des Evangeliums vom
Reich Gottes stellen? Welche Befreiung, gerade auch bei schwierigen Themen,
gerade auch mit schwierigen Menschen, können wir erleben, wenn Jesus
Christus den bösen Geist der Stummheit vertreibt! Ich glaube, es ist gut, ganz
konkret im eigenen Leben und in den eigenen Beziehungen dem nachzugehen,
so schwer es auch ist. Denn das Schlimme am stummen Geist ist gerade seine
Lautlosigkeit, mit der er sich in das Herz einschleicht, mit der er von
Beziehungen Besitz ergreift, mit der er ganze Kulturen unterwandert und sein
zerstörerisches Feuer entflammt. Die Getthoisierung der
Einwanderergenerationen in den französischen Großstädten, in den riesigen
abgeschiedenen Vierteln des Sozialen Wohnungsbaus ist auch so ein Ergebnis
des stummen Geistes.
Aber achten wir auch untereinander darauf, daß niemand verstumme und sein
Schweigen in sich herein fresse. Die Aufgabe mag dazu manchmal groß sein.
Und manchmal mag sich mancher ohnmächtig fühlen wie in der Begegnung mit
einem starken Dämonen. Gewiß, er mag Macht haben. Christus aber hat
Vollmacht, er ist auf der Seite des Stärkeren, und da will er auch uns haben.
Manchmal sehen wir das nicht. Das liegt auch daran, daß Christus schon auf der
Seite der Vollendung lebt, auf die wir erst glaubend, tastend zweifelnd und doch
immer wieder hoffend zugehen. Aber die Seiten diesseits und jenseits sind
verbunden. Der Finger Gottes ragt zu uns, wie es Michelangelo einst in der
Schöpfung malte, er rührt uns an, er berührt unsere Zunge. Und wie in einem
Traum, wo die Worte wieder kommen, wie durch ein Wunder beginnen wir zu
reden und einander zuzureden und von den großen Taten Gottes sprechen.
Amen.
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