„ Wir wollten architektur wie Wolken bauen“

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„Wir wollten Architektur
wie Wolken bauen“
Für das Archiv der Zeitgenossen in Krems wurde der Vorlass von Wolf D. Prix erworben.
Der Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au über die Mutlosigkeit der Gesellschaft, die ökonomischen
Zwänge im Wohnbau und den Tower, den er für die Europäische Zentralbank in Frankfurt entwarf.
interview : T homas T renklerfoto : rita newman
morgen: Vor knapp einem halben Jahrhundert haben Sie mit
Architektur begonnen. Hätten Sie sich damals träumen lassen,
dass Sie Ihre Visionen einmal realisieren würden?
Wolf D. Prix: Ich hab davon nicht nur geträumt, ich war davon
überzeugt. Damals war ich noch Optimist.
Heute sind Sie das nicht mehr?
Die Gesellschaft ist mutlos geworden, erfüllt von Angst. Und
mit Angst kann man die Zukunft nur schlecht bewältigen.
Alle zukunftsorientierten Projekte werden daher abgelehnt.
Die Fremdheit einer neuen Ästhetik erzeugt – wie auch der
Fremde im Land – in einer geschlossenen Gesellschaft Angst.
Eine offene Gesellschaft hingegen würde positiv darangehen,
die Zukunftsprobleme zu lösen.
Ihre ersten Phantasiegebilde sind aber wohl auch auf Ablehnung gestoßen.
Ja, natürlich. Das war eine radikale Minderheit, die gesagt
hat: „Alle Macht der Phantasie!“ Schon in den 70er-Jahren
hat man den jungen Leuten gedroht: „Hört auf, utopisch zu
denken, das Erdöl wird in 20 Jahren aus sein!“ Es gab also
Versuche, uns zu bremsen, aber wir waren beständiger. Steter
Tropfen höhlt den Stein. Die jetzige Generation hingegen geht
kein Risiko ein. Das ist eine Null-Risiko-Generation.
Wie kam es 1968 zur Gründung von Coop Himmelblau? Hatten
Sie Ihre Partner Helmut Swiczinsky und Michael Holzer beim
Architekturstudium an der TU Wien kennengelernt?
Helmut und ich trieben die Idee voran, eine Gruppe zu bilden.
Weil wir gesehen haben, dass Gruppen wie die Beatles oder die
Rolling Stones enorm wirksam waren. Sie haben sehr schnell
sehr viel Geld verdient, sie waren berühmt und sie haben die
Musikindustrie revolutioniert. Wir wollten die Architektur
­ä ndern – sofort. Im Nachhinein gesehen war das natürlich eine
totale Unterschätzung der Geschmacklosigkeit der Auftrag­
geber und eine Überschätzung der Intelligenz der Bauindustrie.
Architektur soll, so Ihr Credo, leicht und veränderbar wie
­Wolken sein. Das erste Objekt der Gruppe war die „Villa Rosa“,
eine pneumatische Wohneinheit mit Ballons und Schläuchen.
Daher der Name „Himmelblau“?
Es gibt viele Gründungsmythen. Einer dieser Mythen ist, dass
wir im Flugzeug von Spanien nach Wien beschlossen, eine
Gruppe zu gründen. Ich hab damals „Hamlet“ gelesen. Da gibt
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es die Szene, in der Hamlet zu Polonius sagt: „Seht Ihr die
Wolke dort, beinah in Gestalt eines Kamels?“ Sogleich verbessert er sich: „Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.“ Und
dann: „Oder wie ein Walfisch?“ Es geht also um die Veränderbarkeit der Wolken. Und beim Fliegen ist der Himmel dunkelblau. Ein herrliches Blau! Ich sah aus dem Fenster, es gab
eine einzelne Wolke. Und die hat sich verändert. Wir wollten
Architektur wie Wolken bauen, uns aber nicht „Wolkenbauer“
nennen. Daher „Himmelblau“. Das ist aber, wie wir es formulierten, „keine Farbe, sondern die Idee, Architektur mit Phantasie leicht und veränderbar wie Wolken zu machen“. Also: Einfach haben wir es uns im Sinne des Marketings nie gemacht.
War das auch der Grund, warum Michael Holzer schon nach
drei Jahren ausgeschieden ist?
Ja. Man musste viel riskieren.
Was brachte Sie auf die Idee, sich solche Wolkengebilde
­auszudenken?
Die angrenzenden Gebiete, die uns mehr interessiert haben als
die Geschichte der Architekturtheorie – Musik, Philosophie,
­Erziehung, Gesellschaft – waren für uns wichtiger als Vitruv
und Palladio. Und wir waren davon überzeugt, dass wir die anstehenden Probleme mit der neuen Architektur lösen können.
Architektur kann zwar nicht direkt die Gesellschaft verändern,
das bleibt der Politik vorbehalten. Aber sie kann beitragen zu
einer Veränderung im visuellen Verhalten der Menschen.
Kann Architektur das Leben lebenswerter machen?
Ja, das kann sie. Aber als Architekten müssen wir aufpassen,
dass wir nicht mehr verhindern als bewirken. Ein Beispiel:
Sie können das schönste Atelier bauen, aber wenn der Maler
unbegabt ist, wird er keine besseren Bilder malen. Hingegen:
Wenn Sie einem begabten Maler ein Atelier ohne Licht bauen,
wird er nicht malen können.
Das heißt doch auch: Die Architekten müssten bestrebt sein,
Wohnungen zu entwerfen, in denen sich der Mensch wohlfühlt.
Das tun sie auch, zumindest die Begabten unter meinen Kollegen. Aber die ökonomischen und politischen Zwänge sind größer als jeder geniale Entwurf, der zur Befreiung des Raumes
und daher auch zur Befreiung der Bewohner dient. Die Dimensionen der Wohneinheiten richten sich noch immer nach dem
Raster der Parkplätze. Da kann der Architekt noch so kämpfen:
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Wenn er eine Änderung vornimmt, sagt der Bauträger: „Das
ist viel zu teuer, das leiste ich mir nicht.“ Die Auftraggeber
kommen aus ökonomischen Gründen sogar auf die absurde
Idee, den Wohnraum unter dem Titel „smart wohnen“ noch
einmal zu verkleinern. Sie stopfen eine dreiköpfige Familie
in 45 Quadratmeter. Ich halte das für kriminell. Wenn man
uns auffordert, eine Familie auf kleinstem Raum zusammenzulegen, dann ist man verantwortlich für die psychischen
­K atastrophen, die aufgrund der Enge entstehen.
Bei zwei Wohnbauprojekten in Wien, beim SEG Apartment
­Tower und beim Gasometer B, hatten Sie großes Glück mit dem
Auftraggeber.
Es kommt darauf an, dass jemand Verantwortung übernimmt.
Das kann nicht nur der Architekt sein, das muss auch der Auftraggeber. Und er darf nicht nur dem ökonomischen Zwang
unterliegen. Bei beiden Projekten ist von Seite der Auftrag­
geber Günter Bischof hinter uns gestanden. Nur deswegen
konnten wir sie realisieren.
War der SEG Tower an der Alten Donau, 1998 fertiggestellt,
aufgrund der Glasfassade eigentlich teurer als ein normaler
Wohnbau?
Nein. Er war sogar der erste Turm, für den ein passives Klimakonzept entwickelt wurde. Die Idee war, dass die Fassade mehr
Energie erzeugt, als das Haus verbraucht. Also ein kleines
Kraftwerk. Das Konzept wurde leider abgelehnt, weil es zu
teuer war.
Sie waren ein Vorreiter. War aber bei Ihnen immer der praktische Nutzen vorrangig?
Es kommt darauf an, wie man Funktionalität definiert. Das
Aussehen ist mindestens so wichtig wie das Innere. Aber auf
zwei Dinge bin ich wirklich stolz: Unsere Bauten brauchen bis
zu 30 Prozent weniger Energie, als von der jeweiligen Norm
verlangt wird. Und sie funktionieren hervorragend. Also: Die
Funktion des Gebäudes ist mit der Form, der Gestalt, immer
synergetisch verbunden. Es ist nicht so, dass die Form der
Funktion folgt oder umgekehrt, sondern: Es gibt eine Synergie – und sie erzeugt Lebendigkeit.
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Zubau am Gasometer B, Wien (1995–2001)
Im selben Jahr, also 1998, wurde auch der Ufa-Kristallpalast
in Dresden eröffnet. War dieses Kinocenter Ihr internationaler
Durchbruch?
Nein, der gelang uns schon 1988 mit dem Dachausbau in der
Falkestraße in Wien. Gegenüber gab es einen Bau aus dem
19. Jahrhundert mit einem Turm als Ecklösung. Wir propa­
gierten eine Form, die der Gegenwart eher entsprach, eine sich
öffnende Form. Der Dachbodenausbau war das erste realisierte
dekonstruktivistische Projekt der Welt. Es wurde 1981 entworfen, dann gab es Verzögerungen und Behinderungen, wie es
halt immer so ist. 1988 haben wir in der Ausstellung „Decon­
structivist Architecture“ im Museum of Modern Art ein
­Modell gezeigt. Viele Kollegen haben gesagt: „Das kann man
nie bauen!“ Aber da war es praktisch schon fertig.
Die Abänderung des Namens kam aber erst Ende der 1990erJahre: Sie setzten das l in Klammern, weil Coop Himmelb(l)au
nun tatsächlich baute.
Das ist aber nicht plötzlich erfolgt. Mir ist einmal beim Schreiben aufgefallen, dass das l, wenn ich schnell „Himmelblau“
schrieb, sperrig aus meiner Hand kam. Ich hab dann das l weggelassen – und dachte mir: „Himmelbau“ ist ein toller Name.
Warum dann das l in Klammern?
Als Reminiszenz, dass wir als „Himmelblau“ begonnen haben.
Was war nach dem Dachbodenausbau der wichtigere Schritt:
der Museumspavillon in Groningen – oder der Ufa-Kristall­
palast in Dresden?
Beide Projekte waren wichtig. Der Anspruch, dass Architektur
auch Kunst ist, wurde mit dem Pavillon manifestiert. Und dass
wir uns einen öffentlichen Raum auch anders vorstellen können als einen Platz, über den man flaniert, das haben wir mit
dem Kristallpalast gezeigt. Damals wurden die Baukosten von
Kinozentren über Sitzplätze hochgerechnet. Unser komplexes
„In der Regel sind die wichtigen Bauten in
Wien nur guter Durchschnitt. Auch der ORF
wird das Gebäude kriegen, das er verdient.“
D u ccio M alag amba
D u ccio M alag amba
Christian Christe s
Europäische Zentralbank, Frankfurt (2003–2014)
BMW Welt, München (2001–2007)
Gebäude mitten in der Stadt kostete keine müde Mark mehr
als diese langweiligen Megaplex-Schachteln auf der grünen
­Wiese. Das sagte ich auch bei der Eröffnung. Der Bauherr sagte
aber nicht: „Phantastisch!“ Sondern: „Ich muss mir überlegen,
ob die Kisten nicht zu teuer sind.“
Mit dem Kristallpalast haben Sie unter Beweis gestellt, dass Sie
ein Meister des Solitärbaus sind.
Ich weiß nicht. Geben Sie mir ein Areal – und ich baue Ihnen
ein ganzes Stadtviertel! Aber natürlich ist eines unserer Ziele,
Gebäude identifizierbar zu machen. In der anonymen Masse
von Städten brauchen wir wieder „Denkmäler“, die die Leute
am Anfang vielleicht nicht so goutieren, aber später mental
in Besitz nehmen. Ich halte das für ganz wichtig. Denn diese
Gebäude dienen dann zur Identifikation der Bewohner. Wenn
du nicht beschreiben kannst, wo du wohnst, wird es kritisch.
Ich glaube allerdings nicht, dass viele Solitärbauten neben­
einander schon eine wertvolle Perlenkette ergeben. Ich würde
es bei einem Stadtviertel anders machen: Ich würde viele Kollegen einladen, mit mir eine Vielfalt zu erzeugen.
Wurde diese Vielfalt nicht mit dem Campus der Wirtschafts­
universität in Wien realisiert? Verschiedene Architekten, ein
grandioses Ensemble.
Ich war der Vorsitzende der Wettbewerbsjury. Ja, das war ein
Meilenstein. Aber auch dieses Projekt wurde desavouiert, ­indem
man gesagt hat: „Zu teuer und es hat zu lange gedauert.“ Man
sprach von „Selbstverwirklichung“. Diese Vorwürfe stimmen
jedoch nicht: Alles war im Budget und in der Zeit. Das ist eine
großartige Leistung.
Wo ist also die Mutlosigkeit, die Sie kritisieren?
In der Regel sind die wichtigen Bauten in Wien nur guter
Durchschnitt. Auch der ORF wird das Gebäude kriegen, das er
verdient. Es werden immer mehr stupide, langweilige Kisten
gebaut, die bloß ihre Funktionen erfüllen. Ich finde, dass auch
die Wohnviertel phantasievoll gebaut werden sollten. Ich
­wohne in der Vorgartenstraße, dort ist alles brav und bieder.
Und der Wind zieht durch. Es wäre schön gewesen, wenn
­d ieses Viertel nicht in quadratischen Rastern gebaut worden
Dalian International Conference Center (2008–2012)
wäre, sondern wenn der Masterplan ähnlich intelligent und
­lebendig aufgesetzt worden wäre wie der von der WU.
Die neue Seestadt Aspern ist ...
Sie meinen Teich-Dorf? Das halte ich für das seit langem verfehlteste städtebauliche Konzept von Wien. Das ist die Kopie
einer Kopie. Ich habe noch nie gehört, dass Urbanität durch
ein Wasserloch in der Mitte entsteht.
Ich wusste nicht, dass Sie sich derart für Stadtplanung inter­
essieren.
Ich habe schon immer Stadtplanungsprojekte gemacht. Die
­Biografie eines Architekten verläuft im Idealfall so: Du beginnst mit einer Wohnung, baust ein paar Häuser, dann einen
Platz, ein Stadtviertel – und schließlich eine Stadt. Und ich
habe auch Erfahrung. Es gibt viele Vorschläge von uns. Zum
Teil wurden sie realisiert, etwa in China. Oder: Wir nahmen an
einem Wettbewerb für ein Konferenzzentrum in St. Petersburg
teil. Gewonnen haben wir zwar nur den Flächen- und Raumwidmungsplan. Aber er wurde umgesetzt – im Gegensatz zum
Konferenzzentrum. Oder: Wir haben den Wettbewerb für eine
Satellitenstadt von Paris gegen Rem Koolhaas gewonnen. Er
wurde nicht realisiert, weil wir kompromisslos darauf bestanden haben, dass es alle 15 Meter ein Freigeschoß geben muss,
um eine vertikale Stadt zu erreichen. Wir hatten schon beim
SEG-Turm ein Geschoß als frei zur Verfügung stehende Kommunikationsfläche errichtet. Damals sagten alle: „Das brauchen wir nicht, das wird nicht angenommen.“ Wir bestanden
darauf. Und es wurde sehr wohl angenommen!
Sie betonen immer wieder, dass Sie kompromisslos seien, und
kritisieren Kollegen, die sich dem Bauherrn beugen würden.
Die sich im vorauseilenden Gehorsam beugen! Das ist ein großer Unterschied! Vernünftige Kompromisse, die man gemeinsam entwickelt, bringen die Architektur weiter. Es ist ja nicht
so, dass ich immer recht habe. Aber auch der Auftraggeber
hat nicht immer recht.
Ist es nicht problematisch, wenn Sie immer verkünden,
­kompromisslos zu sein?
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co o p himme lb(l)Au
D u ccio M alag amba
D u ccio M alag amba
Du ccio M alag amba
co o p himme lb(l)Au
Musée des Confluences, Lyon (2001/2010-2014)
House of Music, Aalborg (2003/2008-2014)
Auftraggeber haben manchmal eine gewisse Angst vor mir.
Aber wenn sie mit uns arbeiten, sind sie überrascht, welche
Teamplayer-Fähigkeiten wir haben. Wenn ein Auto verlangt
wird, dann werde ich nicht versuchen, ein Schiff zu bauen.
Ich habe einmal Günther Domenig mit dem Boxer Joe Frazier
ver­g lichen: mit dem Kopf an der Brust, ohne Übersicht, aber
ungeheuer wirkungsvoll. Meine Strategie ist eher die des
­Muhammad Ali.
Er hat gegen Frazier gewonnen.
Darum geht’s nicht. Auch Cassius Clay hat Kämpfe verloren.
Aber er konnte während eines Kampfes die Strategie ändern.
Sie ändern die Strategie, um ein Projekt durchzubringen?
Ja, ohne die Substanz zu verlieren.
Wie schaut das nun bei Ihrem größten Bauwerk, dem Tower
für die Europäische Zentralbank in Frankfurt, aus? Der von
­I hnen vorgeschlagene Groundscraper wurde nicht realisiert.
So stimmt das nicht. Wir hatten den Groundscraper mit dem
Konferenzzentrum parallel zu der unter Denkmalschutz stehen­
den Markthalle vorgeschlagen. Es musste aber eine Nutzung
für die leere Halle geben – und es wurde keine gefunden.
­Daher wurde das Konferenzzentrum in die Halle verlegt. Das
würde ich nicht als Kompromiss bezeichnen, sondern als Entwicklungsprozess. So etwas passiert bei jedem Projekt.
Dachausbau einer Rechtsanwaltskanzlei, Falkestraße in Wien (1983–1988)
UFA Cinema Center, Dresden (1993–1998)
Groninger Museum (1993-1994)
Es soll Kostenüberschreitungen gegeben haben. Und es gab
­zwischendurch einen Baustopp. Hatten Sie Sorge, dass der
Turm doch nicht realisiert werden könnte?
Hatte ich schon. Obwohl ich ein äußerster Optimist war,
­konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Gebäude von mir
­d irekt neben einem von Karl Schwanzer, meinem Professor,
errichtet werden könnte. Das gelang mir mit der BMW Welt
in München. Und zweitens: Obwohl ich Optimist bin, glaube
ich erst, dass ein Gebäude fertig ist, wenn ich bei der Eröffnung drinnen stehen kann. Die EZB war wirklich schwierig.
Es ist ja auch ein Riesenbauwerk mit vielen Beteiligten.
Nach dem ersten Manifest folgte 1980 noch eines: „Wir wollen
Architektur, die leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung
reißt.“ Und: „Wenn sie kalt ist, dann kalt wie ein Eisblock.
Wenn sie heiß ist, dann so heiß wie ein Flammenflügel.
­Architektur muss brennen.“ Haben Sie diese Texte g­ emeinsam
geschrieben?
Das ist wie in einer Band. Es wäre unfair zu sagen, dass dieses
Gedankengut allein von mir entwickelt wurde. Das ist im gemeinsamen Denken entstanden. Ausformuliert habe ich es.
Elternhaus steht dort. In diesem Bürgerhaus befindet sich die
älteste Synagoge Mitteleuropas.
2006/2007 schied Ihr jahrzehntelanger Partner Helmut
­Swiczinsky aus. Wie war die Arbeitsaufteilung zwischen
ihm und Ihnen?
Reinhold Messner und Peter Habeler konnten die Eiger-Nordwand nur deswegen so schnell – und daher gefahrloser –
durchsteigen, weil sie überschlagend geklettert sind. Das
heißt: Wer im Fels besser war, hat im Fels geführt, und wer
im Eis besser war, im Eis. Helmut war in der Detailentwicklung der Schnellere. Warum hätte ich ihn da bremsen sollen?
Die Zeichnung, die Strategie kamen eher von mir.
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Wie gehen Sie eigentlich beim Entwurf vor? Arbeiten Sie von
Anfang an am Computer – oder skizzieren Sie ein Gebäude mit
der Hand, wie es Domenig gemacht hat?
Domenig war alte Schule. Wir nutzten schon sehr früh die
­Fähigkeiten des Computers, um uns über die Zeichnungen
­h inaus weiterzuhelfen. Aber wir haben dem Computer nie
die Spielregeln überlassen. Wussten Sie, dass die gotischen
Baumeister den Kreis, den sie mit dem Zirkel gezogen hatten,
mit der Hand nachgezogen haben?
Damit eine leichte Unregelmäßigkeit entsteht?
Genau. Ich bin überzeugt, dass die Gebäude, die von vorn bis
hinten berechnet sind, langweilige Architektur sind. Sie sind
eigentlich tot. Nur die „Fehler“ – unter Anführungszeichen –
machen sie lebendig. Die Zeichnung unterscheidet uns daher
von vielen anderen Architekten. Auch wenn es nicht möglich
ist, ein Gebäude zu zeichnen, das sich durch den Wind ver­
ändert. Dafür braucht man den Computer. Aber wir brechen
das geschlossene System durch die Hand auf. Wir kombinieren
also die Vorteile beider Methoden.
Ist das neue Gebäude, das noch heuer bezogen und 2015 offiziell eröffnet werden soll, von der Reputation her Ihr wichtigstes
Projekt?
Sicher. Welcher österreichische Architekt hat schon für die
­Europäische Union ein Gebäude entworfen – noch dazu in
Frankfurt? Ich halte es für wirklich wichtig, dass die EU
­gerade jetzt ein dreidimensionales Symbol, ein selbstbewusstes Zeichen bekommt.
Als Identifikationsobjekt?
Ja. Wäre der Turm eine normale Schachtel, vertikal auf­
gestellt, dann hätte man lediglich das Euro-Zeichen transportieren können.
Also wie ein Song von Lennon/McCartney?
Ja. Alles war immer Coop Himmelb(l)au.
Wolf D. Prix ist auch für seine Kompromisslosigkeit bekannt: „Auftrag­
geber haben manchmal eine gewisse Angst vor mir.“
Ihr Vorlass wurde nun vom Land Niederösterreich für das
­Archiv der Zeitgenossen in Krems erworben. Wieso denn das?
Sie sind doch Wiener.
Nein, meine Eltern stammen aus Hainburg an der Donau. Im
Zweiten Weltkrieg gab es dort noch kein Spital. Daher bin ich
1942 in Wien geboren. Ich wuchs in Hainburg auf – und mein
Tatsächlich?
Ja. Es wurde x-mal umgebaut. Mein Vater hatte dort sein Ate­
lier – er war Architekt. Ich wurde aufgefordert, das Haus zu
­sanieren, weil es schon recht verfallen war. Daher ließ ich es untersuchen. Das Mauerwerk ist zum Teil aus dem elften Jahrhundert. Jedenfalls: Bei der Eröffnung der Martin-Luther-Kirche, die
ich geplant habe, vor drei Jahren in Hainburg war auch „mein
Landeshauptmann“, wie man als Niederösterreicher sagen muss.
Wir sind ins Gespräch gekommen. Und er hat sich verabschiedet
mit: „Ich hab eine Idee.“ So kam es schließlich zum Ankauf.
War es Ihnen ein Anliegen, in Hainburg zu bauen?
Ich hatte schon einmal einen Wettbewerb gewonnen. Das
­Projekt für den Naturpark Donauauen wurde aber vom Naturschützer Bernd Lötsch verhindert. Die damaligen Fürsprecher
haben die evangelische Kirche darauf aufmerksam gemacht,
dass es einen Architekten gibt, der aus Hainburg stammt.
Was werden Sie im Kremser Mausoleum einlagern?
Zeichnungen, persönliche Dinge, Fotos – von 1968 bis heute. Für
Modelle gibt es nicht viel Platz. Und es wird weiteres Material
folgen. Irgendwie ist die Sache eigenartig. Adolf Krischanitz,
der Architekt, hat im Archiv der Zeitgenossen quasi Gräber vorgesehen. Man kann nur hoffen, dass zwischen Vor- und Nachlass recht viel Zeit vergeht. Projekte hab ich genügend.
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archiv der zeitgenossen
Mit dem Ankauf der Vorlässe von Peter Turrini
und Friedrich Cerha wurde 2009 der Grundstein
für das Archiv der Zeitgenossen in Krems gelegt.
Zu den Aufgaben zählen neben der Erschließung
der Bestände auch die Durchführung von wissenschaftlichen Forschungsprojekten und die Herausgabe von Publikationen. Das Archiv wird von der
Donau-Universität Krems geleitet. Besuche nach
telefonischer Vereinbarung: 02732/893-2573
www.archivderzeitgenossen.at
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