Parameterinvariante Integrale und Differentialformen

Werbung
Kapitel VII
Parameterinvariante Integrale und
Differentialformen
Kapitelinhalt
7.1 m-dimensionale Flächen
7.2 Motivation zu Differentialformen
7.3 Differentialformen
7.4 Vektorraumstrukturen
7.5 Das äußere Produkt
7.6 Uneigentliche Integration über Differentialformen
7.7 Die äußere Ableitung
7.8 Klassische Differentialoperatoren
7.9 Klassische Diffeentialoperatoren und Differentialformen
46
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
47
7.1. M -DIMENSIONALE FLÄCHEN
7.1
m-dimensionale Flächen
In diesem Kapitel wollen wir die von E. Cartan in die Geometrische Analysis eingeführten Differentialformen
auf m-dimensionalen Flächen betrachten, welche wir uns im n-dimensionalen Euklidischen Raum Rn mit
n ≥ m eingebettet denken. Dazu beginnen wir mit der
Definition 1. Sei der offene Parameterbereich T ⊂ Rm gegeben. Eine Abbildung


X(t) = 
x1 (t1 , . . . , tm )
·


n
k
n
 : T −→ R ∈ C (T, R )
xn (t1 , . . . , tm )
mit k, m ∈ N und m ≤ n, für deren Funktionalmatrix
Rang ∂X(t) = m
erfüllt ist, heißt m-dimensionale parametrische,

∂x1
 ∂t1


 ∂x2

 ∂t1

∂X(t) = 
 .
 ..



 ∂xn
∂t1
für alle t ∈ T
reguläre Fläche bzw. kurz eine m-Fläche. Hierbei bedeutet

∂x1
∂x1
···
∂t2
∂tm 


∂x2
∂x2 

···
∂t2
∂tm 

 ∈ Rn×m .
..
..
.. 
.
.
. 



∂xn
∂xn 
···
∂t2
∂tm
Die m-Fläche heißt eingebettet, falls X : T → Rn injektiv ist.
Bemerkung. Die vektorwertigen partiellen Ableitungen
Xt1 (t), . . . , Xtm (t),
t ∈ T,
heißen die zur Fläche im Punkt t ∈ T gehörigen Tangentialvektoren. Der Raum
TX (t) := Lin Xt1 (t), . . . , Xtm (t)
wird als der im Punkt t ∈ T befindliche Tangentialraum der Fläche bezeichnet. Die Bedingung
Hier einige gängige Sprechweisen.
• Eine 1-dimensionale Fläche der Gestalt
X(t) = x1 (t), . . . , xn (t) ∈ Rn ,
t∈R
bezeichnet man als eine Kurve.
• 2-dimensionale Flächen schreiben wir gewöhnlich als
X(u, v) = x1 (u, v), . . . , xn (u, v) ∈ Rn ,
(u, v) ∈ R2 .
• Schließlich bezeichnen wir Abbildungen der Form
als Hyperflächen.
X(t) = x1 (t1 , . . . , tn−1 ), . . . , xn (t1 , . . . , tn−1 ) ∈ Rn ,
t ∈ Rn−1 ,
48
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
Wir betrachten zwei einfache Beispiele.
1. Die Abbildung
X(u, v) = (u, v, u2 − v 2 ) ∈ R3
erzeugt eine im R3 befindliche zweidimensionale Fläche über einem ebenen Parametergebiet T ⊂ R2 .
Wir berechnen
Xu = (1, 0, 2u), Xv = (0, 1, −2v).
Insbesondere sind die Tangentialvektoren Xu und Xv stets voneinander linear unabhängig, d.h. es ist
auch Rang X(u, v) = 2 für alle (u, v) ∈ T, und X(u, v) ist im obigen Sinne regulär. Man verifiziere als
Übung, dass die Fläche auch im Raum R3 eingebettet ist.
3. Die sogenannte Komplexifizierung der Neilschen Parabel
X(w) = (w2 , w3 ) ∈ R4 ,
w = u + iv,
ist im Punkt (u, v) = (0, 0) nicht regulär im Sinne unserer Definition.
Reguläre Flächen sind spezielle geometrische Objekte, deren tatsächliche Gestalt nicht von der gewählten Parametrisierung abhängt. Auch geometrische Größen wie Länge einer eindimensionalen Kurve oder
Flächeninhalt einer zweidimensionalen Fläche sind stets parameterinvariant.
e : Te → Rn heißen äquivalent, wenn es eine
Definition 2. Zwei Parameterdarstellung X : T → Rn und X
topologische Abbildung
t = t(s) = t1 (s1 , . . . , sm ), . . . , tm (s1 , . . . , sm ) : Te −→ T ∈ C k (Te, T )
gibt mit den Eigenschaften
∂(t1 , . . . , tm )
(i) J(s) =
= det
∂(s1 , . . . , sm )
∂ti (s)
∂sj
k=1,...,m
> 0 für alle s ∈ Te;
e
(ii) X(s)
= X(t(s)) für alle s ∈ Te.
e ensteht durch orientierungstreues Umparametrisieren aus X. Ist in (i) das Vorzeichen negativ,
Wir sagen, X
so heißt die Umparametrisierung orientierungsumkehrend.
Wir wollen alle möglichen Parametrisierungen und Umparametrisierungen einer Fläche mit folgender Definition in einem Begriff zusammenfassen.
Definition 3. Die Äquivalenzklasse [X] aller zu X äquivalenten Parameterdarstellungen nennen wir eine
offene, orientierte, m-dimensionale reguläre Fläche der Regularitätsklasse C k im Rn .
Im folgenden verwenden wir hierfür einfach die abkürzende Sprechweise reguläre m-Fläche.
Die Länge einer auf einer regulären Fläche liegenden Kurve, der Winkel, unter dem sich zwei Flächenkurven
schneiden, der Flächeninhalt einer Fläche etc. sind geometrische Größen, welche offenbar nicht von der Art
und Weise, wie die Fläche in einem umgebenden Raum eingebettet ist, abhängen.
Derartige geometrische Größen, welche nicht von der uns gewählten Beschreibung abhängen, lassen sich
nach C.F. Gauss durch die sogenannte 1. Fundamentalform der Fläche bestimmen.
Definition 4. Sei X : T → Rn eine reguläre m-Fläche. Dann heißt die Matrix (gij )i,j=1...,m , gegeben durch
∂X
das Skalarprodukt zwischen den Tangentialvektoren ∂X
∂ti und ∂tj gemäß
gij (t) :=
∂X(t) ∂X(t)
·
,
∂ti
∂tj
i, j = 1, . . . , m
metrischer Tensor, Maßtensor oder erste Fundamentalform von X.
49
7.1. M -DIMENSIONALE FLÄCHEN
Im Rahmen dieser Vorlesung werden wir nicht auf maßtheoretische Grundlagen zu Flächeninhaltsbestimmungen eingehen. Es soll genügen, den Flächeninhalt einer regulären m-Fläche wie folgt zu definieren.
Definition 5. Mit
W (t) :=
p
g(t) ,
g(t) := det gij (t) i,j=1,...,m ,
bezeichnen wir ihr Oberflächenelement, und g heißt ihre Gramsche Determinante. Unter dem Flächeninhalt
von X verstehen wir das uneigentliche Riemannsche Integral
Z p
A(x) =
g(t) dt.
T
Bemerkung. Im Fall m = 1 einer Kurve entspricht A(X) der sogenannten Bogenlänge.
Das Oberflächenfunktional wollen wir in eine für unsere folgenden Zwecke geeignetere Form umschreiben.
Hilfssatz 1. Sei X : T → Rn eine reguläre m-Fläche. Dann gilt
v
2
Z u
X
u
∂(xi1 , . . . , xim )
t
A(X) =
dt1 · · · dtm .
∂(t1 , . . . , tm )
T
1≤i1 <...<im ≤n
Beweis. Seien A, B ∈ Rn×m zwei Matrizen mit m ≤ n. Für 1 ≤ i1 < . . . < im ≤ n bezeichne Ai1 ···im
diejenige Matrix, die aus den Zeilen i1 , . . . , im der Matrix A hervorgeht. Dann gilt zunächst
det (At ◦ B) =
X
(det Ai1 ···im )(det Bi1 ···im ).
1≤i1 <...<im ≤n
Die hier zu Grunde liegende Beweisidee ist folgende:
1. e1 , . . . , en seien die Spaltenvektoren der Standardbasis des Rn ; dann gilt die Formel zunächst für alle
B = (ej1 , . . . , ejm ) mit j1 , . . . , jm ∈ {1, . . . , n}.
2. Gilt die Formel für B = (b1 , . . . , bm ), dann auch für B′ = (b1 , . . . , bi−1 , λbi , bi+1 , . . . , bm ).
3. Gilt die Formel für B′ = (b1 , . . . , b′i , . . . , bm ) und B′′ = (b1 , . . . , b′′i , . . . , bm ), dann auch für die Summe
B = (b1 , . . . , b′i + b′′i , . . . , bm ).
Speziell erhalten wir die Darstellung
det (At ◦ A) =
X
(det Ai1 ···im )2 .
1≤i1 <...<im ≤n
Dieses Resultat wenden wir nun auf den Maßtensor
wie folgt an
g(t) = det ∂X(t)t ◦ ∂X(t) mit ∂X(t) = Xt1 (t), . . . , Xtm (t)
g(t) =
X
1≤i1 <...<im ≤n
∂(xi1 , . . . , xim )
∂(t1 , . . . , tm )
2
.
Daraus folgt die Behauptung.
Mit Hilfe der Transformationsformel zeigt man, dass die Definition des Flächeninhalts A(X) unabhängig
von der Wahl der Parametrisierung ist, d.h. A(X) ist eine Größe, die dem geometrischen Objekt m-Fläche
tatsächlich innewohnt.
50
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
7.2
Motivation zu Differentialformen
Allgemeiner beschritt E. Cartan folgenden Weg: Gegeben sei das zweidimensionale Gebietsintegral
ZZ
∂(x1 , x2 )
G(X) :=
a12
dudv
∂(u, v)
T
mit einer Parameterdarstellung x1 = x1 (u, v) und x2 = x2 (u, v) für die 2-Fläche
X(u, v) = (x1 (u, v), x2 (u, v)).
e : Te → R2 eine zweite Parametrisierung dieser Fläche. Dann liefert die Transformationsformel
Sei nun X
ZZ
ZZ
ZZ
∂(x1 , x2 )
∂(x1 , x2 ) ∂(u, v)
∂(e
x1 , x
e2 )
a12
dudv =
a12
de
ude
v=
e
a12
de
ude
v.
∂(u, v)
∂(u, v) ∂(e
u, ve)
∂(e
u, ve)
T
Te
Te
Offenbar hängt also G(X) gar nicht von der Wahl der Parametrisierung ab. E. Cartan definierte konsequenterweise einen neuartigen Ausdruck der Form
ω
a12
∂(x1 , x2 )
dudv ,
∂(u, v)
welcher die Parametrisierung in sich kodiert, um G(t) parameterunabhängig zu schreiben gemäß
Z
G(X) = ω.
T
Diesen Ausdruck ω bezeichnet er als Differentialform vom Grade 2 und schreibt symbolisch
ω = a12 dx1 ∧ dx2 .
Bevor wir uns der allgemeinen Theorie solcher Differentialformen widmen, möchten wir bereits jetzt zwei
ihrer Eigenschaften vorstellen.
1. Seien zwei Formen α = a12 dx1 ∧ dx2 und β = b12 dx1 ∧ dx2 gegeben, dann ergibt die gewöhnliche
Additionsregel für Riemannintegrale
α + β = (a12 + b12 ) dx1 ∧ dx2 .
2. Die Schiefsymmetrie
∂(x1 ,x2 )
∂(u,v)
2 ,x1 )
= − ∂(x
∂(u,v) zeigt
dx1 ∧ dx2 = −dx2 ∧ dx1 ,
insbesondere also dxi ∧ dxi = 0 für i = 1, 2.
Überhaupt können wir die bekannten Rechengesetze für Riemannintegrale heranziehen, um eine detaillierte
Theorie von Differentialformen zu entwickeln.
Wir wollen uns aber stets daran erinnern, dass Differentialformen symbolische Setzungen für invariante
Operationen sind, welche letztlich über Integrationsprozesse erklärt sind.
7.3
Differentialformen
Wir definieren nun, was wir im folgenden unter einer Differentialform verstehen wollen.
Definition 6. Auf der offenen Menge O ⊂ Rn seien die Funktionen ai1 ···im ∈ C k (O, R) mit k ∈ N0 und
i1 , . . . , im ∈ {1, . . . , n} mit 1 ≤ m ≤ n gegeben. Wir setzen
n
o
F := X : X : T → Rn ist reguläre, orientierte, m-dimensionale Fläche mit X(T ) ⊂⊂ O, A(X) < ∞ .
51
7.4. VEKTORRAUMSTRUKTUREN
Unter einer Differentialform vom Grade m der Klasse C k (O), symbolisch
n
X
ω :=
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxim ,
i1 ,...,im =1
oder kurz m-Form der Klasse C k (O), verstehen wir eine Funktion ω : F → R, erklärt vermöge
Z
n
X
∂(xi1 , . . . , xim )
ai1 ···im (X(t))
ω(X) :=
dt .
∂(t1 , . . . , tm )
i ,...,i =1
T
1
m
Mit anderen Worten: Differentialformen bilden eine eigenständige Klasse geometrisch-algebraischer Objekte.
Ausgewertet werden sie vermittels invarianter Integrationsprozesse auf m-Flächen, welche wiederum als
geometrische Objekte in einem offenen Raumbereich O ⊂⊂ Rn enthalten sind. Die Wahl eines Parameters
t ∈ T, wie in der Definition geschehen, ist dabei unwesentlich und hat nur technische Bedeutung.
Definition 7. Zwei m-Formen
ω =
n
X
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxim ,
i1 ,...,im =1
ω
e =
n
X
i1 ,...,im =1
heißen äquivalent, in Zeichen ω ∼ ω
e , falls
e
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxim
ω(X) = ω
e (X)
für alle X ∈ F.
In diesem Sinne bezeichnet eine Differentialform eine gesamte Äquivalenzklasse von Formen.
Als Übungsaufgabe zeige man unter Benutzung der Transformationsformel für Mehrfachintegrale, dass Differentialformen auf Flächen wie folgt wohldefiniert sind.
e ∈ F zwei äquivalente Darstellungen einer Fläche, so gilt
Hilfssatz 2. Sind X, X
e
ω(X) = ω(X)
für alle m-Formen ω.
Wir betrachten schließlich noch folgende Spezialfälle:
• Eine 0-Form der Klasse C k (O) ist eine gewöhnliche Funktion f ∈ C k (O, R).
• Eine 1-Form ω = a dx wird auch als Pfaffsche Form bezeichnet.
• Eine Basis-m-Form ist eine Differentialform der Gestalt
β m := dxi1 ∧ . . . ∧ dxim ,
7.4
1 ≤ i1 , . . . , im ≤ n.
Vektorraumstrukturen
Wie bereits eingangs erwähnt, erlaubt die Transformationsformel für Mehrfachintegrale, die Menge der
Differentialformen zu einem Vektorraum auszustatten.
Definition 8. Seien ω und ω1 , ω2 drei m-Formen der Klasse C 0 (O), und sei c ∈ R. Dann setzen wir
(cω)(X) := cω(X),
(ω1 + ω2 )(X) := ω1 (X) + ω2 (X)
für alle X ∈ F.
Mit anderen Worten: Die m-Formen bilden einen Vektorraum mit dem Nullelement
o(X) := 0
für alle X ∈ F.
52
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
7.5
Das äußere Produkt
Neben der Addition von Differentialformen und der skalaren Multiplikation werden wir in den nächsten
Abschnitten weitere wichtige Rechenregeln einführen.
Definition 9. Seien die ℓ-Form
ω1 =
X
ai1 ···iℓ (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxiℓ
1≤i1 ,...,iℓ ≤n
und die m-Form
ω2 =
X
bj1 ···jm (x) dxj1 ∧ . . . ∧ dxjm
1≤j1 ,...,jm ≤n
gegeben. Dann ist ihr äußeres Produkt ω1 ∧ ω2 erklärt also die (ℓ + m)-Form
X
ω1 ∧ ω2 :=
ai1 ···iℓ (x)bj1 ···jm (x) dxi1 ∧ . . . dxiℓ ∧ dxj1 ∧ . . . ∧ dxjm .
1≤i1 ,...,iℓ ≤n
1≤j1 ,...,jm ≤n
Beispiel. Das äußere Produkt der zwei 1-Formen
ω1 = dx + dy,
ω2 = dx − dy
ergibt die 2-Form
ω1 ∧ ω2 = (dx + dy)(dx − dy) = dx ∧ dx − dx ∧ dy + dy ∧ dx − dy ∧ dy
= − dx ∧ dy + dy ∧ dx = −2 dx ∧ dy.
Als Übungsaufgabe möge der Student sich folgende elementaren Rechenregeln klar machen.
Satz 1. Es gelten die folgenden Aussagen.
1. Seien ω1 , ω2 und ω3 beliebige Differentialformen. Dann gilt das Assoziativgesetz
(ω1 ∧ ω2 ) ∧ ω3 = ω1 ∧ (ω2 ∧ ω3 ).
2. Sind ω1 und ω2 zwei ℓ-Formen, und ist ω3 eine m-Form, so gilt das Distributivgesetz
(ω1 + ω2 ) ∧ ω3 = ω1 ∧ ω3 + ω2 ∧ ω3 .
3. Bedeutet π : {1, . . . , ℓ} → {1, . . . , ℓ} die Permutation mit Vorzeichen sign (π), so gilt
dxi1 ∧ . . . ∧ dxiℓ = sign (π) dxiπ(1) ∧ . . . ∧ dxiπ(ℓ) .
Stimmen insbesondere zwei Indizes ij1 und ij2 überein, so verschwindet dieses Produkt. Daher ist jede
m-Form im Rn mit m > n identisch Null.
4. Für eine ℓ-Form ω1 und eine m-Form ω2 gilt die Vertauschungsregel
ω1 ∧ ω2 = (−1)ℓm ω2 ∧ ω1 .
Diesen Rechenregeln entnehmen wir, dass sich im Rn jede m-Form gemäß
X
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . . . . ∧ dxim
ω=
1≤i1 <...<im ≤n
darstellen läßt. Die Basis-m-Formen dxi1 ∧ . . . ∧ dxim bilden eine Basis des Raumes der Differentialformen.“
”
Welche Dimension besitzt dieser Raum eigentlich?
53
7.6. UNEIGENTLICHE INTEGRATION ÜBER DIFFERENTIALFORMEN
7.6
Uneigentliche Integration über Differentialformen
Wir kommen auf den Begriff der Integration von Formen zurück.
Definition 10. Gegeben sei die C 0 (O)-reguläre m-Form
X
ω=
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxim .
1≤i1 <...<im ≤n
Dann erklären wir das uneigentliche Riemannintegral von ω über die Fläche X ⊂ O gemäß
Z
Z
X
∂(xi1 , . . . , xim )
ai1 ···im (X(t))
ω :=
dt1 . . . dtm ,
∂(t1 , . . . , tm )
X
T
1≤i1 <...<im ≤n
falls das rechtsstehende Integral absolut integrierbar ist im folgenden Sinne
Z X
∂(xi1 , . . . , xim )
dt1 . . . dtm < ∞.
ai1 ···im (X(t))
∂(t1 , . . . , tm )
1≤i1 <...<im ≤n
T
Bemerkung. Wir wollen noch einmal daran erinnern: In dieser Definition stellt X einen Repräsentanten
der Äquivalenzklasse [X] dar. Mit der Transformationsformel für Mehrfachintegrale zeigt man aber
Z
Z
ω= ω
X
e
X
e ∈ [X], d.h. das Resultat der Integration ist unabhängig von der gewählten Parametrisierung.
für alle X, X
Wir betrachten nun einige Beispiele von Integrationen über Differentialformen.
1. Kurvenintegrale über Pfaffsche Formen
Die Pfaffsche Form
ω=
n
X
ai (x) dxi
i=1
wird entlang dem C 1 -regulären Weg X(t), t ∈ (a, b), wie folgt integriert
Z
X
ω=
Zb X
n
a
ai (X(t))x′i (t) dt.
i=1
In diesem Fall reduziert sich nämlich die Funktionaldeterminante
liche Ableitung x′i (t).
∂(xi1 ,...,xim )
∂(t1 ,...,tm )
einfach auf die gewöhn-
2. Integrale über Hyperflächen
Betrachte die (n − 1)-Form
ω=
n
X
ai (x)(−1)n+i dx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxn .
i=1
Zur Veranschaulichung sei hier ein Beispiel für den Fall n = 3 gegeben:
ω =
3
X
ai (x)(−1)3+i dx1 . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dx3
i=1
= a1 (x)(−1)3+1 dx2 ∧ dx3 + a2 (x)(−1)3+2 dx1 ∧ dx3 + a3 (x)(−1)3+3 dx1 ∧ dx2
= a3 (x) dx1 ∧ dx3 − a2 (x) dx1 ∧ dx3 + a3 (x) dx2 ∧ dx3 .
54
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
Die Form ω wird nun wie folgt über einer C 1 -Hyperfläche X = X(t1 , . . . , tn−1 ) integriert
Z
ω =
X
Z X
n
ai (X(t))(−1)n+i
Z X
n
ai (X(t))Di (t) dt1 . . . dtn−1
T
=
T
i=1
∂(x1 , . . . , xi−1 , xi+1 , . . . , xn )
dt1 . . . dtn−1
∂(t1 , . . . , tn−1 )
i=1
mit der Setzung
Di (t) := (−1)n+i
∂(x1 , . . . , xi−1 , xi+1 , . . . , xn )
.
∂(t1 , . . . , tn−1 )
Die Größen Di (t) besitzen eine besondere geometrische Bedeutung.
Definition 11. Als Einheitsnormalenvektor ν an die Hyperfläche X = X(t) setzen wir

ν(t) := 
n
X
j=1
− 12
Dj (t)2 
D1 (t), . . . , Dn (t) ,
t ∈ T.
Auch hier ein Beispiel zur Veranschaulichung: Betrachte in der üblichen Notation eine reguläre 2Fläche im R3
X(u, v) = x(u, v), y(u, v), z(u, v)
mit den Tangentialvektoren
Xu = (xu , yu , zu ),
Xv = (xv , yv , zv ).
Das gewöhnliche Kreuzprodukt
Xu × Xv = (yu zv − yv zu , xv zu − xu zv , xu yv − xv yu )
zwischen diesen Tangentialvektoren liefert uns einen Vektor, senkrecht auf der von Xu und Xv aufgespannten Tangentialebene steht. Die Regularitätsvoraussetzung Rang ∂X(u, v) = 2 kann man ferner
übersetzen in die Bedingung (wie genau?)
|Xu × Xv | > 0,
d.h. aus Xu × Xv erhalten wir wie folgt den Einheitsnormalenvektor ν an die zweidimensionale Fläche
ν(u, v) =
Xu × Xv
.
|Xu × Xv |
Insbesondere gelten mit den Setzungen x1 = x, x2 = y und x3 = z (um die Summationsschreibweise
anwenden zu können)
3
X
∂xi
1
Di
= 0,
ν · Xu =
|Xu × Xv | i=1
∂u
ν · Xv =
3
X
∂xi
1
Di
= 0.
|Xu × Xv | i=1
∂v
Als Übung möge man sich überlegen, dass auch ganz allgemein gilt
n
X
i=1
Di (t)
∂xi
=0
∂tj
für alle j = 1, . . . , n − 1,
d.h. der Einheitsvektor ν(t) steht senkrecht bzw. normal auf den Tangentialvektoren Xt1 , . . . , Xtn−1 .
55
7.7. DIE ÄUSSERE ABLEITUNG
Mit diesen neuen Notationen können wir nun obiges Integral in folgender Form schreiben
Z
Z
ω = a(X(t)) · ν(t) dσ(t)
X
T
mit dem Oberflächenelement

dσ(t) = 
n
X
j=1
 21
Dj (t)2  dt
und dem Vektorfeld a = (a1 , . . . , an ) ∈ Rn . Hierin bedeutet
a·ν =
n
X
ai νi
i=1
das gewöhnliche Skalarprodukt der Vektoren a und ν im Rn .
3. Gebietsintegrale
Sei f = f (x1 , . . . , xn ) stetig, und sei die n-Form
ω = f (x) dx1 ∧ . . . ∧ dxn
gegeben. Ferner sei X : T → Rn eine reguläre Fläche. Dann ist
Z
Z
∂(x1 , . . . , xn )
ω = f (X(t))
dt1 . . . dtn .
∂(t1 , . . . , tn )
X
7.7
T
Die äußere Ableitung
Wir wollen nun einen Differenzierbarkeitsbegriff für Differentialformen kennen lernen.
Definition 12. Für eine 0-Form der Klasse C 1 (O) erklären wir ihre äußere Ableitung gemäß
df (x) :=
n
X
fxi (x) dxi .
i=1
Ist ferner
ω=
X
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxim
1≤i1 <...<im ≤n
eine C 1 (O)-reguläre m-Form, so setzen wir
dω :=
X
dai1 ···im (x) ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxim .
1≤i1 <...<im ≤n
Die äußere Ableitung erhöht also den Grad einer Form um 1.
Bemerkung.
1. Es gilt für c1 , c2 ∈ R und Formen ω1 und ω2
d(c1 ω1 + c2 ω2 ) = c1 dω1 + c2 dω2 .
Die äußere Ableitung ist also ein linearer Operator.
2. Sind λ eine ℓ-Form und ω eine m-Form, so gilt
d(ω ∧ λ) = (dω) ∧ λ + (−1)m ω ∧ (dλ).
56
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
Wir wollen die zweite dieser Aussagen zeigen: Betrachte dazu speziell ω = f (x)β m und λ = g(x)β ℓ mit den
Basis-Formen β m und β ℓ . Dann ist also
ω ∧ λ = f (x)g(x) β m ∧ β ℓ .
Wir berechnen nach Definition
d(ω ∧ λ) = d f (x)g(x) β m ∧ β ℓ = g(x) df (x) + f (x) dg(x) ∧ β m ∧ β ℓ
= g(x) df (x) ∧ β m ∧ β ℓ + f (x) dg(x) ∧ β m ∧ β ℓ
= g(x) dω ∧ β ℓ + (−1)ℓm f (x) dg(x) ∧ β ℓ ∧ β m
= g(x) dω ∧ β ℓ + (−1)ℓm f (x) dλ ∧ β m
= g(x) dω ∧ β ℓ + (−1)ℓm (−1)(ℓ+1)m f (x)β m ∧ dλ
= dω ∧ λ + (−1)m ω ∧ dλ.
Die Behauptung gilt dann auch die beliebige C 1 -reguläre Differentialformen.
Beispiel. Betrachte das erneut das bereits im vorigen Abschnitt diskutierte Kurvenintegral, diesmal jedoch
über der 1-Form ω = df :
Z
df =
Zb X
n
a
X
fxi (X(t))x′i (t) dt
i=1
=
Zb
d
f (X(t)) dt = f (X(b)) − f (X(a)).
dt
a
Das Kurvenintegral über der äußeren Ableitung einer 0-Form f hängt also nur von Anfangs- und Endpunkt
der Kurve ab, nicht von deren sonstigen Verlauf.
7.8
Klassische Differentialoperatoren
Betrachte als erstes die Pfaffsche Form
ω=
n
X
ai (x) dxi .
i=1
Wir berechnen
dω =
n
X
i=1
dai (x) ∧ dxi =
n
X
∂ai
dxk ∧ dxi =
∂xk
i,k=1
X
1≤i<k≤n
Offenbar gilt dω = 0 genau dann, wenn die Funktionalmatrix
∂ai
∂xk
∂ak
∂ai
−
∂xk
∂xi
i,j=1,...,n
dxk ∧ dxi .
symmetrisch ist. Im Fall n = 3
entnehmen wir insbesondere
∂a2
∂a3
∂a2
∂a1
∂a1
∂a3
dω =
dx2 ∧ dx1 +
dx3 ∧ dx1 +
dx3 ∧ dx2 .
−
−
−
∂x2
∂x1
∂x3
∂x1
∂x2
∂x3
Definition 13. Die Rotation rot a(x) eines C 1 -regulären Vektorfeldes a(x) ∈ R3 ist definiert als
∂a2 ∂a1
∂a3 ∂a2
∂a1
∂a3
rot a(x) :=
.
−
,
−
,
−
∂x2
∂x3 ∂x3
∂x1 ∂x1
∂x2
Wir können auch symbolisch schreiben

i

rot a(x) = ∇ × a(x) = det  ∂x1
a1 (x)
j
∂x2
a2 (x)
k


∂x3 
a3 (x)
mit den Ableitungsoperatoren ∂xi und dem Gradienten ∇ = (∂x1 , ∂x2 , ∂x3 ).
7.9. KLASSISCHEN DIFFERENTIALOPERATOREN UND DIFFERENTIALFORMEN
57
Definition 14. Der Differentialoperator ∇ = (∂x1 , ∂x2 , ∂x3 ) heißt Gradient oder Nablaoperator.
Betrachte als zweites die (n − 1)-Form
ω=
n
X
ai (x)(−1)i+1 dx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxn .
i=1
Wir berechnen
dω =
n
X
(−1)i+1 dai (x) ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxn
i=1
=
n
X
(−1)i+1
i,k=1
=
n
X
(−1)i+1
i=1
=
n
X
∂ai (x)
i=1
∂xi
∂ai (x)
dxk ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxn
∂xk
∂ai (x)
dxi ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxi−1 ∧ dxi+1 ∧ . . . ∧ dxn
∂xi
dx1 ∧ . . . ∧ dxn .
Definition 15. Die Divergenz div a(x) eines C 1 -regulären Vektorfeldes a(x) ∈ Rn ist definiert als
div a(x) :=
n
X
∂ai (x)
i=1
∂xi
.
Damit schreibt sich das Ergebnis voriger Rechnung in der Form
dω = div a(x) dx1 ∧ . . . ∧ dxn .
7.9
Klassischen Differentialoperatoren und Differentialformen
Wir fassen aus dem vorigen Abschnitt noch einmal zusammen:
• Gradient
Es sei ϕ : Rn → R eine differenzierbar Funktion bzw. ein Skalarfeld“, dann setzen wir
”
grad ϕ(x) := ϕx1 (x), . . . , ϕxn (x) ∈ Rn
• Divergenz
Es sei a = (a1 , . . . , an ) ∈ Rn ein differentierbares Vektorfeld, dann setzen wir
div a(x) :=
n
X
∂ai (x)
i=1
∂xi
∈R
• Rotation
Es sei a = (a1 , a2 , a3 ) ∈ R3 ein differentierbares Vektorfeld, dann setzen wir
∂a2 ∂a1
∂a3 ∂a2
∂a1
∂a3
∈ R3
−
,
−
,
−
rot a(x) :=
∂x2
∂x3 ∂x3
∂x1 ∂x1
∂x2
Die Divergenz
Die Divergenz div a(x) des Vektorfeldes a(x) beschreibt anschaulich dessen Quelldichte oder Ergiebigkeit.
Ein Punkt x ∈ Rn heißt
eine Senke, falls div a(x) < 0
.
eine Quelle, falls div a(x) > 0
Ein Feld a(x) mit div a(x) ≡ 0 bezeichnet man als quellenfrei.
58
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
Die Rotation
Die Rotation rot a(x) eines Vektorfeldes a(x) beschreibt anschaulich dessen Richtung des Drehvektors,
während der Betrag |rot a(x)| ein Maß für die Rotationsgeschwindigkeit des Feldes ist. Dieses Maß bezeichnet man auch als Wirbelstärke. Ein Feld a(x) mit der Eigenschaft
rot a(x) ≡ 0
heißt wirbelfrei.
Anwendung: Die Maxwellschen Gleichungen
Es bezeichnen
E
die elektrische Feldstärke
H
die magnetische Feldstärke
B
die magnetische Induktion
D
die dielektrische Verschiebung
J
die elektrische Stromstärke
Dann gelten die sogenannten Maxwellschen Gleichungen
rot E = −
∂B
,
∂t
rot H =
∂D
+ J,
∂t
wobei sich die Rotation auf die drei Raumkoordinaten x, y und z bezieht und ferner t die Zeitkoordinate
bezeichnet. Die Bedeutung dieser Gleichungen ist folgende:
−→ Eine zeitliche Änderung der magnetischen Induktion erzeugt ein elektrisches Wirbelfeld (das ist das
sogenannte Induktionsgesetz).
−→ Eine zeitliche Änderung eines elektrischen Feldes oder ein Strom erzeugen ein magnetisches Wirbelfeld.
Wiederholte Anwendungen der Differentialoperatoren
Satz 2. Es gelten folgende Aussagen:
(i) Anwendung der Divergenz auf den Gradienten ergibt
div grad ϕ = ∆ϕ
mit dem sogenannten Laplaceoperator
∆ϕ =
n
X
∂ϕ(x)
i=1
∂ 2 xi
.
(ii) Potentialfelder sind wirbelfrei, d.h.
rot gradϕ ≡ 0,
und Wirbelfelder sind quellenfrei, d.h.
div rot a(x) ≡ 0.
Wiederholte Anwendung der äußeren Ableitung
Die letzten beiden Aussagen sind Spezialfälle des folgenden wichtigen
Satz 3. Sei ω eine m-Form der Klasse C 2 (O). Dann gilt
d2 ω := d(dω) = 0.
7.9. KLASSISCHEN DIFFERENTIALOPERATOREN UND DIFFERENTIALFORMEN
Beweis. Wir behandeln zunächst den Fall m = 0 einer Funktion f (x). Dann haben wir
df (x) =
n
X
fxi (x) dxi
i=1
sowie
d2 f (x) = d
n
n
X
X
∂f
∂ ∂f
dxi =
dxk ∧ dxi =
∂x
∂x
i
k ∂xi
i=1
i,k=1
X
1≤k<i≤n
∂2f
∂2f
−
∂xi ∂xk
∂xk ∂xi
dxk ∧ dxi = 0.
Den Fall einer allgemeinen m-Form ω behandeln wir dann so:
X
d2 ω = d2
ai1 ···im (x) dxi1 ∧ . . . ∧ dxim
1≤i1 <...<im ≤n
= d
=
n
X
∂ai1 ···im (x)
dxk ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxim
∂xk
1≤i1 <...<im ≤n k=1


n
2
X
X
(x)
∂
a
i
···i
1
m

dxℓ ∧ dxk  ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxim ,
∂xℓ ∂xk
X
1≤i1 <...<im ≤n
k,ℓ=1
wobei der Ausdruck rechts in der Klammer identisch verschwindet.
59
60
KAPITEL VII. PARAMETERINVARIANTE INTEGRALE UND DIFFERENTIALFORMEN
Herunterladen