Beginn der Predigtreihe „Lust und Laster“ in der Nydeggkirche 25.12.2010 Weihnachtspredigt zu Hochmut/superbia – Rückkehr ins Paradies (Lukas 2,1-14) Markus Niederhäuser Hochmut, liebe Gemeinde, steht am Anfang des menschlichen Dramas. Hochmut bewirkte die Urtrennung. Damit haben wir uns aus dem Paradies gekippt: Der Mensch, der in seiner Vermessenheit sein wollte wie Gott, hat dadurch das Paradies verloren. Offenbar ist es Adam, dem Menschen eingepflanzt, dass er Grenzen überschreiten und über sich selbst hinaus wachsen muss; dass er über’s Ziel hinaus schiessen und sich nicht zufrieden geben kann; immer weiter suchen und forschen muss. Dieses Streben ist der wohl wichtigste Motor menschlicher Kultur und ein Antrieb des sogenannten Fortschritts. Wie jedes Gute hat das seinen Schatten: eben die Ur-sünde des Hochmuts, des Grössenwahns, lateinisch superbia, griechisch hybris. Sünde hat in unserer Stadt gegenwärtig Hochkonjunktur. Nicht etwa, weil wir in der Zeit um Weihnachten anfälliger wären als sonst. Nein, in Bern wird gegenwärtig eine Doppelausstellung gezeigt unter dem Thema: „Lust und Laster – die 7 Todsünden von Dürer bis Nauman“. Sicher sind Sie den roten Ausstellungsplakaten begegnet. (zeigen) Im Kunstmuseum und im Zentrum Paul Klee sind Werke aus 1000 Jahren zu sehen zu den Grundsünden, welche die Menschen seit je her beschäftigen: Hochmut, Neid, Zorn, Habgier, Wollust, Völlerei und Trägheit. Die sehenswerte Ausstellung bewegt meine Kollegin und mich zu einer Predigtreihe, mit der wir heute beginnen, hat das Thema ‚Sünde‘ doch einen theologischen Ursprung. Sünde ist ein belastetes Wort. Sie wissen es. Über weite Strecken meiden wir es heute. Einfach gesagt, ist es das, was uns vom Lebendigen trennt. Sünde kommt von sondern/abtrennen. Sünde/Sonderung bezeichnet die Erfahrung, dass wir aus der ursprünglichen Einheit mit Gott und der Schöpfung heraus-gefallen sind und in der Entfremdung leben. Nach der mythischen Erzählung der Urgeschichte am Anfang der Bibel1 liessen sich die Menschen von der listigen Schlange verführen, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Von allen Früchten der Bäume durften Adam, der Erdling und Chawwah, die Mutter des Lebens essen im Garten Eden, nur vom Baum in der Mitte des Gartens, sollten sie auf Gottes Geheiss nicht essen. Die Schlange log ihnen vor, dass sie sein würden wie Gott, wenn sie von der verbotenen Frucht kosteten. Dieser Verlockung konnten Chawwah und Adam nicht widerstehen. Als sie jedoch die von Gott gegebene Grenze übertreten, gehen ihnen die Augen auf. Sie erkennen, dass sie nackt sind, sie fürchten und verstecken sich vor Gott. Die Ur-trennung ist vollzogen und der Zugang zum Paradies versperrt. 1 1. Mose 3 Ist das nicht auch unsere Erfahrung, liebe Gemeinde? Auch im reichsten Land der Welt leben wir nicht im Paradies. Ein tiefer Bruch zieht sich durch unsere Welt. Gebrochenheit prägt den Umgang miteinander. Hochmut meint den Wahn des Ego nach Autonomie, die Illusion nur auf sich selber bauen zu können und sich ständig behaupten zu müssen. Das krampfhafte Autonomiestreben belastet meine Beziehung zu anderen Menschen. Es stört ebenfalls mein Verhältnis zu mir selber und meine Beziehung zu Gott. Hochmut ist ein Gefängnis des ICH: hochmütig bin ich unfähig loszulassen, mich zu öffnen. Hochmut macht unfähig zu vertrauen. Spielarten des Hochmuts sind Eitelkeit, Selbstbespiegelung, Selbstverliebtheit, Narzissmus, sowie Dünkel, Überheblichkeit, Arroganz, Grössenwahn. Wir alle kennen viele Weisen, wie sich Hochmut im Zwischenmenschlichen auswirkt. Hochmut hat aber auch gesellschaftliche Folgen: Was durch menschliche Arroganz etwa im Golf von Mexiko angerichtet wurde – oder was aus falschem Stolz und herrischer Anmassung auf gegenwärtigen Kriegsschauplätzen an Grausamkeiten verübt wird – beides gründet letztlich in superbia/ hybris, im menschlichen Grössenwahn. Vielleicht fragen Sie sich, warum denn ausgerechnet an Weihnachten über den Hochmut gepredigt werden muss? Was hat superbia mit dem Fest der Liebe zu tun? – Liebe Gemeinde, ich glaube eben ganz Wesentliches: Weihnachten ist Gottes Antwort auf das Drama des Menschen. Dem Menschen, der sein will wie Gott – antwortet Gott dadurch, dass er Mensch wird. Unserem Weg der Hochmut setzt er seinen Weg der Demut entgegen. Weihnachten ist Gottes Gegenmittel gegen unseren Gottes-Wahn. Alle Jahre wieder verkündigt uns dies die Weihnachtsgeschichte: Gott kommt als Mensch ganz unten an. Das Erlöserkind wird geboren von einer jungen, unverheirateten Frau. In ungesicherten Verhältnissen. Abseits des grossen Weltgeschehens. Und schon bald wird das Kind mit seinen Eltern auf der Flucht sein vor einem grössenwahnsinnigen König. Sein Erkennungszeichen: keine Herberge, eine Futterkrippe. Und die ersten Zeugen? Hirten, raue Gesellen am untersten Ende der Gesellschaft lebend. Letzte werden erste sein. Programmatisch weist die Weihnachtsgeschichte bereits auf den späteren Weg von Jeschua. An Weihnachten unterläuft Gott unsere Versuche, uns über einander zu erheben, einander zu konkurrenzieren und zu übertrumpfen. An Weihnachten nimmt Gott Beziehung auf zu uns als verletzliches Kind, um uns für seinen Weg der Liebe zu gewinnen. In der Geburt des Kindes im Stall überwindet Gott die Menschen-gemachte Entfremdung und bringt uns das Paradies zurück. Es ist kein Zufall, dass nach dem kirchlichen Kalender ausgerechnet der 24. Dezember der Namenstag von Adam und Eva ist. So wird am Vorabend von Weihnachten die Vertreibung aus dem Paradies wach gerufen. Um an Weihnachten die Heimkehr ins Paradies freudig zu feiern. Seit die Menschen aus der ursprünglichen Einheit mit Gott herausgefallen waren, warteten die Geschöpfe alle auf Erlösung. An Weihnachten ist es dann soweit: So wie in Adam alle ‚gestorben‘ (d.h. von Gott getrennt) sind, – sagt Paulus – werden in Christus auch alle ‚lebendig gemacht‘ d.h. wieder mit der Gotteswelt verbunden werden. (1. Korinther 15,22) So schlägt Weihnachten den Bogen von der Urtrennung bis zur Wiedervereinigung mit Gott durch Christus. Weihnachten leitet also die Umkehr ein, die Heimkehr zu Gott, die Rückkehr ins Paradies. Die alten Weihnachtslieder singen freudetrunken davon. Im Lied „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“, welches wir noch singen werden, heisst es: „Heut schliesst er wieder auf die Tür zum schönen Paradies, der Kerub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis. Gott sei Lob, Ehr und Preis“. Darum, liebe Gemeinde, gibt uns Weihnachten jedes Jahr Anlass zu unsäglicher Freude und tiefer Dankbarkeit. Seht, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird: Euch wurde heute der Retter geboren, der Gesalbte, der Herr, in der Stadt Davids. Weihnachten ist ein Geschehen an uns selber. Es umfasst eine innere Geburt. Angelus Silesius hat es im „Cherubinischen Wandersmann“ in die Worte verdichtet: Merk, in der stillen Nacht wird Gott, ein Kind, gebor(e)n Und wiederum ersetzt, was Adam hat verlor(e)n. Ist die Seele still und dem Geschöpfe Nacht, So wird Gott in dir Mensch und alles wiederbracht.2 In uns will Gott also geboren werden, in uns Menschen will er Herberge nehmen und uns verwandeln. Auf seinem Abstieg in die Welt der Aufsteiger befreit er unser ICH aus dem Kerker, in den Hochmut und falscher Stolz es hinein manövriert haben. Die innere Geburt hat aber auch gesellschaftliche Folgen: Von Gottes Güte getroffen, von seiner Liebe erfüllt, wenden wir den Blick zu denen, die heute in ungesicherten Verhältnissen leben müssen, auf der Flucht sind, am Rande der Gesellschaft leben. Und so finden wir uns wieder auf dem Weg der Liebe, den Jesus später gegangen ist, kraftvoll, aufrecht, ohne zu kuschen – Befreiung wirkend. 3 2 „Die selige Nachtstille“ aus dem III. Buch 8. , S. 90 in Benziger Im nachapostolischen Bekenntnis von Kurt Marti lautet der 2. Artikel des Glaubens: ich glaube an Jesus, gottes menschgewordenes wort den messias der bedrängten und unterdrückten, der das reich gottes verkündet hat und gekreuzigt wurde deswegen ausgeliefert wie wir der vernichtung des todes aber am dritten tag auferstanden um weiterzuwirken für unsere befreiung bis dass gott alles in allem sein wird 3 Weihnachten lässt uns den Weg der Menschwerdung antreten. Und es ist wichtig, dass wir uns darum bemühen, Menschen zu werden. Erich Fried sagt: wichtig ist nicht nur dass ein mensch das richtige denkt sondern auch dass der der das richtige denkt ein mensch ist Wie sieht es denn aus mit unserer Menschwerdung, liebe Gemeinde? Sind wir schon Mensch‘s genug – etwa in Bezug auf den Hochmut? Im Umgang miteinander spüren wir, dass wir nicht gefeit sind: Es gibt unendlich viele Weisen der Überheblichkeit und des Stolzes, subtile Formen einander abschätzig zu behandeln, sich besser zu fühlen, anderen zu verstehen zu geben, wir seien ihnen überlegen. Dazu gehört auch die Unart, nichts annehmen zu können von anderen. Ab und an erlebe ich Menschen, die immer allen anderen Hilfe und Unterstützung geben, denen es aber unendlich schwer fällt selber Hilfe zu akzeptieren. Hochmut ist ein weites Feld – vom Gotteswahn über die Eitelkeit bis hin zu scheinbar demütigem Verhalten. Vielleicht kann uns ein kleines Bonmot aus Kindermund helfen, Hochmut zu kurieren, sozusagen als homöopathisches Heilmittel oder jedenfalls helfen, besser mit solchen Situationen umzugehen: Die kleine Babette kam auf einem Spaziergang mit ihrem Vater an einem Bauernhof vorbei. Da beobachtete sie, wie gerade ein Pfau das Rad schlug. Wissen Sie, wie die Kleine das sah? „Sieh doch Papa“, sagte sie, „das Huhn blüht“. – Wunderschön, nicht? Darum mein Weihnachtswunsch: dass wir in Zukunft ein Huhn blühen sehen, wenn einer wieder mal den Pfau macht, oder wenn wir uns selber beim Hochmut ertappen.4 Der Mensch, der sein will, wie Gott steht auf verlorenem Posten. Doch Gott wurde Mensch, um uns von diesem Wahn zu erlösen. Und hat dadurch den Weg zum verlorenen Paradies frei gemacht. 4 Idee aus: Ochs, Esel & all die anderen, Adventskalender 2010, Dorothee Dietrich, Studienleiterin Forum für Zeitfragen. In besonderen Momenten können wir es tatsächlich spüren, das nahe Paradies: In Begegnungen und Beziehungen, in den wir uns miteinander verbunden erfahren über alle menschlichen Grenzen hinweg. In gelebter Gemeinschaft, in der Einheitserfahrung der Liebe. In Momenten der Verbundenheit mit dem Göttlichen. Auch im Staunen vor den Geheimnissen der uns umgebenden wundervollen Schöpfung. Wie letztlich, als wir auf einem einsamen Spaziergang im Winterwald kleinste Vögelchen beobachten konnten: zwei Wintergoldhähnchen, halb so schwer wie ein Zaunkönig, mit gelben Federchen über dem Kopf. Etwas vom Zauberhaftesten, das ich je sah und mich die Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung spüren liess. Weihnachten lädt uns ein auf den Weg der Menschlichkeit. Weihnachten ist die Einladung umzukehren aus Sackgassen der Überheblichkeit, in die wir uns verrannt haben. Machen wir uns auf, die verlorene Menschlichkeit wieder zu finden. Menschlichkeit kam abhanden, weil sie weg-rationalisiert wurde, aber auch weil wir sie selber vernachlässigt haben. Vielleicht geht das nicht ohne Widerstand. Es erfordert einen Entschluss, einen Ruck. Und manchmal den Mut zur Demut. Ein faszinierendes Abenteuer ist uns verheissen und Sinnerfüllung. Vergessen wir nicht: Seit Weihnachten steht die Tür zum Paradies offen, treten wir ein! Amen