Leseprobe

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II.2 Nationales Hygienerecht
2.2 Lebensmittelhygiene-Verordnung
2.2.3
Kommentar zur Lebensmittelhygiene-Verordnung
(LMHV)
Zu § 1
Geltungsbereich
Mit Erlass der „Basisverordnung“ Verordnung (EG) Nr. 178/2004 und dem
sogenannten „Hygienepaket“ wurde das Lebensmittelhygienerecht der EU
vor ca. 10 Jahren von Grund auf neu gestaltet. Diese Verordnungen gelten in
jedem Mitgliedstaat unmittelbar und decken den überwiegenden Teil der Vorschriften ab, die im Zusammenhang mit der Hygiene bei der Gewinnung, dem
Behandeln und dem Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu beachten sind.
Das sogenannte „Hygienepaket“ der EU besteht aus drei Teilen:
• Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene
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• Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs
• Verordnung (EG) Nr. 854/2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die
amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs
Diese Verordnungen regeln im Wesentlichen die Anforderungen an die Konzeption und den baulichen Zustand von Lebensmittelbetrieben, die Beschaffenheit von Einrichtungen, die Hygiene im Umgang mit Lebensmitteln, betriebseigene Kontrollen und HACCP-Verfahren sowie die Registrierung bzw.
Zulassung von Betrieben.
Wie sich aus dem Geltungsbereich der jeweiligen Verordnung ergibt, werden
nicht alle regelungswürdigen Bereiche vom EU-Recht abgedeckt. Das sind im
Wesentlichen:
• Der private häusliche Umgang mit Lebensmitteln
• Die Abgabe kleiner Mengen an Primärerzeugnissen an den Endverbraucher
• Der Einzelhandel im engeren Sinne Bereiche der traditionellen Produktion
• Einige Bereiche aus der Produktion von Wild- und Geflügelfleisch
• Verbote, Gebote und Ahndungsvorschriften
Diese von der EU durchaus gewollten „Lücken“ füllt das nationale Recht
überwiegend durch die im Folgenden aufgeführten Verordnungen aus:
• eine Verordnung, die sich mit der Lebensmittelhygiene im Allgemeinen befasst, nämlich die „Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim
Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Lebensmitteln“, kurz wie
ihre Vorgängerin als „Lebensmittelhygiene-Verordnung – LMHV“ bezeichnet;
• eine Verordnung, die sich mit Lebensmitteln tierischer Herkunft befasst, nämlich die „Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen,
Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs“, kurz als „Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung
– Tier-LMHV“ bezeichnet; sowie
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2.2 Lebensmittelhygiene-Verordnung
• eine Verordnung, die sich mit der Überwachung von Lebensmitteln tierischer
Herkunft befasst und damit mehr für die Behörden, allerdings mittelbar auch
für Lebensmittelbetriebe gilt. Sie nennt sich „Verordnung zur Regelung bestimmter Fragen der amtlichen Überwachung des Herstellens, Behandelns
und Inverkehrbringens von Lebensmitteln tierischen Ursprungs“, kurz „Tierische Lebensmittel-Überwachungsverordnung“ – Tier-LMÜV.
Bezogen auf die vorgenannten Regelungslücken des EU-Rechts ist anzumerken, dass sich die vorliegende LMHV nicht mit dem privaten häuslichen Umgang mit Lebensmitteln befasst. Gegenstand der Regelungen der LMHV sind
ausschließlich Lebensmittel, die in den Verkehr gebracht werden. Artikel 3
Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 definiert das „Inverkehrbringen“ als
das Bereithalten von Lebensmitteln oder Futtermitteln für Verkaufszwecke
einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, gleichgültig, ob unentgeltlich oder nicht, sowie den Verkauf, den Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst. Diese Definition findet ihren
Eingang in den § 3 Nr. 1 des LFGB.
Zu § 2
Begriffsbestimmungen
Das Europäische Lebensmittelhygienerecht hat vor allem die Sicherheit der
Lebensmittel zum Ziel. Der Begriff der „nachteiligen Beeinflussung“ geht
darüber hinaus.
Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bezeichnet Lebensmittel dann als „nicht sicher“, wenn davon auszugehen ist, dass sie
• gesundheitsschädlich sind,
• für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch
Menschen ungeeignet ist, ist zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge
einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination,
durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten
Verwendungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel
geworden ist (Artikel 14 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr.178/2002). Nicht
erst bei einer möglichen Gesundheitsgefahr, sondern bereits an dieser Stelle
setzt der Begriff der „nachteiligen Beeinflussung“ an. Er umfasst alle offensichtlich verdorbenen Lebensmittel, aber auch diejenigen, deren mangelnde
Eignung zum Verzehr äußerlich nicht erkennbar ist. Ausgangspunkt der Definition ist die Erwartung des Verbrauchers, dass Lebensmittel eine einwand-
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Der nationale Verordnungsgeber hat somit sich konsequent dafür entschieden,
bei den für die Lebensmittelhygiene wichtigen Verordnungen der vom EUHygienerecht vorgegebenen Systematik zu folgen. Die verbreitete Meinung,
dass sich die drei nationalen Vorschriften ausschließlich mit den Regelungslücken ihres europäischen Gegenübers befassen, greift zu kurz: sie regeln nicht
nur die Ausnahmen vom Geltungsbereich der analogen Europäischen Vorschriften; ihre Inhalte betreffen vielmehr das gesamte Lebensmittelhygienerecht der EU.
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2.2 Lebensmittelhygiene-Verordnung
freie hygienische Beschaffenheit aufweisen, was im Regelfall auch gewährleistet ist. Diese kann beeinträchtigt werden durch ekelerregende oder sonstige Beeinflussungen des Lebensmittels.
Eine ekelerregende Beeinträchtigung der einwandfreien hygienischen Beschaffenheit eines Lebensmittels liegt u. a. bereits dann vor, wenn es in einem
verschmutzten Raum oder mit verschmutzten Geräten behandelt wurde, sodass sich ein normal empfindender Verbraucher davor ekeln würde, wenn er
von diesen Umständen Kenntnis hätte. Es ist nicht notwendig, dass die Auswirkungen der nachteiligen Beeinflussung im Lebensmittel konkret nachweisbar sind.
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In Bezug auf die sonstigen Beeinträchtigungen der einwandfreien hygienischen Beschaffenheit der Lebensmittel findet sich in der Definition eine
offene, inhaltlich umfassende Aufzählung möglicher Beeinflussungsfaktoren.
Bei der Erläuterung des Begriffs des „leicht verderblichen Lebensmittels“
drängt sich zunächst die Frage auf, was man unter „Verderb“ zu verstehen hat.
Das Hygienerecht der EU kennt im Grunde nur „nicht sichere Lebensmittel“
(s. o.). Ein Lebensmittel gilt gemeinhin als verdorben, wenn es derart beeinträchtigt wurde, dass es für den menschlichen Genuss nicht mehr tauglich ist.
Eine Gesundheitsgefahr muss damit nicht unbedingt verbunden sein, auch
nicht eine sinnfällige Veränderung des Lebensmittels. Wesentliche Auslöser
des Verderbs sind Mikroorganismen, Fremdkörper, Fremdstoffe sowie chemische und physikalische Einflüsse, die die normale Beschaffenheit des Lebensmittels verändern. Der Begriff der Verderbnis ist dehnbar; eine absolute
Grenze gibt es nicht: was für den einen Verbraucher noch genießbar ist, ist für
den nächsten bereits ungenießbar. Überwachungsbehörden tendieren dazu,
die Schwelle zur Verderbnis relativ niedrig anzusetzen.
Die hier vorliegende Definition fokussiert auf die Gefahr des mikrobiologischen Verderbs. Als leicht verderbliche Lebensmittel gelten allgemein solche tierischen Ursprungs. Eine Verderbnis, bei der ein mikrobiologischer Einfluss nicht im Vordergrund steht (z. B. Welken von Salat) ist hier nicht gemeint.
Als „leicht verderblich“ wird ein Lebensmittel nur dann angesehen, wenn die
nachteilige mikrobiologische Beeinflussung schnell („in kurzer Zeit“) vonstattengeht. Gemeint ist hier offenbar ein Zeitraum, der Stunden – bestenfalls
wenige Tage – umfasst. Eine Voraussetzung für die Einstufung des Lebensmittels als leicht verderblich ist daher, dass seine Verkehrsfähigkeit nur bei
Einhaltung bestimmter Bedingungen, vor allem bestimmter Temperaturen,
erhalten werden kann. In der Regel handelt es sich hierbei um Kühltemperaturen, aber es können vor allem in der Gastronomie auch Heißhalteparameter
(Temperatur/Zeit) Anwendung finden.
Aus der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung kennt man den Begriff des
„sehr leicht verderblichen Lebensmittels“. Hier ist Voraussetzung, dass das
Lebensmittel nach kurzer Zeit unter mikrobiellem Einfluss derart verdirbt,
dass es eine Gefahr für die Gesundheit des Verbrauchers darstellt.
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Der Begriff des „Erlegens“ umfasst nur das Töten von Wild nach jagdrechtlichen Vorschriften. Aus diesen Vorschriften ergibt sich auch, welche Tierarten als jagdbares Wild gelten. Das Töten von Farmwild oder extensiv gehaltenen Rindern wird hiervon nicht erfasst.
Die Verordnung konstatiert, dass es bei der Zubereitung von Lebensmitteln zu
einer nachteiligen Beeinflussung kommen kann, die sich nicht vermeiden
lässt. So kann es z. B. beim Backen von Brot oder beim Zubereiten von
Pommes Frites zur Bildung von Acrylamid kommen. Beim Räuchern, Grillen
und Braten von Fleisch können Stoffe entstehen, die heterocyclische aromatische Amine oder polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten.
Bestimmte Lebensmittel und Zutaten enthalten natürliche Schadstoffe (z. B.
Cumarin in Zimt). Eine nachteilige Beeinflussung von Lebensmitteln führt
daher erst dann zur Beanstandung, wenn die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ außer Acht gelassen wird. Diese Sorgfalt beinhaltet ein Vorgehen unter
Beachtung aller für die Sicherheit und Verzehrfähigkeit eines Lebensmittels
wesentlichen Aspekte. Sie umfasst die Beachtung des Standes der Technik
und ggf. der Wissenschaft beim Umgang mit den Lebensmitteln, aber auch
bei der Instandhaltung und Pflege der Betriebsstätte einschließlich aller Einrichtungen. Die Schwelle zwischen Sorgfalt und Fahrlässigkeit wird von den
Behörden im Einzelfall niedrig angesetzt.
Es reicht bereits aus, wenn die „Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung“ gegeben ist. Wenn z. B. ein Reinigungsmittel in einer Lebensmittelflasche aufbewahrt wird, besteht die Gefahr der Verwechslung. Wenn sich Mäuse in Vorratsräumen befinden, besteht die Gefahr der Verunreinigung von Lebensmitteln durch die Schadnager. Wenn sich Farbanstriche von Geräten, Wänden
oder Decken lösen, dann besteht die Gefahr, dass Fremdkörper in die Lebensmittel gelangen. Die nachteilige Beeinflussung muss nicht in konkreten Fällen verwirklicht werden; es reicht aus, dass sie potenziell vorhanden ist. Die
Mitarbeiter der Lebensmittelüberwachung können also entsprechende Sachverhalte beanstanden, auch wenn weder Reinigungsmittel, noch Mäuseurin,
noch Splitter in den Lebensmitteln tatsächlich nachgewiesen werden.
Nicht erst seit Inkrafttreten der LMHV sorgt die Einstufung auffälliger Laborbefunde von amtlichen Proben für Probleme bei der rechtlichen Beurteilung.
In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob z. B. die Überschreitung eines mikrobiologischen DGHM-Warnwertes automatisch zu einer Beanstandung nach
§ 3 der vorliegenden Verordnung führt. Abweichende Probenbefunde können
eine nachteilige Beeinflussung der einwandfreien hygienischen Beschaffenheit des Lebensmittels aufzeigen. Ob jedoch eine Beanstandung im Sinne des
§ 3 LMHV ausgesprochen werden kann, hängt von der Beachtung der im
Verkehr erforderlichen Sorgfalt des Lebensmittelunternehmers ab. Das bedeutet, dass das Vorliegen eines auffälligen mikrobiologischen Befundes für
sich allein in der Regel nicht ausreicht, um den § 3 LMHV heranzuziehen und
entsprechende Ahndungsmaßnahmen einzuleiten. Hierzu muss zusätzlich der
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Zu § 3
Allgemeine Hygieneanforderungen
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Nachweis der Nichtbeachtung der erforderlichen Sorgfalt treten, z. B. die
Feststellung einer mangelhaften Betriebshygiene im Rahmen einer Betriebskontrolle. Mikrobiologische Auffälligkeiten nach Verordnung (EG) Nr.
2073/2005 erfahren allerdings eigene Maßnahmen, die in der Kommentierung
dieser Verordnung beschrieben sind.
Das gilt analog auch für lebende Tiere, die der Lebensmittelgewinnung dienen. Hierbei handelt es sich nicht nur um Schlachttiere, sondern z. B. auch um
Legehennen oder Milchkühe. Die nachteilige Beeinflussung kann u. a. durch
die regelwidrige Gabe von Tierarzneimitteln oder die Verabreichung von
durch Schadstoffe belasteten Futtermitteln geschehen.
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Zu § 4
Schulung sowie Anlage 1
Der Begriff „leicht verderbliche Lebensmittel“ bezieht sich auf die Definition
in § 1 Absatz 1 der vorliegenden Verordnung und ist auf den mikrobiologischen Verderb (s. o.) reduziert. Die Bestimmungen des § 4 fokussieren insbesondere auf die Gastronomie sowie auf die Herstellung von Hackfleisch
und Fleischzubereitungen in Supermärkten. Insbesondere im Bereich der
Gastronomie werden mangelhafte lebensmittelhygienische Kenntnisse derjenigen Betreiber, die ohne jede fachliche Ausbildung einen Bewirtungsbetrieb
eröffnen, seitens der Lebensmittelüberwachungsbehörden schon seit langen
Jahren beklagt. Aber auch in der Industrie und in Betrieben des Lebensmitteleinzelhandels werden immer häufiger ungelernte Mitarbeiter eingestellt, die
in ihren Tätigkeitsbereich lediglich eingewiesen werden. So war es im Lebensmitteleinzelhandel bis vor wenigen Jahren vorgeschrieben, dass Hackfleisch und ein Teil der Fleischzubereitungen nur durch sachkundiges Personal hergestellt werden durften. Die mit diesem Sachkundenachweis verbundenen personellen Beschränkungen gibt es nun nicht mehr. Entsprechende
Fachkenntnisse müssen jedoch auch weiterhin von Personen nachgewiesen
werden, die mit leicht verderblichen Lebensmitteln umgehen.
Mit der vorliegenden Regelung erhalten die Behörden die Möglichkeit, entsprechende Fachkenntnisse einzufordern. Sie kommt insbesondere dann zum
Tragen, wenn die Kontrollergebnisse der Betriebe darauf schließen lassen,
dass die Fachkenntnisse nicht vorliegen.
Es ist leider nicht klar abzugrenzen, welche Lebensmittel bzw. Lebensmittelgruppen von dieser Regelung betroffen sind. Für zahlreiche Produkte wie
z. B. kalt geräucherter Lachs, Hackfleisch oder Fleischzubereitungen im Einzelhandel scheint es kaum Diskussionsbedarf zu geben. Werden solche Produkte im Rahmen des Herstellungsprozesses – insbesondere im industriellen
Bereich – jedoch tiefgefroren, dann kann man sich durchaus darüber streiten,
ob man sie als „leicht verderbliches Lebensmittel“ im Sinne der LMHV einstuft.
Gerade auch in der industriellen Produktion stellt sich die Frage, ob jeder in
der Produktion beschäftigte Mitarbeiter die entsprechenden Fachkenntnisse
nach § 4 LMHV aufweisen muss oder ob es ausreicht, dass eine entsprechend
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geschulte Person die Aufsicht über die Produktion führt. Die Lebensmittelüberwachungsbehörden entscheiden diese Frage meistens anhand der Ergebnisse der Betriebskontrolle: ist alles in Ordnung, wird das Vorliegen ausreichender Sachkenntnisse vorausgesetzt.
Ausgenommen von dieser Regelung ist der Umgang mit verpackten Lebensmitteln. Aus der Formulierung ergibt sich eine gewisse Unschärfe, denn in der
täglichen Praxis wird diese Ausnahme auch auf Lebensmittel in Fertigpackungen angewendet, die z. T. hygienerechtlich nicht als verpackt, sondern
als umhüllt anzusehen sind. Beispiel: Einräumen leicht verderblicher Waren
in das Kühlregal eines Supermarkts.
Ferner ist die Bestimmung nicht auf die Primärerzeugnisse anzuwenden.
Auch das ist konsequent, denn die Fachkenntnisse müssen im Rahmen einer
Schulung nach Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 erworben werden. Dieser Anhang gilt jedoch nicht für die Primärproduktion. Schulungsverpflichtungen in diesem Bereich ergeben sich aus Anhang I Teil A Abschnitt II
Nr. 4 e) und 5 d) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 oder – im Falle des Inverkehrbringens kleiner Mengen von Primärerzeugnissen – aus § 5 i. V. mit Anlage 2 Nr. 3 a) der vorliegenden LMHV.
Bei Personen, die über eine wissenschaftliche Ausbildung (Studium) oder
eine andere (insbesondere handwerkliche) Ausbildung in einem Lebensmittelberuf verfügen, werden die entsprechenden Fachkenntnisse „vermutet“.
Nach hiesiger Auffassung können die Lebensmittelüberwachungsbehörden
auch bei diesen Personen den Erwerb weiterer entsprechender Fachkenntnisse
verlangen, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese nicht in einem
ausreichenden Maße vorhanden sind.
Bei Personen, die zwar keine Ausbildung in einem Lebensmittelberuf vorweisen können, aber seit Jahren beanstandungsfrei mit leicht verderblichen Lebensmitteln umgehen, wird in der Praxis das Vorliegen einer ausreichenden
Sachkunde ebenfalls vorausgesetzt.
Bezüglich der Inhalte der Schulungen findet man in der Anlage 1 der vorliegenden Verordnung eine abschließende Liste, die zehn Sachgebiete umfasst,
für die entsprechende Fachkenntnisse vorliegen müssen. Es hängt von der jeweiligen Produktions- bzw. Handelsstufe sowie natürlich vom individuellen
Risiko der betroffenen Lebensmittel ab, welche Schwerpunkte gesetzt werden
müssen. Die Inhalte der Sachgebiete lassen den Schluss zu, dass der § 4 der
Verordnung nicht nur in Betrieben des Einzelhandels, sondern auch in Her-
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Die hier geforderte Schulung wird von den Betroffenen oftmals als eigenständiger Komplex beachtet. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine tätigkeitsbezogene Schulung nach Anhang II Kapitel XII Nr. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 852/2004, die entsprechende Fachkenntnisse vermittelt, wie sie in
der Anlage 1 zur vorliegenden LMHV aufgeführt sind. Konsequent ist die
Tatsache, dass der bloße Nachweis der Teilnahme an einer Schulung nicht
ausreicht; es müssen vielmehr die entsprechenden Fachkenntnisse vorhanden
sein und nachgewiesen werden. Dieses impliziert wiederum, dass die Überwachungsbehörden weitere Schulungen verlangen können, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass entsprechende Fachkenntnisse nicht vorliegen.
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2.2 Lebensmittelhygiene-Verordnung
stellungsbetrieben oberhalb der Handwerks- bzw. Einzelhandelsebene Anwendung findet.
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Die qualitativen Voraussetzungen einer Hygieneschulung im Lebensmittelbereich kann man der DIN 10514 Lebensmittelhygiene – Hygieneschulung entnehmen. Sie bezieht sich ausdrücklich auch auf die vorliegende LMHV und
versteht sich als Handlungsanleitung bzw. als Hilfestellung. Für die Überwachungsbehörden interessant ist vor allem auch die Dokumentation der Schulungen, die als Nachweis der Teilnahme gilt.
Bei Beanstandungen bezüglich der Sachkunde wird seitens der Betriebe oftmals angeführt, dass sich kein Anbieter finden lasse. In der Tat gibt es die
Angebote, die nach altem Hygienerecht üblich waren (z. B. Sachkundenachweis nach Hackfleisch-Verordnung oder der in der Gastronomie vorausgesetzte „Frikadellenschein“) nun nicht mehr. Inzwischen sind freie Anbieter
auf dem Markt, die mehr oder weniger betriebsbezogene Schulungen durchführen. Hierzu zählen u. a. manche Anbieter von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, aber auch Unternehmen, die HACCP-Konzepte entwerfen und
betreuen, sowie Berufsverbände, Innungen usw. Insofern erscheint es zumutbar, dass sich ein Lebensmittelunternehmer entsprechende Schulungen aus
dem Angebot heraussucht.
Zu § 5
Anforderungen an die Abgabe kleiner Mengen bestimmter
Primärerzeugnisse sowie Anlage 2
Dieser Paragraf fängt die Regelungslücke der Verordnung (EG) Nr. 852/2004
auf, die im EU-Recht durch die Einschränkungen des Geltungsbereichs in
Bezug auf die Primärerzeugnisse entsteht. Während beim Behandeln und Inverkehrbringen von Primärerzeugnissen im Regelfall die Bestimmungen des
Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 gelten, mussten für das Inverkehrbringen kleiner Mengen nationale Vorschriften geschaffen werden.
Gleichzeitig musste definiert werden, was im nationalen Recht „kleine Mengen“ sind. Diese „kleinen Mengen“ darf der Primärerzeuger entweder direkt
an den Endverbraucher oder an nahegelegene Einzelhandelsgeschäfte zur unmittelbaren Abgabe an den Endverbraucher abgeben. Der Anwender der Hygienevorschriften muss im Hinblick auf die Primärerzeugnisse also mit drei
Grenzen leben:
• eine Grenze definiert, welche Produkte als Primärerzeugnis gelten und welche nicht – dieses ergibt sich aus der Definition des Artikels 3 Nr. 17 der
Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sowie aus dem EU-Leitfaden für die Durchführung bestimmter Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene Abschnitt 3; in dieser Leitlinie findet man auch die Tätigkeiten, die der Primärproduktion zugeordnet werden, u. a. der Direktverkauf
durch Landwirte an den Endverbraucher;
• eine weitere Grenze definiert die „kleine Menge“ für bestimmte Gruppen an
Primärerzeugnissen; diese findet sich im Abschnitt 2 des vorliegenden Paragrafen;
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