Einblick in die Bildung ozeanischer Kruste

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Neue Z}rcer Zeitung
FORSCHUNG UND TECHNIK
Mittwoch, 30.07.2003 Nr.174
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Einblick in die Bildung ozeanischer Kruste
Aufquellendes Magma schiebt Platten auseinander
Der zentrale Mittelatlantische Rücken ist jener
Bereich im Atlantik, an dem sich – nach bisheriger Lehrbuchmeinung mit konstanter Geschwindigkeit – neue ozeanische Kruste bildet. Hier ist
der Erdmantel teilweise aufgeschmolzen. Aus ihm
gelangt für die Krustenbildung notwendiges
Magmamaterial durch Konvektionsströme an die
Oberfläche des Ozeanbodens. Die so entstandene
neue Kruste erstarrt parallel zur Achse des
Rückens und driftet mit dem Ozeanboden allmählich zur Seite weg.
Nun haben jedoch neuste Untersuchungen
eines Forscherteams vom Institut für marine Geologie in Bologna ergeben, dass diese Krustenbildung um ein Vielfaches komplizierter und unregelmässiger abläuft als bisher angenommen. Als
Untersuchungsobjekt diente den Wissenschaftern
sozusagen ein Schnitt durch die ozeanische
Kruste und den oberen Erdmantel, der durch eine
Laune der Natur sichtbar geworden ist. Es handelt sich um einen 314 Kilometer langen Abschnitt von ozeanischer Kruste und Lithosphäre
am sogenannten Vema-Rücken im südlichen
Atlantik bei 11 Grad nördlicher Breite. Der
Vema-Rücken steigt aus 5000 Metern Tiefe bis
auf 450 Meter unter Wasser an; auf ihm sind 20
Millionen Jahre Erdgeschichte abgebildet.
Genaue geochemische und gravimetrische Untersuchungen dieses Aufschlusses haben sichtbar
gemacht, dass die Bildung von ozeanischer
Kruste nicht gleichmässig abläuft. Vielmehr zeigte
sich, dass sich das Aufschmelzen des emporsteigenden Magmas und die Krustendicke alle 3 bis 4
Millionen Jahre verändern. Diese Oszillation wird
überlagert von einem die ganzen 20 Millionen
Jahre anhaltenden Trend zu einem verstärkten
Aufschmelzen des Mantels und somit zur Verdickung der Kruste. Den Wissenschaftern gelang
es nun auch, die Geschwindigkeit zu berechnen,
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mit der der flüssige Mantel nach oben steigt.
Dazu massen sie den Abstand zwischen der aus
der Schmelze entstandenen Kruste und dem bei
diesem
Prozess
ausgeschiedenen
schwereren
Restmaterial, das im oberen Erdmantel verblieb
und auf Grund seiner Zusammensetzung genau
identifiziert werden kann. Dies ergab eine durchschnittliche Aufstiegsrate des Magmas von 25
Millimetern pro Jahr, die jedoch anscheinend
ebenfalls variiert. Vor allem aber ist sie um einiges
schneller als die durchschnittliche Geschwindigkeit von 15,6 Millimetern pro Jahr, mit der sich
die beiden ozeanischen Platten vom Mittelatlantischen Rücken wegbewegen.
Die Schwankungen in der Produktion von
Magmaschmelze führen die Wissenschafter auf
ein periodisches Absinken von sich abkühlendem
Material des oberen Mantels in die darunter liegende Aufschmelzungszone zurück. Dies führt zu
einer Mobilisierung von mehr Schmelze im Mantel, was wiederum eine Streifenbildung durch
unterschiedliche Krustendicke parallel zur Achse
des Mittelatlantischen Rückens zur Folge hat.
Die Tatsache, dass die Geschwindigkeit des aus
dem Mantel aufsteigenden Magmas bedeutend
höher ist als jene, mit der sich die tektonischen
Platten auseinander bewegen, ist ein Hinweis darauf, dass die Platten aktiv durch die Konvektion
des Mantels auseinander geschoben und nicht nur
passiv durch das Abtauchen der ozeanischen Platten an den gegenüberliegenden Kontinentalrändern auseinander gezogen werden. Ein solch aktiver Schub war bisher nie beobachtet worden.
Simone Ulmer
Quelle: Nature 423, 499–505 (2003).
Blatt 1
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