allen - Bistum Limburg

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Karfreitag
Schwestern und Brüder!
Ich danke Ihnen, dass sie gekommen sind,
diese Stunde hier mit uns
und mit Jesus zu teilen.
Denn diese Stunde ist nicht angenehm.
Was wir heute hören,
läßt Menschen stumm werden.
Es macht traurig.
Angesichts der Ohnmacht des Guten
und der Übermacht des Bösen
fühlen wir uns hilflos.
Heute ist ein Trauertag.
Ein Trauertag für alle Opfer,
für alle Gekreuzigten,
für alle, die verfolgt werden,
für alle, die Unrecht erleiden.
Am Karfreitag feiern wir nicht die Helden,
sondern die Opfer.
Die Opfer dieser Welt:
Das sind die 200 Mädchen,
die vor Tagen in Nigeria umgebracht wurden
von Männern einer Sekte,
die behaupten,
dies im Namen Gottes zu tun.
Das sind die Kinder am Bahnhof in Bukarest,
deren einziges Glück es ist,
etwas Klebestoff zum schnüffeln zu bekommen.
Die Opfer dieser Welt
sind die jungen Frauen,
die zu abertausenden in den Haushalten der Emirate arbeiten,
ohne Rechte, ohne Freizeit,
oft erniedrigt und schlecht entlohnt.
Die Opfer dieser Welt sind die
brasilianischen Bauern im Delta des Rio Grande,
die mit Gewalt von ihren Feldern vertrieben werden,
damit großflächig Spargel
oder Pflanzen für Benzin angebaut werden können.
Die Opfer dieser Welt
arbeiten in den Schlachthäusern hier in Deutschland,
damit das Fleisch möglichst billig ist.
In dieser Welt werden Menschen geopfert,
kaputtgemacht, verjagt, ermordet
für Geld und Profit,
für Macht und Ideologien.
Aber es gibt nicht nur Opfer der Welt.
Wer aufmerksam die Passion liest,
stellt auch fest:
Es gibt auch Opfer der Religion.
Der Glaube an Gott
bringt Menschen nicht nur Erlösung,
sondern auch das Kreuz.
Manch einer erfuhr es am eigenen Leib,
in der eigenen Seele.
Wie ein falsch vermittelter Glaube,
Menschen Angst macht,
sie in Depressionen treibt,
Jahres des Lebens verdirbt.
Denn der Glaube an Gott
macht Menschen nicht nur weit,
sondern manchmal auch eng und menschenverachtend.
Der Glaube an Gott
macht Menschen nicht nur zu Liebenden,
sondern läßt sie auch hassen,
macht sie hart.
Mit voller Überzeugung
berufen sich diese Menschen auf ihren Gott.
Es gibt mir sehr zu denken,
dass es die Frommen waren,
jene, die glaubten,
Gott auf ihrer Seite zu haben,
die Jesus kreuzigen ließen.
Der Karfreitag ist ein Trauertag,
an dem wir der Opfer gedenken.
An dem jedes Jahr neu
Jesus den Finger in die Wunden dieser Welt legt
Und sie uns neu bewußt macht.
Es gibt heute keine Lösung.
Wir müssen den Karfreitag aushalten.
Das Warum bleibt im Raum. Amen.
Meditation – an Stelle der Predigt an Karfreitag
Diese Meditation wird gelesen vor dem Kreuz, als ein Dialog mit dem Gekreuzigten.
Unverstanden –
hängst du da am Kreuz, Herr Jesus Christus.
Unverstanden –
von den Menschen, die Dich am Kreuze sehn,
von den Pharisäern, von Pilatus und Herodes.
Unverstanden –
von den Blinden, die du geheilt,
von den Aussätzigen, die du rein gemacht,
von den Gelähmten, die du das Gehen gelehrt.
Unverstanden –
selbst von deinen Jüngern,
mit denen du die Jahre geteilt
und die du so lange auf diese Stunde vorbereitet hast.
Unverstanden –
sogar von deiner Mutter,
die nicht begreifen kann,
was da mit ihrem Sohn gschieht,
den sie auf solch wunderbare Weise
von Gott anvertraut bekam.
Unverstanden –
hängst du da am Kreuz, Herr Jesus Christus.
Aber, wie sollte das ein Mensch verstehen können?
Allem schienst du doch gewachsen zu sein,
allem Elend deiner Zeit:
den Aussätzigen schenkst du Reinheit,
den Blinden das Augenlicht,
den Gelähmten läßt du aufstehn,
den Sündern gewährst du Vergebung.
Ja, selbst vor dem Tod des Lazarus
und des Jüngling von Naim
hast du nicht kapituliert.
Allem scheinst du gewachsen zu sein,
in allen Nöten wußtest du zu helfen.
Und jetzt?
Jetzt hängst du an diesem Kreuz,
festgenagelt – wie ein Krüppel an sein Bett,
ausgestoßen – ein Aussätziger, ein Sünder, ein Verbrecher,
hilflos – vor dem Tod kapitulierend.
Unverstanden – wie ein Narr.
Allem schienst du gewachsen
- Nur nicht der Macht der Mächtigen
- Nur nicht den Intrigen der Menschen
- Nur nicht deinem eigenen Tod.
„Allen hast du doch zu helfen gewußt,
nun hilf dir selbst, wenn du der Sohn Gottes bist“ –
so rufen die Menschen dir zu
und schütteln mit Unverständnis des Kopf.
Aber, Herr, wie sollten sie auch verstehen,
dass du da oben hängst,
mit dem Tode ringend, um allen zu helfen.
Zu helfen, damit alle Aussätzigen
ihr Leben annehmen können,
nicht nur, die du geheilt hast.
Zu helfen, dass alle Blinden
nicht im Dunkel ihres Lebens versinken,
sondern Ausschau halten können
nach dem unvergänglichen Licht.
Zu helfen, damit alle Sünder wissen,
unsere Schuld findet Vergebung,
wir können einen neuen Anfang wagen.
Zu helfen, dass alle Menschen erkennen:
Die Übermacht des Leidens
und des Todes ist gebrochen.
Was Menschen als Schwäche auslegen,
ist in Wahrheit höchste, selbstlose Liebe:
das Äußerste geben –
für jede und jeden, der unter dem Kreuz steht –
und dafür noch Spott ernten.
„Steig doch vom Kreuz herab,
dann werden wir an dich glauben!“
Herr, das wäre für dich leichter gewesen,
als den Weg bis zum Ende zu gehen.
Aber – das ist die Versuchung des Menschen.
Das Kreuz ablegen, abhauen.
Lieber nichts mit der Sache zu tun haben wollen –
es könnte ja einem etwas abverlangen.
Du erliegst nicht dieser Versuchung.
Du bleibst treu, wo wir gerne fliehen.
Du hälst aus, wo wir sagen:
Es hat keinen Sinn mehr.
Du gibst das Letzte, wo wir glauben,
nichts mehr geben zu können.
Du erträgst an diesem Kreuz alles,
wo wir meinen,
an die Grenze gekommen zu sein.
Allem bist du gewachsen,
gerade durch deinen Tod am Kreuz.
Denn du erträgst es bis zum Ende,
von allen unverstanden zu sein.
Verständnis konntest du auch von keinem erwarten,
denn das, was hier geschieht,
übersteigt menschliches Verstehen.
Nur einer konnte dich verstehen: dein Vater.
Er wußte, dass du all das auf dich nehmen mußtest,
was für Menschen unannehmbar scheint: das Kreuz,
das Leid dieser Welt,
das sinnlose Sterben eines Gerechten.
Nur du allein warst diesem Leiden gewachsen.
Du hast die Maske dieser Macht in unserem Leben zerrissen.
Von nun an ist Leiden untauglich als Mittel des Schreckens.
Es hat keine Macht mehr, keinen eigenen Wert.
Es ist durch die Hoffnung besiegt!
Denn, bei allen, die leiden,
bist immer schon du, Jesus,
mit dem Kreuz als Zeichen,
nicht als Zeichen größeren Leidens,
sondern als Zeichen endlichen Sieges.
Unverstanden
hängst du am Kreuz, Jesus,
unverstanden auch von uns,
aber wir ahnen,
dass es für uns geschieht.
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