Gesundheitsratgeber Nuklearmedizin SO 2014-01

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Die SüDoStSchweiz | MOntAG, 6. JAnuAR 2014
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Wo Atome heilen können
Nuklearmedizin? Das gibts.
Die Abteilung im Kantonsspital
Graubünden in Chur hat in
den letzten Jahren zunehmend
an Bedeutung gewonnen.
Eingesetzt wird hierbei häufig die sogenannte Hybridbildgebung, die die
Verteilung der radioaktiven Substanz
in Zusammenschau mit einer konventionellen
Computertomographie
sichtbar macht. Dies kombiniert die
hohe Fähigkeit der nuklearmedizinischen Komponente, Tumoren aufzuspüren (Sensitivität) mit der Zuordnungsfähigkeit der Computertomographie. Dies sei an einem Beispiel
aus einem Kinderbuch illustriert:
Vo5 S7efa5 K5eifel*
Chur. – Fukushima, Energiewandel
und Endlagerdebatte: das sind wahrscheinlich die Begriffe, die einem am
häufigsten einfallen, wenn das Thema
Radioaktivität zur Sprache kommt.
Dass dieses Naturphänomen in der
Medizin auch hilfreich zur Diagnose
und Therapie von Erkrankungen eingesetzt werden kann, ist hingegen weniger bekannt. Der entsprechende
Zweig der Medizin ist die Nuklearmedizin. Auch das Kantonsspital Graubünden hat eine solche Abteilung, die
in den letzten Jahren stetig grösser geworden ist.
Nehmen wir an, die Aufgabe wäre, aus dem obigen Bild alle Schweine herauszusuchen. Der konventionell-radiologische Vorgehensweise entspräche nun,
ein monochromes Bild anzufertigen, und auf diesem die Schweine zu suchen:
Ärzte geben
Auskunft
Weitere Infos: www.suedostschweiz.ch/dossier
Radioaktivität ist in unserer Natur allgegenwärtig. Man bezeichnet damit
das Phänomen von Atomkernen, die
physikalisch so instabil sind, dass sie
von selber in kleinere Kerne oder
Kernteile zerfallen. Dabei werden
kleine Teilchen oder elektromagnetische Wellen ausgesendet, die sogenannte radioaktive Strahlung. Ein
grosser Teil der natürlichen Strahlenbelastung kommt aus dem Weltraum;
ein weiterer Teil wird durch das radioaktive Edelgas Radon verursacht, welches Bodengestein entweicht. Im
Kanton Graubünden sind hiervon besonders das Bergell, das Puschlav, das
Münstertal, das obere Misox und die
Gegenden um Davos und Disentis betroffen.
Gammastrahlen
verlassen Körper
Nun macht man sich seit etwa 70 Jahren die Eigenschaft zunutze, dass sich
radioaktive Isotope (das sind Atome
desselben chemischen Elements, nur
mit unterschiedlicher Anzahl von
Neutronen im Kern) chemisch genau
gleich verhalten wie ihre nicht-strahlenden Geschwister. Der Körper kann
also ein radioaktives Kohlenstoffatom
nicht von einem nicht-radioaktiven
unterscheiden. Es ist daher möglich,
Substanzen in den Stoffwechsel einzuschleusen – zum Beispiel ein radioaktives Zuckermolekül –, die vom
Körper genau gleich wie etwa ein normales Zuckermolekül behandelt werden und dieselben Stoffwechselwege
nehmen. Dadurch, dass sie sich durch
die Aussendung radioaktiver Strahlung sozusagen «verraten», kann man
ihnen jedoch dabei zusehen.
Zum Beispiel werden die bereits erwähnten radioaktiven Zuckermoleküle unter anderem dazu eingesetzt,
Tumorzellen aufzuspüren. Diese haben gegenüber normalen Zellen einen
um ein Vielfaches erhöhten Stoffwechsel, so dass sie den radioaktiven
Zucker in viel höherer Konzentration
als normale Körperzellen aufnehmen.
Man kann so bereits sehr kleine Tumorzellnester aufspüren, die mit den
herkömmlichen Methoden wie zum
Beispiel dem Röntgenbild oder der
Computertomographie niemals zu
finden gewesen wären. Eingesetzt
wird die Methode vor allem beim
Lungenkrebs, beim Lymphom (Krebs
der Lymphknoten) oder beim Brustkrebs; aber auch viele andere Krebsarten wie etwa die Tumoren des HalsNasen-Ohren-Bereiches lassen sich so
in ihrer Ausdehnung genauer bestimmen, als man das bisher konnte (Abbildungen 1 bis 4 in der eingefärbten
Box).
Ein «Radiologe» würde nun auf diesem Bild die Schweine im Schweinegehege rechts im Bild suchen, weil
eben Schweine normalerweise dort
zu finden sind. Das Schwein auf dem
Dach des Bauernhofes zu finden,
braucht schon etwas mehr Aufmerksamkeit, stellt aber für einen erfahrenen Untersucher, der weiss, dass
Schweine in bestimmten Situationen
sich auch gerne einmal auf ein Hausdach verlaufen, kein Problem dar.
Die «nuklearmedizinische» Herangehensweise unterscheidet sich davon fundamental. Man würde ebenfalls ein monochromes Bild anfertigen, aber eines,
auf dem alle Schweine markiert sind:
Was dem «Nuklearmediziner» hier
fehlt, ist die Ortsinformation, oder –
auf den menschlichen Körper übertragen – der anatomische Kontext. Man
kann zwar vermuten, dass die Ansammlung von schweineähnlichen
Gebilden rechts im Bild zu einem
Schweinegehege gehört, und vielleicht kommt man auch noch drauf,
Nuklearmedizinische Untersuchungen können aber auch zur Messung
von Körperfunktionen eingesetzt
werden. Es kann zum Beispiel bestimmt werden, welche Lungenanteile zur Atmung beitragen, oder welche
Niere welchen Anteil zur Entgiftung
des Körpers beiträgt. Wichtig ist das
insbesondere, wenn eine Operation
oder eine Bestrahlung ansteht, durch
die ein solches Organ geschädigt werden könnte. Dann muss man wissen,
ob das noch verbleibende Organ die
Funktion ausreichend gewährleisten
könnte, oder ob Probleme drohen.
Für diagnostische Untersuchungen
werden im Allgemeinen sogenannte
Gamma-Strahler ausgewählt. Diese
senden energiereiche elektromagnetische Strahlung aus. Elektromagnetische Strahlung kennen wir alle aus
dem Alltag: das Licht, Funkwellen,
Mikrowellen und Radarwellen gehören dazu. Die Gammastrahlen sind
genügend energiereich, dass sie den
Körper verlassen können. Dadurch
wird einerseits die Strahlenbelastung
für den Patienten gesenkt, da die
Energieabgabe nicht im Körper stattfindet, und andererseits kann die
Gammastrahlung durch spezielle
Messgeräte sogenannte Gamma-Kameras registriert werden.
dass das einzelne Schwein links oben
im Bild auf einem Dach sitzen könnte
– weil Dächer normalerweise oben
sind. Genau weiss man es aber nicht,
und die beiden Gebilde rechts in der
Mitte, die wie eine oben offene «0»
und eine «1» aussehen, kann man gar
nicht sinnvoll zuordnen.
A?sse5d?5g ei5es Gamma-Q?a57s a?s
ei5em A7omker5
Eine andere Zielsetzung besteht,
wenn man mit radioaktiven Stoffen
Behandlungen durchführen will, etwa
die Therapie eines bösartigen Tumors.
Die Grundidee ist auch hier, dass eine
Substanz verabreicht wird, die der
Körper in den Stoffwechsel integriert
und die sich so ihren Weg im Körper
selber sucht. Der Unterschied ist aber,
dass man für Therapien nun solche
Isotope verwendet, die – statt elektromagnetischer Gammastrahlen – kleine Teilchen aussenden. Diese verlassen den Körper nicht, sondern wirken
am Ort des Zerfalls wie kleine «Bomben» und zerstören so das Tumorgewebe.
e
Forschung in der Nuklearmedizin
noch nicht so weit, dass man viele Tumorarten behandeln könnte.
Am längsten eingesetzt wird radioaktives Jod zur Behandlung des
Schilddrüsenkrebses. Hierbei wird
ausgenutzt, dass Schilddrüsenzellen –
sowohl gutartige als auch bösartige –
die einzigen Zellen des Körpers sind,
die Jod aufnehmen. Beim Schilddrüsenkrebs wird nun zuerst die gesamte
Schilddrüse mit dem bösartigen Tumor und allfälligen Lymphknotenmetastasen operativ entfernt. Sollten
nach der Operation noch einzelne
Zellen oder Zellnester zurückgeblieben sein, kommt nun das radioaktive
Jod ins Spiel. Es wird als Kapsel verabreicht und sucht sich dann seinen
Weg im Körper selber zu den Tumorzellen, die es in der Folge bestrahlt
und abtötet. Daher gehört der Schilddrüsenkrebs zu den wenigen Tumorarten, bei denen es eine gute Chance auf
eine vollständige Heilung gibt, auch
wenn bereits Ableger (Metastasen) in
anderen Organen wie etwa der Lunge
vorhanden sind.
Krankheit wird
aufgehalten
Bei anderen Tumorarten ist man noch
nicht so weit. Ermutigende Ergebnisse
gibt es für eine Untergruppe des
Lymphknotenkrebses, das sogenannte follikuläre Lymphom. Die Standardtherapie beinhaltet dort eine
Substanz, die gegen Oberflächenmoleküle auf den Tumorzellen gerichtet
ist und normalerweise das Immunsystem benutzt, um die Tumorzellen zu
schädigen.Wird nun dieser bereits bekannte Antikörper zusätzlich mit einem radioaktiven Atom «beladen»,
potenziert sich die Wirkung. Eine
grosse europäische Studie, bei der in
der Schweiz federführend das Universitätsspital in Lausanne beteiligt war,
konnte zeigen, dass dadurch das Fortschreiten der Krankheit im Durchschnitt um zwei Jahre aufgehalten
werden konnte.
Am Kantonsspital Graubünden gehen die Anfänge der Nuklearmedizin
auf das Jahr 1968 zurück, als Tumaisch Dorta, ein Engadiner Arzt, mit
der Einrichtung eines «Isotopenlabors» beauftragt wurde.Anfangs noch
weitgehend auf die Schilddrüsendiagnostik und –therapie begrenzt, wuchs
die Abteilung aber mit der Anschaffung neuer Kameras bald einmal.
Heute beschäftigt sie zehn Angestellte. Das Spektrum umfasst heute zu einem grossen Teil moderne Tumor- und
Entzündungsdiagnostik sowie Untersuchungen der Körperfunktionen.
*Stefan Kneifel
Hier tritt nun die Hybridbildgebung auf den Plan, die beide Teilinformationen
in einem Bild integriert. Auf unser Beispiel übertragen, sähe dies dann so aus:
A?sse5d?5g ei5es Elek7ro5s a?s ei5em
A7omker5
Bilder AIi Mi7g?7sch: Mei5 großes Bilderb?ch – A?f dem La5de © 1999 by Rave5sb?rger
B?chverlag O77o Maler GmbH, Rave5sb?rg
Nun findet man alle Schweine relativ
schnell, sowohl im Gehege als auch
auf dem Dach. Und zusätzlich lassen
sich jetzt noch die etwas eigenartigen
Gebilde, die man in der «nuklearmedizinischen» Untersuchung sah, zuordnen: es sind die Würste im Bioladen, die offensichtlich Schweinefleisch enthalten. Diese Information
hätte man den Einzelkomponenten
der «Untersuchung» nicht entnehmen können.
Übertragen auf die Situation bei
den Hybriduntersuchungen lassen
sich so häufig Tumorzellnester aufspüren und zuordnen, die man ansonsten
falsch charakterisiert hätte.
Dafür ist es natürlich wichtig, dass
die zur Therapie verabreichten radioaktiven Substanzen wirklich nur genau an die Orte gelangen, an denen
ihre schädigende Wirkung auch erwünscht ist: Tumorzellen sollen mit einer möglichst hohen Dosis bestrahlt
werden, aber die anderen Körperzellen sollen so wenig Strahlung wie
möglich abbekommen. Hier ist die
Ausb1ldung:
Kneifel studierte Medizin von
1990 bis 1997 an der Technischen
Universität München. Bereits
1996 hatte ihn ein Praktikum
während des Studiums an das
Universitätsspital nach Zürich
geführt, wo er nach dem Staatsexamen von 1997 bis 2002 die
Ausbildung zum Facharzt für Nuklearmedizin absolvierte. Anschliessend arbeitete er bis 2009
am Universitätsspital in Basel.
Seither leitet er die Abteilung für
Nuklearmedizin am Kantonsspital Graubünden.
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