Tumorprävention – Ernährung und Sport G. Lux Alle 150 Sekunden stirbt in Deutschland ein Mensch an Krebs. Die Krebserkrankung liegt damit an zweiter Stelle der Todesursachen und schickt sich an, die Nummer Eins zu werden, bei den über 85-Jährigen ist dies bereits der Fall. Präsident Nixon hat 1971 zum Kampf –„War on cancer“- gegen Krebs aufgerufen. Dieser Kampf zeigt durchaus Entstehung, Erfolge: Vermeidung der rechtzeitiges Erkennen und Behandlung hat seit 1994 die Krebstodesrate bei den Männern um ca. 20%, bei den Frauen um über 10% verringert Damit wurden in 15 Jahren 650.000 Krebstodesfälle in den USA vermieden. Dies entspricht einer Reduktion der Krebstodesfälle pro Jahr zwischen 1 % und 2 %; dies ist viel, aber nicht genug. Im Folgenden will ich die vielfältigen Ursachen des Krebs umreißen und darauf eingehen, ob Krebs durch Modifikation der Ernährung – Schlagwort „Fünfmal Obst und Gemüse pro Tag“ möglicherweise vermieden werden kann, welche Rolle Übergewicht und Diabetes mellitus in der Entstehung der Krebserkrankung spielen und schließlich, welche Möglichkeiten Sport zur Krebs-Prävention und zur Unterstützung der Krebstherapie bietet. Von den 30 Billionen Zellen des menschlichen Körpers – eine Zahl mit 13 „Nullen“ gehen pro Sekunde 4 Millionen programmiert im Rahmen der sog. Apoptose zugrunde und 4 Millionen entstehen neu. Bei der Krebserkrankung ist dieser Ablauf gestört, die Zelle wird – so paradox es klingen mag - über weite Perioden „unsterblich“ und gefährdet damit den gesamten Organismus, das heißt den Menschen. Tumorprävention – Ernährung und Sport Seite 2 Von 25.000 Genen des Menschen kontrollieren 5.000 das Wachstum mit Entstehung neuer Zellen. Die unvorstellbare Erneuerungsrate der Zellen macht Irrtümer in den entstandenen Zell-Kopien wahrscheinlich. Diese Fehler werden aber in der Regel durch Reperaturgenen korrigiert. Andere Gene unterdrücken das Entstehen von Krebs (Suppressor-Gene), wiederum andere – sogenannte „Onkogene“ fördern dessen Entstehen. Die Entstehung von Krebszellen ist allerdings in der Regel nicht genetisch vorprogrammiert, erbliche Krebsformen machen zum Beispiel beim Dickdarmkrebs nur ca. 5 % aus. Die Krebszelle entsteht zumeist in mehreren – nicht sehr vielen - aufeinander folgenden Schritten, einen Vorgang, den Vogelstein 1990 beschrieben hat. Aus normalen Kolonepithelzellen entstehen zunächst Polypen, die im nächsten Schritt zunehmend Vorstufen von Krebs aufweisen können. Die Mehrzahl der Krebserkrankungen entsteht durch Umweltfaktoren – natürlich bei entsprechender Disposition des einzelnen Individuums. An erster Stelle dieser exogenen Faktoren stehen Alkohol und Nikotin. Auch Viren, wie Hepatitis B, Aids oder das Papillomavirus beim Gebärmutterhalskrebs bzw. beim Analkrebs sind von Bedeutung. Toxine von Schimmelpilzen, Aflatoxine, können zum Leberkrebs führen. Luftverschmutzung spielt ebenfalls eine Rolle. Wir wollen uns heute mit den drei im unteren Bereich der „Rose“ genannten Punkten – Defizit an Obst und Gemüse, Übergewicht und Inaktivität – beschäftigen. Primärprävention bedeutet Vermeiden der Entstehung von Krebs, Rahmen der im Sekundärprävention werden Krebsvorstufen – sogenannte Präkanzerosen – entdeckt, entfernt und behandelt. Tertiärprävention soll das Neuauftreten von Tumoren nach Therapie bzw. das Neuauftreten von Rezidiven und Zweitkarzinomen vermeiden. Tumorprävention – Ernährung und Sport Seite 3 1981 schätzten Doll und Peto die Rate der durch Ernährungsumstellung vermeidbarer Karzinomtodesfälle auf etwa 35%. Damit wäre mindestens jede dritte Krebserkrankung zu verhindern. Scheppach hat diese Hypothese 2003 auf die einzelnen Tumore herunter gebrochen und insbesondere beim Dickdarm- und Brustkrebs die Rate auf 30 bis 50% vermeidbarer Krebserkrankungen beziffert. Weniger einer vernünftigen Ernährung zugänglich sind Karzinome der Lunge und der Prostata. Die Krebserkrankung scheint Ernährungsumstellung durch zuzunehmen. die Die durch Zivilisation Frage Ernährungsgewohnheiten in den vergangenen beiden ist, wie bedingte sich die Jahrhunderten in Europa verändert haben. Seit 1800 hat sich der Fettanteil in der Nahrung vervielfacht, die verzehrten Kohlenhydrate, das heißt Kartoffeln und Getreide haben sich nahezu halbiert. Gestiegen ist der Eiweißanteil in der Nahrung, der Gehalt an Zucker und anderen prozessierten Kohlenhydraten, an Salz und Geschmacksverstärkern. Diese Veränderungen kann als Weg zum „Fastfood“ - Fett, raffinierten Kohlenhydraten, Salz und Geschmacksverstärkern und Mangel an Obst und Gemüse - bezeichnet werden. In Zahlen ausgedrückt, verzehrt der Durchschnittsdeutsche heutzutage nur etwa ein Viertel an Kartoffeln, die Hälfte an Brot, das Doppelte an Fleisch und dafür über das Doppelte an Eiern als um 1900. Warum ist der Weg zurück zur gesünderen Nahrung derartig schwer? Aus Tierversuchen wissen wir, gleicht. dass der Verzehr von Fast-food einer Sucht Ratten haben sich nach Gewöhnung an ein Fast-food-Buffet nur noch durch Zwangsentzug „an der Salatbar“ befreien lassen. Tumorprävention – Ernährung und Sport Seite 4 In die Empfehlungen der WHO zur Ernährung eingegangen ist der Slogan von „Fünfmal Obst und Gemüse“ pro Tag als „kluge und gesunde“ Nahrungsform. Hierdurch ließen sich wie bereits erwähnt ca. 30 – 50 % der Krebsfälle vermeiden. Diesbezüglich enttäuschend sind allerdings die Ergebnisse einer europäischen Untersuchungsreihe an über 500.000 Teilnehmern, wonach Obst und Gemüse das Krebsrisiko nur um maximal 3% reduzieren - dies besonders bei Rauchern und schweren Alkoholikern. Joost – ein deutscher Diabetologe – hat deshalb provozierend formuliert, dass es sich WHO-Empfehlung lediglich um eine Marketing-Strategie bei der oder eine unbewiesene Kampagne handelt. Es lohnt sich aber, die Zahlen der erwähnten Studie genauer zu betrachten. Durch vier Faktoren – Nichtrauchen, Normalgewicht, 3,5 Stunden pro Woche körperliche Aktivität wie schnelles ballaststoffreiche Kost mit wenig Gehen und eine vegetabile, besonders rotem Fleisch mindern das Krankheitsrisiko allgemein deutlich. Das Risiko eines Diabetes mellitus mindert sich um 99%, eines Herzinfarktes um 81%, eines Schlaganfalles um 50% und einer Krebserkrankung immerhin noch um 36%. Ballaststoffe, Obst und Gemüse sind besonders günstig für Prostatakarzinom, Lungenkarzinom, bei Rauchern und Krebserkrankungen Alkoholikern. lässt sich Die also geschätzte nicht allein Reduktion durch an eine Nahrungsumstellung auf Obst und Gemüse erreichen, entscheidend ist das Gesamtpaket mit Ernährungsumstellung, Normalgewicht, Verzicht auf Nikotin und Alkohol und körperlicher Aktivität. Nicht wenige Menschen sind der Meinung, Multivitamine und Spurenelemente sind in der Lage, Krebserkrankungen zu vermeiden. Alle neueren Studien geben hierzu keinen Hinweis geben. Tumorprävention – Ernährung und Sport Seite 5 In einer Studie aus dem Jahre 2006 an nahezu 50.000 Frauen im Alter von 50 bis 80 Jahren hat sich gezeigt, dass die Ernährungsumstellung auf eine fettarme Diät mit entsprechenden Motivationshilfen möglich war, dass sich aber dadurch weder das Brust- noch das Dickdarmkrebsrisiko vermindert hat. Fettsucht ist mit einer höheren Krebsrate verbunden. Fettsüchtige Männern haben ein um etwa 50% erhöhtes Karzinomrisiko, insbesondere für Leberund Pankreaskarzinom. Bei den Frauen betrifft die Erhöhung des Krebsrisikos durch Übergewicht Brust-, Leber- und Gebärmutterkrebs Wir wissen, dass Übergewicht die Häufigkeit einer Zuckerkrankheit vom Typ 2 ansteigen lässt. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 das Risiko für Dickdarmkrebs um 30 % ansteigt. Außerdem schreitet die Tumorerkrankung bei Diabetikern schneller voran. Diese Tatsache betrifft den Dickdarmkrebs, allerdings auch andere Krebsarten wie zum Beispiel den Brustkrebs. Letzterer ist bis auf das Zweifache erhöht. Krebs und Diabetes mellitus weisen gemeinsame Entstehungs- Mechanismen auf: erhöhte Aufnahme von Fett und Kohlenhydraten, rotes Fleisch, Übergewicht, Bewegungsarmut und eine allgemeine Entzündungsbereitschaft, die sich am vermehrten Auftreten bestimmter Entzündungszellen zeigt. Körperliche Aktivität und kalorienarme Ernährung reduzieren das Risiko sowohl für Diabetes mellitus Typ 2 als auch z.B. für den Dickdarmkrebs. Das Risiko für eine Krebserkrankung beim Diabetiker wird durch körperliche Aktivität eindrucksvoll reduziert. Dies betrifft nahezu alle Karzinome bis auf das Prostatakarzinom. Tumorprävention – Ernährung und Sport Seite 6 Auch bei Menschen ohne Diabetes kann körperliche Aktivität wie schwere körperliche Arbeit oder Sport reduzieren. Dieser Effekt das Brustkrebs-Risiko ist besonders ausgeprägt um 37 bis 52% bei jüngeren, prämenopausalen Patientinnen. Die Karzinomreduktion ist proportional der körperlichen, regelmäßigen Aktivität. 70.000 Männer und 80.000 Frauen, nahmen an einer Studie von 1992 bis 1999 teil. 7 Stunden Laufen pro Woche verringert das Kolonkarzinom deutlich. Die Studie zeigt, dass es keinen „Lohn“ für getane, d.h. frühere sportlichen Aktivitäten gibt und Sport (nur) in der Jugend das Dickdarmkarzinom nicht mindert. Sport auch nach der Diagnose „Brustkrebs“ kann den weiteren Verlauf der Erkrankung verbessern. Der größte Vorteil zeigt sich bei einer Aktivität, die 3 bis 5 Stunden Laufen pro Woche entspricht. Günstigere Ergebnisse fanden sich bei Patienten mit hormonrezeptorpositiven Tumoren. Auch andere Krebsformen lassen sich während der Therapie durch körperliche Aktivität verbessern. So führt eine halbe Stunde Radfahren pro Tag zu einer um 34 % reduzierten Sterblichkeit, das Fünfjahresüberleben ist um ein Viertel verbessert. Der positive Effekt von Sport unter und nach der Tumortherapie führt zu der Frage, ob eine Tumordiagnose grundsächlich den Lebensstil ändern kann. Insbesondere jüngere Patientinnen sind motiviert, mehr zu Laufen, weniger zu rauchen und zu trinken. Die Realität aller Tumorpatienten lehrt uns allerdings, dass nur 23% dieser Menschen sich mehr bewegen, 12% rauchen weiter und 16% trinken weiter Alkohol - nach eigenen Angaben, möglicherweise liegt hier die Dunkelziffer höher. Tumorprävention – Ernährung und Sport Tumor und Tumortherapie, wie Chemotherapie, vermindern die Seite 7 Strahlentherapie, Operation Leistungsfähigkeit, führen zu oder Blutarmut, Störungen der Herz- bzw. Nerventätigkeit. Diese Veränderungen zusammen mit dem Auftreten einer Depression nennt man „chronisches Müdigkeitssyndrom“. Es erscheint plausibel und vieles spricht dafür, dass körperliche Aktivität in angepasster und kontrollierter Form der chronischen Müdigkeit („chronic fatigue syndrome“) entgegenwirkt. Patienten nach der Diagnose Dickdarmkrebs erhielten über einen Zeitraum von 5 Jahren eine Zusatzbehandlung mit verstärkter körperlicher Aktivität. Die Gesamtsterblichkeit nahm um 39%, die krebsbedingte Sterblichkeit um 50% ab. Dieser Effekt war weniger durch das Körpergewicht beeinflußt, er galt nicht bei sehr frühen Tumorstadien und bei Tumorerkrankungen mit bereits erfolgter Metastasierung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tumoren in der Regel in mehreren Schritten und durch vielfältige Ursachen entstehen. Eine Ernährungsumstellung allein mit fünfmal Obst und Gemüse pro Tag ist wenig effektiv. Körperliche Aktivität mit Normgewicht und Verzicht auf Nikotin und Alkohol reduziert das Risiko besonders von Dickdarm- und Brustkrebs um 30 bis 50%. Diabetiker haben ein deutlich höheres Tumorrisiko. Auch nach der Diagnose Krebs ist der Effekt einer körperlichen Aktivität gesichert. Das Ausmaß der Aktivität ist individuell und liegt z.B. zwischen 3 bis 7 Stunden schnellem Gehen / Woche, eventuell auch unter ärztlicher Beratung.