Kernreaktorunfälle von Tschernobyl

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Masterseminar der Johannes-Gutenberg Universität Mainz
Clemens Oschmann
Kernreaktorunfälle von Fukushima und Tschernobyl
Clemens Oschmann
[email protected]
Betreuung: Dr. Patrick Achenbach
Dieser Vortrag handelt von der Diskussion von Atomkraftwerken und Reaktorsicherheitsprinzipien. Diese werden vertiefend anhand der Kernreaktorunfälle von Fukushima und
Tschernobyl erläutert und beide Unfallgeschehen sowie ihre radiologischen Konsequenzen verglichen.
Zusammenfassung:
Einführung
Atomkraftwerke erzeugen durch die induzierte
Spaltung eines 235 Uran Kerns Energie. Ein Neutron wird dabei vom Urankern absorbiert und
bringt den Kern zur Spaltung. Hierbei werden
zwei Töchterkerne 139 Barium und 95 Krypton sowie zwei Neutronen erzeugt. Der Energiegewinn
beträgt etwa 200 MeV. Die beiden erzeugten Neutronen können nun weiter Urankerne zur Spaltung
bringen, welches dann in einer Kettenreaktion endet. Ziel eines Atomkraftwerks ist es, eine stabile
und kontrollierte Kettenreaktion zu erzeugen.
Da der Wirkungsquerschnitt zur Absorption eines
Neutrons σ ∝ E −1/2 ist, werden thermische Neutronen benötigt, um die Kettenreaktion aufrecht
zu erhalten. Daher müssen die bei der Spaltung
gewonnenen Neutronen moderiert werden, d.h.
durch Stöÿe abgebremst werden, um ihre Energie
zu drosseln. Das Moderatormaterial soll hierbei
keine Neutronen absorbieren, um keine Neutronen aus der Kettenreaktion zu nehmen. Die Gröÿe der Reaktivität % dient hierbei als Bilanzgröÿe welche beschreibt wie viele Neutronen erzeugt
werden, wie viele Neutronen vom Moderator absorbiert werden und wie viele Neutronen den Reaktor verlassen, ohne sich an der Kettenreaktion
sich zu beteiligen. Ist die Bilanz gleich null spricht
man von einer stationären Kettenreaktion, welche zu jedem Zeitpunkt im Reaktor gefordert ist.
Dies ist bereits ein Prinzip der Reaktorsicherheit,
dass zu jedem Zeitpunkt die Kettenreaktion kontrolliert werden muss. Typische Moderatoren sind
Wasser, Schweres Wasser oder Graphit.
Ein wichtiger Aspekt hierbei ist der so genannte Dampfblasenkoezient. Normalerweise steigt
die Reaktivität mit steigender Temperatur an, da
die Absorptionsresonanzen sich verbreitern. Wird
jedoch mit Wasser moderiert, so bilden sich, je
heiÿer es wird, Dampfblasen im Wasser, welche
die Neutronen nicht mehr moderieren. Dieser negative Dampfblasenkoezient führt insgesamt zu
einem negativen Temperaturkoezienten. Diser
macht die Reaktoren sicherer, da mit steigen-
der Temperatur die Kettenreaktion abgeschwächt
wird. Bei anderen Reaktoren, in welchen Wasser
lediglich Kühlmittel ist, tritt dieser Eekt nicht
auf, und mit steigender Temperatur steigt die Reaktivität exponentiell an. Dies nennt man den positiven Dampfblasenkoezienten.
Der Aufbau eines Reaktors ist in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1: Schematische Skizze eines Druckwasserreaktors [1]
Abbildung 2: Bestandteile eines wassermoderierten heterogenen Kerns [1]
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Deutlich zu erkennen sind die beiden Wasserkreisläufe, die über einen Wärmetauscher verbunden sind (Punkt 6). Der erste Kreislauf kühlt
den Reaktorkern (2) im Reaktordruckbehältnis
(1). Da dieser unter bis zu 150bar Überdruck
steht, verdampft das Wasser nicht sondern kann
das Speisewasser (9) im Wärmetauscher verdampfen lassen. Der Reaktorkern ist in Abbildung 2
dargestellt und setzt sich aus einer Matrix aus
Brennelementen zusammen. Jedes dieser Brennelemente besteht aus mehreren Brennstostäben,
welche wiederum aus den Brennstotabletten aus
Uranoxid besteht. In diesem Brennstotabeletten
ndet die eigentliche Reaktion und die Spaltung
statt.
Reaktorsicherheit
Neben der bereits kennengelernten Kontrolle über
die Kettenreaktion, existieren noch weitere Sicherheitsprinzipien. Die Wärmeabfuhr muss nicht nur
während des Betriebs des Reaktors, sondern auch
danach noch gewährleistet werden. Dies liegt an
den verzögerten Neutronen, welche von abfallenden Spaltprodukten stammen können. Diese sind
beispielsweise das gasförmige Xenon, die leicht
üchtigen Spaltprodukte Iod und Cäsium sowie
die schweren Spaltprodukte Strontium und Plutonium. Selbst nach Unterbrechung der Kettenreaktion produzieren diese Spaltprodukte weiterhin circa 5-8% Wärmeleistung des Reaktors. Wird
diese Wärme nicht abgeleitet, kann es Kernfreilegungen und Kernschmelzen kommen. Hierbei beginnen die Zirkoniumhüllen der Brennstäbe bei etwa 1170◦ zu bersten und die üchtigen Spaltprodukte und Gase können freigesetzt werden. Auÿerdem kommt es bei hohen Temperaturen zur
Bildung von Wassersto, durch die Oxidation des
Zirkoniums. Dieses Wassersto kann mit Sauersto gemeinsam zu Knallgasexplosionen führen.
Um dies zu vermeiden, werden Reaktoren inertisiert, d.h. mit Sticksto geutet, um die Anwesenheit von Sauersto zu verhindern.
Das Containment soll die Umwelt vor Strahlung
und Spaltprodukten schützen. Eine erste Containment Stufe bildet bereits der Brennstostab, aus
welchem keine Spaltprodukte entweichen können
solange die Hülle intakt bleibt. Falls dies nicht
mehr gewährleistet werden kann, existieren zusätzliche Containmentstufen, wie etwa der Reaktordruckbehältnis oder als letzte Stufe die Betonabschirmungen des Reaktorblocks. Ein wichtiges Prinzip der Reaktorsicherheit ist, dass keine
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Spaltprodukte in die Biosphäre entweichen dürfen. Auÿerdem soll die entweichende ionisierende
Strahlung so gerin wie möglich gehalten werden.
Dies nennt man auch das ALAR (as low as reasonably achievable) Prinzip im Strahlenschutz.
Um diese Prinzipien auch in Notsituationen einhalten zu können, existieren in Atomkraftwerken verschiedene Sicherheitssysteme. Eine Notstromversorgung bestehend aus Dieselgeneretoren und Batterien gewährleistet den Betrieb von
Überwachungs- und Sicherheitssystemen. Notkühlungskreisläufe und Notkondensation von Frischdampf werden hierüber betrieben. Der Frischdampf ist verdampftes Kühlmittel, welches durch
Wärmetauscher wieder zur Kondensation gebracht werden muss, damit der Druck im Reaktordruckbehältnis nicht übermäÿig steigt und somit
zum Bersten des Behälters führen könnte. Als letztes Mittel existiert ein Abdampfsystem (genannt
Venting), welches auch ohne externe Stromversorgung funktionstüchtig ist. Dies soll Frischdampf
aus dem Reaktorbehälter entlassen, um den Druck
abzulassen.
Kernkraftunfall Fukushima
Das Kernkraftwerk von Fukushima besteht aus 6
Reaktorblöcken und einem zusätzlichen externen
Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe. Die
Reaktorblöcke sind von links nach rechts durchnummeriert, wie in Abbildung 3 sichtbar. Bis zum
Unfall lagerten hier 2000 Tonnen Kernbrennsto.
Abbildung 3: Luftaufnahme des Kraftwerks Fukushima [2]
Das groÿe Tohoku-Beben im März 2011 mit
einer Magnitude von 9.0 auf der Richterskala gilt
als eines der stärksten Beben, die jemals gemessen wurden. Es handelte sich um ein Subduktionsbeben mit einem Vertikalverstatz von 9 Metern, welches zu einer Verschiebung von enormen
Wassermassen führte. Diese bildeten einen Tsuna-
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mi, welcher stellenweise bis zu 15 Meter hoch war. Spaltprodukten.
Das Kraftwerk von Fukushima wurde von 14 Meter hohen Wellen getroen, war jedoch nur auf 8
Meter hohe Wellen ausgelegt. Dies hatte zur Folge, dass die Maschinenhäuser mit der Notstromversorgung überutet wurden und somit die Notstromversorgung ausel. Aufgrund von Restwärme kam es dann in 3 Blöcken zu Kernschmelzen
sowie zu mehreren Knallgasexplosionen auf dem
gesamten Kraftwerkgelände.
Abbildung 5: Mehrdosis in verschiedenen Orten in
Abhänigkeit der Zeit [2]
Abbildung 4: Explodierter Reaktorblock in Fukushima [2]
Abbildung 6: Dosen in µS für verschiedene MessWie in Abbildung 4 zu sehen, wurde der Re- punkte auf dem Kraftwerkgelände [2]
aktorblock (hier Block 1) durch die Wasserstoffexplosion schwer beschädigt und dies hatte zur
Von etwa 25000 Arbeitern gibt es 171 bestäFolge, dass die letzte Stufe des Containments auf- tigte Fälle, in welchen eine Dosis von mehr als
gebrochen war. Somit konnten üchtige Spaltpro- 100 mSv gemessen wurde. Diese Dosis im Zeitdukte in entweichen.
raum von einem Jahr wird mit einen signikanDer Austritt der Kernschmelze aus dem Reaktor- ten erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht.
druckbehältnis und dem Containment gilt (stand Die Schwellendosis, also die Dosis, ab welcher bei
2013) als sicher. Die radiologischen Konsequenzen direkter Ganzkörperbestrahlung eine akute Strahkonnten noch in der etwa 250 Kilometer entfern- lenkrankheit auftritt, von 250 mSv, wurde bei keiten Stadt Tokio eindeutig gemessen werden, wie nem der eingesetzten Arbeitern gemessen. Die einAbbildung 5 zeigt. Jedoch war diese Belastung zigen beiden Toten auf dem Anlagengelände erschon nach wenigen Monaten wieder auf ein nor- tranken in den Fluten des Tsunamis.
males Level abgefallen.
Für die Bevölkerung hatte dies die Konsequenz,
Verschiedene Messstationen haben auÿerdem die dass in einem Umkreis von 20 Kilometern alle
Freisetzung von Strahlung auf dem Gelände doku- Einwohner evakuiert werden mussten. Von diementiert. In Abbildung 6 sind auÿerdem die Zei- ser Maÿnahme waren 150 000 Menschen betroen
ten verschiedene Ereignisse wie das Venting oder und auch heute (2015) kann dieses Gebiet nicht
eine Explosion in einem Block beigefügt. Die Luft- bewohnt werden. Jedoch sind erste Dekontamigetragene Freisetzung sind 100 PBq für 131 Iod nationsmaÿnahmen bereits angegangen, wie etwa
und 137 Cäsium. Die Messungen für die Kontami- das Abtragen von stark verseuchten Erden oder
nation des Wassers gestalten sich als schwierig da das Waschen von Straÿen und Dächern. Bisher
sich durch Strömungen die Spaltprodukte schnell konnte keine signikante Erhöhung der Krebsrate
weit durchmischen. Bisher wird von einer Gesamt- festgestellt werden. Für die Langzeitfolgen ergibt
kontamination von 900 PBq (stand 2014) ausge- sich je nach Kontamination des Bodens, folgende
gangen. Jedoch gab es keine Funde von schweren Tabelle in Abbildung 7.
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Abbildung 7: Langzeitfolgen für divere Bodenkontaminationen [2]
Kernreaktorunfall Tschernobyl
Im Gegensatz zum Unfall in Fukushima, bei welchem eine Kernschmelze durch die Restwärme
ausgelöst wurde, ist der Unfall von Tschernobyl
ein durch einen prompt Überkritischen Reaktor
ausgelöst worden. Dies bedeutet, dass die Kettenreaktion auÿer Kontrolle geriert und sich exponentiell vervielfachte, sodass die Leistung des Reaktors ebenfalls exponentiell anstieg. Dadurch explodierte der Reaktor. Der Reaktor von Tschernobyl
war ein graphitmoderierter Reaktor, welcher zusätzlich über einen positiven Abschalteekt verfügte. Das heiÿt, beim Abschalten, also dem Einfahren der Steuerstäbe, steigt die Leistungsfähigkeit noch einmal.
Der Unfall ereignete sich während eines Tests des
Notkühlsystems. Hierzu wurde der Reaktor zunächst auf ein niedrigeres Leistungsniveau heruntergefahren, um dann alle Systeme bis auf die
Notsysteme abzuschalten. Durch das herunterfahren auf ein niedrigeres Leistungsniveau wurde das Gleichgewicht der Produktion und Vernichtung von 135 Xenon gestört. 135 Xenon ist nicht
nur ein Spaltprodukt, welches immer in Reaktoren vorkommt, es ist auch ein Reaktor- oder Neutronengift da es einen extrem groÿen Wirkungsquerschnitt für den Einfang von Neutronen besitzt mit 2,65 Mbarn. Der Wirkungsquerschnitt
von 235 Uran liegt ungefähr zwischen 100 und 1000
barn. Durch die verstärkte Bildung von Xenon
sank die Leistungsfähigkeit weiter herab, sodass
der Test nicht durchgeführt werden konnte. Auch
nachdem man erneut den Reaktor komplett anfuhr, stieg die Leistungsfähigkeit nur langsam wieder an. Als man nun im Leistungsbereich des Tests
war, schaltet man alle System ab ohne aber zu
bedenken, dass der Reaktor eigentlich mit voller
Leistung lief. Aus bis heute ungeklärten Gründen
versagte die Notkühlung und nachdem der Rest
des Xenons abgebaut war, stieg die Leistung des
Reaktors rasant an. Erst jetzt wurde der Reaktor
notabgeschaltet, welches jedoch durch den positiven Abschalteekt zur prompten Überkritikalität führte. Dies bedeutet, dass die Kettenreakti-
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on selbst mit den vom Uran erzeugten Neutronen
(sprich ohne verzögerte Neutronen von den Spaltprodukten) bereits ausreicht, um einen exponentielle Anstieg der Kettenreaktion zu bewirken. So
explodierte der Reaktor und das Reaktorgebäude
und das Containment wurden zerstört. Insgesamt
wurden etwa 5200 PBq an Strahlung freigesetzt,
und anders als in Fukushima auch schwere Spaltprodukte wie Strontium und Plutonium. Durch
ein Graphitbrand wurden die Spaltprodukte über
ganz Europa verteilt und somit waren mehr als
75 Millionen Menschen von dem Unglück betroffen. Die geräumte Zone welche auch heute noch
aktiv ist beträgt, 2600 km2 . Es wurden damals
230 000 Menschen evakuiert. Zusätzlich gibt es 41
dokumentierte direkte Strahlentote. Studien aus
Weiÿrussland zeigen eine signikante Erhöhung
der Schilddrüsenkrebsraten bei allen Altersgruppen nach dem Unfall.
Fazit
Beide Atomkraftwerkunfälle wurden von der internationalen Atombehörde als Stufe 7 Unfälle auf
der INES Skala eingestuft. Trotzdem unterscheiden sich die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Aus dem Unfall von Tschernobyl wurden damals Konsequenzen in der Reaktorsicherheit gezogen, so sind die heutigen Reaktoren weitaus
besser gegen prompte Überkritikalität gesichert.
Auch nach Fukushima sollten Maÿnahmen getroffen werden, wie etwa Katalysatoren im Ventingsystem (in Deutschland bereits Picht) um Wasserstoexplosionen zu verhindern sowie die Standards situationsgerecht einsetzen, beispielsweise
den Tsunamischutz und Erdbebenschutz in gefährdeteren Gebieten ausreichend aufzubauen.
Literatur
[1] Demtröder Band 4: Kapitel 8.2
[2] Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit:
• Sonderbericht
Tschernobyl
2/2011
• Bericht Fukushima 2014
• Kurzbericht Tschernobyl
Ausgabe
[3] Bundesamt für Strahlenschutz: BfS-SK-18/12
[4] Zahlen von Weltbank: World Data Base sowie
der World Nuclear Association
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